unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2022.art68d
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7411+12
Kinder- und Jugendhilfe für und mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen – eine Erfolgsgeschichte?
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Jakob Schwille
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erfuhren seit 2015 breite fachliche, politische und öffentliche Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren ist es ruhig geworden um diese Zielgruppe. 2022 steigen die Neuaufnahmezahlen in Deutschland jedoch wieder deutlich. Ein guter Zeitpunkt, um sich zu vergewissern, ob die Kinder- und Jugendhilfe für und mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Wirkung gezeigt hat und so den passenden Rahmen für deren Aufnahme und Integration darstellt.
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476 unsere jugend, 74. Jg., S. 476 - 487 (2022) DOI 10.2378/ uj2022.art68d © Ernst Reinhardt Verlag Kinder- und Jugendhilfe für und mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen - eine Erfolgsgeschichte? Zu den Effekten der Arbeit von und mit jungen Geflüchteten mit besonderem Fokus auf der Hilfedauer Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erfuhren seit 2015 breite fachliche, politische und öffentliche Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren ist es ruhig geworden um diese Zielgruppe. 2022 steigen die Neuaufnahmezahlen in Deutschland jedoch wieder deutlich. Ein guter Zeitpunkt, um sich zu vergewissern, ob die Kinder- und Jugendhilfe für und mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Wirkung gezeigt hat und so den passenden Rahmen für deren Aufnahme und Integration darstellt. von Jakob Schwille Jg. 1984; Dipl. Sozialpädagogik/ Dipl. Soziale Arbeit sowie M. A. Sozialmanagement, arbeitet seit 2009 im Bereich Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Seit 2015 Bereichsleitung für das Clearing- und Inobhutnahmezentrum des Campus Christophorus Jugendwerks in Freiburg mit Schwerpunkt auf der Aufnahme von jungen Geflüchteten. Langjähriger Lehrauftrag zur Zielgruppe an der KH Freiburg. Die Kinder- und Jugendhilfe war spätestens ab 2015 sehr gefordert, die notwendigen Betreuungskapazitäten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder Ausländer, wie die Zielgruppe juristisch korrekt benannt wird (umF bzw. umA; zum Begriff vgl. Bundesfachverband umF 2015), quantitativ und qualitativ zu entwickeln. Es wurden enorme Anstrengungen unternommen, die jungen Menschen adäquat im Rahmen des SGB VIII zu versorgen und zu betreuen. Seit 2017 sanken die Zugangs- und Belegungszahlen kontinuierlich. Die Ukraine-Krise, aber auch andere Konfliktherde wie z. B. in Afghanistan führen dazu, dass die Neuaufnahmezahlen aktuell in Deutschland von Neuem deutlich ansteigen. Auch wenn viele Kapazitäten zwischenzeitlich abgebaut wurden, können viele Kommunen auf vorhandenes Erfahrungswissen und Grundstrukturen aus dieser Zeit zurückgreifen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die damals geleistete Arbeit erfolgreich war und welche Lehren man daraus für die aktuelle Situation ziehen kann. Bietet die Kinder- und Jugendhilfe den richtigen Rahmen für diese heterogene Zielgruppe? Haben die eingesetzten finanziellen und personellen Ressourcen Früchte getragen? Ist es gelungen, die jungen Menschen zu erreichen und auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit zu begleiten? 477 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe Erwerben die umF/ umA die passenden Kompetenzen, um auf Dauer eigenständig in der Aufnahmegesellschaft zu leben? Diesen Fragen geht dieser Artikel nach. Grundlage ist eine Evaluation aus dem Jahr 2019, deren Ergebnisse hier dargestellt werden. Bisherige Wirkungsforschung zu umF/ umA Wie lässt sich messen, was in der Praxis, wie hier bei Wiesinger beschrieben, häufig berichtet wird: „Fachkräfte der Jugendämter und Jugendhilfeeinrichtungen erleben seit Jahrzehnten unzählige Erfolgsgeschichten, die aufzeigen, dass die große Mehrheit der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und jungen Volljährigen in hohem Maße bereit ist, die Angebote der Jugendhilfe anzunehmen und aktiv mitzuwirken“ (Wiesinger 2018, 124)? Zu den Effekten der Kinder- und Jugendhilfe wird bereits seit mehr als 20 Jahren geforscht. Besonders erwähnenswert ist dabei die als Längsschnittstudie angelegte „Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (EVAS)“ (Macsenaere/ Knab 2004; www.ikj.mainz.de), die seit 1999 durchgeführt wird, sowie das Wirkungsmessinstrument WIMES. Spezifisch zur Zielgruppe der umF/ umA wurde bisher aber recht wenig Wirkungsforschung betrieben. Die bundesweit erste Evaluation der Kinder- und Jugendhilfe mit dieser Zielgruppe (Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“) wurde zwischen 2014 und 2017 vom Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) in Kooperation mit dem Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfe (BVkE) durchgeführt. Damit wurden das erste Mal wissenschaftlich abgesicherte Aussagen zur Effektivität pädagogischer Arbeit mit dieser Zielgruppe vorgelegt. An dem Projekt beteiligten sich 37 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aus Deutschland und Österreich. Ausgewertet werden konnten ca. 1.300 Hilfen zu Beginn der Inobhutnahme, ca. 735 Hilfen zu Beginn der Jugendhilfemaßnahme sowie ca. 180 abgeschlossene Hilfen. Hier konnten positive Effekte nachgewiesen und gleichzeitig zentrale Wirkfaktoren und deren Bedeutung für die Zielgruppe identifiziert werden. Aufgrund des befristeten Erhebungszeitraums konnten im Rahmen dieser Evaluation keine Hilfen mit längeren Verläufen untersucht werden. Im Fokus der Untersuchung standen die Ausgangslagen, die Prozessqualität, die Effektivität sowie die Herausarbeitung von zentralen Wirkfaktoren. Zusätzlich zur quantitativen Erhebung wurden qualitative leitfadengestützte Interviews mit 19 umF/ umA im Alter von 9 - 19 Jahren geführt. Ziel war es, die subjektive Perspektive der untersuchten Zielgruppe in die Analyse einfließen zu lassen. Um umfassende Aussagen insbesondere zu den Ausgangslagen und zur Inobhutnahme zu generieren, war es notwendig, ein neues Erhebungsinstrument zu entwickeln und die Daten neu zu erfassen. Die Daten zur Prozessqualität, Effektivität und zu den Wirkfaktoren basieren jedoch zu weiten Teilen auf der Systematik des pädagogischen Fachverfahrens „EVAS“ und lassen daher Vergleiche zur Jugendhilfeklientel insgesamt zu. EVAS wurde und wird seit dem Start 1999 in Deutschland in bisher weit über 200 Einrichtungen und Diensten, seit Herbst 2004 in Österreich und seit 2006 in Luxemburg eingesetzt. Durchgeführt wird das Verfahren vom IKJ. Mit über 50.000 dokumentierten Hilfen ist EVAS laut eigener Aussage das größte Verfahren zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe (Macsenaere/ Knab 2004, 7). Das längsschnittliche und prospektive Vorgehen ist ein zentraler methodischer Aspekt in EVAS. Erhoben werden die Daten zu Beginn, jeweils nach sechs Monaten im Hilfeverlauf (orientiert an der Hilfeplanung) sowie zum Ende der Hilfe. So lassen sich die Effekte der Jugendhilfemaßnahmen mit verschiedenen Indizes über den Gesamtzeitraum der Hilfen betrachten. Die Daten fließen einerseits in die Gesamtauswertung ein, andererseits werden einrichtungs- und fallbezogene Auswertungen zur Verfügung gestellt. 478 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe Beide Studien unterliegen einer ähnlichen Systematik, mit der die Entwicklung der jungen Menschen sichtbar gemacht werden kann. Um die besondere Lage der umF/ umA abzubilden, wurden in die Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ allerdings zusätzliche Items aufgenommen, die in der EVAS-Studie wiederum nicht erfasst werden. Die EVAS-Sonderauswertung zu umF/ umA Die vorliegende Evaluation knüpft an die Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ an, legt jedoch den Fokus auf die Untersuchung langfristiger Hilfen. In der Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ konnten aufgrund des Projektzeitraums nur Hilfen mit einer maximalen Dauer von zweieinhalb Jahren nachvollzogen werden. Anhand einer Stichprobe aus der EVAS-Studie mit längerfristigen Hilfeverläufen werden daher die in der Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ benannten Effekte überprüft bzw. erweitert betrachtet. Zudem wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung der Wirkfaktor „Hilfedauer“ für Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe mit umF / umA hat. In der Erhebung der Daten für EVAS wird nicht zwischen einheimischen Jugendlichen und umF/ umA unterschieden. Vier Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen aus dem Bundesgebiet stellten daher die anonymisierten Daten aller Abb. 1: Hilfedauer zum Erhebungszeitpunkt (31. 7. 2018, EVAS-Sonderauswertung umF) 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 bis zu 12 Monate 13 - 24 Monate 25 - 36 Monate 37 - 48 Monate mehr als 48 Monate Beendete Fälle (n = 32) Laufende Fälle (n = 84) 2 13 37 24 8 1 7 8 4 12 Abb.: Jakob Schwille 479 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe von ihnen zum Stichtag betreuten umF/ umA zur Verfügung (inkl. bereits beendeter Maßnahmen). Die Auswahl erfolgte damit quasiexperimentell mit einem Fokus auf der Unterscheidung von „umF/ umA“ und „Nicht-umF/ umA“ sowie der Hilfedauer (Schaffer 2009, 67ff ). Schlussendlich konnten 116 Fälle für die Untersuchung verwendet werden. Ein Teil der Maßnahmen (n = 32) war zum Erhebungsstichtag (31. 7. 2018) bereits beendet und konnte damit über den gesamten Hilfeverlauf betrachtet werden. Die Grundauswertung der Stichprobe stellte das IKJ zur Verfügung. Die Verteilung in Bezug auf die Hilfedauer ist in Abb. 1 dargestellt. 87,1 % der Jugendlichen waren zum Hilfebeginn zwischen 14 und 17 Jahre alt, im Durchschnitt 15,6 Jahre. Die Altersspanne bei Hilfebeginn lag zwischen neun und 19 Jahren. Zum Wirkfaktor Hilfedauer Die Hilfedauer wird als einer der für den Gesamterfolg der Kinder- und Jugendhilfe mit umF/ umA bedeutsamsten Faktoren angesehen (Macsenaere/ Köck/ Hiller 2018, 92). Die zentrale Bedeutung des Wirkfaktors der Hilfedauer in der Kinder- und Jugendhilfe wurde schon umfangreich untersucht und belegt (ebd. 2018, 68; Ziegler 2014, 75). Albus et al. (2010, 149) fassen den Zusammenhang in einen Satz: „Je länger die Hilfe dauert, umso wahrscheinlicher ist eine positive Wirkung“. Macsenaere und Esser (2015, 66) konstatieren dazu aus ihrer bisherigen Forschungstätigkeit: „Höherschwellige Hilfen zur Erziehung erreichen nach 1,5 bis zwei Jahren ein hohes Effektivitätsniveau. Die höchsten Effektstärken werden [hilfeartübergreifend] nach 31 - 36 Monaten erreicht, in der Heimerziehung erst nach über 36 Monaten.“ Bereits Anfang der 2000er-Jahre wiesen Knab und Macsenaere (2004, 8) darauf hin, dass in Zeiten knapper werdender finanzieller Ressourcen „die Fragestellung, ob sich auch bei einer Hilfedauer von mehr als zwei Jahren noch zusätzliche positive Effekte erreichen lassen“, wieder neu stellt. Aufgrund der zeitlichen Befristung des Gesamtprojektes konnten im Rahmen der Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ Fälle mit einer maximalen Hilfedauer von bis zu 30 Monaten erfasst werden. Dies führte zu einer dokumentierten durchschnittlichen Hilfedauer von 10,9 Monaten. Ein zentrales Ziel der vorliegenden Evaluation war es, längere Hilfeverläufe bei jungen Geflüchteten nachzuvollziehen und auf deren Effekte hin zu untersuchen. Für die untersuchte Stichprobe ergab sich eine Hilfedauer von durchschnittlich 40,6 Monaten (ca. 3,5 Jahre). 80 % der untersuchten Hilfe wiesen eine Hilfedauer von mehr als zwei Jahren auf, 20 % liefen bereits länger als vier Jahre. Die bereits beendeten Fälle wiesen eine Hilfedauer zwischen einem Jahr und neun Jahren, neun Monaten auf. Zentrale Ergebnisse der Evaluation Generell bestätigte sich, dass mithilfe der EVAS- Daten gute Aussagen über die Zielgruppe der umF/ umA getroffen werden können: Es lässt sich ein breites Bild der Kinder- und Jugendhilfe von und mit umF/ umA darstellen und untersuchen. Die Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe von und mit umF/ umA wies in dieser Stichprobe eine hervorragende Gesamteffektstärke von durchschnittlich +19,2 Punkten auf. Zur Einordnung: In der EVAS-Gesamtstudie wird ab einem Skalenwert von mind. 3,1 von einer bedeutsamen positiven Entwicklung gesprochen. Für die EVAS-Gesamtstichprobe wird ein Wert von +4,5 ausgewiesen (Macsenaere/ Köck/ Hiller 2018, 53). Es wurde in der Stichprobe ein Ressourcenzuwachs von durchschnittlich +23,5 Punkten erreicht. Die vorhandenen Defizite wurden gleichzeitig im Hilfeverlauf um durchschnittlich 9,9 Punkte reduziert. Die längere Hilfedauer wirkte sich dabei sehr positiv auf die Effektstärke bei Beendigung aus. 480 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe Die durchschnittliche Effektstärke erwies sich bei einer gut vierfach längeren Hilfedauer gut viermal so hoch im Vergleich zur Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“. Die Effektstärken im Hilfeverlauf der Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ ließen sich bestätigen und fortschreiben: Sowohl für die bereits abgeschlossenen als auch für die noch laufenden Hilfen zeigte sich ein permanenter Zuwachs der Effektstärke über die (bisherige) Dauer der Hilfe. Die Effektstärke stieg bis zu vier Jahre an und hielt dann ein hohes Niveau. Besonders hohe Zuwächse waren dabei im dritten Hilfejahr zu verzeichnen. Bereits im ersten Jahr zeigten sich wider Erwarten hohe Effektstärken. Um die hohen Effekte zu erreichen, war auch der Einbezug der Hilfen für junge Volljährige in die Datenauswertung notwendig. Hier ließen sich die guten Effekte weiter steigern. Evaluation umF EVAS-Sonderauswertung umF 25 20 15 10 5 0 +5,2 +19,2 Abb. 2: Durchschnittliche Effektstärke im Gesamthilfeverlauf bei beendeten Hilfen im Vergleich von Evaluationsstudie umF und EVAS-Sonderauswertung umF (n = 32) Abb.: Jakob Schwille 25 20 15 10 5 0 7 - 12 Monate 13 - 18 Monate 19 - 30 Monate 31 - 48 Monate mehr als 48 Monate Evaluationsstudie umF EVAS-Sonderauswertung umF 23,5 23,8 16,6 15,4 8 8,1 5 1,9 Abb. 3: Gesamteffektindex nach Hilfedauer (Vergleich Evaluationsstudie umF und EVAS-Sonderauswertung umF) Abb.: Jakob Schwille 481 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe Die sozialen und psychischen Auffälligkeiten der jungen Menschen wurden im Verlauf der Hilfe deutlich reduziert. Die Kinder- und Jugendhilfe trägt also zur Stabilisierung und sozialen Integration der Zielgruppe bei. Besonders bei Schlafschwierigkeiten wurden sehr positive Effekte erzielt. Soziale Unsicherheiten wurden abgebaut, Bewältigungsstrategien erlernt. Deutlich wurde der zusätzliche therapeutische Bedarf. Hier konnte die Kinder- und Jugendhilfe teilweise einen Beitrag (etwa in Bezug auf depressive Verstimmungen) leisten. Insgesamt wurden die vorhandenen Symptome bei beendeten Hilfen um 22,5 Punkte reduziert. Auch die psychosoziale Anpassung der jungen Menschen an ihre neue Umgebung ist gelungen. Integrationsfördernde Kompetenzen wurden deutlich gestärkt. Es gelang in allen erfassten Bereichen, gute Fortschritte zu erzielen. Die Funktion in der Gruppe und das Freizeitverhalten regulierten sich nach anfänglichen Rückschritten über die längere Hilfedauer und entwickelten sich positiv. Es gelang, die bereits vorhandene Selbstständigkeit und Autonomie zu stärken und positiv in den Verselbstständigungsprozess zum Ende der Kinder- und Jugendhilfe einzubinden. Die Kinder- und Jugendhilfe leistete einen deutlichen Beitrag zum Bildungserfolg der umF/ umA. Neben der positiven sprachlichen Entwicklung wurden zahlreiche formale Bildungsabschlüsse erreicht. Rund drei Viertel aller jungen Menschen dieser Stichprobe verließen die Kinder- und Jugendhilfe mit einem formalen Schulabschluss. Rund ein Drittel beendete die Kinder- und Jugendhilfe mit einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung. Die jungen Menschen wirkten an der Hilfe mit und trugen durch eine hohe Motivation und Kooperation in Unterbringung und Schule/ Ausbildung zum Gelingen der Hilfe bei. Es gelang, eine gute Beziehung zwischen den jungen Menschen und den Betreuenden aufzubauen. Schulabschluss erlangt Kein Schulabschluss Entfällt z. B. altersbedingt 9,40 % (n = 3) 71,90 % (n = 23) 18,80 % (n = 6) Abb. 4: Erreichte Schulabschlüsse bei beendeten Hilfen, EVAS-Sonderauswertung umF (n = 32) Abb.: Jakob Schwille 482 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe Die Hilfen endeten in der Gesamtbetrachtung (Erfolgsquote) sehr erfolgreich. In 96,7 % (! ) der erfassten Fälle endeten die Hilfen mit einer positiven bis sehr positiven Entwicklung. Nur in knapp 3 % der Fälle ließ sich über die Verlaufsdauer keine Veränderung nachweisen. Eine negative Entwicklung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe wurde in keinem der erfassten Fälle festgestellt. Die Perspektiven der jungen Menschen nach der Kinder- und Jugendhilfe wurden dementsprechend von den Betreuenden im Schnitt als „eher gut“ bewertet. Zusätzlich endeten überdurchschnittlich viele Hilfen planmäßig. Kinder- und Jugendhilfe und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - eine Erfolgsgeschichte! Sind die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe von und mit umF/ umA also erfolgreich gewesen? In Anbetracht der hier dargestellten Ergebnisse kann diese Frage eindeutig mit „Ja“ beantwortet werden. Die jungen Menschen in dieser Stichprobe starten mehrheitlich mit einer guten Ausgangslage in die Hilfen (Ressourcen, Defizite, Gesamtauffälligkeiten). Die Erziehungsschwierigkeiten treten bei dieser Zielgruppe meist in den Hintergrund (Köck 2018, 106; Fischer 2018, 100ff ). Sie hatten also eine bessere Ausgangslage als ihre gleichaltri- 100 % 90 % 80 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0 % stark positiv 27,8 11,4 11,5 9,7 3,7 7,4 8,2 7,7 12,6 78,1 12,5 6,3 3,1 60,4 % 35,9 % 96,9 % +36,5 % -35,9 % positiv leicht positiv minimal positiv unverändert minimal negativ leicht negativ negativ stark negativ stark positiv positiv unverändert leicht positiv EVAS umF Abb. 5: Vergleich der Erfolgsquote der EVAS-Gesamtstudie (Auswertung der Maßnahmen nach § 34 aus 2017) mit der EVAS-Sonderauswertung umF (n = 32), jeweils beendete Hilfen. Grafik bereitgestellt vom IKJ Abb.: Timo Herrmann 483 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe gen Peers in der Kinder- und Jugendhilfe. Nur in spezifischen Bereichen, etwa bei Sprache, Lese-Rechtschreibung und Rechnen sowie dem psychischen Befinden (Schlafstörungen, depressive Verstimmungen) startet die Zielgruppe mehrheitlich mit einer Hypothek. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass die umF/ umA die Angebote und Möglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe in hervorragender Art und Weise nutzen und insgesamt sehr von der Hilfe profitieren. In flankierend durchgeführten qualitativen Interviews mit umF/ umA wurde deutlich, dass diese jungen Menschen der Unterstützung der Betreuenden bei ihrem Erfolg eine große Bedeutung zuschreiben. Die Mehrheit der jungen Menschen nutzt die ihnen angebotene Chance. Die Effektstärken und die Erfolgsquote übertreffen die Erwartungen. Es gelingt im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe Ressourcen und integrationsfördernde Kompetenzen zu stärken und gleichzeitig vorhandene Defizite deutlich zu reduzieren. Belastungen wie Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und soziale Unsicherheit wurden im Verlauf der Hilfen deutlich reduziert. Es gelingt einer Vielzahl der jungen Menschen im Rahmen der Hilfe einen formalen Schulabschluss zu erreichen und einer beachtlichen Gruppe bereits eine Ausbildung in diesem Rahmen erfolgreich abzuschließen. Dabei gelingt es die jungen Menschen in den Hilfeprozess einzubinden und ihre hohe Motivation zielgerichtet zu nutzen. Die Kinder- und Jugendhilfe erreicht diese Zielgruppe und dient als „Integrationsmotor“. Insofern bestätigen sich die Aussagen der Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“. Die hier vorgestellte Evaluation zeigt darüber hinaus, dass sich die sehr guten Effekte mit einer längeren Hilfedauer noch erheblich steigern lassen. Es gelingt den jungen Menschen, deren Hilfeverläufe hier evaluiert wurden, die lange Hilfedauer sehr gut zu nutzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in dieser Untersuchung der Fokus auf den langfristigen Hilfen liegt. Es ist daher davon auszugehen, dass eine umfassende, repräsentative Untersuchung unter Berücksichtigung von frühzeitig beendeten oder abgebrochenen Hilfen zu etwas weniger positiven Ergebnissen führen würde. In Zusammenschau mit der Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ lässt sich jedoch konstatieren, dass die Kinder- und Jugendhilfe von und mit umF/ umA sehr positive Effekte erzielt und Wirkung entfaltet. Dies gilt insbesondere für Hilfen mit einer langen Hilfedauer. Die Hypothese, wonach sich mit Hilfen über zwei Jahre deutlich positive Effekte erzielen lassen, bestätigt sich. Die zentrale Bedeutung des Wirkfaktors „Hilfedauer“ für die Hilfen für umF/ umA wird durch die vorliegenden Ergebnisse unterstrichen. Die Zeit zwischen 18 und 21 Jahren erweist sich dabei als sehr erfolgreich und trägt einen großen Anteil am Erfolg der Hilfen. Diesen jungen Menschen wurde die notwendige Zeit gegeben, um die ihnen angebotenen Chancen erfolgreich zu nutzen. Dies sollte Auswirkungen auf den Diskurs um die generelle Deckelung von Hilfedauern, insbesondere bei umF/ umA, haben. Es bestätigt sich die Aussage von Macsenaere und Esser (2015, 68): „Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Jugendhilfe Zeit benötigt, um ihre (durchaus beachtliche) Wirkung zu entfalten. Die Forderung nach einer generellen Deckelung von Hilfedauer muss vor diesem Hintergrund deutlich zurückgewiesen werden.“ Dies wird auch auf politischer Ebene wahrgenommen. Die ehemalige Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, kommentiert dazu: „Die in der politischen und medialen Debatte diskutierten ‚Standardabsenkungen‘ im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe widersprechen der besonderen Verantwortung gegenüber UMA. Gerade der Wegfall sozialpädagogischer Stabilisierung und Begleitung würde die erfahrungsgemäß guten Chancen auf gelungene Teilhabe an der Gesellschaft und einen erfolgreichen Bildungsverlauf gefährden. Aus eben diesem Grund sollten die Hilfen auch mit Erreichen der Volljährigkeit nicht abrupt beendet werden und eine Nachbzw. Wei- 484 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe terbetreuung nach § 41 SGB VIII weiterhin je nach individueller Situation vollumfänglich möglich sein. Viele Hilfen werden zum Teil bereits jetzt zu schnell beendet, was gerade bei jungen Menschen mit Fluchterfahrungen u. a. zu psychischen Belastungen und Beeinträchtigungen beim Bildungserwerb und Ausbildungsabbrüchen führen kann“ (Bundesamt für Migration, Flüchtlinge und Integration 2016, 514). Zudem muss hier die Frage gestellt werden, ob Hilfen in Einzelfällen auch über das 21. Lebensjahr hinaus gewährt werden, um die nachhaltige Absicherung der erreichten Effekte zu sichern und Übergänge gut zu gestalten - eine Frage, die auch in der aktuellen Careleaver-Debatte von Bedeutung ist. Wiesinger (2018, 126) wirft zu Recht die Frage auf, „ob wir es hinnehmen können und dürfen, wenn durch eine an kurzfristigen Einspareffekten ausgerichtete Politik eine gesellschaftlich ausgegrenzte Randgruppe (frustrierter) junger Männer generiert wird, deren Integrationsprozess damit trotz guter Anfänge zum Scheitern verurteilt wäre“. Aufenthaltssicherheit als Wirkfaktor Für die Nachhaltigkeit der Kinder- und Jugendhilfe mit und von umF/ umA von zentraler Bedeutung ist die Aufenthaltsperspektive und -sicherheit (Thomas/ Sauer/ Zalewski 2018, 33). Diesen Zusammenhang hat die Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ deutlich belegt (Herrmann/ Macsenaere/ Wennmann 2018, 73). In der vorliegenden Untersuchung konnte dieser Wirkfaktor aufgrund der fehlenden Datenerhebung nicht beleuchtet werden. Aufgrund der bekanntlich langen Dauer bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren ist davon auszugehen, dass viele der umF/ umA lange Phasen der aufenthaltsrechtlichen Unsicherheit in ihrer Jugendhilfezeit durchleben. Wiesinger (2018, 126) kommentiert dazu: „Dieses Spannungsverhältnis ist die ‚Achillesferse‘ der Jugendhilfe, da es von den jungen Menschen sowie beteiligten Akteuren auf Grund der geringen Einflusszone nicht nur als äußert wirkmächtig, sondern häufig als zermürbende Dauerbelastung erlebt wird. In einem dialektischen Sinne besteht der Auftrag der verschiedenen Jugendhilfeakteure immer wieder darin, gegenüber politisch Verantwortlichen darzustellen, dass sich integrationspolitisch gewünschte Zielperspektiven kaum realisieren lassen, wenn eine grundlegende Verunsicherung das Lebensgefühl junger Menschen prägt, die weit über eine tatsächliche Abschiebeandrohung hinausgeht.“ Hier ist die Politik gefordert nachzusteuern, um die erreichten Erfolge nachhaltig zu sichern. Es bleibt auch für die vorliegende Untersuchung festzuhalten, dass die Ergebnisse im Licht der häufig unklaren Aufenthaltsperspektive in der sensiblen Jugendphase umso beachtlicher erscheinen. Die hier dargestellten Ergebnisse zeigen, dass die jungen Menschen ein hohes Maß an Motivation und Zielstrebigkeit aufbringen. Die Ergebnisse liefern gute Argumente für die politischen Entscheidungsprozesse zum sogenannten „Spurwechsel“ oder zu Bleiberechtsregelungen für gut integrierte Flüchtlinge, ebenso wie zum Diskurs um ein gesondertes Leistungsrecht für umF/ umA sowie für den Umgang mit Hilfen für junge Volljährige. Die vorliegenden Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Regelungen wie die sogenannte „3 + 2 Duldung“ (diese gesetzliche Möglichkeit gewährt Aufenthaltssicherheit für den Zeitraum der Ausbildung und zwei anschließende Jahre der Arbeitssuche), sofern sie in der Praxis niederschwellig umgesetzt werden, in die richtige Richtung gehen. Insgesamt muss gesamtgesellschaftlich die Frage gestellt werden, ob wir es uns angesichts von Fachkräftemangel und alternder Bevölkerung leisten können, diese jungen Menschen über lange Zeit in aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit zu belassen oder gar abzuschieben. Die vorliegenden Ergebnisse können einen Beitrag zur weiteren Versachlichung der öffentlichen und politischen Diskurse über den Umgang mit jungen Geflüchteten leisten. Dem häufig negativ kon- 485 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe notierten Bild in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung setzt sich hier ein positives Bild entgegen. Die Kinder- und Jugendhilfe kann ebenso wie die jungen Menschen selbst stolz sein auf das bisher in Bezug auf diese besondere Zielgruppe Geleistete. Die Kinder- und Jugendhilfe darf diese Erfolge selbstbewusst öffentlich und politisch vertreten und kann hier auf die wissenschaftlich belegten positiven Effekte verweisen. Ergänzende Wirkfaktoren Es lässt sich im Rahmen dieser Arbeit keine Aussage treffen zur Bedeutung eines gelungenen Übergangs bzw. der Nachsorge für die nachhaltige Sicherung des Erfolgs der Hilfe. Köck (2018, 105) hält dazu fest: „Jugendhilfe ist endlich und muss es auch sein. Dennoch ist die Gestaltung des Übergangs raus aus dem Erziehungshilfebezug eine Aufgabe von Erziehungshilfe. Diese ist gerade bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aufwändig und setzt zeitliche Ressourcen voraus, weil diese jungen Menschen nicht wie sonst eher üblich auf Anknüpfungspunkte, wie Systemkenntnis und funktionales Unterstützungssystem, z. B. familiäre Strukturen zurückgreifen können.“ Katamnestische Untersuchungen mit einigen Jahren Abstand zum Hilfeende könnten hier ansetzen. Die Bedeutung der fehlenden Unterstützungssysteme nach der Kinder- und Jugendhilfe bzw. die sozialräumliche Einbindung der umF/ umA bleibt ebenfalls offen, z. B. die Einbindung in Vereine, Ehrenamt, Parteien und informelle Bildungsangebote. Sie können eine Plattform bieten für den Kontakt mit Einheimischen außerhalb der Einrichtung und des Jugendhilferahmens. Für die nachhaltige soziale Beheimatung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kommt diesen Kontakten eine zentrale Bedeutung zu. Der Aufbau unterstützender Netzwerke über das Hilfeende der Kinder- und Jugendhilfe hinaus ist eine wichtige Aufgabe im Rahmen der Verselbstständigung. Für die Gesamtbewertung muss auch die allgemeine Ausgangslage der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigt werden. In den letzten Jahren war die Kinder- und Jugendhilfe mit massiven Herausforderungen konfrontiert. Durch das schnelle Ansteigen der Fallzahlen stand an vielen Stellen der quantitative Ausbau vor dem qualitativen Ausbau. Es mussten in kürzester Zeit viele neue Plätze geschaffen werden. Die Sicherstellung der Versorgung stand dabei im Vordergrund. Die qualitative Entwicklung der Angebote folgte an vielen Stellen erst später. Vor diesem Hintergrund sind auch die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Bezug auf die Zielgruppe der umF/ umA als Erfolg zu bewerten. In der vorliegenden Untersuchung wurden Fälle aus bereits vor 2015 etablierten Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen in den Blick genommen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Arbeit hierbei Früchte getragen hat. Ob dies auch bei neuentstandenen Einrichtungen der Fall war, lässt sich bisher nicht nachvollziehen. Nachholbedarfe Wie auch in der Evaluationsstudie „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ zeigen sich in der vorgestellten Auswertung Hinweise auf bestehende Defizite im Clearingbzw. Aufnahmeverfahren (Macsenaere/ Köck/ Hiller 2018, 59). Dies betrifft die Diagnostik im Bildungsbereich sowie in Bezug auf psychische und psychiatrische Auffälligkeiten. Hier zeigen sich größere Datenlücken. Ob diese Lücken auf fehlende Erhebung, Schwierigkeiten in der Erhebung oder lückenhafte Dokumentation (etwa aufgrund des hohen Zeitdrucks und fehlender Kapazitäten in den letzten Jahren) zurückzuführen sind, lässt sich hier nicht feststellen. Es ist zu vermuten, dass hier die Passgenauigkeit der Hilfen und der entsprechenden begleitenden Maßnahmen und somit die Effektivität der Hilfen erhöht werden könnten (Macsenaere/ Esser 2015, 27). Es zeigt sich in der Auswertung, dass die Kinder- und Jugendhilfe in Bezug auf psy- 486 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe chische Schwierigkeiten eine stabilisierende Wirkung entfaltet (etwa durch traumapädagogische Ansätze). Es zeigt sich jedoch auch, dass diese Wirkung begrenzt ist. Die Verbesserungseffekte, etwa in Bezug auf depressive Verstimmungen, lassen den Schluss zu, dass hier die Einbindung von psychiatrischen und therapeutischen Angeboten und Maßnahmen noch zu kurz kommt (Thomas/ Sauer/ Zalewski 2018, 227). Ausreichende Therapieangebote und ein gutes Zusammenspiel der beteiligten Akteure könnten hier die Effektivität der Hilfen noch weiter erhöhen. Erfolg der Professionellen oder Erfolg der jungen Menschen? Zuletzt stellt sich die Frage, wem diese erreichten Erfolge zuzuschreiben sind. Um hierzu generalisierbare Aussagen treffen zu können, ist sicherlich weitergehende Forschungsarbeit notwendig. Insbesondere katamnestische Betrachtungen und Forschung in Bezug auf den Wirkfaktor (oder besser Hemmfaktor) der Aufenthaltssicherheit sind hier zu nennen. Die vorliegenden Ergebnisse lassen jedoch den Schluss zu, dass sich sowohl die jungen Menschen als auch die Fachkräfte der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe diesen Erfolg auf die Fahne schreiben können. Es gelingt der Kinder- und Jugendhilfe, unter schwierigen Bedingungen in hohem Maße stabilisierend und orientierend zu wirken und zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung der umF/ umA beizutragen. Die Kinder- und Jugendhilfe hat in der rechtlich komplexen Gemengelage eine„Vermittlungs- und Übersetzerfunktion“ zwischen den umF/ umA, den Hilfesystemen und der Gesamtgesellschaft (Wiesinger 2018, 123). Die Kinder- und Jugendhilfe leistet einen beachtlichen Beitrag zum Bildungserfolg dieser jungen Menschen und damit zu ihrer Arbeitsmarktintegration. Sie leistet damit einen Beitrag zur Teilhabe dieser Zielgruppe an der Gesamtgesellschaft. Dabei ist wichtig, dass nicht nur die jungen Menschen Zeit benötigen, sondern auch die Aufnahmegesellschaft. In Bezug auf die umF/ umA waren in den letzten Jahren insbesondere die freien und öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe gefordert, Prozesse zu gestalten, Hürden zu überwinden und Fehlentwicklungen zu korrigieren (Köck 2018, 105). Auch dies gilt es bei der Gesamtbewertung der Erfolge zu beachten. Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass die erreichten Erfolge nur in der Koproduktion der beteiligten Akteure möglich sind. Die jungen Menschen haben einen bedeutenden Teil zum Erfolg beigetragen. Wo es gelingt, die jungen Menschen sinnvoll in den Hilfeprozess einzubinden, wird Kinder- und Jugendhilfe dauerhaft erfolgreich mit dieser Zielgruppe arbeiten können (Fischer 2018, 102). Zuletzt sei noch einmal betont, dass die vorgestellten Zahlen nicht nur statistisch Erfolge belegen, sondern dass sich dahinter tatsächliche Erfolgs- und Lebensgeschichten von und mit jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe verbergen. Die Leistung der jungen Menschen und der Betreuenden verdient höchsten Respekt und Anerkennung. Die Kinder- und Jugendhilfe darf (und sollte aus Sicht des Autors) die eigenen Erfolge und die Erfolge der umF/ umA durchaus selbstbewusst vertreten, kommunizieren und weiter beforschen. Die im Artikel vorgestellte Evaluation wurde im Rahmen der Masterthesis durchgeführt und ist im pdf-Format beim Autor erhältlich: Schwille, J. (2019): Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Jugendhilfe - eine Erfolgsgeschichte! Zu den Effekten der Arbeit von und mit jungen Geflüchteten mit besonderem Fokus auf dem Wirkfaktor Hilfedauer. Jakob Schwille Campus Christophorus Jugendwerk Jugendwerk 1 79206 Breisach-Oberrimsingen E-Mail: schwille@cjw.eu 487 uj 11+12 | 2022 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe Literatur Albus, S., Greschke, H., Klingler, B., Messmer, H., Michel, H., Otto, H., Polutta, A. (2010): Abschlussbericht der Evaluation des Bundesmodellprogramms „Qualifizierung der Hilfen zur Erziehung durch wirkungsorientierte Ausgestaltung der Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarungen nach §§ 78 a ff SGB VIII“. Waxmann, Münster Bundesamt für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hrsg.) (2016): 11. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Teilhabe, Chancengleichheit und Rechtsentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland. In: https: / / www.bundesregierung.de/ resource/ blob/ 992814/ 729998/ fdcd6fab942558386be0d47d9add 51bb/ 11-lagebericht-09-12-2016-download-ba-ibdata.pdf, 29. 8. 2022 Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. (Hrsg.) (2105): Kritik an der Bezeichnung „unbegleitete minderjährige Ausländer_in“. In: https: / / b-umf.de/ src/ wp-content/ uploads/ 2018/ 01/ Kritik_ Begriff_umA-1.pdf, 29. 8. 2022 Fischer, J. (2018): Evaluation der Situation von unbegleiteten Minderjährigen aus der Sicht des Jugendamtes. In: Macsenaere, M., Köck, T., Hiller, S. (Hrsg.): Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe. Erkenntnisse aus der Evaluation von Hilfeprozessen. Lambertus, Freiburg Herrmann, T., Macsenaere, M., Wennmann, O. (2018): Ergebnisse. In: Macsenaere, M., Köck, T., Hiller, S. (Hrsg.): Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe. Erkenntnisse aus der Evaluation von Hilfeprozessen. Lambertus, Freiburg Köck, T. (2018): Einordung der UMF-Studie aus Sicht der Erziehungshilfeträger. In: Macsenaere, M., Köck, T., Hiller, S. (Hrsg.): Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe. Erkenntnisse aus der Evaluation von Hilfeprozessen. Lambertus, Freiburg Macsenaere, M., Esser, K. (2105): Was wirkt in der Erziehungshilfe? Wirkfaktoren in Heimerziehung und anderen Hilfearten. 2. Aufl. Reinhardt, München/ Basel Macsenaere, M., Knab, E. (2004): Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (EVAS) - eine Einführung. Lambertus, Freiburg Macsenaere, M., Köck, T., Hiller, S. (Hrsg.) (2018): Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe. Erkenntnisse aus der Evaluation von Hilfeprozessen. Lambertus, Freiburg Schaffer, H. (2009): Empirische Sozialforschung für die Soziale Arbeit. Eine Einführung. Lambertus, Freiburg Thomas, S., Sauer, M., Zalewski, I. (2018): Unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Ihre Lebenssituationen und Perspektiven in Deutschland. transcript, Bielefeld Wiesinger, I. (2018): Die Bedeutung der Studie aus Sicht des Bundesfachverbandes UMF. In: Macsenaere, M., Köck, T., Hiller, S. (Hrsg.): Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe. Erkenntnisse aus der Evaluation von Hilfeprozessen. Lambertus, Freiburg Ziegler, H. (2014): Entwicklungen in den Hilfen zur Erziehung. Herausforderungen, Wirkungen und sozialräumliche Alternativen. Expertise zum 10. Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung NRW. In: https: / / www.mkffi.nrw/ sites/ default/ files/ docu ments/ 10-kjbnrw-expertise-ziegler.pdf, 29. 8. 2022
