eJournals unsere jugend 74/5

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Rezension: Schmidt, C., Rabe, A. (2021): Recht für die Kindheitspädagogik

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Roland Merten
Der zweistufige Ausbau des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab vollendetem 3. Lebensjahr (1996) bzw. ab dem 1. Lebensjahr (2013) hat zu einem enormen Personalzuwachs geführt. Waren 2007 rund 363.000 PädagogInnen in diesem Feld beschäftigt, so stieg deren Zahl bis 2020 auf knapp 676.000 Personen (AKJStat 2021, 17). Angesichts dieser rasanten Expansion des Arbeitsfeldes und der Beschäftigtenzahl überrascht es, dass es bis dato kein eigenständiges Kompendium gegeben hat, mit dem die rechtlichen Rahmenbedingungen in didaktisch angemessener Form denjenigen vermittelt werden, die in diesem Arbeitsfeld tätig sind. Dieses Desiderat haben nunmehr Christopher Schmidt und Annette Rabe mit ihrem Recht für die Kindheitspädagogik vorgelegt.
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230 uj 5 | 2022 Rezensionen Rezensent: Prof. Dr. Roland Merten Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Erziehungswissenschaften Der zweistufige Ausbau des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab vollendetem 3. Lebensjahr (1996) bzw. ab dem 1. Lebensjahr (2013) hat zu einem enormen Personalzuwachs geführt. Waren 2007 rund 363.000 PädagogInnen in diesem Feld beschäftigt, so stieg deren Zahl bis 2020 auf knapp 676.000 Personen (AKJStat 2021, 17). Angesichts dieser rasanten Expansion des Arbeitsfeldes und der Beschäftigtenzahl überrascht es, dass es bis dato kein eigenständiges Kompendium gegeben hat, mit dem die rechtlichen Rahmenbedingungen in didaktisch angemessener Form denjenigen vermittelt werden, die in diesem Arbeitsfeld tätig sind. Dieses Desiderat haben nunmehr Christopher Schmidt und Annette Rabe mit ihrem Recht für die Kindheitspädagogik vorgelegt. Im Aufbau des Bandes werden in einer Einführung kurz unterschiedliche Rechtsquellen dargestellt und die wichtige Unterscheidung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht erläutert. Gerade letztere Differenz ist für die Frage der Finanzierung von Leistungen im Bereich der (frühen) Kindheit von großer Bedeutung. Entsprechend der Rechtshierarchie wird dann die Grundrechtelogik entfaltet, so auch das Erziehungsprivileg der Eltern (Art. 6 GG). Dabei zeigt sich, dass zwischen pädagogisch Wünschenswertem und dem Erziehungsverständnis der Eltern durchaus (erhebliche) Diskrepanzen auftreten können, die aufgrund der starken Rechtsposition der Eltern gelegentlich zuungunsten des Kindes aufgelöst werden. Genau dieser Zwiespalt befeuert seit Jahren die Debatte um eigenständige Kinderrechte im Grundgesetz. Nach einem Kapitel zum Vertrags- und Haftungsrecht werden dann wesentliche familienrechtliche Aspekte erläutert, die unter kindheitsrechtlichen Gesichtspunkten von Bedeutung sind: Elternschaft, Elterliche Sorge, Umgangsrecht und Umgangspflicht, Vormundschaft und Pflege, … Der größte Teil des Buches ist dem Kinder- und Jugendhilferecht gewidmet. Nach einem Überblick über die Trägerstruktur, der für die Kindheitspädagogik von besonderer Bedeutung ist, werden die Leistungen und anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe kurz dargestellt; hier taucht - unverzichtbar - das jugendhilferechtliche Dreiecksverhältnis auf (99). Unter dem Stichwort „Grundsätze der Aufgabenerfüllung“ (Wunsch- und Wahlrecht, Beteiligung von Kindern, Grundrichtung der Erziehung) kommt die starke Position des elterlichen Erziehungsprivilegs noch einmal zum Vorschein. Dessen Schattenseiten werden demgegenüber als Kindeswohlgefährdung deutlich. Fast jede 10. Meldung einer Kindeswohlgefährdung stammt von Personal aus Kindertageseinrichtungen, d. h., hier liegt bereits ein professionelles Augenmerk. Allerdings überrascht es, dass das Thema Garantenstellung und strafrechtliche Risiken professionellen Handelns, das in den letzten Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe Furore gemacht hat, hier lediglich in einem Praxishinweis und einer Fußnote (106) abgefeiert wird und im Stichwortverzeichnis überhaupt nicht auftaucht. Nach den Hilfen in besonderen Lebenslagen wird dann auf Tageseinrichtungen und Tagespflege eingegangen. Dieses Kapitel bietet vielfältige Informationen, die mit Praxishinweisen und Beispielen veranschaulicht werden. Auch das immer wieder für Ärger sorgende Thema der Elternbeiträge wird nicht ausgespart. Schmidt, C., Rabe, A. (2021): Recht für die Kindheitspädagogik Nomos, Baden-Baden. 227 Seiten, ISBN 978-3-8487-8076-1, € 24,- uj 5 | 2022 231 Rezensionen Nach den Themenbereichen Hilfe zur Erziehung sowie Eingliederungshilfe folgt eine Darstellung der Logik des verwaltungsrechtlichen Verfahrens. Was für PädagogInnen als trockene Materie daherzukommen scheint, erweist sich an vielen Stellen als ein scharfes Schwert zur Realisierung von (Rechts-)Ansprüchen. Abgeschlossen wird der Band mit zwei größeren Kapiteln zu existenzsichernden Leistungen für Kinder und ihre Familien sowie zum Arbeitsrecht. Schmidt und Rabe haben eine klar strukturierte und gut lesbare Einführung in eine ebenso umfangreiche wie komplexe (rechtliche) Materie vorgelegt, die besonders für juristische Laien geeignet ist. Zu den Schattenseiten des Buches gehört, dass es letztlich das breitere Feld der Kinder- und Jugendhilfe behandelt und dabei den im Titel verfolgten Anspruch, das Recht für Kindheitspädagogik abzuhandeln, wenig fokussiert. Für die nächste Auflage wäre also eine stärkere Fixierung darauf und damit verbunden eine breitere Erläuterung der Kindheitspädagogik wünschenswert. Und da die (nicht mehr so) neuen Bundesländer in puncto Kindheitspädagogik durchaus immer noch eine Vorreiterrolle mit ihrer besonderen Geschichte haben, wäre der stärkere Einbezug der entsprechenden landesrechtlichen Regelungen durchaus angezeigt. In summa, jenseits der vorgetragenen Schönheitsfehler: Endlich liegt ein Recht der Kindheitspädagogik vor, das für die in diesem Feld tätigen Personen Pflichtlektüre sein sollte. Literatur Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (AKJStat) (Hrsg.) (2021): Kinder- und Jugendhilfereport Extra. Eine kennzahlenbasierte Kurzanalyse. In: https: / / www. akjstat.tu-dortmund.de/ kjh-report/ , 21. 1. 2022 Prof. Dr. Roland Merten Friedrich-Schiller-Universität Jena Institut für Erziehungswissenschaft Am Planetarium 4 07737 Jena DOI 10.2378/ uj2022.art33d Vorschau auf die kommende Ausgabe Schulische Ganztagsbetreuung zwischen Rechtsanspruch und Qualitätsentwicklung In der kommenden Ausgabe wollen wir näher betrachten, welche Auswirkungen der Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für die Soziale Arbeit und insbesondere die Kinder- und Jugendhilfe hat. Angefangen bei der Ausbildung von Fachkräften über die Implementierung adäquater struktureller Voraussetzungen der Angebote bis hin zur Entwicklung fachlicher Qualitätsstandards wollen wir einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen im Feld geben. Hierzu wird es unter anderem einen Beitrag vom Deutschen Verein und einen Artikel zu dem Projekt Zukunft Ganztagesbetreuung! des BVkE geben.