eJournals unsere jugend 72/10

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2020
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Anschlussfähigkeit als zentrale Leitkategorie

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2020
Ingo S. Hettler
Steuerung in der Schulsozialarbeit spielt sich auf unterschiedlichen Ebenen ab. Dabei werden die Fachkräfte vor Ort und deren Beitrag zur Steuerung meist ausgeblendet. In diesem Beitrag werden verschiedene Steuerungsaspekte in der Schulsozialarbeit von einem systemtheoretischen Standpunkt aus betrachtet und Ideen für die Praxis entwickelt.
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417 unsere jugend, 72. Jg., S. 417 - 423 (2020) DOI 10.2378/ uj2020.art66d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Ingo S. Hettler Jg. 1986; Master of Social Work in Psychosozialer Beratung; Systemischer Berater (DGSF); Systemischer Supervisor (SG); Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Dualen Hochschule Baden- Württemberg Stuttgart Anschlussfähigkeit als zentrale Leitkategorie Systemtheoretische Perspektiven auf Steuerung in der Schulsozialarbeit und deren Bedeutung für die Praxis Steuerung in der Schulsozialarbeit spielt sich auf unterschiedlichen Ebenen ab. Dabei werden die Fachkräfte vor Ort und deren Beitrag zur Steuerung meist ausgeblendet. In diesem Beitrag werden verschiedene Steuerungsaspekte in der Schulsozialarbeit von einem systemtheoretischen Standpunkt aus betrachtet und Ideen für die Praxis entwickelt. Fachdiskurse zur Steuerung der Schulsozialarbeit Steuerungsdiskurse in der Schulsozialarbeit haben insbesondere in der (kommunalpolitischen) Praxis in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Anlässe dieser Diskurse sind dabei vielfältig. Mal gehen sie einher mit sozialpolitischen, haushalterischen Debatten und verlaufen in einem ökonomisch geprägten Duktus, indem die aufzuwendenden Kosten und der scheinbare gesellschaftliche Nutzen der Schulsozialarbeit gegeneinander aufgewogen werden. Ein anderes Mal treten Fragen der Steuerung von Schulsozialarbeit bei Kooperations- und Schnittstellenproblemen zutage, verbunden mit dem Wunsch nach klaren Zuständigkeitsbestimmungen und Verantwortlichkeiten in der interprofessionellen und interinstitutionellen Zusammenarbeit. Teilweise spiegeln sich diese Aspekte als „Nebenbefunde“ in wissenschaftlichen Projektevaluationen wie etwa der Evaluation der Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen (Speck/ Wulf 2018, 6f ) wider. Fachwissenschaftliche Publikationen, die dieses Thema jedoch als Hauptthema behandeln, sind bislang rar gesät. Exemplarisch sollen an dieser Stelle zwei Publikationen herangezogen werden, die sich in ihrer Perspektive auf Steuerung deutlich unterscheiden. Der Sammelband von Iser, Kastirke und Lipsmeier (2013) legt seinen Fokus ausschließlich auf strukturelle Aspekte der Schulsozialarbeit, in welchen Rahmenbedingungen SchulsozialarbeiterInnen ihre tägliche Praxis ausrichten und in welchen Arbeitsbereichen. Steuerung hat dann als Sozialcontrolling die Gestalt einer managerialen Steuerung, die schwerpunktmäßig den Kontext, in dem sich die Leistungs- 418 uj 10 | 2020 Steuerung in der Schulsozialarbeit erbringung vollzieht und statistische Kennzahlen zum Output (z. B. Fallzahlen, Anzahl der Angebote) betrachtet, um Rahmenbedingungen und Prozesse zu verbessern. Diese Steuerungsidee folgt dabei einer Logik, die eine klare Aufgaben- und Verantwortungsteilung von planenden und entscheidenden Akteuren im Sozialcontrolling auf der einen Seite und ausführenden PraktikerInnen, die die angestrebten Leistungen umzusetzen und die vordefinierten Ziele zu erreichen versuchen, auf der anderen Seite vorsieht. Foltin wählt eine andere Perspektive, in dem er von einer Steuerungsverantwortung der Schulsozialarbeitsfachkräfte selbst ausgeht. Dies begründet er mit den für ihn „arbeitsfeldimmanenten Leitungs-, Koordinations- und Steuerungsaufgaben“ (2015, 91), die sich für ihn in der alltäglichen Praxis der Schulsozialarbeit an den Schulen vor Ort widerspiegeln. Steuerung als wichtige Aufgabe des Trägers und von Führungskräften Die Steuerungsperspektive von Iser et al. (2013) ist durch die Brille des Sozialmanagements nachvollziehbar. So versteht z. B. Merchel (2015, 22) unter Management „die Steuerung von finanziellen, sachlichen und personellen Ressourcen einer Organisation“, mit denen die Ziele der Organisation erreicht und mit der der Fortbestand der Organisation gesichert werden soll. Diese Aufgaben werden in der Regel mit den Führungskräften einer Organisation in Verbindung gebracht und umfassen je nach deren Entscheidungskompetenzen u. a. die Beschaffung und Steuerung des Ressourceneinsatzes (personell wie materiell), die Regelung von zielbezogenen Kooperationen, die Sicherung von Handlungsfähigkeit durch Entscheidungen und Abstimmung der Leistungen auf die Ansprüche und Erwartungen der Umwelt (Merchel 2015, 13). Für die Schulsozialarbeit ist noch eine weitere wichtige Funktion der Trägerorganisation zu konstatieren. Im Sinne einer fachlichen Steuerung trägt die Trägerorganisation als kollektives Unterstützungssystem zu Stabilisierung beruflicher Haltungen bei und individuelles berufliches Handeln kann durch den Träger institutionell durch fachliche und verfahrensrechtliche Bestimmungen, durch konzeptionelle Orientierung, durch Beschreibung wiederkehrender und für die Tätigkeit der Schulsozialarbeit zentraler Schlüsselprozesse sowie durch die Festlegung von Rollen und deren Beziehung zueinander gestützt und gestärkt werden. (Spiegel 2018, 80f ) Dies trifft zweifelsohne auch für andere Bereiche der Sozialen Arbeit zu. Dieser Aspekt ist jedoch für die Schulsozialarbeit besonders bedeutsam. Denn: Mit Schule treffen SchulsozialarbeiterInnen auf eine Organisation, deren Kultur und Handlungsrationalitäten von denen der Sozialen Arbeit und der Jugendhilfe stark abweichen. Durch die engen strukturellen und persönlichen Verbindungen mit Schule im Alltag besteht die Gefahr, dass Schulsozialarbeitsfachkräfte in ihrem eigenen professionellen Habitus destabilisiert werden und sie ihr Handeln zu stark an den Handlungsrationalitäten und dem professionellen Selbstverständnis von Lehrkräften ausrichten. Eine institutionelle Steuerung durch den Träger für die Schulsozialarbeit gibt hierbei Handlungsorientierung durch sozialpädagogische und Jugendhilfe- Zielsetzungen und fördert eine fortwährende Selbstvergewisserung und „Re-Kalibrierung“ der Fachkräfte im Hinblick auf ihre professionelle sozialpädagogische Identität. Damit dies gelingt, bedarf es aufseiten des Trägers verantwortlicher AnsprechpartnerInnen, die das Feld und deren Eigenheiten kennen, die über ausreichend Kompetenzen und Ressourcen verfügen, um die Beschäftigten bedarfsorientiert angemessen begleiten zu können, und die einen regelmäßigen fachlichen Austausch zwischen den SchulsozialarbeiterInnen fördern (Speck 2006, 295). Steuerung wird für die Fachkräfte dann als wichtiger Supportservice spürbar und weniger als Handlungsimperativ. 419 uj 10 | 2020 Steuerung in der Schulsozialarbeit Auch die Fachkräfte sitzen mit am Steuer Die dezentrale Organisation von Schulsozialarbeit und die damit verbundenen Freiheitsgrade der SchulsozialarbeiterInnen verlagern einen Teil der Managementaufgaben auf die operative Ebene und in den Alltag derjenigen, die unmittelbar die sozialen Dienstleistungen mit den AdressatInnen erbringen. SchulsozialarbeiterInnen treffen hierbei täglich - und zu großen Teilen unabhängig von ihrem Träger - Entscheidungen, z. B. in welchen Fällen sich diese für zuständig erklären und wie sie in diesen Fällen tätig werden, welche strategischen Kooperationen sie inner- und außerhalb der Schule eingehen und wie sie ihren Arbeitsalltag organisieren, um ihre arbeitszeitlichen Ressourcen vor Ort bestmöglich zu nutzen. Die Fachkräfte sitzen somit in vielerlei Hinsicht mit am Steuer. In mitunter hochkomplexen und mehrdimensionalen Spannungsfeldern vor Ort müssen SchulsozialarbeiterInnen die vielfältigen Erwartungen unterschiedlichster Beteiligter und Zielgruppen mit ihrem Auftrag und ihren Zielsetzungen zusammenbringen und ihre expliziten oder impliziten Wirkungsabsichten im Hinblick auf ihre fachlichen Entscheidungen in einer Ziel-Mittel-Relation abwägen. (Spiegel 2018, 32) Diese täglichen Abwägungs- und Entscheidungsprozesse müssen SchulsozialarbeiterInnen berufsethisch rechtfertigen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit(-serwartungen) vor dem Hintergrund wissenschaftlicher und erfahrungsbezogener Wissensbestände und deren fachlicher Plausibilität begründen können (Spiegel 2018, 104). Hiermit ist zweifelsohne ein hoher Anspruch an das professionelle Handeln der Fachkräfte verbunden, ebenso wie mit den Verantwortlichen, die diese begleiten und führen. Es gilt sich zu vergegenwärtigen, dass der Kern aller sozialen Dienstleistungen aus „Interaktionen“ von unterschiedlichen Personen- und Interessengruppen besteht und die Fachkräfte bei der Leistungserbringung auf die Koproduktivität der LeistungsadressatInnen (uno-actu- Prinzip) angewiesen sind (Merchel 2017, 286). Anders als andere SozialdienstleisterInnen „spielt“ die Schulsozialarbeit - im metaphorischen Sinne - ihr Spiel im Kontext Schule jedoch immer auch als Auswärtsspiel auf fremdem Rasen (Schule) und kann, ebenso wenig wie deren Clubmanager und Trainer (Träger), nur bedingt auf die äußeren Rahmenbedingungen, die sie in dieser Spielstätte vorfindet, einwirken. Auf diesem Spielfeld ist sie daher in einem so hohen Maße auf die Kooperation mit Lehrkräften und der Schulleitung - den eigentlichen SpielmacherInnen - angewiesen, die ihre Spielmöglichkeiten stark begrenzen oder erweitern können (Hettler 2019, 412f ). Schule steuert damit indirekt immer mit. In diesem besonderen kooperativen Arrangement von Schulsozialarbeit und Schule (Thimm 2009, 476; Hettler 2019), in dem weder die Träger der Schulsozialarbeit noch die SchulsozialarbeiterInnen direkt auf die organisatorischen Rahmenbedingungen vor Ort steuernd zugreifen können und in dem neben der Koproduktivität der AdressatInnen in vielen Tätigkeitsfeldern der Schulsozialarbeit auch eine Koproduktivität der Lehrkräfte und der Schulleitung vonnöten ist, stellt sich die Frage, wie sich die Tätigkeit der Schulsozialarbeit - das Spiel auf fremdem Rasen - von außen überhaupt zielgerichtet steuern lässt. Dieser Frage soll im Folgenden mit Rückgriff auf systemtheoretische Überlegungen nachgegangen werden. Systemtheoretische Perspektive auf Schulsozialarbeit und Steuerung Der Steuerungsbegriff ist aus systemischer Sicht nicht unproblematisch. Oftmals impliziert der Steuerungsbegriff, dass ein bestimmter Input einen vorhersehbaren Output generieren könnte. Eine solche kausale Ursache-Wirkung-Beziehung ist jedoch unvereinbar mit der Idee auto- 420 uj 10 | 2020 Steuerung in der Schulsozialarbeit poietischer Systeme. So zeichnen sich alle sozialen Systeme (und so auch Schule und Jugendhilfe) dadurch aus, dass sie sich selbst reproduzieren, selbst organisieren und selbst steuern. Ihr Verhalten ist daher von außen nicht vorhersehbar und nicht direkt steuerbar (Simon 2013, 108; Bauer 2013, 41). Veränderungen im System werden ausschließlich vom System selbst initiiert und realisiert und sind dabei immer das Ergebnis von Beobachtungen einer sich verändernden Umwelt durch das System, der Einführung von neuen Informationen in das System (z. B. wachsende Heterogenität der Lebenslagen von SchülerInnen) und einer sich daraus möglicherweise ergebenden veränderten Anschlusskommunikation (z. B. Ausbau schulischer Förderangebote) (Luhmann 1997, 433). Nimmt man die Autopoiesis von Systemen ernst, bedeutet dies, sich von der Möglichkeit einer direkten Einflussnahme zu verabschieden. Vielmehr gilt es dann Steuerungsimpulse so zu setzen, dass diese von den adressierten Systemen nach deren Eigenlogik eigenständig und eigengesetzlich verarbeitet werden. Damit dieser Verarbeitungsprozess gelingt, kommt es nicht nur auf die Qualität des Steuerungsimpulses an, sondern auch darauf, ob und wie das adressierte System überhaupt in der Lage ist, die Impulse aus seiner Umwelt wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren (Bauer 2013, 44). Es gilt also auch danach zu fragen, ob ein Steuerungsimpuls wirkt, indem im Bezugssystem Schulsozialarbeit oder Schule neue Diskussionen zu einem Thema entstehen. Dabei müssen Interventionen und Entscheidungen nicht unbedingt von den Betroffenen akzeptiert werden, um wirksam zu werden. Es genügt, wenn diese im System ankommen und im Hinblick auf dessen Reaktionen anschlussfähig sind (Boos/ Mitterer 2014, 45). So können Narrative über positive Kooperationserfahrungen mit der Schulsozialarbeit anschlussfähig sein, wenn bisher kooperationsunsichere Lehrkräfte daraufhin den Entschluss fassen, ein gemeinsames Projekt mit der Schulsozialarbeit durchzuführen. Für die Träger und die kommunale Jugendhilfepolitik stellt sich die Frage der Anschlussfähigkeit ebenso, wenn sie die Schulleitungen als Sprachrohr in den Schulen für die Sache der Schulsozialarbeit gewinnen wollen und auf eine entsprechende Steuerung der Rahmenbedingungen schulischerseits zugunsten der Schulsozialarbeit hoffen. Ausgehend von der systemtheoretischen Unmöglichkeit, Systeme zielgerichtet steuern zu können, wird „Anschlussfähigkeit“ zu einer zentralen Leitkategorie in der Steuerung von Schulsozialarbeit. Steuerungsverantwortliche, ob als Führungskraft oder als SchulsozialarbeiterIn vor Ort können die Anschlussfähigkeit ihrer Interventionen erhöhen, indem sie sich an bestimmten Kriterien orientieren. Diese folgenden Dimensionen der Anschlussfähigkeit sind dabei nur analytisch voneinander getrennt zu betrachten und in der alltäglichen Praxis alle stets unterschiedlich stark wirksam. Die inhaltliche Dimension bezieht sich auf die Sachebene, die mit einer Intervention verbunden ist (Boos/ Mitterer 2014, 46). Die Aufgaben und der Auftrag der Schulsozialarbeit an einer konkreten Schule könnte hierbei exemplarisch genannt werden oder welche Themen von der Schulsozialarbeit z. B. in der Präventionsarbeit verfolgt werden. Auf der Ebene des Trägers und der (Kommunal-)Politik geht es hierbei meistens auch um den Zweck und die Zielsetzungen, die mit Schulsozialarbeit verfolgt werden sollen und aus denen sich auch entsprechende theoretische Begründungsmuster (Speck 2014, 49f ) ableiten lassen. Die soziale Dimension der Anschlussfähigkeit betrifft die Personenebene und richtet ihr Augenmerk auf den Personenkreis, der von einer Intervention oder einer Entscheidung betroffen ist (Boos/ Mitterer 2014, 46). Als Beispiel kann hier die Personalauswahl genannt werden. Auch wenn die Entscheidungsverantwortung über das Personal beim Träger liegt, so betrifft diese Entscheidung eine Vielzahl an Lehrkräften, die 421 uj 10 | 2020 Steuerung in der Schulsozialarbeit im Anschluss mit der Fachkraft zusammenarbeiten sollen. Es ist deshalb hilfreich zu überlegen, wie Schulen kommunikativ bei dieser Entscheidung mitgenommen werden können. Auch Interventionen von SchulsozialarbeiterInnen sind in dieser Dimension verortbar, indem sie z. B. mit bestimmten Projektideen die Lehrkräfte auf der Bedürfnisebene erreichen und für die Kooperation gewinnen oder nicht. In der zeitlichen Dimension bildet sich die Passung von Zeitpunkt, Taktung und Inhalt ab. Die beste Idee wird zum falschen Zeitpunkt wohl kaum auf offene Ohren treffen. Als alltägliches Beispiel lassen sich arbeitsintensive Zeiträume nennen, in denen die Lehrkräfte mit Korrekturen, Notenfindung etc. so gefordert sind, dass sie dann nicht offen sind für eine zusätzliche Idee der Schulsozialarbeit. Auf Trägerseite ist möglicherweise die Frage der Taktung organisationaler Veränderungsprozesse relevant dafür, ob Beschäftigten diesen ideell folgen oder in Widerstand gehen. In der zeitlichen Dimension sind aktuelle und geplante Interventionen immer auch in Verbindung mit den vorhergehenden Interventionen zu denken. (Boos/ Mitterer 2014, 47) Das räumliche Setting bildet eine weitere, oft vernachlässigte Dimension. Dabei hat der äußere Rahmen großen Einfluss auf die Kommunikationskultur und den Charakter von Gesprächsformaten. So werden mit bestimmten Orten auch Rollenerwartungen verbunden. Für ein Kooperationsgespräch mit Schulleitung, Träger und Schulsozialarbeit kann es durchaus einen Unterschied machen, ob dieses im Büro der Schulleitung oder dem der Schulsozialarbeit stattfindet. In schwierigen Gesprächen mit Eltern kann der äußere Rahmen eher den Eindruck einer „Vorladung“ erwecken oder die Absicht eines Gesprächs auf Augenhöhe unterstreichen. Weiterhin relevant für das räumliche Setting ist, ob Anliegen an die Schulsozialarbeit in einem „Tür-und-Angel-Setting“ herangetragen werden oder entsprechend Raum für einen angemessenen Austausch geschaffen wird. Als eine Art fünfte Dimension profitieren Führungskräfte von der Symbolwirkung, die oftmals mit ihrer Präsenz, ihrer Rolle und ihren Interventionen in Verbindung gebracht wird (Boos/ Mitterer 2014, 48). Dieser Aspekt ist für die Schulsozialarbeit gerade im Hinblick auf die Kooperation mit der Schulleitung von besonderer Bedeutung. Je nachdem ob die Schulleitung die Schulsozialarbeit in der GesamtlehrerInnen-Konferenz fürsprechend unterstützt oder nicht, erhöht oder verringert sich die Wahrscheinlichkeit, im LehrerInnenkollegium noch weitere tatkräftige UnterstützerInnen für bestimmte Vorhaben zu finden. Diese verschiedenen Dimensionen der Anschlussfähigkeit können Führungskräften in der Schulsozialarbeit als hilfreicher Werkzeugkasten dabei dienen, Routinen innerhalb der eigenen Organisation wirksamer zu verändern. Gleichzeitig helfen sie sowohl ihnen wie den SchulsozialarbeiterInnen dabei, ihre Steuerungsabsicht im Hinblick auf die Kooperation mit Schule systematisch auf deren Anschlussfähigkeit hin zu reflektieren und bisherige Strategien ggf. zu überdenken. Ideen und Anregungen für die Praxis Bis zu dieser Stelle wurde deutlich, dass Steuerung in der Schulsozialarbeit keine Kommunikations- und Handlungsform ist, die exklusiv nur Trägerverantwortlichen und Führungskräften vorbehalten ist, sondern sich auf mehreren Ebenen mit mehreren Akteuren abspielt. Auch wenn Schule nicht in der Steuerungsverantwortung ist, so gestaltet diese den Handlungsspielraum der Schulsozialarbeit über die Steuerung der Rahmenbedingungen vor Ort mit. Kooperations- und Zielvereinbarungen sind ein beliebtes Mittel, um verlässliche Absprachen in der Kooperation von Kommune, Träger, Schule und SchulsozialarbeiterIn zu treffen. In dieser werden meist grundsätzliche Handlungsweisen der Schulsozialarbeit beschrieben, Rahmenbe- 422 uj 10 | 2020 Steuerung in der Schulsozialarbeit dingungen der Kooperation und Formen des Umgangs miteinander vereinbart. Möchte man die Anschlussfähigkeit dieser Vereinbarung in Schule hinein jedoch vergrößern, müsste ein stärker beteiligungsorientierter Prozess der Aushandlung initiiert werden, an dem Lehrkräfte, ElternvertreterInnen und ggf. SchülerInnen partizipieren können anstelle eines „Hinterzimmer-Deals“, an dem nur die Schulleitung beteiligt wird. Die verschiedenen Beteiligten und Zielgruppen an bzw. von Schulsozialarbeit definieren dabei nicht deren grundsätzlichen Auftrag, sie werden aber bei der Klärung der gemeinsam zu verfolgenden Ziele für die jeweilige Schule aktiv beteiligt und können sich mit ihren Bedarfen einbringen. Dies erhöht nicht nur die Anschlussfähigkeit der Interventionen und Angebote - mit einer erhöhten Passung geht auch eine erhöhte Umsetzungswahrscheinlichkeit einher. Bei der Formulierung der Ziele sollte jedoch darauf geachtet werden, dass der Jugendhilfecharakter der Schulsozialarbeit (Prävention, Freiwilligkeit, Vertraulichkeit, „Förderung der Lebensbewältigung und Kompetenzentwicklung“ [Speck 2014, 24]) unbedingt erhalten bleibt und im Prozess der Aushandlungen Zuständigkeiten über berufliche Rollen und fachliche Kompetenzen zugeschrieben werden und nicht etwa über persönliche Bedürfnisse. Sind die Ziele zu „verschult“, könnten diese auch einen negativen Beitrag dazu leisten, den spezifischen Mehr- und Eigenwert der Schulsozialarbeit abzuschwächen. Kooperations- und Zielvereinbarungen sind also nicht als leblose Verwaltungshandlungen zu verstehen, sondern als Instrument einer aktiven kooperativen, zielorientierten Steuerung der Schulsozialarbeit. Damit dies gelingt, ist auch die Einrichtung einer Lenkungsgruppe aus VertreterInnen von Trägern, Lehrkräften, Schulleitung und den SchulsozialarbeiterInnen vor Ort, die in größeren Abständen tagt, sinnvoll und notwendig. Diese Lenkungsgruppe legt ihren Fokus dabei immer wieder auf die Ziele der Schulsozialarbeit, identifiziert wiederkehrende Kooperations- und Schnittstellenprobleme und entwickelt entsprechende Lösungen dafür gemeinsam. An diesem Beispiel zeigt sich auch die Bedeutung eines präsenten Trägers, der die Arbeit der Lenkungsgruppe gemeinsam mit der Schulleitung vorantreibt. Die Ziele der Kooperations- und Zielvereinbarung haben für die Schulsozialarbeitsfachkräfte aber noch eine andere, wichtige Bedeutung: Durch die Benennung klarer zielbezogener Zuständigkeiten kann einer Allzuständigkeit der Schulsozialarbeit ein Stück weit entgegengewirkt werden. Die Schulsozialarbeit erhält dadurch ein klareres Profil und einen thematischen Filter, mit denen sie die an sie herangetragenen Themen und Probleme stärker aussteuern kann. (Galuske/ Müller 2012, 590f ) Herausforderungen und Unstimmigkeiten in der interdisziplinären Kooperation gehören zum Alltag und sind an vielen Stellen eher die Regel als die Ausnahme. Aus diesem Grund kann es sich bewähren, bereits mit der Implementierung auch an der Etablierung einer Streitkultur zu arbeiten, die einen konstruktiven Umgang mit Differenzen und bleibenden Unterschieden ermöglicht. Für eine Steuerung der Schulsozialarbeit, die sich an Wirkungen orientiert und die nachhaltige Veränderungen befördern möchte, spielen Alltagstransfer und (Re-) Stabilisierung neuer kognitiver, emotionalerVerhaltensmuster (KEV- Muster, Schiepek/ Eckert/ Kravanja 2013, 42f ) eine wichtige Rolle. Bei themenbezogenen Klassenangeboten der Schulsozialarbeit (z. B. Sozialkompetenztraining, gewaltfreie Kommunikation) haben junge Menschen die Chance, neue Erfahrungen zu machen, die neue Denkweisen, neue Empfindungen und neue Verhaltensweisen befördern können. Diese neuen Muster bedürfen jedoch einer wiederkehrenden (Re-)Stabilisierung im Alltag, wenn sie sich nachhaltig festigen sollen. Für politische VertreterInnen, die die Entscheidungen über den Ausbau der Schulsozialarbeit verantworten, ist die Anschlussfähigkeit ihrer Vorhaben ebenso bedeutsam. Schließlich ist 423 uj 10 | 2020 Steuerung in der Schulsozialarbeit der Erfolg von Schulsozialarbeit auch davon abhängig, wie offen eine Schule für neue Perspektiven und Handlungsansätze durch die Schulsozialarbeit ist, ob sie diese durch aktive Mitarbeit und Kooperation unterstützen möchte oder lediglich auf der Suche nach Entlastung bei der Erfüllung ihrer originären Aufgaben ist. Es gilt daher, das Verhältnis von Jugendhilfe und Schule bereits während der Jugendhilfeplanung immer wieder auszuloten und zu bestimmen. Nur so kommt es zu einer realistischen Einschätzung des Leistungsvermögens der Schulsozialarbeit und nicht zu einer Überfrachtung dieser mit unrealistischen Erwartungen. Ingo S. Hettler Obere Riedstraße 12 D-68309 Mannheim Tel.: (01 76) 61 23 88 47 E-Mail: info@systemische-perspektiven.net www.systemische-perspektiven.net Literatur Bauer, G. (2013): Einführung in das systemische Sozialmanagement. Carl Auer Verlag, Heidelberg Boos, F. & Mitterer, G. (2014): Einführung in das systemische Management. Carl Auer Verlag, Heidelberg Foltin, W. (2015): Leitung, Koordinierung und Steuerung (in) der Schulsozialarbeit. Sozialmagazin 12, 90 - 97 Galuske, M., Müller, C. W. (2012): Handlungsformen in der Sozialen Arbeit - Geschichte und Entwicklung. In: Thole, Werner (Hrsg.) Grundriss der Sozialen Arbeit. 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Prinz, G. Schwarz. Wiesbaden, Springer VS, 281 - 296, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978- 3-658-14896-6_18 Merchel, J. (2015): Management in Organisationen der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Beltz Juventa, Weinheim und Basel Schiepeck, G., Eckert, H., Kravanja, B. (2013): Grundlagen systemischer Therapie und Beratung. Psychotherapie als Förderung von Selbstorganisationsprozessen. Hogrefe, Göttingen u. a. Simon, F. B. (2013): Einführung in die systemische Organisationstheorie. Carl Auer Verlag, Heidelberg Speck, K. (2014): Schulsozialarbeit. Eine Einführung (3. Auflage). Ernst Reinhardt Verlag, München und Basel Speck, K. & Wulf, C. (2018): Zusammenfassung des Abschlussberichtes zur Evaluation des Landesprogramms Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen. In: https: / / www.spi-programmagentur.de/ fileadmin/ user_up load/ Programmagentur/ Dokumente/ 02_Zusammen fassung_Evaluation_JSA_Berlin.pdf, 30. 5. 2020 Spiegel, H. v. (2018): Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit: Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis (6. Aufl.). Ernst Reinhardt Verlag, München Thimm, K. (2009): Jugendsozialarbeit an Berliner Hauptschulen. Konzepte unter der besonderen Berücksichtigung des Übergangs Schule - Beruf. In: Jugendhilfe und Schule - Handbuch für eine gelingende Kooperation, hrsg. A. Henschel, R. Krüger, C. Schmitt & W. Stange. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden: 470 - 490, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-531-91396-4_30