eJournals unsere jugend 72/9

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2020.art59d
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2020
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Abbau von Rechtsextremismus. Prävention und Intervention

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Lena Lehmann
Ricarda Milke
„Ohne ein unterstützendes, ohne ein zivilgesellschaftlich engagiertes Umfeld hat […] pädagogische Arbeit gegen den Rechtsextremismus kaum Chancen. Wo vor Ort Pluralität und Vielfalt, wo Respekt und Achtung der Menschenwürde nicht Gewicht haben, da kommt Pädagogik, erst recht Pädagogik allein, meist ganz schnell an ihr Ende.“ (Krafeld 2013)
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371 unsere jugend, 72. Jg., S. 371 - 377 (2020) DOI 10.2378/ uj2020.art59d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Lena Lehmann Jg. 84; MA Erziehungswissenschaften, staatl. anerkannte Sozialpädagogin, Beraterin im Kompetenzzentrum Eltern und Rechtsextremismus bei Miteinander - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. Ricarda Milke Jg. 72; Dipl.-Soziologin, Fachbereichsleiterin Radikalisierungsprävention, Projektleiterin des Fachzentrums Radikalisierungsprävention in Vollzug und Straffälligenhilfe Sachsen-Anhalt (FRaP) bei Miteinander - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. Abbau von Rechtsextremismus. Prävention und Intervention Die Arbeit von Miteinander - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. „Ohne ein unterstützendes, ohne ein zivilgesellschaftlich engagiertes Umfeld hat […] pädagogische Arbeit gegen den Rechtsextremismus kaum Chancen. Wo vor Ort Pluralität und Vielfalt, wo Respekt und Achtung der Menschenwürde nicht Gewicht haben, da kommt Pädagogik, erst recht Pädagogik allein, meist ganz schnell an ihr Ende.“ (Krafeld 2013) Der Verein Miteinander Miteinander - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. ist seit 1999 Fachträger für Bildungs- und Beratungsarbeit mit der inhaltlichen Fokussierung auf die Themenkomplexe Rechtsextremismus / Rechtspopulismus und Phänomene Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF). Der Verein ist anerkannter Träger der freien Jugendhilfe. Unsere Handlungsfelder Der gemeinnützige Verein setzt sich für eine offene, plurale und demokratische Gesellschaft in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus ein. Er arbeitet gegen Rassismus, Antisemitismus und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die zu Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt führen. Seit der Vereinsgründung 1999 hat sich an den Zielen wenig geändert: die Förderung einer demokratischen Alltagskultur, die Stärkung demokratischer Strukturen, die Zurückdrängung von rechtsextremen, rassistischen, diskriminierenden und menschenfeindlichen Einstellungen. Dabei ist der Verein in vier Handlungsfeldern aktiv, die aufeinander bezogen sind und durch ihre Vielfältigkeit eine große Bandbreite von Zielgruppen erreichen: Jugendliche und Erwachsene, Fachkräfte, Engagierte, Politik, Verwaltung und die interessierte Öffentlichkeit. 372 uj 9 | 2020 Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit Analyse und Information Für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit braucht es Wissen über die Ideologien, die Strukturen und die Aktivitäten der extremen Rechten sowie über aktuelle gesellschaftliche Diskurse im Themenfeld. Hierzu bietet der Verein fachliche Expertise und Informationen u. a. für Politik, Verwaltung und die Öffentlichkeit. Bildung und Netzwerke Demokratie braucht eine engagierte und kompetente Zivilgesellschaft. Die Arbeit des Vereins vermittelt Kenntnisse, Einsichten und Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit Demokratiefeindlichkeit und Menschenverachtung. Mit Fortbildungen, Workshops und Projekttagen steht er u. a. Fachkräften und Jugendlichen für eine Vielzahl an Fragestellungen in den o. g. Themenfeldern zur Verfügung. Zugleich bringt er Menschen für den Fachaustausch zusammen und ist mit seiner Erfahrung engagierter Partner zahlreicher Gremien und Netzwerke. Beratung und Begleitung Der Verein fördert das Engagement für eine demokratische Alltagskultur und steht Akteuren vor Ort zur Seite und entwickelt mit ihnen gemeinsam Handlungsstrategien in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und Rassismus. Dabei unterstützt er Betroffene rechter Gewalt und interveniert, wenn sich Opfer alleingelassen fühlen. Dazu dokumentiert er das Ausmaß rechter Gewalt und fördert die Solidarität vor Ort. Prävention und Intervention Die Arbeit des Vereins sensibilisiert für die Herausforderungen des Rechtsextremismus im Alltag sowie für Radikalisierungsprozesse. Dabei unterstützt und stärkt er präventive und intervenierende Maßnahmen im Umgang mit Radikalisierung an den Brennpunkten vor Ort. Im Fokus stehen dabei prekäre soziale Räume sowie der Justizvollzug und sein Umfeld. Einblick in ausgewählte Projekte und Angebote Die Projekte des Vereins arbeiten an den unterschiedlichen Facetten der o. g. Themen, ausgerichtet an den Bedarfen vor Ort. Die daraus resultierenden vielfältigen Bildungsformate in der Rechtsextremismus-Prävention - meist gemeinsam mit den KooperationspartnerInnen vor Ort entwickelt - reichen von Angeboten zum politisch-historischen Lernen über künstlerisch-kreative Auseinandersetzungen zu unterschiedlichen Themen bis hin zu geschlechterreflektierender Bildungsarbeit und Demokratie- und Menschenrechtserziehung. Miteinander e. V. hat sich dabei in den letzten Jahren v. a. auch auf Ansätze der Radikalisierungsprävention und Intervention fokussiert. So bietet der Verein u. a. im Bereich der schulbezogenen und außerschulischen Kinder- und Jugendhilfe neben eben den genannten Bildungsformaten auch Fortbildungen und Qualifizierungen, Beratung sowie Unterstützung und Begleitung für die Fachkräfte an. Einige ausgewählte Projekte der Rechtsextremismusprävention und Intervention sollen hier exemplarisch für die Arbeit des Vereins benannt werden. Die „Kompetenzstelle Eltern und Rechtsextremismus (KER)“, gefördert vom BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben! “ und aus Mitteln des Landes Sachsen-Anhalt, arbeitet zum Themenschwerpunkt Familie und Rechtsextremismus. Sie berät Eltern, Angehörige und Bezugspersonen im Umgang mit rechtsorientierten Jugendlichen. Sie schult Fachkräfte der Erziehungs- und Jugendhilfe im Themenfeld Rechtsextremismus. Das Projekt unterstützt MultiplikatorInnen bei der Einordnung von Radikalisierungsprozessen und jugendkulturellen Phänomenen des Rechtsextremismus, aber auch im konkreten Umgang mit extrem rechten Eltern oder Jugendlichen. Gemeinsam werden präventive und intervenierende Handlungsmöglichkeiten für die Ar- 373 uj 9 | 2020 Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit beitspraxis in der Jugendhilfe und an Bildungseinrichtungen erarbeitet. Dabei werden die Fachkräfte bei der Entwicklung und Durchführung von eigenen Maßnahmen zur Rechtsextremismus-Prävention fachlich unterstützt und begleitet. Das außerschulische Bildungsprojekt „Becoming a Youth Ambassador“, gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung und der Partnerschaft für Demokratie im Altmarkkreis Salzwedel, stärkt Jugendliche (mit und ohne Migrationsbzw. Fluchthintergund) der ländlichen Region Altmark (nördliches Sachsen- Anhalt) und fördert ihr Engagement für eine vielfältige, offene und demokratische Gesellschaft. Hier haben junge Menschen die Möglichkeit, sich zu JugendbotschafterInnen ausbilden zu lassen, eigene Projekte umzusetzen und an einem MentorInnen-Programm mit lokalen EntscheidungsträgerInnen teilzunehmen. Daran anknüpfend, entwickelt und erprobt das Modellprojekt „Landheld*innen - Für eine demokratische Alltagskultur in der Nachbarschaft“, gefördert vom BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben! und aus Mitteln des Landes Sachsen-Anhalt, insbesondere in ländlichen und kleinstädtischen Räumen des nördlichen Sachsen-Anhalts gezielt pädagogische Ansätze und Konzepte, die sekundärpräventiv eine kritische Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen sowie diskriminierenden Einstellungen und Handlungen fördern. In einem mehrgliedrigen Vorgehen sollen der demokratische Grundkonsens vor Ort reaktiviert sowie Alternativ-Angebote zu dominanten demokratiefeindlichen Jugend- und Alltagskulturen etabliert werden. Das Projekt engagiert sich für eine Wertschätzung kontroverser Debatten als demokratische Praxis und fördert die Wahrnehmung demokratischen Engagements. „Landheld*innen“ entwickelt zudem bedarfsgerechte Qualifizierungsangebote im Umgang mit Radikalisierungsprozessen. Die Projektarbeit des Bildungsteams konzentriert sich auf die Unterstützung und Stärkung von demokratischen Prozessen und Akteur*innen. Die - meist partizipativ mit der Zielgruppe entwickelten - Angebote richten sich grundsätzlich an alle Altersgruppen. Die konkrete Umsetzung wird an den jeweiligen Bedarfen und Ressourcen ausgerichtet. Dies können Angebote zu historisch-politischen Themen ebenso sein wie Antidiskriminierungsarbeit oder Formate von demokratischer Mitsprache und Austausch. Der Fokus liegt vor allem auf der Schaffung von geschützten Räumen, um sich kritisch mit den eigenen Erfahrungen und Vorstellungen, aber auch mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt auseinanderzusetzen und damit eine Schärfung der Empathiefähigkeit anzuregen. Methodische Teilhabe und Eigenverantwortung auch für eine demokratische Selbstgestaltung des Alltags sind dabei zentral. Ansätze für erfolgreiche Präventionsarbeit und Intervention Rahmenbedingungen Die Arbeit von Miteinander e.V. und anderer Träger im Themenfeld hat die Erkenntnis zum Ausgangspunkt, dass Rechtsextremismus und Rassismus dort zurückgedrängt werden können, wo eine kompetente, engagierte und demokratische Zivilgesellschaft vorhanden ist. Prävention und Intervention im Umgang mit Rechtsextremismus sind Querschnittsaufgaben, deren Bearbeitung nicht allein von einzelnen Professionen - wie z. B. von der Sozialen Arbeit oder der Pädagogik - geleistet werden kann (vgl. Beyer 2016). Diese Arbeit ist notwendigerweise auf Dauer angelegt, wissend, dass Demokratiekompetenz immer wieder neu erworben und gestärkt sowie eine offene Gesellschaft beständig entwickelt und verteidigt werden muss. Bildungs- und Beratungsarbeit für Demokratie kann hier zwar wertvolle Impulse geben, aber nicht allein erfolgreich sein. Sie kann nicht kom- 374 uj 9 | 2020 Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit pensieren, was an Infrastruktur - bspw. in der Jugend- und Sozialarbeit - nicht oder nur prekär vorhanden ist. Sie kann kein Ersatz sein für eine - aufgrund demografischer Verwerfungen und Abwanderung - schwach entwickelte Zivilgesellschaft. Auch müssen immer wieder Antworten auf neue Herausforderungen - wie etwa die Digitalisierung gesellschaftspolitischer Debatten, Radikalisierungen in den Sozialen Medien oder die Krise der repräsentativen Demokratie - gefunden werden. Zu den notwendigen Rahmenbedingungen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus gehört auch, dass es im Sozialraum eine hinreichende sozialarbeiterische und pädagogische Grundversorgung für ALLE Jugendlichen gibt, also nicht nur bestimmte Gruppen Zugang zu Angeboten und Unterstützungsleistungen haben. Voraussetzungen Eine entscheidende Rolle für Erfolge in der Präventionsarbeit und Intervention spielt dabei die Vermittlung und Stärkung demokratischer, pluraler und menschenrechtsorientierter Angebote und Strukturen. Gerade die Kinder- und Jugendarbeit bietet hier gute Möglichkeiten, einerseits Mitsprache und demokratisches Miteinander zu fördern und andererseits Schutzräume zu schaffen, die Selbstermächtigung/ Empowerment der von Rassismus, Antisemitismus und weiterer von pauschalisierten Ablehnungskonstruktionen Betroffenen unterstützen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Fachkräfte sensibel und reflektiert (auch subtilere) Formen von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus überhaupt wahrnehmen, erkennen - zwischen den Jugendlichen, aber auch zwischen Fachkräften und Jugendlichen - und entsprechend adäquat reagieren. Eine (selbst)kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlich weit verbreiteten Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und pauschalisierenden Ablehnungskonstruktionen - etwa mit Antisemitismus, Rassismus oder bestimmten Rollenbildern - ist dabei hilfreich. Grundlagen Grundlage jeder Arbeit mit jungen Menschen ist vor allem der Aufbau vertrauensvoller und tragfähiger Beziehungen. Erst diese ermöglichen es, dass begleitende Angebote oder Interventionen von den Jugendlichen angenommen werden können. Anerkennung und Wertschätzung, Ressourcen- und Lebensweltorientierung sowie das Erleben von Selbstwirksamkeit und Mitbestimmung gehören dabei zum notwendigen Handwerkszeug. Wichtig für eine erfolgversprechende Auseinandersetzung sind zudem offene Aneignungsprozesse sowie ein interessengeleitetes und lebensweltlich ausgerichtetes Lernen. Die Einbindung und aktive Beteiligung junger Menschen an Entscheidungsprozessen kann sowohl informell als auch über die Benennung von Gremien erfolgen. Gemeinsam können so Benutzungs- oder Hausordnungen, Regeln, Gebote und Verbote ausgehandelt werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich, eine demokratische Werteorientierung im Selbstverständnis und Leitbild des Trägers zu formulieren. Eine kritische Reflexion der eigenen Arbeit, die im Besonderen auch die eigene Haltung, Handlungen und Ziele im Blick hat, sollte ebenso selbstverständlich sein, wie eine klare Positionierung der PädagogInnen für Demokratie und Menschenwürde. Insbesondere wenn sich Jugendliche rassistisch, antisemitisch, islamfeindlich, homo- oder transfeindlich äußern, ist es unerlässlich, darauf situativ und adäquat zu reagieren (z. B. klare Grenzen zu setzen, diese zu begründen und gegebenenfalls geeignete Schritte einzuleiten). Dabei bedarf es einer besonderen Aufmerksamkeit für (potenziell) betroffene Jugendliche. Wenn junge Menschen diskriminiert oder in ihrer Würde missachtet werden, müssen PädagogInnen Schutz und Solidarität bieten. Die Bereitschaft, sich regelmäßig über rechte Strukturen, jugendkulturelle Erscheinungsformen, Einstellungshintergründe und lokale Diskurse zu informieren, hilft, rechtsextreme Orientierungen und Identifikationen sicher wahrnehmen und deuten zu können. 375 uj 9 | 2020 Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit Handlungsauftrag Der Handlungsauftrag, insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit, leitet sich u. a. aus dem SGB VIII (u. a. § 1 und § 11) und dem sogenannten Beutelsbacher Konsens her. Der Beutelsbacher Konsens legt bereits 1976 die Grundsätze für die politische Bildung fest: Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und SchülerInorientierung (vgl. BpB 2011). Zusammenfassend lässt sich festhalten: Kinder und Jugendliche sind bei der Gewinnung ihrer eigenen Urteilsfähigkeit zu unterstützen. Dabei sind kontroverse Debatten zu ermöglichen und anzuregen. Die Arbeit und die Angebote sollen dazu beitragen, dass alle jungen Menschen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation zu analysieren und ihre eigenen Interessen wahrzunehmen sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne der eigenen Interessen zu beeinflussen (Partizipation). Notwendige Grundbedingung ist daher die Förderung von Teilhabe junger Menschen sowie das Ermöglichen von Erfahrungen von Eigenverantwortlichkeit und Mitbestimmung. Dazu müssen Gestaltungsräume für junge Menschen geschaffen bzw. sie dabei unterstützt werden, diese zu schaffen. Die Vermittlung von demokratischen Werten ist gesetzlicher Auftrag! Der Beutelsbacher Konsens bedeutet NICHT, dass PädagogInnen mit Verweis auf diesen Konsens sich „neutral“ zu verhalten haben, wenn demokratische Prinzipien angegriffen oder antidemokratische, extremistische, antisemitische, rassistische … Haltungen in der Einrichtung Raum greifen. Hier sind PädagogInnen schon aufgrund der gesetzlichen Grundlagen zum Handeln verpflichtet! Abb. 1: Ein Blick auf die Herangehensweise von Miteinander e.V. in der Bildungsarbeit 376 uj 9 | 2020 Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit Herausforderungen und Grenzen im Bereich „Rechtsextremismus- Prävention und -Intervention“ Die Herausforderungen der Arbeit lassen sich grob in zwei Bereiche unterteilen: Zum einen sind es die Rahmenbedingungen der Arbeit, zum anderen die Herausforderungen in der direkten Arbeit mit der Zielgruppe selbst. Eine der Herausforderungen und Grenzen in der Arbeit, die u. a. Michaela Köttig (2019) benennt, ist die Forderung an soziale Arbeit zur Übernahme sicherheitspolitischer Maßnahmen. Aber auch ,die Lösung des Extremismusproblems‘ wird gelegentlich von sozialer Arbeit erwartet. Ebenso sieht sich soziale Arbeit zunehmend mit Angriffen aus rechtsextremen und neurechten Bewegungen konfrontiert, die der Arbeit u. a. Indoktrination und angeblich fehlende politische Neutralität vorwerfen, insbesondere dann, wenn sich die Angebote kritisch mit Rassismus, Nationalismus und Demokratiefeindlichkeit auseinandersetzen. Beides ist - leicht durchschaubar - als populistischer Kampfbegriff der Rechtsextremen gegen die demokratische Verfasstheit sozialer und Jugendarbeit zu bewerten. Eine pädagogische Arbeit, die Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus bearbeiten und abbauen will und die mehr sein will als bloßes reaktives Agieren, muss Handlungs- und Einstellungsveränderungen zum Ziel haben sowie den Sozialraum konzeptionell und kontinuierlich mit einbeziehen (vgl. Milke 2019). Beides ist voraussetzungsvoll. So brauchen die Träger entsprechende Rahmenbedingungen: gut durchdachte Konzepte, eine langfristige Planungssicherheit, Kontinuität und Akzeptanz der Arbeit, fachlich und themenspezifisch qualifiziertes Personal, hohe Professionalität in der Arbeit sowie PartnerInnen und UnterstützerInnen in einer kontinuierlichen (Zusammen)Arbeit unterschiedlicher Einrichtungen vor Ort. Begrenzte Ressourcen und Personalmangel erschweren oftmals eine Auseinandersetzung mit der Thematik ebenso wie eine dauerhafte Kooperation. In der direkten Arbeit mit der Zielgruppe trägt Jugendarbeit insbesondere Verantwortung für Jugendliche, die durch rechtsorientierte Jugendliche bedroht oder verdrängt werden. Dies setzt eine frühzeitige Beratung sowie intensive regelmäßige Reflexionsrunden im Arbeitsteam voraus. Möglichkeiten, Chancen und Grenzen der Arbeit müssen ebenso diskutiert werden wie ein einheitliches Vorgehen bei klar vereinbarten Regeln und bei Grenzverletzungen. Wichtig dabei ist insbesondere, die eigenen Grenzen zu kennen und zu beachten. Soziale Arbeit ist eine Menschenrechtsprofession. Dies sollte auch bei der Auswahl der Methoden und Herangehensweisen erkennbar sein: Überwältigung von Kindern und Jugendlichen mittels Schocktherapie oder erniedrigende und diskriminierende Methoden und Ansätze verbieten sich damit von selbst. Ebenso wenig hilfreich ist ein Abarbeiten an rassistischen, (rechts)extremen Positionen, ohne dabei die Gesamtgruppe (und deren Bedarfe) im Blick zu behalten. Empfehlungen für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe ➤ Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Präventionsarbeit ist die kritische Überprüfung und Reflexion der eigenen Haltung - in der Arbeit, aber auch mit Blick auf gesellschaftspolitische Debatten und Grundposition. Menschenrechtsorientierung und die Verinnerlichung demokratischer Grundsätze in der Bildungs- und Jugendarbeit sind unabdingbar für eine authentische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. ➤ Der Fokus des pädagogischen Handelns liegt nicht in der alleinigen Vermeidung bzw. Bekämpfung von Extremismus, sondern auf der Vermittlung menschenrechtsorientierter Werte und die Stärkung demokratischer Strukturen. 377 uj 9 | 2020 Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit ➤ Auch und gerade bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus sollten die wesentlichen Ziele einer demokratischen Kinder- und Jugendarbeit zentrales Anliegen bleiben: einen Beitrag zu leisten für die (Selbst-)Gestaltung von Lebensverhältnissen, die Förderung positiver Lebensumstände und die Eröffnung von Teilhabechancen junger Menschen. ➤ Für die professionelle Auseinandersetzung und im Umgang mit rechtsextremen, rassistischen Einstellungen in der pädagogischen Arbeitspraxis braucht es zudem Wissen über jugendliche Sozialisations- und Radikalisierungsprozesse, Jugendkulturen und aktuelle Entwicklungen im Bereich Rechtsextremismus. Hierfür empfiehlt es sich, sich innerhalb der Strukturen der Jugendarbeit und im Sozialraum zu vernetzen und regelmäßig über Fort- und Weiterbildungen zu informieren. Gegebenenfalls holen Sie sich die Unterstützung, die sie für die Arbeit brauchen. In vielen Regionen gibt es Fachträger und Beratungsteams, die sich auf das Thema Rechtsextremismus spezialisiert haben. ➤ Wohlüberlegte Schritte brauchen Zeit und Ruhe. Symbolische ,Feuerwehreinsätze‘ sind wenig hilfreich. ➤ Wenn es zu rechtsextremen oder rassistischen Vorfällen in der Einrichtung gekommen ist: Schaffen Sie eine sachliche, faktengeleitete Klärungssituation, um aufarbeiten zu können, was tatsächlich passiert ist. Dabei müssen die verschiedenen „Seiten“ Gehör finden, insbesondere „schwächere“ Positionen dürfen dabei nicht an den Rand gedrängt werden. ➤ Versuchen Sie eine konsensfähige, an den demokratischen und menschenrechtsorientierten Werten des Bildungsauftrags ausgerichtete Basis für die Auseinandersetzung zu schaffen. ➤ Unterstützen Sie Ihre KollegInnen bei der deutlich wahrnehmbaren Positionierung für den demokratischen Bildungsauftrag und eine klare Haltung gegen Formen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. ➤ Regen Sie Möglichkeiten für plurale Lerngelegenheiten und Bildungsformate an und unterstützen Sie die Durchführung. ➤ Reflektieren Sie die bisher unternommenen Schritte mit etwas Abstand und versuchen Sie dabei die Bedürfnisse aller im Blick zu haben (ohne die Wertebindung des Bildungsauftrages zu vernachlässigen.) Lena Lehmann Ricarda Milke Miteinander - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. Landsberger-Straße 1 06112 Halle/ Saale Tel: (03 45) 2 26 64 50 E-Mail: net.rzs@miteinander-ev.de Literatur Beyer, C. (2016): Erkennen und Handeln. In: miteinanderthema # 4, Kontroversen in der Bildungsarbeit. In: http: / / www.miteinander-ev.de, 7. 5. 2020 BpB (2011): Beutelsbacher Konsens. In: https: / / www. bpb.de/ die-bpb/ 51310/ beutelsbacher-konsens, 15. 5. 2020 Köttig, M. (2019): Radikalisierungsprävention in der Sozialen Arbeit. In: miteinanderthema # 7, Mehr als nur zur Wahl gehen. In: http: / / www.miteinander-ev.de, 7. 5. 2020 Krafeld, F.-J. (2013): Dokumentation Fachtagung„Grenzen in der sozialen Arbeit - speziell in der Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen“, 14. 5. 2009 in Chemnitz. In: http: / / www.franz-josef-krafeld.de/ 7.%20Ak zeptierende%20Jugendarbeit/ Grenzen%20in%20 der%20Arbeit%20mit%20rechtsextremen%20Ju gendlichen%20%282010%29.pdf, 7. 5. 2020 Milke, R. (2019): miteinanderthema # 7, Mehr als nur zur Wahl gehen. In: http: / / www.miteinander-ev.de, 7. 5. 2020