unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2021.art56d
91
2021
739
Hilfeplanung zeigt Wirkung
91
2021
Kathrin Sommer
Sabine Kohlhof
Die Hilfeplanung stellt das zentrale Steuerungsinstrument des öffentlichen Trägers im Kontext einzelfallbezogener Hilfen zur Erziehung, von Hilfen für junge Volljährige und Eingliederungshilfen nach dem SGB VIII dar, deren fachliche Ausgestaltung ein entscheidender Wirkfaktor für das Gelingen von Hilfen ist. Diesem Thema gilt ein ganz besonderer fachlicher Fokus im Kreis Pinneberg, was in den letzten Jahren zu einer intensiven Weiterentwicklung unserer fachlichen Idee von wirksamer Hilfeplanung beigetragen hat. Wirkungsorientierte Steuerung in der Hilfeplanung meint aus unserer Sicht vor allem, Wirkfaktoren zu erkennen und als Stellschrauben zur Qualifizierung des Prozesses zu nutzen.
4_073_2021_9_0003
354 unsere jugend, 73. Jg., S. 354 - 361 (2021) DOI 10.2378/ uj2021.art56d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Hilfeplanung zeigt Wirkung Die Hilfeplanung stellt das zentrale Steuerungsinstrument des öffentlichen Trägers im Kontext einzelfallbezogener Hilfen zur Erziehung, von Hilfen für junge Volljährige und Eingliederungshilfen nach dem SGB VIII dar, deren fachliche Ausgestaltung ein entscheidender Wirkfaktor für das Gelingen von Hilfen ist. Diesem Thema gilt ein ganz besonderer fachlicher Fokus im Kreis Pinneberg, was in den letzten Jahren zu einer intensiven Weiterentwicklung unserer fachlichen Idee von wirksamer Hilfeplanung beigetragen hat. Wirkungsorientierte Steuerung in der Hilfeplanung meint aus unserer Sicht vor allem, Wirkfaktoren zu erkennen und als Stellschrauben zur Qualifizierung des Prozesses zu nutzen. von Kathrin Sommer Jg. 1991; Studium der Pädagogik und Sonderpädagogik an der Universität Würzburg, Teamleitung im Allgemeinen Sozialen Dienst des Kreises Pinneberg Ein Beispiel aus der Praxis … Wer sich mit Faktoren für wirksame Hilfeplanung beschäftigt, trifft unweigerlich auch auf genau das Gegenteil: Umstände und Faktoren, unter denen Hilfeplanungen und ganze Hilfeverläufe in der pädagogischen Praxis nicht die erhoffte Wirkung zeigen (können). Zugegeben, unser Fallbeispiel ist ein drastisches und wir haben in unserem Archiv extra danach gesucht. Es ist aber trotzdem eins aus dem wahren Leben. Zur Ausgangslage Die Mutter war dem Jugendamt bereits bekannt, da ein Kind durch ihr Verschulden verstorben war. Es gab Hinweise auf Misshandlung, bestehende Bindungsstörungen und Alkoholmissbrauch bei der Mutter. Die Geschwister, Frauke und Frank, zeigten ähnliche geistige und psychische Einschränkungen. Frank (geb. 1996): Im Laufe der Jahre wurden immer wieder aufwendige Hilfesettings für Frank entwickelt, letztlich endete die Hilfe jedoch ohne den erhofften pädagogischen Erfolg durch das Herauswachsen aus der Zuständigkeit von Jugendhilfe. Die Gesamtkosten für den Kreis Pinneberg beliefen sich auf rund 1.250.000 Euro. Bei einer Lebenserwartung von ca. 70 Jahren könnten staatliche Transferleistungen in einer Höhe von bis zu 1.000.000 Euro erforderlich sein. Sabine Kohlhof Jg. 1957; Studium der Sozialen Arbeit in Hamburg, Leitung des Projektes „Weiterentwicklung der Jugendhilfe durch wirkungsorientierte Steuerung“ in der Stabstelle Sozialplanung und Steuerung des Kreises Pinneberg 355 uj 9 | 2021 Hilfeplanung zeigt Wirkung Frauke (geb. 1993): Für Frauke beliefen sich die Kosten für die Betreuung und Versorgung im Rahmen von Kinder- und Jugendhilfe auf rund 330.000 Euro. Diese Kosten umfassten auch die Teilnahme an einem Projekt zur beruflichen Integration. Zum Abschluss der Hilfeleistungen konnte von einer selbstständigen Lebensführung ausgegangen werden. Mit Blick auf solche und ähnliche Fallverläufe und Differenzen in der Kostenentwicklung stellte sich uns im Kreis Pinneberg die Frage, wie es bei zwei Kindern aus einer Familie zu so unterschiedlichen Hilfeplanungen kommen konnte und wie sich infolgedessen Hilfeplanung fachlich weiterentwickeln lässt, um Hilfeverläufe wie Franks zu verhindern. Wie kam es also dazu? Frauke wurde kurz nach dem Tod des ersten Kindes in der Familie geboren. Dieses tragische Ereignis war den MitarbeiterInnen des Jugendamtes noch sehr präsent und handlungsleitend. Außerdem beschränkten sich damals die Interventionsmöglichkeiten in der Regel auf stationäre Hilfen. Eine frühzeitige Unterbringung in einer Pflegefamilie war deshalb der logische Schritt. Glücklich war dann im Verlauf, dass die Pflegefamilie sehr stabil und den Herausforderungen in der Erziehung von Frauke immer gewachsen war. Frank kam drei Jahre später zur Welt. Der tragische Tod des Geschwisterkindes lag jetzt fast fünf Jahre zurück. In die Hilfeplanung wurde die Annahme einbezogen, dass es bei der Mutter in dieser langen Zeit eine positive Entwicklung gegeben haben kann. Diese Überlegung wurde verstärkt durch die Einschätzung einer pädagogischen Fachkraft, die schon seit einiger Zeit die rechtliche Betreuung der Mutter übernommen hatte. Der Einsatz von Sozialpädagogischer Familienhilfe wurde zu dieser Zeit gerade entwickelt und eben diese Fachkraft bot an, als Familienhelferin mit der Familie zu arbeiten. Fachkonzepte, ambulante Teams bei den Trägern und damit verbundenen Austausch, Reflexion und Evaluation gab es noch nicht. Es wurde sich auf die Berichte verlassen - es würde alles gut laufen. Zu spät wurde deutlich, dass die eingesetzte Fachkraft sich ihr Scheitern in ihrer Doppelrolle nicht eingestehen wollte und deshalb nicht frühzeitig den fachlichen Austausch mit den fallführenden Fachkräften im Allgemeinen Sozialen Dienst gesucht hat. Da zuvor noch nie ein Kind tatsächlich in der Familie gelebt hatte, wurde erst im Umgang mit Frank - viel zu spät - das Ausmaß der Erziehungsunfähigkeit der Mutter deutlich. Schwer traumatisiert wurde Frank mit drei Jahren doch aus dem familiären Umfeld herausgenommen. Die gefundene Pflegefamilie konnte ihm nicht gerecht werden und es kam erneut zu einem Wechsel in eine stationäre Einrichtung. Immer wieder stellten im Laufe der Jahre unterschiedliche Einrichtungen fest, dass sie es nicht schafften, den Jungen pädagogisch zu erreichen. Seine Auffälligkeiten und psychischen Probleme verstärkten sich ständig. Letztlich wurde er in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in einem Eins-zu-Eins-Setting und mit einem zusätzlichen Sicherheitsdienst „betreut“. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht uns nicht darum, dass die Hilfen für Frank sehr viel Geld gekostet haben. Manchmal sind mehr Ressourcen notwendig, um Kindern und Jugendlichen unter schwierigen Bedingungen einen guten Start ins Leben zu sichern. Dafür braucht es aber geeigneten Ressourceneinsatz an der richtigen Stelle. Viele Ressourcen für wenig Wirkung - das möchten wir in Zukunft vermeiden. Wir wollen mehr Qualität und mehr Wirkung durch passgenauere Hilfen. Dabei verstehen wir im Kreis Pinneberg Hilfeplanung als entscheidenden Qualitäts- und Wirkfaktor. 356 uj 9 | 2021 Hilfeplanung zeigt Wirkung Qualität durch Qualifizierung Ein wichtiger Bestandteil der Qualitätsentwicklung im Kreis Pinneberg ist eine Qualifizierungsreihe im Kontext der Weiterentwicklung der Jugendhilfe durch wirkungsorientierte Steuerung gemeinsam mit MitarbeiterInnen von öffentlichen und freien Trägern. Das umfassende Qualifizierungsprogramm beinhaltet die aus unserer Sicht wichtigsten Wirkfaktoren wie Ressourcenorientierung, Sozialräumliches Arbeiten und Partizipation. Der gemeinsamen Teilnahme von MitarbeiterInnen des Jugendamtes und freier Träger liegt die Idee zugrunde, sich auf gemeinsame Standards zu verständigen und den Austausch miteinander in der Planung gemeinsamer Hilfen zu verbessern. Von der Möglichkeit einer Betrachtung gemeinsamer Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Funktionen heraus kann in Folge die einzelfallbezogene Hilfeplanung mittel- und langfristig profitieren. Die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung wie auch Sprache trägt zum gemeinsamen Verständnis und ganzheitlichen Verstehen, aber auch zum Abgleich gegenseitiger Erwartungen im Netzwerk bei. Richtig Zielen Zentrales Element für wirkungsorientierte Hilfeplanung in der Praxis ist eine ganzheitliche und ressourcenorientierte Zielerarbeitung. Diese kommt nicht erst in der Einleitung einer Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe oder Hilfe für junge Volljährige zum Tragen, sondern ist leitend für den gesamten Beratungsprozess. Ausgehend von dem Willen der Betroffenen als stärkste Ressource für langfristig wirksame Veränderungen ist das Konzept des Empowerments eine der wichtigsten fachlichen Grundlagen. Hier steht die Idee im Mittelpunkt, Hilfesuchende bei der Erarbeitung von individuellen Lösungswegen so zu begleiten, dass Ressourcen auf persönlicher, sozialer, materieller und institutioneller Ebene genutzt bzw. aktiviert und generiert werden. Die fachliche Ausdifferenzierung gewisser Grundbegriffe ist für das Verständnis von wirksamer Hilfeplanung und Zielerarbeitung im Kreis Pinneberg entscheidend. In Anlehnung an das Konzept nach Lüttringhaus werden ausgehend vom Anliegen der Hilfesuchenden gemeinsam Wünsche und der dahinterstehende zentrale Wille erarbeitet. Erst darauf aufbauend lassen sich konkrete Ziele und in einem weiteren Schritt die Maßnahmen zur Umsetzung unter Berücksichtigung der Ressourcen formulieren. Ausschlaggebend für die Wirksamkeit von Hilfeplanung sind die konsequente Ausrichtung an den Zielen und eine konsequente und lebensweltnahe Erarbeitung der Ziele anhand von Wunsch und Wille. In der Praxis führt häufig die frühzeitige oder teils voreilige Fokussierung auf Maßnahmen und Maßnahmenplanung dazu, dass Hilfeplanung nicht nur an Wirksamkeit einbüßt, sondern dass die Hilfesuchenden mit ihren Anliegen, Wünschen und ihrem Willen wie auch ihren individuellen Ressourcen nicht mehr den Kern des Prozesses darstellen. Auch „natürliche“ Lösungen werden schnell übersehen oder außer Acht gelassen. „Leben ist das, was passiert, während Du dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Ein Ziel ist in diesem Sinne als Teil eines Plans zu sehen - und Pläne müssen veränderbar sein. Wirksamkeit von Hilfen und Hilfeplanung misst sich nicht allein an der Zielerreichung. Vielmehr geht es um die Evaluation von Entwicklungen, die durch die unterschiedlichsten Einflussfaktoren teils weit weg von der eingesetzten Maßnahme passieren können. Hier findet der Ansatz des Capability Approach oder auch Befähigungsansatz nach Nussbaum Anknüpfung. Der Fokus im Kreis Pinneberg liegt hier nicht auf der Frage nach Zielerreichung, sondern auf der Wahrnehmung und Messung von Veränderung. „Richtig Zielen“ meint dann die Ausrich- 357 uj 9 | 2021 Hilfeplanung zeigt Wirkung tung der Hilfeplanung und -gestaltung an den Zielen der Familien und gleichzeitig nicht die Reduzierung von Erfolg auf die Zielerreichung. Sozialpädagogische Diagnostik Jede Hilfeplanung und Zielerarbeitung braucht eine fundierte sozialpädagogische Diagnostik, die auf eine ganzheitliche und mehrdimensionale Betrachtung aufbaut. Das Ergebnis ist nicht statisch, sondern muss im Gegenteil fortwährend ergänzt und überprüft werden. Die intensive Arbeit an einer einheitlichen Sozialpädagogischen Diagnostik bildet das Kernstück der Hilfeplanung. Wirkungsorientierte und wirkungsvolle Hilfeplanung ist mehr als nur ein Gespräch - vielmehr ist sie als ein kontinuierlicher und aktiver Beteiligungs- und Reflexionsprozess zu verstehen. Hier bedeutet die Investition von Ressourcen eine Steigerung der Wirksamkeit. Die Verschiedenheit von Familiensystemen, Problemlagen und Lebensrealitäten begründet bereits die Notwendigkeit verschiedener Methoden und Gesprächssettings - häufig ist es eben nicht mit einem Termin im Amt getan. Im Sinne einer ganzheitlichen Diagnostik soll sichergestellt werden, dass die gesamte Lebenslage von jungen Menschen und ihren Familien systematisch erfasst wird. Durch das Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) wurde in Anlehnung an den Capability Approach nach Nussbaum eine Abfrage zu Befähigungen in allen Lebensbereichen entwickelt. Das Diagnosemodul ist so konzipiert, dass es auch in der Eingliederungshilfe und im Gesundheitswesen eingesetzt werden kann, sodass langfristig ein rechtskreisübergreifender Blick auf Entwicklungen möglich ist. Es werden sowohl die Einschätzungen des jungen Menschen, der Eltern oder anderer wichtiger Bezugspersonen als auch die der Fachkräfte zu jedem Hilfeplangespräch festgehalten. Als Ausgangspunkt werden zum ersten Mal vor der Hilfeplanung die Befähigungen des jungen Menschen und dessen Familie festgehalten. Dabei geht es vor allem darum, wie Kind bzw. JugendlicheR und Familie die eigenen Stärken, Schwächen und Ressourcen selbst sehen und bewerten. Dies wiederholen wir in intensiven Gesprächen mit unterschiedlichen Methoden vor jedem Hilfeplangespräch. Um die Sozialpädagogische Diagnostik und das Verfahren der Wirkungsanalyse in die alltäglichen Arbeitsprozesse des Allgemeinen Sozialen Dienstes zu integrieren, wurden alle dazu notwendigen Dokumente in eine neue Fachsoftware eingebettet. Die gewonnenen Daten werden anonymisiert an die Datenbank des IKJ geleitet und dort ausgewertet. Die MitarbeiterInnen im Allgemeinen Sozialen Dienst erhalten dann für das Hilfeplangespräch einen Bericht darüber, wie sich die Situation des jungen Menschen entwickelt hat. Zusätzlich wird der Hilfeverlauf mit anderen, ähnlichen Ausgangslagen und Hilfesettings in Bezug gesetzt. Möglich sind beispielsweise auch Auswertungen über die Verläufe in bestimmten Hilfesettings, über die Wirkung in Bezug auf unterschiedliche Hilfedauern oder Unterschiede zwischen Hilfen, die in sozialräumliche Netzwerke integriert sind bzw. die diese Möglichkeit nicht haben. In der neuen Fachanwendung sind darüber hinaus auch alle anderen Instrumente für die Hilfeplanung hinterlegt, wie Ressourcenkarten oder strukturierte Protokollvorlagen. Die MitarbeiterInnen aus dem Allgemeinen Sozialen Dienst können darauf zentral zugreifen und diese in der digitalen Fall- oder Familienakte speichern. So wird über die Fachanwendung eine Bündelung aller notwendigen Materialien und Informationen zum Fall für die Hilfeplanung gewährleistet. Die Berichte des IKJ sind keine Handlungsanweisungen. Manchmal gibt es gute Gründe, warum sich eine Familiensituation nicht so verbessert hat, wie es sich alle Beteiligten ge- 358 uj 9 | 2021 Hilfeplanung zeigt Wirkung wünscht hätten. Aber wir kommen auf Basis dessen mit Kindern, Jugendlichen, Familien und Trägern ins Gespräch, können Ursachen für stockende Hilfeverläufe bestimmen und gemeinsam überlegen, wie daran weitergearbeitet werden kann. Wichtig dabei ist auch, dass alle Beteiligten eine eigene Einschätzung abgeben. Es handelt sich also nicht um eine Einschätzung von ausschließlich Fachkräften. Gerade an den Themenfeldern, bei denen die Bewertungen der Beteiligten teils weit auseinanderliegen, kommt es zu den spannendsten und zielführendsten Diskussionen. Kinder, Jugendliche und Familien planen ihre Hilfe also aktiv mit. Mit den Erkenntnissen der Wirkungsanalyse über den Einzelfall hinaus, beispielsweise im Vergleich von Hilfeverläufen bei ähnlicher Ausgangslage, ist es uns möglich, Bedarfe an die Angebotsstruktur festzustellen und mit freien Trägern in die Diskussion über neue zusätzliche Angebote oder konzeptionelle Anpassungen zu gehen. Ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist aber auch, die Wirkung von Hilfen nachzuweisen, Entscheidungen zu begründen und die Ausgaben in den institutionellen Hilfen nicht als ein „Fass ohne Boden“ zu erleben, sondern vielmehr als sinnvolle Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. Arbeiten an und mit Ressourcen Ressourcenorientierte Ansätze sind in der Sozialen Arbeit fast schon „ein alter Hut“. Nicht selten wird dabei jedoch unterschätzt, wie anspruchsvoll diese Ansätze in der pädagogischen Praxis tatsächlich sein können. Je offensichtlicher die Defizite in einem (Familien-) System sind, desto mehr Durchsetzungskraft brauchen die Ressourcenorientierung - und entsprechende Methoden und Konzepte. Im Ressourcencheck werden junge Menschen und ihre Familien unterstützt, bestehende Ressourcen zu entdecken und neue zu aktivieren. Diese stellen nach Lüttringhaus das „Bastelmaterial“ für die Entwicklung von Lösungswegen und Maßnahmen zur Zielerreichung dar. Insbesondere durch die Einbeziehung der Ressourcen aus dem Umfeld und Sozialraum können „natürliche“ Lösungen generiert und Möglichkeiten einer nahen und passgenauen Hilfe genutzt werden. Hilfen, die an den vorhandenen Ressourcen anknüpfen, sind mittel- und langfristig wirksamer. Ein Instrument zur Dokumentation in diesem Kontext ist die Ressourcenkarte. Für die pädagogischen Fachkräfte aus dem Bereich der Jugendhilfe und konkret im Kreis Pinneberg ist die Ressourcenkarte ein zentrales Element, um im Sinne einer wirkungsorientierten Steuerung u. a. die Wirkung ihrer Arbeit und der eingesetzten Methoden zu reflektieren und zu verbildlichen. Mithilfe der Ressourcenkarte kann zudem prägnant skizziert werden, inwieweit auch Ressourcen des Sozialraums aktiviert und erweitert werden konnten. Im Bereich des Kinderschutzes kann ein stringent ressourcenorientierter Ansatz leicht missverstanden werden und mag zunächst schwierig umsetzbar scheinen. Auch in Fällen mit Schutzauftrag sollten jedoch insbesondere Ressourcen herausgearbeitet werden, die für die Klärung oder Abwendung der Gefährdung nützlich sein können. Hierdurch kann sich zeigen, auf welche Möglichkeiten, Fähigkeiten und Ressourcennetze die Personensorgeberechtigten zurückgreifen können, um eine Gefährdung langfristig abzuwenden. Gleichzeitig kommt es insbesondere im Kindesschutz darauf an, durch das „Aufspüren“ bisher ungenutzter Ressourcen Möglichkeiten zur aktiven und nachhaltigen Mitwirkung der Sorgeberechtigten und gleichzeitig zur Kontrolle zu eröffnen. Hier ist ein ressourcenorientierter Ansatz in der Maßnahmenplanung zur Umsetzung von Zielen nicht zu verwechseln mit der Zieldefinition, die am Kindeswohl orientiert und seitens der Fachkräfte klar gerahmt werden muss. 359 uj 9 | 2021 Hilfeplanung zeigt Wirkung Sozialräumlich denken und arbeiten Die erfolgreiche Umsetzung von Sozialraumorientierung ist mehr als eine formale Verlagerung bestimmter Aktivitäten in die Region und nur möglich mit entsprechender räumlicher, technischer, sächlicher und v. a. personeller Ausstattung und idealer Weise rechtskreisübergreifenden Strukturen. Sie hat entscheidende Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Hilfeplanungen und auf eine wirkungsvolle Zielerarbeitung im Einzelfall. Die sozialraumorientierte Jugendhilfe setzt an den Ressourcen der Familie, des familiären Umfelds und der Nachbarschaft an, um Netzwerke im Lebensumfeld zu fördern und Regelsysteme im Sinne „natürlicher“ Lösungen zu stärken. Angebote außerhalb der Jugendhilfe können in das Setting integriert werden. Die zentralen Arbeitsansätze sind Kenntnisse zum jeweils eigenen Sozialraum. Einzelfälle werden intensiver im Feld und im Sinne von Lebensweltorientierung betrachtet und der Bedarf mit Blick auf vorhandene Ressourcen bewertet. Der Zugang hierzu soll niedrigschwellig erfolgen und präventive Projekte sollen gefördert werden. Der Arbeitsansatz verändert sich im Verhältnis von Fall- und Feldarbeit mit dem Ziel, flexiblere und passgenaue Hilfestellung zu ermöglichen. Aus dem fallunspezifischen Wissen über die Angebote im Sozialraum können Familien im Einzelfall unterstützt werden, Zugang zu niedrigschwelligen Angeboten zu finden. Basis ist dabei neben der Analyse von Bedarfen und der systematischen Steuerung und Weiterentwicklung von Angebotsstrukturen die fachliche Auseinandersetzung mit Entwicklung und Angeboten im Sozialraum auch auf Ebene der fallverantwortlichen Fachkräfte. Regelhafter fallunabhängiger Austausch zwischen den Akteuren im Sozialraum und dem öffentlichen Träger wie auch die interdisziplinäre Beratung von Einzelfällen im Netzwerk im Rahmen von Fallteams sind beispielhaft Instrumente, die als ein Baustein für wirksame Hilfe- und passgenaue Maßnahmenplanung genannt werden können. Das Wissen über die Angebotsstrukturen im Sozialraum ist auch ein Wissen über Kompetenzen und besondere Menschen, was in dem einen oder anderen Einzelfall von entscheidender Bedeutung sein kann - gerade dann, wenn es weniger besondere Maßnahmen, sondern vielmehr besondere Menschen braucht. Die Betrachtung im Sozialraum fördert den Zugang zu „natürlichen“ Lösungen im Einzelfall. Hier ist eine wirksame Hilfeplanung nicht nur als aktiver Aushandlungs-, sondern auch als Annäherungsprozess zu verstehen. Im Sinne des Empowerments gilt es, Hilfesuchende in ihren Möglichkeiten stark zu machen und nicht in Abhängigkeit institutioneller Unterstützungssysteme zu bringen, die in ihrer eigentlichen Lebensrealität auch einen Fremdkörper darstellen können. Angebotsberatung Die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen ist die weitreichendste Maßnahme im Rahmen von Hilfen zur Erziehung oder Eingliederungshilfen nach dem SGB VIII. Nach häufig mehreren und teils langjährigen Versuchen mit niedrigschwelligeren Hilfen wird i. d. R. gemeinsam mit den Eltern entschieden, dass ein gelingendes Aufwachsen und eine positive Entwicklung nur in einem neuen Lebensumfeld möglich sind. Hierbei ist es vor dem Hintergrund individueller Bedarfe und Lebensrealitäten von entscheidender Bedeutung, eine passgenaue Einrichtung zu finden. Der Allgemeine Soziale Dienst trägt mit Blick auf stationäre Betreuungskontexte bei der Suche nach der geeigneten und bedarfsgerechten Einrichtung und Unterbringungsform eine hohe Verantwortung. Ein Grund für das Einset- 360 uj 9 | 2021 Hilfeplanung zeigt Wirkung zen einer nicht passgenauen Hilfe kann darin liegen, dass kein passendes Angebot gefunden werden kann bzw. zur Verfügung steht. Mit der Etablierung einer Angebotsberatung im Kreis Pinneberg sollen Informationen und Kompetenzen in diesem Bereich gebündelt und die Suche nach einer geeigneten Einrichtung im Einzelfall effektiver und passgenauer gestaltet werden. Die Qualität in der Auswahl einer Einrichtung hat entscheidenden Einfluss auf die Wirksamkeit der Hilfe und somit auch auf die Kostenentwicklung. In diesem Verständnis ist der Aufbau der Angebotsberatung im Kreis Pinneberg ein wichtiger Bestandteil mit Blick auf die Hilfeplanung. Sprachliche Zugänge Gemeinsame Sprache im Netzwerk der beteiligten Akteure und Professionellen stellt einen Baustein wirksamer Hilfeplanung dar. Und wie der altbekannte Satz sagt: Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg, meint wirksame Hilfeplanung in dieser Hinsicht nicht nur einen dialogischen Prozess, sondern vielmehr auch die Fähigkeit, der Lebenswelt von jungen Menschen und ihren Familien sprachlich begegnen zu können und das nicht nur bezogen auf die Frage nach Herkunft. Der öffentliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe ist nicht nur Behörde, sondern kann und muss auch sprachlich nahbar sein. Insbesondere in der Arbeit mit migrantischen Familien gewinnt Sprache als Wirkfaktor in der Hilfeplanung besonders an Bedeutung. In einer zunehmend durch Multilingualität geprägten Gesellschaft stellt die Vielzahl an gesprochenen Sprachen in Familien die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe vor besondere Herausforderungen. Hier bedarf es der Reflexion und fachlich-fundierten Auseinandersetzung mit der Rolle von Sprachvermittlung und ausreichender Ressourcen. In der Praxis liegt ein besonderer Fokus auf der Ausgestaltung förderlicher Gesprächssettings und der Vor- und Nachbereitung. Fallunspezifisch profitiert die Hilfeplanung im Einzelfall auch hier von aktiver Kooperation und Qualitätsentwicklung gemeinsam mit freien Trägern. Beispielsweise engagiert sich der Kreis Pinneberg in der Qualifizierung der Sprachvermittlung bei freien Trägern in Bezug auf die besonderen Bedarfe in der Hilfeplanung und im Kinderschutz und als Vorbereitung auf Arbeitseinsätze in der Jugendhilfe. Sprache soll an dieser Stelle nur beispielhaft als ein Einflussfaktor neben unterschiedlichen kulturellen Wirklichkeiten, Rollenverständnissen, der Bedeutung migrantischer Netzwerke für die sozialräumliche Arbeit und sicherlich - bei näherer Betrachtung - noch einigen weiteren genannt werden. Kollegiale Beratung Das „Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte“ im § 36 SGB VIII ist nicht nur als formell notwendige Abstimmung in der Auswahl von geeigneten Hilfen und der Hilfeplanung zu sehen, sondern muss deutlich weitreichender gedacht werden. Vor allem geht es darum, echten fachlichen Austausch zu fördern und personelle und zeitliche Ressourcen im Sinne von Wirksamkeit zu investieren. Hier zeigt sich, dass kollegiale Beratung regelmäßigen Raum und Struktur bei gleichzeitiger Methodenvielfalt braucht. Im Kreis Pinneberg wird das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte in der Auswahl geeigneter und passgenauer Hilfen u. a. im Rahmen von Fallteams organisiert. In der Verantwortung der fallführenden Fachkräfte dient die Beratung innerhalb der Fallteams der Reflexion des eigenen Handelns im Fall und der Erarbeitung gemeinsam getragener Lösungsideen. Ergänzend zu anderen Formen kollegialer Beratung wird das Fallteam gezielt vor der Einrichtung einer Hilfe zur Erziehung, Eingliederungshilfe oder Hilfe für junge Volljährige genutzt. 361 uj 9 | 2021 Hilfeplanung zeigt Wirkung Echte Beteiligung Beteiligung in der Hilfeplanung meint, ein aktiver Teil zu sein und sich als dieser zu begreifen. Hier geht es um die Nutzung von und den Zugang zu Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, gleichzeitig aber auch um echte Selbstverantwortung für das eigene Leben. Beteiligung beginnt bei Transparenz in Bezug auf den Prozess der Hilfeplanung sowie auf Rechte und Möglichkeiten. Bereits Rahmenbedingungen der Begegnung und Gespräche wie Ort, Dauer und Anwesenheit von Vertrauenspersonen, aber auch der Einsatz von altersgerechten Methoden haben entscheidenden Einfluss insbesondere auf die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Echte Beteiligung braucht explizit Beteiligungskonzepte - und bleibt vermutlich eine der anspruchsvollsten Aufgaben in der Hilfeplanung. Beteiligung und Transparenz beinhalten aber ebenso den Faktor von fachlich-fundiertem und gleichzeitig authentischem und für die Betroffenen zugänglichem Feedback. Hier muss es auch um eine gewisse Ermutigung von Fachkräften gehen, Beobachtungen mit Bezug zu Möglichkeiten, aber auch Grenzen aufzuzeigen - wirksame Hilfeplanung bedeutet Arbeiten mit und in Lebensrealität und nicht „Schönreden“ von Realitäten. Hilfeplanung zeigt Wirkung - eine Frage von Qualität Hilfeplanung, die sich an der Frage von Wirkung und Wirksamkeit orientiert, orientiert sich immer auch an Fragen zur Qualität. Vordergründig mag Ergebnisqualität hier das entscheidende Kriterium sein, aber letztlich nur eingeschränkt und immer unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren, beeinflussbaren und nicht-beeinflussbaren Umständen und entsprechender Zielerarbeitung. Ein besonderer Fokus muss darüber hinaus auf Faktoren liegen, die zur Strukturqualität beitragen, wie die Verfügbarkeit von personellen und zeitlichen Ressourcen. Eine Investition von Ressourcen in Bezug auf die Auswahl passgenauer Hilfen sowie Hilfeplanung trägt nicht nur zur Wirksamkeit von Maßnahmen, sondern auch positiv zur Kostenentwicklung bei. Der Kreis Pinneberg stellt sich in diesem Verständnis beispielsweise offen der kritischen Auseinandersetzung mit Fallzahlen und der Frage nach Fallzahlenbegrenzungen pro Fachkraft vor dem Hintergrund von Arbeitsqualität und fachlichen Qualitätsansprüchen. Ebenso richtungs- und handlungsleitend sind und bleiben Aspekte der Prozessqualität. In Summe konnte es im Kreis Pinneberg gelingen, tragfähige Fachkonzepte und Standards im Sinne wirksamer Hilfen und Hilfeplanung zu erarbeiten und zu etablieren. Hier sind einige wichtige Schritte getan und gelungen und dennoch ist der Entwicklungsprozess nicht abgeschlossen. Und bei allen fachlichen Standards bleibt der wichtigste Qualitätsfaktor vermutlich die fachliche Haltung. Kathrin Sommer Sabine Kohlhof Kreis Pinneberg Fachbereich Soziales, Jugend, Schule und Gesundheit Kurt-Wagener-Str. 11 25337 Elmshorn E-Mail: k.sommer@kreis-pinneberg.de s.kohlhof@kreis-pinneberg.de
