eJournals unsere jugend 73/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
21
2021
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„Ich war so übelst froh, weil ich nicht gedacht hab’, dass ich überhaupt noch Kontakt hab’ zu der, zu denen?…?MEGA!“

21
2021
Katja Albrecht
Angela Romig
Daniela Keeß
Die Erleichterung, trotz Fremdunterbringung noch eine Verbindung zur Familie zu haben, ist dieser Jugendlichen anzumerken. Aber warum steht das überhaupt infrage? Können die geplanten Änderungen im SGB VIII zur Stärkung der Subjektstellung junger Menschen beitragen und können sie dabei helfen, die Familienbeziehungen während einer Unterbringung außerhalb der Familie zu fördern?
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74 unsere jugend, 73. Jg., S. 74 - 79 (2021) DOI 10.2378/ uj2021.art14d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel „Ich war so übelst froh, weil ich nicht gedacht hab’, dass ich überhaupt noch Kontakt hab’ zu der, zu denen … MEGA! “ Die Stärkung der Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung und die Bedeutung ihrer Familienbeziehungen im neuen KJSG Die Erleichterung, trotz Fremdunterbringung noch eine Verbindung zur Familie zu haben, ist dieser Jugendlichen anzumerken. Aber warum steht das überhaupt infrage? Können die geplanten Änderungen im SGB VIII zur Stärkung der Subjektstellung junger Menschen beitragen und können sie dabei helfen, die Familienbeziehungen während einer Unterbringung außerhalb der Familie zu fördern? von Katja Albrecht Jg. 1977; Diplom-Sozialpädagogin, Referentin Erziehungshilfen/ Rechte & Schutz von Kindern und Jugendlichen beim Internationalen Bund (IB) Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) ist nach einem langen interdisziplinären Dialog- und Beteiligungsprozess auf den Weg gebracht. Viele Veränderungen beinhalten wichtige Impulse für eine Weiterentwicklung hin zu einer bedarfsgerechteren Kinder- und Jugendhilfe und einer Stärkung der Rechte und des Schutzes von Kindern und Jugendlichen. Angela Romig Jg. 1985; Diplom-Pädagogin, Referentin Erziehungshilfen/ Gender beim Internationalen Bund (IB) Daniela Keeß Jg. 1981; Soziologin, Leiterin der Abteilung Familie/ besondere Lebenslagen beim Internationalen Bund (IB) 75 uj 2 | 2021 Stärkung der Subjektstellung von jungen Menschen Obgleich es einige Kritikpunkte an dem Gesetzesentwurf gibt (IB 2020), werden mit dem KJSG-E wichtige Anliegen verfolgt. Hervorgehoben seien hierbei die Stärkung der Subjektstellung von AdressatInnen sowie eine stärkere Berücksichtigung von Familienbeziehungen von Kindern und Jugendlichen, die außerhalb ihrer Familien leben. Der vorliegende Text fokussiert diese beiden Aspekte und geht der Frage nach, welche Bedeutung die geplanten Gesetzesänderungen für Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen 1 haben. Ein Blick in die Praxis: Was bewegt Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen? Im Jahr 2019 - noch bevor die Welt an Kontaktbeschränkungen bis hin zu Besuchsverboten durch ein Virus denken konnte - führte der IB eine kleine, nicht-repräsentative Anzahl qualitativer, leitfragengestützter Interviews mit Kindern und Jugendlichen durch, die in stationären Wohneinrichtungen leben oder dort gelebt haben und nun ambulant weiter begleitet werden. Ziel der Interviews war es, Kinder und Jugendliche selbst zu Wort kommen zu lassen und so ihre Stimme bei der qualitativen Weiterentwicklung der stationären Hilfen zur Erziehung im IB einzubeziehen. Die InterviewpartnerInnen wurden zu ihren Erfahrungen bezüglich verschiedener allgemeiner und konkreter Aspekte ihres Lebens in ihren Wohngruppen befragt und wurden dabei ermutigt, Wünsche, Verbesserungsvorschläge und weitere eigene Themen zu nennen. Viele InterviewpartnerInnen meldeten zurück, dass sie es toll fanden, als ExpertInnen angesprochen zu werden. Themen, die dabei immer wieder zum Vorschein kamen, waren der Wunsch nach Selbstwirksamkeit und der Wunsch, einbezogen zu werden, sowie ihr Bedürfnis nach Kontakt zu engen Bezugspersonen. „Hier ist jetzt dein Zuhause und so. Hat mich dem Erzieher übergeben und nichts weiter war.“ - Die Subjektstellung von AdressatInnen In vielen Interviews spielt das oft sehr emotional besetzte Bedürfnis nach Transparenz und Selbstbestimmung eine große Rolle. Ein Moment, der für viele InterviewpartnerInnen eine besondere Bedeutung hatte und als sehr einschneidend erlebt wurde, war ihr Einzug in die Wohngruppen. Nicht nur die Inobhutnahme, sondern ebenso der Wechsel des Lebensortes von der Familie in eine stationäre Hilfe oder der Wechsel in eine andere stationäre Einrichtung stellen für junge Menschen eine existenzielle Extremsituation dar. Eine Jugendliche beschrieb ihre Erfahrung wie folgt: „Zuerst war ich ja noch woanders, zu Hause sozusagen, dann habe ich aus dem Fenster geguckt, dann war da das Jugendamt. Entweder ich haue ab, war meine Idee oder ich gehe mit, weil ich nicht wusste was war… Meine Mama hat es mir ja auch angekündigt, du gehst bald in ne WG, was du verdient hast und so … und dann ist, war halt Frau *Name entfernt* dort und hat mich mitgenommen, das war komisch irgendwie. Die hat mich einfach stehen gelassen und hat halt gesagt, hier ist jetzt dein Zuhause und so. Hat mich dem Erzieher übergeben und nichts weiter war, dann ist sie einfach abgefahren.“ 1 Einen weiteren wichtigen Lebensort neben der Familie und den stationären Einrichtungen stellen Pflegefamilien dar. Auch hierfür hält der Gesetzesentwurf weitreichende Veränderungen, wie z. B. die Stärkung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und Pflegefamilien, bereit. Dieser und viele weitere Aspekte im Zusammenhang mit stationärer Betreuung, wie z. B. auch die Erweiterungen der Hilfen für junge Volljährige, stehen in engem Zusammenhang mit den in diesem Text fokussierten Aspekten, werden jedoch aufgrund des begrenzten Rahmens nicht näher beleuchtet. 76 uj 2 | 2021 Stärkung der Subjektstellung von jungen Menschen Umbruchsituationen bringen mit sich, dass das Gewohnte und Stabilität zunächst wegbrechen. Gerade hier ist die Gefahr groß, dass sich Kinder und Jugendliche in hohem Maß fremdbestimmt fühlen. Dem zu begegnen und trotz aller Ungewissheit die Handlungsfähigkeit der Betroffenen zu achten und zu erhalten, erfordert ein möglichst großes Maß an Transparenz, eine bestmögliche Einbeziehung und Beteiligung der jungen Menschen. 2 Im fachlichen Selbstverständnis der Kinder- und Jugendhilfe stellt es einen Grundkonsens dar, dem bestmöglich Rechnung zu tragen. 3 In der Praxis zeigen sich jedoch nicht selten Hürden, die diesem Anspruch entgegenstehen. Diese bestehen vor allem in personellen Engpässen und geringen Zeitkapazitäten bei freien und öffentlichen Trägern. Daneben spielen auch strukturelle Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle: Nur wenn tatsächliche Auswahlmöglichkeiten an passgenauen Einrichtungen mit vorhandenen freien Plätzen bestehen und den jungen Menschen verschiedene Alternativen aufgezeigt werden können, erleben sie sich in der Position mitzubestimmen. Im Spannungsfeld zwischen dem Erleben der jungen Menschen und ihrem Anspruch auf Transparenz, Begleitung und Beteiligung auf der einen Seite und den organisationalen Strukturen auf der anderen Seite gibt der Entwurf des KJSG wichtige, weiterführende Impulse dafür, dass die Praxis die bestehenden Hürden beseitigt und sich in Zukunft stärker der fachlich gebotenen Ausgestaltung der Hilfen widmet: ➤ § 8 Abs. 4 SGB VIII-E: Die Beteiligung und Beratung von Kindern und Jugendlichen nach diesem Buch erfolgen in einer für sie wahrnehmbaren Form. ➤ § 36 Abs. 1 SGB VIII-E: Es muss sichergestellt sein, dass die Beratung vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe auch für Kinder und Jugendliche in einer wahrnehmbaren Form erfolgt. ➤ § 42 Abs. 2 SGB VIII-E: Während einer Inobhutnahme hat das Jugendamt die Pflicht, Kinder und Jugendliche unverzüglich und in wahrnehmbarer Form umfassend über diese Maßnahme aufzuklären. ➤ § 9 a SGB VIII-E: Zukünftig soll durch die Errichtung von zentralen unabhängigen Ombudsstellen auf Länderebene sichergestellt werden, dass sich Kinder und Jugendliche zur allgemeinen Beratung sowie zur Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe an entsprechende regionale Strukturen wenden können. ➤ § 4 a SGB VIII-E: Dieser neuen Paragraf definiert selbstorganisierte Zusammenschlüsse und fordert deren Förderung durch die öffentliche Jugendhilfe sowie ihre Einbindung bei der Lösung von Problemen des Gemeinwesens oder innerhalb von Einrichtungen. ➤ § 45 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII-E: Zur Sicherung der Rechte und des Wohls von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen müssen als Voraussetzung für die Betriebserlaubnis geeignete Verfahren der Selbstvertretung und Beteiligung sowie die Möglichkeit der Beschwerde innerhalb und außerhalb der Einrichtung gewährleistet werden. Der im SGB VIII-E neu formulierte Anspruch, Beteiligung, Beratung und Aufklärung der AdressatInnen in einer für sie „wahrnehmbaren Form“ 2 In Bezug auf Kinder und Jugendliche, die aufgrund einer unbegleiteten Flucht in Obhut genommen werden, treffen alle genannten Aussagen ebenso zu. InterviewpartnerInnen mit Fluchthintergrund berichteten außerdem von anfänglichen Sprachschwierigkeiten und der großen Herausforderung, Systeme und Abläufe zu verstehen. 3 Entscheidend für Selbstwirksamkeitserfahrungen der jungen Menschen sind sowohl das Alltagsleben in den Einrichtungen als auch ihre Rolle und ihre Beteiligung im Hilfeplanverfahren. 77 uj 2 | 2021 Stärkung der Subjektstellung von jungen Menschen auszugestalten, stärkt die Subjektstellung der Kinder und Jugendlichen. Gleichzeitig wird der nicht neue, aber hohe fachliche Anspruch hervorgehoben, Prozesse, Beteiligungsmöglichkeiten und -wege individuell an den jeweiligen Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern auszurichten. Besonders deutlich wird der Bedarf an vielfältigen, zielgruppengerechten Beteiligungsformen und barrierefreien Beschwerdewegen auch in Hinblick darauf, die Kinder- und Jugendhilfe zukünftig inklusiv auszugestalten. Ein besonderes und wesentliches Beteiligungsinstrument ist bei den Hilfen zur Erziehung das Hilfeplanverfahren, in dem die für die jungen Menschen sehr zentralen Fragen zur Auswahl und Ausgestaltung der Hilfen entschieden werden. Die geplante Neustrukturierung des § 36 und Einführung des § 37 c SGB VIII-E hilft an dieser Stelle, die besonderen Herzstücke des Hilfeplanverfahrens wie das Wunsch- und Wahlrecht sowie die Beteiligung der AdressatInnen gerade für Kinder und Jugendliche, die außerhalb ihrer Familie leben, stärker hervorzuheben. Beteiligung findet in erster Linie auf individueller Ebene statt. In diesem Zusammenhang stellt die Verpflichtung zur Einrichtung unabhängiger Ombudsstellen eine echte Errungenschaft dar. Neben Beschwerde- und Beteiligungsmöglichkeiten auf individueller Ebene ist es wichtig und wertvoll, dass sich junge Menschen zusammenschließen und sowohl innerhalb von Einrichtungen als auch als zivilgesellschaftliche AkteurInnen außerhalb konkreter Institutionen eigene Interessensvertretungen bilden können, die in der Kinder- und Jugendhilfe Gehör finden. In diese Richtung gibt der KJSG-E einen weiteren, wichtigen Anschub: § 4 a SGB VIII-E fordert die Beteiligung selbstorganisierter Zusammenschlüsse, insbesondere bei der Lösung von Problemen des Gemeinwesens oder innerhalb von Einrichtungen. Darüber hinaus bedeuten auch die Verankerung von geeigneten Verfahren der Selbstvertretung und Beteiligung innerhalb von Einrichtungen und die damit verbundenen Beschwerdemöglichkeiten einen großen Fortschritt. „Dann abends hat die angerufen und ich war so übelst froh …“ - Beziehungen zu Geschwistern und Eltern Ein weiteres zentrales Thema, das die befragten Kinder und Jugendlichen in den stationären Einrichtungen bewegte, war die Gestaltung ihrer Beziehungen zu Geschwistern, ihren Eltern bzw. Elternteilen und weiteren für sie wichtigen familiären Bezugspersonen: „Ich verstehe ja, dass die Erzieher meinen, dass wir erstmal mit einer Person Kontakt haben … aber ich warte jetzt schon seit zwei Jahren, dass ich mit meinem Papa Kontakt haben kann, ich war ja auch bei meiner Oma, hab ich ja auch dort gewohnt und ich würd so gern mit meiner Oma wieder Kontakt haben.“ Ein anderes Kind rief sich die Situation des Ankommens in Erinnerung: „Ich hätte zuerst von mir Kontakt zu meinen Schwestern hergestellt … Dann abends hat die angerufen und ich war so übelst froh, weil ich nicht gedacht hab, dass ich überhaupt noch Kontakt hab zu der, zu denen … MEGA! “ Die beiden zitierten jungen Menschen bringen auf den Punkt, dass familiäre Bindungen und/ oder verlässlicher Kontakt zu Vertrauenspersonen wichtig sind. Gerade Geschwister können sich gegenseitig stützen, wichtiger Anker in schwierigen Umbruchsituationen und FürsprecherInnen füreinander sein. Nicht nur als Vorbereitung einer möglichen Rückkehr von Kindern und Jugendlichen in ihre Familie bzw. ihren bisherigen Lebensort, sondern auch, wenn dies (zurzeit) nicht mehr möglich erscheint, bleiben die Beziehungen zu den Eltern und verbleibenden Geschwistern in der Familie in den meisten Fällen von besonderer Bedeutung. Dabei müssen ebenso die Beziehungen zu Stief- und Halbgeschwistern berücksichtigt werden. Die Verankerung von Eltern- und Ge- 78 uj 2 | 2021 Stärkung der Subjektstellung von jungen Menschen schwisterbeziehungen im SGB VIII ist ein großer Schritt dahin, den veränderten Lebens- und Familienmodellen und den sozialen Bedürfnissen der AdressatInnen sowohl bei der Hilfeplanung als auch bei der Ausgestaltung der Hilfen stärker gerecht zu werden. Der systemische Blick, der in den ambulanten Sozialpädagogischen Familienhilfen selbstverständlich ist, gewinnt damit auch in Hilfen außerhalb der Familie mehr an Bedeutung. Dies kann neben dem Erhalt familiärer Beziehungen auch zur Folge haben, dass sich Verantwortungen auf viele Schultern einer Familie verteilen, anstatt den Blick auf sogenannte „SymptomträgerInnen“ zu fokussieren. Zwar hat auch die bisherige Gesetzeslage nicht aktiv verhindert, familiären Beziehungen Raum zu geben, jedoch haben der unzureichende (zeitliche) Rahmen in den stationären Einrichtungen und die schleppende Bewilligungspraxis paralleler Unterstützungsleistungen gezeigt, dass eine stärkere Betonung dieser Optionen wichtig ist. Genau dies wurde im KJSG-E an vielen Stellen aufgenommen: ➤ § 36 Abs. 2 SGB VIII-E: Bei der Aufstellung und Überprüfung des Hilfeplans sowie bei der Durchführung der Hilfe soll Geschwisterbeziehungen Rechnung getragen werden. ➤ § 36 Abs. 5 SGB VIII-E: Soweit dies gewünscht ist und dadurch der Hilfezweck nicht infrage gestellt wird, sollen auch Eltern, die nicht personensorgeberechtigt sind, am Hilfeplanverfahren beteiligt werden. ➤ § 37 SGB VIII-E: Es besteht ein Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung der Eltern sowie auf Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie. ➤ Auch § 27 Abs. 2 SGB VIII-E: „unterschiedliche Hilfearten können miteinander kombiniert werden“ betont die - nicht neue - Option, Eltern/ Geschwisterkindern flankierende Hilfen zu gewähren. Geschwisterbeziehungen Rechnung zu tragen gilt es, als Standard in der Hilfeplanung zu verankern. Über die Formulierung im KJSG-E hinausgehend ist es dabei sogar erforderlich, diese als einen zentralen Maßstab bei der Suche nach einem (gemeinsamen) neuen Lebensort anzusetzen. Als Ausnahme gilt nur, wenn dadurch das Wohl der jungen Menschen gefährdet wäre. Bedauerlicherweise wurde diese Ergänzung im KJSG-E gerade in Bezug auf die als vermutlich ganz besonders krisenhaft erlebte Inobhutnahme nicht aufgenommen. Zu einer stärkeren Berücksichtigung von Geschwisterbeziehungen bei einer Unterbringung außerhalb der Familie bedarf es einer Neuausrichtung in der Praxis. Dies betrifft sowohl die konzeptionelle als auch die organisatorische Ebene in den Leistungs- und Entgeltvereinbarungen und bei der Vorhaltung von Plätzen. Um Kindern und Jugendlichen Plätze in der Nähe ihrer Familien und weiteren außerfamiliären Bezugspersonen aus der Schule, Kita, Nachbarschaft etc. anbieten zu können, bedarf es in vielen Regionen einer Anpassung der kommunalen Versorgungssysteme. Unverändert schwierig bleibt die Ausgestaltung der Praxis auch nach den Änderungen, wenn mindestens eines der Geschwisterkinder geistige und/ oder körperliche Beeinträchtigungen hat. Da die Leistungen bis zum Inkrafttreten eines neu zu entwickelnden Bundesgesetzes in 2028 weiterhin zwei verschiedenen Hilfesystemen angehören, ist eine gemeinsame Unterbringung zusätzlich erschwert durch fehlende inklusive stationäre Angebote, unterschiedliche Standards und häufige Zuständigkeitskonflikte. Kinder haben ein Recht auf regelmäßige Kontakte zu ihren Eltern. Gerade wenn diese Beziehungen stark konfliktbehaftet sind, braucht es eine intensive Begleitung und Unterstützung aller Beteiligten. Das ist nicht nur wichtig für die jungen Menschen in den stationären Einrichtungen, sondern auch für die in der Familie lebenden Geschwister. Auch wenn die Her- 79 uj 2 | 2021 Stärkung der Subjektstellung von jungen Menschen stellung und das Halten des Kontakts zeitaufwendig und potenziell konfliktbehaftet ist und damit eine fachlich hochwertige Begleitung erfordert, sollte nur in fachlich notwendigen, begründeten Ausnahmefällen davon Abstand genommen werden, dem Wunsch von Kindern und Jugendlichen nach Kontakt zu entsprechen. Der im KJSG-E § 37 Abs. 1 neu formulierte Rechtsanspruch der Eltern auf Beratung und Unterstützung bei der Unterbringung des Kindes/ der Kinder außerhalb der Familie sowie auf Förderung der Beziehung zu ihrem Kind ist dabei in vielerlei Hinsicht ein großer Gewinn. Für die praktische Förderung der Beziehungen junger Menschen gilt es, auch Fragen der technischen Ausstattung schnellstmöglich zu klären. Gerade junge Menschen, die unbegleitet nach Deutschland kamen, müssen über digitale Wege den Kontakt zu wichtigen familiären Bezugspersonen im Ausland halten können. Fazit: Was bedeuten die Änderungen für die Praxis? Die benannten Neuregelungen können eine große Wirkkraft für die einzelnen Kinder und Jugendlichen und ihre Familien entfalten. Ein Gesetz kann jedoch nur so gut sein wie die PraktikerInnen, die es umsetzen, und wie die entsprechenden Strukturen sowie die Rahmenbedingungen, die vor Ort gegeben sind. Wir alle sind also gefordert, gemeinsam für alle jungen Menschen eine beteiligungs- und beziehungsorientierte, barrierefreie Jugendhilfe zu entwickeln. Wichtig wird in den nächsten Jahren sein, Methoden und Haltungen vor dem Hintergrund der neu gesetzten Schwerpunkte zu reflektieren und einen interdisziplinären Erfahrungsaustausch auf allen Handlungsebenen anzustoßen bzw. zu intensivieren. Dabei müssen insbesondere Kinder und Jugendliche selbst als ExpertInnen einbezogen werden. Internationaler Bund (IB) Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V. Zentrale Geschäftsführung, Ressort Produkte & Programme Abteilung Familie/ besondere Lebenslagen Valentin-Senger-Straße 5 60389 Frankfurt am Main Tel. +49 69 9 45 45-150 Literatur Internationaler Bund (IB). Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V. (2020): Stellungnahme des Internationalen Bunds zum Entwurf des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes - KJSG. In: https: / / www. dijuf.de/ files/ downloads/ 2020/ SGB%20VIII-Reform/ Stellungnahme_IB_26.10.2020.pdf, 16. 11. 2020