eJournals unsere jugend 71/7+8

unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2019
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Die Bedeutung von Beziehung in der Schulsozialarbeit

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2019
Sandra Jensen
Nicolina Bek
Es braucht eine positive Beziehungsgestaltung, um Kinder und Jugendliche emotional zu begleiten. Den SchulsozialarbeiterInnen muss bewusst sein, dass einige Kinder bereits schlechte Beziehungserfahrungen gemacht haben. Die Botschaften, die hinter Widerstand und etwaigen Verhaltensauffälligkeiten stecken, müssen richtig gedeutet und interpretiert werden.
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305 unsere jugend, 71. Jg., S. 305 - 312 (2019) DOI 10.2378/ uj2019.art50d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Sandra Jensen Jg. 1974; Sozialarbeiterin, Germanistin, Master of Social Science of Social Work, Leitung Schulsozialarbeit bei ISOP GmbH, Lehrbeauftragte Universität Alpen-Adria Die Bedeutung von Beziehung in der Schulsozialarbeit Es braucht eine positive Beziehungsgestaltung, um Kinder und Jugendliche emotional zu begleiten. Den SchulsozialarbeiterInnen muss bewusst sein, dass einige Kinder bereits schlechte Beziehungserfahrungen gemacht haben. Die Botschaften, die hinter Widerstand und etwaigen Verhaltensauffälligkeiten stecken, müssen richtig gedeutet und interpretiert werden. Was ist Schulsozialarbeit? Bevor wir uns mit der Bedeutung von Beziehungen in der Schulsozialarbeit beschäftigen, ist es wichtig, den Begriff Schulsozialarbeit kurz zu beschreiben. Die Österreichische Gesellschaft für Soziale Arbeit (OGSA) liefert in ihrem Aufgabenprofil folgende Definition: „Schulsozialarbeit ist ein dauerhaft an einer Schule integriertes niederschwelliges Unterstützungsangebot, das Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in ihrem Entwicklungsprozess bei einer gelingenden Lebensbewältigung professionell begleitet. Dafür kooperiert sie mit Lehrkräften, Erziehungsberechtigten sowie weiteren sozialen und bildungsbezogenen Einrichtungen und fungiert als Schnittstelle zu den außerschulischen Lebenswelten. Durch kontinuierliche Beziehungsangebote an die Zielgruppen können Problemstellungen bereits im Vorfeld erkannt und Unterstützung in einem möglichst frühen Stadium gewährleistet werden. Handlungsleitend dafür sind insbesondere Beziehungsorientierung, niederschwellige Erreichbarkeit, Freiwilligkeit, Ressourcen- und Systemorientierung. Die Förderung der Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen, gerade zur Stärkung der individuellen Bewältigungsstrategien und der persönlichen Bildungsperspektiven, steht neben dem Abbau von Benachteiligungen im Vordergrund.“ Schulsozialarbeit macht es sich zum Ziel, Anlaufstelle für alle SchülerInnen der Schule zu sein. Sowohl in Krisensituationen, bei schulischen und persönlichen Problemlagen, Konflikten jeglicher Art als auch in alltäglichen Belangen können SchulsozialarbeiterInnen Ansprechpersonen sein. Hierfür sind die Schaffung einer Vertrauensbasis und die Gestaltung von dauerhaften Beziehungen wichtig, die durch nicht problemorientierte Angebote, wie z. B. das Nicolina Bek Jg. 1992; Sozialarbeiterin, Master of Arts in Social Sciences, Schulsozialarbeiterin bei ISOP GmbH 306 uj 7 + 8 | 2019 Beziehung in der Schulsozialarbeit Soziale Lernen in der Primarstufe oder durch vordergründig beziehungsfördernde Angebote, aufgebaut werden können. Die Schaffung von Vertrauen, mit dem Ziel, einen Rahmen anzubieten, das das Beziehungs- und Mitteilungsbedürfnis von Kindern und Jugendlichen zu einem gewissen Grad befriedigt bzw. ermöglicht, ist ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Arbeit der SchulsozialarbeiterInnen. Gerade weil das System Familie zum Teil einiges an Stabilität verliert und viele SchülerInnen in ihren Familien zu wenig Interesse und Aufmerksamkeit der Eltern bzw. Bezugspersonen erleben, braucht es für die jungen Menschen kontinuierliche und präsente Erwachsene, die mit ihnen Beziehungen gestalten. Vertrauen braucht Zeit und gemeinsame, positiv besetzte Erlebnisse im Schulalltag, wofür sich die spielerische Auseinandersetzung mit sozial relevanten Themen besonders gut eignet. Diese sollen durch ein kontinuierliches und konsequentes Auftreten sowie die Präsenz in den Schulen entwickelt und gefestigt werden. Bei Kindern, die bereits Erfahrungen mit Beziehungsabbrüchen, verletzten Gefühlen bzw. Grenzen oder ambivalenten Beziehungsmustern zu Erwachsenen gemacht haben, ist es vor allem zu Beginn des Beratungsprozesses ein Thema, ob die Vertraulichkeit wirklich gewahrt bleibt oder Informationen an die LehrerInnen oder Eltern weitergegeben werden. Der Begriff der Beziehungsarbeit in der Schulsozialarbeit Im Lexikon der Schulsozialarbeit wird Beziehungsarbeit als eine Form des sozialen Handelns definiert, „da die Akteure bewusst sich gegenseitig beeinflussen bzw. aufeinander zugehen, d. h. es handelt sich [in der Schulsozialarbeit] um eine in schul- und sozialpädagogischer Praxis etablierende Interaktion“ (Bassarek 2018, 79) In einer Beziehung ist das Handeln, Denken und Fühlen von mindestens zwei Personen oder Gruppen aufeinander bezogen. Es geht um die Interaktionen und Verbindung bzw. das wechselseitige Verhältnis zu jemandem in jeglicher Hinsicht. Es wird festgestellt, dass Beziehungen sich sehr unterschiedlich gestalten können, wobei Vertrauen für die Beziehungsgestaltung entscheidend sei. In der Schulsozialarbeit wird der Begriff „Beziehungsorientierung“ verwendet: Die Person steht im Vordergrund und der Aufbau bzw. das Vorhandensein einer tragfähigen Beziehung ist für die Beratung von größter Bedeutung. Beziehungsgestaltung in der Schulsozialarbeit und damit verbundene Herausforderungen Die kompetenten Kinder Jesper Juul hat bereits in seinem Buch „Das kompetente Kind“ (2009) beschrieben, wie Kinder von Geburt an sozial und emotional kompetent sind und ihrer Umgebung auf verschiedene Weise zeigen, was sie brauchen. Sie bemühen sich zu kooperieren und in Beziehung mit anderen zu gehen. Ständige Ermahnungen und Erklärungen führen dazu, dass das Kind sich dumm oder falsch fühlt. Sie nehmen die Botschaft wahr „Du bist nicht gut genug“. Auffälliges Verhalten von Kindern und Jugendlichen führt Juul auf zwei Ursachen zurück: Entweder ist die Integrität des Kindes verletzt oder die Kinder haben Abb. 1: Spielerisches Angebot für Zusammenhalt und Kooperation in der Praxis der Schulsozialarbeit 307 uj 7 + 8 | 2019 Beziehung in der Schulsozialarbeit überkooperiert. In der Schulsozialarbeit werden einige Verhaltensauffälligkeiten als Hilferuf wahrgenommen, wobei überangepasste Kinder besonderer Aufmerksamkeit bedürfen: Einige dieser Kinder versuchen, ihre Eltern zu schonen, andere versuchen sich selbst zu schützen bzw. sogar unsichtbar zu machen, um so Übergriffen zu entkommen. Das jeweilige Verhalten braucht unterschiedliche Beziehungsangebote, wobei Sensibilität immer gefragt ist. Erwachsene müssen manchmal erst lernen, Kinder auf eine einfühlsamere Art zu sehen, ernst zu nehmen und auch störendes Verhalten in Botschaften zu übersetzen. Es muss den Erwachsenen noch bewusster werden, dass Kommunikation, Vorbildwirkung, Werte und Normen entscheidend für den Aufbau einer tragfähigen Beziehung sind. Vertraulichkeit Für die Beratungstätigkeit und das Gelingen der Beziehungsarbeit ist es erforderlich, die Vertraulichkeit und Anonymität bezüglich der Beratungsinhalte zuzusichern. Diese beiden Prinzipien sind entscheidende Faktoren für die Vertrauensbildung und für das Gelingen eines Beratungsprozesses. Gleichzeitig gibt es manchmal den nachvollziehbaren Wunsch seitens der LehrerInnen, insbesondere bei als „schwierig“ erlebten SchülerInnen, mehr über die eventuellen Hintergründe des Problemverhaltens zu erfahren, um so die SchülerInnen besser zu verstehen und ihr Verhalten nicht nur als Provokation auszulegen. Die beiden Ansprüche auf „Vertrauen“ und „empathisches Verstehen“ sind freilich kein Widerspruch, wenn der Austausch von Informationen nicht personenbezogen, sondern in sachbezogener Form unter Wahrung der persönlichen Anonymität erfolgt. In einzelnen Fällen kann es auch dazu kommen, dass SchülerInnen die SchulsozialarbeiterInnen von ihrer Verschwiegenheit entbinden, weil es für die Kinder, in der Beziehung oder Zusammenarbeit mit einzelnen Lehrpersonen oder anderen HelferInnen, von Vorteil wäre, wenn diese über die Probleme oder Herausforderungen der Kinder und Jugendlichen Bescheid wissen. Nähe - Distanz und Professionalität in der Schulsozialarbeit In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gewinnt der Nähe- und Distanzbegriff viel an Bedeutung, da sich diese noch in der Phase der eigenen Identitätsentwicklung befinden. Das Erleben positiver und gelingender Beziehungen ist für eine altersadäquate Entwicklung absolut essenziell. Eine von Akzeptanz, Geborgenheit und Sicherheit geprägte Beziehung, die gleichzeitig Freiraum zur autonomen Entwicklung, Schutz und Versorgung stellt, sind substanzielle Grundbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Durch Interaktionen innerhalb stabiler Beziehungen (er)lernen Kinder und Jugendliche die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse und Emotionen wahrzunehmen und sich mitzuteilen, was Voraussetzung für langfristige und nachhaltige Bindungs- und Beziehungskompetenzen ist (vgl. Lenz, 2014, 542). Kindern und Jugendlichen mit positiven Erfahrungen, deren Bedürfnisse berücksichtigt worden sind, fällt es leicht(er), sich jemandem anzuvertrauen, mit Personen in Beziehung zu gehen und auch Hilfe anzunehmen. Für den Beratungsprozess ist die beziehungsorientierte Nähe wichtig und eine Voraussetzung für das Vertrauen. Allerdings muss den SchulsozialarbeiterInnen bewusst sein, dass die Kinder und Jugendlichen ihre schlechten Erfahrungen, was Beziehungen betrifft, mit in die Beratungen nehmen. Viele kennen Werte wie Vertrauen, Anerkennung oder Zuwendung nicht und nehmen sich in Acht, wenn sie mit dieser Haltung in Berührung kommen. Beziehungsverletzungen Auch wenn das Wort Beziehungsverletzung leider nicht im Duden zu finden ist, kann sich jeder ein Bild davon machen, was das Wort wohl bedeuten könnte: Kinder, die Übergriffe, Grenzüberschreitungen und Vernachlässigungen erlebt haben oder auch immer wieder gravierend im Stich gelassen worden sind, tun sich manchmal schwer, einer anderen Person zu vertrauen. 308 uj 7 + 8 | 2019 Beziehung in der Schulsozialarbeit Sie haben immer wieder erlebt, dass man anderen nicht vertrauen kann - nicht einmal den eigenen Eltern, die eigentlich das Kind hätten schützen sollen. Vielleicht haben sie sich im Kindergarten einer Pädagogin anvertraut und gleichzeitig - durch das subjektive Empfinden, ein Familiengeheimnis gelüftet zu haben - ihre Familie verraten. Vielleicht war die Pädagogin überfordert mit der Information über die Übergriffe, vielleicht hat sie dem Kind nicht ganz geglaubt und daher nichts unternommen. Das führt zu einer Vertiefung der Beziehungsverletzung. Es braucht sehr viel Mut - oder auch Schmerz -, um ein Familiengeheimnis zu verraten! Das Kind empfindet sein Verhalten als illoyal, auch wenn es zu mehr Sicherheit für das Kind führen könnte. Einige Kinder bringen danach nie wieder den Mut dazu auf, andere versuchen es wieder. Gestörte oder dysfunktionale Bindungs- und Beziehungssysteme können bei Kindern und Jugendlichen zu Selbstentfremdung, emotionaler Verarmung, Traumatisierungen, bis hin zu einer Verleugnung der eigenen Beziehungs- und Bindungswünsche führen (vgl. Friedrich 2013, 25; vgl. Schleiffer 2014, 35f ). Viele der Kinder und Jugendlichen, die von Schulsozialarbeit begleitet werden, haben Bindungsabbrüche, -verlust, -traumatisierungen erfahren, die oftmals in Bindungsunsicherheiten oder auch Bindungsstörungen resultieren. Die Kinder und Jugendlichen reagieren irritiert auf Beziehungsangebote und benötigen viel Vertrauen, um eigene Bindungs- und Beziehungserfahrungen neu definieren zu können. Häufig weisen sie entsprechende Reaktionen in Zusammenhang mit ihren eigenen Ohnmachts- und Unzugänglichkeitsgefühlen auf und halten aus Selbstschutz an ihrer negativen Identität fest. Schulsozialarbeit kann mit einem achtsamen und konsequenten Beziehungsangebot ein- und entgegenwirken, sodass diese Kinder und Jugendlichen positive Beziehungs- und Bindungserfahrungen erleben können. Sobald Einblicke in diese dynamischen Prozesse gewonnen werden, auch im Sinne der Nähe- und Distanzregulation, kann irritierenden und provozierenden Verhaltensweisen vonseiten der Kinder und Jugendlichen entgegengewirkt werden (Rauchfleisch 2004, 47f ). SchulsozialarbeiterInnen müssen daher immer wieder damit rechnen, dass sie mit der Ablehnung ihres professionellen Hilfsangebotes konfrontiert werden. Die Kinder und Jugendlichen testen wiederkehrend die Zuverlässigkeit und Professionalität der SchulsozialarbeiterInnen. Sie überprüfen die Bindungs- und Beziehungsangebote intuitiv und konsequent, da sie aufgrund eines erlernten Ur-Misstrauens diese Angebote nicht angemessen in ihre bisherige Lebenswelt einordnen können. Sie brauchen, bevor sie sich auf das Beziehungsangebot einlassen, zuerst einen Beweis dahingehend, ob der oder die HelferIn es überhaupt ernst meint. Wird die SchulsozialarbeiterIn bleiben, auch nachdem sie/ er erfahren hat, was dem Kind widerfahren ist? Muss das Kind Verantwortung für die Reaktion des Erwachsenen übernehmen und daher nur häppchenweise Informationen weitergeben? Ist ein Mensch liebenswert, der (in den Augen des Kindes) versagt hat? Oder soll das Kind gleich eine Ablehnung provozieren, um sich den Schmerz (der Ablehnung bzw. im Stich gelassen zu werden) später zu ersparen? Diesem Beziehungsmuster liegt die Erfahrung zugrunde, dass sie im bisherigen Leben nur ausgenutzt, missbraucht und betrogen worden sind, woraus ein Ur-Misstrauen, als Gegenstück zum besser bekannten Ur-Vertrauen, entsteht (vgl. Rauchfleisch 2004) Viele Kinder und Jugendliche wurden wiederholt von ihren Beziehungen enttäuscht, weshalb das ‚In-Beziehung-gehen‘ für sie selbst eine Grenzverschiebung darstellt und viel Mut (oder Ohnmacht) braucht. Schulsozialarbeit gibt den SchülerInnen eine Chance, indem sie sowohl 309 uj 7 + 8 | 2019 Beziehung in der Schulsozialarbeit reflektierte Nähe, in Form von Vertrauen und Geborgenheit, als auch Distanz in Form von Freiheiten und autonomer Persönlichkeitsentwicklung anbietet. Die mutige Resonanz der Kinder und Jugendlichen, trotz Enttäuschungen und Grenzverletzungen, Vertrauen herzustellen und sich auf eine Beziehung einzulassen, ist ein besonderes Geschenk. Jugendliche mit Erfahrungen von Beziehungsabbrüchen bzw. mit Eltern, die entweder nicht in der Lage waren, mit dem Kind eine Beziehung aufzubauen, oder es nicht wollten, haben Strategien zur Rettung des Selbstwertgefühls entwickelt, indem Interaktionspartnern mit Arroganz und/ oder Abwehr begegnet wird. Sie wollen vermitteln, dass sie auf das Beziehungs- und Hilfsangebot auf keinen Fall angewiesen sind (vgl. Rauchfleisch 2004, 51ff ). Dementsprechend kommt es zu Problemen in der Nähe- und Distanzregulation. Die Literatur weist darauf hin, dass Menschen mit psychosozialen Problemen in keiner positiven, unterstützenden Umgebung aufgewachsen sind, weshalb sie zu wenig Zuwendung und Bestätigung erfahren haben. In ihrer Persönlichkeitsentwicklung können diese Kinder und Jugendlichen kein tragfähiges Selbstwertgefühl aufbauen. Infolgedessen werden SchulsozialarbeiterInnen oftmals gespalten wahrgenommen, dahingehend, dass sie als Freund oder Feind kategorisiert werden, respektive ob sie zur Stärkung des Selbstwertgefühls beitragen oder zu dessen Gefährdung. Diese Kinder und Jugendlichen haben anhand ihrer Sozialisationserfahrungen um des Überlebens willen gelernt, ihre Umgebung geradezu reflexartig auf Unterstützung in verschiedener Hinsicht zu prüfen (Rauchfleisch, 58f ). Schulsozialarbeit bemüht sich, in der direkten Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, unter anderem beziehungsorientiert zu arbeiten. Die Beziehungsgestaltung und eine damit einhergehende Nähe- und Distanzregulation bilden das Fundament im professionellen Handeln. SchulsozialarbeiterInnen sind sensibel für latente Ungleichheiten, die einerseits im System Schule entstehen und andererseits in die Lebenswelt Schule mitgebracht werden. Sie stellt sich der Herausforderung bindungs- und beziehungsverletzten Kindern und Jugendlichen empathisch und vertrauensvoll zu begegnen und sie in ihrer Identitätsfindung und Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten, zu (unter)stützen und im Anlassfall zu schützen. Im Zentrum des professionellen Handelns steht das besagte ‚Interesse-am-Werden‘, dahingehend, dass Schulsozialarbeit jedes einzelne Kind mit und in seiner eigenen Lebenswelt abholt und folglich authentisch re- und interagiert. Durch den niederschwelligen Zugang zu Schulsozialarbeit (Terminvereinbarung ohne Bürokratie, Erreichbarkeit direkt im Schulgebäude) sowie durch präventive Gruppenangebote in der Klassengemeinschaft und informelle Kontakte in den Pausen können die Kinder und Jugendlichen die SchulsozialarbeiterInnen beobachten und prüfen, teils was sie aushalten, teils wie zuverlässig sie sind. Danach können sie die ersten vorsichtigen Schritte wagen, in einen Beratungsprozess einzusteigen. Eine Verbindung zu den drei Basisvariablen Akzeptanz, Authentizität und Empathie lässt sich für eine förderliche und gelingende Beziehungsgestaltung nach Rogers herstellen (vgl. Heiner 2010, 131). Jene Grundhaltungen beinhalten zum einen Wertschätzung und einen authentischen Umgang mit den eigenen Gefühlen, um den SchülerInnen die Offenheit und Akzeptanz ihrer eigenen Gefühle zu ermöglichen und den Zugang zu erleichtern. Zum anderen inkludiert eine zugewandte Haltung empathisches Verhalten, um eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und Verstehens zu schaffen (Heiner 2010, 131f ). Dementsprechend ist Nähe in jenen Ausprägungen und beschriebenen Formen in der professionellen Beziehungsgestaltung wesentlich. Deutlich wird, dass in jenen Bereichen, wo Nähe erzeugt wird, auch Distanz geschaffen werden muss. Thiersch (2009, 129) weist in 310 uj 7 + 8 | 2019 Beziehung in der Schulsozialarbeit einer professionellen Beziehungsgestaltung auf die Notwendigkeit einer „fördernden Distanz“ hin, damit Menschen sich entwickeln und Autonomie erfahren können. Sie benötigen einen „Freiraum für die eigensinnige Gestaltung ihres Lebens“, sowie Anerkennung und Offenheit für ihre Entwicklungs(versuche) und für die eigenständigen Lebensentwürfe. Im Rahmen der professionellen Beziehungsgestaltung haben Emotionen und Gefühlslagen immer eine bedeutende Rolle. Schließlich ist erkennbar, dass die Elemente Nähe und Distanz sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr in einer sich bedingenden Wechselbeziehung zueinander stehen. Eine professionelle Distanzregulation erhöht das Verständnis und in weiterer Folge die Empathiefähigkeit zum Gegenüber, was wiederum Nähe erzeugt. Insgesamt gilt eine angemessene Nähe- und Distanzregulierung als wesentlich für den professionellen Umgang in der Beziehungsgestaltung (vgl. Thiersch 2012, 35). Umgang mit sozialen, emotionalen und Verhaltensschwierigkeiten Greene (2011) und Heljskov Elvén (2015), die vorwiegend mit Personen mit psychischen und neuropsychiatrischen Störungen arbeiten, haben Methoden entwickelt, um Kindern und Jugendlichen mit sozialen, emotionalen und Verhaltensschwierigkeiten zu helfen. Beide sehen Verhaltensauffälligkeiten als ein Ergebnis von mangelnden kognitiven Fähigkeiten (vorwiegend im Bereich Flexibilität, Frustrationstoleranz und Problemlösungen) bzw. von zu ungenauen Strukturen oder Vorgaben - Kinder die überfordert sind, können das auch mit Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Greene betont, dass Kinder ihre Sache gut machen, wenn sie können. Die Erwachsenen müssen sich überlegen, welche Fähigkeiten noch fehlen, aber auch beobachten und reflektieren, welche Voraussetzungen oder Situationen zu einem schwierigen/ herausfordernden Verhalten führen können. In der Überforderung werden Kinder und Jugendliche als „explosiv“ erlebt. Heljskov Elvén plädiert hier für den Low Arousal Ansatz, mit dem Ziel ein niedriges Erregungsniveau anzustreben durch Entschärfung spannungsgeladener Situationen, indem Anforderungen reduziert bzw. angepasst werden. Eine Verminderung von Anforderungen (in Krisensituationen) kann sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität von Zwischenfällen minimieren. Menschen, die uns herausfordern, sind zu diesem Zeitpunkt extrem erregt. Jedes Verhalten, das noch weiter erregen kann, sollte unterlassen werden. Konfrontationssituationen werden vermieden und stattdessen wird der Weg des geringsten Widerstands beschritten: Die HelferInnen vermeiden Machtkämpfe, richten den Blick auf ihre eigene Reaktion und ihr Verhalten, um das Problem nicht nur dem Klienten zuzuordnen. Das Bewusstsein, dass Gefühle ansteckend sind, ist vorhanden. In der Erregung des Kindes ist es essenziell, die Ruhe zu bewahren und die Verantwortung für die Situation zu übernehmen. In weiterer Folge können proaktive Strategien (auch für die Erwachsenen) und Handlungskompetenzen in einem ruhigen Setting erarbeitet werden. Löwenzahnkinder Die Arbeit als SchulsozialarbeiterIn ist meistens eine sehr schöne und abwechslungsreiche, allerdings auch sehr herausfordernd. Die Rahmenbedingungen sind nicht immer optimal, um den Bedürfnissen der Zielgruppen gerecht zu werden oder um einige der Defizite aus den Elternhäusern zu kompensieren. Die SchulsozialarbeiterInnen sind keine Elternteile der Kinder und Jugendlichen, sondern sekundäre Bezugspersonen, die verlässlich und kontinuierlich für die Kinder und Jugendlichen verfügbar sind. Fragen der Selbstzweifel können auftauchen: Ist die Arbeit, die Schulsozialarbeit leisten kann, ausreichend? Bringt sie überhaupt etwas? 311 uj 7 + 8 | 2019 Beziehung in der Schulsozialarbeit In der Resilienzforschung wird schon lange der Begriff der „Löwenzahnkinder“ verwendet als Metapher aus der Botanik: Die robuste Pflanze schafft es auch in einer harten und kargen Umgebung zu einer schönen Pflanze zu gedeihen. Dieses Bild kann den SchulsozialarbeiterInnen Hoffnung schenken, da auch die Bedeutung der sekundären Bezugspersonen betont wird: Der Löwenzahn ist ein Symbol der Widerstandskraft. Löwenzahnkinder sind Kinder, die trotz einer äußerst schwierigen Kindheit in einer Familie mit vielfältigen Problemen und zum Teil ganz schlimmen Umständen überleben, ja sogar gedeihen - so wie der Löwenzahn auch durch Asphalt wachsen - kann. Diese Kinder haben einen Erwachsenen außerhalb der Familie gehabt, der das innere Kind und das Potenzial gesehen hat und ihm dadurch helfen konnte. Es kann eine Oma, ein Nachbar, ein Bibliothekar, eine Lehrerin oder auch ein/ e SchulsozialarbeiterIn gewesen sein. Empfehlungen zur Beziehungsgestaltung in der Schulsozialarbeit ➤ Vertrauen braucht Zeit. Neues Verhalten - z. B. lernen, jemandem vertrauen zu können - kann sehr lange dauern, wenn ein Mensch zu oft andere Erfahrungen gemacht hat. Rückfälle bzw. Bedarf an Distanz sind üblich und in Ordnung. Immer aufs Neue dem Kind zeigen, dass der Erwachsene für das Kind da ist. ➤ Am Anfang des Schuljahres mit Klassen teamfördernde Übungen machen. Die Beziehungen zwischen den SchülerInnen werden dadurch gestärkt. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass die Kinder sich einer Schulsozialarbeit für „alle Kinder“ bewusst werden und somit nicht der sonst möglichen Stigmatisierung für „schwierige“ SchülerInnen ausgesetzt sind. ➤ Schulsozialarbeit braucht gefestigte und dauerhafte Beziehungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und diese können in einem nichtproblemorientierten Setting, z. B. im Rahmen von Peergroupaktivitäten, Veranstaltungen oder Workshops, gut aufgebaut werden. Sie fördern nicht nur Freundschaften, die Kinder/ Jugendlichen haben auch die Möglichkeit, die Erwachsenen zu beobachten, und in einer entspannten Atmosphäre kennenzulernen und auszuprobieren, ob man den Erwachsenen vertrauen kann. Klassen- und stufenübergreifende Aktivitäten unterstützen die Bildung positiver Beziehungen der SchülerInnen untereinander, stärken das Gefühl von Solidarität und tragen zur Persönlichkeitsentwicklung bei. ➤ Versprechen und Vereinbarungen sind von den Erwachsenen einzuhalten! Wenn Sie mit dem Kind/ Jugendlichen einen Folgetermin ausgemacht haben und das Kind/ der/ die Jugendliche nicht kommt, suchen Sie die Person auf, um ein weiteres Gesprächsangebot zu machen. ➤ SchülerInnen können im Rahmen eines Workshops eine beziehungsfördernde „Hausaufgabe“ bekommen, um die neu erworbenen Social Skills zu erproben und die Beziehung im Familiensystem zu vertiefen, indem sie Fragen stellen, die ausschließlich die Eltern beantworten können (z. B. „Welche Geschichte hat dein Name? Welche Gemeinsamkeiten hast du mit deinem Papa/ deiner Mama? Frage deine Mama oder deinen Papa, wie sie/ er dich beschreiben würde). ➤ Ablehnendes/ rebellisches Verhalten kann ein Zeichen von Überforderung sein. Überlegen: Was fehlt dem Kind/ Jugendlichen an Fähigkeiten, um mit der Situation klarzukommen? ➤ Kinder tun nicht, was wir ihnen sagen, sondern imitieren die Erwachsenen. Seien Sie ein Vorbild. ➤ Ständige Ermahnungen und Erklärungen bewirken negative Gefühle bei einem Kind, was zu einem Beziehungsabbruch führen 312 uj 7 + 8 | 2019 Beziehung in der Schulsozialarbeit kann. Kinder sind noch keine vollständigen sozialen Wesen und ihnen fehlen noch einige soziale Kompetenzen. Helfen Sie dem Kind, indem Sie erklären, welches Verhalten Sie sich von ihm erwarten bzw. sich wünschen. ➤ Schulsozialarbeit arbeitet präventiv, u. a. im Bereich Mobbing- und Gewaltprävention. Wirksame Mobbing- und Gewaltprävention heißt, Beziehungen bewusst zu gestalten, prosoziales Verhalten zu trainieren, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten sowie bei auffälligem Verhalten professionell und früh zu intervenieren. Sandra Jensen ISOP GmbH Dreihackengasse 2 8020 Graz (Österreich) Tel. 00 43 6 99 14 60 00 06 E-Mail: sandra.jensen@isop.at Literatur Bassarak, H. (Hrsg.) (2018): Lexikon der Schulsozialarbeit. Nomos, Baden-Baden Birchbauer, P. (2015): Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Rettet das Kind Steiermark, Graz Friedrich, H. (2013): Beziehungen zu Kindern gestalten (6. Aufl.). Cornelsen, Berlin Greene, R. W. (2011): Das explosive Kind: Plan B für Eltern von kleinen Tyrannen. Edition Spuren, Winterthur Heiner, M. (2010): Kompetent handeln in der Sozialen Arbeit. Reinhardt, München Hejlskov Elvén, B. (2015): Herausforderndes Verhalten vermeiden: Menschen mit Autismus und psychischen oder geistigen Einschränkungen positives Verhalten ermöglichen. dgvt-Verlag, Tübingen, https: / / doi.org/ 10.2378/ 9783497021277 Juul, J. (2009): Das kompetente Kind. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Lenz, G. (2014): Hilfen zur Erziehung. In: Braches-Chyrek, R., Röhner, C., Sünker, H., Hopf, M. (Hrsg.): Handbuch frühe Kindheit. Barbara Budrich, Opladen, 539 - 549 Rauchfleisch, U. (2004): Menschen in psychosozialer Not. Beratung, Betreuung, Psychotherapie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Schleiffer, R. (2014): Der heimliche Wunsch nach Nähe. Bindungstheorie und Heimerziehung. Juventa, Weinheim Thiersch, H. (2012): Nähe und Distanz in der Sozialen Arbeit. In: Dörr, M., Müller, B. (Hrsg.): Nähe und Distanz. Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität (3. Aufl.). Weinheim: Juventa, 32 - 49, https: / / doi. org/ 10.1515/ 9783110464061-004 Thiersch, H. (2009): Schwierige Balance. Über Grenzen, Gefühle und Berufsbiographische Erfahrungen. Juventa. Weinheim Internetquellen OGSA-WEB: ogsa.at/ wp-content/ uploads/ 2018/ 08/ 20 18_07_09_Aufgabenprofil-Schulsozialarbeit_Ver sion-Juni_2018.pdf, 29. 3. 2019 www.ordklasser.se/ novell-maskrosbarn.php, 4. 4. 2019