unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2020.art75d
111
2020
7211+12
Sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche in den stationären Hilfen zur Erziehung
111
2020
Jan Schweinsberg
Christian Grüner
Julia Urban
Wenn Fachkräfte in der stationären Kinder- und Jugendhilfe mit Situationen der Mädchen und Jungen konfrontiert werden, in denen sexuelle Handlungen vermutet werden, führt dies häufig zur Verunsicherung. War es normal, bereits bedenklich oder gar gefährlich? Sexualisierte Gewalt durch Minderjährige – was bedeutet das eigentlich? Und welche Konsequenzen hätte das für unser Handeln als Fachkräfte?
4_072_2020_11+12_0006
469 unsere jugend, 72. Jg., S. 469 - 474 (2020) DOI 10.2378/ uj2020.art75d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Jan Schweinsberg Jg. 1971; Diplom-Psychologe, Leiter der Landesfachstelle „Blaufeuer“ Sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche in den stationären Hilfen zur Erziehung Wenn Fachkräfte in der stationären Kinder- und Jugendhilfe mit Situationen der Mädchen und Jungen konfrontiert werden, in denen sexuelle Handlungen vermutet werden, führt dies häufig zur Verunsicherung. War es normal, bereits bedenklich oder gar gefährlich? Sexualisierte Gewalt durch Minderjährige - was bedeutet das eigentlich? Und welche Konsequenzen hätte das für unser Handeln als Fachkräfte? Die Landesfachstelle Blaufeuer Der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauches äußerte bereits 2017: „Die Wahrscheinlichkeit, sexuelle Übergriffe durch Gleichaltrige zu erleiden, ist deutlich höher, als sexueller Gewalt durch Erwachsene ausgesetzt zu sein“ (Rörig 2017, 2). Diese Aussage verstärkt die Annahme, dass entsprechender Altersgruppe bezüglich sexueller Übergriffe bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Insbesondere in der stationären Kinder- und Jugendhilfe wird diese Problematik jedoch häufig tabuisiert - mit fatalen Auswirkungen auf die gesunde Entwicklung der Jungen und Mädchen, sowohl der betroffenen als auch der sexuell übergriffigen Minderjährigen. Die im Jahr 2014 gegründete Landesfachstelle Blaufeuer widmet sich dieser Thematik. Sie richtet ihren Fokus auf die Jungen und Mädchen, welche sexualisierte Gewalt ausüben. Dabei ist die Landesfachstelle vor allem für die Unterstützung der Fachkräfte vor Ort, sowohl bei den öffentlichen als auch den freien Trägern gedacht. Unter der Überschrift Täterarbeit ist Opferschutz sensibilisieren die MitarbeiterInnen der Landesfachstelle die Fachkräfte im Rahmen von Fallberatungen und Fortbildungen für das Thema Christian Grüner Jg. 1987; Pädagoge (BA), Mitarbeiter der Landesfachstelle „Blaufeuer“ Julia Urban Jg. 1986; Sozialpädagogin (BA), Mitarbeiterin der Landesfachstelle „Blaufeuer“ 470 uj 11+12 | 2020 Sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche sexualisierter Gewalt durch Minderjährige. Dabei stehen den MitarbeiterInnen ein deutschlandweites Netzwerk mit anderen Facheinrichtungen sowie auch die Kooperation mit dem sächsischen Landesjugendamt zur Verfügung. Verkettung sexualisierter Gewalt Seit der Gründung der Landesfachstelle erfolgen ca. ein Drittel der Fallanfragen aus der stationären Kinder- und Jugendhilfe - Tendenz steigend. Bereits in einer Untersuchung vom Deutschen Jugendinstitut e.V. (2011) wurde festgestellt, dass sexuelle Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen in Heimen am häufigsten vorkommen (im Vergleich zu Schulen und Internaten). Vermutet wurde, dass die erhöhte Anzahl an Nennungen auf belastende Vorerfahrungen und Familienverhältnisse bei einem Teil der Kinder und Jugendlichen zurückzuführen sei. Anhand der fortlaufenden Evaluation der Landesfachstelle Blaufeuer lässt sich resümieren, dass über die Hälfte aller angefragten stationär lebenden Kinder und Jugendlichen mindestens einmal auf MitbewohnerInnen übergriffig wurden. Aus den Fallbearbeitungen der Landesfachstelle in den vergangenen Jahren ergaben sich jedoch weitere Risikobereiche, welche vor allem durch den Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb der stationären Kinder- und Jugendhilfen gekennzeichnet waren. Das folgende Fallbeispiel soll die Verkettung sexualisierter Gewalt in den Institutionen verdeutlichen. Die Wohngruppe eines freien Trägers wendete sich mit folgendem Anliegen an die Landesfachstelle: Vier neu aufgenommene Kinder im Alter zwischen 7 und 11 Jahren zeigten sexuell auffälliges Verhalten. Es sei zum Oralverkehr zwischen den Kindern und gegenseitigen Videoaufnahmen von sexuellen Handlungen gekommen. Diese vier Kinder berichteten, dass sie zuvor gemeinsam in einer anderen Wohngruppe gelebt haben, in der sie durch den 17-jährigen Mitbewohner Torsten* sexuelle Übergriffe erleben mussten. In der daraufhin erfolgten Fallberatung in der Wohngruppe mit der Landesfachstelle stellte sich heraus, dass zwei der vier Kinder bereits in ihren Familien sexuelle Übergriffe durch ihre jeweils älteren Brüder * Name geändert Abb. 1: Statistik aus der Evaluation der Landesfachstelle Blaufeuer: Fallanfragen insgesamt im Zeitraum 2015 - 2019 Übergriffe auf MitbewohnerInnen 35 % 30 % 25 % 20 % 15 % 10 % 5 % 0 % 2015 2016 2017 2018 2019 16 % 20 % 19 % 26 % 31 % 471 uj 11+12 | 2020 Sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche erfahren hatten. Dies war den PädagogInnen der aktuellen Wohngruppe jedoch nicht bekannt. Diese Übergriffe durch die älteren Brüder waren einige Jahre zuvor durch das zuständige Jugendamt an die Landesfachstelle gemeldet worden. Der o. g. 17-jährige Torsten war bereits drei Jahre zuvor in der Landesfachstelle durch eine andere Einrichtung vorgestellt worden. Anlass war ein sexueller Übergriff Torstens auf ein jüngeres Mädchen in der Einrichtung. Torsten selbst lebte seit früher Kindheit in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Als er 7 Jahre alt war, hat er sexuelle Übergriffe in Form von oraler und analer Penetration durch einen damals 14-jährigen Jungen in einer damaligen Wohngruppe erfahren müssen. Der Fall dieses 14-jährigen wurde vier Jahre später in der Landesfachstelle für eine fachspezifische Beratung angefragt, da er sexuelle Übergriffe auf ein Mädchen in einer Heimeinrichtung der Kinder- und Jugendhilfe begangen habe und er nun therapeutische Maßnahmen benötige. Keine der betreffenden Wohngruppen bzw. Einrichtungen hatte Kenntnis über die Vorgeschichte sexualisierter Gewalt der Kinder und Jugendlichen. Definitionen Bei sexueller Gewalt, sexualisierter Gewalt sowie sexuellen Übergriffen handelt es sich um Formen von Grenzverletzungen, jedoch unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Qualität und Quantität. ➤ Unter sexuellen Grenzverletzungen sind unbeabsichtigte und zufällige Grenzüberschreitungen in physischer und/ oder psychischer Form zu verstehen. Dies kann z. B. durch eine unbeabsichtigte Berührung oder einer verbal verletzenden Bemerkung geschehen. Viele Grenzverletzungen können durch eine Entschuldigung und ein zukünftiges achtsames Miteinander korrigiert werden (Enders/ Kossatz/ Kelkel/ Eberhardt 2010). ➤ Wir sprechen von sexuellen Übergriffen bei wiederholten und/ oder massiven sexuell grenzverletzenden Berührungen, welche bewusst und absichtlich sowie zumeist mit einer Planung einhergehen (ebd.). ➤ In der Fachpraxis und der Wissenschaft wird häufig von „sexueller Gewalt an Kindern bzw. Jugendlichen“ gesprochen. Hierbei handelt es sich um Gewalt, welche mit sexuellen Mitteln ausgeübt wird. Die in gleicher Weise verwendete Bezeichnung der „sexualisierten Gewalt“ soll verdeutlichen, dass bei den Taten Sexualität funktionalisiert wird, um Gewalt auszuüben (Rörig, o. J.). ➤ Wir sprechen von sexualisierter Gewalt, wenn eine Person eine sexuelle Handlung an oder vor einer anderen Person vornimmt und somit sexuelle Handlungen aufgedrängt oder aufgezwungen werden. Dies geschieht entweder gegen den Willen und/ oder die Person nutzt ihre physische, psychische, kognitive sowie sprachliche Überlegenheit oder die Unwissenheit, das Vertrauen oder die Abhängigkeit eines Kindes zur Befriedigung der eigenen sexuellen und/ oder emotionalen Bedürfnisse aus (Bange/ Degener 1996). ➤ Der Begriff des „sexuellen Missbrauchs“ wird zumeist in der Öffentlichkeit und den Medien verwendet. Im juristischen Kontext meint dies jedoch alle sexuellen Handlungen gegen Schutzbefohlene, Gefangene, behördlich Verwahrten, Kranken und Hilfsbedürftigen sowie Kinder und Jugendliche, die strafrechtlich relevant sind. Das Strafgesetzbuch bezeichnet diese als „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ (§§ 174ff StGB). Hintergründe für sexualisierte Gewalt durch Minderjährige Wie im Fallbeispiel von Torsten und den anderen Kindern erkennbar wird, kann die eigene Betroffenheit von sexualisierter Gewalt und dem damit verbundenen Ohnmachtserleben/ 472 uj 11+12 | 2020 Sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche -gefühl eine zentrale Rolle spielen. Bei einem Drittel aller angefragten Fälle der Landesfachstelle haben wir eine verlässliche Angabe zur Opfererfahrung. Von diesem Anteil weisen 70 % eine eigene Betroffenheit auf. Als auslösende Momente für das Ohnmachtserlebnis können hierbei selbsterlebte und/ oder miterlebte physische, psychische und sexuelle Gewalt sowie Vernachlässigung gelten. Zumeist gab es in der Familienbiografie bereits Szenen mit grenzenlosem Umgang und Gewalt sowie Machtmissbrauch, sowohl innerhalb einer Generation als auch zwischen den Generationen. Wichtig ist hierbei, dass Übergriffe für möglich gehalten werden und der betroffenen Person geglaubt wird. Meist haben Fachkräfte, Eltern und andere Personensorgeberechtigte nur Kenntnis eines kleinen Bruchteils des Geschehnisses. Weiterhin muss erwähnt sein, dass nicht jedes „Opfer zum Täter“ wird. Vermutlich wurde der übergriffigen Person mit Klarheit, Transparenz und Haltung entgegengetreten sowie auf eine grenzachtende Umgebung und zunächst auf viel Kontrolle geachtet. Das Thema der sexuellen Übergriffe sollte nicht tabuisiert oder bagatellisiert werden, denn nur so können übergriffige Personen lernen, darüber zu sprechen. Somit kann die Selbstverantwortung für das eigene Handeln übernommen und können Verhaltensstrukturen geändert werden. Notwendigkeit präventiver Grundhaltungen in Einrichtungen Mediale sexualisierte Gewalt in den Hilfen zur Erziehung Verwendung mobiler Endgeräte stellt in der stationären Jugendhilfe häufig eine große Herausforderung im pädagogischen Alltag dar. In neun von zehn Fällen nutzen Jugendliche ihr Smartphone als Zugangsmedium zum Internet (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2019). Auf diesem Weg ist es sehr wahrscheinlich, mit unerwünschten und unangemessenen Inhalten konfrontiert zu werden. Diese reichen über eine Bandbreite von sexuellen Videos, Stickern, Bildern und Links aus dem Netz bis hin zu selbst erstellten Inhalten wie Dick-Pics (fernab des einvernehmlich initiierten Sextings). 54 % Jugendliche der EU-Kids Online Befragung 2019 gaben an, im vergangenen Jahr im Netz mit sexuellen Darstellungen (Text/ Foto/ Video) konfrontiert worden zu sein (Hasebrink/ Lampert/ Thiel 2019). Während die rechtliche Lage sich hierbei meist eindeutig durch entsprechende Paragrafen und Meldefunktionen in Apps oder der Möglichkeit polizeilicher Anzeigen gestaltet und eine klare Orientierung sowie Handlungsmöglichkeiten liefert, scheint es sich beim proaktiven Pornografie-Konsum deutlich differenzierter darzustellen. Rechtlich ist der Zugang zu Pornografie für unter 18-Jährige nicht gestattet, da moralische und entwicklungshemmende Bedenken bestehen. Unser Erleben wird faktisch durch statistische Ergebnisse bestätigt, dass Pornografie von einem Großteil der (vor allem männlichen) Klienten aktiv gesucht und konsumiert wird. Während also grundsätzlich die Aufgabe besteht, diesen Zugang zu verhindern, und die Praxis in der Regel Sanktionen wie Handy- oder WLAN-Entzug beinhaltet, stellt sich die Frage nach dem pädagogisch angemessenen Umgang. Hoch problematisch bleibt das Betrachten von Fotos oder Videos ohne die Fähigkeit der reflektierenden Verarbeitung. Hier müssen sich PädagogInnen im stationären Bereich zuständig fühlen und über Strafen und Verbote hinaus das Gespräch suchen, um über Realität und Fiktion, Gefahren und Potenziale, rechtliche Rahmenbedingungen und pädagogische Handlungsmaximen zu informieren und reflektieren. Denn ohne die entsprechende Fähigkeit der Einordnung des Gesehenen und ohne die professionelle Begleitung durch PädagogInnen kann Pornokonsum eine nachhaltige Wirkung entfalten. Diese kann sowohl das konsumierende Kind bzw. Jugendlichen weitreichend in dessen sexueller Entwicklung und Wahrnehmung schädigen, als auch, wie sich immer wieder in unserer Tätigkeit zeigt, Vorlage für sexualisierte Gewalt liefern. Entsprechend lautet eine Grundannahme unserer Arbeit: „Wir kennen quasi keinen Jugendlichen, der nicht auch Pornos konsumiert.“ 473 uj 11+12 | 2020 Sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche Sexualpädagogik ist mehr als Aufklärung Generell benötigt die gesunde sexuelle Entwicklung eine altersgemäße und professionelle Begleitung. Während seit einigen Jahren konstant, von Kindern und Jugendlichen selbst, den Eltern und anschließend der Schule eine sehr bedeutende Rolle bei der Thematisierung von Sexualität zugeschrieben wird (Bode/ Heßling 2015), überträgt sich diese Aufgabe bei stationärer Unterbringung in der Regel auf die BetreuerInnen. Diese müssen sich zuständig fühlen, die Thematik im Blick zu haben und zu koordinieren. Da sexuelle Bildung im schulischen Kontext unserer Erfahrung nach selten über biologische Aspekte und das Thema Fortpflanzung hinausgeht, müssen Themen wie Liebe, Freundschaft, Partnerschaft oder Gefühle anderweitig besprochen werden. Diese Aufgabe fällt aufgrund der Tatsache, dass sich der Alltag der Kinder und Jugendlichen im stationären Setting im Rahmen der Einrichtung abspielt, nun den BetreuerInnen zu. Die persönliche Haltung muss hinterfragt und professionell situativ angepasst werden. Sexualität muss als facettenreiches Thema, sowohl mit Tabus und Schattenseiten, aber vor allem auch Freuden und Möglichkeiten beleuchtet werden. Tabuisierung sexueller Themen führt zwangsläufig dazu, dass auch Erfahrungen sexualisierter Gewalt als nicht erwünscht und ansprechbar wahrgenommen werden. Grenzachtende Einrichtung Die besondere Herausforderung liegt nun für viele Fachkräfte darin, Sicherheit zu bekommen, inwiefern Sexualität und damit verbundene Themen besprochen und zeitgleich die persönlichen (Scham-)Grenzen der Klienten gewahrt werden können. Der Blick hierauf sollte jedoch schon einen Schritt vorher beginnen und nicht erst bei der Verbalisierung einsetzen. Eine Grenzen wahrende Einrichtung kann durch Sensibilität und Achtsamkeit im Alltag den Grundstein für die Feinfühligkeit und Einsicht der Bewohner legen. Nur dort, wo persönliche Grenzen im Allgemeinen geachtet werden, kann auch ein Bewusstsein für Grenzen im Bereich der Sexualität entstehen. Gesten und Sprache, allgemeine Umgangsformen und Fürsorge, Zuwendung und Rückzugsmöglichkeiten sollten als grundlegende Aspekte im pädagogischen Alltag hinterfragt und berücksichtigt werden. Sexuell grenzüberschreitendes Verhalten wird dort erlernt, wo Grenzen des alltäglichen Miteinanders verwischen und überschritten werden. Es kommt zum Lerneffekt, der suggeriert, dass Grenzen nicht als moralische Hürde oder Hindernis zu beachten sind, sondern bei Bedarf zur Bedürfnisbefriedigung „einfach“ überschritten werden dürfen. Transparenz und Informationsvermittlung Für den Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie für ein grenzachtendes Verhalten sexuell übergriffiger Jungen und Mädchen müssen stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ein anderes Modell etablieren, welches den Mechanismen machtmissbrauchenden Verhaltens gegenübersteht. Dazu gehört unter anderem der offene Umgang mit dem Thema sexualisierter Gewalt innerhalb der Einrichtung und nach außen. Es ist ein Kennzeichen fachlicher Qualität, diese Krise aktiv an die notwendigerweise zu involvierenden Personen und Fachstellen zu kommunizieren. Gleichzeitig muss es verpflichtend sein, sexuell übergriffiges Verhalten, möglichst mit dem konkreten Sachverhalt, an eine Folgeeinrichtung zu übermitteln. Die Landesfachstelle führt hierfür zur Dokumentation einen standardisierten Fragebogen. Es wäre falsch anzunehmen, dass sexuell übergriffiges Verhalten aufhört, wenn der Junge oder das Mädchen in eine neue Einrichtung wechselt. Die Sorge, dass das Kind oder der Jugendliche dadurch stigmatisiert würde, ist oft ebenso unbegründet wie die hin und 474 uj 11+12 | 2020 Sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche wieder geäußerte Erklärung, dass diese Informationen dem Datenschutz unterliegen würden. Wie das beschriebene Fallbeispiel zeigt, kann es zur erneuten sexualisierten Gewalt führen mit weiteren betroffenen Kindern. Man sollte dabei bedenken, dass man durch das Verschweigen dieser Thematik den Jungen und Mädchen eine mögliche Hilfe zur Vermeidung sexuell übergriffigen Verhaltens nimmt. Jan Schweinsberg Christian Grüner Julia Urban Landesfachstelle Blaufeuer - P.I.Z. gGmbH Postfach 10 01 11 01435 Radebeul Tel. (03 51) 87 37 88 15 E-Mail: info@fachstelle-blaufeuer.de Literatur Bange, D., Deegener, G. (1996): Sexueller Mißbrauch an Kindern. Ausmaß, Hintergründe, Folgen. Psychologie Verlags Union, Weinheim Bode, H., Heßling, A. (2015): Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14bis 25-Jährigen. Ergebnisse einer aktuellen Repräsentativen Wiederholungsbefragung. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln Deutsches Jugendinstitut e.V. (2011): Forschungsprojekt „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen“ am Deutschen Jugendinstitut e.V., Im Auftrag der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Zeitraum: 1. 7. 2010 - 31. 7. 2011 Enders, U., Kossatz, Y., Kelkel, M., Eberhardt, B. (2010): Zur Differenzierung zwischen Grenzverletzungen, Übergriffen und strafrechtlich relevanten Formen der Gewalt im pädagogischen Alltag. In: www.zartbitter.de/ gegen_sexuellen_missbrauch/ Fachinformationen/ 6005_missbrauch_in_der_schule.php, 11. 7. 2020 Hasebrink, U., Lampert, C., Thiel, K. (2019): Online-Erfahrungen von 9bis 17-Jährigen. Ergebnisse der EU Kids Online-Befragung in Deutschland. Hans-Bredow-Institut, Hamburg Pädagogischer Forschungsverbund Südwest (2019): JIM Studie 2019. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12bis 19-Jähriger in Deutschland. In: https: / / www.mpfs.de/ fileadmin/ files/ Studien/ JIM/ 2019/ JIM_2019.pdf, 15. 7. 2020 Rörig, J.-W. (o. J.): Definition von sexuellem Missbrauch. In: https: / / beauftragter-missbrauch.de/ praevention/ was-ist-sexueller-missbrauch/ definition-von-sexuel lem-missbrauch, 11. 7. 2020 Rörig, J.-W. (2017): Vorwort. In: Dehmlow, N., Elz, J., Hasler-Kufner, P., Kindler, H., Kröger, M., Schultheis, P., Steinbach, B., Wissert, S. (Hrsg.): „Jetzt hör endlich auf! “. Jugendarbeit und sexualisierte Peergewalt. Dokumentation zum Fachtag am 18. Oktober 2017 in Berlin. Deutscher Bundesjugendring (DBJR). Bayerischer Jugendring (BJR)
