eJournals unsere jugend 74/6

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2022.art36d
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2022
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Stakeholdermanagement zur Umsetzung der Ganztagsbildung

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2022
Thomas Breyer-Mayländer
Beate Ritter
Nach einem langen Vorlauf haben Bundestag und Bundesrat zum Ende der Legislatur 2021 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung in Grundschulen verabschiedet. Um aus diesem formalen Anspruch gute Angebote in der Rechtswirklichkeit schaffen zu können, bedarf es neben politischer und finanzieller Rahmenbedingungen auch eines gezielten Dialogs mit den relevanten Anspruchs- und Interessengruppen, weshalb dem Stakeholdermanagement vor allem der Akteure von Schulträgern und Schulen eine besondere Bedeutung zukommt.
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245 unsere jugend, 74. Jg., S. 245 - 252 (2022) DOI 10.2378/ uj2022.art36d © Ernst Reinhardt Verlag von Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer Professor für Medienmanagement, Hochschule Offenburg; Leiter des Steinbeis-Beratungszentrums Leadership in Science and Education Beate Ritter Landesvorsitzende des Ganztagsschulverbands Baden-Württemberg; Schulleiterin des August-Ruf- Bildungszentrums Ettenheim, einer Ganztagsverbundschule in Wahlform Stakeholdermanagement zur Umsetzung der Ganztagsbildung Was folgt aus dem Rechtsanspruch für die Grundschule? Nach einem langen Vorlauf haben Bundestag und Bundesrat zum Ende der Legislatur 2021 einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung in Grundschulen verabschiedet. Um aus diesem formalen Anspruch gute Angebote in der Rechtswirklichkeit schaffen zu können, bedarf es neben politischer und finanzieller Rahmenbedingungen auch eines gezielten Dialogs mit den relevanten Anspruchs- und Interessengruppen, weshalb dem Stakeholdermanagement vor allem der Akteure von Schulträgern und Schulen eine besondere Bedeutung zukommt. Dieser Beitrag analysiert die Fragen, wie unterschiedliche Akteure koordiniert werden müssten, um den Rechtsanspruch auf Ganztagsschulen im Grundschulsektor zu etablieren, und wie gegenwärtig und künftig diese und andere unterschiedliche Interessen und Blickwinkel bei der Etablierung der neu aufzubauenden Ganztagsschulen spürbar werden. Diese Analyse hilft, den Rahmen aufzuzeigen, in dem die Schulträger und Schulen ihren Ganztagsbetrieb mit unterschiedlichen Interessengruppen und Stakeholdern abstimmen und weiterentwickeln können. Ziel ist es, mithilfe des Stakeholdermanagements ein Rahmenschema für die solide Weiterentwicklung des Ganztagsschulbetriebs und einen Ausblick auf die künftig relevanten Entscheidungsbereiche zu geben. Schritte zur Etablierung des Rechtsanspruchs Der lange und steinige Weg zur Etablierung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen zeigt das Problem unterschiedlicher Verantwortlichkeiten im Bildungssektor auf, durch die viele inhaltlich sinnvolle und notwendige Themen auch nach etlichen Stationen der grundsätzlichen fachlichen, inhaltlichen und 246 uj 6 | 2022 Stakeholdermanagement in der Ganztagsbildung politischen Einigung am Ende in eine längere Phase des Aushandelns gedrängt werden (Breyer-Mayländer/ Ritter 2021). Als sich am Dienstag, 7. September 2021, Bundestag und Bundesrat im Vermittlungsausschuss darauf verständigten, dass beginnend mit den ErstklässlerInnen ab dem Schuljahr 2026/ 2027 ein Rechtsanspruch für SchülerInnen der Grundschule auf eine Ganztagsbetreuung besteht, war es die letzte Sitzung des Bundestags vor der Bundestagswahl, in der ein bereits im Koalitionsvertrag fixiertes Ziel umgesetzt wurde. Die Bundesregierung schrieb anlässlich der Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Bundestag und dem Anruf des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat am 25. Juni 2021 auf ihrer Website folgende Begründung: „Seit vielen Jahren ist der Bundesregierung eine gut funktionierende Kindertagesbetreuung ein wichtiges Anliegen. Gerade die Corona-Pandemie macht deutlich, wie wichtig die Investitionen in eine verlässliche Kindertagesbetreuung sind. 2007 hatten sich Bund und Länder darauf geeinigt, das Kita-Platzangebot für unter Dreijährige auszubauen und für diese Altersgruppe einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab 2013 einzuführen. Seitdem gab es bereits mehrere Investitionsprogramme unter dem Namen „Kinderbetreuungsfinanzierung“. Der Bund investierte von 2008 bis 2020 rund 4,4 Milliarden Euro in den Ausbau von Kita-Plätzen. Damit wurden mehr als 780.000 neue Kita-Plätze geschaffen und gesichert. Der Ausbau ist noch nicht abgeschlossen. Der Übergang von der Kindertagesbetreuung zur Grundschule stellt aber viele Familien vor Herausforderungen.“ (BReg 2021) Wenn man das nüchtern analysiert, erkennt man, dass die deutsche Politik ihrer Verantwortung zur Gestaltung des regulatorischen Umfelds für Ganztagsbetreuung nur begrenzt gerecht werden konnte. Die Kinder, die beispielsweise 2008 von dem Ausbau der Kita- Plätze profitiert haben, werden - selbst wenn es sich um frühkindliche Betreuung handelte - im Jahr 2026/ 27 nicht mehr vom Ausbau der Ganztagsbetreuung in der Grundschule profitieren. Langwierige politische Diskussionen zwischen Bund und Land haben zudem eine andere Negativentwicklung zur Folge. Es entsteht ein nahezu kompletter Stillstand in genau den Bereichen, die man eigentlich in ihrer Entwicklung stärken und fördern möchte. Da der vorgezogene Beginn einer Maßnahme im Regelfall förderschädlich ist, d. h. existierende Projekte nur mit Mühe Teil einer Förderkulisse werden können, werden somit zunächst nicht mehr, sondern weniger Projekte im betreffenden Bereich gestartet. Dies zeigte sich beispielsweise auch beim sogenannten Digital- Pakt Schule. Die Idee, Bundesmittel über die Länder an die Schulen zu verteilen, scheiterte zunächst am Kooperationsverbot des Grundgesetzes und führte damit zu einem mehrjährigen Investitionsstau auf der Ebene der unterschiedlichen Schulträger. Beim Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen war der Streitpunkt die Finanzierung. Es ging dabei nicht um die Frage, wer direkt oder indirekt wie finanzieren darf, sondern um die Aufteilung der Finanzierung in der jeweiligen Höhe. „Hauptstreitpunkt ist die Finanzierung: ‚Wer bestellt, muss auch bezahlen‘, heißt es aus den Ländern. […] Um eine Ganztagsbetreuung zu ermöglichen, müssten viele Grundschulen umgebaut und erweitert werden, zudem fallen laufende Betriebs- und Personalkosten an. Gerechnet wurde bisher mit Investitionskosten von 7,5 Milliarden Euro, wovon der Bund 3,5 Milliarden übernehmen will. Für die laufenden Betriebskosten dürften jährlich 4,5 Milliarden anfallen, daran will sich der Bund mit knapp einer Milliarde beteiligen. Die Länder pochen nun darauf, dass der Bund seine Anteile erhöht.“ (dpa, nach tagesschau.de, 6. September 2021) 247 uj 6 | 2022 Stakeholdermanagement in der Ganztagsbildung Hier lohnt sich ein Blick auf die wesentlichen Stakeholder in Bezug auf den politischen Prozess des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung. Einen ersten Eindruck geben dabei die AkteurInnen der Sachverständigenanhörung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, die am 13. Mai 2021 im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses des Deutschen Bundestags ihre Kommentierungen zum Gesetzesvorhaben abgaben (BT 2021 a, b). ➤ Die Gruppe Sozial- und Familienverbände (Paritätischer Gesamtverband, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Verband alleinerziehender Mütter und Väter) steht dem Gesetzesvorhaben positiv gegenüber, kritisiert jedoch teilweise die lange Zeit bis zur vollständigen Einführung. ➤ Die Wissenschaft (Deutsches Jugendinstitut, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) begrüßt das Gesetzesvorhaben, kritisiert jedoch teilweise die lange Zeit bis zur wirksamen Einführung und Etablierung. ➤ Bei den Tarifpartnern (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) gab es allgemeine Zustimmung. Der Blick auf die knappen Personalressourcen, die bereits im Kita-Sektor den Alltag prägen (Stäb 2022), veranlasste die Arbeitgeberverbände, einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, wie ihn eine Gesetzesinitiative der damaligen Oppositionspartei „Die Grünen“ vorsah, abzulehnen. ➤ Die VertreterInnen der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Landkreistag) äußerten sich sehr kritisch gegenüber den finanziellen Rahmenbedingungen. Die negativen Erfahrungen mit steigenden Standards im Bildungssektor, wie etwa dem Rechtsanspruch auf Kita-Betreuung, haben bei den kommunalen Akteuren den Eindruck verfestigt, dass gesellschaftliche Verpflichtungen auf sie abgewälzt werden. Ergänzend zu den Anspruchsgruppen im Rahmen der BT-Anhörung des Familienausschusses gibt es noch Stakeholder aus dem Umfeld der Durchführung des Ganztagsbetriebs: ➤ Die Lobbygruppen (Ganztagsschulverband e. V., AWO Bundesverband) hatten bereits seit Jahren einen Rechtsanspruch gefordert (Ganztagsschulverband 2014; AWO Bundesverband 2020). Weshalb die Entstehung hier zur Hypothek werden kann Um die Positionen der zentralen Gruppe der kommunal orientierten Schulträger nachvollziehen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Erfahrungen dieser Akteure in den vergangenen zwanzig Jahren. Der Bereich der Kinderbetreuung und Schulen hat seit zwanzig Jahren einen steigenden Anteil an den kommunalen Haushalten. Die Finanzierung ist daher ein Grundproblem, das auch bei dem im September 2021 verabschiedeten Ganztagsförderungsgesetz GaFöG zahlreiche Probleme mit sich brachte. Der Bund beschließt und der kommunale Sektor bezahlt. Ähnliche Lagerkämpfe sind im Rahmen der Corona-Phase vielen Stakeholdern aus dem schulischen Umfeld wie Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen erstmals bewusst geworden, als die Gelder für Infrastrukturausstattung (Hard- und Software) aufgrund der unterschiedlichen Haltungen über die dauerhafte Finanzierung des Betriebs der Infrastrukturen nicht im gewünschten Maße zum Einsatz kamen. Auch der Umstand, dass Lüftungseinrichtungen als Teil der pandemiebedingten Hygienekonzepte nicht in dem sachlich notwendigen Maße von den Schulträgern beschafft wurden, ist auf diesen Effekt der verteilten Zuständigkeiten zurückzuführen. Die Ausführungen der Spitzengremien und Interessenvertretungen aus dem kommunalen Umfeld signalisieren, dass man sich der neuen Aufgabe nur mit einem gewissen Zähneknir- 248 uj 6 | 2022 Stakeholdermanagement in der Ganztagsbildung schen widmet, auch wenn die inhaltliche Notwendigkeit in vielen Fällen weder von den Akteuren aufseiten der Verwaltung noch aufseiten der Kommunalpolitik infrage gestellt wird. In Verbindung mit den schwierigen, sich überschneidenden und teilweise widersprüchlichen Elementen der Willensbildung - sowohl zwischen Schulgremien und Kommunalpolitik (siehe unten) als auch zwischen Bund und Ländern - ist dies eine Hypothek, die sich in der Dynamik des Ausbaugeschehens und dem Augenmerk der Akteure auch im Sinne einer Managementkapazität auf Verwaltungsseite negativ auswirken kann. Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern, das im Grundgesetz festgeschrieben ist, um den Ländern die Hoheit im Kultussektor zu garantieren, wurde in den vergangenen Jahren häufiger als Hemmnis empfunden. Die für viele BürgerInnen im Zusammenhang mit der Digitalisierung an Schulen sichtbaren Probleme dieser differenzierten Form der Einflussabgrenzung haben eine neue Diskussion über deren Sinnhaftigkeit bewirkt. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat im Februar 2022 die Absicht bekundet, die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Bildungssektor neu zu regeln und mehr Autonomie für die Schulen zu schaffen (Stark-Watzinger 2022). Umsetzungsvarianten vor Ort - die Stakeholder Ausgehend von der Stakeholderbetrachtung auf der politischen Ebene lohnt sich eine schulbezogene Betrachtungsweise. Die Stakeholder und Kommunikationszielgruppen, die sich aus anderen Überlegungen (Breyer-Mayländer 2012, 204; Robra/ Rock 2011, 200) ableiten lassen, können durch die obigen Positionen ergänzt werden (Abb. 1). Abb. 1: Anspruchsgruppen (Stakeholder) der Einführung von Ganztagsschulen vor Ort (eigene Darstellung) 249 uj 6 | 2022 Stakeholdermanagement in der Ganztagsbildung Damit ein Rechtsanspruch die Rechtswirklichkeit verändert, muss er umgesetzt werden. Bei der Umsetzung des bundesweiten Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen bedeutet dies, dass Schulträger (in der Regel repräsentiert durch die kommunale Ebene) dafür sorgen müssen, dass die Infrastruktur für den Betrieb von Ganztagsgrundschulen im Sinne einer Flächendeckung auch vorhanden ist. Stakeholder Kommune und Kommunalpolitik: Ganztagsschule als Bauprojekte Da gute Ganztagsschulkonzepte gute Raumkonzepte erfordern (u. a. Seydel o. J.), hat dies zur Folge, dass überall dort, wo man nicht den Rechtsanspruch antizipiert hat, Ausbaumaßnahmen anstehen. Aufgrund der aktuellen Baukonjunktur sind die Baukosten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, weshalb gerade finanziell eher weniger gut gestellte Kommunen zunehmend Probleme bekommen, ihrer Rolle als Schulträger gerecht zu werden. Stakeholder Kommune und Land: Ganztagsschule und Personalengpässe Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) hatte bereits im Februar 2021 vor unrealistischen Erwartungen im Hinblick auf die Ganztagsbetreuung gewarnt (DStGB 2021). Während des Gesetzgebungsverfahrens wurde auch der Punkt Personal immer mehr zu einem kritischen Faktor (Anger 2021). Auch aufseiten der Bundesländer kann dieser Engpass nicht negiert werden, da er im Zweifel nicht nur das sonstige pädagogische Personal, sondern auch die Lehrenden selbst umfasst. Denn die besonderen Kooperationsanforderungen des Ganztags haben auch eine Änderung der Zusammensetzung des Personals zur Folge, bei dem das „weitere pädagogisch tätige Personal“ eine zentrale Rolle einnimmt (Rother/ Coelen/ Dollinger 2021, 10). In der Praxis stehen Bedürfnisse von Schulen oft zwischen den Zuständigen von kommunalen Schulträgern und den Bundesländern. Stakeholder LehrerInnen: Verändertes Berufsbild Der veränderte Rhythmus des Arbeitens an Ganztagsschulen erweist sich - neben den notwendigen pädagogischen Diskussionen - als einer der entscheidenden Problempunkte bei der Frage, wie LehrerInnen der neuen Schulform an ihrer Einrichtung gegenüberstehen. Da Ganztag auch heute noch in vielen Lehramtsstudiengängen ein Randthema ist, fehlt oft auch ein klare pädagogische Vision zu diesem Aufgabenfeld. Während die Belastungen bei Lehrenden nicht signifikant von der Form des Halb- oder Ganztagsunterrichts abhängen (Dizinger/ Fussangel/ Böhm-Kasper 2011), gibt es jedoch nach wie vor Vorbehalte, wie sich eine derartige Schulform mit den veränderten Arbeitszeitmodellen auf das eigene Privatleben als LehrerIn auswirken kann. Stakeholder Vereine und Jugendarbeit: Neue Rolle an Ganztagsschulen Vereine werden oft als Konkurrenten, aber auch als Partner der Ganztagsschulen charakterisiert, da die in der Schule gebundene Zeit im Wettbewerb zu anderen, vereinsbezogenen Freizeitaktivitäten steht und andererseits die Schulen gerne auf Vereine als Anbieter von Arbeitsgemeinschaften im Ganztag zurückgreifen (Braun/ Albert 2020). Auch die Jugendarbeit verändert sich, da Angebote der Kinder- und Jugendarbeit sich ebenfalls weiterentwickeln und weder der strengen Logik von Schule noch von Kinder- und Jugendhilfe folgen (Sauerwein/ Graßhoff 2021). Stakeholder Eltern, LehrerInnen, Schulgremien: Schulische Willensbildung In der Umsetzung vor Ort sind die Bundes- und Landesvorgaben nicht nur vonseiten der Kommunalpolitik abhängig. Stadt- und Gemeinderäte können einen Beschluss darüber fassen, welche ihrer Grundschulen (in welchem Stadtteil oder im Kernort oder in Ortsteilen) Ganz- 250 uj 6 | 2022 Stakeholdermanagement in der Ganztagsbildung tagsschule(n) werden sollen und wie der Ausbau finanziert werden soll. Aufgrund der demokratisch-kollegialen Verfasstheit des Schulwesens steht dann dennoch die Zustimmung von schulischer Seite aus. Hier sind - je nach Bundesland - Zustimmungen von Gremien wie Gesamtlehrerkonferenz (GLK) und Schulkommission erforderlich. Die Ermittlung des Bedarfs auf Elternseite führt regelmäßig zu zusätzlichen Diskussionen, da die zu Beginn des Prozesses erforderlichen Erhebungen bis zum Start der Ganztagsschule bereits einige Jahre alt sind, was eine sehr aktive und transparente Kommunikation (Breyer-Mayländer 2017; ders. 2020) erfordert. Familien müssen dabei das Konzept und den Wert von Ganztagsschulen, beispielsweise im Bereich des „sozialen, informellen Wissens und Könnens“ (Andresen/ Richter/ Otto 2011, 214) richtig erfassen, um urteilsfähig zu sein. Fazit: Ein Rechtsanspruch ist mehr als ein Minimalkonsens der Stakeholder Bereits im Vorfeld des Rechtsanspruchs war die qualitätsgeleitete (Weiter-)Entwicklung von Ganztagsschulen ein Thema unterschiedlicher Stakeholder. Die Bundesebene stellte Forschungsgelder (u. a. des BMBF) bereit, um evidenzbasierte Entscheidungen in Politik und Verwaltung zu ermöglichen (u. a. Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen - StEG; Holtappels et al. 2008; Fischer et al. 2011 u. a.). Einige Bundesländer entschieden sich für eigene Studien- und Rahmenvereinbarungen (u. a. Serviceagentur „Ganztägig lernen“ in NRW 2007; KM-BW 2019). Für die Umsetzung in der Praxis sind dabei auch im Rahmen des Ausbaus unterschiedliche Faktoren und Gelingensbedingungen zu berücksichtigen, wie etwa die Kooperation in den multi- oder interprofessionalen Teams oder die Kooperation mit externen Stakeholdern beispielsweise aus dem Umfeld der Vereine und Gruppierungen vor Ort, die wiederum Auswirkungen auf die Angebotsvielfalt und Lernkultur haben (Fischer/ Kielblock 2021). Um hier auch eine qualitätsgeleitete Entwicklung zu erzielen, müssen die Ziele, die mit der Einführung von Ganztagsschulen verbunden werden, wie etwa die Reduktion von Bildungsungleichheiten (Sauerwein/ Thieme/ Chiapparini 2019, 85), auf ihre Erreichung überprüft werden. Es geht um Nachweise wie etwa die Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg (Züchner/ Fischer 2014). Hier liegt die Aufgabe des Stakeholdermanagements bei den Ganztagsschulen selbst. Neben dieser weiterhin relevanten und anhaltenden Diskussion über Qualität und die entsprechende Begleitung der bestehenden oder neu hinzukommenden Schulen und Akteure geht es bei der künftigen Weiterentwicklung auch um eine realistische Unterstützung von SchülerInnen, die veränderten gesellschaftlichen Realitäten Rechnung trägt. Folgt man der Begründung des Gesetzesvorhabens durch die Bundesregierung, führt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für die Grundschule dazu, dass sich in den darauffolgenden Altersstufen die Frage nach einer Folgebetreuung stellt. Dies könnte einen Rechtsanspruch auch für ältere SchülerInnen mit sich bringen. Das bei der Diskussion des Rechtsanspruchs im Grundschulsektor feststellbare „Gefeilsche von Bund und Ländern, wer nun was finanziert“ (Warnecke 2021), könnte auch hier für Verzögerungen sorgen. Daher ist nicht nur bei der Etablierung der Ganztagsschulen vor Ort, sondern auch bei der Vorbereitung der politischen Schritte ein sorgfältiges Stakeholdermanagement notwendig. Selbst dann, wenn die politische Einigkeit besteht, dass eine Förderung und ein weiterer Ausbau wünschenswert sind, können die Ausbauschritte nur in Abstimmung mit den unterschiedlichen Geldgebern durchgeführt werden. Dabei sind aktuelle Probleme der bereits eingeführten Ganztagsschulen wie etwa fehlende Ressourcen im ländlichen Raum (Wiezorek/ Stark/ Dieminger 2011) noch gar nicht berücksichtigt. 251 uj 6 | 2022 Stakeholdermanagement in der Ganztagsbildung Prof. Dr. Thomas Breyer-Mayländer Hochschule Offenburg Badstr. 34 77652 Offenburg E-Mail: breyer-maylaender@hs-offenburg.de Beate Ritter August-Ruf-Bildungszentrum Ettenheim Bienlestr. 19 77955 Ettenheim E-Mail: b.ritter@august-ruf.biz Literatur Andresen, S., Richter, M., Otto, H. U. (2011): Familien als Akteure der Ganztagsschule. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 14 (3), 205 - 219, https: / / doi. org/ 10.1007/ s11618-011-0236-x Anger, H. (2021): Nicht nur Räume, auch Fachkräfte: Warum der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung nicht reicht (07.09.2021). In: https: / / www.handels blatt.com/ meinung/ kommentare/ kommentarnicht-nur-raeume-auch-fachkraefte-warum-derrechtsanspruch-auf-ganztagsbetreuung-nichtreicht/ 27588666.html, 10.03.2022 AWO Bundesverband (2020): Ganztagsbetreuung. Ganz schnell? Ganz gut? ! Ergebnisse einer Online- Kampagne in 2020. Berlin. Dezember. In: https: / / awo. org/ sites/ default/ files/ 2021-03/ Onlinepublikation_ AWO%20Kampagne%20gute%20Ganztagsbetreu ung_2020_0.pdf, 27.02.2022 Braun, S., Albert, K. (2020): „Und ich fand es am Anfang auch schwierig, mich in der Rolle vorzustellen“ - Sportagent*innen zwischen Ganztagsschule und Sportverein. Forum Kind Jugend Sport 1, 82 - 92, https: / / doi.org/ 10.1007/ s43594-020-00013-6 BReg (Hrsg.) (2021): Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026. In: www.bundesregierung.de. 25.06.2021. https: / / www.bundesregierung.de/ bregde/ suche/ ganztagsausbau-grundschulen-1766962, 07.03.2022 Breyer-Mayländer, T. 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