unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Partizipation in stationären Erziehungshilfen aus der Perspektive junger Menschen
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2022
Stefan Eberitzsch
Samuel Keller
Julia Rohrbach
Die Perspektive von AdressatInnen der Sozialen Arbeit zu berücksichtigen, ist für die Qualität der Angebotsgestaltung essenziell. Der Einbezug junger Menschen in stationären Erziehungshilfen ist vor allem aber auch für ihr Wohlergehen und ihr Aufwachsen relevant. Doch trotz Verankerung von Partizipation in den Kinderrechten werden diese noch nicht ausreichend in ihrer Alltagsgestaltung einbezogen, was sich auf ihre psychosoziale Gesundheit, ihre Akzeptanz der Hilfen und das Miteinander negativ auswirken kann. Das Projekt „Wie wir das sehen“ hat Beteiligungserfahrungen junger Menschen untersucht und erste Schlussfolgerungen und Materialien für die Praxis abgeleitet, die hier vorgestellt werden.
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209 unsere jugend, 74. Jg., S. 209 - 220 (2022) DOI 10.2378/ uj2022.art30d © Ernst Reinhardt Verlag von Stefan Eberitzsch Jg. 1969; Dr. phil., Dozent und Forscher am Departement Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW ), Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre: Theorie und Empirie der Kinder- und Jugendhilfe, Hilfen zur Erziehung Partizipation in stationären Erziehungshilfen aus der Perspektive junger Menschen Ergebniseinblicke in ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt aus der Schweiz Die Perspektive von AdressatInnen der Sozialen Arbeit zu berücksichtigen, ist für die Qualität der Angebotsgestaltung essenziell. Der Einbezug junger Menschen in stationären Erziehungshilfen ist vor allem aber auch für ihr Wohlergehen und ihr Aufwachsen relevant. Doch trotz Verankerung von Partizipation in den Kinderrechten werden diese noch nicht ausreichend in ihrer Alltagsgestaltung einbezogen, was sich auf ihre psychosoziale Gesundheit, ihre Akzeptanz der Hilfen und das Miteinander negativ auswirken kann. Das Projekt „Wie wir das sehen“ hat Beteiligungserfahrungen junger Menschen untersucht und erste Schlussfolgerungen und Materialien für die Praxis abgeleitet, die hier vorgestellt werden. Partizipation gilt als ein wichtiger Faktor, um Qualität und Wirksamkeit von Angeboten der Hilfen im besten Interesse der Kinder zu gewährleisten. Darin spiegelt sich nicht nur eine Prämisse moderner Pädagogik wider (Thiersch 2014), sondern seit der Ratifizierung der UN- Kinderrechtskonvention auch das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Partizipation (UN-KRK, Art. 12). So hat jüngst ein Forschungs- Samuel Keller Jg. 1981; Dr. phil., Dozent und Forscher am Departement Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW ), Arbeitsschwerpunkte in Forschung und Lehre: Junge Menschen und Kindeswohl in stationärer Kinder- und Jugendhilfe, in Adoptivfamilien sowie im Kontext von Flucht Julia Rohrbach Jg. 1990; M. Sc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW ), Arbeitsschwerpunkte: Stationäre Kinder- und Jugendhilfe mit dem Fokus auf Partizipation und Missbrauch 210 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen review der AutorInnen (Eberitzsch et al. 2021) gezeigt, dass im internationalen Fachdiskurs zu stationären Erziehungshilfen zunehmend die Frage in den Fokus rückt, ob die Rechte der Kinder auf Partizipation und Schutz tatsächlich auch realisiert und insbesondere von den jungen Menschen erfahren werden. Dabei scheint eine vermehrte Beschäftigung der Forschung mit Sichtweisen junger Menschen in Heimerziehung auf ihre Beteiligung vor allem von zwei Entwicklungen angetrieben zu sein: Zum einen von den sich ausdifferenzierenden fachlichen Diskursen zur UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK), deren Auswirkungen in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendhilfe in konkreten Konzeptionen und Ansätzen, aber auch in angepassten gesetzlichen Vorgaben erkennbar sind (Feist-Ortmanns/ Macsenaere 2020). Dazu gehört auch, dass Kinder und Jugendliche zunehmend als soziale AkteurInnen anstatt als überwiegend passive, entwicklungs- und schutzbedürftige Objekte von Hilfen wahrgenommen werden. Zum anderen wird die fachliche Diskussion zur Partizipation von neueren Erkenntnissen angetrieben, die Projekte zur historischen Aufarbeitung der problematischen Heimgeschichte in vielen Staaten hervorgebracht haben (Wright et al. 2020). Die aus dieser Entwicklung resultierenden Erkenntnisse haben im Fachdiskurs zu einer Sensibilisierung gegenüber heutigen institutionellen Mechanismen sowie zu Fragen nach angemessenen Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren und zur Entwicklung von Schutzkonzepten geführt (Equit 2017; Wolff et al. 2017). In den Fachdebatten zur stationären Erziehungshilfe werden verschiedene Konzeptualisierungen von Partizipation, die bspw. auf Stufenmodellen oder Haltungsfragen beruhen, ersichtlich. Sie tragen auch vereinzelt zur Entwicklung „Guter Praxis“ bei (Eberitzsch et al. 2021; Feist- Ortmanns/ Macsenaere 2020). Über diese unterschiedlichen theoretischen Bestimmungen hinweg verweisen aktuelle Ergebnisse, die die Perspektive von jungen Menschen ins Zentrum stellen oder diese als Co-ProduzentInnen in Forschungsprozessen einbeziehen, jedoch auch auf fachlich bedenkliche Lücken zwischen Anspruch an und Umsetzung von Partizipation (Ackermann/ Robin 2017; Holland et al. 2010). Vor diesem Hintergrund lauten die erkenntnisleitenden Fragen dieses Beitrags daher: Wie erleben Gruppen junger Menschen in den Strukturen der stationären Kinder- und Jugendhilfe ihre Beteiligungsmöglichkeiten? Wie kann Partizipation in stationären Erziehungshilfen durch aktiven Einbezug ihrer AdressatInnen besser verstanden und implementiert werden? Zur Beantwortung werden in diesem Artikel einerseits ausgewählte Erkenntnisse zu Partizipationserfahrungen junger Menschen in Heimerziehung aus einem internationalen Review sowie aus dem Projekt „Wie wir das sehen“ diskutiert. Im Anschluss wird die im Projekt partizipativ entstandene „Aktionsbox“, die Materialien zur Sensibilisierung für Beteiligungsanliegen junger Menschen in der Heimerziehung umfasst (Rohrbach et al. 2021), vorgestellt und kritisch reflektiert. 1. Wissensstand zur Partizipation in stationären Erziehungshilfen aus der Perspektive junger Menschen Wie einleitend dargelegt, begleitet der Diskurs über Konzeptualisierungen und Umsetzung von Partizipation die Professionalisierung der Heimerziehung zwar seit einigen Jahrzehnten, zurzeit wird er aber neu aufgerollt. Hieraus entwickeln sich steigende Ansprüche an die partizipative Orientierung von Organisationen, Angeboten und den handelnden Fachpersonen. Allerdings stehen diese Partizipationserwartungen nach wie vor häufig in einem Spannungsverhältnis zu Strukturlogiken der Heimerziehung (Merchel 2020). An die Einrichtungen wird die herausfordernde Aufgabe gestellt, einen Ort zu schaffen, der sich durch 211 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen Stabilität, Sicherheit und Relevanz auszeichnet sowie gleichzeitig Offenheit, Entwicklungsmöglichkeiten und Aushandelbarkeit garantiert (Winkler 2010). Hierzu zählt insbesondere auch der Umgang mit dem Spannungsfeld von Regelhaftigkeit und Individualität. Mit Blick auf partizipative Ansätze kann man davon ausgehen, dass dieses Spannungsverhältnis nicht einfach zu einer Seite hin aufgelöst werden kann. Ob und wie es zu einer ausbalancierenden Praxis kommt, gilt deshalb als Qualitätselement der Heimerziehung (Whittaker et al. 2016; Feist- Ortmanns/ Macsenaere 2020). Dazu zählt auch der Schutzaspekt. Doch wird nicht selten mit Verweis auf das zu schützende Kindswohl oder die Vulnerabilität der jungen Menschen deren Ermöglichung zur Partizipation als zentraler Bestandteil von Schutz - teils unbewusst - übergangen (Wolff et al. 2017). Um Partizipation trotz dieser Herausforderungen angemessen umsetzen zu können, braucht es mehr gesichertes Wissen darüber, welche Partizipationserfahrungen junge Menschen im stationären Kontext der Heimerziehung machen. In einem internationalen Review konnten kriteriengeleitet mehr als 30 Forschungs- und Entwicklungsprojekte aus dem deutschen und englischen Sprachraum gefunden werden, die die Sichtweisen und Erfahrungen junger Menschen in Heimerziehung ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses gesetzt haben (Eberitzsch et al. 2021). Darin wurden übergreifend insbesondere folgende relevante Ergebnisse deutlich: 1.1 Die Erfahrung ernsthaften Interesses und von Transparenz als Bedingungen für Beteiligung Gemäß den Ergebnissen des Reviews setzt eine gelingende Umsetzung von Partizipation in allen Settings stationärer Erziehungshilfen voraus, dass den jungen Menschen im Heimalltag zugehört wird und ihre Wünsche ernst genommen werden. Die Bereitschaft zu einer aktiven Beteiligung ist zudem dann erhöht, wenn junge Menschen Entscheidungsfindungen verstehen und nachvollziehen können (bspw. Stork 2007). Zur Motivation, sich auf Beteiligungsangebote einzulassen, ist es zudem zentral, dass in absehbarer Zeit Auswirkungen des Miteinbezugs im Einzelfall oder aus der Gruppe auch erfahren werden können, z. B. in Form erkennbarer Umsetzung eingebrachter Anliegen. Die international gesichteten Studien zeigen darüber hinaus, dass die jungen Menschen in stationären Einrichtungen institutionalisierte Beteiligungssettings, die zumeist formell eingebettet sind und sich mehr an Gruppen denn an Einzelne richten, zwar als wichtig empfinden (Babic 2010). Jedoch bewerten sie Möglichkeiten zur Beteiligung außerhalb solcher zeitlich und örtlich begrenzten Anlässe im Heimalltag als noch bedeutsamer bewertet werden. Denn einige fühlen sich durch formale Anlässe kaum angesprochen (McCarthy 2016). Dies liegt unter anderem daran, dass die jungen Menschen mit häufig komplexen Bedarfslagen ihre Kompetenzen zur Beteiligung teils noch entwickeln müssen. Allerdings kommen solche Möglichkeiten zur Partizipation(-sentwicklung) in alltäglichen Lebenssituationen und Entscheidungsfindungen in den Wahrnehmungen vieler junger Menschen in den Einrichtungen zu selten vor. Wichtiger sind ihnen hingegen konstant erfahrbare und mitzugestaltende Praktiken und Kulturen der Beteiligung (Eberitzsch et al. 2021). 1.2 Konstante Beteiligung fördert Entwicklung und Bildung Wenn es in den Einrichtungen hingegen möglich ist, dass sich die jungen Menschen in die für sie wichtigen Entscheidungen konstant einbringen können, entwickeln und erleben sie zunehmend eigene Handlungsfähigkeit. Dies ist länderübergreifend allen Kindern und Jugendlichen 212 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen ein zentrales Anliegen. Entsprechend erhöht der Miteinbezug, ab den ersten Hilfeplangesprächen über die Ausgestaltung des alltäglichen Zusammenlebens bis hin zu Entscheidungen im individuellen Verlauf der Hilfe, die Akzeptanz für eine Platzierung maßgeblich mit (Eberitzsch et al. 2021). Auch wirkt sich ein konstanter Einbezug positiv auf die Fähigkeit junger Menschen aus, sich proaktiv in der Benennung und erfolgreichen Bewältigung alltäglicher Belastungen einzubringen (Berrick et al. 2015). Zentrale Barrieren, sich auf Partizipation einzulassen und dadurch Partizipationskompetenzen zu entwickeln, stellen für die jungen Menschen hingegen rigide Regulierungen und überhöhter Protektionismus seitens der Einrichtung dar. Diese Barrieren werden vor allem in formellen Abläufen und Anlässen - auch in solchen, die konzeptuell der Partizipationsförderung dienen sollten - wie auch im pädagogischen Alltag und alltäglichen Interaktionen als hohe Schwellen erlebt (Ackermann/ Robin 2017). In gewissen Kontexten müssen Mitbestimmungsmöglichkeiten von den Kindern gar verdient werden oder sie werden ihnen als Strafe vorenthalten (Babic 2010). Insgesamt bestätigt sich, dass vor allem konstante Mitbestimmungsmöglichkeiten in für die jungen Menschen relevanten Bereichen, wie in der Ausarbeitung von Regeln, die das alltägliche Zusammenleben entscheidend rahmen, noch zu wenig gegeben sind (Feist-Ortmanns/ Macsenaere 2020). 1.3 Konsequenzen für Fachkräfte und stationäre Angebote, die Partizipation konkret ermöglichen wollen Aus dieser Gesamtschau der Erkenntnisse zu Sichtweisen der jungen Menschen auf Partizipation können Hinweise darauf zusammengefasst werden, wo und wie Fachkräfte und Einrichtungen einen angemesseneren Umgang mit und Voraussetzungen für umfassende Beteiligung entwickeln können. Dabei muss mit den oben erwähnten Spannungsverhältnissen und Ambivalenzen durch eine partizipative Organisationskultur explizit gearbeitet werden, um den Anliegen nach wirksamer Beteiligung und der Entwicklung von Beteiligungskompetenzen nachkommen zu können. Doch auch in der Implementation kann ein zu rigides und machtunkritisches Vorgehen das Einbringen individueller Anliegen und damit auch Partizipationsmöglichkeiten erheblich begrenzen (Ackermann/ Robin 2017). Ob und wie dabei die Sichtweisen und Interessen der jungen Menschen als Orientierung für die Gestaltung der Organisationskultur herangezogen werden und ob ein solcher Balanceakt in der Heimpraxis gelingt, gilt deshalb als bedeutsames Qualitätselement der Heimerziehung, für das keine generell gültigen Standards gelten können. Denn dieses Ausbalancieren heimtypischer Ambivalenzen zugunsten stabiler und sicherer Orte, so einige der gesichteten Studien weiter, muss immer sowohl konzeptuell als auch im Alltag gemeinsam erarbeitet und fortwährend angepasst werden (Wolff et al. 2017). Der Aufschlüsselung dieser Herausforderungen, ausgehend von den Perspektiven junger Menschen, widmet sich das laufende Forschungs- und Entwicklungsprojekt, welches nachfolgend vorgestellt wird. 2. „Wie wir das sehen“ − ein Projekt über Beteiligungserfahrungen und -forderungen Wie erläutert wurde, weisen viele Studien darauf hin, dass trotz hoher Akzeptanz im Diskurs die tatsächlichen Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen in stationären Erziehungshilfen teils noch immer gering sind. Insbesondere Studien, die ihren Fokus auf die nach wie vor unterrepräsentierte Perspektive junger Menschen in Heimerziehung legen, verweisen auf diverse Lücken zwischen fachlichem Anspruch und konstanter, wirksamer Umsetzung von Partizipation (s. o.). Diese Problemstellung fun- 213 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen gierte im Jahre 2018 als Ausgangslage des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „Wie wir das sehen“ - Die Sichtweise fremdplatzierter Kinder als Ausgangspunkt für Qualitätsentwicklung am Departement Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wurde in Kooperation mit Integras, dem Schweizerischen Fachverband Sozial- und Sonderpädagogik, umgesetzt und durch die Stiftung Mercator Schweiz gefördert. 1 2.1 Fragestellungen und Design des Forschungs- und Entwicklungsprojekts Für die Umsetzung dieses Projekts konnten vier konzeptuell unterschiedliche Angebote der stationären Kinder- und Jugendhilfe aus der Deutschschweiz gewonnen werden: ein Sonderschulheim für Jungen, eine 5-Tage-Einrichtung, ein dauerhaft geöffnetes Kinder- und Jugendheim und ein Wohnheim für Mädchen mit der Option zur internen Beschulung. Die Altersspanne der am Projekt beteiligten jungen Menschen lag bei neun bis 16 Jahren. In allen Angeboten verbanden die Leitungen mit der Beteiligung am Projekt jeweils das Ziel, ihre partizipative Kultur zu forcieren. Den Erfahrungen junger Menschen auf ihre Beteiligungsmöglichkeiten im Heimkontext näherte sich die Studie, indem deren Perspektiven auf zwei unterschiedliche Weisen miteinbezogen wurden: a) Gruppenbasierte Forschung: Kollektive Beteiligungserfahrungen Damit die kollektiven Erfahrungen der Gruppen bezogen auf das Forschungsinteresse analysiert werden konnten, fand in jeder Einrichtung eine Gruppendiskussion nach Bohnsack (2014) statt. So wurde untersucht, wie junge Menschen ihre Handlungsmöglichkeiten im Heimkontext erleben und wie sie sich mit diesen gegenüber den Fachpersonen und dem Heim positionieren (vgl. Kap. 2.2). b) Partizipative Entwicklung: „Aktionsbox“ zur Förderung von Beteiligung im Alltag Aus den vielgestaltigen Erkenntnissen aus dem Entwicklungsteil des Projekts, insbesondere den Ergebnissen einer Konferenz der jungen Menschen aus den beteiligten Einrichtungen, konnten - auch im Abgleich mit Erkenntnissen aus der Analyse der Gruppendiskussionen - zwölf relevante Lebensbereiche formuliert werden, in denen ihnen Mitsprache besonders wichtig ist, z. B. Privatsphäre; Liebe, Gefühle und Sexualität; Freizeitgeräte (Keller et al. 2021). In Zusammenarbeit mit den jungen Menschen sind auf Basis der Lebensbereiche Materialien entstanden, die als Aktionsbox „Wie wir das sehen“ zur Sensibilisierung von Beteiligungsanliegen und einem gemeinsamen Austausch zwischen Fachpersonen und Kindern anregen sollen 2 (vgl. Kap. 2.3). 2.2 Ergebniseinblicke Gruppendiskussionen: Kollektive Positionierungen junger Menschen zur Partizipation im Heim Im empirischen Teil der Studie wurden die vier Gruppendiskussionen auf kollektive Orientierungen hinsichtlich ihrer Ermöglichung von Beteiligung hin analysiert. Die Diskussionsgruppen zählten von zwei bis zehn Teilnehmenden. Insgesamt haben 23 junge Menschen an den circa 90-minütigen Gesprächen teilgenommen. Da die Methode auf Selbstläufigkeit der Gespräche ausgerichtet ist, also die Moderation nur wenige Fragen stellt, war die Ausgangsfrage so formuliert, dass die Gruppe selbst über den Fokus entscheiden konnte, was sie diskutieren und wohin sie das Gespräch lenken wollte. Immanente Nachfragen und bei Bedarf auch exmanente Fragen ermöglichten es, gezielter auf Inhalte einzugehen. Auch konnten so - bezogen auf die Fragestellung der Forschung - weitere Diskussionen zu generieren, die anschließend mittels dokumentarischer Methode ausgewertet wurden (Przyborski/ Wohl- 214 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen rab-Sahr 2014). In der Analyse zeigten sich drei zentrale Dimensionen, die im Nachfolgenden beschrieben werden. a) Aufwendige Positionierung als AkteuerInnen in objektivierenden Strukturlogiken In den Analysen der Gruppendiskussionen wurde teils ersichtlich, dass die jungen Menschen insbesondere in rigiden Abläufen des Heimalltags vermehrt unregulierte Ränder aufsuchen. Dies führt nicht nur dazu, dass sie sich handlungsfähiger und selbstbestimmter fühlen. Sie werfen dadurch auch die fachlich zentrale Frage auf, ob institutionelle Logiken primär der Absicherung der Einrichtung und der Fachkräfte oder aber den Bedürfnissen der jungen Menschen dienen. Allzu oft erleben die jungen Menschen Routinen und Regeln in ihrem Alltag als ohne sie entwickelt oder gar gegen sie gerichtet, anstatt als für ihr Wohlergehen erstellt und für gemeinsame Weiterentwicklungen offen. Das kann dazu führen, dass sie sich - wie im nachstehenden Gruppendiskussionsausschnitt deutlich wird - den machtvollen Interpretationen der Fachkräfte ausgeliefert fühlen. Dadurch fehlen auch in privaten Situationen wie bspw. nachts am Zimmerfenster oder in der Kommunikation mit den Eltern wichtige Erfahrungen der Handlungsfähigkeit: Jm: Also i hab mal in der Nacht aus dem offenen Fenster geguckt, weil ich nicht schlafen konnte. Und dann ist eine Betreuerin ins Zimmer gekommen und hat meine Fenster abgeschlossen. Bm: Häh! ? Jm: Des isch schon verrückt. Cm: Also, wenn du nicht höflich zu denen bist, geben sie dir dein Handy nicht oder du darfst halt nicht telefonieren. Ich durfte jetzt äh drei Tage nicht mit meinen Eltern telefonieren. Am: Oder sie nehmen einfach das Handy weg. Cm: Voll frech halt. Gruppe 1 (Zeile 187 - 209) Solche und ähnliche Erfahrungen können zu Positionierungen der Gruppen führen, die es den Fachkräften und Einrichtungen fast verunmöglichen, die jungen Menschen in anderen Alltagssituationen für Partizipation und Erfahrungen der Einflussnahme zu gewinnen. Die Schwellen sind dann bereits zu hoch und können gar durch eigenes Zutun erhöht werden - indem man sich bspw. absichtlich am offenen Fenster zeigt und so eine Reaktion auf eine potenzielle Risikosituation im Privaten provoziert. Denn anstatt bestehende Logiken aktiv zu hinterfragen und mitzugestalten, verwenden die jungen Menschen umso mehr Energie darauf, sich als AkteurInnen in oder gegen von Macht geprägten Aberkennungserlebnissen bemerkbar zu machen. b) Die Suche nach Selbstwirksamkeit an Rändern des Heimalltags In zwei der vier Gruppendiskussionen zeigte sich besonders deutlich, dass hier der Heimalltag von den Teilnehmenden als hoch strukturiert und mit eingeschränkten Möglichkeiten der Beteiligung erlebt wird. In der Folge beschäftigen sie sich in der Gruppe mit zunehmender Intensität mit dem, was sie im Heimalltag einschränkt und ihnen missfällt, anstatt mit dem, was sie auch bestärken oder ihnen auch gefallen könnte. Entsprechend beschäftigen sie sich - bewusst oder unbewusst - zunehmend mit der Frage, wie sie diese Regulierungen durchbrechen könnten, um zumindest dabei Selbstwirksamkeitserfahrung zu erleben. So zeigen alle vier analysierten Gruppendiskussionen, unabhängig von Platzierungsgrund oder Rigidität der Regeln und Prozesse, deutlich auf: sie alle möchten mit ihren Anliegen gehört und ernst genommen werden. Je mehr sie sich den institutionellen Abläufen ausgeliefert fühlen, desto eher suchen und finden sie das Gefühl, sich beteiligen zu können, selbstwirksam außerhalb institutioneller Regulierungen oder dem Sichtfeld wachsamer Fachkräfte. Das heißt zum Beispiel, dass die 215 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen jungen Menschen Regeln offen und provokativ brechen. Oder aber sie erschaffen sich unbeobachtete Räume außerhalb, am Rande oder innerhalb der Einrichtung, bspw. durch eigene, konterkarierende Werte in der Peergruppe. Dies wird auch im nachgehenden Diskussionsausschnitt deutlich, in dem das Verbot, Süßigkeiten im Zimmer zu horten, durch kreative Umdeutungen ad absurdum geführt wird: gemeinsam lachen sie darüber, dass eine Jugendliche Süßigkeiten nicht ‚im Zimmer‘ sondern ‚in der Schuhsohle‘ oder gar nicht versteckt hat: Bf: Es ist schon traurig, aber ich hab’ noch nie Süßigkeiten in meinem Zimmer versteckt. Ich habe noch nie etwas versteckt. Af: Was? Bist du nicht ganz dicht? (…) Cf: ((lachen)) Natürlich nicht! Bf: Nee, nicht im Zimmer, sondern dann in der Schuhsohle (…) Ich versteck sie [die Süßigkeiten] nicht, sondern ich stell sie da hin! Gruppe 2 (Zeile 2070 - 2135) Das Beispiel mag als einzelnes in seiner Tragweite noch harmlos, ja gar als wichtig zur Entwicklung von Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit klingen. Doch in der Anhäufung können solche Erlebnisse an den Rändern des Alltags die Schwellen zwischen jungen Menschen und Fachkräften und dem stationären Angebot erhöhen - auf Kosten der zunehmend als unmöglich oder als mühsam erscheinenden Aushandlungen. c) Soziale Skepsis als Bestandteil der Beziehungen zu Fachkräften und Peers Es überrascht somit nicht, dass die durch die oben geschilderten Erlebnisse von Abhängigkeit und von Nichtmitbestimmung gerahmte Suche nach Partizipation und Sichtbarkeit schließlich auch die Beziehungsgestaltung zwischen Jugendlichen und Fachkräften prägt. Eine wahrgenommene Dominanz von festgeschriebenen Regulierungen und RegeldurchsetzerInnen kann dazu führen, dass junge Menschen auch konkrete Unterstützungs- und Beteiligungsangebote der SozialpädagogInnen zunehmend als unecht und unehrlich bewerten. Anstatt sich gemeinsam einer vertrauensvollen Gemeinschaft zu widmen, werden sie so zunehmend zu GegenspielerInnen, wie im folgenden Diskussionseinblick ersichtlich wird: Gm: Also die Sozis denken einfach, sie sind besser als wir. Keine Ahnung, die sehen uns wie dreckige Straßenpenner an. Die denken, sie sind selber so Götter oder so, [sie] meinen, ja sie müssen sich um uns kümmern aber halt. Am: Machen es nicht. Gm: Ja. Y1: Mmh. Gm: Sie nennen [es], keine Ahnung, Macht halt. (…) Im: Und sie sagen: ‚wir tun euch mega helfen‘ und so ein Scheiß. Und was machen sie? Gar nichts. Gruppe 1 (Zeile 1806 - 1825) Eine durch solche Gruppendynamiken zusätzlich geförderte soziale Grundskepsis kann sich auch auf die Peerbeziehungen innerhalb der Gruppen im Heim selbst übertragen. Das zeigt sich bspw. durch mangelndes Miteinander und die Suche nach (Handlungs-)Macht gegenüber anderen, bspw. Schwächeren. Eine andere Gruppendiskussion zeigte aber auch: Fühlen sich die Jugendlichen hingegen durch die Institution und/ oder in Interaktionen mit den SozialpädagogInnen ehrlich und ergebnisoffen zur Beteiligung eingeladen, scheint die Peerkultur eindeutig weniger durch Skepsis, sondern Akzeptanz geprägt zu sein. Um zu verhindern, dass Situationen und Erfahrungen, wie diejenigen aus den obigen Interpretationen, eine Kultur der Skepsis anstatt der Partizipation entstehen lassen, muss den Herausforderungen in konkreten Erfahrungen von 216 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen (Nicht-)Partizipation entgegengewirkt werden. Dabei können Instrumente Prozesse anstoßen, die wiederum Haltungen und Kultur der Beteiligung entwickeln. 2.3 Ergebniseinblicke in die partizipativ entwickelte „Aktionsbox“ - ein möglicher Mosaikstein zur Förderung partizipativer Kultur Im Rahmen des Projekts „Wie wir das sehen“ konnten junge Menschen aus den vier Einrichtungen freiwillig an mehreren Workshops teilnehmen, an denen ihre Sichtweise auf Beteiligung im Fokus stand: An Ideentreffs wurden zunächst von den jungen Menschen Bilder erstellt und diskutiert, die ihre Erfahrungen und Wünsche auf Beteiligung darstellten. An der anschließenden einrichtungsübergreifenden Jugendkonferenz haben sich die jungen Menschen ihre Ergebnisse aus den Ideentreffs gegenseitig vorgestellt. Ihre hierbei geäußerten Anliegen zeigten übergreifend viele Überschneidungen. Deshalb ließen sich auf Basis dieser Treffen zwölf Lebensbereiche formulieren, die den jungen Menschen bezogen auf Beteiligung im Heimkontext besonders wichtig sind (Keller et al. 2021). Zwölf Lebensbereiche der Beteiligung Neben dem Einbezug in die Raumgestaltung, die Ausgangs-, Zimmer- und Medienzeitregeln gehören unter anderem auch die Themen Essen und Privatsphäre dazu. Privatsphäre wird hierbei als besonders wichtig bewertet. Darunter verstehen sie vor allem den Schutz ihrer Intimität, aber auch den Raum ihres Zimmers sowie persönliche Gegenstände. Ein Wühlen in ihren Sachen oder per se der unerlaubte Zugang zu ihrem Zimmer überschreitet für sie eine Grenze. Denn Privatsphäre bedeutet auch, ungestörte Momente zu haben und Geheimnisse mit Peers austauschen zu können. Sie wünschen sich, in der Gestaltung ihres privaten Bereiches Entscheidungen treffen zu können. Visualisierung der Lebensbereiche: Die Aktionsbox „Wie wir das sehen“ Auf Basis der zwölf Lebensbereiche wurden in weiterer Zusammenarbeit mit den jungen Menschen Materialien entwickelt, die dazu dienen, Fachpersonen und junge Menschen in stationären Erziehungshilfen auf Beteiligung(-sanliegen) aufmerksam zu machen. Im Zusammenspiel zwischen den Jugendlichen, dem Projektteam und der Grafikerin Ella Zickerick entstand so eine „Aktionsbox“, die konkrete Partizipationsanliegen in den Alltag tragen soll. Zentraler Bestandteil der Aktionsbox ist ein Plakat mit zwölf Motivkacheln, welche die Lebensbereiche darstellen. Jeder Bereich wird mit einer Originalaussage von Jugendlichen sowie einer Illustration visualisiert. Daneben sind in der Box: 1) Sticker mit weiteren Aussagen junger Menschen zu den Lebensbereichen enthalten, die zum Nachdenken über Partizipation anregen sollen. 2) Vier Kartentypen mit Leitsätzen, die Platz bieten zur individuellen Beschriftung und somit beispielsweise der Möglichkeit, anonym Beschwerden einzuholen oder die zwölf Lebensbereiche zu erweitern. 3) Eine Fachbroschüre, in der die zwölf Lebensbereiche in den wissenschaft- Abb. 1: Sticker „Privatsphäre“ der Aktionsbox „Wie wir das sehen“ (Alle Bilder: Ella Zickerick) 217 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen lichen Erkenntniszusammenhang zur Kinder- und Jugendhilfe gestellt werden. Konkret bedeutet dies, dass dort die zwölf Themen in Bezug auf Entwicklungsthemen im Kindes- und Jugendalter, auf sozialpädagogische Ansprüche an partizipative Heimerziehung wie auch auf die UN-Kinderrechte andiskutiert werden. Auch finden sich hier Reflexionsfragen für die Praxis. 3 Die Aktionsbox kann für Aus- und Weiterbildungen, Workshops, Gruppenabende oder bspw. einen Heimrat genutzt werden: Die Originalaussagen, aber auch die spielerischen Visualisierungen dienen als Anregungen zur gemeinschaftlichen Sensibilisierung für Themen und Sichtweisen der jungen Menschen. Daneben kann allenfalls das Verteilen der Sticker in einer Einrichtung Impulse setzen. Vor allem sollen die Materialien es allen ermöglichen, niederschwellig über Beteiligungsanliegen zu sprechen und diese ernst zu nehmen, z. B., indem eine der Kacheln auf dem Plakat gemeinsam angesehen und anhand von Leitfragen wie den nachstehenden diskutiert wird: ➤ Wie werden die Forderungen, die auf dem Plakat und den Stickern genannt sind, bewertet? ➤ Gibt es Zustimmung, Unverständnis oder vielleicht andere Beteiligungsanliegen? Wie die Gruppendiskussionen gezeigt haben, ist die Beschäftigung mit dem Thema Beteiligung - gerade im Austausch mit Kindern und Jugendlichen in Heimerziehung - an gewisse Voraussetzungen gebunden. Da Beteiligung kein Selbstläufer ist, ist eine Vor- und Nachbereitung wichtig. Wer mit den Materialien arbeiten möchte und sich so auf die Perspektive der Kinder und Jugendlichen verstärkt einlässt, muss bedenken, dass für die jungen Menschen auch erkennbar sein muss, wie und wo dies zu konkreten Ergebnissen führen kann. Daher sollte die Arbeit mit der Aktionsbox in eine längerfristige Konzeption eingebettet sein. Insofern braucht es neben Offenheit und der Bereitschaft, die Wünsche und Anliegen der jungen Menschen besser verstehen zu wollen, auch immer Klarheit darüber, was das Ziel einer Auseinandersetzung mit der Perspektive der jungen Menschen sein soll. Abb. 2: Beschriftbare Karte der Aktionsbox „Wie wir das sehen“ Abb. 3: Plakat der Aktionsbox „Wie wir das sehen“ 218 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen 3. Fazit und Ausblick: Zukunft stationärer Erziehungshilfen hängt auch von gelingender Umsetzung der Beteiligung ab In der Betrachtung der bisher erreichten Ergebnisse und Produkte des Forschungs- und Entwicklungsprojekts konturiert sich ein differenziertes Set an Erkenntnissen zur und Einbettung der Sicht von jungen Menschen auf ihre Partizipationsmöglichkeiten und -erfahrungen im stationären Setting. Damit sich eingespielte Muster der Reaktion und der Selbstwahrnehmung bei den Kindern und Jugendlichen in Heimerziehung nicht verfestigen, muss es den Angeboten gelingen, den jungen Menschen Beteiligung am Platzierungsprozess und an der Ausgestaltung und Regulierung ihres Heimalltags zu ermöglichen. Gelingt dies, kann auch mit weniger Misstrauen auf ein Miteinander, auf eine Gemeinschaft hingewirkt werden. Und auch wenn Instrumente wie die „Aktionsbox“ allein noch nicht für erhöhte Selbstwirksamkeit oder für eine partizipative Kultur sorgen können: künftig müssen die vielen, noch zu sehr voneinander isolierten Zahnräder an Erkenntnissen und Produkten konsequenter ineinandergreifen, um Partizipation selbstverständlich in Alltagserfahrungen zu tragen. Das wurde im internationalen Forschungs-Review, in den Interpretationen der Gruppendiskussionen wie auch in den partizipativen Praxisentwicklungen mit den Jugendlichen gleichermaßen deutlich. Zum Abschluss soll ein heuristisches Modell als Zwischenfazit wie auch als Basis für weiterführende Fragen abstrakt visualisieren, wie sich hohe Schwellen in Form rigider Regeln, isolierter Beteiligungsorte und/ oder Desinteresse durch durchlässige und somit das Subjekt anerkennende Orte und Interaktionen abbauen ließen. Diverse Möglichkeiten für Selbstwirksamkeit und Beteiligung Diverse Möglichkeiten für Selbstwirksamkeit und Beteiligung Schwellenerfahrungen Durch Institution und Fachkräfte gerahmte, gemeinsame Gestaltung des Alltags Abb. 4: Modell zur Ermöglichung von Partizipation in stationären Erziehungshilfen 219 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen Gelingt eine solche ermöglichende Gestaltung des Alltags, müssen sich die jungen Menschen nicht konfrontativ dazu positionieren oder sich ihr entziehen, um sich selbstwirksamer und mehr als Teil der Gemeinschaft zu fühlen. Auch werden so Angebote der Beteiligung, aber auch von Grenzen eher als solche erkannt und angenommen. Hier wird auch die Verzahnung zwischen Beteiligungs- und Schutzaspekt deutlich: Wenn Jugendliche zunehmend selbst Schwellen aufbauen und sich an die Ränder des Geschehens zurückziehen, können und wollen sie sich immer weniger jemandem anvertrauen. Dabei erscheint Partizipation als Mittel zum Zweck: es geht nicht allein um die Frage, wie junge Menschen zu ihrem Recht kommen, in der Heimerziehung beteiligt zu werden, sondern wie es gelingt, dass sie sich zunehmend selbst beteiligen wollen - konstant, kritisch ohne Furcht vor Konsequenzen und auch über ihre Zeit in stationären Erziehungshilfen hinaus. Anmerkungen 1 Vergleiche die Projektwebseite unter: https: / / www. zhaw.ch/ wie-wir-das-sehen 2 Weitere Informationen zur Aktionsbox „Wie wir das sehen“ unter https: / / www.integras.ch/ de/ aktuelles/ 779-beteiligung-wie-wir-das-sehen 3 Die Materialien der Aktionsbox „Wie wir das sehen“ können kostenlos heruntergeladen oder als Printversion erworben werden: https: / / www.integras.ch/ de/ aktuelles/ 779-beteiligung-wie-wir-das-sehen Stefan Eberitzsch Samuel Keller Julia Rohrbach Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Departement Soziale Arbeit Institut für Kindheit, Jugend und Familie Pfingstweidstr. 96 Postfach 707 CH-8037 Zürich Literatur Ackermann, T., Robin, P. (2017): Partizipation gemeinsam erforschen: Die Reisende Jugendlichen-Forschungsgruppe (RJFG) - ein Peer-Research-Projekt in der Heimerziehung. SchöneworthVerlag, Dähre Babic, B. (2010): Zur Gestaltung benachteiligungssensibler Partizipationsangebote - Erkenntnisse der Heimerziehungsforschung. In: Betz, T., Gaiser, W., Pluto, L. (Hrsg.): Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Forschungsergebnisse, Bewertung, Handlungsmöglichkeiten. Wochenschau Verlag, Schwalbach, 213 - 230 Berrick, J. D., Dickens, J., Pösö, T., Skivenes, M. (2015): Children’s involvment in care ordner decision-making: A cross-country analysis. Child Abuse Neglect 49, 128 - 141 Bohnsack, R. (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 9. Aufl. Barbara Budrich, Opladen Eberitzsch, S., Keller, S., Rohrbach, J. (2021): Partizipation in der stationären Kinder- und Jugendhilfe - Theoretische und empirische Zugänge zur Perspektive betroffener junger Menschen: Ergebnisse eines internationalen Literaturreviews. Österreichisches Jahrbuch für Soziale Arbeit (ÖJS). Beltz Juventa, Weinheim, 113 - 154 Equit, C. (2017): Organisationskulturen der Beteiligung und Beschwerde in stationären Erziehungshilfen. In: Equit, C., Flößer, G., Witzel, M. (Hrsg.): Beteiligung und Beschwerde in der Heimerziehung. Grundlagen, Anforderungen und Perspektiven. IGfH-Eigenverlag, Frankfurt a. M., 168 - 186 Feist-Ortmanns, M., Macsenaere, M. (2020): Ergebnisbericht der wissenschaftlichen Begleitung zum Dialogprozess „Mitreden - Mitgestalten: Die Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“. Verfügbar unter: https: / / ikjmainz.de/ ergebnisbericht-der-wissenschaftlichenbegleitung-des-dialogprozesses-veroeffentlicht/ , 19. 10. 2020 Holland, S., Renold, E., Ross, N. J., Hillman, A. (2010): Power, agency and participatory agendas: A critical exploration of young people’s engagement in participative qualitative research. Childhood 17 (3), 360 - 375 Keller, S., Rohrbach, J., Eberitzsch, S. (2021): Fachbroschüre„Beteiligung? Wie wir das sehen! “. Zwölf Lebensbereiche junger Menschen im Diskurs, https: / / doi. org/ 10.21256/ zhaw-2397 220 uj 5 | 2022 Partizipation aus Sicht junger Menschen McCarthy, E. 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Ob und warum dieses aber in einer gegebenen Situation angemessen ist, bleibt unklar. Das Buch bietet Anregungen für ein systematisch geplantes und am wissenschaftlichen Vorgehen orientiertes methodisches Handeln. Es begründet und beschreibt Arbeitshilfen, die die berufliche Handlungsstruktur und die für Soziale Arbeit relevanten Wissensbestände in einen reflexiven Zusammenhang bringen. 30 Arbeitshilfen stehen als Online- Zusatzmaterial zur Verfügung. a www.reinhardt-verlag.de
