unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Kinderschutz im Kontext Jugendamt, Verfahrensbeistand und Familiengerichtsbarkeit
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2022
Ludwig Salgo
„Gute professionelle Arbeit verlangt das Gewichten, Abwägen und Auflösen widersprüchlicher Anforderungen, Erwartungen und Zwänge“ (Goldstein/Freud/Solnit 1988, 115)
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62 unsere jugend, 74. Jg., S. 62 - 71 (2022) DOI 10.2378/ uj2022.art11d © Ernst Reinhardt Verlag Kinderschutz im Kontext Jugendamt, Verfahrensbeistand und Familiengerichtsbarkeit „Gute professionelle Arbeit verlangt das Gewichten, Abwägen und Auflösen widersprüchlicher Anforderungen, Erwartungen und Zwänge“ (Goldstein/ Freud/ Solnit 1988, 115) von Dr. jur. Ludwig Salgo Jg. 1946; Seniorprofessor, Fachbereich Erziehungswissenschaften und apl. Professor, Fachbereich Rechtswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Herausgeber und Verfasser zahlreicher Publikationen 1. Einleitung Jüngste Gesetzesreformen in den Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe und für die Familiengerichtsbarkeit haben das Potenzial, die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Justiz wesentlich zu verbessern. Aus guten Gründen kommt das Jugendamt als Teil der Exekutive in manchen Fällen nicht mehr um Entscheidungen der Judikative umhin: Erstens können verfassungsrechtlich geschützte Rechte des Kindes (Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 GG) verletzt oder unmittelbar bedroht sein und über das Gefährdungsabwendungsprimat der Eltern kann die Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen Eltern mit Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe nicht zu erreichen sein. Deshalb können zweitens Eingriffe in die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Elternrechte (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) unausweichlich werden, weil der Staat in einer solchen Situation „nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet [ist], die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen; das Kind hat insoweit einen grundrechtlichen Anspruch auf den Schutz des Staates“ (BVerfG vom 3. 2. 2017 - 1 BvR 2569/ 16). Diese Aufgabe erwächst für die Kinder- und Jugendhilfe wie für die Justiz aus dem staatlichen Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG). Zwar stehen diese beiden Organe hier in einem interdependenten Verhältnis zueinander, dennoch handeln sie jeweils in eigener Fachlichkeit, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Im vom Gewaltenteilungsprinzip bestimmten Rechtsstaat sind Eingriffe in Grundrechte von Dauer und Intensität den unabhängigen Gerichten vorbehalten und nur bei dringender Gefahr und nicht rechtzeitiger Erreichbarkeit der Entscheidung der Justiz ausnahmsweise auch der Exekutive eingeräumt, indes hinsichtlich der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines solchen Eingriffs der möglichst schnellen justiziellen Überprüfung unterworfen (§ 8 a Abs. 2 S. 2 SGB VIII). Dass bereits der Text der Verfassung von 1949 diese Konstellation (an)erkennt und zur Wahrnehmung des „Wächteramts“ auf die staatliche Gemeinschaft - trotz der Erfahrungen in der NS-Ära - setzt und für den Eingriff 63 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit in Elternrechte die gesetzliche Grundlage fordert, spricht für die Zuversicht und Klugheit der Mütter und Väter des GG, ist aber für Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz eine ständige Herausforderung. Einzelfälle, aber auch empirische wie parlamentarische Untersuchungen und interministerielle Arbeitsgruppen haben Probleme im gegenseitigen Verständnis, aber auch mit der jeweiligen Fachlichkeit wie mit den Voraussetzungen, mit Möglichkeiten und Grenzen von Jugendhilfe und Justiz aufgezeigt (Salgo 2018; Münder u. a. 2017). Diese Interdependenz ist im deutschen Recht bereits im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (1922) als „Vormundschaftsgerichtshilfe“ (§ 23 RJWG) vom Grundsatz her angelegt. Im Rahmen der Einführung der Kindesanhörung (1980) wurde die Notwendigkeit von außerrechtlichen Kenntnissen der an den seit 1977 eingeführten Familiengerichten tätigen RichterInnen anerkannt und vom Bundesverfassungsgericht bekräftigt (BVerfG vom 5. 11. 1980 - 1 BvR 349/ 80, BVerfG 55, 171). Nunmehr präzisiert der Gesetzgeber die Regelung zur verpflichtenden persönlichen Anhörung des Kindes und führt wieder die zwischendurch gestrichene Verpflichtung zusätzlich ein, „sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen“ (§ 159 Abs. 1 FamFG). Der Fachdiskurs um die qualifikatorischen Voraussetzungen für die Tätigkeit am Familiengericht beschleunigte sich in den letzten beiden Legislaturperioden und fand seinen Abschluss mit einer im Gerichtsverfassungsgesetz verankerten Fortbildungspflicht in der Familiengerichtsbarkeit mit inhaltlicher Profilierung in rechtlichen und außerrechtlichen Bereichen (§ 23 b Abs. 3 S. 2 und 3 GVG). Über ein ganz ähnliches Profil müssen nunmehr auch die Verfahrensbeistände verfügen, ansonsten sie für diese Ausgabe im familiengerichtlichen Verfahren nicht bestellt werden dürfen (§ 158 a Abs. 1 FamFG). Zudem kommen sich Familiengerichtsbarkeit und Kinder- und Jugendhilfe „näher“, müssen doch in gesetzlich benannten familiengerichtlichen Verfahren, in denen Kindeswohlgefährdungen im Mittelpunkt stehen, die Jugendämter die wesentlichen Inhalte der Hilfepläne dem Familiengericht vorlegen (§ 50 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB VIII). Durch die stufenweise zu vollziehende Integration der behinderten Kinder in die Kinder- und Jugendhilfe wird ohnehin eine fortlaufende Kooperation mit der Gesundheitshilfe, mit anderen Sozialleistungs- und Rehabilitationsträgern oder mit Schulen zum Alltag gehören (Wiesner 2021, 444). Zudem wird in Fällen mit gewichtigen Anhaltspunkten eine gegenseitige Verständigung zwischen Berufsgeheimnisträgern und dem Jugendamt verpflichtend (§ 8 a Abs. 1 Nr. 2; § 4 Abs. 3 KKG; dazu auch Kepert 2021, 452). Erkenntnisse und Erfahrungen aus diesen herausfordernden Kooperationsbeziehungen werden zunehmend auch Eingang in familiengerichtliche Verfahren finden, denn die Jugendämter müssen den Familiengerichten vor einer möglicherweise anstehenden Trennung eines Kindes von der Familie belegen, dass mit anderen ambulanten öffentlichen Hilfen der Gefahr nicht begegnet werden kann (§ 1666 a Abs. 1 BGB). Auch können Familiengerichte schon seit 2008 bei den zur Gefährdungsabwendung zu treffenden erforderlichen Maßnahmen u. a. ein Gebot an die Adresse der Eltern aussprechen, öffentliche Hilfen, insbesondere der Kinder- und Jugendhilfe und/ oder Gesundheitsfürsorge, in Anspruch zu nehmen (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Diese jüngsten Reformen knüpfen zumeist an bereits vorhandenen Ansatzpunkten mit Nachsteuerungen, Feinjustierungen, aber auch eindeutigen Verpflichtungen zu einer stärker interdisziplinär ausgerichteten Wahrnehmung und Maßnahmenwahl an. 2. Fallkonstellationen im Kinderschutz Mitteilung und daran anschließende Feststellung einer Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt führt in der Regel zum Hilfsangebot (§ 8 a Abs. 1 SGB VII) und nicht zur Einschaltung des Familiengerichts. Zumeist sind - wenn auch nicht ohne entsprechende Anstrengungen sei- 64 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit tens der Kinder- und Jugendhilfe - gefährdete Kinder „über ihre Eltern“ erreichbar und es gelingt, die Gefährdungssituationen ohne Einschaltung der Familiengerichte zu überwinden. Das Gesetz lässt hier für das Jugendamt einen verantwortlich wahrzunehmenden Handlungsspielraum: „Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken“ (§ 8 a Abs. 2 S. 1 SGB VIII). Ziel des behördlichen und justiziellen Agierens ist die Beendigung der Kindeswohlgefährdung. Dies geschieht keineswegs immer mit Sorgerechtsentziehungen, die zur Herausnahme des Kindes führen; so endeten z. B. im Jahre 2020 von 31.322 Verfahren gem. §§ 1666, 1666 a BGB 8.842 Verfahren mit Geboten des Familiengerichts an die Eltern, Hilfen zu Erziehung oder der Gesundheitshilfe anzunehmen. Und auch im Verfahren zur Erörterung der Kindeswohlgefährdung (§ 157 FamFG) steht zunächst im Mittelpunkt, das elterliche Gefährdungsabwendungsprimat zu aktivieren und die Hilfeannahmebereitschaft zu steigern. Erst bei Aussichtslosigkeit von Veränderungen steht unverzüglich die Prüfung an, ob einstweilige Anordnungen zu erlassen sind. Zentrale Fallkonstellationen beim Familiengericht, die zur Anhörung bzw. zur Beteiligung des Jugendamtes sowie zur unverzüglichen Bestellung eines Verfahrensbeistands führen können, sind: ➤ §§ 1666, 1666 a BGB (Kindeswohlgefährdung) ➤ § 1631 b BGB (Freiheitsentziehende Maßnahmen und Unterbringungen) ➤ §§ 1632 Abs. 4, 1682 BGB (Verbleibensanordnung beim Pflegebzw. Stiefkind) ➤ § 1671 Abs. 1 BGB ➤ § 1684 BGB (Umgangsrechtlicher Kindesschutz) ➤ Abänderung, Verlängerung, Aufhebung von getroffenen Maßnahmen des Familiengerichts in diesen Bereichen. 3. Reziproke Pflichten von Jugendamt und Familiengericht Die gesetzlichen Regelungen zeigen die Interdependenzen zwischen jugendamtlichem Handeln und familiengerichtlicher Regelung im materiellen und im Verfahrensrecht unmissverständlich auf (Sommer, Das Verhältnis Familiengericht und Jugendamt, 2012): Das Jugendamt unterstützt das Familiengericht und hat an den einschlägigen Verfahren mitzuwirken, über angebotene und erbrachte Leistungen das Gericht zu informieren, erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes oder des/ der Jugendlichen einzubringen und auf weitere Möglichkeiten der Hilfen hinzuweisen; zudem hat es in benannten Konstellationen wesentliche Ergebnisse des Hilfeplans (Ergebnis der Bedarfsfeststellung, die vereinbarte Art der Hilfegewährung einschließlich der hiervon umfassten Leistungen) in das familiengerichtliche Verfahren einzubringen (§ 50 Abs. 1 und 2 SGB VIII). Für das Familiengericht gilt u. a. die Pflicht zur Anhörung und Beteiligung des Jugendamtes in Gefährdungsverfahren oder in anderen Verfahren auf dessen Antrag (§ 162 FamFG). Diese von Gesetzes wegen zwingend vorgeschriebene Kommunikation ist aus unterschiedlichen Gründen herausfordernd und gelingt nur unter bestimmten Voraussetzungen: Rechtskenntnisse, gegenseitiges Verstehen der Fachlichkeit, der Aufgaben und Standards, der Begrifflichkeiten, der Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen Kooperationspartners. 4. Bedeutung der Hilfepläne für das familiengerichtliche Verfahren Bei der kindschafts-, jugendhilferechtlichen wie familienverfahrensrechtlichen Ausrichtung der gesetzlichen Regelungen wundert es, dass die nunmehr eingeführte Vorlagepflicht 65 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit der wesentlichen Teile zu den Feststellungen und Ergebnissen des Hilfeplans im Gesetzgebungsverfahren kontrovers war (Stellungnahme der Kinderrechtekommission des DFGT, FamRZ 2021, 13). Ob und vor allem mit welchen Einschätzungen, Hilfen und Ergebnissen das Jugendamt vor Anrufung des Gerichts bereits agiert hat bzw. nunmehr noch Möglichkeiten für weitere Hilfen sieht und was es vorhat, das sind grundlegende Informationen, deren Einholung und Berücksichtigung sogar verfassungsrechtlich für das Familiengericht geboten sind. Die Vorlagepflicht erleichtert es dem Jugendamt, eine den fachlichen Standards entsprechende Vorgehensweise zu belegen. Das Jugendamt ist verpflichtet worden, dem Familiengericht in benannten Verfahren sowie auch bei Verfahren zur Abänderung, Verlängerung oder Aufhebung der Maßnahmen die Hilfepläne unaufgefordert vorzulegen (§ 50 Abs. 2 S. 2 SGB VIII). In anderen Kindschaftssachen, in denen das Jugendamt mitwirkt, müssen die Hilfepläne auf Aufforderung durch das Familiengericht vorgelegt werden (§ 50 Abs. 2 S. 3 SGB VIII). „Hilfeplanung und Hilfeplan“ (Schmid 2004) - im Rahmen einer ziel- und zeitgerichteten und geplanten Intervention - gelten inzwischen im Rahmen einer kontinuitätssichernden Hilfe (permanency planning) in vielen Ländern als zentrale und bewährte Methode und als ein wichtiges Instrument mit vielfältigen Intentionen in komplexen Situationen (Diouani-Streek 2015). In immer mehr Ländern, vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis, hat sich bewährt, dass die wegen Grundrechtsrelevanz einzuschaltenden Gerichte im Kontext von Kindeswohlgefährdung immer überprüfen müssen, ob und warum es den Behörden nicht gelungen ist, mit ambulanten Hilfen ohne Eingriffe in Elternrechte die Kindeswohlgefährdung zu überwinden. Bei dieser Aufklärung hat der Hilfeplan als Ergebnis der Hilfeplanung der Behörden auch in vielen Ländern inzwischen Eingang in gerichtliche Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung gefunden, d. h. dass dieser dem Gericht vorgelegt werden muss. Es handelt sich dabei um eine sinnvolle Konkretisierung und Ergänzung von § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, der bereits vom Jugendamt die Unterrichtung des Gerichts „über angebotene und erbrachte Leistungen“, das Einbringen „erzieherische[r] und soziale[r] Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes und Jugendlichen“ und den Hinweis „auf weitere Möglichkeiten der Hilfe“ einfordert. Hier handelt es sich bereits um weit sensiblere Informationen als die vom Gesetz benannten und vorzulegenden Inhalte eines Hilfeplans: Der Hilfeplan enthält gem. § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII „Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen“ und ist das zentrale Ergebnis eines partizipativ zu gestaltenden Prozesses der Hilfeplanung, an dem die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, der/ die Personensorgeberechtigte(n) und das Kind oder der/ die Jugendliche teilnehmen. Der Hilfeplan baut auf einer „sozialpädagogischen Diagnostik“ (Harnach 2022) auf, die häufig in Gefährdungsfällen zusätzlich Erkenntnisse aus dem Gesundheitsbereich einbeziehen müsste. Mehrfach verweist das zivilrechtliche Kindesschutzrecht auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (§§ 1666 Abs. 3 Nr. 1; 1666 a Abs. 1 S. 1 BGB: § 157 FamFG). § 1666 a Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet das Familiengericht vor Anordnung einer Maßnahme, die mit einer Trennung des Kindes von der Familie verbunden ist, stets zu prüfen, ob „der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann“. Dieselbe Prüfungspflicht besteht für das Familiengericht vor der Genehmigung einer „Unterbringung des Kindes, die mit Freiheitsentziehung“ bzw. „freiheitsentziehenden Maßnahmen verbunden ist“ (§ 1631 b Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 BGB). 66 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit Mit dieser „Konkretisierung des Grundsatzes der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit“ hat der Gesetzgeber „erstmalig eine Verschränkung familiengerichtlicher Kindesschutzmaßnahmen mit dem System öffentlicher […] Sozialleistungen ausdrücklich“ (Staudinger-Coester 2020, § 1666 a Rn 1) anerkannt und die „auf Gefahrenabwehr gerichtete Prüfungspflicht des FamG (§ 26 FamFG) erweitert“ (ebd., Rn 2). Dieser intensivierten Überprüfungspflicht kann das FamG nur nachkommen, wenn es vollständig über die bisherigen und aktuellen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zur Gefährdungsabwendung informiert wird (ebd., Rn 304 a). Zu dieser vom BVerfG eingeforderten intensivierten Überprüfungspflicht gehört insbesondere die Transparenz der Abwägungsprozesse der Kinder- und Jugendhilfe, der Nachweis und die Dokumentation der Angebote und ggf. deren Scheitern und dessen Ursachen (BVerfG 3. 2. 2017 - 1 BvR 2569/ 16). Auch im verfahrensrechtlichen Kontext der Erörterung der Kindeswohlgefährdung (§ 157 FamFG) haben Möglichkeiten und Grenzen der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe wie die Haltung der Eltern eine entscheidende Bedeutung, um z. B. über die Chancen von familiengerichtlichen Geboten an die Eltern zu befinden (Staudinger-Coester 2020, § 1666 a Rn 9; Berneiser 2015). Die Vorlagepflicht der zentralen Ergebnisse des Hilfeplans an die Familiengerichte schafft mehr Transparenz, erspart Rückfragen, unterstützt die Ermittlungspflichten des FamG, dessen Vorgehensweise zudem noch vom Grundsatz der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) wie vom Vorrang- und Beschleunigungsgebot (§ 155 FamFG) bestimmt wird. Die Ergebnisse kinder- und jugendbehördlicher Anstrengungen und deren Dokumentation (§ 37 c Abs. 4 S. 1 und 2) im Vorfeld gerichtlicher Verfahren spielen eine erhebliche Rolle auch und gerade im familiengerichtlichen Prognose- und Abwägungsprozess (z. B. bei §§ 1632 Abs. 4, 1696 Abs. 4, 1687 a Abs. 2 BGB). Die Grundlage hierfür wird durch die Vorlage der benannten Inhalte der Hilfepläne wesentlich erleichtert und erweitert. Ein Hilfeplan, der sich an den gesetzlich geforderten und damit eingeschränkten Inhalten (§ 36 Abs. 2 S. 2 und § 50 Abs. Abs. 2 S. 3 SGB VIII) orientiert, läuft auch nicht Gefahr, sozialdatenschutzrechtliche Grenzen zu verletzen. Als vorläufig abschließendes Dokument darf der Hilfeplan nicht mit dem Hilfeplanungsprozess oder mit Protokollen dieses Vorgangs verwechselt werden. Der vorzulegende Teil des Hilfeplans dokumentiert „nur“ die Ergebnisse der Hilfeplanung, nicht aber den Verlauf des Aushandlungsgeschehens, und somit allein die für das familiengerichtliche Verfahren relevanten Informationen. Eine Erweiterung des Umfangs des Hilfeplans über den notwendigen Inhalt hinaus wäre unzulässig (Kunkel/ Kepert 2016, in LPK-SGB VIII, § 36 Rn 46). Nur die vom Gesetz benannten und somit zulässig erhobenen Daten dürfen im Hilfeplan gespeichert und dem Familiengericht im vom Gesetz benannten Umfang übermittelt werden. Diese im Rahmen der kinder- und jugendhilferechtlichen Tätigkeit des Jugendamtes zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zulässigerweise erhobenen Daten, d. h. konkret die zentralen und im Hilfeplan dokumentierten Ergebnisse der Hilfeplanung, müssen - im vom Gesetz ausdrücklich eingeschränkten Umfang - dem ebenfalls in Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht tätigen Familiengericht zur Erfüllung der Aufgaben vom Jugendamt als selbstständigen Akteuren des staatlichen Wächteramts übermittelt werden. In Wahrnehmung dieses Auftrags stehen Jugendamt und Familiengericht in einem interdependenten Verhältnis (Salgo 2016, 191). Während dem Jugendamt in zivilrechtlichen Kindesschutzverfahren gem. §§ 1666, 1666 a BGB als Beteiligtem am Verfahren des Familiengerichts ein Akteneinsichtsrecht in die Gerichtsakten zusteht, ist dem Familiengericht ein Akteneinsichtsrecht in die kinder- und jugendbehördlichen Akten aus guten Gründen verwehrt, woran sich die funktionalen Unterschiede dieser beiden Akteure, auch wenn sie in einer Verantwortungsgemeinschaft zur Bewahrung des Kindeswohls stehen, deutlich zeigen. 67 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit Auf die vom Gesetz benannten Inhalte des Hilfeplans gem. § 36 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII muss in § 50 Abs. 2 Satz 3 im Kontext der Vorlagepflicht explizit verwiesen werden. Durch die Vorlage dieser Informationen aus dem Hilfeplan an das Familiengericht wird die Funktionsaufteilung zwischen Jugendamt und Familiengericht nicht infrage gestellt, vielmehr hinsichtlich der Wahrnehmung der jeweiligen gesetzlichen Aufgaben ein gegenseitiges Verständnis gestärkt. 5. Die Qualifikationsoffensive: Gesetzliche Anforderungen an FamilienrichterInnen und Verfahrensbeistände Bereits aus der Darstellung dieses anspruchsvollen Zusammenwirkens zwischen Jugendhilfe und Justiz wird klar, dass für ein Gelingen zahlreiche Voraussetzungen gegeben sein müssen. Mit dem Bundeskinderschutzgesetz und dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz konzentrierte sich der Gesetzgeber auf Verfahren der Kinder- und Jugendhilfe zur Kindeswohlbewahrung, brach aber zugleich die Versäulung der Systeme Kinder- und Jugendhilfe, Schule und Gesundheit endlich auf, nahm auch Träger und Einrichtungen in die Pflicht und unterstützt andere im beruflichen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen stehende Personen hinsichtlich der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung. Insoweit erfahrene Fachkräfte müssen (seit 2005) von Trägern und Einrichtungen in der Kinder- und Jugendhilfe hinzugezogen werden und werden als Rechtsanspruch Berufsgeheimnisträgern, LehrerInnen und anderen mit Kindern in beruflichem Kontakt stehenden Personen nahegelegt. Bedenklicherweise werden die Kriterien für die Qualifikation der beratend hinzuzuziehenden insoweit erfahrenen Fachkraft den Vereinbarungen auf der örtlichen Ebene überlassen (§ 8 a Abs. 4 S. 2 SGB VIII); es finden sich keinerlei Mindeststandards für die Profilierung, obwohl diese „insoweit erfahrenen Fachkräfte“ entscheidend zum wirksamen Kinderschutz beitragen könnten, indem sie Einrichtungen, Dienste wie z. B. Tagesbetreuungseinrichtungen, nunmehr auch Tagespflegepersonen, Berufsgeheimnisträger insbesondere aus den Gesundheitsberufen und LehrerInnen u. a. beraten. Hinsichtlich der beruflichen Profilierung und Qualifizierung der Fachkräfte zum Kinderschutz in den Jugendämtern finden sich in den Reformgesetzen kaum explizite Aussagen. Immerhin müssen die Einschätzungen von Kindeswohlgefährdungen beim Jugendamt wie auch die Hilfeplanung im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte erfolgen (§§ 8 a Abs. 1 S. 1, 36 Abs. 2 S. 1 SGB VIII). Ein Vertrauen auf das Fachkräftegebot und auf die Fortbildungspflicht der öffentlichen Träger (§ 72 Abs. 1 SGB VIII) scheint dem Gesetzgeber ausreichend, als ob Kinderschutzmodule in den Ausbildungen der Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, der Gesundheitsberufe oder der LehrerInnen bereits eine Selbstverständlichkeit wären (Berneiser/ Bartels 2016, 440 und 2017, 4). 5.1 Fortbildungspflicht für Familienrichter/ innen Zunehmend wurde das Thema „Kindeswohlgefährdung“ Gegenstand der Fortbildung in immer mehr Bereichen - ein begrüßenswerter Trend, der aber keineswegs bisher systematisch für die benannten Berufsfelder die Aus- und Fortbildung zu diesem Themenkomplex flächendeckend absichert. Immerhin sieht die Berufsordnung für die Ausbildung von PädiaterInnen Kinderschutz als ein Pflichtthema vor (Herrmann 2019, 854). Vor diesem Hintergrund ist die Qualifikationsoffensive des Bundesgesetzgebers (Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder Art. 3 a) hinsichtlich der Voraussetzungen einer Tätigkeit bei den Familiengerichten der Amtsgerichte wie bei den Familiensenaten der Oberlandesgerichte bemerkenswert: 68 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit § 23 b Absatz 3 Satz 2 und 3 und § 119 Absatz 2 GVG „Richter in Familiensachen sollen über belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Familienrechts, insbesondere des Kindschaftsrechts, des Familienverfahrensrechts und der für das Verfahren in Familiensachen notwendigen Teile des Kinder- und Jugendhilferechts sowie über belegbare Grundkenntnisse der Psychologie, insbesondere der Entwicklungspsychologie des Kindes, und der Kommunikation mit Kindern verfügen. Einem Richter, dessen Kenntnisse auf diesen Gebieten nicht belegt sind, dürfen die Aufgaben eines Familienrichters nur zugewiesen werden, wenn der Erwerb der Kenntnisse alsbald zu erwarten ist.“ Die regierungsamtliche Begründung zu diesem Gesetz weist auf die Notwendigkeit für diese Anforderungen: „Dies ist in Anbetracht der grundrechtssensiblen Materie und der erheblichen Auswirkungen, die kindschaftsrechtliche Entscheidungen langfristig auf das Leben eines Kindes und seiner Familienangehörigen haben können, gerade vor dem Hintergrund problematisch, dass das Familienrecht und -verfahrensrecht in der juristischen Ausbildung als Pflichtstoff nur in seinen Grundzügen behandelt werden“ (BT-Drs. 19/ 23707, 24). Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verschweigt keineswegs, dass auf die Bundesländer ein beachtlicher, aber nur schwer einzuschätzender Mehraufwand zukommt und dass für die „Umsetzung der inhaltlichen Konkretisierung der besonderen Qualifikationsanforderungen nach §23b Absatz 3 Satz 3 und 4 GVG“ ein erheblicher Aufwand erforderlich ist: „Umsetzung der inhaltlichen Konkretisierung der besonderen Qualifikationsanforderungen nach § 23 b Absatz 3 Satz 3 und 4 GVG-E: ➤ Konzipierung und Bereitstellung geeigneter Lerninhalte; ➤ Bereitstellung einschlägiger dienstbegleitender Fortbildungsangebote; ➤ Reisekosten wegen Wahrnehmung von Fortbildungsangeboten; ➤ personalwirtschaftlicher Aufwand für die Bewertung einschlägiger Kenntnisse; ➤ personalwirtschaftlicher beziehungsweise -organisatorischer Aufwand aufgrund § 23 b Absatz 3 Satz 3 und 4 und § 119 Absatz 2 GVG-E zur Gewährleistung der Qualifikationsanforderungen bei erstmaligem Einsatz in der Familiengerichtsbarkeit“ (BT-Drs. 19/ 23707, 32). Auf die für die Justizorganisation verantwortlichen Bundesländer, die Direktorien und Präsidien der Gerichte kommen mit der ab 1. 1. 2022 in Kraft tretenden Regelung beträchtliche Herausforderungen zu: Aus den gesetzlich festgelegten Fortbildungspflichten erwächst ein „Recht auf Fortbildung“ und auf entsprechende Entlastung, zudem die Bereitstellung bzw. Zugangsermöglichung durch die Landesjustiz. Gesetzliche Anforderungen an die Qualifikation des adressierten Personals und der damit erforderliche Mehraufwand wurde in der Reformgesetzgebung in der Kinder- und Jugendhilfe so deutlich und detailliert wie hier kaum angesprochen. Es sei nur an die kaum überschaubare und fehlende bundeseinheitliche Fallzahlberechnung im Allgemeinen Sozialdienst erinnert und auch an das Erstaunen darüber, dass der Bundesgesetzgeber (2012) eine Fallzahlbemessung mit der Höchstzahl 50 in der Amtsvormundschaft eingeführt hatte (§ 55 Abs. 2 S. 4 SGB VIII). Erstmals stehen die fachlichen Qualifikationsanforderungen an eine Tätigkeit im Gesetz: „[…] die Aufgaben eines Familienrichters nur zugewiesen werden, wenn der Erwerb der Kenntnisse alsbald zu erwarten ist“ (§ 23 b Abs. 3 S. 3 GVG). Noch können und werden sich die für die Implementation Verantwortlichen ins „alsbald“ flüchten müssen. Kaum überschaubar ist derzeit das Ob, Wie und der Aufwand in diesem Prozess in den Bundesländern; untätig scheinen die Verantwortlichen keineswegs zu sein. Zu prüfen sein wird zudem, wie sich die gewachsenen Anforderungen auf die Arbeitsbelastung in der Familiengerichtsbarkeit auswirken: Bisher gibt das Bemessungssystem aufgrund einer Mischkalkulation dem/ der Fa- 69 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit milienrichterIn 237 Minuten (pwc 2014). Diese Berechnungsgrundlage wird aufgrund der Mehraufwände zu überprüfen sein. Auch werden RichterInnen in der Familiengerichtsbarkeit wegen der erheblichen psychischen Belastung Rechtsansprüche auf Supervision, Balintgruppen u. ä. entlastende Hilfestellung zugestanden werden müssen. Dies gilt selbst dann, wenn die Universitäten und Hochschulen in den einschlägigen Studiengängen „Kindesschutz“ als Pflichtmodul etabliert haben werden, eine trotz beispielgebender erster Ansätze noch längst nicht eingelöste Aufgabe. 5.2 Fortbildungspflicht für Verfahrensbeistände In den neuen differenzierten Regelungen zur Verfahrensbeistandschaft finden sich für diese Tätigkeit nunmehr auch im Einzelnen benannte Qualifikationsanforderungen (Salgo 2020, Rn 39), welche die Voraussetzung für die Bestellung durch das Familiengericht sind: Gem. § 158 a Abs. 1 FamFG darf vom Familiengericht für die Aufgabenwahrnehmung als geeigneter Verfahrensbeistand nur eine Person bestellt werden, die über „Grundkenntnisse auf den Gebieten des Familienrechts, insbesondere des Kindschaftsrechts, des Verfahrensrechts in Kindschaftssachen und des Kinder- und Jugendhilferechts, sowie Kenntnisse der Entwicklungspsychologie des Kindes hat und über kindgerechte Gesprächstechniken verfügt. Die nach Satz 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sind auf Verlangen des Gerichts nachzuweisen. Der Nachweis kann insbesondere über eine sozialpädagogische, pädagogische, juristische oder psychologische Berufsqualifikation sowie eine für die Tätigkeit als Verfahrensbeistand spezifische Zusatzqualifikation erbracht werden. Der Verfahrensbeistand hat sich regelmäßig, mindestens alle zwei Jahre, fortzubilden und dies dem Gericht auf Verlangen nachzuweisen.“ Die gesetzlichen Anforderungsprofile an Verfahrensbeistände sind sinnvollerweise nahezu identisch mit denjenigen von FamilienrichterInnen. Im Jahr 2020 wurden bei den Amtsgerichten und Oberlandesgerichten insgesamt 111.726 Verfahren in Kindschafts-, Abstammungs- oder Adoptionssachen erledigt, in denen ein Verfahrensbeistand bestellt war. Mit den nunmehr geforderten diversen Kenntnissen will der Gesetzgeber erreichen, dass nur solche „Personen bestellt werden, welche für die verantwortungsvolle Aufgabe ausreichend qualifiziert sind, sodass hinreichend gewährleistet ist, dass in einer vielfach für das Kind schwierigen und belastenden Situation die Interessen des Kindes festgestellt und im Verfahren zur Geltung gebracht werden“. Insbesondere die Kenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungspsychologie und der Gesprächsführung sollen gewährleisten, dass der Verfahrensbeistand in der Lage ist, in einer dem Alter des Kindes entsprechenden Weise die persönliche Sicht des Kindes, seine Wünsche, Bindungen, Neigungen und Ängste zu erkennen, zu werten und entsprechend in das Verfahren einzubringen und zudem bei einer Kollision zwischen Kindeswille und Kindeswohl die Interessen des Kindes im Verfahren angemessen dazulegen (BT-Drs. 19/ 23707, 54.). Überwiegend beschreiben Kinder und Jugendliche ihre Erfahrungen mit Verfahrensbeiständen als positiv (Stötzel 2005). Ebenso wissen die Familiengerichte und die Jugendämter die eigenständige Interessenvertretung weitgehend zu schätzen (Rabe 2007, 437), was nicht heißt, dass keine Verbesserungsbedarfe bestehen (Salgo 2020, Rn 20). Der Bundesfinanzhof stellte bereits im Kontext der umsatzsteuerrechtlichen Würdigung der Tätigkeit von Verfahrensbeiständen im Jahre 2019 fest, dass „an der Tätigkeit eines Verfahrensbeistandes in Kindschaftssachen […] ein besonderes Gemeinwohlinteresse“ besteht (Bundesfinanzhof 17. 7. 2019, V R 27/ 17). Die regierungsamtliche Begründung geht von „überragender Bedeutung […] für das Kind“ aus, „da er als Interessenvertreter des Kindes die Person im Verfahren ist, die die Interessen des Kindes in den Blick nehmen und dem Kind im 70 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit Verfahren eine Stimme geben soll“ (BT-Drs. 19/ 23707, 54). In- und ausländische Forschung belegt den nicht unerheblichen Einfluss von Verfahrensbeiständen auf die fachgerichtlichen Verfahren in der Familiengerichtsbarkeit (Salgo 1996). Deshalb war es richtig, in den gesetzlichen Leitlinien für die Auswahl der Person des Verfahrensbeistands nicht nur die beschriebene fachliche Eignung aufzunehmen, sondern auch die persönliche Eignung und Integrität im Gesetz (§ 158 a Abs. 2 FamFG), soweit dies möglich ist, sicherzustellen: ➤ Persönlich geeignet ist, wer die Gewähr bietet, die Interessen des Kindes gewissenhaft, unvoreingenommen und unabhängig wahrzunehmen und ➤ durch die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nachweist, dass keine Eintragung über eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer genannten Straftat vorliegt. Ob bereits „die meisten Verfahrensbeistände über geeignete und belegbare berufliche Grundsowie notwendige Zusatzqualifikationen“ (BT-Drs. 19/ 23707, 29) verfügen, ist nicht sicher und auch nicht, wie hoch die von den Verfahrensbeiständen zu tragenden Kosten für die geforderte Zusatzqualifikation und die regelmäßige Fortbildung sind. 6. Resümee Die beachtlichen Veränderungen knüpfen einerseits an vorhandenen Ansatzpunkten in den gesetzlichen Regelungen an und schreiben diese mit Nach- und Feinjustierungen fort, deren Notwendigkeit offensichtlich geworden war. Andererseits muss die Einführung von Qualifikationsanforderungen an eine Tätigkeit beim Familiengericht auch im internationalen Vergleich als beispielgebend gelten; das gilt auch für die verpflichtende Profilierung in der Verfahrensbeistandschaft. Bemerkenswert an diesen Reformgesetzen ist die Ausweitung und Verdeutlichung der Partizipation sowie eine interdisziplinär ausgerichtete Wahrnehmung der Handlungsaufträge wie der Maßnahmenwahl. Die Kinder- und Jugendhilfe und die Familiengerichtsbarkeit kommen sich - ohne eine Aufgabenvermischung - unter Beachtung der je eigenen Fachlichkeit, Unabhängigkeit und Eigenständigkeit in Kenntnis und Anerkennung der Interdependenzen näher. Die Einführung verpflichtender Qualifikationsmerkmale für die Tätigkeit beim Familiengericht verletzt keineswegs die so fundamentale richterliche Unabhängigkeit, sondern stärkt sie. Auf jeden Fall erfordern diese jüngsten Reformen enorme Anstrengungen, Umsetzungsbereitschaft und vielfältige Ressourcen, soll die „Qualifikationsoffensive“ zu einer wirklichen Verbesserung des Kinderschutzes in Jugendhilfe und Justiz führen. Die nächsten Jahre der Implementation werden anstrengend; die Anstrengungen könnten sich lohnen. Prof. Dr. Ludwig Salgo Goethe Universität Fachbereich Rechtswissenschaft und Fachbereich Erziehungswissenschaften Senckenberganlage 31 60325 Frankfurt am Main Literatur Berneiser, C. (2015): Die verfahrensrechtliche Neuregelung der Erörterung der Kindeswohlgefährdung in § 157 FamFG. Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung in der familiengerichtlichen Praxis. Peter Lang, Bern Berneiser, C., Bartels, M. (2016 u. 2017): Interdisziplinäre Lehre im Kinderschutz. ZKJ 12 u. 13, 440-444 u. 2017, 4-7 Diouani-Streek, M. (2015): Kontinuität im Kinderschutz - Perspektivplanung für Pflegekinder. Lambertus, Freiburg 71 uj 2 | 2022 Jugendamt und Familiengerichtsbarkeit Harnach, V. (2022): Psychosoziale Diagnostik in der Jugendhilfe. Grundlagen und Methoden für Hilfeplan, Bericht und Stellungnahme. Beltz Juventa, Weinheim Herrmann, B. (2019): Kinderschutz in der Medizin - ein neues Fachgebiet? Monatsschrift für Kinderheilkunde 167, 854 - 855 Kepert, J. 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