eJournals unsere jugend 74/10

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2022.art58d
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Editorial

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Herbert Winkens
Liebe LeserInnen, „Wie geht‘s?“ – „Frag besser nicht. Und selbst?“ Damit ist alles gesagt und gefragt. Und keine Zeit, um auf eine lange Antwort zu warten. So ist es zumindest im derzeitigen Alltagsgeschäft der Jugendhilfe – wenn die Zeit drängt, sich mit der nächsten Krisenbewältigung zu beschäftigen, und es eben keinen besonderen Raum, keinen Kontrakt und keine voraussetzende Verständigung über eine Beratungsmethodik gibt. Und wenn es kein Sonderheft zu einer sehr besonderen Beratungsform gäbe, die, je nach Betrachtungsweise, auf ca. 100 Jahre nachbarschaftlichen Zusammenwirkens mit der Jugendhilfe zurückblicken kann.
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405 Editorial unsere jugend, 74. Jg., S. 405 - 406 (2022) DOI 10.2378/ uj2022.art58d © Ernst Reinhardt Verlag Liebe LeserInnen, „Wie geht‘s? “ - „Frag besser nicht. Und selbst? “ Damit ist alles gesagt und gefragt. Und keine Zeit, um auf eine lange Antwort zu warten. So ist es zumindest im derzeitigen Alltagsgeschäft der Jugendhilfe - wenn die Zeit drängt, sich mit der nächsten Krisenbewältigung zu beschäftigen, und es eben keinen besonderen Raum, keinen Kontrakt und keine voraussetzende Verständigung über eine Beratungsmethodik gibt. Und wenn es kein Sonderheft zu einer sehr besonderen Beratungsform gäbe, die, je nach Betrachtungsweise, auf ca. 100 Jahre nachbarschaftlichen Zusammenwirkens mit der Jugendhilfe zurückblicken kann. Die Einladung zu einer umfänglicheren Kommunikationssequenz zum Thema „Supervision“ und der Verknüpfung mit meinem beraterischen Heimathafen „Kinder- und Jugendhilfe“ verdanke ich Prof. Michael Macsenaere, dem Gründer und Wissenschaftlichen Direktor des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ). Wie Sie richtig vermuten, hatte ich keinen großartigen Beratungsbedarf, um dieser Idee sehr gerne zuzustimmen. Das gilt auch für die ExpertInnen, die in diesem Heft hoch heterogene, individuelle und humorvolle Perspektiven auf die Supervision in der Jugendhilfe eröffnen und damit drei grundlegende Kriterien dieser Beratungsform erfüllen: Verschiedenartigkeit, Distanzierung und Perspektivenrotation. Ziel dieser Sonderausgabe ist es, für die Supervision als Selbstvergewisserungsverfahren und für die Jugendhilfe als expansives, im doppelten Sinne wachsendes Berufsfeld ein praxistaugliches Update zu liefern, um die Nachbarschaft der beiden Funktionsfelder weiter zu pflegen. Das qualifizierende Beratungsformat Supervision ist eben immer noch nicht aus sich selbst heraus erklärbar und droht derzeit, den Alltagsnotwendigkeiten und Krisenbewältigungsaktivitäten untergeordnet zu werden. Der aktuellen Nachrichtenlage folgend hätte sich freilich ein Schwerpunktthema zum supervisorischen Umgang mit existenziellen Herausforderungen angeboten. Drängen doch die Fragen hinter den Anhäufungen von Krisen und Konflikten nicht nur in der Jugendhilfe immer lauter. Wieviel Zukunft bleibt der Jugend unter sich chronifizierenden Herbert Winkens 406 uj 10 | 2022 Editorial Pandemie- und Kriegsbedingungen, unter permanentem ökologischem Raubbau noch übrig? Wie finden und qualifizieren Organisationen der Jugendhilfe das dringend notwendige Fachpersonal? Und was kann die Supervision den PädagogInnen in diesem Umfeld an Antworten, Unterstützung oder an hilfreichen Konzepten liefern? Sie ahnen schon, dass diese Fragerichtungen locker ein eigenes Sonderheft füllen könnten. Doch bleiben wir im Rahmen und im Kontakt mit unserem ursprünglichen Vorhaben - eine Herausforderung, der sich Supervision derzeit an allen Ecken ausgesetzt sieht. Zu den AutorInnen, in alphabetischer Reihenfolge: Michaele Buscher, eine sehr erfahrene systemische Therapeutin, eröffnet in einem persönlichen Interview die weibliche Perspektive auf die systemische Supervision und beginnt dieses Heft mit einer ausschnitthaften und sehr individuellen Perspektive auf ihre lebendige Berufsbiografie. Sie schafft immer wieder Bezüge zur Metaebene der Supervision und zur Praxisebene der Jugendhilfe. Hier wird sie von der ebenfalls äußerst erfahrenen Supervisorin, Anne Valler-Lichtenberg, interviewt. Im nächsten Beitrag vergleicht Tim Middendorf, Professor für Sozialwissenschaften in den Studiengängen Soziale Arbeit an der SRH Hochschule in Nordrhein-Westfalen, mithilfe einer treffenden Metapher Supervision in der Jugendhilfe mit einem Tempo-Dauerlauf und erfindet anschauliche und humorvolle Perspektiven auf diese Beratungsform. Sebastian Rumohr, Bereichsleiter einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, spannt seinen praxisbezogenen Erfahrungsbogen mit Supervision metaphorisch zwischen „Schnorcheln und Tiefseetauchen“ auf und macht damit auf diverse Tretminen im Beratungskontext aufmerksam. Katja Satara-Laumen, Pädagogische Leitung in derselben Einrichtung, befasst sich mit der längst fälligen Erweiterung der Perspektive der Supervision um psychotraumatologische und traumapädagogische Wissens- und Erfahrungsbestände, eine Perspektive, die angesichts der angedeuteten Krisen kaum aktueller sein kann. Selbstreferentiell stelle ich Ihnen zum Schluss ein hoch komprimiertes Exzerpt aus meiner Veröffentlichung „10 Kennzeichen für die Supervision in der Jugendhilfe“ vor und hoffe, dass es mir gelingt, Ihnen mit ausreichendem Abstand die Kernpunkte der Supervision in der Jugendhilfe kurzweilig näherzubringen. Hier darf ein Verweis auf den Umstand, dass Supervision die Resilienz von Mitarbeitenden der Jugendhilfe gerade in schwierigen Zeiten stärkt, nicht fehlen. Schließlich zeigt eine Vielzahl wissenschaftlich belastbarer Studien, dass Resilienzfaktoren wie Selbstwirksamkeitserwartung, soziale Unterstützung und Kohärenzgefühl durch Supervision gefördert werden können. Zuvorderst steht mein herzlicher Dank für die Einladung zu diesem Sonderheft und ein großes Dankeschön an die UnterstützerInnen des Projekts. Ihnen, liebe LeserInnen, wünsche ich eine kleine Lücke im anfordernden Alltag, um sich einen kurzen Blick aus anderen Perspektiven zu gönnen. Herbert Winkens