eJournals unsere jugend 75/6

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2023
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Rezension: Arnold, P., Kotthaus, J. (Hrsg.). (2022): Soziale Arbeit im Fußball

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Dieter Kreft
Was für eine Entwicklung! Weder das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt von 1922 noch das – immerhin bis 1990 geltende – Gesetz für Jugendwohlfahrt von 1953 kannten den Begriff „Sport“. Die ersten Annäherungen der Sozialen Arbeit an den Sport begannen dann in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre.
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272 uj 6 | 2023 Rezensionen rich Blendinger, der bis 1943 Salem vor vielem Unbill bewahrte. Hildegard Hamm-Brücher (ebd., 86ff ), Salem-Schülerin wie ihr Bruder Ernst Brücher (ebd., 43), wurde später eine der großen Politikerinnen der Nachkriegszeit. Sie saß 42 Jahre im Bundestag, hat zu Recht zahlreiche Ehrungen erfahren, kandidierte 1993 bei der Wahl zur Bundespräsidentin und trat 2002 aus Protest wegen der Möllemann-Affäre aus der FDP aus. Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg arbeitete die Lehrerin Hildegard Disch (ebd., 52f ) entscheidend am Wiederaufbau Salems mit - eine leider vergessene Frau wie bis vor kurzem Marina Ewald. Diese wird zu Recht ausführlich gewürdigt. Sie war der gute Geist von Salem (laut Golo Mann) und „führte 56 Jahre ihres Daseins ein Leben für Salem“ (ebd., 60ff ). Es folgen Biografien berühmter Persönlichkeiten wie Kurt Hahn, Ernst (eigentlich: Ernstel, W. M.) Jünger, Golo und Monika Mann, Elisabeth Noelle-Neumann und Prinz Philip, Duke of Edinburgh, der beim Nazi-Gruß Lachanfälle bekam (ebd., 199). Arnold, P., Kotthaus, J. (Hrsg.). (2022): Soziale Arbeit im Fußball. Theorie und Praxis sozialpädagogischer Fanprojekte Beltz Juventa, Weinheim/ Basel. 294 Seiten, ISBN 978-3-7799-6588-6, € 24,95 (auch als E-Book erhältlich) Rezensent: Prof. h. c. Dieter Kreft Jg. 1936; Verwaltungs- und Erziehungswissenschaftler, Honorarprofessor der Leuphana Universität in Lüneburg. Seit Mitte der 1970er-Jahre publiziert er fortlaufend zum Thema Sport und Soziale Arbeit, zuletzt den Beitrag „Sport“ (mit M. Welsche) im „Wörterbuch Soziale Arbeit“ (Amthor et al. 2021, 874 - 880). Was für eine Entwicklung! Weder das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt von 1922 noch das - immerhin bis 1990 geltende - Gesetz für Jugendwohlfahrt von 1953 kannten den Begriff „Sport“. Die ersten Annäherungen der Sozialen Arbeit an den Sport begannen dann in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Und natürlich erwähnt und beschreibt Zirlewagen eine Vielzahl von dubiosen Figuren, von MitläuferInnen und Nazis. Die inhaltliche Fülle dieses Werkes kann hier nur andeutungsweise wiedergegeben werden. Letztlich ist es ein Buch zum Schmökern, denn an das Alphabet braucht man sich nicht zu halten. Eine ausführliche „Chronik der Schule Schloss Salem 1933 - 1945“ am Schluss des Buches (275 - 291) bündelt einige Ergebnisse dieser Untersuchung und bietet einen notwendigen Überblick. Für alle, die sich für die Geschichte von Schule Schloss Salem interessieren, besonders für die weißen Flecken aus dieser Zeit, ist die Lektüre beider Bücher ein Gewinn. Prof. i. R. Dr. Werner Michl Kellerbachstr. 7, 82335 Berg www.wernermichl.de E-Mail: michl@hostmail.de DOI 10.2378/ uj2023.art36d Das ist inzwischen anders. Sowohl die Soziale Arbeit hat den Sport als auch der Sport die Soziale Arbeit für das jeweils besondere Handeln in den Fokus genommen und bedient sich der Möglichkeiten des anderen. Die aktuelle Lektüre dazu hat Mone Welsche, selbst eine der aktiven Entwicklerinnen rund um die modernen uj 6 | 2023 273 Rezensionen Formen von Sport und Bewegung, im sozialmagazin 1-2/ 2021 (78 - 81) mit dem Schwerpunkt Sport ausgewählt und kommentiert. Und nun ist ein ganzes Buch über eine Nebenlinie der Sozialen Arbeit erschienen, die Fußball-Fanprojekte. Die beiden Herausgeber haben die Beiträge von immerhin 36 Autorinnen und Autoren in vier Teilen (Kapiteln) zusammengefasst: ➤ (1) Grundlagen der Fanarbeit (mit vier Beiträgen); ➤ (2) Arbeit an und mit Diskriminierungsformen (mit fünf Beiträgen); ➤ (3) Bildungsarbeit (mit vier Beiträgen); ➤ (4) Fanprojekte als klassische Querschnittsarbeit (mit vier Beiträgen). „Aktuell arbeiten 61 Fanprojekte mit 68 unterschiedlichen Fanszenen zusammen“ (15). „Die Arbeit mit Fanprojekten ist ein kleiner Bereich der Sozialen Arbeit. Bundesweit gibt es etwa 150 Mitarbeiter_innen“ (86). Schon sehr viel Aufwand für eine doch recht kleine Population. Aber neben der Arbeit der Fanprojekte, die zunächst im Mittelpunkt der Darstellungen steht, werden wichtige (grundsätzliche) Fragen und Probleme behandelt: Gewalt/ Gewaltprävention, die Frage nach den Minderheiten in den Fanszenen, nach Sexismus und Antisexismus. Die Fragen nach der möglichen Bildungsarbeit und zur Inklusion werden schwerpunktmäßig - und zum Teil sehr ausführlich - behandelt. Zudem von einer jungen Autorenschaft: Von den 36 Autorinnen und Autoren (sieben blieben ohne Altersangabe) sind zwanzig 40 Jahre alt und jünger (in der Breite der Jahrgänge 1983 -1993); also eine neue Generation nach den Urvätern und -müttern der 1970/ 1980er- Jahre, die sich zuerst zu Sozialer Arbeit und Sport geäußert haben. Das ist aber vielleicht auch ein Problem dieses Titels, weil die „jungen BeiträgerInnen“ wohl auch in der Wissenschaftsszene „bestehen wollen“ und sich einer besonderen Sprache bedienen, die immer wieder nicht leserfreundlich ist. So zitieren die Herausgeber in ihrer Einleitung Pilz et al. (182) so: „Vielmehr formulieren sie auf der Grundlage einer eigenen empirischen Untersuchung ein fünfkomplexiges Modell, welches langfristige und situative sowie individuelle Dispositionen interdependent mit sozio-kulturellen, gruppenbezogenen und aktuell situativen Umweltfaktoren stellt“ (12). Diese Art sich leider wiederholender Textteile hat mir jedenfalls gelegentlich „die Lust am Weiterlesen“ genommen. Vermisst habe ich auch eine strukturelle, gewissermaßen einführende (Gesamt-)Übersicht zu dem Untersuchungsgegenstand, die sich die LeserInnen aus den vielen Texten selbst herausschälen müssen. Dabei wäre ein hier leider fehlendes Sachregister hilfreich gewesen. Aber wer sich darauf einlässt, dem wird in diesem Titel eine Vielzahl von bisher so nicht vorgestellten Informationen rund um die Fußball-Fanprojekte angeboten. Prof. h. c. Dieter Kreft E-Mail: kremie.nuernberg@t-online.de DOI 10.2378/ uj2023.art37d