unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Gemeinsam gestalten?! Wie junge Menschen, Praxis und Wissenschaft bei der Entwicklung einer Smartphone-App zusammenfinden
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2023
Selina Hiller
Christian Rauschenberg
Christian Götzl
Janik Fechtelpeter
Georgia Koppe
Daniel Durstewitz
Ulrich Reininghaus
Silvia Krumm
Reallabore, als trans- und multidisziplinäre Beteiligungsmodelle, zielen auf die umfassende Partizipation von AkteurInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft ab und damit auf eine nachhaltige Entwicklung von Innovationen in gesellschaftlich relevanten Themenfeldern. Im Reallabor AI4U (deutsch: „Künstliche Intelligenz für digitale personalisierte psychische Gesundheitsförderung“) wird unter Beteiligung eines interdisziplinären Forschungsteams, PraxisakteurInnen (z.B. aus der Erziehungsberatung, Schulsozialarbeit und -psychologie) sowie jungen Menschen (14–25 Jahre) eine digitale mHealth App zur psychischen Gesundheitsförderung entwickelt. Die Besonderheit dieser App liegt in der Beteiligung der Zielgruppe in allen Schritten des Entwicklungsprozesses sowie der neuartigen Nutzung technischer Innovationen durch Anwendung moderner Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI). Dabei soll eine App entwickelt werden, die auf die realen Bedürfnisse junger Menschen zugeschnitten ist. Dieser Beitrag zeigt, wie unter direkter Beteiligung junger Menschen mittels digitaler Beteiligungsformate ein innovativer Austausch und die partizipative Gestaltung einer mHealth App gelingen können.
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77 unsere jugend, 75. Jg., S. 77 - 91 (2023) DOI 10.2378/ uj2023.art11d © Ernst Reinhardt Verlag von Selina Hiller Cand. M. Sc. Health Science an der Technischen Universität München, Forschungsschwerpunkte in Neurologie und kardiovaskulären Erkrankungen, wissenschaftliche Mitarbeiterin (Peer-Forscherin) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm am Bezirkskrankenhaus Günzburg, Arbeitsgruppe Qualitative Sozialforschung 1 Gemeinsam gestalten? ! Wie junge Menschen, Praxis und Wissenschaft bei der Entwicklung einer Smartphone-App zusammenfinden Das Reallabor AI4U (engl. „Artificial Intelligence for Youth“) - Zwischenergebnisse eines Partizipationsprojekts zur Entwicklung einer auf Künstlicher Intelligenz basierten Smartphone-App zur Gesundheitsförderung junger Menschen Reallabore, als trans- und multidisziplinäre Beteiligungsmodelle, zielen auf die umfassende Partizipation von AkteurInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft ab und damit auf eine nachhaltige Entwicklung von Innovationen in gesellschaftlich relevanten Themenfeldern. Im Reallabor AI4U (deutsch: „Künstliche Intelligenz für digitale personalisierte psychische Gesundheitsförderung“) wird unter Beteiligung eines interdisziplinären Forschungsteams, PraxisakteurInnen (z. B. aus der Erziehungsberatung, Schulsozialarbeit und -psychologie) sowie jungen Menschen (14 - 25 Jahre) eine digitale mHealth App zur psychischen Gesundheitsförderung entwickelt. Die Besonderheit dieser App liegt in der Beteiligung der Zielgruppe in allen Schritten des Entwicklungsprozesses sowie der neuartigen Nutzung technischer Innovationen durch Anwendung moderner Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI). Dabei soll eine App entwickelt werden, die auf die realen Bedürfnisse junger Menschen zugeschnitten ist. Dieser Beitrag zeigt, wie unter direkter Beteiligung junger Menschen mittels digitaler Beteiligungsformate ein innovativer Austausch und die partizipative Gestaltung einer mHealth App gelingen können. 1 https: / / www.uniklinik-ulm.de/ psychiatrie-undpsychotherapie-ii/ arbeitsgruppe-qualitativesozialforschung.html Co-AutorInnen Dr. Christian Rauschenberg (A), Christian Götzl, M. A. (B), Janik Fechtelpeter, M. Sc. (C), Dr. Georgia Koppe (C), Prof. Daniel Durstewitz (C), Prof. Ulrich Reininghaus (A), (D), (E), Prof. Silvia Krumm (B) 78 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App Hintergrund Vor dem Hintergrund, dass die meisten psychischen Erkrankungen im Alter zwischen zehn und 24 Jahren erstmals auftreten und junge Menschen häufig betroffen sind (Kessler et al. 2005; Gore et al. 2011), stellt die Prävention psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe dar (WHO 2004). Auch während der COVID-19-Pandemie hat eine Vielzahl von Studien gezeigt, dass psychische Belastungen besonders bei jungen Menschen aufgetreten sind (Rauschenberg et al. 2021 b). In der Generation der „Digital Natives“ könnten sich insbesondere digitale Angebote eignen, die psychische Gesundheit zu fördern und die emotionale Resilienz zu stärken, da diese unmittelbar, niedrigschwellig und alltagsnah über das Smartphone (sog. mHealth Apps) angeboten werden können. Dabei könnten gesundheitsfördernde Maßnahmen mithilfe von mHealth Apps auch einen vielversprechenden Weg zur Prävention von psychischen Erkrankungen junger Menschen darstellen (Hollis et al. 2017; Clarke et al. 2015; Ebert et al. 2017). Trotz der hohen Verfügbarkeit zahlreicher mHealth Apps in den App Stores sind diese jedoch meist nicht evidenzbasiert (Larsen et al. 2019). Darüber hinaus existieren nur wenige Studien mit Beteiligung der NutzerInnen an der App-Entwicklung, was dazu führen kann, dass mHealth Apps unzureichend auf die Bedürfnisse junger NutzerInnen zugeschnitten sind (Bergin et al. 2020). Das Reallabor AI4U Das Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim untersucht gemeinsam mit der Universität Ulm im Rahmen des Projekts „Reallabor AI4U: Künstliche Intelligenz für digitale personalisierte Gesundheitsförderung bei jungen Menschen“, ob und in welcher Form Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mithilfe von mHealth Apps nutzerInnenfreundlich, sicher und wirksam angeboten werden können (Rauschenberg et al. 2021 b). Das Projekt findet im Rahmen der vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg geförderten „Reallabore“ statt (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden- Württemberg 2020). Im Reallabor AI4U steht die partizipative Entwicklung des AI4U-Trainings im Vordergrund: ein auf Person, Moment und Kontext zugeschnittenes, digitales mHealth-Training zur psychischen Gesundheitsförderung junger Menschen. Dabei kommen moderne Methoden der KI zur Anwendung, die durch maschinelles Lernen (Rekurrente Neuronale Netze) das Analysieren multimodaler Daten in Echtzeit ermöglichen (z. B. Daten ambulatorischer Erhebungen und mobiler, passiver Sensoren; Engl.: Ecological Momentary Assessments; Myin-Germeys et al. 2018), prädiktive Faktoren und Verlaufsvorhersagen ermitteln und diese in konkrete Vorschläge ambulatorischer Interventionen (Engl. Ecological Momentary Interventions; Schulte- Strathaus et al. 2023) übersetzen. Basierend auf vorgelagerten Stimmungsabfragen werden evidenzbasierte Interventionen vorgeschlagen, die auf die Bedürfnisse des Alltags ausgerichtet sind (Rauschenberg et al. 2022). Erste Studien haben eine hohe Machbarkeit und eine erfolgreiche Übersetzung von Prinzipien der psychischen Gesundheitsförderung in das alltägliche Leben in Form einer mHealth App gezeigt (Rauschenberg et al. 2021 a; Paetzold et al. in press). Dabei soll das AI4U-Training jungen Menschen dabei helfen, durch Entspannungs-, Atem- und Imaginationsübungen besser mit stressigen Alltagssituationen umzugehen, die emotionale Widerstandskraft zu stärken und das Wohlbefinden zu steigern. Außerdem ermöglicht ein Dashboard, die Antworten der täglichen Stimmungsabfragen visuell aufbereitet abzurufen und so einen Einblick in eigene Verhaltenskontingenzen zu bekommen - eine Möglichkeit des digitalen Monitorings und Feedbacks. 79 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App (Infra-)Struktur, Ziele und Ablauf des Reallabors Reallabore sind Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, in denen Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam an praktischen Lösungen für eine zukunftsfähige Lebensweise arbeiten. Ein zentrales Prinzip von Reallaboren ist die direkte Beteiligung der für die praktische Anwendung relevanten AkteurInnen. Neben einer interdisziplinären Forschungsgruppe, bestehend aus Forschenden aus den Bereichen Public Mental Health (A), Soziologie (B) und Theoretische Neurowissenschaften (C), sind im Reallabor AI4U auch PraxisakteurInnen aus dem Bereich der psychischen Gesundheitsförderung und die Zielgruppe in die Projektinfrastruktur integriert. Durch dieses Zusammenspiel werden außerwissenschaftliche Perspektiven hinsichtlich Wirkung, Akzeptanz und struktureller Einbettung in die App-Entwicklung einbezogen. Dabei liegt der Fokus der partizipativen Begleitung des Projekts durch die Universität Ulm auf der Integration von Jugendlichen und PraxisakteurInnen aus Erziehungsberatung, schulpsychologischer Beratung, Schulsozialarbeit oder Medienpädagogik über den gesamten Projektverlauf hinweg. Das Reallabor AI4U gliedert sich während des gesamten Forschungszeitraumes in vier Teilprojekte (TP): In Teilprojekt 1 (TP1) lag der Fokus auf der Entwicklung der KI-basierten App-Umgebung, deren technisch-methodischen Voraussetzungen und der Umsetzung in ein mHealth- Training durch Implementierung der einzelnen Trainingskomponenten. Diese Entwicklungsprozesse wurden dabei engmaschig durch partizipative Abstimmungen zu Inhalten, Zielen und Outcomes anhand von verschiedenen Beteiligungsformaten begleitet. Unter Anwendung von insgesamt drei mikrorandomisierten kontrollierten Studien (Walton et al. 2018) wird im zweiten Teilprojekt (TP2) das KI-basierte mHealth-Training von Studien- Transdisziplinäre Infrastruktur (Projektmanagement, Nachhaltigkeitsbewertung, Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung) Interdisziplinäre Forschergruppe (KI, mHealth, Public Mental Health, partizipative Forschung) Praxisakteure: psychische Gesundheitsförderung/ Prävention Digitalindustrie Zielgruppe TP1: Partizipative Entwicklung und Umsetzung einer KIbasierten mHealth App TP4: Verstetigung, Übertragbarkeit und Nachhaltigkeit der Transformationsprozesse TP2: Optimierung und Evaluation der App in der Praxis der Gesundheitsförderung und Prävention TP3: Partizipative Untersuchung der Implementierungsprozesse aus Sicht von NutzerInnen und Praxisakteuren Abb. 1: AkteurInnen und Forschungsablauf im Reallabor AI4U 80 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App teilnehmerInnen getestet. In Teilprojekt 3 (TP3) wird das AI4U-Training anhand von NutzerInnenfeedback, Fokusgruppen, Einzelinterviews und Forschungswerkstätten evaluiert und optimiert. Die Befragungen sollen dabei der Verbesserung der bereits bestehenden App für deren nächste Version dienen. Die Möglichkeiten einer Verstetigung der Transformationsprozesse werden schließlich im vierten Teilprojekt (TP4) untersucht. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die partizipative Beteiligung der jungen Menschen im Rahmen der „Partizipativen Entwicklung und Umsetzung einer KI-basierten mHealth App“ (TP1) des Reallabors AI4U (Abb. 1). Partizipation im Reallabor AI4U In der Umsetzung von Beteiligung orientieren wir uns am Stufenmodell der Partizipation nach Wright, Block und von Unger (Wright 2010) (Abb. 2). Partizipation im Bereich der Gesundheitsförderung bemisst sich demnach am Grad der Selbstbestimmung und Entscheidungsmacht, die den beteiligten Personen obliegt. Anhand des Modells kann beurteilt werden, ob und in welcher Form Partizipation tatsächlich erfolgt. Um von Partizipation sprechen zu können, muss mindestens eine Mitbestimmung möglich sein. Demnach führten wir als Vorstufe von Partizipation Fokusgruppen mit jungen Menschen sowie Interviews mit PraxispartnerInnen zu deren Sichtweisen über die Nutzung von mHealth Apps, damit verbundene Chancen und Risiken und die geplanten Inhalte der AI4U mHealth App durch. Die Fokusgruppen dienten einem ersten, explorativen Einblick in die kollektiven Sichtweisen der beteiligten Personen. Weiterhin setzten wir im Reallabor AI4U die Stufe der „Partizipation in Form von Mitbestimmung“ um, indem im Rahmen des ersten Teilprojekts (TP1) über ein digitales Beteiligungstool Beiträge von jungen Menschen zu verschiedenen Nutzungsaspekten gesammelt wurden und zeitnah in die Entwicklung des digitalen AI4U-Trainings eingeflossen sind. Darüber hinaus werden aktuell im Rahmen von partizipativen Forschungswerkstätten weitere Jugendliche aktiv in alle projektbezogenen Forschungsprozesse miteinbezogen. For- Peer-Forschende (Wiss. Mitarbeiterin im Alter von < 25 Jahren) & Co-Forschende (Jugendliche erhalten Training) Mitbestimmung von Jugendlichen über „ePartool“ Durchführung von Fokusgruppen und Interviews mit Jugendlichen und Praxisakteuren Instrumentalisierung Anweisung Information Anhörung Einbeziehung Mitbestimmung Teilweise Entscheidungskompetenz Entscheidungsmacht Selbstorganisation Nicht- Partizipation Vorstufen der Partizipation Partizipation über Partizipation hinaus Abb. 2: Umsetzung von Partizipation im Reallabor AI4U anhand des Modells der Partizipationsstufen in der Gesundheitsförderung (Wright, Block und von Unger, in: Wright 2010) 81 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App schungswerkstätten sind eine besondere Arbeitsform in der qualitativen Sozialforschung, die zum Ziel haben, methodische Fragestellungen oder Forschungsanliegen mit den Anwesenden gemeinsam zu bearbeiten. Dabei wird der Forschungsprozess kontinuierlich reflektiert und die Ergebnisse werden gemeinsam diskutiert. Teilnehmende der Reallabor AI4U Forschungswerkstatt, die im sechswöchigen Rhythmus in gleichbleibender Zusammensetzung (junge Menschen und Peer-Forscherin, s. u.) stattfindet, entwickeln gemeinsam Leitfäden für die im weiteren Projektverlauf geplanten Fokusgruppen und problemzentrierten Interviews. Die Jugendlichen werden darüber hinaus in den Forschungswerkstätten zu sog. Co-Forschenden geschult, um sich sowohl als Co-ModeratorInnen bei den Fokusgruppen aktiv an der Datenerhebung wie auch an der qualitativen Datenanalyse beteiligen zu können. Damit stellen wir zum einen eine kontinuierliche Beteiligung der Zielgruppe junger Menschen am Forschungsprozess sicher und vermitteln darüber hinaus Grundkenntnisse qualitativer Forschungsmethoden. Schließlich wird die Stufe der „Entscheidungskompetenz“ über die Beteiligung einer Peer- Forschenden (< 25 Jahre) sichergestellt, die im Rahmen ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Projektmitarbeiterin die partizipative Begleitung des Gesamtprozesses eigenverantwortlich gestaltet. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse zweier im Reallabor AI4U durchgeführter Partizipationsprozesse während des ersten Teilprojekts (TP1) vorgestellt: 1. Abstimmung der jungen Menschen über das digitale Beteiligungstool „ePartool“ zu gewünschten Trainingsinhalten, technischen Anforderungen und Implementierungsbedingungen 2. Fokusgruppen mit jungen Menschen zu den konkreten Nutzungsaspekten des digitalen AI4U-Trainings Das Onlineportal ePartool Hintergrund und Methodik Das digitale Beteiligungstool„ePartool“ (https: / / jugendbeteiligung-bw.de/ e-partizipation/ epartool/ ) ist ein Open-Source-Angebot des Deutschen Bundesjugendrings e.V., das es ermöglicht, Meinungsbildungsprozesse transparent zu gestalten und dabei das Mitwirken junger Menschen an verschiedenen, für sie relevanten Projekten zu gewährleisten. Über ePartool können Meinungen zu bestimmten Fragestellungen gesichtet, diskutiert und bewertet werden. Mithilfe der zur Verfügung gestellten kostenlosen Open-Source-Software haben wir unsere eigene ePartool-Website (https: / / mit wirken-app4you.de/ ) erstellt (Abb. 3). Auf unserer ePartool-Website wurden zunächst die Informationen zum Projekt vorgestellt. Dies umfasste eine Beschreibung von Inhalten und Zielen des Reallabors AI4U sowie die geplante Verwendung von KI im Kontext des digitalen AI4U-Trainings in der mHealth App. Davon ausgehend initiierten wir einen digitalen Meinungsbildungsprozess über die Nutzung von mHealth Apps sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken. Mit insgesamt zehn Fragen wurden Einstellungen zu psychischer Gesundheit und Bereitschaft zur Nutzung von mHealth Apps, Fragen zu Design und Abb. 3: Startseite des ePartool Reallabor AI4U 82 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App Abb. 4: Beitragsübersicht auf ePartool für Fragen des Themenblocks 1 Themenblock Fragestellungen 1. Einstellung zum Thema psychische Gesundheit und Bereitschaft zur Nutzung von mHealth Apps (1.1) Was bedeutet für Dich psychische Gesundheit? (1.2) Was machst Du offline für Deine psychische Gesundheit? (1.3) Hast Du Interesse, eine Gesundheits-App im Alltag zu nutzen? (1.4) Was würde Dein Interesse steigern, eine Gesundheits-App im Alltag zu nutzen? 2. Design, NutzerInnenfreundlichkeit & Technische Aspekte (2.1) Hast Du Interesse, in der App über die genaue Funktionsweise der KI informiert zu werden? (2.2) Welche Daten würdest Du der KI unserer Gesundheits-App mitteilen und welche ganz sicher nicht? (2.3) Möchtest Du lieber konkrete Übungen von der App vorgeschlagen bekommen oder diese selbst zusammenstellen? 3. Themen & Trainingsinhalte (3.1) Was sind Themen im Alltag, die Dich belasten und bei denen Du Dir Unterstützung wünschen würdest? (3.2) Hast Du Vorschläge für Inhalte oder Trainingsmaßnahmen in einer Gesundheits-App? (3.3) Was kann eine solche App niemals leisten? Und worauf müssen EntwicklerInnen solcher Apps besonders achten? Tab. 1: Fragenblöcke im digitalen Meinungsportal ePartool 83 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App NutzerInnenfreundlichkeit sowie gewünschte Trainingsinhalte der geplanten mHealth App abgefragt. Interessierte erhielten die Möglichkeit, zu jeder Frage Stellung zu nehmen oder über die Antworten Anderer zu diskutieren. Eine Übersicht über die in den Themenblöcken jeweils enthaltenen Fragestellungen zeigt Tabelle 1. Um eine möglichst hohe Teilnahme zu erzielen, wurde unsere ePartool-Website über verschiedene E-Mail-Verteiler an Universitäten, Werbung auf unserem Social-Media-Kanal sowie über Flyer zum Weiterleiten an unsere PraxisakteurInnen beworben. Die Beiträge von Jugendlichen zu den jeweiligen Fragen wurden in einem Zeitraum von sechs Wochen online gesammelt und waren dabei von anderen TeilnehmerInnen öffentlich einsehbar. Insgesamt erhielten wir 67 einzelne Beiträge, davon 30 öffentliche Beiträge, die auf registrierte Personen zurückgeführt werden konnten, sowie 37 anonyme Beiträge. Eine beispielhafte Beitragsübersicht zu Fragen (1.1) und (1.2) zeigt Abbildung 4. Ergebnisse Im Folgenden stellen wir zusammenfassend die gesammelten Beiträge anhand der drei Themenblöcke „Einstellungen zu psychischer Gesundheit“, „Technische Funktionen einer mHealth App und Datensicherheit“ sowie „Trainingsinhalte“ vor. Themenblock 1: Einstellungen zum Thema psychische Gesundheit und Nutzung von mHealth Apps Die Beiträge der TeilnehmerInnen umfassen ein breites Verständnis von psychischer Gesundheit im Sinne einer nachhaltigen, sozialen und gesundheitsfördernden Einbindung eines Menschen in die Gesellschaft, eines „gesunden“ Blicks auf sich selbst oder von Lebensfreude. Beispielhaft für dieses Verständnis steht folgender Beitrag: „Psychische Gesundheit ist für mich Freude am Leben zu haben, sich seiner Schwächen/ Stärken und aktuell wichtigen Themen bewusst zu sein. Man ist sozusagen mit sich selbst im Reinen und verspürt Lust morgens aufzustehen und neue Dinge zu erleben.“ Die Nutzung von digitalen Gesundheits-Apps bewerten die Jugendlichen ambivalent: So werden Gesundheits-Apps einerseits als „trügerische Scheinwelt“ und „Abkapselung von der Realität“ gesehen, die den ohnehin bereits hohen Medienkonsum in der jungen Generation noch weiter erhöhen. Zudem seien sie oft nicht alltagstauglich, was eine nachhaltige Nutzung erschwert. Eine teilnehmende Person sieht die Nutzung von Gesundheits-Apps aufgrund des Fokus auf Problemlösung und Selbstoptimierung kritisch: „Generell habe ich ein Problem mit der Idee, mein Leben zu optimieren. Das stresst mich nur, alles immer besser und effizienter zu machen, dadurch bin ich eher kritisch solchen Apps gegenüber. Das trifft auch auf Meditationsapps zu, viele sind eher darauf ausgerichtet, Probleme zu lösen, als zu genießen.“ MHealth Apps können aus Sicht der Jugendlichen aber auch Vorteile mit sich bringen, da diese zielgerichtet und effektiv verschiedene Themenbereiche adressieren können. Dies gelte insbesondere dann, wenn sie im Vergleich zu den herkömmlichen Internetangeboten eine hohe Qualität nachweisen. In ihren Beiträgen nennen die Jugendlichen zahlreiche Vorschläge, um die Risiken und Herausforderungen digitaler Gesundheitsanwendungen zu adressieren: Personalisierung der Inhalte, regelmäßige Updates in der App, Sammeln von Prämien bei Krankenkassen sowie eine flexible Integration in den Alltag. Wichtig erscheint es den Jugendlichen auch, Anreize über kurze Motivationsschübe hinaus zu schaffen, um eine nachhaltige Veränderung gewis- 84 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App ser Gewohnheiten zu erzielen. Dabei solle die App auch ermutigen, das Handy für längere Zeit nicht zu nutzen. Im Falle eines Bedarfs an professioneller Beratung kann die App dabei helfen, die Schwelle der Inanspruchnahme von Hilfe zu verringern: „[Die App sollte] ermutigen, das Handy für längere Zeit aus dem eigenen Leben zu entfernen und sich mehr in der Realität zu finden als in sozialen Medien. Eine Gesundheitsapp als Hilfe zur Selbsthilfe, welche sich nach einer gewissen Zeit obsolet macht bzw. Menschen mit psychischen Problemen an Experten und Ärzte einfach hinführen kann und dabei den komplizierten Weg zu einer Psychotherapie oder einem Termin bei einem Psychologen bzw. Psychiater erleichtert.“ Themenblock 2: Technische Funktionen einer mHealth App und Datensicherheit Die Jugendlichen äußern mehrheitlich, kein Interesse an der genauen Funktionsweise von KI-Algorithmen zu haben. Aus ihrer Sicht könne die KI weitestgehend im Hintergrund laufen. Allerdings sollte die Möglichkeit bestehen, genauere Details einfach und knapp dargestellt abrufen zu können, um das Konzept der App besser zu verstehen: „Es wäre für mich auch interessant, warum z. B. meine Persönlichkeit der Funktion der App hilft. Die Option sich einzulesen wäre spannend. Was sind die Schlüsse, die die App aus meinen Angaben zieht? “ Keine teilnehmende Person äußert wesentliche Bedenken hinsichtlich Datenpreisgabe und Sicherheit. Bei einer sicheren und anonymen Datenverarbeitung, die dem Zweck einer effizienten Nutzung der maximalen Funktionsweise der KI diene und für optimale Personalisierung sorge, sei eine umfassende Datenpreisgabe unproblematisch: „Ich bin generell bereit alle Daten zu teilen, möchte aber nicht, dass diese auf meine Person zurückgeführt werden können. Wenn ich so eine App benutze, dann sind die Daten wichtig für die optimale Leistung. Was nicht wichtig ist, muss ich auch nicht teilen.“ Bezüglich der Auswahl der Trainingskomponenten ist den Teilnehmenden eine gewisse Flexibilität wichtig. Die Trainingskomponenten sollten dabei sowohl eigenständig gewählte als auch von der App vorgeschlagene Übungen beinhalten. Hilfreich sei dabei, auf gewisse Übungen aufmerksam gemacht zu werden, um längere Suchzeiten zu ersparen. Gleichzeitig sollte die Möglichkeit bestehen, von den Vorschlägen abweichen zu können. Auch die Möglichkeit, über die App einen persönlichen Kontakt oder eine Ansprechperson zu erhalten, wurde als wichtig erachtet. Themenblock 3: Trainingsinhalte Hier zeigen die Beiträge, dass die Jugendlichen vor allem an den Themen Leistungsdruck, Stresslevel und damit verbundenen Selbstzweifeln interessiert sind. Auch die Stigmatisierung psychischer Störungen, Einsamkeit und Unterstützung in sozialen Interaktionen, vor allem in Zeiten pandemiebedingter Isolation, werden von mehreren Teilnehmenden als relevante Problembereiche genannt: „Bekämpfung von Einsamkeit, welche durch den ständigen Leistungsdruck und Individualisierungsidealen ein immer größeres gesamtgesellschaftliches Problem sein wird […] und de[s] verstärkte[n] Rückzug[s] von Jugendlichen in soziale Medien und Computerspiele. Weiter könnte man der Stigmatisierung von psychischen Störungen entgegenwirken, indem man anhand realer Situationen aufzeigen kann, wie sich ein Mensch mit einer psychischen Störung fühlt vs. ein psychisch gesunder Mensch. Aufklärung über die Missverständnisse und die Vielfalt von psychischen Störungen wären wichtig.“ 85 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App Vereinzelt werden auch Vorschläge zu konkreten Interventionen des AI4U-Trainings gemacht. Diese umfassen die Themen körperliche Aktivität, Reduzierung des Medienkonsums und Vorschläge für alternative Beschäftigungen wie beispielsweise Übungen zur Stressreduktion. Darüber hinaus können Online- Seminare, Workshops oder Gruppentrainings, eine Tagebuchfunktion oder konkrete Tipps und Erinnerungen für einen gesünderen Lebensstil sowie die Ermöglichung von sozialer Interaktion, beispielsweise durch das Vernetzen mit anderen NutzerInnen, die Motivation zur Nutzung erhöhen. Skeptisch wird die Tauglichkeit von KI gesehen, menschliches Wahrnehmen und Denken umfassend und korrekt zu erfassen. Hinsichtlich der Grenzen einer KI-basierten App wird betont, dass diese lediglich unterstützende Anreize setzen und keinen Ersatz für eine professionelle Therapie darstellen soll: „Ein Hinweis auf mögliche Therapie ist wichtig, vielleicht kann die KI ja sogar bestimmte Krankheitsbilder feststellen und den Nutzer ,warnen‘. Die App ersetzt auch keine unangenehmen Gespräche mit sich selbst, ich fürchte es ist einfach, sich in die Hände von einem personalisierten Plan zu geben, man muss aber auch selbst aktiv dabei sein, merken was einem gut tut und was nicht, und verstehen warum man die App benutzt. Es soll wie gesagt nicht um (krankhafte) Optimierung gehen, sondern ein Verständnis seiner eigenen Bedürfnisse.“ Fokusgruppen mit jungen Menschen Methodik Auf die Ergebnisse aus dem digitalen Beteiligungsformat ePartool aufbauend, wurden drei Fokusgruppen (n = 12) mit jungen Menschen durchgeführt, um deren kollektive Sicht auf die Nutzung der geplanten mHealth App zu erfahren. Aufgrund pandemiebedingter Kontaktbeschränkungen konnten die Fokusgruppen nicht wie geplant in Präsenz stattfinden, sondern wurden online über ein Videokonferenztool durchgeführt. Um ein möglichst breit gefächertes Meinungsbild einzuholen, wurden die Fokusgruppen aus Teilnehmenden unterschiedlicher Altersgruppen (12 - 27), unterschiedlicher Bildungsgrade (Studierende, SchülerInnen verschiedener Schulformen), mit und ohne Migrationshintergrund sowie unterschiedlichen Geschlechts zusammengesetzt. Es wurde ein Leitfaden entwickelt, der die Nutzungs- und Implementierungsmöglichkeiten der App thematisiert. Fragen orientierten sich dabei an sogenannten W-Fragen und beinhalteten personenbezogene Nutzungsaspekte (Wer-Frage), App-Nutzungszeiträume (Wann-Frage) sowie Implementierungsbedingungen (Wie-Frage). Mit Nutzung eines Online-Whiteboards (https: / / conceptboard.com/ de/ ) wurden individuell Diskussionsbeträge erarbeitet, gesammelt und anschließend gemeinsam besprochen (Abb. 5). Das Vorgehen erfolgte entlang der Methode der „nominalen Gruppentechnik“ zur konsensbasierten Entscheidungs- und Ideenfindung in Gruppensettings (Waggoner et al. 2016). Hier entwickelten Teilnehmende in Einzelarbeit und anonym konkrete Vorschläge zu unserer Fragestellung, die sie auf dem Online-Whiteboard anhand von digitalen Post-Its einfügen konnten. Anschließend wurden die Beiträge von der Moderatorin (SH) vorgetragen, strukturiert und gegebenenfalls inhaltlich auf dem ConceptBoard zusammengefasst. Die Beiträge wurden anschließend in offener Runde diskutiert oder durch eine individuelle Rankingabfrage bewertet. 86 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App Ergebnisse Im Folgenden stellen wir die Ergebnisse der in den Fokusgruppen erarbeiteten Ergebnisse zu den drei W-Fragen: Wer? , Wann? und Wie? vor, die jeweils Personen-, Zeitpunkt- und Implementierungsaspekte der App-Nutzung thematisieren. Mit wem sollte die App genutzt werden: Personen- und ortsbezogene Nutzungsaspekte Auf die Frage, mit welchen Personen eine gemeinsame App-Nutzung vorstellbar wäre, differieren die Antworten der Jugendlichen je nach Art der Intervention. Konsens be- Wie motiviert man junge Menschen, die App langfristig und regelmäßig zu nutzen? Es muss einem gefallen. Werbung durch soziale Medien ist unnötig. Ich überspringe immer. Mit Belohnungen Ich würde Werbung in Studentenheimen machen. WIE WIE WANN WER WO 2 1 Wie machen wir junge Menschen auf unsere App aufmerksam? Wenn mich das Thema interessiert und wenn es mir Spaß macht. Werbung / Spiele / neue Tools Mit wem wollt ihr die App nutzen? Wer soll bei den Trainings mitmachen? Ich würde es mit Freunden benutzen. Aber ich finde, dass man so eine App alleine benutzt. Allein oder mit Freunden Ich würde sie allein benutzen Wenn, dann nur im Bett, kurz vorm Einschlafen. Wo wollt ihr die App nutzen? Wo wollt ihr eine solche Übung durchführen? Zu Hause Vor nervösen, stressigen, wichtigen Sachen. Wie z. B. vor einer Arbeit. In der Natur wäre es nicht schlecht. In der Schule wäre es gut. Wann wollt ihr die App am liebsten nutzen? Wann wollt ihr das jeweilige Training durchführen? Spontan, keine feste Zeit benötigt. Zu Hause alleine im Zimmer. Ich würde es jeden Sonntag machen. Nach der Schule, um mich zu entspannen. Abends eher, wenn man genug Zeit hat. Welche Aspekte sind wichtig bei der Nutzung der App? Abb. 5: Beispiel einer ausgefüllten ConceptBoard Online-Tafel 87 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App steht bezüglich der individuellen Nutzung von Entspannungs- oder Meditationsübungen und Tagebucheinträgen. Von den jüngeren TeilnehmerInnen wird dies mit Schamgefühl bei Meditation vor anderen begründet (FG3). Bei der Frage nach dem Ort der Nutzung nennen die jüngeren TeilnehmerInnen vor allem die Nutzung zu Hause und verbinden dies mit einem ruhigen und sicheren Ort ohne Ablenkung (FG3). Gründe hierfür sind unter anderem Privatsphäre sowie Rückzugsmöglichkeit. Ein Teilnehmer hingegen sieht keinen Anreiz, die App zu Hause zu nutzen: „Ich würde so was, wenn ich jetzt daheim wäre oder so, nicht machen, ganz ehrlich gesagt. Aus dem Grund, wenn ich schon daheim bin und mich wohlfühle, brauche ich jetzt nicht eine extra App, um das bestätigt zu bekommen.“ - FG2, TN6 Wann sollte die App genutzt werden: Routinierte App-Nutzungszeiträume für eine optimale Stressreduktion Feste Nutzungszeiten oder Rituale wurden von den Teilnehmenden als wichtig beschrieben, beispielsweise durch Erstellung eines individuell abgestimmten Trainingsplans (FG2). Vorgeschlagene Nutzungszeiten sind am Morgen, abends, wenn man zur Ruhe kommen möchte und keine anderen Aufgaben mehr anstehen, oder in Stresssituationen, z. B. vor Prüfungen oder anderen wichtigen Ereignissen (FG2, FG3). Ebenfalls kann laut diesen TeilnehmerInnen die Nutzung der App nach der Schule oder vor den Hausaufgaben helfen, um nach dem stressigen Schulalltag „herunterfahren“ zu können. Aus Sicht der Jugendlichen ist eine Routine in der Nutzung der App zwar einerseits hilfreich, kann andererseits aber auch als „Zwang“ wahrgenommen werden, der zum Abbruch der Nutzung führen könnte: „Ich fände es glaube ich von Anfang an besser, wenn man quasi eine Routine eingeben würde. Weil dann zwingt man sich so ein bisschen, das zu machen. Aber oft ist es so […] dass wenn man sich dann irgendwann zu gezwungen fühlt irgendwas zu machen, dann macht man es wiederum nicht. […] manchmal kann halt so was wie strenge Zeiten oder strenge Rhythmen ein bisschen nervig sein.“ - FG1, TN1 Kritisch diskutieren die Jugendlichen die Dauer der Handynutzung, insbesondere Interventionen vor dem Schlafengehen. Hier bestünde die Gefahr, dass die App-Nutzung dazu anrege, das Handy noch länger zu nutzen (FG1): „Ja, also ich finde es wichtig, dass man, wenn man halt einfach nicht unbedingt viel am Handy sein will, gerade auch morgens oder so, dass man einfach die Ruhe haben will, dass man auch nicht [von der App] genervt wird. Weil es führt nur dazu, dass man es dann halt eher nicht will und man entwickelt so eine Trotzhaltung. Genau. Und das kann ja auch so eine persönliche Routine sein, wenn man halt morgens und abends einfach das Handy weglegt. Ist ja auch ganz gut, mal mit sich selbst in Gedanken zu treten.“ - FG1, TN1 Wie sollte die App genutzt werden: Richtige Anreize für eine langfristige und nachhaltige App-Nutzung Im Hinblick auf die Frage der Anreizsetzung und der Motivation für eine langfristige App- Nutzung diskutieren die TeilnehmerInnen die Bedeutung des persönlichen Nutzens und des Mehrwerts der App: „[…] wenn ich jetzt der User von dieser App bin, wenn ich das vorgeschlagen bekomme, dann will ich erst wissen, bevor ich das herun- 88 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App terlade, was kann die App, was bringt sie mir, was ist das für Unterhaltung? Ist das ein Vorteil [für mein] Leben? “ - FG2, TN4 Aus Sicht der Jugendlichen spielt dabei der Spaßfaktor eine Rolle (FG2), beispielsweise durch Gamification mit Punktesystem (FG3), Elementen aus Spielen oder durch wöchentliche, lustige Features wie beispielsweise Comics zur Auflockerung (FG2). Auch ein ansprechendes Design könne helfen, den Spaßfaktor und die Motivation zu erhöhen, beispielsweise durch helle Farben, personalisierte Hintergrundbilder oder selbst ausgewählte Hintergrundmusik während den Interventionen (FG3). Darüber hinaus sollten Interventionen nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen und sich flexibel und spontan in den Alltag integrieren lassen (FG1). Mit Hinweis auf z. B. wechselnde Stundenpläne, Arbeitszeiten oder Freizeitaktivitäten wird das flexible Verschieben von Trainingszeiten und Stimmungsabfragen als wichtige Bedingung für eine konstante Nutzung genannt (FG1, FG2, FG3). Dabei solle die App dennoch eine gewisse Routine schaffen: „Was ich glaube ich auch problematisch finde, ist genau das mit allen Apps, du kannst es eigentlich immer und überall machen und deshalb macht man es auch irgendwo nicht. […] und es ist auch für eine Gewohnheit sehr gut, einen Ort und eine Uhrzeit festzulegen.“ - FG1, TN3 Regelmäßige Updates der App, vor allem in Bezug auf neue Trainingsinhalte (FG2, FG3), werden von den TeilnehmerInnen als notwendige Voraussetzung für eine anhaltende Nutzung genannt. Ein Vorschlag richtet sich darauf, nicht sofort vollen Zugriff auf alle Funktionen und Interventionen bereitzustellen, sondern stückweise neue Interventionen freizuschalten. Dies berge einen Überraschungseffekt, der sich positiv auf die Motivation und Spannung auswirken könne. Diskussion und Ausblick Zusammenfassung Die Anwendung partizipativer Forschungsmethoden im Bereich der digitalen psychischen Gesundheitsförderung junger Menschen bietet die Chance, die inhaltliche Ausrichtung eines Gesamtprojekts und Relevanz der Ergebnisse für die Praxis zu verbessern und setzt zugleich das Recht auf Teilhabe junger Menschen an den sie betreffenden digitalen Anwendungen um. Ein Alleinstellungsmerkmal der hier vorgestellten Studie „Reallabor AI4U: Künstliche Intelligenz für digitale personalisierte Gesundheitsförderung bei jungen Menschen“ ist der kontinuierliche Einbezug von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die die zentrale Zielgruppe des digitalen AI4U-Trainings zur Förderung der psychischen Gesundheit bilden (https: / / ai4u-training.de/ ). Durch das digitale Beteiligungsformat ePartool, die Durchführung von Fokusgruppen zu Nutzungsaspekten und Implementierungsstrategien sowie die wiederkehrenden Forschungswerkstätten sind junge Menschen über den gesamten Projektverlauf hinweg an der Entwicklung der digitalen Trainings-App zur Förderung der psychischen Gesundheit beteiligt und können ihre Perspektiven zu zentralen Aspekten in die App-Entwicklung einbringen. Die Ergebnisse der partizipativen Erhebungen im Reallabor AI4U zeigen, dass Jugendliche eigene Sichtweisen und konkrete Vorstellungen zu Gestaltung und Implementierung einer digitalen mHealth App haben und auch motiviert sind, diese aktiv einzubringen. Konvergente Rückmeldung aus beiden Erhebungsmethoden erhielten wir vor allem zur Einschränkung des Medienkonsums und Reduzierung der Handyaktivität, Vermeidung von Druck zur Selbstoptimierung und kompetitiven Verhaltensmustern durch die App-Nutzung sowie der Notwendigkeit einer zielgruppenrelevanten Anreizsetzung zur Sicherstellung einer nachhaltigen Umsetzung der Trainingsinhalte. Konsens 89 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App bestand auch hinsichtlich der gewünschten Flexibilität des AI4U-Trainings, zum einen in Bezug auf Nutzungszeitpunkte, aber auch bezüglich der Auswahl einzelner Trainingseinheiten. Auch die Vernetzung mit anderen App-NutzerInnen wurde in beiden Gruppen als sinnvolle Möglichkeit betrachtet. Ausblick Partizipative Jugendforschung leistet einen wichtigen Beitrag zum Verstehen des psychosozialen Kontextes und stellt eine valide Darstellung von NutzerInnenmeinungen sicher (Yardley et al. 2015; Aryana/ Brewster 2020; Morton et al. 2020). Die vorgestellten Ergebnisse zeigen den potenziellen Mehrwert eines partizipativen Vorgehens bei der Entwicklung von mHealth App-Anwendungen. Jugendliche werden dabei als ExpertInnen ihrer eigenen Bedürfnisse angesprochen und können durch die frühe und kontinuierliche Beteiligung ihr spezifisches Wissen und ihre Präferenzen einbringen und damit zu einer besser auf die Zielgruppe angepassten Lösung beitragen. In vorliegenden Studien wurden junge Menschen in den Designprozess von mHealth-Anwendungen einbezogen, z. B. durch Feedback der EndnutzerInnen anhand eines ersten App-Prototyps (Kenny et al. 2016; Larsson et al. 2018; Ben-Yehuda et al. 2022). Partizipation kann dort am besten erreicht werden, wo junge Menschen in allen Phasen des Forschungsprozesses, von der Planung bis hin zur Auswertung, beteiligt sind (Percy-Smith 2010). Diesen Ansatz verfolgen wir im Reallabor AI4U durch die Schaffung von Möglichkeiten zur partizipativen Mitgestaltung über alle Projektphasen hinweg. Im weiteren Projektverlauf werden wir die partizipative Einbindung von Jugendlichen im Rahmen von regelmäßigen Forschungswerkstätten weiterführen. Im Rahmen der anstehenden Evaluation der ersten Version der App wird Partizipation umgesetzt, indem die StudienteilnehmerInnen offen zu ihren Nutzungserfahrungen in Gruppen- und Einzelinterviews befragt werden. Das Erkenntnisinteresse ist dabei primär auf die subjektiv erlebten Effekte bei der Nutzung der App sowie die Sicht der Jugendlichen auf Chancen und Risiken der App gerichtet. Ziel ist es, Hinweise auf eine bedarfsgerechte und bedürfnisorientierte Implementierung des KI-basierten mHealth-Trainings zu erhalten. Die Analyse der daraus resultierenden Ergebnisse kann eine kontinuierliche Anpassung und Verbesserung des AI4U-Trainings für Folgeversionen der App sicherstellen, die zu einem späteren Zeitpunkt erneut getestet werden sollen. Die Leitfäden für die Fokusgruppen und Einzelinterviews wurden bereits partizipativ in den Forschungswerkstätten gemeinsam mit den Co-Forschenden entwickelt. Zugleich werden die an den Forschungswerkstätten teilnehmenden Jugendlichen zu Co-ModeratorInnen geschult, sodass diese die Moderation einzelner Fokusgruppen übernehmen werden. Ziel ist es, dass StudienteilnehmerInnen, die die App über einen gewissen Zeitraum genutzt haben, bei jeder überarbeiteten Version des AI4U-Trainings die Möglichkeit haben, im Rahmen von Fokusgruppen und Einzelinterviews detailliertes Feedback zur Nutzung zu geben, die zu einer Optimierung der finalen Version der App am Ende der Projektphase beitragen kann. Abkürzungen ➤ mHealth App = mental Health App ➤ FG = Fokusgruppe ➤ TN = TeilnehmerIn Cand. M. Sc. Selina Hiller Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm am Bezirkskrankenhaus Günzburg Arbeitsgruppe Qualitative Sozialforschung Lindenallee 2 89312 Günzburg E-Mail: selina.hiller@uni-ulm.de 90 uj 2 | 2023 Partizipative Entwicklung einer Smartphone-App Projektverantwortliche A: Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim Abteilung: Public Mental Health Abteilungsleiter: Prof. Dr. Ulrich Reininghaus Mitarbeiter: Dr. Christian Rauschenberg B: Universitätsklinikum Ulm Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II (Günzburg), Qualitative Sozialforschung Abteilungsleiterin: Prof. Dr. phil. Silvia Krumm Mitarbeiter: M. A. Christian Götzl Mitarbeiterin: Cand. M. Sc. Selina Hiller C: Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim Abteilung: Theoretische Neurowissenschaften Abteilungsleiter: Prof. Dr. Daniel Durstewitz Arbeitsgruppenleiterin: Dr. Georgia Koppe Mitarbeiter: M. Sc. Janik Fechtelpeter D: King’s College London, London, UK Centre for Epidemiology and Public Health, Health Service and Population Research Department, Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience E: King’s College London, London, UK ESRC Centre for Society and Mental Health Literatur Aryana, B., Brewster, L. (2020): Design for mobile mental health: Exploring the informed participation approach. Health informatics journal 26 (2), 1208 - 1224, https: / / doi.org/ 10.1177/ 1460458219873540 Ben-Yehuda, O., Dreazen, E., Koren, D., Peleg, M. (2022): Participatory Design of a Mobile App to Safeguard Mental Resilience in the Context of Drug Use in Young Adults: Multi-Method Study. JMIR formative research 6 (2), e34477, https: / / doi.org/ 10.2196/ 34477 Bergin, A. D., Vallejos, E. P., Davies, E. B., Daley, D., Ford, T., Harold, G., Hetrick, S., Kidner, M., Long, Y., Merry, S., Morriss, R., Sayal, K., Sonuga-Barke, E., Robinson, J., Torous, J., Hollis, C. 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