eJournals unsere jugend 72/3

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Starke Zukunftsplanung für Jugendliche mit dem Projekt "komm auf Tour"

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Claus Lippmann
Sigrun Harder
Das Projekt „komm auf Tour – meine Stärken, meine Zukunft“ unterstützt Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klassen an Ober- und Förderschulen frühzeitig und handlungsorientiert beim Entdecken ihrer Stärken. Im Beitrag werden Erfahrungen mit dem Projekt aus Dresden geschildert.
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135 unsere jugend, 72. Jg., S. 135 - 138 (2020) DOI 10.2378/ uj2020.art22d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Claus Lippmann Jg. 1954; Amtsleiter Jugendamt der LHS Dresden Starke Zukunftsplanung für Jugendliche mit dem Projekt „komm auf Tour“ Das Projekt „komm auf Tour - meine Stärken, meine Zukunft“ unterstützt Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klassen an Ober- und Förderschulen frühzeitig und handlungsorientiert beim Entdecken ihrer Stärken. Im Beitrag werden Erfahrungen mit dem Projekt aus Dresden geschildert. Sigrun Harder Jg. 1969; Öffentlichkeitsarbeit Jugendamt der LHS Dresden Seit fünf Jahren wird das bundesweite Angebot „komm auf Tour“ auch in Dresden, unter der Schirmherrschaft von Hagen Kettner, Leiter des Landesamtes für Schule und Bildung, Standort Dresden, und Thomas Wünsche, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dresden erfolgreich durchgeführt. „komm auf Tour“ wird in Dresden von der Stadt Dresden, der Agentur für Arbeit Dresden, dem Freistaat Sachsen und diversen Sponsoren finanziert und von zahlreichen regionalen Partnerinnen und Partnern aus den Bereichen der Berufsorientierung und Lebensplanung sowie regionalen Unternehmen unterstützt. Das Projekt Anfang Januar hat sich die JohannStadthalle in Dresdens gleichnamigem Stadtteil Johannstadt wieder in einen großen ungewöhnlichen Erlebnisparcours verwandelt. Auf einer Gesamtfläche von 500 Quadratmetern wurden ein „Labyrinth“, ein „Zeittunnel“, eine „sturmfreie Bude“, eine „Bühne“ und sieben große Schränke mit ungewöhnlichem Inhalt aufgebaut. Der Parcours soll die Jugendlichen motivieren, sich mit Spaß, unverkrampft und angstfrei mit ihrer Berufs- und Lebensplanung auseinanderzusetzen. Stärken an vier Stationen herausfinden: In Gruppen machen sich die Jugendlichen auf die Reise zu vier fantasievollen Orten: Die Tour geht über den „Zeittunnel“ ins „Labyrinth“ und von der „sturmfreien Bude“ auf die „Bühne“. Zwei Stunden lang sind die Schülerinnen und Schüler im Parcours unterwegs und wählen an vier Stationen die für sie spannendsten Aufgaben aus. 136 uj 3 | 2020 Projekt „komm auf Tour“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von regionalen Beratungsstellen begleiten und unterstützen die Schülerinnen und Schüler. Je nach Wahl von Aufgabe und Lösungsweg vergeben die Reisebegleitungen sowie die Stationsmoderierenden Stärkensymbole in Form von Aufklebern auf die Schultern der Schülerinnen und Schüler. Während Marie mit Yasemin und Jannik (alle Namen in diesem Text wurden geändert) in der Station „sturmfreie Bude“ den Küchenabfluss reparieren und das Bett in Ordnung bringen, sprechen die Mitschülerinnen und Mitschüler über die Gelegenheit des ersten Kusses, wenn die Eltern nicht da sind. Auf der „Bühne“ improvisieren Marie, Max und Vincent spontan eine Szene aus „Ein starkes Team“. Im „Labyrinth“ versuchen derweil zwei Jugendliche mit verbundenen Augen ihren eigenen Weg zu finden, während zeitgleich im „Zeittunnel“ über die Rollenbilder von Frauen und Männern und Chancengerechtigkeit diskutiert wird. Mit farbigen Aufklebern Stärken sammeln: Beim Lösen der Aufgaben sammeln die Jugendlichen zahlreiche der sieben verschiedenen „komm auf Tour“-Stärken, jedes farbige Symbol steht für eine andere Stärke. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich auch diese Stärken habe“, zeigt sich der 14-jährige Lukas überrascht. Von anderen Personen eine Rückmeldung zu den eigenen Stärken zu bekommen und sich auch selbst einzuschätzen, ist die zentrale Aufgabe im Erlebnisparcours „komm auf Tour - meine Stärken, meine Zukunft“. Die Schülerinnen und Schüler prüfen, ob die spielerisch entdeckten Stärken mit ihrer Selbsteinschätzung übereinstimmen: „Arbeite ich wirklich gern mit meinen Händen? “ oder „Kann ich gut mit Zahlen? “, „Kann ich jemanden mit Worten überzeugen? “, „Bin ich kreativ und einfallsreich? “, „Habe ich den tierisch grünen Daumen? “ oder „Liebe ich es, zu ordnen und zu organisieren? “ Abb. 1: Erlebnisparcours im Überblick (Foto: Ludolf Dahmen l BZgA l www.komm-auf-tour.de) 137 uj 3 | 2020 Projekt „komm auf Tour“ Die Möglichkeiten im Schrank entdecken: Am Schluss treffen sich die Jugendlichen vor den verschlossenen Schränken. Hinter den Türen eines jeden Stärkeschrankes verbirgt sich eine interessante Materialcollage zu einer bestimmten Stärke. Die Jugendlichen entscheiden anhand ihrer Stärkeaufkleber, welche Stärke am besten zu ihnen passt, und positionieren sich dementsprechend. Aus den Materialcollagen erfahren sie gleichzeitig, welche Tätigkeiten und Berufsfelder zu ihren Stärken passen und welche beruflichen Möglichkeiten auf sie warten. Erste Anregungen und Informationen zu möglichen Ausbildungsberufen gibt es zum Mitnehmen in Form von Stärkeinfozetteln. Die Botschaften lauten: „Finde heraus, was dich interessiert. Du kannst mehr, als du bislang weißt. Probiere aus, was dir Spaß macht: zu Hause, in der Schule und im bevorstehenden Praktikum.“ Lukas hat sich entschieden, dass er in seinem nächsten Praktikum nicht seine ihm schon bekannte Ordnungs-Stärke, sondern seinen neu entdeckten „tierisch-grünen Daumen“ ausprobieren möchte. Den Lebensweg selbstständig finden: Die Initiatoren des Projektes „komm auf Tour“ wollen, wie der Name schon sagt, die Jugendlichen motivieren, aktiv zu werden und darüber nachzudenken, in welche Richtung sie gehen wollen. Neben den ersten Schritten, den passenden Beruf zu finden, geht es um das Finden des eigenen Lebensweges. Die Schülerinnen und Schüler machen sich geschlechtersensibel ihre Stärken und Interessen über das Wahrnehmen von Eigen- und Fremdbildern bewusst, setzen sich mit realistischen Zukunftsmöglichkeiten auseinander und stärken ihre Kommunikationsfähigkeit über Freundschaft, Sexualität und Verhütung. „Wie will ich später einmal leben und wie ist das möglich? “ ist die Frage, die sich die Jugendlichen beispielsweise im „Zeittunnel“ stellen. Sie verlassen den Parcours mit der Gewissheit, dass jeder Mensch unterschiedliche Stärken und Lebensträume hat, und dem Wissen, dass jeder seinen eigenen Weg finden und gehen muss. Fachkräfte, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern unterstützen: Die Jugendlichen werden auf ihrem Weg nicht alleingelassen. Bereits während des Parcoursbesuches werden sie von Reisebegleiterinnen und Reisebegleitern unterstützt. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Berufsberaterinnen und Berufsberater der Agentur für Arbeit, die für die jeweiligen Schulen zuständig sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Trägern der freien Jugendhilfe und verschiedener Fachstellen wie der Drogenberatung sowie viele weitere regionale Akteure stehen außerdem beratend zur Seite. Auch die direkten Ansprechpersonen der Jugendlichen sind bei „komm auf Tour“ eingebunden. Die Lehrerinnen und Lehrer der teilnehmenden Schulen erhalten vorab in einem zweistündigen vorbereitenden Workshop konkrete methodische Anregungen und Begleitmaterialien wie beispielsweise das Lehrkräftebegleitheft und die Stärkeplakate, um den Parcoursbesuch vorzubereiten und das Thema langfristig weiter bearbeiten zu können. Während die Schülerinnen und Schüler den Parcours durchlaufen, haben die Lehrkräfte die Gelegenheit, intensiv mit den regionalen Akteuren ins Gespräch zu kommen. Hier lernen sie konkrete Angebote für Schulen kennen. Darüber hinaus erhalten sie eine Kurzführung durch den Parcours sowie themenspezifische und projektbezogene Materialien zur Unterrichtsgestaltung wie zum Beispiel den „Stärkenentdecker“. Die Eltern der teilnehmenden Jugendlichen sind zu einer Infoveranstaltung in den Erlebnisparcours eingeladen. Sie lernen den Parcours kennen und kommen in Kontakt mit örtlichen Beratungsfachkräften und regionalen Unter- 138 uj 3 | 2020 Projekt „komm auf Tour“ nehmen. Hier erfahren sie, wie sie ihre Tochter oder ihren Sohn bei der Berufswahl und Lebensplanung konkret unterstützen können. Eine mehrsprachige „Elternspielkarte“ regt die Väter und Mütter an, die Stärken ihres Sohnes oder ihrer Tochter bewusst zu reflektieren. Gemeinsam sprechen Eltern und Kinder darüber, was am Praxistag oder im Praktikum ausprobiert werden kann. „komm auf Tour“ - Ein Erfolgsrezept nicht nur in Dresden Die Projektevaluation zeigt, wie wichtig es für den Selbstwert der Jugendlichen und deren Eltern ist, dass individuelle Potenziale und nicht primär Defizite gesehen werden. Fast zwei Dritteln der befragten Jugendlichen hat die Teilnahme am Parcours geholfen, sich die eigene Zukunft konkreter vorzustellen. Mehr als die Hälfte der teilnehmenden Jungen und Mädchen wurde durch „komm auf Tour“ angeregt, auch zu Hause über ihre Stärken und ihre Zukunft zu sprechen. In Dresden gibt es von Jahr zu Jahr mehr Anmeldungen. 2019 besuchten innerhalb von einer Woche knapp 1000 Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klassen von 13 Oberschulen und 6 Förderschulen den 500 Quadratmeter großen Erlebnisparcours. 2020 sollen auch Gymnasien erstmals die Möglichkeit haben, den Parcours zu besuchen. Um dies zu realisieren, soll das Projekt um mehrere Tage verlängert werden. „komm auf Tour“ ist eine Projektentwicklung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und wird von Sinus - Büro für Kommunikation GmbH als Projektträger in Zusammenarbeit mit landesweiten bzw. regionalen Partnerinnen und Partnern bundesweit umgesetzt. Sigrun Harder E-Mail: SHarder@dresden.de Weblinks https: / / komm-auf-tour.de/