unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2022.art06d
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Freundschaft und Zugehörigkeit in der schulischen Lebenswelt
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Erich Hollenstein
Frank Nieslony
Die Corona-Krise hat das soziale Interaktionsfeld Schule heftig getroffen. Diese Situation gibt Anlass, auf die Bedeutung der Schulsozialarbeit zu verweisen. Deshalb gilt im Folgenden dem Schulklima, der SchülerInnenbeteiligung, den dortigen Freundschaften sowie der Raum- und Schulgestaltung die Aufmerksamkeit.
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32 unsere jugend, 74. Jg., S. 32 - 38 (2022) DOI 10.2378/ uj2022.art06d © Ernst Reinhardt Verlag Freundschaft und Zugehörigkeit in der schulischen Lebenswelt Ein Beitrag der Schulsozialarbeit in schwieriger Zeit Die Corona-Krise hat das soziale Interaktionsfeld Schule heftig getroffen. Diese Situation gibt Anlass, auf die Bedeutung der Schulsozialarbeit zu verweisen. Deshalb gilt im Folgenden dem Schulklima, der SchülerInnenbeteiligung, den dortigen Freundschaften sowie der Raum- und Schulgestaltung die Aufmerksamkeit. von Prof. Dr. Erich Hollenstein Jg. 1945; Hochschule Hannover, Fakultät Diakonie, Gesundheit, Soziale Arbeit. Arbeitsschwerpunkte: Sozialisation, Erziehung, Bildung, Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit (seit 2009 in Ruhestand) Die Auswirkungen der Coronakrise auf SchülerInnen sind bedrückend. Insbesondere betroffen sind die vielfältigen Beziehungen zum sozialen Gefüge der Schule: zu FreundInnen, zur Klasse, zu Gruppen, zur Lehrerschaft und zu weiterem pädagogischen Personal. In befremdlicher Weise rückt aktuell die häufig nicht hinreichend wahrgenommene soziale Dimension der Schule in den Vordergrund. Darin zeigt sich eine Bedeutungsverschiebung des Verhältnisses der Lebenswelt Schule zu ihrer Lernwelt. Oder anders formuliert: Die Bedeutung des sozialen Interaktionsfeldes Schule kann eine deutliche Aufmerksamkeitszunahme in der Fachwie auch in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verzeichnen. Auf ein diesbezügliches und leider weit verbreitetes Aufmerksamkeitsdefizit verweisen Rimma Kanevski und Maria von Salisch. Im Rahmen ihres umfangreichen Forschungsprojektes zu Peernetzen und Freundschaften in der Schule zitieren sie den Schulleiter einer Sekundarschule mit den Worten: „Schule ist nicht für Freundschaften da“ (2011, 214). Dass es sich hier um einen verbreiteten, gleichwohl grundlegenden Irrtum handelt, belegt umfassend die vorgelegte Studie. Zwar stehen die vermissten Freundschaften als Restriktionsmerkmal ganz oben auf der Bedürfnisliste der SchülerInnen, aber auch das bekannte Etikett „Schule - echt ätzend“ hat sich mehr oder weniger in sein Gegenteil gedreht. „Schule nur online ist gemein“, schreibt die Süddeutsche Zeitung, SchülerInnenprotest zitierend (28. 4. 2021). Prof. Dr. Frank Nieslony Jg. 1949; Ev. Hochschule Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte: Sozialadministration/ Soziale Dienste, Jugendhilfe und Schule, Schulsozialarbeit, Sozial- und Jugendhilfeplanung, Geschlechteridentität und Soziale Arbeit (seit 2014 in Ruhestand) 33 uj 1 | 2022 Freundschaft in der schulischen Lebenswelt All das gibt Anlass, im folgenden Text zu fragen, welchen Beitrag die Schulsozialarbeit zur Ausbildung der sozialen Qualität vieler Schulen leistet. Immerhin sind in Deutschland rund 15.000 SchulsozialarbeiterInnen beschäftigt, sodass es ein umfangreiches Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe zu berücksichtigen gilt. Freundschaft, Zugehörigkeit, der Einfluss des Schulklimas und der baulichen Schulgestaltung, aber auch der Beteiligung von SchülerInnen stellen einige ausgewählte Aspekte dar, mittels derer auf die soziale Integration/ Inklusion innerhalb der Schule unter Bezug auf die dortige Praxis der Schulsozialarbeit eingegangen werden soll. Sicherlich ist die Arbeitsweise der Schulsozialarbeit während der Pandemie stark gebremst, aber die soziale Qualität der Schule verstärkt zu fördern gilt deshalb insbesondere auch für die Zeit nach der Pandemie - also jetzt. Notwendige digitale Arbeitsansätze sind in diesem Handlungsfeld leider selten, darauf wird weiter unten noch näher eingegangen. Der schulische Rahmen und das Schulklima Die Beziehungen der SchülerInnen zur Schule betreffen zunächst, sicherlich im unterschiedlichen Maße, den institutionellen Schulrahmen. Dieser umfasst nach den rollenspezifischen Unterschieden der schulischen Akteure den Unterrichts- und Pausenablauf, Formen der Arbeits- und Projektgruppen sowie Interaktions- und Bewegungsabläufe in den Klassenräumen, Fluren und auf dem Schulhof. Damit ist der Schulalltag strukturiert wie auch zeitlich begrenzt. Hier dominiert die organisierte Lernwelt, auch häufig als Vorderbühne der Schule gekennzeichnet. Die Hinterbühne bezieht sich hingegen auf die informellen Handlungsabläufe im Milieu von Freundschaften, Peergruppen, schulkritischen Meinungsspektren und Treffpunkten in z. T. nicht ohne Weiteres einsehbaren Winkeln und Ecken. Diese Bühnen sind nicht voneinander völlig getrennt, sondern bilden Berührungspunkte und Schnittmengen aus. Lernwelt und Lebenswelt haben eben vielfältige Überlappungszonen. Im Zeitablauf vieler Schultage stellen Ereignisse wie Schulfeste und andere Festivitäten, kulturelle und sportliche Veranstaltungen, Klassenfahrten und Ausflüge wie auch institutionell verankerte Rituale strukturierende Kristallisationspunkte dar. Eine netzwerkartige Verbindung dieser Alltagsmodalitäten findet ihren Niederschlag im Schulklima mit seiner ausgeprägten emotionalen Wirkung. Der Beitrag der Schulsozialarbeit zum Schulklima ist dabei als sehr hoch anzusetzen. Dieses Ergebnis geht aus einer Schulleitungsbefragung des Deutschen Jugendinstituts hervor (Rücklauf über 5.000 Antworten). Intensive Interviews an 25 ausgewählten Schulen waren hier einbezogen. Befragt wurden an diesen Schulen Schulleitungen, Lehrkräfte, Eltern und SchülerInnen. Dort hat sich nach Aussage aller Befragten das Schulklima wie auch das Wohlbefinden der SchülerInnen nach Einführung der Schulsozialarbeit deutlich verbessert (Behr-Heintze/ Lipski 2005, 43f ). Verantwortlich für diese Verbesserung waren u. a. Konfliktreduktion, Intensivierung der Elternarbeit und die Einrichtung von Projektgruppen (z. B. Kooperationen mit sozialen Einrichtungen). Die Schulleitungen bestätigen auch qualitative Verbesserungen des Unterrichts durch steigendes Interesse und zunehmende Motivation der SchülerInnen. Zwar ist nicht speziell nach der Bewertung der Zugehörigkeit oder nach der Identifikation mit der Schule gefragt worden, die Befragungsergebnisse verweisen aber auf eine verstärkte Bindung zu den Schulen hin. Letztlich hat sich die Lebenswelt Schule deutlich entwickelt und ein Wegbrechen dieser lebensweltlichen Bezüge würde zu Verlusterfahrungen führen. Allerdings haben sich Freundschaftsnetzwerke und Peerbeziehungen in das Social Web schon seit vielen Jahren verlagert, einhergehend mit vielfältigen Sozialisationsprozessen im virtuellen Raum (Krotz 2020; Zügel-Hintz/ Hollenstein 34 uj 1 | 2022 Freundschaft in der schulischen Lebenswelt 2021). Einerseits stellen diese virtuellen Netzaktivitäten insbesondere bei älteren SchülerInnen sicherlich eine gewisse Entlastung dar; andererseits ist es bemerkenswert, dass die Präsenz des Schullebens und die authentische Situation des Miteinanders aktuell eine so hohe Wertschätzung erreicht. Gleichwohl ist die Mediatisierung der Lebenswelt gerade im Bezug zur Schule ein unerledigtes Thema für die schulbezogene Sozialarbeit (Hollenstein/ Nieslony 2020). Durch kommunikative Gruppenprojekte, durch Spiel-, Themen- und Unterstützungsangebote wird Schulsozialarbeit den virtuellen Raum als Praxisfeld bearbeiten müssen. Soweit sich sehen lässt, hat Schulsozialarbeit mancherorts dabei eine gewisse Vorreiterrolle eingenommen (Egler-Mitschke/ Goldmann 2020). Freundschaften und Peergruppen Die sich ergebenen Verlusterfahrungen verstärken sich erheblich bei den anhaltenden Einschränkungen des Schulbetriebes. Im Vordergrund steht die Beeinträchtigung der Freundschafts- und Peerbeziehungen. Diese Beziehungen stellen einen sozial-emotionalen Kontext dar, in dem sich bedeutsame Sozialisationsprozesse ereignen. Dazu gehört beispielsweise auch die Zugehörigkeit zu Freundeskreisen und Cliquen als Festigung des individuellen Sozialstatus (Bennewitz et al. 2016, 415). Die Wirksamkeit der stattfindenden sozialen Interaktionen bezieht sich des Weiteren auf die Entwicklung der Selbstwirksamkeit, eines positiven und realistischen Selbstkonzepts wie auch darauf, Unterstützung anzunehmen und auch zu geben (Kanevski/ von Salisch 2011, 150f ). Zu den Motiven einer freiwilligen Teilnahme an einer Peergruppe gehört es auch, Unterstützung zu bekommen, Freundschaften auszubilden, Anerkennung zu finden sowie Geselligkeit und Zugehörigkeit zu erleben. Dies alles geschieht im Rahmen der Selbstsozialisation und bedarf einer Distanz zur Erwachsenenwelt. Sozialisation in eigener Regie ist deshalb ein Kennzeichen, welches auf jeden Fall bei pädagogischen Überlegungen zu berücksichtigen ist. Die Bedeutung der Institution Schule ist in diesem sekundären Sozialisationsfeld beeindruckend ausgebildet: „Der Löwenanteil der unterstützenden Beziehungen, nämlich genau zwei Drittel […], besteht aus Gleichaltrigen, welche die Jugendlichen aus der Schule kennen“ (ebd., 72). Die Praxis der Schulsozialarbeit kommt diesem Sozialisationsfeld insofern entgegen, als ihre Angebote freiwillig sind und Gruppenbildungen gefördert werden. Hierzu eignen sich u. a. erlebnispädagogische Projekte, Streitschlichterprogramme wie auch Sport und Spiel als Elemente der Freizeitgestaltung (Hollenstein/ Nieslony 2017). Für die schulische Bildung wird empfohlen, Peer- und Freundschaftsbeziehungen zu unterstützen, indem ausreichend Zeit für informelle Lernprozesse, selbstbestimmte Begegnungen und autonome Gestaltungsmöglichkeiten mit Gleichaltrigen eingeräumt werden (Walgenbach 2016, 537). Gefordert ist die Gesamtheit der Schule, wie die auf SchülerInnenbefragungen ausgerichtete Studie „Peer-gerechte Ganztagsschule? “ feststellt (Schmalfeld 2013). Vorgeschlagen und gefordert wird dort mehr Freizeit in der Schule, Verstärkung der Projekt-, Team- und Gruppenarbeit, vermehrte Klassenfahrten und Wettkämpfe, außerschulische Kooperationen und insbesondere die Berücksichtigung von SchülerInnenwünschen und mehr Anstrengung der Schule bei der SchülerInnenbeteiligung. Maßgeblich ist auch die dringliche Empfehlung, ein gutes Schulklima herzustellen, z. B. über Gewaltreduzierung und Gewaltprävention. Hier hat die Schulsozialarbeit eine erhebliche Praxisentwicklung geleistet. Soll die Schule ein Ort für Freundschaften bleiben und diesen Ort in der Zukunft besser einrichten, ist die Schulgestaltung von großer, häufig unterschätzter Bedeutung. In der bereits oben zitierten Studie von Schmalfeld wurden SchülerInnen bezüglich der Schulbaugestal- 35 uj 1 | 2022 Freundschaft in der schulischen Lebenswelt tung und der Bausubstanz befragt. Wünsche und Hinweise beziehen sich u. a. auf saubere Toiletten, auf die Schulhofgestaltung und ein farbenfrohes Schulgebäude, in dem „jeder sich wie zu Hause, also wohl fühlt“ (Schmalfeld 2013, 88). Auch eine weitere Studie zur Raum- und Schulgestaltung (Deinet et al. 2018) stellt fest, dass bei den dort untersuchten Schulen der Grad der Zufriedenheit mit dem Klassenraum mehr als 50 Prozent beträgt, aber knapp 29 Prozent nicht zufrieden („geht so“) und acht Prozent unzufrieden sind (ebd., 31). An Aufenthalts-, Rückzugs-, Bewegungs- und Ruheräumen besteht Mangel. Ein anderes Forschungsprojekt zur Schulgestaltung (Rittelmeyer 2016) zeigt folgende Aussagen der befragten SchülerInnen zum architektonischen Anmutungsprofil einer ausgewählten Schule: belebt, schön, warm, anziehend, abwechslungsreich, freilassend, schwingend (ebd., 22). Die Begriffe zeigen, dass SchülerInnen Beziehungen zur Schularchitektur aufnehmen. Die räumliche Gestaltung der Schule ist eben mit Aspekten des Schullebens und der Schulkultur verknüpft (Stadler- Altmann 2016, 11). Dementsprechend bilden die sozialen Beziehungen in der Schule mit dem gestalteten sozialen Raum Schule einen engen Zusammenhang. Will die Schule ein Ort für Freundschaft und Identifikation sein, sodass es sich dort „wie zu Hause“ anfühlt, muss dem Gestaltungsthema mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden - und zwar vom gesamten pädagogischen Personal einer Schule, unter starker Beteiligung der SchülerInnen. Beteiligung von SchülerInnen - aber wie? Zur Mitbestimmung im Bildungsraum Schule zählt der 16. Kinder- und Jugendbericht (2020) zunächst die vorhandenen Möglichkeiten auf: u. a. KlassensprecherIn, SchülerInnenvertretung, SchülerInnenbeirat und Schulkonferenz. Festgestellt wird eine mittlere Intensität schulischer Demokratiebildung. Aus der Perspektive der SchülerInnen ergibt sich allerdings „nicht selten ein ziemlich erbärmliches Bild“ (ebd., 227), was Beteiligungsmöglichkeiten betrifft. Partizipationsmöglichkeiten ergeben sich, so weiter, eher bei Aktivitäten wie Schulfesten und außerunterrichtlichen Projekten. Als Beispiel wird auch die „Schule ohne Rassismus“ genannt, mit hoher Selbstbestimmung und Beteiligung durch SchülerInnen. Der Schulsozialarbeit kann indessen auf den ersten Blick thematisch kein wesentlich besseres Bild attestiert werden. So finden sich in dem sehr umfangreichen „Lexikon der Schulsozialarbeit“ (Bassarak 2018) die Stichworte Beteiligung und Partizipation nicht. Bei dem Stichwort Mitbestimmung wird Schulsozialarbeit nicht aufgeführt, sondern die betriebliche Mitbestimmung verhandelt. Darüber hinaus existieren zwar beachtenswerte Abhandlungen zum Thema Schule, Soziale Arbeit und Mitbestimmung in der Fachliteratur, die jedoch konkrete Praxisbezüge vermissen lassen (als Beispiel: Moldenhauer/ Oehme 2016). Sehr deutlich als Grundsatz schulsozialarbeiterischen Handelns kennzeichnet indessen Speck (2009, 79) Beteiligung als die Notwendigkeit formeller und informeller Mitbestimmung z. B. bei der Entwicklung von Angeboten. Diese Feststellung lässt sich auch damit begründen, dass Eigenverantwortlichkeit und Gemeinschaftsfähigkeit (§ 1 Abs. 1 SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfegesetz) als Handlungsziele nur über aktive Beteiligung der SchülerInnen verfolgt werden können. Im Handlungsfeld der Schulsozialarbeit findet sich deshalb eine rege Beteiligungspraxis, der allerdings mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. SchülerInnenbeteiligung ergibt sich dann u. a. im Rahmen von Theater- oder erlebnisorientierten Projekten, von Arbeitsgemeinschaften und Projektgruppen oder mit Bezügen zum umgebenden Sozialraum der Schule. Im Folgenden wird auf einige praxisnahe Beispiele hingewiesen, die andeuten, wie Beteiligungsperspektiven aussehen und ggf. verstärkt werden können: 36 uj 1 | 2022 Freundschaft in der schulischen Lebenswelt 1. Einer Studie aus Düsseldorf lag die Untersuchung von sechs offenen Ganztagsgrundschulen mit 362 Kindern zugrunde (Deinet et al. 2018). Fokussiert wurde auf die Themen Peers und Freundschaften, Kinder und Erwachsene, Räume und Räumlichkeiten, Spiel und Bewegung, Partizipation und Beteiligung. Die Interviews mit den SchülerInnen ergaben zu der Frage „Du bist vier Wochen nicht in der Schule. Gibt es etwas, was Dir fehlen würde? “ folgende Antworten: 88,7 Prozent fehlt das Spielen mit FreundInnen, 46 Prozent fehlen die LehrerInnen und 29,4 Prozent fehlen die BetreuerInnen, 59,3 Prozent vermissen Ausflüge und 52 Prozent die anderen Kinder. Bei der Frage nach Mitbestimmung („Ich kann in der Schule bei folgenden Dingen mitbestimmen“) benennen 63,9 Prozent die Sitzordnung, 41,8 Prozent die Gestaltung des Klassenraumes, 46,3 Prozent können bei Arbeitsgemeinschaften mitbestimmen. Beim Unterricht sind es nur 19,7 Prozent, die mitbestimmen können (ebd., 23, 41f ). Gerne würden aber die SchülerInnen insgesamt sich noch deutlich mehr beteiligen. Zwar konzentriert sich diese Untersuchung nicht ausschließlich auf Schulsozialarbeit, sie bietet aber dem gesamten sozialpädagogischen Fachpersonal im offenen Ganztagsbereich eine Fülle von Ideen, Anregungen und Projekten für eine aktive, auf Beteiligung gerichtete Praxisgestaltung. Sehr deutlich zeigt die Studie das enge Beziehungsnetz zur Schule und zu den dortigen FreundInnen, aber auch zu den Lehrkräften. Die Beteiligung und Mitgestaltung an der Lebenswelt Schule verstärkt dabei die Zugehörigkeit zum schulischen Milieu. 2. In Schulen entstehen selbstständig agierende Gruppen auch, wenn Impulse von außen Anlass gegeben haben. Es finden sich Medienscouts, soziale Projekte wie Schulaufgabenhilfe in prekären Wohngegenden. Ein Großprojekt stellen hier die Buddy-Projekte dar (https: / / education-y. de/ ) und Hunderte sich selbst organisierende Gruppen befinden sich in deutschen Schulen. Das Konzept ist der Peergroup- Education verpflichtet und entscheidende Ziele sind Lebensweltorientierung, Partizipation und Selbstwirksamkeit. Als praktisches Beispiel werden auf der o. g. Plattform die zwanzig sich selbst organisierenden SchulsanitäterInnen in der Gesamtschule Reichshof in Düsseldorf genannt, die Erste Hilfe, Wundversorgung und Trösten leisten. Solche Buddy-Gruppen werden auch von der Schulsozialarbeit unterstützt, wobei systematische Erhebungen fehlen. 3. In dem umfangreichen Studienschwerpunkt „Schulsozialarbeit“ an der Hochschule Hannover fand ein dreisemestriges Projekt mit dem Titel „Mitarbeit und Unterstützung im Rahmen der Schülerinnen- und Schülervertretung“ statt (Suilmann 2000). Die erfolgte Mitarbeit in der SchülerInnenvertretung an der Integrierten Gesamtschule Hannover-Linden wird dort beschrieben wie auch die Vorbereitung auf ein außerhalb der Schule stattfindendes zweitägiges Seminar mit SchülerInnen. Beteiligt waren die SchülerInnenvertretung, die zuständige Beratungslehrerin sowie die Projektstudentin. Gearbeitet wurde an der Struktur und dem Aufbau der SchülerInnenvertretung wie an dem Ziel, den Informationsfluss von Mitteilungen der SchülerInnenvertretung in die sehr große Schule mit entsprechend umfangreicher Schülerschaft zu verbessern. Geplant wurden zudem weitere Zusammenkünfte. 4. Ein umfangreicher Bericht aus der Praxis der Schulsozialarbeit (Foltin 2016) beschreibt die Beteiligung in dem Handlungsfeld im Rahmen einer Ideenwerkstatt mit dem Ziel, eine Arbeits- und Konzeptgrundlage zu erarbeiten. Diese Werkstatt ermittelt Vorstellungen und Wünsche bei SchülerInnen, Eltern und Lehrkräften. Die SchülerInnen wünschen sich den Ausbau des Freizeitbereiches (z. B. gut ausgestattete Freizeiträume), Erweiterung des Angebo- 37 uj 1 | 2022 Freundschaft in der schulischen Lebenswelt tes von Arbeitsgemeinschaften sowie der Spiel- und Sportangebote. Klassenfahrten sollen die SozialarbeiterInnen mitgestalten und begleiten (ebd., 21f ). Auch hier sei erwähnt, dass sich solche Beteiligungsmodalitäten vielfältig in der Praxis befinden und zum beruflichen Selbstverständnis gehören. Diese Beispiele verweisen auf ein breites Beteiligungsspektrum in der Schulsozialarbeit, welches im Sinne einer peer-gerechten Schule umgesetzt werden kann. Selbstverständlich ist dies nur in Kooperation mit der Lehrerschaft und anderen schulischen MitarbeiterInnen möglich. Diese innerschulische Kooperation zu entwickeln, bedarf entsprechender professioneller Kompetenzen. In diesem Sinne ist auf das nachahmenswerte Projekt „Freundschaftsbank“ zu verweisen, welches im Rahmen der Verleihung des Deutschen Schulpreises (2021) in einer Grundschule in Mühlhausen (Ruhr) zur Geltung kam: Es gibt eine Freundschaftsbank in der Schule, und wenn dort ein Kind sitzt, darf niemand (! ) an der Schülerin/ dem Schüler vorbeigehen, ohne sich auf das Kind und seine Bedürfnisse einzulassen. Bedingt durch die Pandemie gibt es nun diese Bank im digitalen Raum (Süddeutsche Zeitung vom 11. 5. 2021). Fazit Die Corona-Krise zeigt im besonderen Maße, welche Bedeutung der Erfahrungs- und Sozialisationsraum Schule besitzt. Die Darstellung unterschiedlicher Befunde und Praxisansätze in diesem Beitrag verstärken diese Bedeutung und erweitern damit auch das Handlungsspektrum der Schulsozialarbeit. Beteiligt an einer Stabilisierung und Unterstützung von Freundschaften, Peergruppen und Beteiligungsmodalitäten ist die gesamte Schule mit dem dort tätigen Fachpersonal. Dazu wurde festgestellt, dass einerseits von der Schulsozialarbeit Anregungen und Unterstützungen geleistet werden, andererseits aber auch Einsatz und Engagement für Freundschaften und Peergruppen verstärkt werden sollte. Hierfür ist allerdings auch eine quantitative Ausweitung dieser für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik in der Schule zuständigen Berufsgruppe erforderlich. Erich Hollenstein Frank Nieslony E-Mail: hollenstein_privat@gmx.de frank.nieslony@web.de Literatur Bassarak, H. (Hrsg.) (2018): Lexikon der Schulsozialarbeit. Nomos-Verlag, Baden-Baden Behr-Heintze, A., Lipski, J. (2005): Schulkooperationen. Stand und Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Schulen und ihren Partnern (Forschungsbericht des DJI). Wochenschau Verlag, Schwalbach Bennewitz, H., Breidenstein, G., Meier, M. (2016): Peerkultur in der Schule. In: Köhler, S.-M., Krüger, H.-H., Pfaff, N. (Hrsg.): Handbuch Peerforschung. Verlag Barbara Budrich, Opladen/ Berlin/ Toronto, 413 − 426 Buchwald, S. (2021): Sehnsucht nach Schule. Süddeutsche Zeitung, 28. 4. 2021 Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2020): 16. Kinder- und Jugendbericht. Förderung demokratischer Bildung im Kinder- und Jugendalter, Berlin Deinet, U., Gumz, H., Muskutt, C., Thomas, S. (2018): Offene Ganztagsschule - Schule als Lebensort aus Sicht der Kinder. Studie, Bausteine Methodenkoffer. Verlag Barbara Budrich, Opladen/ Berlin/ Toronto Egler-Mitschke, L., Goldmann, D. P. (2020): Mediatisierung der Schulsozialarbeit in Wiesbaden. In: Hollenstein, E., Nieslony, F. (Hrsg.): Schulsozialarbeit in mediatisierten Lebenswelten. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel, 176 − 188 Foltin, W. (2016): Der ganz normale Wahnsinn. Praxis der Schulsozialarbeit. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler Hollenstein, E., Nieslony, F. (2017): Peergruppen: Gestaltung der schulischen Lebenswelt. In: Hollenstein, E., Nieslony, F., Speck, K., Olk, T. (Hrsg.): Handbuch der Schulsozialarbeit. Bd. 1. Beltz Juventa,Weinheim/ Basel, 228−234 38 uj 1 | 2022 Freundschaft in der schulischen Lebenswelt Hollenstein, E., Nieslony, F. (Hrsg.) (2020): Schulsozialarbeit in mediatisierten Lebenswelten. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel Kanevski, R., von Salisch, M. (2011): Peer-Netzwerke und Freundschaften in Ganztagsschulen. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel Krotz, F. (2020): Leben, Sozialisation und Mediensozialisation in der mediatisierten Gesellschaft. In: Hollenstein, E., Nieslony, N. (Hrsg.): Schulsozialarbeit in mediatisierten Lebenswelten. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel, 16 − 26 Moldenhauer, A., Oehme, A. (2016): Teilhabe an Schule - Mitbestimmung von Schule. In: Fischer, V., Geneger-Stricker, M., Schmidt-Koddenberg, A. (Hrsg.): Soziale Arbeit und Schule. Diversität und Disparität als Herausforderung. Wochenschau Verlag, Schwalbach, 150 − 166 Munzinger, P. (2021): Auf der Freundschaftsbank. Süddeutsche Zeitung, 11. 5. 2021 Rittelmeyer, C. (2016): Probleme und Perspektiven der Schulbaugestaltung. In: Stadler-Altmann, U. (Hrsg.): Lernumgebungen. Verlag Barbara Budrich, Opladen/ Berlin/ Toronto, 17 − 30 Schmalfeld, A. (2013): Peer-gerechte Ganztagsschule? Eine qualitative Befragung von Jugendlichen zu ihren Freundschaften und Peerbeziehungen. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel Speck, K. (2009): Schulsozialarbeit. Eine Einführung. 2. erweiterte Aufl. Ernst Reinhardt Verlag, München/ Basel Stadler-Altmann, U. (Hrsg.) (2016): Lernumgebungen. Erziehungswissenschaftliche und architekturkritische Perspektiven auf Schulgebäude und Klassenzimmer. In: Stadler-Altmann, U. (Hrsg.): Lernumgebungen. Verlag Barbara Budrich, Opladen/ Berlin/ Toronto, 7 − 16 Suilmann, A. (2000): Mitarbeit und Unterstützung im Rahmen der Schülerinnen- und Schülervertretung. In: Hollenstein, E., Tillmann, J. (Hrsg.): Schulsozialarbeit - Studium, Praxis und konzeptionelle Entwicklungen. 2. erweiterte Aufl. Blumhardt-Verlag, Hannover, 143 − 149 Walgenbach, K. (2016): Peers und demografischer Wandel. In: Köhler, S.-M., Krüger, H.-H., Pfaff, N. (Hrsg.): Handbuch Peerforschung. Verlag Barbara Budrich, Opladen/ Berlin/ Toronto, 531 − 544 Zügel-Hintz, E., Hollenstein, E. (2021): Identitätsarbeit und Beziehungsnetze im Social Web - Handlungsbezüge zur Sozialen Arbeit in der Schule. Beltz Juventa, Weinheim/ Basel, 62 - 76
