eJournals unsere jugend 73/9

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2021
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Beteiligungsorientierte Hilfeplanung

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2021
Elisabeth Graf
Veit Gutmann
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Beteiligung junger Menschen in der Hilfeplanung. Der Fokus liegt hierbei auf den Grundlagen der Beteiligung sowie der Gesprächsführung mit jungen Menschen. Darüber hinaus werden anhand beispielhafter Methoden Möglichkeiten gelingender Beteiligung in der Hilfeplanung aufgezeigt.
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365 unsere jugend, 73. Jg., S. 365 - 373 (2021) DOI 10.2378/ uj2021.art58d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Elisabeth Graf Jg. 1987; Sozialarbeiterin B. A. und Sozialmanagerin M. A.; Qualitätsentwicklung Kreisjugendamt Landratsamt Breisgau Hochschwarzwald im Fachbereich Planung, Qualitätsentwicklung und Bildung Beteiligungsorientierte Hilfeplanung Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Beteiligung junger Menschen in der Hilfeplanung. Der Fokus liegt hierbei auf den Grundlagen der Beteiligung sowie der Gesprächsführung mit jungen Menschen. Darüber hinaus werden anhand beispielhafter Methoden Möglichkeiten gelingender Beteiligung in der Hilfeplanung aufgezeigt. Veit Gutmann Jg. 1981; Diplom-Sozialpädagoge (FH); Leitung der Fachgruppe Qualitätsentwicklung Kreisjugendamt Landratsamt Breisgau Hochschwarzwald im Fachbereich Planung, Qualitätsentwicklung und Bildung Die Beteiligung von AdressatInnen und ganz besonders von jungen Menschen ist ein zentraler Inhalt des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG), welches durch die SGB VIII-Reform weiter in den Fokus gerückt wurde. Es geht dabei um die Stärkung der Selbstbestimmung junger Menschen, die Stärkung bei der Inanspruchnahme von Hilfen und bei der Hilfeplanung (sowie bei der Inobhutnahme) und um die Stärkung von Beschwerdemöglichkeiten und Selbstvertretungen (Beckmann/ Lohse 2021). Für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe ist die Beteiligung junger Menschen, die häufig auch unter Begriffen wie Partizipation, Teilhabe und Mitwirkung gefasst wird, kein neuer Aspekt, sondern vielmehr seit längerer Zeit ein zentrales Paradigma (Wolff et al. 2014). Was in den Neuregelungen im KJSG jedoch besonders hervorgehoben wird und sich in allen Bereichen wiederfindet, ist die Notwendigkeit von Beteiligung „in verständlicher, nachvollziehbarer und wahrnehmbarer Form“. Dazu zählt unter anderem eine „selbstbestimmte Interaktion“ (Beckmann/ Lohse 2021) entsprechend des Alters und der persönlichen Fähigkeiten. Grundlagen der Beteiligung junger Menschen In der deutschen Sprache nutzen wir anstelle des Begriffs Beteiligung eine Vielzahl von Begriffen wie Partizipation, Einbeziehung, Mitbestimmung, Mitwirkung oder Teilhabe. Gemeinsam ist allen, dass es darum geht, jemanden mitmachen zu lassen. Klarer wird dieses „Mitmachen“, wenn man zur ursprünglichen Bedeutung von Partizipation zurückgeht: Der Begriff leitet sich vom lateinischen „partem capere“ ab und meint wörtlich „einen Teil (weg-)nehmen“. Übertragen auf den gesellschaftlich-politischen, aber auch auf den pädagogischen Kontext heißt das, einen Teil der Gestaltungsmöglichkeiten an sich zu nehmen. Im Umkehrschluss 366 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung muss dazu eine andere Person Gestaltungsmöglichkeiten abgeben. Junge Menschen entscheiden oder mitentscheiden zu lassen, heißt also, die Gestaltungsmacht von Erwachsenen zu reduzieren, sodass Kinder und Jugendliche selbst Verantwortung für ihre Lebenswelt und die sie betreffenden Entscheidungen übernehmen können. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist deshalb nur „echt“, wenn es auch wirklich etwas zu gestalten gibt, sich also direkte Folgen und Konsequenzen daraus ergeben (Deutscher Bundesjugendring 2018). Beteiligung sollte für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe ein pädagogisches Selbstverständnis sein und durch eine Kultur der Ermunterung den jungen Menschen eine Mitbestimmung ermöglichen. Für Kinder und Jugendliche beginnt die Mitgestaltung mit dem Gefühl, von Erwachsenen respektiert und ernst genommen zu werden. In der Praxis stellt sich häufig die Frage, welche Interaktionsfähigkeiten Erwachsene bzw. Fachkräfte benötigen, um mit Kindern und Jugendlichen gut in Kontakt zu kommen, und was diese Interaktion von der Interaktion mit anderen Erwachsenen unterscheidet. Unterschiede bestehen vor allem im Hinblick auf die sprachlichen Kompetenzen und in der Fähigkeit, Sachverhalte und Zusammenhänge zu benennen und zu verstehen. Daher benötigen junge Menschen eine Gesprächsgestaltung, welche sich am Alter und an den individuellen Fähigkeiten orientiert und sich damit von der Interaktion mit Erwachsenen unterscheidet. Ein wesentlicher Aspekt ist jedoch bei der Interaktion mit Erwachsenen und mit jungen Menschen gleich: Es braucht in jeglicher Interaktion und Kommunikation die Bereitschaft und die Fähigkeit, dem (jungen) Menschen zuzuhören, seine Sichtweisen und Bedürfnisse verstehen zu wollen und Informationen und Inhalte so zu vermitteln, dass sie verstanden werden können (Weltzien 2011). So schreibt auch der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (2012), dass gelingende Beteiligung mehr ist als die Orientierung an Alter und Entwicklungsstand und dass es eine entsprechende Grundhaltung und methodische Kompetenz von Fachkräften braucht. Wenn wir von Beteiligung sprechen, dann geht es darum, welches Verständnis Kinder und Jugendliche von Gemeinschaft und Gerechtigkeit entwickeln und welche Möglichkeit sie haben, sich selbstwirksam zu erleben. Denn Beteiligung fördert die Entwicklung zu einer eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit und macht Heranwachsende in vielen Situationen selbstbewusster und autonomer. Fehlende Beteiligung dagegen kann dazu führen, dass Kinder und Jugendliche ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen verlieren und im späteren Leben Schwierigkeiten haben, Entscheidungen zu treffen (Wolff et al. 2014). Beteiligung ist ein zentrales Qualitätsmerkmal in der Kinder- und Jugendhilfe. Das Recht auf Beteiligung ist in den Planungs- und Entscheidungsprozessen öffentlicher Träger der Jugendhilfe zu verwirklichen (KJSG) und findet seine Grundlage auch in dem Recht auf Beteiligung in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention. Da es sich hierbei um ein Recht und kein Zugeständnis handelt, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten der Partizipation es in der Hilfeplanung gibt und wie Fachkräfte diese Grundhaltung tatsächlich umsetzen können. Beteiligung im Kontext von Hilfeplanung Als zentrales Handlungsprinzip der Jugendämter ist die Beteiligung von jungen Menschen in der Hilfeplanung und durch das SGB VIII gesetzlich vorgeschrieben. Kinder und Jugendliche sollen entsprechend ihres Entwicklungsstandes an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe (§ 8 SGB VIII) und in besonderer Weise im Rahmen von erzieherischen Hilfen beteiligt werden (§ 36 SGB VIII). Dabei heißt Beteiligung, sie über ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten zu informieren, ihr Wunsch- und Wahlrecht bei der Auswahl des 367 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung Leistungserbringers zu beachten sowie Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Kinder, Jugendliche und Eltern einbringen können. Die Beteiligung ist ein Grundpfeiler der Kinder- und Jugendhilfe. Sie entspringt einer demokratischen Grundhaltung, die junge Menschen und ihre Eltern befähigen möchte, ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen, und dafür Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Dabei ist Beteiligung mehr als ein Selbstzweck: Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Wirksamkeit der Hilfen umso besser ist, je höher der Partizipationsgrad der AdressatInnen ist und je eher sich diese auch mit den festgelegten Zielen identifizieren können (Macsenaere 2017; Schmidt et al. 2002). Das Jugendamt will nicht als anonyme Verwaltung und Eingriffsbehörde fungieren, sondern als unterstützende Institution wahrgenommen werden und als solche agieren, sodass junge Menschen und Eltern mit dem Jugendamt positive Unterstützung assoziieren (BAG Landesjugendämter 2020). Der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) hat in einem Forschungsprojekt von 2014 bis 2016 unter der Überschrift „Beteiligung leben! “ über die Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Heimerziehung und sonstigen betreuten Wohnformen in Baden-Württemberg geforscht. Dabei wurden auch 46 Jugendämter und deren Fachkräfte befragt mit dem Ziel, auch ihnen einen praxisorientierten Hinweis für die Umsetzung dieses Anliegens im Rahmen der Hilfeplanung zu geben. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie war, dass für die befragten Kinder und Jugendlichen die Hilfeplanung und die Ausgestaltung der Hilfen einen Schwerpunkt der Partizipation darstellen. Denn die Hilfeplanung ist der Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden und die Ausgestaltung der Hilfe festgelegt wird. Den Jugendämtern, insbesondere ihren MitarbeiterInnen, kommt somit eine besondere Verantwortung und Rolle in der Ausgestaltung der Hilfeplangespräche und bei der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen zu. Die Studie des KVJS hat ergeben, dass 76 % der Jugendämter in Baden-Württemberg Kinder und Jugendliche in die Vorbereitung der Hilfeplanung einbeziehen und ihnen während des Hilfeplangesprächs Gehör verschaffen. Bei der Ausarbeitung der Ziele im Anschluss an die Gespräche bezieht jedoch nur noch ein Drittel der Jugendämter die Kinder und Jugendlichen mit ein (KVJS 2016). Welche Möglichkeiten haben Fachkräfte für eine gelingende Beteiligung und was brauchen sie, um den Ort der Entscheidung für Kinder und Jugendliche zu einem Ort der Beteiligung umzugestalten? Grundlagen und Hinweise zum Gespräch mit jungen Menschen Um junge Menschen in der Hilfeplanung in verständlicher, nachvollziehbarer und wahrnehmbarer Form zu beteiligen, können Grundlagen der Gesprächsführung und des Gesprächsrahmens angewendet werden. Diese bieten Fachkräften Orientierung und Sicherheit und ermöglichen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien „echte“ Beteiligung. Die im Folgenden aufgeführten Grundlagen der Gesprächsführung mit jungen Menschen sind Erkenntnisse aus der eigenen praktischen Arbeit und wurden mit entsprechender Literatur weiter ausgeführt (Kriener/ Lengemann 2002; Delfos/ Kiefer 2015; Sauer 2014). Grundlagen zum Gesprächsrahmen Transparenz Im Vorfeld eines jeden Gesprächs mit dem jungen Menschen ist es wichtig zu klären, was Zweck und Inhalt des Gesprächs ist, wer teilnimmt und wer welche Rolle hat. Das Kind bzw. der/ die Jugendliche soll die Möglichkeit haben, sich darauf einzustellen, und darf keine „bösen Überraschungen“ erleben. Sollten die Eltern, aus welchem Grund auch immer, nicht 368 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung am Gespräch teilnehmen, so muss für den jungen Menschen klar sein, dass diese informiert und einverstanden sind, dass das Kind bzw. der/ die Jugendliche frei sprechen darf. So kann verhindert werden, dass eine Geheimnisträgerrolle oder Loyalitätskonflikte entstehen. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen der junge Mensch sich einen vertrauensvollen und geschützten Gesprächsrahmen ohne seine Eltern wünscht. Sollte die Fachkraft im Anschluss weitere Beteiligte informieren wollen oder müssen, ist der junge Mensch hierüber im Vorfeld zu informieren. Eine transparente Kommunikation über die Rahmenbedingungen und Schritte ist Grundlage einer verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Beteiligung. Ort Die Wahl des Ortes für ein bevorstehendes Gespräch entscheidet maßgeblich darüber, ob sich das Kind oder der/ die Jugendliche wohl und sicher fühlt. Im besten Fall wird daher zusammen mit dem Kind oder dem/ der Jugendlichen geklärt, welcher Ort geeignet sein könnte. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den jungen Menschen bei der Sitzordnung (mit) bestimmen zu lassen und hierdurch einen Teil der Gestaltungsmacht abzugeben. Spielerische Elemente Je nach Alter des jungen Menschen kann es hilfreich sein verbale und spielerische Elemente zu kombinieren, da besonders Kinder mit klassischen Gesprächssituationen überfordert sein können. Ihnen gelingt ein freies Sprechen eher, wenn sie sich im Spiel befinden. Förderlich ist es hierbei, wenn sich der/ die Erwachsene neben dem Kind befindet und der Blick beispielsweise auf das Lieblingsspielzeug des Kindes gerichtet wird. Ein Gegenübersitzen kann aufgrund des eher konfrontativen Charakters die Kontaktaufnahme und die Interaktion erschweren. So können außerdem Gesprächspausen im spielerischen Setting besser ausgehalten werden. Auszeiten und STOP-Signale Kinder und Jugendliche brauchen in Gesprächen häufig eine Pause oder eine kurze Auszeit. Vor allem bei sehr belastenden Inhalten ist es erforderlich, dass Erwachsene die Bedürfnisse, aber vor allem auch die Grenzen des jungen Menschen wahrnehmen und das Gespräch entsprechend steuern. Ein hilfreiches Element kann hierbei die vorherige Einführung eines „STOP-Signals“ sein. Dies kann je nach Alter des Kindes beispielsweise ein Stein oder eine Figur sein, die das Kind oder der Jugendliche wortlos einsetzen kann. So ist es für den jungen Menschen auf unkomplizierte Weise möglich, eine Pause einzufordern oder eine Belastungsgrenze aufzuzeigen. Grundregeln der Gesprächsführung Augenhöhe und Blickkontakt Zwischen Erwachsenen und Kindern bestehen per se Unterschiede in ihren Rollen und im Erleben ihrer Entscheidungsmöglichkeiten (z. B. durch kognitive Fähigkeiten, Erfahrungen und den Größenunterschied). Das Einnehmen derselben Augenhöhe wirkt diesen entgegen und fördert eine möglichst gleichberechtigte Interaktion. Es ist außerdem wichtig, immer wieder den Blickkontakt zu suchen, sodass sich der junge Mensch gesehen und ernst genommen fühlt. Entscheidend ist hierbei ein gesundes Maß. Es kann in gewissen Situationen hilfreich sein, bewusst auf den Blickkontakt zu verzichten und andere Methoden zu wählen, um positiv und aufmerksam mit dem jungen Menschen in Kontakt zu treten. Nebeneinander zu sitzen oder zu gehen kann hierbei wirksam sein und gelingende Gespräche fördern. Aufmerksamkeit und Wertschätzung Ein elementarer Teil der Gesprächsführung mit jungen Menschen ist eine Haltung, die geprägt ist von Zuwendung und Aufmerksamkeit. Dies kann sowohl durch die Körperhaltung als auch 369 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung durch interessiertes Zuhören erreicht werden. Zustimmendes Nicken oder zustimmende Laute („Mhm“, „Aha“) fördern diese Haltung und zeigen dem jungen Menschen, dass die Erwachsenen aufmerksam sind und zuhören. Darüber hinaus ist Wertschätzung ein weiterer wesentlicher Faktor einer gelingenden Gesprächsführung. Dies vor allem deshalb, weil Kinder und Jugendliche, noch mehr als Erwachsene, durch eine positive und wertschätzende Bestätigung Bestärkung erfahren. Hilfreich sind Sätze wie: „Ich bin froh, dass Du mir das erzählt hast.“, „Du hast mir geholfen, Dich besser zu verstehen.“ oder: „Vielen Dank für Deine Offenheit.“. Fragen Grundlage jeder gelingenden Gesprächsführung in der Kinder- und Jugendhilfe ist das Stellen von Fragen, da vor allem Kinder davon ausgehen, dass der/ die erwachsene GesprächspartnerIn „allwissend“ ist. Zudem tragen die richtigen Fragen zu einer Kultur der Ermunterung bei. In der Interaktion mit jungen Menschen ist es förderlich, eher kurze Fragen und jeweils nur eine Frage zu stellen. Grundsätzlich soll ein freies Berichten gefördert und eine einseitige „Befragungssituation“ vermieden werden. Dies gelingt durch offene Fragen wie z. B.: „Wie erlebst Du gerade Deinen Alltag? “ oder: „Was beschäftigt Dich zurzeit am meisten? “. Grundsätzlich sind Fragen aus der Systemischen Beratung auch im Gespräch mit jungen Menschen sinnvoll. Zu nennen sind hier zirkuläre Fragen („Was würde Dein bester Freund sagen, was für Dich hilfreich ist? “) oder hypothetische Fragen („Mal angenommen, Deine Probleme wären gelöst. Was wäre dann anders? “) (Schlippe/ Schweitzer 2016). Sehr einfach und dennoch wirksam zur weiteren Anregung eines freien Erzählens sind die simplen Fragen („Was noch? “ oder „Und dann? “). Letztere empfehlen sich, wenn eine Situation oder ein Vorfall geschildert wird. Diese beiden Fragen werden gestellt, wenn der junge Mensch eine Frage zwar beantwortet hat, möglicherweise aber noch weitere Antworten oder Impulse bestehen. Emotionen aufgreifen - Emotionen bestätigen - Perspektive bieten Wenn Kinder oder Jugendliche im Gespräch Emotionen zeigen, ist es wichtig, diese aufzugreifen und zu verdeutlichen, dass sie wahr- und ernst genommen werden. Dabei sind nonverbale Signale zu beachten und die Metaebene zu nutzen. Der/ Die Erwachsene soll aufmerksam sein, die wahrgenommenen Emotionen bestätigen und Anerkennung vermitteln. Im weiteren Schritt sollen Möglichkeiten und Perspektiven geboten werden, sodass es einen Ausblick auf Besserung oder Klärung gibt. Hier eine beispielhafte Formulierung: „Ich sehe, Du weinst und bist traurig. Das darfst Du sein, ich kenne Kinder, denen es ähnlich geht und die dann auch weinen. Ich weiß auch, dass es den Kindern in ein paar Tagen meist besser geht. Wir werden jetzt gemeinsam überlegen, was Dir helfen kann.“ Mit diesen Grundlagen der Gesprächsführung wird ein gelingender Beteiligungsprozess angestoßen und die Kinder und Jugendlichen fühlen sich ernst genommen. Sie ermöglichen einen Zugang, der über die Informationsweitergabe hinausgeht, die jungen Menschen und ihre Familien mitnimmt und sie selbst Verantwortung für ihre Lebenswelt übernehmen lässt. Möglichkeiten und Methoden zur Beteiligung Wesentlicher Bestandteil für das Gelingen individueller Hilfen ist die Kommunikation zum individuellen Bedarf und zur Leistungsgewährung unter Mitwirkung aller Beteiligten (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband 2012). Die öffentlichen Träger der Jugendhilfe tragen die Verantwortung dafür, in welchem Maße ein gelingender Beteiligungsprozess möglich wird. In welchem Rahmen Fachkräfte mitbestimmen lassen und in welchem Rahmen sie zur Beteiligung einladen, ist dabei entscheidend (ebd.). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, 370 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung die Hilfeplangespräche nicht gänzlich zu verändern, sondern die Möglichkeiten der Beteiligung zu erweitern und in passenden Momenten einfließen zu lassen. Die folgenden drei Methoden sind exemplarische Beispiele hierfür. Skalierungsfragen Skalierungsfragen ermöglichen eine einfache Darstellung sehr komplexer Sachverhalte und Informationen, die eigentlich nicht messbar sind. So können z. B. Wahrnehmungen, Einschätzungen oder Gefühle komprimiert wiedergegeben werden. Dies fördert zum einen eine differenzierte Selbstwahrnehmung und zum anderen können so Unterschiede visualisiert werden. Folgende Beispielfragen sollen dies verdeutlichen: ➤ „Wie zufrieden bist Du mit Deinem Alltag auf einer Skala von 0 bis 10? 0 bedeutet ,gar nicht zufrieden‘ und 10 bedeutet ,sehr zufrieden‘.“ ➤ „Wie sehr freust Du Dich auf die anstehenden Schulferien auf einer Skala von 0 bis 10? 0 bedeutet ,gar nicht‘ und 10 bedeutet ,sehr‘.“ ➤ „Wie groß ist Deine Sorge um Deine Geschwister? 0 bedeutet ,sehr gering‘ und 10 bedeutet ,sehr groß‘.“ Skalierungsfragen sind ein hilfreiches Instrument, um Verhalten, Erleben und Gefühle präziser zu beschreiben und diese einordnen zu können. Sie sind aber je nach Abstraktionsanforderung eher für ältere Jugendliche geeignet. WirkMit! -Methode Das Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) aus Mainz entwickelte die Methode WirkMit! , welche sich eignet, um Familien und speziell auch junge Menschen im Hilfeprozess zu beteiligen. Mit einer Liste von zwölf Lebensbereichen (Gesundheit, Soziale Beziehungen, Schule/ Arbeit etc.) und einer Einschätzungsskala kann jedes Familienmitglied mitteilen, wie es ihr/ ihm im jeweiligen Bereich aktuell geht. Zudem gibt es vier Bereiche, welche die Lebenssituation der gesamten Familie in den Blick nimmt. WirkMit! orientiert sich am Konzept des Capability Approach, welcher durch den indischen Ökonomen und Nobelpreisträgers Amartya Sen und die US-amerikanische Philosophin Martha Craven Nussbaum geprägt wurde. Dieser gerechtigkeitstheoretische Ansatz nimmt die Frage in den Blick, was ein Mensch für ein gutes, erfüllendes Leben benötigt. WirkMit! bietet die Möglichkeit, die eigene Situation differenziert darzustellen, zu reflektieren und den anderen GesprächsteilnehmerInnen das individuelle Erleben mitzuteilen. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass diese Methode bereits ab einem Alter von 5 Jahren genutzt werden kann. Es ersetzt nicht das gesprochene Wort, sondern unterstützt und untermalt vielmehr das Gesagte. Es hilft dabei, Problembereiche einzugrenzen, Hilfe- und Veränderungsbedarfe zu erkennen und Ressourcen sichtbar zu machen. Die Gesprächssituation wird aufgelockert und die jungen Menschen fühlen sich Abb. 1: WirkMit! 371 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung nicht alleine in den Fokus gerückt, sondern erleben vielmehr ein gemeinsam entstehendes Bild vor sich. Das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald setzt WirkMit! derzeit im Rahmen eines vom Landesjugendamt geförderten Projekts zur Wirksamkeit von Jugendhilfen ein. Innerhalb des Projekts dient WirkMit! nicht nur als Gesprächsführungs-, sondern gleichermaßen als Erhebungsinstrument bei neu eingerichteten Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung. Stimmt die Familie zu, wird WirkMit! innerhalb der ersten 6 Wochen, nach einem halben Jahr und schließlich nach einem Jahr angewendet. Die Ergebnisse werden in anonymisierter Form gesammelt und am Ende des Projektzeitraums ausgewertet. Durch die prozessuale Abbildung des Hilfeverlaufs können dann wiederum Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Hilfe gezogen werden. Die WirkMit! -Methode gibt den Fachkräften ein Instrument an die Hand, welches den Blick auf die Kinder und Jugendlichen richtet und die Sichtweise der jungen Menschen und ihrer Familien z. B. im Rahmen der Hilfeplanung darstellt. Netzwerkkarte Die Netzwerkkarte ist eine Methode zur Darstellung eines persönlichen Beziehungsbildes. In der ökosozialen Perspektive wird angenommen, dass es komplexe Wechselwirkungen zwischen Menschen und Umwelt gibt. Als Gesprächsführungsmethode ist sie vor allem in Kontakt mit Jugendlichen sehr hilfreich. Der junge Mensch wird gebeten, sich selbst in die Mitte eines großen Papiers zu malen oder seinen Namen zu schreiben. Im nächsten Schritt benennt der junge Mensch alle Personen, die in seinem Leben wichtig sind und die er gerne hat - je wichtiger die Person ist, desto zentraler soll sie im Bild platziert und eingezeichnet werden. Als Variante kann die Netzwerkkarte ähnlich einem Tortendiagramm in verschiedene Bereiche, wie z. B. Familie, Schule, Freunde, eingeteilt werden (Universität Koblenz-Landau 2005, 15). Die Beschreibung des sozialen Netzwerkes wird in den Blick genommen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Aussagen über die Qualität der Netzwerkbeziehungen erfordern, dass den subjektiven Deutungen der jungen Menschen Raum gegeben wird. Schließlich sind die jungen Menschen selbst ExpertInnen in ihrer Lebenswelt. Der/ Die Erwachsene stellt daher Fragen zu den Bezugspersonen, um die Lebenswelt und die Beziehungen des jungen Menschen besser zu verstehen. Der junge Mensch wird dadurch angeregt, in einen Reflexionsprozess einzusteigen, um so beispielsweise eigene Ressourcen oder Veränderungsbedarfe zu erkennen (ebd.). Die folgenden bespielhaften Fragen können in diesem Prozess genutzt werden: ➤ „Was magst Du an der Person? Was macht Ihr gerne zusammen? “ ➤ „Was würde Person X sagen, was Du gut kannst und was sie an Dir mag? “ ➤ „Wer sieht, ob es Dir gut geht, oder auch, wenn Du traurig bist? “ ➤ „Wer weiß am besten, wie es Dir geht? “ ➤ „Wer weiß am besten, wie man Dir helfen kann? “ Abb. 2: Anwendung von WirkMit! 372 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung ➤ „Wie gelingt es wichtigen Personen in deinem Leben, Dich zu unterstützen? “ ➤ „Wer hilft oder tröstet Dich, wenn Du traurig bist? Und wie? “ ➤ „Was würde Person X sagen, was Dir hilft? “ ➤ „Mit wem kannst Du reden, wenn es Dir zu Hause schlecht geht? “ ➤ „Mal angenommen, es gibt zu Hause einen schlimmen Streit… Zu wem würdest Du dann als erstes gehen? “ Die Netzwerkkarte ist ein zentrales netzwerkanalytisches Verfahren, mit dem die Voraussetzungen für eine angemessene Intervention geschaffen werden. Kinder und Jugendliche erhalten die Möglichkeit, ihre eigene Lebenswelt darzustellen, was zu einer selbstbewussten Entwicklung beiträgt. Fazit Aufgabe und Ziel der Kinder- und Jugendhilfe sind passgenaue Hilfe- und Unterstützungsangebote und die Kommunikation auf Augenhöhe. Dies kann nur gelingen, wenn Kinder, Jugendliche und Eltern mit ihren Erfahrungen und Meinungen einbezogen werden und die Interaktionen sich am Alter und an individuellen Fähigkeiten orientieren. Die Neuregelungen im KJSG wollen eine gut ausgestattete und beteiligungsorientierte Kinder- und Jugendhilfe schaffen und die jungen Menschen und ihre Familien stärken. Die Beteiligung in der Hilfeplanung kann gelingen, wenn Fachkräfte von Beginn an offen und transparent mit den jungen Menschen kommunizieren, diese aktiv einbeziehen und zur Beteiligung einladen. Gelingende Beteiligung ist ein zentrales Qualitätsmerkmal und eine Grundhaltung und methodische Kompetenz der Fachkräfte. Instrumente wie die Skalierungsfragen, die WirkMit! -Methode und die Netzwerkkarte können Fachkräfte dabei methodisch unterstützen und, wie es das KJSG vorschreibt, Beteiligung in verständlicher, nachvollziehbarer und wahrnehmbarer Form ermöglichen. Hierdurch können Kinder und Jugendliche aktiv an der Ausgestaltung der Hilfe und dem Ort, an dem Entscheidungen getroffen werden, mitgestalten. Und je höher der Grad der Partizipation ist, umso größer ist die Identifikation mit der Hilfe und den Zielen. Daher ist es erforderlich, die Kinder und Jugendlichen mit ihren Wünschen, ihren Bedürfnissen und mit ihren Entscheidungen wahrzunehmen, zu akzeptieren und zu respektieren. Dies bedeutet, Gestaltungsmöglichkeiten an die jungen Menschen abzugeben, damit sie Verantwortung für ihre Lebenswelt und die sie betreffenden Entscheidungen übernehmen können. Der Artikel ist in multiprofessioneller Zusammenarbeit entstanden. Elisabeth Graf Veit Gutmann Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald Kreisjugendamt Fachbereich Planung, Qualitätsentwicklung und Bildung Berliner Allee 3 79114 Freiburg i. Br. Tel.: +49 (0) 7 61 21 87 26 10 E-Mail: elisabeth.graf@lkbh.de veit.gutmann@lkbh.de 373 uj 9 | 2021 Beteiligungsorientierte Hilfeplanung Literatur BAG Landesjugendämter (2020): Jugendamtsmonitor. Zahlen und Fakten über Jugendämter, https: / / pfad. wordpress.com/ 2020/ 11/ 05/ jugendamtsmonitorzahlen-und-fakten-uber-jugendamter/ Beckmann, J., Lohse, K. 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