unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2021.art23d
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Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG)
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Reinhard Joachim Wabnitz
Nun liegt er also vor, der Regierungsentwurf zum KJSG. Was sind dessen wesentliche Inhalte? Was ist gut, was ist noch verbesserungswürdig? Antworten darauf gibt der folgende Beitrag.
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133 unsere jugend, 73. Jg., S. 133 -138 (2021) DOI 10.2378/ uj2021.art23d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel von Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz Assessor jur., Magister rer. publ., Ministerialdirektor a. D., Professor für Rechtswissenschaft, insbesondere für Familien- und Kinder- und Jugendhilferecht, an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden Allgemeine Bemerkungen Bereits im Jahre 2017 gab es einen Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages für ein KJSG vom 29. 6. 2017 (Bundestags-Drucksachen 18/ 12330 und 18/ 12730, Bundesrats-Drucksache 553/ 17; dazu: Wabnitz 2017), der allerdings nicht die Zustimmung des Bundesrates gefunden hatte. Gleichsam im „2. Anlauf“ liegt, nach Vorlage des Referentenentwurfs vom 5.10. 2020, der Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG)“ vom 2. 12. 2020 vor („KJSG-RegE 2020“). Der 160 Druckseiten starke Regierungsentwurf beinhaltet ein sehr ambitioniertes Änderungsprogramm. Allein ca. 60 Vorschriften des SGB VIII sollen geändert bzw. neu in das Gesetz eingefügt werden (gemäß Art. 1 KJSG-RegE 2020); weitere im KKG (Art. 2), im SGB V (Art. 3), SGB IX (Art. 4), SGB X (Art. 5), im BGB (Art. 6), im FamFG (Art. 7) und im JGG (Art. 8). Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf alle Änderungsvorschläge einzugehen. Sehr zu begrüßen ist in formeller Hinsicht, dass der Entwurf (anders als 2017) im Wesentlichen keine Veränderungen der Paragrafen-Reihenfolge des SGB VIII vorsieht, sofern diese nicht zwingend geboten sind. Dies erleichtert die Rechtsanwendung erheblich. Verbesserung der Beteiligung und Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen In zahlreichen Vorschriften des KJSG-RegE 2020 wird zum Ausdruck gebracht, dass die Beteiligung und Beratung von Kindern und Jugendlichen nach diesem Buch in einer für sie wahrnehmbaren Form „erfolgen“ (so u. a. explizit gemäß § 8 Abs. 4 (neu) sowie in §36 Abs.1 Satz 2 (neu) oder in § 42 Abs. 2 Satz 1 KJSG-RegE 2020). Des Weiteren wird das Ziel der „Selbstbestimmung“ von Kindern und Jugendlichen vielfach unterstrichen, so bereits in § 1 Abs.1 sowie Abs. 3 Nr. 2 (neu) oder in § 24 Abs. 1 Nr. 1 KJSG-RegE Nun liegt er also vor, der Regierungsentwurf zum KJSG. Was sind dessen wesentliche Inhalte? Was ist gut, was ist noch verbesserungswürdig? Antworten darauf gibt der folgende Beitrag. Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) 134 uj 3 | 2021 Der aktuelle Gesetzentwurf des KJSG 2020. Dies alles ist zu begrüßen, ebenso wie der vorgesehene neue §4 a KJSG-RegE 2020 „Selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung“. Die verpflichtende Einführung von Ombudsstellen (§ 9 a KJSG-RegE 2020) entspricht ebenfalls einer langjährigen Forderung aus weiten Teilen der Kinder- und Jugendhilfe. Vorgesehen ist zudem ein nunmehr uneingeschränkter Beratungsanspruch nach § 8 Abs. 3 KJSG-RegE 2020. Danach sollen sich Kinder und Jugendliche künftig auch ohne Vorliegen einer Not- und Konfliktlage und ohne Kenntnis des/ der Personensorgeberechtigten an das Jugendamt wenden können. Dies ist zu begrüßen. Mit Blick auf das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG müssen die Eltern m. E. jedoch auch künftig alsbald in den Beratungsprozess einbezogen werden. In § 10 a KJSG-RegE 2020 (neu) heißt es: „Junge Menschen, Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigte, die leistungsberechtigt sind oder Leistungen nach § 2 Absatz 2 erhalten sollen, werden in einer für sie wahrnehmbaren Form, auf ihren Wunsch auch im Beisein einer Person ihres Vertrauens, beraten.“ Im weiteren Verfahren ist allerdings auch kritisch zu prüfen, ob die Beratungsverpflichtungen gegenüber Minderjährigen nach § 10 a KJSG-RegE 2020 so mit dem Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG kompatibel sind. Grundsätzlich darf es nicht dazu kommen, dass das gesetzliche Vertretungsrecht der Eltern auf diese Weise „ausgehebelt“ würde. Materiell-rechtliche Regelungen in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und verwandte Leistungen Im Leistungsbereich der bisherigen §§ 27 bis 35 SGB VIII sind keine wesentlichen Veränderungen geplant. Kritisch zu sehen ist allerdings, dass der bisherige § 20 (Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen) in den Bereich der Hilfen zur Erziehung und in einen neuen § 28 a KJSG-RegE 2020 verlagert werden soll. Voraussetzung für eine solche Leistung wäre dann, wie bei allen Leistungsarten der Hilfe zur Erziehung, dass es sich gemäß § 27 Abs. 1 SGB VIII um ein bereits vorhandenes oder zumindest konkret drohendes Erziehungsdefizit bei dem individuell betroffenen Kind oder Jugendlichen handelte. Dies ist bei § 20 in der bisherigen Form gerade nicht erforderlich. Vielmehr geht es dort um die vorübergehende (! ) Betreuung von Kindern, wenn ein Elternteil oder beide Elternteile kurzfristig für die Betreuung und Versorgung nicht zur Verfügung stehen (können). Es geht bei § 20 um die Gewährleistung und die Sicherstellung der Kontinuität der Eltern-Kind-Beziehung auch in einer temporären Ausnahmesituation und nicht um eine Hilfe in einer Defizitsituation beim einzelnen Kind oder Jugendlichen, die deshalb gerade nicht Tatbestandsvoraussetzung des bisherigen § 20 ist. Von daher sollte von der beabsichtigten Verlagerung m. E. Abstand genommen werden. In § 41 Abs. 1 KJSG-RegE 2020 ist statt der bisherigen „Soll-Bestimmung“ eine „Muss-Bestimmung“ („Junge Volljährige erhalten geeignete und notwendige Hilfe…“) enthalten. Dies ist als erster Schritt zu begrüßen. Darüber hinaus sollte allerdings in § 41 Abs. 1 SGB VIII ein expliziter Anspruch der oder des jungen Volljährigen verankert werden. Die vorgeschlagene neue Vorschrift über die Nachbetreuung (§ 41 a KJSG-RegE 2020) entspricht einer Forderung aus vielen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe, die Unterstützung von „Care Leavern“ zu verbessern, und ist zu begrüßen. Verfahrensrechtliche Regelungen in den Bereichen Hilfe zur Erziehung und verwandte Leistungen Die in den §§ 36 KJSG-RegE 2020 (Mitwirkung, Hilfeplan), 36 a KJSG-RegE 2020 (Steuerungsverantwortung, Selbstbeschaffung) und 36 b KJSG-RegE 2020 (Zusammenarbeit beim Zuständigkeitsübergang) vorgesehenen Ände- 135 uj 3 | 2021 Der aktuelle Gesetzentwurf des KJSG rungen stellen im Kern Erweiterungen und Konkretisierungen des geltenden Rechts dar und erscheinen als grundsätzlich akzeptabel. Bei § 36 a Abs. 3 SGB VIII bzw. KJSG-RegE 2020 (betreffend die ausnahmsweise zulässige sog. „Selbstbeschaffung“ von Leistungen) sollte m. E. außerdem erwogen werden, diese Regelungen auch auf den Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder zu erstrecken, wie dies bereits wiederholt von Verwaltungsgerichten im Wege einer analogen Anwendung von § 36 a Abs. 3 SGB VIII geschehen ist. Zu begrüßen ist, dass die schon bisher bestehenden Regelungen in § 37 Abs. 1 KJSG-RegE 2020 (Beratung und Unterstützung der Eltern, Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie) nunmehr mit Blick auf die Herkunftseltern in der Zielrichtung „geschärft“ werden sollen, dass diese zumeist sträflich vernachlässigte Aufgabe besser wahrgenommen wird. Konsequenterweise sollen Eltern gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 auch einen „Anspruch“ auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind erhalten. Es muss primär in der Tat alles daran gesetzt werden, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie so weit zu verbessern, dass die Eltern ihre Erziehungsaufgaben wieder möglichst bald und möglichst vollumfänglich wahrnehmen können. Der neue § 37 a KJSG-RegE 2020 (Beratung und Unterstützung der Pflegeperson) entspricht dem bisherigen § 37 Abs. 2 SGB VIII. Weitgehend neu und wesentlich breiter angelegt als der bisherige § 37 Abs. 3 SGB VIII ist der vorgeschlagene § 37 b KJSG-RegE 2020 (Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Familienpflege) − mit dem Ziel einer Verbesserung des Kinderschutzes und einer weiteren Stärkung von Rechten von Kindern und Jugendlichen bis hin zur konkreten Eröffnung von Beschwerdemöglichkeiten. Auch dies ist zu begrüßen. Mit Blick auf § 37 c KJSG-RegE 2020 (Ergänzende Bestimmungen zur Hilfeplanung bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie) ist darauf hinzuweisen, dass eine Perspektivklärung gleich zu Beginn von Maßnahmen in der Praxis vielfach nicht möglich ist bzw. dass entsprechende Maßnahmen sehr häufig vorzeitig abgebrochen werden. Deshalb sollte klargestellt werden, dass diese Perspektivklärungen nicht in jedem Fall bereits zu Beginn entsprechender Maßnahmen erfolgen müssen. In dem neuen § 38 KJSG-RegE 2020 (Zulässigkeit von Auslandsmaßnahmen) sollen die bereits bisher bestehenden Vorschriften (vgl. § 27 Abs. 2 Satz 3 und § 78 b Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) gebündelt und mit Blick auf EU-Recht und aus sonstigen Gründen deutlich ausgeweitet werden. Die vorgesehenen Regelungen erscheinen teilweise als „Über-Bürokratisierung“ und sollten im weiteren Verfahren im Hinblick auf „Verschlankungsmöglichkeiten“ überprüft werden. Das Ziel einer verbesserten Qualitätssicherung auch bei Auslandsmaßnahmen ist zwar im Grundsatz unterstützenswert. Die nunmehr vorgesehenen Detailregelungen könnten allerdings dazu beitragen, dass es künftig so gut wie überhaupt nicht mehr zu Auslandsmaßnahmen kommt. Eine Verbesserung gegenüber dem geltenden Recht stellt schließlich die Begrenzung der Kostenbeteiligung von jungen Menschen bei vollstationären Leistungen auf höchstens 25 % (bisher: 75 %) ihres Einkommens dar (§ 94 Abs. 6 Satz 1 KJSG-RegE 2020). Vorzugswürdig wäre allerdings ein vollständiger Verzicht auf eine solche Kostenbeteiligung, um den jungen Volljährigen den Übergang in Selbstverantwortung und Eigenständigkeit zu erleichtern. Schaffung der Möglichkeit, durch das Familiengericht den dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie anzuordnen („Dauerverbleibensanordnungen“) Diese Thematik war in den vergangenen Jahren besonders lebhaft umstritten. Kern der vorgesehenen Neuregelungen ist (wie im Jahre 2017) die Möglichkeit der Anordnung von Dauerver- 136 uj 3 | 2021 Der aktuelle Gesetzentwurf des KJSG bleibensanordnungen bei Pflegeverhältnissen durch das Familiengericht gemäß § 1632 Abs. 4 Satz 2 BGB-RegE 2020 (neu): „Das Familiengericht kann in Verfahren nach Satz 1 von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson zusätzlich anordnen, dass der Verbleib bei der Pflegeperson auf Dauer ist, wenn 1. sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums trotz angebotener geeigneter Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig verbessert haben und eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten ist und 2. die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich ist.“ In § 1696 Abs. 3 BGB-RegE 2020 (neu) soll es (anders als 2017) heißen: „(3) Eine Anordnung nach § 1632 Absatz 4 ist auf Antrag der Eltern aufzuheben, wenn 1. die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl nicht gefährdet oder 2. der Gefährdung des Kindeswohls innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums auf andere Weise, auch durch öffentliche Hilfen anlässlich seiner Rückführung zu den Eltern, begegnet werden kann.“ Außerhalb dieser speziellen Konstellation soll darüber hinaus in § 1697 a BGB-RegE 2020 (Kindeswohlprinzip) allgemein - und wie 2017 − verdeutlicht werden, dass die genannten Aspekte auch bei anderen Entscheidungen des Familiengerichts zu berücksichtigen sind. Die insoweit mit Blick auf Dauerpflegeverhältnisse vorgeschlagenen und eingehend begründeten Neuregelungen erscheinen im Grundsatz als vertretbar. In der Zusammenschau der vorgeschlagenen Neuregelungen im SGB VIII und im BGB sind grundsätzlich akzeptable Kompromisse in dreifacher Zielrichtung gefunden worden: ➤ mit Blick auf das Elternrecht der Herkunftseltern und deren gebotene Beratung und Unterstützung zwecks Verbesserung der Erziehungsverhältnisse dort; ➤ mit Blick auf die häufig belastende und unklare Situation in Pflegefamilien, über denen das „Damoklesschwert“ der Beendigung des Pflegeverhältnisses schwebt; ➤ und vor allem mit Blick auf das Wohl der Kinder und Jugendlichen im Spannungsfeld von Herkunftsfamilie und Pflegefamilie und ihren Bedürfnissen nach Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten (§ 1 Abs. 1 SGB VIII), nach Geborgenheit, Sicherheit und Kontinuität. Allerdings sollte eine gesetzliche Vorschrift erwogen werden, dass regelmäßige Überprüfungen von Dauerverbleibensanordnungen durch das Familiengericht stattfinden, etwa spätestens jeweils nach einem Jahr, ob die Voraussetzungen von § 1632 Abs. 4 Satz 2 BGB noch vorliegen; und sollte dies nicht mehr der Fall sein: dass dann die Dauerverbleibensanordnungen aufzuheben sind. „Inklusive Kinder- und Jugendhilfe“ Sehr zu begrüßen ist, dass der Entwurf das Ziel der von der Fachöffentlichkeit teilweise seit Jahrzehnten, und nunmehr wohl nahezu einhellig, geforderten Fortentwicklung des SGB VIII im Sinne einer „inklusiven Kinder- und Jugendhilfe“ mit einheitlicher Zuständigkeit des SGB VIII für alle körperlich, geistig und seelisch behinderten Kinder und Jugendliche verfolgt. 137 uj 3 | 2021 Der aktuelle Gesetzentwurf des KJSG Dieses Ziel soll in einem dreistufigen Verfahren bis zum Jahre 2028 erreicht werden (vgl. § 107 (neu) KJSG-RegE, auch mit zeitlich gestaffelten, umfangreichen Untersuchungs- und Berichtsaufträgen des BMFSFJ; sowie Art. 9 KJSG-RegE 2020). Die Vorgehensweise und die inhaltlichen Regelungsvorschläge dazu erscheinen grundsätzlich realistisch und unterstützenswert. Zu begrüßen sind zunächst die „Schärfungen“ in einer ganzen Reihe von Vorschriften mit Blick auf behinderte Kinder und Jugendliche, die alsbald im Rahmen einer 1. Stufe in Kraft treten sollen (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 2 KJSG-RegE (neu), § 7 Abs. 2 KJSG-RegE (neu) mit einer Legaldefinition der jungen Menschen mit Behinderungen, § 8 b Abs. 3 (neu), § 9 Nr. 4 (neu), § 11 Abs. 1 Satz 3 (neu), § 22 Abs. 2 Satz 2, § 22 a Abs. 4, § 77 Abs. 1 S. 3, § 78 b Abs. 1 Nr. 3, § 79 a Satz 2 oder § 80 Abs. 2 Nr. 4 (neu), jeweils KJSG-RegE 2020). Hierzu gehören Regelungen ➤ zur Verankerung des Leitgedankens der Inklusion auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt und in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen; ➤ zur Weiterentwicklung der inklusiven Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege; ➤ zur Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger beim Zuständigkeitsübergang; ➤ zur Beratung zu Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie zur Orientierung an den Schnittstellen zu anderen Leistungssystemen sowie ➤ zur fallbezogenen Zusammenarbeit im Gesamt- und Hilfeplanverfahren. Für den Zeitraum vom 1. 1. 2024 bis 31.12. 2027 sind im Rahmen einer 2. Stufe die Einführung von „Verfahrenslotsen zur Vermittlung von Eingliederungshilfeleistung“ (§ 10 b KJSG-RegE 2020) sowie eines damit korrespondierenden Anspruchs von jungen Menschen, Müttern, Vätern und Erziehungs- und Personensorgeberechtigten auf Unterstützung und Begleitung bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung dieser Leistungen geplant. Auch dies erscheint plausibel. Allerdings ist das rechtliche Verhältnis des − zudem mit erheblichem personellen und administrativen Aufwand verbundenen − „Verfahrenslotsen“ zum Träger der öffentlichen Jugendhilfe noch näher zu klären. Alles wird schließlich davon abhängen, ob es bis zum Jahre 2028 zur 3. Stufe kommt − und zuvor zur Schaffung eines weiteren Bundesgesetzes bis zum 1. 1. 2027 mit den konkreten Regelungen zum Übergang der Zuständigkeiten auch für die körperlich und geistig behinderten jungen Menschen in die Kinder- und Jugendhilfe − und zu den komplizierten personellen, organisatorischen und finanziellen Konsequenzen; und dies mit Zustimmung der Länder, die mit ihren Kommunen die Kostenfolgen zu tragen haben werden und Zuständigkeiten verändern und teilweise (etwa in Bayern im Bereich der dortigen Bezirke) abgeben müssen. Kinderschutz, Betriebserlaubnisverfahren und Aufsicht über Einrichtungen Mit Blick auf die §§ 8 a, 8 b und 42 SGB VIII sind kleinere, im Wesentlichen akzeptable Änderungen vorgesehen. Aufgrund von Art. 2 KJSG-RegE 2020 soll allerdings in § 4 Abs. 1 Satz 1 KKG die Befugnis der sog. „BerufsgeheimnisträgerInnen“, das Jugendamt zu informieren, an den Anfang der Norm gestellt werden. Durch ein solches Vorziehen würde die eigene Handlungspflicht der „BerufsgeheimnisträgerInnen“ in den Hintergrund treten; dies ist zu kritisieren. Von daher sollte § 4 KKG nicht in dieser Weise geändert werden und in der jetzigen Form − und damit als Spiegel der Handlungsstufenchronologie − fortbestehen. Im Bereich der §§ 45 ff SGB VIII sind zahlreiche Neuerungen und Ergänzungen geplant, auf die hier nicht vollständig eingegangen wird. So soll 138 uj 3 | 2021 Der aktuelle Gesetzentwurf des KJSG (ähnlich wie im Gewerberecht! ) u. a. das Kriterium der „Zuverlässigkeit“ des Trägers einer Einrichtung an die Spitze der Anerkennungsvoraussetzungen nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 KJSG-RegE 2020 gestellt werden. Und in einem neuen § 45 a KJSG-RegE 2020 soll erstmals der Begriff der„Einrichtung“ definiert werden. Dabei wird im Wesentlichen auf die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien, insbesondere einer auf eine gewisse Dauer angelegten (förmlichen) Verbindung von ortsgebundenen räumlichen, sachlichen und personellen Mitteln zur Unterkunftsgewährung, Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen, abgestellt. Nicht gelöst werden mit dieser Definition allerdings aktuelle Fragen im Zusammenhang mit zentralen und dezentralen Einrichtungen/ Einrichtungsbestandteilen bei überregional tätigen Trägern und Verbundstrukturen an verschiedenen Standorten, die aber fachlich und organisatorisch einer gemeinsamen Leitung zugeordnet sind. Vorlage von Hilfeplänen an das Familiengericht durch das Jugendamt In § 50 KJSG-RegE 2020 (Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten) soll Abs. 2 u. a. um die folgenden Sätze ergänzt werden: „In Verfahren nach den §§ 1631 b, 1632 Absatz 4, §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie in Verfahren, die die Abänderung, Verlängerung oder Aufhebung von nach diesen Vorschriften getroffenen Maßnahmen betreffen, legt das Jugendamt dem Familiengericht den Hilfeplan nach § 36 Absatz 2 Satz 2 vor. In anderen die Person des Kindes betreffenden Kindschaftssachen legt das Jugendamt den Hilfeplan auf Anforderung des Familiengerichts vor.“ Dies ist nachhaltig zu kritisieren. Denn bei einer solchen Gesetzesänderung würde den unterschiedlichen Zielsetzungen des Hilfeplanverfahrens als einem längerfristigen kommunikativen Prozess auf der einen Seite und des familiengerichtlichen Verfahrens zur Abwendung einer konkreten Gefährdungssituation auf der anderen Seite nicht hinreichend Rechnung getragen werden. Die vorgesehenen Vorlagepflichten könnten erheblich negative Auswirkungen auf den Ablauf und die Dokumentation der einzelnen Beiträge und Vereinbarungen im Hilfeplan zeitigen − oder dazu führen, dass im Hilfeplan wichtige Informationen nicht festgehalten würden. Auch könnten entsprechende Vorlagepflichten geeignet sein, das Vertrauensverhältnis zwischen LeistungsadressatInnen und Fachkräften als Basis für einen erfolgreichen Hilfeprozess zu belasten. Von dieser Gesetzesänderung sollte deshalb abgesehen werden. Kurzes Fazit Der KJSG-RegE 2020 enthält eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen, die überwiegend zu begrüßen sind bzw. akzeptiert werden können. Insofern dürften günstige Aussichten dafür bestehen, dass der Deutsche Bundestag noch im Jahre 2021 ein entsprechendes Gesetz beschließt und dass dem dann − anders als 2017 − auch der Bundesrat zustimmt. Letzteres hängt allerdings auch von zahlreichen weiteren, insbesondere finanziellen Faktoren ab − und dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der gigantischen Kostenfolgen aufgrund der Corona-Pandemie. Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz Professor für Rechtswissenschaft Hochschule RheinMain Postfach 3251 65022 Wiesbaden E-Mail: Reinhard.wabnitz@hs-rm.de Literatur Wabnitz, R. J. (2017): Rechtsbeitrag: Zum Regierungsentwurf KJSG vom 12. 4. 2017. Unsere Jugend 7+ 8, 342 - 346
