eJournals unsere jugend 72/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2020.art11d
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Konflikte zwischen verhaltensauffälligen Jugendlichen und Fachkräften im Heim

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Marion Scherzinger
Konflikte gehören zum Alltag dazu und stellen eine Herausforderung für verhaltensauffällige Jugendliche und Fachkräfte im Heim dar. Entscheidend ist nicht, ob Konflikte auftreten, sondern wie diese ausgetragen werden.
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65 unsere jugend, 72. Jg., S. 65 - 70 (2020) DOI 10.2378/ uj2020.art11d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Dr. Marion Scherzinger Jg. 1984; Erziehungswissenschaftlerin; Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsschwerpunkt „Soziale Interaktion in pädagogischen Settings“ an der Pädagogischen Hochschule Bern Konflikte zwischen verhaltensauffälligen Jugendlichen und Fachkräften im Heim Konflikte gehören zum Alltag dazu und stellen eine Herausforderung für verhaltensauffällige Jugendliche und Fachkräfte im Heim dar. Entscheidend ist nicht, ob Konflikte auftreten, sondern wie diese ausgetragen werden. Konflikte gehören zum Leben und so auch zum Heim- und Schulalltag dazu. Dort wo Menschen aufeinandertreffen und interagieren, können Konflikte entstehen. Von einem Konflikt wird dann gesprochen, wenn Interessen, Meinungen oder Ziele von Interaktionspartnerinnen und -partnern gegensätzlich oder unvereinbar sind und sich mindestens eine Partei beeinträchtigt oder gar bedroht fühlt (Glasl 2013; Shantz 1987). Von außen betrachtet wird ein Konflikt meist dann erkennbar, wenn Person B Person A widerspricht und diese anschließend weiterhin auf ihrem Standpunkt beharrt, also der Widerspruch beim Gegenüber auf Widerstand stößt (Messmer 2003). So beispielsweise wenn ein Jugendlicher auf seiner Position beharrt, sein Gegenüber allerdings anderer Meinung ist. Der Konfliktbegriff ist für viele negativ besetzt und mit unangenehmen Emotionen assoziiert. Im Alltagsverständnis werden Konflikte häufig als negativ, dysfunktional, destruktiv und belastend betrachtet oder mit aggressivem Verhalten in Verbindung gebracht (Berkel 2008). Dass Konflikte auch positive Aspekte aufweisen, z. B. auf Probleme aufmerksam machen, Veränderungen auslösen oder auch wesentlich zur kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beitragen, wird dabei häufig vergessen. Für Kinder und Jugendliche sind Konflikte mit Gleichaltrigen besonders wichtig (Fend 2003; Laursen et al. 2001). Da Peerbeziehungen symmetrisch sind, dürfen beide Seiten in der Regel gleich viel fordern. Niemand hat von vornherein recht; unterschiedliche Interessen müssen ausgehandelt und die eigene Position begründet werden (Youniss/ Smollar 1985). In den asymmetrischen Beziehungen zu Erwachsenen besteht hingegen ein Ungleichgewicht hinsichtlich Erfahrungen, Wissen oder Macht. Diese bieten deshalb nicht die gleichen Möglichkeiten wie Peerbeziehungen. Eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von aushandlungsbasierten Konfliktstrategien haben Freundschaftsbeziehungen (Fend 2003), da diese freiwillig und leicht kündbar sind. Freundinnen und Freunde müssen deshalb Interessen oder 66 uj 2 | 2020 Konflikte zwischen Jugendlichen und Fachkräften Ziele aushandeln, wenn sie ihre Freundschaft nicht gefährden bzw. aufrechterhalten wollen. Eine einseitige Durchsetzung durch aggressives Verhalten oder das Angreifen, Beleidigen des Gegenübers könnte die Beziehung gefährden und deshalb nehmen Freundinnen und Freunde auch eher aufs Gegenüber bzw. die Beziehung Rücksicht (Laursen et al. 1996; 2001). Konstruktive und destruktive Konflikte Entscheidend ist nicht, ob Konflikte auftreten, sondern wie gegensätzliche Interessen oder Ziele verhandelt werden und sich der Konflikt weiterentwickelt (Deutsch 1994). Bei konstruktiv ausgetragenen Konflikten wird versucht, eigene Ziele oder Interessen zu erreichen oder das Gegenüber von seinem Standpunkt zu überzeugen, ohne jedoch die Beziehung zu gefährden. Als destruktiv gelten Konflikte dann, wenn das eigene Anliegen und dessen Durchsetzung im Zentrum steht, ohne auf das Gegenüber oder die soziale Beziehung Rücksicht zu nehmen. Für die kognitive und die soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind besonders Konflikte, die konstruktiv ausgetragen und zu interpersonalen Verhandlungen führen, bedeutsam. In solchen tauschen sie ihre Sichtweisen aus und gewinnen neue Erkenntnisse. Negativ können sich Konflikte allerdings dann auf die Entwicklung auswirken, wenn der Einsatz von aggressivem oder erzwingendem Verhalten einen kooperativen Umgang verhindert. Konfliktstrategien Konflikte können unterschiedlich ausgetragen und gelöst werden. Es lassen sich drei übergeordnete Kategorien der Konfliktaushandlung, sog. Konfliktstrategien unterscheiden (Laursen/ Finkelstein/ Betts 2001): ➤ Bei einer Aushandlung wird versucht, die gegensätzlichen Interessen oder Ziele auszuhandeln und es wird nach einem Kompromiss, einer Lösung gesucht. ➤ Beim Rückzug distanziert sich mindestens eine der Parteien vom Konflikt, indem sie z. B. ausweicht, schweigt oder weggeht oder auch eine Drittpartei interveniert, während ➤ beim Zwang durch coersives z. B. dominantes oder aggressives Verhalten versucht wird, eigene Interessen oder Ziele durchzusetzen bzw. eine für sich passende Lösung zu erzwingen. Dazu zählen u. a. Drohen, Beleidigen, Schlagen oder Manipulieren. Gerade solche coersiven Strategien beeinträchtigen einen kooperativen und konstruktiven Konfliktumgang sowie das Finden einer gemeinsamen Lösung. Der Umgang miteinander verschärft sich, der Konflikt intensiviert sich und eskaliert. Konflikteskalation Wenn ein Konflikt eskaliert, steht immer weniger die Sache selbst oder die Überzeugung des Gegenübers im Zentrum, sondern die Durchsetzung des eigenen Standpunkts (Glasl 2013; Messmer 2003). Um dies zu erreichen, werden immer heftigere Konfliktmittel wie Anschuldigungen, Drohungen oder psychische und physische Aggression eingesetzt. Solche Durchsetzungs- und Zwangsstrategien beeinträchtigen kooperative Verhandlungen und machen einen Kompromiss bzw. eine gemeinsame Lösung unwahrscheinlicher (Deutsch 1994). Die Entwicklung und Eskalierung eines Konflikts kann allerdings nicht allein aus einer individuellen Perspektive betrachtet oder durch das Konfliktverhalten einer Partei erklärt werden. An einem Konflikt sind mindestens zwei Parteien beteiligt, die wechselseitig agieren und reagieren. Damit sich ein Konflikt ausdifferenzieren kann, ist ein beidseitiges Festhalten am eigenen 67 uj 2 | 2020 Konflikte zwischen Jugendlichen und Fachkräften Standpunkt notwendig. Wenn hingegen eine Partei ihren Standpunkt aufgibt oder nachgibt, hemmt oder stoppt das den Konfliktprozess bzw. die Eskalation (Messmer 2003). Konfliktverhalten verhaltensauffälliger Jugendlicher Verhaltensauffällige Jugendliche haben öfter Probleme mit Gleichaltrigen oder Erwachsenen und geraten in Konflikte. Sie haben Schwierigkeiten, Konflikte vorherzusehen, zu verhindern und konstruktiv auszutragen (Laursen/ Pursell 2009). Die Probleme in der sozialen Interaktion mit anderen hängen u. a. mit Schwierigkeiten bei der Verarbeitung von sozialen Informationen sowie in der Emotions- und Verhaltensregulation zusammen. Aufgrund von Defiziten in der Dekodierung sozialer Informationen wird das Verhalten anderer eher als bedrohlich wahrgenommen und defensiv oder aggressiv auf diese Bedrohung reagiert (Dodge et al. 2007). Zudem gehen feindselige Ursachenzuschreibungen mit geringeren Beziehungsqualitäten und häufigeren Konflikten einher (Spencer et al. 2013). Durch aggressiv-erzwingendes Verhalten in Konflikten erreichen die Jugendlichen meist kurzfristig persönliche Ziele, weil das Gegenüber nachgibt (Coie et al. 1991; Klicpera/ Gasteiger-Klicpera 2007). Die kurzfristige Zielerreichung bestärkt sie in ihrem Verhalten und sie lernen, dass sich aggressiv-erzwingendes Verhalten in einem Konflikt lohnt (Granic/ Patterson 2006). Da kurzfristige Konsequenzen gegenüber langfristigen verhaltenswirksamer sind, ist es wahrscheinlich, dass das als erfolgreich abgespeicherte Verhalten beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation wieder gezeigt wird. Das aggressive Verhalten wird so weiter gefördert. Längerfristig führt dies allerdings zu zwischenmenschlichen Problemen oder zu Ablehnung durch die Peers (Coie et al. 1991; Klicpera/ Gasteiger-Klicpera 2007). Die Qualität der Freundschaften von aggressiven Jugendlichen unterscheidet sich von nicht aggressiven Jugendlichen. Sie haben mehr Konflikte, es werden mehr Durchsetzungs- und Zwangsstrategien eingesetzt und ihre Beziehungen sind weniger eng und sicher (Crick et al. 2009). Ausgangslage der Studie „Konflikte im Heim“ Im Rahmen des Forschungsprojekts „Konfliktive Interaktion in der Heimerziehung“ (Scherzinger 2018) wurden soziale Konflikte von acht verhaltensauffälligen Jugendlichen im Alter von durchschnittlich 13 Jahren, die stationär im Heim leben, untersucht und mit einer Kontrollgruppe von vier nicht verhaltensauffälligen Jugendlichen, die zu Hause leben, verglichen. Die ausgewerteten Videodaten stammen aus dem Forschungsprojekt „Aggression in Umwelten frühadoleszenter Jungen und Mädchen“ (Wettstein et al. 2013), in dem die Jugendlichen über mehrere Tage hinweg mit einer sog. Kamerabrille, einer Brille mit einer integrierten Kamera, ihren Alltag aus ihrer Perspektive filmten. In den 391 Stunden Videomaterial konnten insgesamt 73 Konflikte identifiziert werden, welche im Hinblick auf Dauer, Konfliktpartnerinnen und -partner sowie Konfliktstrategien ausgewertet wurden. Studienergebnisse Die Ergebnisse zeigen, dass bei den Heimjugendlichen pro Stunde rund eineinhalbmal so viele Konflikte auftraten wie bei der Kontrollgruppe. Durchschnittlich dauerte ein Konflikt 6.2 Minuten, jene der Heimgruppe im Durchschnitt eineinhalb Minuten länger als die der Kontrollgruppe. In beiden Gruppen zogen sich die Konflikte mit Erwachsenen länger hin als jene mit Peers oder mit Geschwistern. Durchsetzungs- und Angriffsstrategien werden sowohl in Konflikten der Heimwie auch der Kontrollgruppe häufiger in Peerkonflikten eingesetzt als mit Erwachsenen. Bei den Peerkonflikten zeigten sich keine großen Unterschiede zwischen der Heim- und Kontrollgruppe. Unterschiede zeigten sich allerdings in den Kon- 68 uj 2 | 2020 Konflikte zwischen Jugendlichen und Fachkräften flikten mit Erwachsenen. So konnten häufiger und heftigere Angriffs- und Durchsetzungsstrategien in Konflikten mit Sozialpädagoginnen und -pädagogen beobachtet werden als bei der Kontrollgruppe mit den Eltern. In den konfliktiven Interaktionen im Heim wird ermahnt, belehrt, gewarnt, gedroht, angeschuldigt, vorgeworfen, nachgeäfft, beleidigt, befohlen und es werden Konsequenzen oder Machtworte geäußert. Im Vergleich dazu werden in den Konflikten mit Eltern der Kontrollgruppe zwar auch Durchsetzungs- und Angriffsstrategien eingesetzt wie Fluchen, ironische Bemerkungen und Vorwürfe, diese sind aber weniger destruktiv. Die Einzelfallstudien haben gezeigt, dass die Konflikte der Jugendlichen sehr unterschiedlich verlaufen und diese auch abhängig von den Konfliktpartnerinnen und -partnern sind. So konnte etwa in Konflikten mit Erwachsenen anderes Konfliktverhalten beobachtet werden als mit Gleichaltrigen. Da das individuelle Verhalten in einem Konflikt situationsspezifisch und abhängig vom Gegenüber auch anders ausfällt, kann der Einsatz von Angriffs- und Durchsetzungs- oder Blockierungsstrategien nicht einseitig den verhaltensauffälligen Jugendlichen zugeschrieben werden. An einer Intensivierung und Eskalation eines Konflikts sind beide Seiten beteiligt, die sich wechselseitig beeinflussen. So hat sich in Konflikten mit hohen Anteilen an Durchsetzungs- und Angriffsstrategien gezeigt, dass auch die Sozialpädagoginnen und -pädagogen häufiger versuchten, sich mit härteren Mitteln durchzusetzen, und dabei die Konflikte geringe Anteile an sachlicher Auseinandersetzung aufwiesen. In diesen Situationen erklärten oder begründeten die Fachkräfte kaum mehr ihren Standpunkt, sondern versuchten diesen mit einem Machtwort durchzusetzen. Der Einsatz von Konfliktmitteln wie Machtworte, Ermahnungen, Belehrungen oder Strafandrohungen deutet auf die asymmetrische Beziehung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen hin. Diese kommen v. a. dann zum Einsatz, wenn die Unvereinbarkeit größer und eine sachliche Auseinandersetzung kaum mehr möglich ist. Der Umgang miteinander verschärft sich und der Konflikt spitzt sich zu bzw. eskaliert. Sobald Machtmittel eingesetzt werden, um seine Position durchzusetzen, werden allerdings auch die Wahl- und Entscheidungsfreiheiten des Gegenübers eingeschränkt und eine einvernehmliche Lösung wird unwahrscheinlich (Messmer 2003). Diskussion Im Jugendalter verändern sich die Beziehungen zu den Eltern und die Jugendlichen fordern neue Rechte und Freiheiten ein (Fend 2003). Gleichzeitig haben Eltern immer noch die Verantwortung für ihre Kinder, wodurch sich auch Konflikte ergeben. In der stationären Heimerziehung übernehmen Fachkräfte wichtige Betreuungs- und Erziehungsaufgaben der Eltern, wodurch sie häufig im Heimalltag mit Konflikten konfrontiert sind. Konflikte gehören zum Heimalltag dazu, sie sind nicht unvermeidbar und auch nicht grundsätzlich schlecht. In allen Lebensbereichen kommt es aufgrund unterschiedlicher Einstellungen, Interessen oder Zielen zu Konflikten. Ziel sollte nicht sein, Konflikte ganz zu verhindern oder durch die Intervention von Dritten zu unterbinden, sondern dass Kinder und Jugendliche einen angemessenen Umgang mit Konflikten lernen. Wichtig sowohl für Eltern als auch Fachkräfte ist, die Jugendlichen ernst zu nehmen, ihre Sichtweisen und Bedürfnisse in Erfahrung zu bringen wie auch ihre eigenen Sichtweisen darzulegen und Entscheidungen zu begründen. Im gemeinsamen Gespräch sollten auch die Jugendlichen in der Perspektivenübernahme angeregt und unterstützt werden, da diese eine wichtige Grundlage für ein konstruktives Konfliktverhalten darstellen. Perspektivenübernahme meint die Fähigkeit und Bereitschaft, Situationen aus der Sicht von anderen Menschen wahrzunehmen und unterschiedliche Meinungen und Handlungen zu verstehen. 69 uj 2 | 2020 Konflikte zwischen Jugendlichen und Fachkräften Verhaltensauffällige Jugendliche im Heim Die Ergebnisse der in diesem Beitrag vorgestellten Studie „konfliktive Interaktion in der Heimerziehung“ haben gezeigt, dass nicht nur die verhaltensauffälligen Heimjugendlichen, sondern auch die Jugendlichen der Kontrollgruppe in Konflikten Durchsetzungs- und Angriffsstrategien einsetzen. Auch andere Studien (Krappmann/ Oswald 1995; Laursen et al. 2001) konnten zeigen, dass kooperatives Verhalten eher die Ausnahme darstellt und Kinder und Jugendliche relativ häufig in Konflikten das Gegenüber angreifen oder versuchen sich durchzusetzen. Die Strategien ändern sich allerdings auch im Verlauf der kognitiven Entwicklung. Die immer differenziertere Wahrnehmung von sozialen Informationen und die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme führen dazu, dass zunehmend auch aushandlungsbasierte Konfliktstrategien und immer weniger Durchsetzungs- oder Zwangsstrategien eingesetzt werden. Allerdings hat sich gezeigt, dass der Einsatz von Durchsetzungs- und Angriffsstrategien nicht ungewöhnlich ist. Dies ist wichtig für Intervention, sodass keine unrealistischen Erwartungen an Jugendliche und ihr Konfliktverhalten gestellt werden (Laursen et al. 2001). Für verhaltensauffällige Jugendliche, welche Schwierigkeiten mit der Verarbeitung sozialer Informationen und der Emotions- und Verhaltensregulation haben, stellen Konflikte eine Herausforderung und z. T. sogar eine Belastung dar. Sie unterstellen anderen eher feindseliges Verhalten und reagieren abwehrend oder aggressiv darauf. Deshalb ist es besonders wichtig, einen Konflikt nicht eskalieren zu lassen oder eine Lösung einseitig zu erzwingen. Gerade in zugespitzten Konfliktsituationen handeln Interaktionspartnerinnen und -partner meist schnell, automatisch und im Affekt. Die Klärung und die Aussprache über den Konflikt kann auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, wenn sich die Beteiligten beruhigt haben. Konflikte als Herausforderung für die Beteiligten Der Umgang mit Konflikten kann für die Beteiligten eine Herausforderung oder gar eine Belastung darstellen. Gerade wenn Jugendliche Aufforderungen oder Grenzen nicht beachten oder schnell aggressiv und wütend reagieren. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass in Konflikten mit hohen Anteilen an Durchsetzungs- und Angriffsstrategien auch die Fachkräfte heftigere Konfliktmittel einsetzen und weniger sachlich bleiben, also gemeinsam mit den Jugendlichen eskalieren. Eine solche Intensivierung erschwert allerdings die Klärung eines Konflikts im Sinne des Findens einer gemeinsamen Lösung. Zudem führt es häufiger dazu, dass Fachkräfte Machtworte aussprechen, um den Konflikt zu beenden, oder Jugendliche durch ihr aggressiv-erzwingendes Verhalten ihr Ziel erreichen und die Fachkräfte nachgeben, wodurch das Verhalten verstärkt wird. Deshalb ist es wichtig, in einem Konflikt deeskalierend zu handeln und gleichzeitig eine positive Beziehung zu wahren, sich dabei allerdings nicht von den Jugendlichen unter Druck setzen zu lassen. Das bedeutet, die Jugendlichen ernst zu nehmen und respektvoll mit ihnen umzugehen. Fachkräfte sind professionelle Fürsorge- und Bezugspersonen, ihre Feinfühligkeit in sozialen Interaktionen spielt für die Beziehungsgestaltung eine zentrale Rolle (Bolz et al. 2019, 302): „Feinfühligkeit liegt im pädagogischen Kontext vor, wenn ein Pädagoge sensitiv, angemessen und prompt auf Verhaltensweisen des jungen Menschen reagiert“. In Konfliktsituationen bedeutet dies, dass die Bedürfnisse und Emotionen der Jugendlichen ernst genommen werden und angemessen auf sie reagiert wird. Fazit Präventions- und Interventionsprogramme sollten nicht nur am individuellen Verhalten der Jugendlichen ansetzen, sondern die konfliktäre 70 uj 2 | 2020 Konflikte zwischen Jugendlichen und Fachkräften Interaktion fokussieren und alle Beteiligten miteinbeziehen. Zudem ist es wichtig, Fachkräfte und Teams in Erziehungsheimen für mögliche Konfliktsituationen zu sensibilisieren und die bewusste Reflexion des eigenen Verhaltens in Konfliktsituationen mit einzelnen Jugendlichen anzuregen. Dr. Marion Scherzinger Pädagogische Hochschule Bern Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation Fabrikstraße 2 a CH-3012 Bern E-Mail: marion.scherzinger@phbern.ch Literatur Berkel, K. (2008): Konflikttraining. Konflikte verstehen, analysieren, bewältigen. 9. Auflage. Recht und Wirtschaft, Frankfurt a. Main Bolz, T., Albers, V., Baumann, M. (2019): Professionelle Beziehungsgestaltung in der Arbeit mit „Systemsprengern“. In: Unsere Jugend 7/ 8, 297 - 304, http: / / dx.doi.org/ 10.2378/ uj2019.art49d Coie, J. D., Dodge, K. A., Terry, R., Wright, V. (1991): The role of aggression in peer relations: An analysis of aggression episodes in boys’ play groups. In: Child Development 62, 812 - 826, http: / / doi.org/ 10.2307/ 1131179 Crick, N. R., Murry-Close, D., Marks, P. E. L., Mohajeri-Nelson, N. (2009): Aggression and Peer Relationships in School-Age Children. Relational and Physical Aggression in Group and Dyadic Contexts. In: Rubin, K. H., Bukowski, W. M. & Laursen, B. 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