unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2020.art77d
111
2020
7211+12
Psychosoziale Prozessbegleitung von gewaltbetroffenen Kindern und Jugendlichen im Strafverfahren
111
2020
Beate Pfeifer
Franz Eder
Sabine Kirchhoff (2005, 975) vergleicht die Situation der kindlichen Zeuginnen und Zeugen vor Gericht mit einem Fußballmatch, „bei dem eine Mannschaft aus erwachsenen Profifußballern gegen eine Mannschaft aus Kindern antritt…, dass der Schiedsrichter den Profis einen 2:0-Vorsprung einräumt und gleichzeitig den Kindern die Spielregeln des Fußballmatchs nicht erklärt…“
4_072_2020_11+12_0008
481 unsere jugend, 72. Jg., S. 481 - 486 (2020) DOI 10.2378/ uj2020.art77d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Beate Pfeifer Jg. 1961; Dipl-Sozialpädagogin, (Trauma-)Beraterin und Psychosoziale Prozessbegleiterin beim Träger Opferhilfe Sachsen e.V. Psychosoziale Prozessbegleitung von gewaltbetroffenen Kindern und Jugendlichen im Strafverfahren Sabine Kirchhoff (2005, 975) vergleicht die Situation der kindlichen Zeuginnen und Zeugen vor Gericht mit einem Fußballmatch, „bei dem eine Mannschaft aus erwachsenen Profifußballern gegen eine Mannschaft aus Kindern antritt …, dass der Schiedsrichter den Profis einen 2 : 0-Vorsprung einräumt und gleichzeitig den Kindern die Spielregeln des Fußballmatchs nicht erklärt…“ Die Situation minderjähriger Verletzter im Strafverfahren Der Vergleich von S. Kirchhoff beschreibt gut die strukturellen Bedingungen, die von Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche vorfinden, wenn sie ein Strafverfahren durchlaufen. Sie stehen machtvollen Institutionen, wie Polizei und Gericht, gegenüber. Sie haben meist keine oder falsche Vorstellungen vom Ablauf eines Strafverfahrens, werden zum Beweismittel degradiert, fühlen sich fremdbestimmt und mit ihren Bedürfnissen und Ängsten nicht gesehen. Oft kämpfen sie mit einem toxischen Cocktail widersprüchlicher Gefühle. Sie stehen unter dem Druck, alles geheimhalten zu müssen und es gleichzeitig offenbaren zu wollen. Sie fühlen sich vielleicht bedroht, haben aber gleichzeitig Angst, eine nahestehende Person zu verlieren. Sie müssen Loyalitätskonflikte aushalten und vieles mehr. Außerdem erleben Kinder und Jugendliche die Gewalt oft durch nahestehende Personen aus ihrem sozialen Umfeld. Dies erschüttert in der Regel ihr System, in dem sie leben - nichts ist mehr, wie es war. All das, gemixt mit Schuld- und Schamgefühlen und eventuell garniert mit dem Vorwurf, die Familie zerstört zu haben, birgt eine große Gefahr für die jungen Menschen, erneut Opfer (sekundär viktimisiert) zu werden. Zu den Ursachen für eine sekundäre Viktimisierung zählen u. a. mangelndes Fachwissen und fehlende Bereitschaft ExpertenInnen hinzuzuziehen, bürokratische Widrigkeiten und die Länge des Verfahrens. Besonders entscheidend ist in der Aufdeckungsphase die Reaktion des so- Franz Eder Jg. 1972; Dipl.-Sozialpädagoge (FH), Fachberater für Opferhilfe und Psychosozialer Prozessbegleiter beim Träger Opferhilfe Sachsen e.V. 482 uj 11+12 | 2020 Psychosoziale Prozessbegleitung zialen Umfeldes der Kinder und Jugendlichen. Wird ihnen Glauben geschenkt, kann überlegt vorgegangen werden und die Betroffenen fühlen sich geschützt und unterstützt (siehe auch Schmitt/ Fröhlich/ Strolz/ Wanke 2005, 16f ). Zur Verbesserung der Situation von Opfern (im Folgenden Verletzte genannt) einer Straftat wurde Ende 2015 erstmalig ein psychosoziales Unterstützungsangebot in der Strafprozessordnung (§ 406 g StPO) aufgenommen - die Psychosoziale Prozessbegleitung. Voraussetzungen für eine beigeordnete Psychosoziale Prozessbegleitung (PsychPb) Seit 2017 gibt es für verletzte Zeuginnen und Zeugen unter bestimmten Voraussetzungen das Recht auf Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung. Im „Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“ (BGBl. I S. 2525, 2529) sind die Grundsätze der PsychPb, die Anforderungen an die Qualifikation der ProzessbegleiterInnen und deren Vergütung festgeschrieben. Dieses Begleitungsangebot richtet sich insbesondere an Minderjährige, die von schweren Sexual- und Gewaltstraftaten betroffen sind. Voraussetzung für die Beiordnung einer PsychPb für Minderjährige Nach § 397 a Abs.1 Nr. 4 + 5 StPO haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit eine Beiordnung für eine PsychPb zu erhalten, wenn eine der folgenden Straftaten vorliegt: §§ 174 - 176 b StGB, Sexueller Missbrauch, § 177 StGB, sexuelle Nötigung/ Vergewaltigung, §§179, 182, 225 StGB, sexueller Missbrauch von Widerstandunfähigen/ von Jugendlichen/ von Schutzbefohlenen, § 180 StGB Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, § 180 a StGB, Ausbeutung von Prostituierten, § 181 a StGB, Zuhälterei, § 221 StGB, Aussetzung, § 226 StGB, schwere Körperverletzung, § 226 a StGB, Verstümmelung weiblicher Genitalien, §§ 232 - 235 StGB, Menschenhandel, Menschenraub, Entziehung Minderjähriger, § 237 StGB, Zwangsheirat, § 238 Abs. 2 und 3 StGB, Nachstellung, § 239 a StGB, Erpresserischer Menschenraub, § 239 StGB, Geiselnahme, § 240 Abs. 4 StGB, Nötigung im besonders schweren Fall, §§ 249, 250, 252, 255, 316 a StGB, Raub, Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (siehe auch Blumenstein 2016) Für die Beiordnung einer PsychPb ist von den verletzten Kindern und Jugendlichen beziehungsweise deren Sorgeberechtigten oder den ErgänzungspflegerInnen ein formloser Antrag beim zuständigen Gericht zu stellen. Im Falle einer Beiordnung entstehen den Verletzten keine Kosten für die PsychPb. Kontaktadressen von qualifizierten und anerkannten Psychosozialen ProzessbegleiterInnen finden sich auf den Internetseiten der Bundesländer. Die PsychPb beginnt günstigenfalls vor der Aussage bei der Polizei oder der richterlichen Vernehmung und erstreckt sich über das gesamte Ermittlungs- und Strafverfahren. Mit einer Nachbereitung der Hauptverhandlung und des Urteils oder der Besprechung einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft endet die PsychPb. Bei Bedarf erfolgt eine Vermittlung an weiterführende Unterstützungsangebote. Psychosoziale Prozessbegleitung - Aufgaben und Ziele Aufgabe der PsychPb ist es, die Betroffenen auf die verschiedenen Verfahrensabschnitte vorzubereiten, „Sekundärviktimisierung zu vermeiden und individuelle Belastungen zu reduzieren“ (PsychPbG § 2). Diese Form der Begleitung kann den minderjährigen Zeuginnen und Zeugen helfen eine Vorstellung über den Ablauf eines 483 uj 11+12 | 2020 Psychosoziale Prozessbegleitung Ermittlungs- und Strafverfahrens und die Arbeitsweise der beteiligten Institutionen zu entwickeln. Sie erlangen ein Verständnis für die Abläufe z. B. bei der Polizei oder dem Gericht und falsche Vorstellungen können korrigiert werden. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit kann es gelingen, dass die jungen Zeuginnen und Zeugen Bedingungen vorfinden, die ihnen zu einem schonenden Verfahren mit größtmöglichem Gestaltungsspielraum verhelfen. Das Besprechen von Tatinhalten gehört nicht zu den Aufgaben einer PsychPb und muss vermieden werden, da sich dadurch die Aussage verändern kann und im schlimmsten Fall rechtlich nicht mehr verwertbar ist. Mit dem Angebot der Begleitung, Unterstützung und Stärkung verfolgt die PsychPb das Ziel, die Zeuginnen und Zeugen zu stabilisieren, ihre Aussagefähigkeit zu stärken, etwaige Tatfolgen zu reduzieren und sekundäre Viktimisierungen zu vermeiden. Bestenfalls gehen die jungen Zeuginnen und Zeugen gestärkt aus dem Strafprozess heraus. Aufgabenbereiche der Psychosozialen Prozessbegleitung Die PsychPb von Kindern und Jugendlichen steht auf drei Säulen: ➤ die Zusammenarbeit mit wichtigen Bezugspersonen der Zeuginnen und Zeugen, denn sie leben in einem System, das ihnen Halt und Sicherheit geben sollte, aber oft selbst Unterstützung benötigt. ➤ die Arbeit mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen, sie durch das Strafverfahren zu begleiten, auf die einzelnen Etappen vorzubereiten und emotional/ psychisch zu stabilisieren. ➤ die interdisziplinäre Zusammenarbeit, damit die jungen Menschen Bedingungen vorfinden, die ihnen das Durchlaufen eines Strafverfahrens erleichtern. Die Zusammenarbeit mit den Bezugspersonen Die Zusammenarbeit mit nahen Bezugspersonen der betroffenen Kinder und Jugendlichen ist von besonderer Bedeutung. Sie können Informationen zur Vorgeschichte, Entwicklungsstand, Belastungen und Ressourcen geben. Sie sind es, die Sicherheit und Schutz bieten sollten, die Interessen der Kinder und Jugendlichen vertreten und Unterstützungsangebote einleiten können. Damit sie zum Wohl ihrer Kinder Entscheidungen treffen können, werden ihnen Opferschutz- und Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt und zur Orientierung Informationen zum Verfahrensablauf gegeben. Kommt die tatverdächtige Person aus dem nahen Umfeld der Familie, kann das zu schweren Erschütterungen des Systems führen. Bei den Eltern können Gefühle von Nichtwahrhabenwollen bis hin zu heftigen emotionalen Ausbrüchen mit starkem Handlungsdrang ausgelöst werden. Es können Schuldgefühle auftauchen, weil man sein Kind nicht schützen konnte oder die betroffenen Kinder/ Jugendlichen werden für die Folgen der Tat verantwortlich gemacht. Manchmal brechen Gewalterfahrungen bei den Angehörigen auf und trüben die Sicht auf die eigentlich verletzte Person oder Abhängigkeitsverhältnisse verhindern wirkungsvolles Vorgehen. Entlastungsgespräche, in denen Unsicherheiten, Ängste und Befürchtungen Raum erhalten, sind daher zentraler Bestandteil der Arbeit mit den Bezugspersonen. Zur Stabilisierung des Systems kann auch eine Vermittlung zu anderen Unterstützungsmöglichkeiten erforderlich sein. Ist die PsychPb an eine Opferhilfeeinrichtung angegliedert, können Ressourcen zur Verfügung stehen, die es ermöglichen, die Eltern zeitgleich mit ihrem betroffenen Kind in unterschiedlichen Settings zu begleiten. Das erspart den oft sehr belasteten Eltern Fahr- und Wartezeiten. 484 uj 11+12 | 2020 Psychosoziale Prozessbegleitung Die Gestaltung der Prozessbegleitung mit den Verletzten Zeuginnen und Zeugen Für die Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen ist es unabdingbar, sich mit ihrer Lebenswelt vertraut zu machen. Kenntnisse der Entwicklungspsychologie und Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen sind erforderlich (siehe Delfos, 2012 + 2015). Eine wertschätzende Haltung und ein geschärfter Blick auf die individuellen Belastungen und Ressourcen der jungen Zeuginnen und Zeugen kennzeichnet die Haltung der Psychosozialen ProzessbegleiterInnen gegenüber den Kindern und Jugendlichen. Sie besprechen mit den verletzten Zeuginnen und Zeugen keine Tatinhalte und verhalten sich neutral gegenüber allen Verfahrensbeteiligten. In einem Strafverfahren müssen die minderjährigen Zeuginnen und Zeugen oft mehrfach aussagen - bei der Polizei oder in einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung, eventuell im Rahmen eines Glaubhaftigkeitsgutachtens und in der Hauptverhandlung. Dazu kommt die meist lange Verfahrensdauer, die in der 1. Instanz mehrere Monate bis einige Jahre betragen kann. Dies kann für die betroffenen Kinder und Jugendlichen sehr belastend sein, daher ist eine frühzeitige Einbindung einer PsychPb wünschenswert. So können Zeuginnen und Zeugen auf die einzelnen Etappen des Strafverfahrens vorbereitet werden, damit sie sich ihren Aufgaben gewachsen fühlen. Zur Vorbereitung auf die Verfahrensabschnitte gehört die Informationsvermittlung zur Arbeitsweise der jeweiligen Profession. Die diesbezüglichen Vorstellungen und Erwartungen der Kinder und Jugendlichen werden besprochen und eventuell korrigiert. So haben zum Beispiel manche Kinder Angst vor der Polizei oder denken, nur böse Menschen müssen zum Gericht. Es werden die entsprechenden Informationen zur Rolle als Zeugin oder Zeuge, deren Rechte und Pflichten gegeben. Bei Bedarf werden Methoden zur Angstbewältigung und Spannungsreduzierung vermittelt und eingeübt. Wichtig ist auch, mit den jungen Zeuginnen und Zeugen zu besprechen, wie sie sich auf die Vernehmung einstellen wollen und was sie dahin mitnehmen möchten (Kuscheltier, Lieblingsgetränk, Spiel- oder Malsachen für die Wartezeit…). Es ist von großer Bedeutung herauszufinden, wer sie in welcher Phase des Verfahrens und in welcher Form am besten unterstützen kann. In der Regel ist es so, dass die ProzessbegleiterInnen zu den Vernehmungen begleiten, manchmal ist aber aus fachlicher Sicht eine andere Lösung sinnvoll. So kann es bei jungen Kindern manchmal wichtig sein, dass ein Elternteil das Kind zur Aussage begleitet. Dann besteht die Aufgabe der Prozessbegleitung darin, ein passendes Setting zu organisieren und den Elternteil auf seine Rolle vorzubereiten. Das könnte bedeuten, Mutter oder Vater zu befähigen, die eigenen Gefühle gut regulieren zu können, um für das Kind störungsfrei präsent zu sein. Dazu gehört auch, den Elternteil zu sensibilisieren, das Kind so wenig wie möglich durch eigene Handlungen (verkrampfte Sitzhaltung, angespannte Atmung…) zu beeinflussen oder unter Druck zu setzen. Es Informationsmaterial für Eltern Broschüre des BMJV „Opferfibel - Rechte von Verletzten und Geschädigten in Strafverfahren“ zu bestellen oder Download unter: www.bmjv.de/ SharedDocs/ Publikationen/ DE/ Opferfibel.html (28. 6. 2020) Elternratgeber „Und wo bleibe ich? Eltern im Spannungsfeld sexuellen Missbrauchs“ Hrsg. Fachberatungsstelle Pfiffigunde e.V., Download unter: www.pfiffigunde-hn.de/ pfiffigunde-shop (28. 6. 2020) 485 uj 11+12 | 2020 Psychosoziale Prozessbegleitung kann auch vorkommen, dass eine Jugendliche vor dem Angeklagten keine Schwäche zeigen möchte und deshalb nicht wünscht, dass die Prozessbegleitung neben ihr sitzt. Sie kann es vielleicht als viel stärkender erleben, wenn die unterstützende Person im Zuschauerraum Platz nimmt und von dort den Rücken stärkt. Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen ist hier nur sehr knapp angerissen, aber die kleinen Beispiele zeigen, wie individuell die Maßnahmen der PsychPb auf den speziellen Fall, die zu begleitende Person und ihr stärkendes Umfeld angepasst sein muss. Für die Gestaltung eines opferschonenden Verfahrens und die allgemeine Reduzierung der Belastungen der verletzten Kinder und Jugendlichen ist die PsychPb auf ein gutes Netzwerk und die transparente Zusammenarbeit mit Polizei, Justiz, Nebenklagevertretung, Jugendhilfe, Gutachter und allen anderen beteiligten Professionen angewiesen. Unterstützende Materialien für die Vorbereitung von Kindern und Jugendlichen auf ein Strafverfahren Hille, P., Eipper, S., Dannenberg, U. (1996): Klara und der kleine Zwerg - Ein Buch für Kinder die Zeuge bei Gericht sind. Rathmann, Raisdorf Hille, P., Eipper, S., Dannenberg, U. (1996): Rasmus Rabe ermittelt. Was passiert eigentlich bei Gericht? Eine Spiel- und Lernbroschüre für Kinder. Rathmann, Raisdorf Behrmann, A., Schneider, U., Franke, T. R. (2018): Anna und Jan gehen vor Gericht - Kinderbuch zur Psychosozialen Prozessbegleitung bei Sexualstraftaten. Hrsg. Violetta e.V. Behrmann, A., Schneider, U., Wolters, D. (2019): Der Weg zum Gericht - Ein Brettspiel mit Fragen und Antworten für junge Zeugeninnen und Zeugen von der Anzeige bis zur Gerichtsverhandlung. Hrsg. Violetta e.V., Hannover Ahrens-Eipper, N. (2015): Der große Schreck. Psychoedukation für Kinder nach traumatischen Ereignissen. Kjp, Halle Croos-Müller, C. (2012): Nur Mut! Das kleine Überlebensbuch: Soforthilfe bei Herzklopfen, Angst, Panik & Co. Kösel Croos-Müller. C. (2014): Schlaf gut - Das kleine Überlebensbuch: Soforthilfe bei Schlechtschlafen, Albträumen und anderen Nachtqualen. Kösel Croos-Müller, C. (2017): Alles gut - Das kleine Überlebensbuch: Soforthilfe bei Belastung, Trauma & Co. Kösel Die Interdisziplinäre Zusammenarbeit In der PsychPb von Kindern und Jugendlichen spielt die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine große Rolle. Hier können schnell ein Dutzend Personen beteiligt sein (Richter, Staatsanwaltschaft, Nebenklagevertretung, Verteidiger, Polizei, Familienangehörige, Vormundschaft, Ergänzungspflegschaft, Betreuungseinrichtungen…). Es müssen Vorgehensweisen abgestimmt, Arbeiten verteilt und erforderliche Maßnahmen eingeleitet werden. Fallbezogene Zusammenarbeit ist hier geboten und sollte so transparent wie möglich und unter altersgerechter Beteiligung der betroffenen Personen erfolgen. Kinder und Jugendliche, die von schwerer Gewalt betroffen sind, erhalten umfassendere Informations- und Beteiligungsrechte, wenn sie sich für eine Nebenklage mit anwaltlicher Vertretung entscheiden. Die Gespräche mit der Nebenklagevertretung werden mit den Kindern/ Jugendlichen und deren Sorgeberechtig- 486 uj 11+12 | 2020 Psychosoziale Prozessbegleitung ten vor- und nachbereitet und es erfolgen Absprachen für den Gerichtstag. Zum Beispiel, wie mit Anfragen der Presse umgegangen werden soll oder ob die Zeuginnen und Zeugen eine Gelegenheit benötigen, etwas zur Tat zu sagen, wenn ihre Aussage vom Gericht nicht mehr benötigt wird. Opferschützende Maßnahmen nach den Bedürfnissen der Kinder/ Jugendlichen werden mit der rechtlichen Vertretung abgestimmt. Besonderheiten in der Entwicklung der Zeuginnen und Zeugen können von der Prozessbegleitung eruiert und an die Nebenklagevertretung und/ oder Staatsanwaltschaft übermittelt werden, wenn dies für die Vernehmung der Zeuginnen und Zeugen sinnvoll erscheint. Eine gute Zusammenarbeit zwischen rechtlicher und psychosozialer Unterstützung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gestaltung eines opferschonenden Verfahrens. Fazit Im Interesse und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, die von schweren Gewalttaten betroffen sind, benötigen diese kompetente Literatur Blumenstein, H. A. (2016): Der Anspruch auf Psychosoziale Prozessbegleitung nach § 406 g stopp. In: Jutta Elz (Hg.): Psychosoziale Prozessbegleitung. Elektronische Schriftenreihe der KrimZ. Band 7, Wiesbaden, 35 - 50, www.krimz.de/ fileadmin/ dateiablage/ E-Pu blikationen/ BM-Online/ bm-online7.pdf, 28. 6. 2020 Kirchhoff, S. (1997): Strafanzeige: ja oder nein? Sexueller Mißbrauch vor Gericht. In: Amann, G., Wipplinger, R. (Hg.): Sexueller Mißbrauch - Überblick zu Forschung, Beratung und Therapie. Ein Handbuch, dgvt- Verlag, Tübingen, 823 - 836, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-322-97297-2 Schmitt, A., Fröhlich, T., Strolz, A., Wanke, P. (2005): Psychosoziale Prozessbegleitung von männlichen Kindern und Jugendlichen. Bundesministerium für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz. Wien. https: / / www.researchgate.net/ publication/ 28 2291534_Psychosoziale_Prozessbegleitung_von_ mannlichen_Kindern_und_Jugendlichen (2. 6. 2020), https: / / doi.org/ 10.1007/ 3-540-26602-x_18 Fachkräfte im Strafverfahren an ihrer Seite. Diese müssen gut vernetzt sein und den Willen zur interdisziplinären und transparenten Zusammenarbeit zum Wohl der Kinder und Jugendlichen haben. Profis also, die alles in die Wege leiten, was dazu dient, den verletzten Kindern und Jugendlichen wieder Kontrolle über ihre Situation als Zeuginnen und Zeugen zu ermöglichen, Vertrauen zu Mitmenschen aufzubauen, Ängste und Befürchtungen zu mildern und ihnen Selbstvertrauen und Würde zurückzugeben. Die verletzten Kinder und Jugendlichen sollten nicht in einem Spiel antreten müssen, in dem sie von vornherein chancenlos sind. Franz Eder Beate Pfeifer Opferhilfe Sachsen e.V., Beratungsstelle Zwickau Osterweihstr. 5 08056 Zwickau Tel. (03 75) 3 03 17 48 E-Mail: pfeifer@opferhilfe-sachsen.de
