eJournals unsere jugend 72/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2020.art34d
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Maßnahmen im Bildungsbereich des Strafvollzuges

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Haubrich Tim
Das Leben im Strafvollzug bedeutet für Strafgefangene eine enorme Umstellung in ihrem Alltag. Der Strafvollzug hat die Aufgabe, die Gefangenen zu lehren, in sozialer Verantwortung und straffrei zu leben (§5 Satz 1 NJVollzG). Dafür müssen Maßnahmen angeboten werden, die eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen (§6 Satz 2 NJVollzG).
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211 unsere jugend, 72. Jg., S. 211 - 217 (2020) DOI 10.2378/ uj2020.art34d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Tim Haubrich Jg. 1980; Oberlehrer im Justizvollzugsdienst, seit 2012 Bildungsbeauftragter und Fachbereichsleiter Bildung einer Justizvollzugsanstalt im Nordwesten Deutschlands Maßnahmen im Bildungsbereich des Strafvollzuges Das Leben im Strafvollzug bedeutet für Strafgefangene eine enorme Umstellung in ihrem Alltag. Der Strafvollzug hat die Aufgabe, die Gefangenen zu lehren, in sozialer Verantwortung und straffrei zu leben (§ 5 Satz 1 NJVollzG). Dafür müssen Maßnahmen angeboten werden, die eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen (§ 6 Satz 2 NJVollzG). Über die Hälfte der Strafgefangenen haben keine weiterführende Ausbildung, mit der sie in das Berufsleben einsteigen könnten. Die psychische Belastung ist enorm, da permanent die Angst vor erneutem Versagen und Selbstzweifel bestehen, die zu Lernproblemen führen können. Zusätzlich treffen in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) vollkommen verschiedene Bildungs- und Entwicklungsstände aufeinander. Die Fachkräfte übernehmen die herausfordernde Aufgabe, den Jugendlichen/ Erwachsenen einen Weg aufzuzeigen, wie man ohne Straftaten in der Gesellschaft leben kann, und geben ihnen durch geeignete Bildungsmaßnahmen das Werkzeug an die Hand, diesen Weg nach Haftentlassung umzusetzen. Auch wenn die polizeilich registrierte Kriminalität bei jugendlichen Deutschen im Jahr 2019 einen Abwärtstrend aufzeigt (Bliesener 2019), befanden sich im November 2018 über 3000 Jugendliche im Jugendstrafvollzug (Abb. 1). Um eine Resozialisierung der Gefangenen zu gewährleisten, muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, eine geeignete Qualifizierung/ Ausbildung zu erhalten, damit sie nach der Haftentlassung ein eingegliedertes Leben in der Gesellschaft führen können. Hierbei spielt das Erlernen von sozialen Interaktionen eine entscheidende Rolle. Da das Justizvollzugspersonal hauptsächlich mit den Gefangenen interagiert, sind sie ein wesentlicher Bestandteil in der Resozialisierung der Gefangenen (Blank 2015, 2ff ). Da die Justizvollzugsanstalt gesetzlich dazu verpflichtet ist, bauliche, organisatorische und finanzielle Voraussetzungen zu schaffen, um Bildungsangebote zu verwirklichen (Grundlage § 5, 6, 9, 35, 68 NJVollzG), werden zusätzlich externe MitarbeiterInnen angestellt, welche die Gefangenen bei der Wiedereingliederung und den Bildungsmaßnahmen unterstützen. Dabei handelt es sich zum einen um Lehrkräfte, die für die schulische Grundbildung verantwortlich sind, und zum anderen um Fachkräfte, die in Lehrwerkstätten Grundlehrgänge und Weiterbildungen anbieten. Bei der in diesem Artikel dargestellten JVA im Nordwesten Deutschlands handelt es sich um einen Erwachsenenvollzug, in den auch Gefangene aus dem Jugendvollzug nach der Reife und Altersstufe verlegt werden (gesetzliche Vorgaben). Da die JVA ausschließlich für männliche 212 uj 5 | 2020 Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug Nordrhein-Westfalen Bayern Baden-Württemberg Niedersachsen Rheinland Pfalz Hessen Berlin Sachsen Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Thüringen Schleswig-Holstein Brandenburg Saarland Bremen 0 200 400 600 800 1000 1200 993 551 426 320 253 222 187 165 103 92 77 75 71 63 52 18 Abb. 1: Anzahl der Gefangenen und Verwahrten im Jugendstrafvollzug (geschlossener und offener Vollzug) in Deutschland nach Bundesländern (Stichtag: 31. März 2019; Statistisches Bundesamt 2019) Industrie- und Handwerkskammer Agentur für Arbeit Berufsfortbildungswerk (bfw) Berufsbildende Schulen BTZ des Handwerks Handwerkskammer Volkshochschule, Bildungshorizonte Goethe Institut Landesschulbehörde Schulischer Bereich Beruflicher Bereich Justizvollzugsanstalt - Fachbereich Bildung der Gefangenen - Abb. 2: Aufteilung des Bildungsbereiches der JVA 213 uj 5 | 2020 Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug Gefangene ausgerichtet ist, wird im folgenden Teil dieses Artikels ausschließlich die maskuline Form verwendet. Um eine Resozialisierung zu gewährleisten ist der Bildungsbereich in der JVA in einen schulischen und einen beruflichen Bereich aufgeteilt (Abb. 2). Es gibt einen schulischen und einen beruflichen Bereich. Der schulische Bereich besteht aus externen Lehrern (VHS, Goethe Institut, Landesschulbehörde, die für die schulische Ausbildung zuständig sind, der berufliche Bereich beinhaltet die Zusammenarbeit von Fachkräften der berufsbildenden Schule, des BTZ des Handwerks, der Handwerkskammer, der Industrie- und Handelskammer, dem Berufsfortbildungswerk (bfw) und der Agentur für Arbeit. Beide Bereiche arbeiten zusammen, um einen optimalen Ausbildungsweg zu schaffen (Abb. 3). Kategorie 1 beinhaltet die schulische Grundbildung durch Integrations- und Deutschkurse, sowie eine Beschäftigungsvorbereitung und -förderung. Es werden Grundlehrgänge in Lehrwerkstätten durchgeführt und Weiterbildungen in Gärtner-, Tischler-, Metall- und Gastronomiebereichen angeboten. In Kategorie 2 gibt es die Möglichkeit zur beruflichen Teilqualifizierung. Es werden in ECDL-Kursen Computerkenntnisse gelehrt, Führerscheinprüfungen für Gabelstap- Weiterbildung für Gärtner, Tischler, Maurer, Maler und Lackierer, Metallbauer oder Gastronomen in den Lehrwerkstätten. Weiterbildung ist der Oberbegriff für alle Lernprozesse, in denen Erwachsene ihre Fähigkeiten entfalten, ihr Wissen erweitern bzw. ihre fachlichen und beruflichen Qualifikationen verbessern oder neu ausrichten. Arbeitsvorbereitende Maßnahmen Grundlehrgänge in den Lehrwerkstätten (Holz, Metall, Maler und Lackierer, Maurer, Gala-Bau, Gastronomie) Gef. werden durch Kombination aus Unterricht und Arbeit an regelmäßige Arbeiten herangeführt. Schulische Grundbildung Erstorientierungskurs Deutsch (EOD) … Computerführerschein (ECDL) Führerschein für Gabelstapler Berufseinstiegsklasse Modulare Qualifizierung im Ausbildungsberuf Gärtner - Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau Modulare Qualifizierung im Ausbildungsberuf Tischler, Metallbauer und Maler und Lackierer, Maurer Berufliche Grundbildung im gastgewerblichen Bereich Kombinierter Haupt-/ Realschulkurs Fernlernen (Selbstlernen und Beratung S&B) Einzelumschulung Tischler, Industriemechaniker, Maler und Lackierer, Bauten- und Objektbeschichter, Maurer oder Hochbaufacharbeiter, Garten- und Landschaftsbauer Kategorie 1: Schulische Grundbildung, Beschäftigungsvorbereitung und -förderung Kategorie 2: Berufliche Teilqualifizierung Kategorie 3: Schul- und Berufsabschluss Behandlungsuntersuchung: Kompetenzfeststellung - Berufswegeplanung niedrig Bildungsintensität hoch Übersicht des Angebots aus- und weiterbildender Maßnahmen in der JVA Teilnahmebescheinigung Zertifikat Abschlusszeugnis 1 2 3 4 Abb. 3: Bildungsmaßnahmen der JVA. 214 uj 5 | 2020 Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug ler und modulare Qualifizierungen in verschiedenen Ausbildungsberufen angeboten. In Kategorie 3 werden Schul- und Berufsabschlusskurse angeboten. Es gibt einen kombinierten Haupt- und Realschulkurs sowie Einzelumschulungen in diversen Handwerksberufen (Inhalt des Bildungskonzeptes der JVA). Die Justizvollzugsanstalt bietet den Gefangenen eine Vielzahl von Bildungsmöglichkeiten. Gefangene mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die Defizite in der deutschen Sprache haben, können einen Erstorientierungskurs Deutsch, Deutsch als Fremdsprache oder einen Integrations- und Deutschkurs belegen. Jungen Erwachsenen wird die Möglichkeit gegeben, den Haupt- oder Realschulabschluss (erw. Realschulabschluss), in Kooperation mit der zuständigen Landesschulbehörde, zu erwerben. Für Gefangene, die bereits eine ausreichende schulische oder berufliche Bildung besitzen, wird in Kooperation mit der FernUniversität in Hagen ein Fernstudium angeboten. Es wird nicht nur Wert auf das rein fachliche Unterrichten gelegt. So bietet die JVA auch einen Deutsch-, Sozial- und Kulturkurs an. Der Kurs dient der erfolgreichen Vermittlung alltagspraktischer deutscher Sprachkenntnisse. Darüber hinaus dient der Kurs der erfolgreichen Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands - insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit. Bei dem ECDL-Kurs (Europäischer Computerführerschein) können externe Zertifikate erworben werden. Diese dargestellten schulischen Kurse werden von den Lehrkräften unterrichtet. Im beruflichen Bereich, wo der Schwerpunkt im Erwachsenenvollzug liegt, werden modulare Qualifizierungen in den Ausbildungsberufen Tischler, Garten- und Landschaftsbau, Maler und Lackierer, Metallbau und Maurer angeboten. Zudem eine berufliche Grundbildung im Bereich der Gastronomie. Eine Umschulung (24 Monate) ist als Tischler, Metallbauer, Maurer oder Maler und Lackierer bzw. Fachkraft für Metalltechnik oder Bauten- und Objektbeschichtung (16 Monate) möglich. Teilnahmevoraussetzungen sind eine Reststrafzeit von 24 Monaten, bzw. 16 Monaten, der Gefangene darf nicht von der Abschiebung bedroht und keine Therapie geplant haben. Die Förderung erfolgt über einen Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit, mit dem Ausbildungsziel des Gesellenbriefes. Ziel des Fachbereichs ist es, Zertifikate, Zeugnisse oder Teilnahmebescheinigungen „neutral“, das bedeutet ohne Nennung der Justizvollzugsanstalt als Ausbildungsstätte, ausstellen zu können, um dem Teilnehmer eine Neutralität der Bewerbung in der Arbeitswelt nach dem Vollzug zu ermöglichen. Herausforderungen Die Tätigkeit einer Lehrkraft in der JVA ist immer wieder eine Herausforderung. Schon der Weg zum Klassenraum ist von vielen Hindernissen gesäumt. So muss am Eingangsbereich der Ausweis abgegeben werden, den die Lehrkraft erst beim Verlassen der JVA wieder zurückerhält. Mobiltelefone dürfen nicht mitgeführt werden, was durch stichprobenartige Kontrollen sichergestellt wird. Um in den Bildungsbereich zu gelangen, werden Tore geöffnet und hinter der Lehrkraft auch wieder verschlossen. Der Klassenraum befindet sich auf dem gleichen Flur wie die Hafträume der Gefangenen. Die Ausstattung des Raumes entspricht den Erwartungen, die man auch an öffentlichen Schulen an einen Unterrichtsraum hat: Tische, Stühle, Tafel, SmartBoard. Die Lehrkräfte verfügen über einen Schlüssel für den Schrank, in dem Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien untergebracht sind. Wertvollere Gegenstände werden dort nicht deponiert, weil es vorkommt, dass der Schrank aufgebrochen wird. Ein Blick aus dem Fenster erinnert jederzeit daran, wo man sich befindet. Gitterstäbe sichern die Fenster und Stacheldraht den Zaun, der die JVA umgibt. 215 uj 5 | 2020 Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug Der Unterricht beginnt um 7: 45 Uhr. Die Mittagspause ist ab 11: 00 Uhr. Um 12: 15 Uhr beginnt dann der zweite Teil des Unterrichts und endet um 15: 30 Uhr. 16 bis 18 Schüler sitzen in einem Raum und sollen sich in den Schulstunden auf den jeweiligen Unterricht konzentrieren. Viele der Schüler haben in ihrem Leben wenig oder gar nicht die Schule besucht und doch haben sie sich vorgenommen, in etwa 12 Monaten einen Abschluss zu erhalten. Die Motivation ist zunächst hoch, doch schon nach ein paar Wochen wollen die ersten Kursteilnehmer das sprichwörtliche Handtuch werfen. Die Begründung ist oft, dass der Lehrstoff zu kompliziert sowie unverständlich ist und sie sich nicht konzentrieren können. Tatsächlich aber gibt es noch andere Hindernisse. Zuerst einmal muss sich der Gefangene auf die Situation im Klassenraum einlassen. Oft fehlt es an Teamfähigkeit und Sozialverhalten. Die Lehrkraft gibt Regeln vor, wie z. B. pünktlich zum Unterricht zu erscheinen, die Einhaltung der vorgegebenen Pausenzeiten und das Erledigen von Hausaufgaben. Jeder Gefangene hat eine Arbeitspflicht, entscheidet er sich für den Bereich Bildung, ist er von der Arbeit in den Betrieben befreit. Auch hier versuchen einige Gefangene den Vorteil für sich zu nutzen, denn bei der Arbeit muss man auch Körpereinsatz zeigen oder sogar ein gewisses Pensum erreichen, da bietet es sich an, im Unterricht zu sitzen und nur der Lehrkraft zuhören zu müssen. Selbst der Sportunterricht, der für die Schülerschaft verpflichtend ist, wird als lästiges Übel empfunden, und so manch einer findet Ausreden, um nicht daran teilnehmen zu müssen. Die Zeit des Unterrichts bis zum Abschluss wird vergütet, somit kann der Kursteilnehmer am Einkauf teilnehmen und sich einen gewissen Luxus, z. B. Bücher, CDs, Cola, Chips und Lebensmittel leisten, um sich daraus ein eigenes Essen zu kochen, um nicht nur auf das Essen der JVA angewiesen sein zu müssen. Das Schulmaterial ist für die Schüler kostenlos und wird auch oft zu Missbrauchszwecken genutzt, z. B. wird es einem anderen Gefangenen zum Tausch gegen Tabak angeboten. Daher wird von der Schulassistentin stets festgehalten, wie viele Blöcke und Kugelschreiber der Gefangene verlangt. Inhaftierte, die nicht den Abschluss machen wollen, aber die Arbeit am Computer erlernen/ den Computer nutzen wollen, haben die Möglichkeit, einen europäischen Computerführerschein (ECDL) zu machen. Die JVA verfügt über ein sicheres Gefangenenschulungsnetzwerk mit freigegebenen Seiten für verschiedene berufliche und schulische Zwecke. Durch ein regelmäßiges Sicherheitscontrolling ist ein Missbrauch ausgeschlossen. Kommt es zu einer Ablösung des Inhaftierten aus vollzuglichen oder schulischen Gründen, erfolgt diese durch den Fachbereichsleiter (FBL) Bildung oder der Vollzugsabteilungsleitung. Der ehemalige Schüler wird als „verschuldet ohne Arbeit“ geführt und muss Haftkosten zahlen. Ein weiterer Grund der Beendigung könnte eine Verlegung in eine andere JVA sein, die Bildungsbereiche anbietet. Der Gefangene hat zudem die Möglichkeit, an einer beruflichen Qualifizierung/ Umschulung teilzunehmen. Der Teilnehmer wird in Kooperation mit dem entsprechenden Bildungsträger nach bundeseinheitlichen Qualifizierungsbausteinen ausgebildet und schließt diese Qualifizierung mit einem Trägerzertifikat ab. Viele der Gefangenen sehen in dieser Qualifizierung/ Umschulung für sich den Vorteil, nicht streng nach einem Lehrplan unterrichtet zu werden. So bekommen sie z. B. in der Lehrwerkstatt Holz gezeigt, wie man ein Vogelhäuschen oder eine Holzsitzbank baut. Bis das Möbelstück jedoch fertig ist, sind viele Herausforderungen zu bewältigen. Der Meister gibt dem Gefangenen Werkzeuge in die Hand, die nicht ungefährlich sind und zur Waffe werden können, wenn die Konzentration der Teilnehmenden nachlässt und die Provokation steigt. Deswegen arbeitet ein Vollzugsbediensteter in den Lehrwerkstätten mit. Ist das Vogelhäuschen oder die Bank fertiggestellt, wächst auch das Selbstbewusstsein und der Stolz des Teilnehmers. Beim nächsten Besuch wird die Arbeit der Familie 216 uj 5 | 2020 Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug vorgeführt, die sieht, dass der Sohn, Vater, Ehemann etwas Sinnvolles für sich erarbeitet hat. Die Bewunderung seiner Familie lässt den Gefangenen neue Motivation gewinnen, um an der Umschulung/ Qualifizierung weiter teilzunehmen. Durch den Spaß bei der Arbeit entwickelt der Teilnehmer eine intrinsische Motivation. Die Sicherheit spielt in allen Bereichen eine große Rolle. So wird in der gastronomischen Maßnahme, „Gastro-Maßnahme“, einem Teilnehmer ein Messer zur Bearbeitung von Gemüse oder Fleisch/ Fisch gegeben. Dazu ist es notwendig, dass der Ausbildungsmeister ein Vertrauensverhältnis zum Teilnehmer aufbaut, um die Auszubildenden in Ruhe anleiten zu können. Dies gilt auch für andere Lehrwerkstätten, wie zum Beispiel im Holz- oder Metallbereich. In diesen Bereichen werden den Teilnehmern gefährliche Werkzeuge ausgehändigt, dessen Aushändigung der Leiter der Maßnahme genau notiert, denn auch in diesem Zusammenhang kann aus Holz oder Blech ein/ e gefährliche/ r Gegenstand/ Waffe hergestellt werden. Am Ende des Arbeitstages werden die Teilnehmer gründlich kontrolliert, ob alle Werkzeuge wieder abgegeben wurden, sodass keine verbotenen Gegenstände in die Unterkunftshäuser der JVA gelangen. Ein Vertrauensverhältnis muss in allen schulischen und beruflichen Maßnahmen aufgebaut werden. Nicht jeder nutzt seine Chance Die Gefangenen haben im Bildungsbereich der JVA die Möglichkeit, sich kognitiv zu bilden und anschließend beruflich zu qualifizieren. Aus dem offenen Vollzug heraus ist sogar eine Teilnahme an einer öffentlichen Schule möglich. Es wäre aber vermessen zu glauben, dass jeder Gefangene, der an aus- und weiterbildenden Maßnahmen teilgenommen hat, nach der Haft resozialisiert ist. Das lässt sich auch daran erkennen, dass manch ein ehemaliger Gefangener nach Monaten oder Jahren wieder inhaftiert wird und erneut im Bildungsbereich auftaucht. Gefangene erhalten durch Bildung und Ausbildung eine Möglichkeit, die sie vielfach in ihrem bisherigen Leben nicht hatten oder bewusst wahrgenommen haben. Auf dieser Grundlage sollten sie nach der Haft positiv aufbauen können. Leider verfallen ehemalige Gefangene oft in alte Verhaltensmuster und kehren zurück in ihr altes Milieu. Positive Rückmeldung Trotz oder gerade durch die zuvor aufgeführten Herausforderungen, die einem im Alltag als Fachkraft in einer JVA tagtäglich begegnen, so ist die Arbeit gleichzeitig auch stets gesäumt von vielerlei positiver Rückmeldung und Bestärkung im eigenen professionellen Handeln. Die unterschiedlichen Lerngruppen erfordern anfänglich seitens der Fachkräfte viel Strukturierung, die oft innerhalb kürzester Zeit von den Inhaftierten verinnerlicht werden. Als Fachkraft diese Entwicklungsprozesse begleiten und die Veränderungen wahrnehmen zu können, macht die Arbeit besonders. Eine exemplarische Nennung für die Anerkennung der Arbeit im Bildungsbereich seitens der Inhaftierten ist ganz speziell, wenn ehemalige Gefangene eine Rückmeldung über ihre jeweilige Berufstätigkeit nach der Haft geben. So kommt es immer mal wieder vor, dass sich ehemalige Teilnehmer von Bildungsmaßnahmen im Nachhinein bedankt haben, dass sie im Vollzug auf die „richtige Spur“ gebracht wurden, durch die erworbene Qualifikation eine feste Arbeitsstelle erhalten haben und somit keinerlei Gedanken mehr an Straftaten hegen und ein straffreies Leben führen. Rückmeldungen wie diese oder der feste Händedruck bei der Überreichung des Zeugnisses/ Zertifikats am Ende einer Maßnahme bestätigen einen tagtäglich in der Arbeit oder honorieren am Ende einer Begleitung die vergangene, zum Teil sehr intensive Arbeit mit den Inhaftierten. 217 uj 5 | 2020 Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug Anforderungen an die Fachkräfte Um eine reibungslose und möglichst erfolgreiche Resozialisierung gewährleisten zu können, ist vor allem das Fachpersonal gefragt, die Aufgaben möglichst einfach und klar durchzustrukturieren. Hierbei gilt es zum einen die Bildungsunterschiede zwischen den Gefangenen aufzufangen und sie auf ein gemeinsames Niveau zu bringen und zum anderen eine Grundlage für ein straffreies Leben nach dem Vollzug zu schaffen. Eine besondere Forderung der professionellen Kompetenzen besteht im Hinblick auf den psychologischen Umgang mit den Gefangenen. Aufgrund von Versagensängsten und Selbstzweifeln kommt es bei vielen Jugendlichen und Erwachsenen zu Lernproblemen, einer ablehnenden Haltung bis hin zum Abbruch von Kursen. Durch eine klare Beziehungsstruktur in der Klasse, den Umgang mit Regeln und die gemeinsame Entscheidungsfindung bei Problemlösungen müssen Fachangestellte versuchen, diesen Problemen entgegenzuwirken. Auch das Lehren von Teamfähigkeit, Toleranz, Solidarität und Gemeinschaftssinn fällt in den Aufgabenbereich der Fachkräfte. So ist das soziale Lernen im Unterricht und in den Fachbereichen ein wesentlicher Bestandteil des Resozialisierungsprozesses. Abschließend muss betont werden, dass die Arbeit in einer JVA nicht mit der Arbeit in anderen Einrichtungen verglichen werden kann, da die Zielsetzung der JVA nicht nur in der Vorbereitung der Wiedereingliederung eines verurteilten Straftäters, sondern auch institutionell in dessen Bestrafung durch den Freiheitsentzug liegt. Oberste Priorität hat jedoch stets die Resozialisierung der einzelnen Gefangenen. Der Entzug der persönlichen Freiheit und Autonomie ist für die Inhaftierten die maximale Einschränkung, ermöglicht im Rahmen der Nutzung von Bildungsangeboten jedoch den Ausbau der kognitiven Freiheit und der beruflichen Qualifizierung. Tim Haubrich E-Mail: tim.haubrich@justiz.niedersachsen.de Ein herzlicher Dank geht an die Lehrkraft Frau Voetlause für die tolle Zusammenarbeit. Literatur Blanck, T. J. (2015): Die Ausbildung von Strafvollzugsbediensteten in Deutschland. Godesberg, Mönchengladbach Bliesener, T. (2018): Die Entwicklung der Jugendkriminalität in Deutschland im Hell- und Dunkelfeld. In: https: / / www.dvjj.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 06/ microsoft_powerpoint_-_entwicklung_der_jugend gewalt_-_dvjj_nbg.pdf, 30. 12. 2019 Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz (NJVollzG) vom 8. April 2014, letzte berücksichtigte Änderung: § 76 geändert durch Artikel 3 § 7 des Gesetzes vom 20. 5. 2019 (Nds. GVBl. S. 88) Statistisches Bundesamt (2019): Gefangene im Jugendstrafvollzug in Deutschland, Stichtag 30. November 2018, 5. In: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 37477/ umfrage/ gefangene-im-jugendstraf vollzug-in-deutschland/ , 28. 12. 2019