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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Zwischenruf: Der Geschlechtseintrag ,divers‘ und die stationären Hilfen zur Erziehung
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Ann-Sophie Stählker
Im Dezember 2018 wurde §22 Abs. 3 des Personenstandsgesetzes neu formuliert. Seitdem gibt es für intergeschlechtliche Personen erstmals die Möglichkeit, neben ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ einen weiteren ausformulierten Geschlechtseintrag zu nutzen. Der Geschlechtseintrag ‚divers‘ erweitert somit auf dieser Ebene das aktuell vorherrschende binäre Geschlechtersystem, welches ausschließlich die Einträge ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ umfasst. In der explorativen Studie der Autorin* aus dem Jahr 2020 wurden leitende Fachkräfte der stationären Hilfen zur Erziehung gemäß §34 nach ihren Erfahrungen mit dem Geschlechtseintrag ‚divers‘ befragt und eingeladen, vom Umgang, den Herausforderungen und den Bedarfen in der Praxis zu berichten.
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208 unsere jugend, 73. Jg., S. 208 - 209 (2021) DOI 10.2378/ uj2021.art33d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Zwischenruf: Der Geschlechtseintrag ,divers‘ und die stationären Hilfen zur Erziehung von Ann-Sophie Stählker BA. Soziale Arbeit, Studentin MA. Empowerment Studies Hochschule Düsseldorf Im Dezember 2018 wurde § 22 Abs. 3 des Personenstandsgesetzes neu formuliert. Seitdem gibt es für intergeschlechtliche Personen erstmals die Möglichkeit, neben ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ einen weiteren ausformulierten Geschlechtseintrag zu nutzen. Der Geschlechtseintrag ‚divers‘ erweitert somit auf dieser Ebene das aktuell vorherrschende binäre Geschlechtersystem, welches ausschließlich die Einträge ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ umfasst. In der explorativen Studie der Autorin* aus dem Jahr 2020 wurden leitende Fachkräfte der stationären Hilfen zur Erziehung gemäß § 34 nach ihren Erfahrungen mit dem Geschlechtseintrag ‚divers‘ befragt und eingeladen, vom Umgang, den Herausforderungen und den Bedarfen in der Praxis zu berichten. Die Daten zeigen, dass zwar die Kategorie ‚Geschlecht‘ von hoher Bedeutung in strukturellen und pädagogischen Fragen im Praxisalltag ist, jedoch aus einer rein binären Perspektive. Das äußert sich in der Steuerung der Aufnahmen oder in geschlechtsspezifischen pädagogischen Angeboten, in Form von Mädchen*- und Jungen*gruppen. Eine intergeschlechtliche, non-binäre Geschlechtsidentität ist in den gegebenen Strukturen nicht präsent. Das binäre, tradierte Geschlechtersystem ist handlungsleitend, non-binäre Geschlechtsidentitäten und Sexualität außerhalb der heterosexuellen Norm führen zu Herausforderungen, Überforderung und offenen Fragen seitens der Fachkräfte. Ein Bedarf an Fort- und Weiterbildung hinsichtlich geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in der pädagogischen Praxis wurde von den befragten Sozialarbeiter*innen explizit geäußert. Neben der Geschlechtsidentität ist auch die Sexualität der Kinder und Jugendlichen Thema der Interviews. Dabei ist erkennbar, dass vonseiten der Fachkräfte zwischen der Geschlechtsidentität und der Sexualität ein Zusammenhang hergestellt wird. Die Sexualität der Jugendlichen und der Umgang der Fachkräfte damit gilt als relevanter Bestandteil der Praxis. Hinsichtlich sexueller Bildung wird die Notwendigkeit von Angeboten für die Jugendlichen durch für sie ‚gleichgeschlechtliche‘ Fachkräfte genannt. Diese Angebote sind aus einer binären Perspektive formuliert. Auch sind Alltagsfragen in Bezug auf Sexualität von Jugendlichen meist für heterosexuelle Beziehungen geregelt und es gibt keine übertragbaren Regelungen für beispielsweise homo- oder bisexuelle Beziehungen. Hier wird durch die Befragten der Wunsch laut, Regelungen zu finden und Konzepte zu erweitern. 209 uj 5 | 2021 Geschlechtseintrag ,divers‘ Die Ergebnisse der Studie legen ein Defizit offen, das sich in der Beschränkung der pädagogischen Alltagspraxis auf ein binäres Geschlechtersystem und eine heterosexuelle Norm äußert. Hinsichtlich sexueller Bildung gilt es hier, die bisherige pädagogische Begleitung kritisch zu überarbeiten und geschlechtersensible, nonbinäre Angebote zu entwickeln. Ann-Sophie Stählker, Köln E-Mail: ann-sophie.staehlker@posteo.de 2., aktualisierte Auflage 2021. 355 Seiten. 3 Abb. (978-3-497-02881-8) kt Trans* im Fokus Wie können trans* Personen vor, während und nach ihrer Transition respektvoll und kompetent im Gesundheitssystem beraten und in der Psychotherapie begleitet werden? Dieses Buch hilft bei diesen Anforderungen, indem es die psychosozialen und medizinischen Grundlagen darstellt. Das Buch rückt auch die Perspektiven unterschiedlichster Trans*- Lebensweisen in den Vordergrund, sodass ein Dialog auf Augenhöhe möglich wird. a www.reinhardt-verlag.de
