unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2021.art09d
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Rezension
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Monika Feist-Ortmanns
Fachgruppe Inobhutnahme (2020): Handbuch Inobhutnahme. Grundlagen – Praxis und Methoden – Spannungsfelder IGfH-Eigenverlag, Frankfurt am Main, 480 Seiten, € 19,90
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44 uj 1 | 2021 Rezension Im Vorwort des von ihrem Ministerium geförderten Handbuchs hebt Bundesfamilienministerin Giffey auf die Komplexität der Arbeit im intervenierenden Kinderschutz und die enorm hohen fachlichen Anforderungen an die dort tätigen Fachkräfte ab. Sie stellt eine Verbindung zu den Ergebnissen der Begleitforschung zum Dialogprozess „Mitreden - Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“ her, welche aus ihrer Sicht aufgezeigt haben, „wo in der Praxis Schwierigkeiten bestehen und wie wir Praktikerinnen und Praktiker besser unterstützen können“ (S. 8). In Anbetracht dieser Befunde leistet das Handbuch Inobhutnahme der IGfH einen wertvollen Beitrag zur Unterstützung von Fach- und Führungskräften im Kinderschutz. Gerade im Bereich der hoheitlichen Maßnahmen zeigten sich in der Untersuchung „hochproblematischer Kinderschutzverläufe“ im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung zum Dialogprozess erhebliche Unsicherheiten und Vollzugsdefizite, in der die Praxis nicht immer den Intentionen des Gesetzgebers gerecht zu werden vermochte. Umso erfreulicher ist in diesem Zusammenhang die umfassende und verständliche Beleuchtung der rechtlichen Grundlagen nach § 8 a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. §§ 42ff SGB VIII und die Hervorhebung ihrer Bedeutung durch Thomas Trenczek: „Hinzuweisen ist aber mit Nachdruck darauf, dass es sich bei den rechtlichen Aspekten nicht um gelegentlich als ‚theoretisch‘ abgetane Vorstellungen handelt, sondern vielmehr um die gesetzliche (also verbindliche) Normierung fachlicher Standards“ (S. 15). Dankenswerterweise dekliniert Trenczek anschließend in seinem Beitrag die Implikationen dieser rechtlichen Grundlagen für das Muss - Darf - Kann in der Praxis durch, was für Fachkräfte sehr hilfreich sein dürfte. Nachdem sich die Ministerin in ihrem Grußwort vorrangig auf die Perspektive und das Erleben der Fachkräfte bezieht, ist es vielleicht die herausragendste und ganz und gar nicht selbstverständliche Leistung des HerausgeberInnen-Kollektivs, stringentdie Perspektive und das Erleben der betroffenen jungen Menschen und ihrer Eltern als Maßstab für eine Weiterentwicklung des professionellen Handelns einzubeziehen. Dies passiert auf eine gleichzeitig feinfühlige und scharfsinnige, eindrückliche und unaufdringliche Art und ist eine große Bereicherung für den Sammelband. Die Beiträge sind an vielen Stellen anschlussfähig an die bereits erwähnte wissenschaftliche Begleitung des Dialogprozesses und insbesondere die Ergebnisse des vertiefenden Forschungsmoduls zu „hochproblematischen Kinderschutzverläufen“, in dem bei insgesamt 561 Falleingaben auch 160 Inobhutnahme-Fälle analysiert wurden. Hier wurde ein Mangel an Information und Beteiligung insbesondere von jungen Menschen als beängstigend und traumatisch erfahren und auch die Kompensation von Dialog und Aufklärung mit körperlichem Zwang findet sich sowohl in den Fallanalysen der Studie als auch in den Schilderungen junger Menschen im Handbuch. Völlig zu Recht konstatiert Inga Abels daher in ihrem Beitrag, dass es nicht um die Frage gehen kann, „ob Kinder und Jugendliche in allen Bereichen, die sie betreffen, beteiligt werden. Der Diskurs kann sich allenfalls um die Frage drehen, wie Beteiligungsrechte umgesetzt werden können“ (S. 208). In den Interviews im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Dialogprozesses berichten auch Eltern davon, nach dem hochinvasiven Ereignis einer Inobhutnahme aus ihrer Sicht uninformiert und auf sich allein Fachgruppe Inobhutnahme (2020): Handbuch Inobhutnahme. Grundlagen - Praxis und Methoden - Spannungsfelder IGfH-Eigenverlag, Frankfurt am Main, 480 Seiten, € 19,90 uj 1 | 2021 45 Rezension gestellt gewesen zu sein. Dass dies nicht „nur“ ein subjektives Empfinden der Betroffenen ist, wird durch die Ergebnisse der Jugendamtsbefragung im Zuge der Begleitforschung bestätigt. Hier gab mehr als die Hälfte (55 %) der Fachkräfte an, dass in ihrer Behörde Eltern in der Regel vor oder bei einer Inobhutnahme nicht direkt schriftliche Informationen zur Maßnahme und ihren Handlungsoptionen bekommen (vgl. Feist-Ortmanns & Macsenaere 2020). Hier sind insbesondere die Vorschläge von Nicole Knuth und Rüdiger Riehm für eine strukturelle Verankerung von Information und Beteiligung der Eltern bei und während der Inobhutnahme beachtenswert (S. 331 - 345). Eindrucksvoll ist auch der Beitrag von Corinna Petri, in dem sie nachvollziehbar die Spannungsfelder bei der Inobhutnahme junger Kinder skizziert und es bei diesem negativ konnotierten und Angst besetzten Thema schafft, Ressourcen aufzuzeigen und an den Gestaltungswillen der verantwortlichen Akteure zu appellieren. Insbesondere der Hinweis auf den Ressourcenwert von Geschwisterbeziehungen ist dabei anschlussfähig an die Ergebnisse aus der Begleitforschung zum Dialogprozess, bei der die Hälfte der befragten Fachkräfte angab, dass bei Inobhutnahmen Regelungen zur Sicherstellung einer gemeinsamen Unterbringung von Geschwisterkindern erforderlich seien, wenn dem nicht die Schutzinteressen der betroffenen jungen Menschen entgegenstünden. Das Handbuch liefert in den drei Gliederungsbereichen „Grundlagen - Praxis und Methoden - Spannungsfelder“ einen fundierten Überblick sowie interessante Vertiefungen und ist ein guter Wegbegleiter für die Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe im Bereich der Inobhutnahme. Literatur Feist-Ortmanns, M., Macsenaere, M. (2020): Ergebnisbericht der wissenschaftlichen Begleitung zum Dialogprozess„Mitreden - Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“. Verfügbar unter: https: / / ikjmainz.de/ ergebnisbericht-der-wissenschaftlichenbegleitung-des-dialogprozesses-veroeffentlicht/ , 19. 10. 2020 Monika Feist-Ortmanns M. A. E-Mail: feist-ortmanns@ikj-mainz.de DOI 10.2378/ uj2021.art09d Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Uwe Otto verstorben Am 27. 10. 2020 ist Hans-Uwe Otto im Alter von 80 Jahren verstorben. Mit ihm verliert die Erziehungswissenschaft national wie auch international einen ihrer bedeutsamsten Gestalter. Er lehrte über 30 Jahre an der Universität Bielefeld und war Autor mehrerer erziehungswissenschaftlicher Standardwerke, so z. B. dem Handbuch Soziale Arbeit. Ein Nachruf ist für die nächste Ausgabe der uj geplant.
