eJournals unsere jugend 75/11+12

unsere jugend
4
0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2023.art65d
111
2023
7511+12

Schulvermeidung in der Grundschule: Wie Jugendhilfe bereits früh intervenieren kann

111
2023
Yvonne Rosenthal
„Schulvermeidung in der Grundschule? Gibt es das? Aber Kinder gehen doch gerne in die Schule!“ Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass dies nicht mehr so ist. Auch Grundschulkinder zeigen bereits Symptome, die auf eine Vermeidung der Schule hindeuten kann. Welche Erfahrungen Mitarbeitende der Diakonie Düsseldorf gemacht haben, beschreibt der nachfolgende Text.
4_075_2023_11+12_0005
473 unsere jugend, 75. Jg., S. 473 - 479 (2023) DOI 10.2378/ uj2023.art65d © Ernst Reinhardt Verlag von Yvonne Rosenthal Jg. 1975; Dipl.-Sozialpädagogin, Diakonie Düsseldorf, Abteilungsleitung Soziale Arbeit an Schulen Schulvermeidung in der Grundschule: Wie Jugendhilfe bereits früh intervenieren kann Am Beispiel eines Angebots für schulvermeidende GrundschülerInnen der Diakonie Düsseldorf „Schulvermeidung in der Grundschule? Gibt es das? Aber Kinder gehen doch gerne in die Schule! “ Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass dies nicht mehr so ist. Auch Grundschulkinder zeigen bereits Symptome, die auf eine Vermeidung der Schule hindeuten kann. Welche Erfahrungen Mitarbeitende der Diakonie Düsseldorf gemacht haben, beschreibt der nachfolgende Text. „Statt in die Schule auf den Spielplatz gehen? Das macht doch keiner.“ „Bauchschmerzen, Kopfschmerzen? Hat mein Kind häufig, aber ist bestimmt allergisch begründet.“ Dies sind gängige Aussagen, da die Vorstellung, dass bereits SchulanfängerInnen Tendenzen von Schulvermeidung aufzeigen, kaum erforscht, erfasst und thematisiert ist. Bereits im Jahr 2018 hat die Diakonie Düsseldorf sich dieses Themas angenommen und aufgrund der Erfahrungen aus dem internen Arbeitsbereich Schulsozialarbeit ein Projekt für schulvermeidende GrundschülerInnen und deren Familien entwickelt und ins Leben gerufen. Auch aus den Statistiken des Projektes für schulvermeidende Grundschulkinder der Jahre 2018 bis 2022 ist ersichtlich, dass die Annahme bestätigt wird, dass es dieses Phänomen bereits in den ersten Jahren der Schullaufbahn gibt. 1 Siehe Gesamtstatistiken der Schulsozialarbeit 2016, 2019, 2022 Abb. 1: Steigerung der Fallzahlen im Bereich der Schulvermeidung an Grundschulen in der Schulsozialarbeit der Diakonie Düsseldorf 1 (eigene Abb.) 200 0 2016 2019 2022 n Anzahl der Fälle n Anzahl der Schulen 474 uj 11+12 | 2023 Schulvermeidung in der Grundschule Bei der Interpretation der Zahlen ist erkennbar, dass Schulvermeidung in allen vier Jahrgängen einer Grundschulphase auftaucht. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Kinder gelegt werden, die im Laufe der Coronapandemie in das Schulalter eintraten, und die deutliche zahlenmäßige Dominanz männlicher Kinder, die in dem Projekt angemeldet sind. 2 Siehe Jahresstatistiken 2018 - 2022 3 Siehe Rather Modell Nord, Diakonie Düsseldorf, Jahresstatistiken 2018 - 2022 50 40 30 20 10 0 2018 2019 2020 2021 2022 Klasse 1 Klasse 2 Klasse 3 Klasse 4 gesamt 30 45 32 28 39 Abb. 2: Entwicklung der Fallzahlen im Projekt für schulvermeidende Grundschulkinder und deren Familien 2 (eigene Abb.) 60 50 40 30 20 10 0 1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse 4. Klasse m w n 44 39 42 49 Abb. 3: Fallzahlen von 2018 bis 2022 nach Geschlecht im Projekt für schulvermeidende Grundschulkinder und deren Familien 3 (eigene Abb.) 475 uj 11+12 | 2023 Schulvermeidung in der Grundschule Die gängige Fachliteratur orientiert sich per Definition zu Schulabsentismus an Ricking, die „diverse Verhaltensmuster illegitimer Schulversäumnisse multikausaler […] Einflussfaktoren in der Familie, der Schule, der Peers, des Milieus und des Individuums“ umfasst und „einer interdisziplinären Prävention und Intervention [bedarf ]“ (Ricking et al. 2016, 147). In den dazu definierten Formen von Schulabsentismus spricht man von Schulschwänzen, angstbedingter Schulvermeidung/ Schulverweigerung und elternbedingten Schulversäumnissen/ Zurückhalten der Kinder (Ricking/ Albers 2019, 11ff.). Für den Bereich der Grundschule bilden die angstbedingte Schulverweigerung und das „bewusste oder unbewusste“ Zurückhalten der Eltern ihrer Kinder am Unterricht die Schwerpunkte. Ebenfalls ist noch die Unterscheidung zwischen einer passiven Schulablehnung und einem aktionsgerichteten Schulverweigern bei jüngeren Kindern zu beachten. Die passive Form bezeichnet einen „inneren Ausstieg im Unterricht bzw. eine verdeckte Unterrichtsweigerung (z. B. träumen, abschalten, zu spät kommen, fehlende Arbeitsmaterialien)“ (Drabinski 2009). Störungen im Unterricht oder offene Leistungsverweigerung beschreibt die aktionsgerichtete Form (Drabinski 2009). Spätestens ab dem 8. Lebensjahr zeigen sich erste Anzeichen einer Schulvermeidung, die zunächst als passive Form einsetzen und sich bei Nicht-Beachtung weiter manifestieren können (Drabinski 2009). Die Ursachen und Gründe sind dabei vielfältig und können familiär, kulturell, gesundheitlich oder schulisch begründet sein. Ein Kind signalisiert in der Regel recht früh, wenn es ein Problem hat, in die Schule zu gehen. Von der klaren Äußerung „Ich will nicht in die Schule“, über das Eintreten von symptomatischen Kopf- und Bauchschmerzen, bis hin zur aktiven Weigerung aufzustehen oder sich anzuziehen (Diakonie Magazin 2022). In der Grundschule sind die Fehlzeiten der Kinder zumeist entschuldigt durch die Eltern oder ärztlich bescheinigt. Auffällig wird es, wenn die Kinder wöchentlich einzelne Tage oder mehrere Wochen am Stück im Laufe des Schuljahres fehlen. Hier kann eine Schulvermeidungsthematik zugrunde liegen, der im besten Fall seitens der Schule in Kooperation mit der Jugendhilfe nachgegangen wird. Das Fernbleiben von der Schule im Grundschulalter ist immer ein Symptom und nicht die Ursache für die gezeigten Verhaltensweisen und sollte im schulischen und familiären Kontext ganzheitlich betrachtet werden. Die Schüler*innen im Projekt für schulvermeidende Grundschulkinder sind von verschiedenen, problematischen Situationen hinsichtlich Schulverweigerung betroffen. Die Problemlagen lassen sich durch die untenstehenden Kategorien formulieren. Häufig sind die Schüler*innen nicht nur einem einzelnen Entwicklungsbedarf ausgesetzt. Trennungsangst des Kindes - Schüler*innen, die unter Trennungsängsten leiden, oder denen der Übergang vom Kindergarten in die Schule schwerfällt. Sie haben häufig Hemmung, das Schulgebäude zu betreten oder sich von Bezugspersonen zu trennen. Fehlende familiäre Unterstützung hinsichtlich der Tagesstruktur - Die Schüler*innen haben oftmals aufgrund von mangelnder Struktur im Elternhaus Probleme, in den Tag zu finden. Für zum Beispiel Aufstehen, Tasche packen und Schulweg bewältigen erhalten die Schüler*innen meist keine ausreichende Anleitung und Unterstützung. Verweigernde Arbeitshaltung - Die Schüler*innen sind zwar grundsätzlich im Unterricht anwesend, weisen jedoch eine verweigernde Arbeitshaltung auf. Dies zeigt sich durch geistige Abwesenheit, Verweigerung von schriftlichen oder mündlichen Arbeitsaufträgen und auch durch aktives Stören des Unterrichts. Häufig geht hierbei ein Leistungsabfall mit einher. 476 uj 11+12 | 2023 Schulvermeidung in der Grundschule Herausfordernde, häusliche Situationen - Krisen wie Trennungsphasen, Gewalt oder Krankheiten können zu Schwierigkeiten im gemeinschaftlichen Zusammenleben führen. Durch diese Situation können die Schüler*innen in eine Position (z. B. Helferrolle, Sündenbock) geraten, in welcher sie sich vermeintlich als unentbehrlich im häuslichen System erleben. Migrationshintergrund - Eltern, die das deutsche Bildungssystem noch nicht gänzlich durchdrungen haben, können ihre Kinder nicht entsprechend fördern und im schulischen Leben unterstützen (Hausaufgaben können nicht erklärt werden usw.). Bildungsferner Hintergrund der Eltern - Die Notwendigkeit von Schule kann in Folge von mangelnder eigener schulischer Bildung durch die Eltern infrage gestellt und somit nicht ausreichend vermittelt werden. Die Schüler*innen können diese Haltung adaptieren und messen der Schule ebenfalls wenig Gewichtung bei. Trennungsangst der Eltern - Die Befürchtung, dass die Trennung voneinander dem Kind oder einem Elternteil schadet, führt zur Hemmung, das Kind in die Obhut der Schule zu geben. Die Schüler*innen werden von den Eltern zurückgehalten. Psychische Auffälligkeiten - Verhalten, das deutlich von der Norm abweicht, kann sowohl beim Kind selbst als auch bei einem Familienmitglied beobachtet werden und zu Problemen beim Schulbesuch führen. „Durch die Coronapandemie und deren Nachwirkungen haben sich viele familiäre und schulische Problematiken verstärkt. Die schwierige Situation schürt Unsicherheiten bei Kindern und Erwachsenen. Insbesondere nach Lockdowns war es für einige Kinder und deren Eltern sehr schwierig wieder in den neu geregelten Schulalltag zu starten beziehungsweise zurück zu finden. Diese Auswirkungen sind in vielen Bereichen immer noch bemerkbar“ (Jahresbericht Rather Modell Nord der Diakonie Düsseldorf 2022). Schulvermeidung entwickelt sich im Laufe von Schuljahren und erscheint in den meisten Fällen nicht plötzlich (Ausnahmen können natürlich vorkommen, z. B. aufgrund von traumatischen Erlebnissen). Mithilfe einer frühzeitigen sozialpädagogischen niedrigschwelligen Intervention soll der Manifestierung entgegengewirkt werden. Hier setzt das Projekt der Diakonie Düsseldorf an. Es hat das Wissen, „dass die frühzeitige Bearbeitung von Schulverweigerungstendenzen für die weitere Schullaufbahn wegweisend ist. Über eine individuelle Begleitung und Unterstützung der Familie soll das Kind in der Stammschule seine Schullaufbahn […] positiv weiterführen, umso späteren und eventuell massiveren Verweigerungstendenzen frühzeitig [entgegenzuwirken]“ (Kurzkonzept Rather Modell Nord der Diakonie Düsseldorf 2018). Das Projekt stellt sozialpädagogische Ressourcen zur Verfügung und unterstützt so die Fachkräfte in der Schule bei der Bearbeitung von Einzelfällen mit einer Schulvermeidungsthematik. Da eine Intervention zumeist sehr intensiv und umfassend ist, bietet die Diakonie mithilfe dieses Projektes externe Hilfen in Schulen an, die die dort tätigen Fachkräfte begleiten, um im Sinne der Kinder unterstützen zu können. Die Aufnahme in das Projekt geht nur in Kooperation mit der Schule/ Schulsozialarbeit und mit Zustimmung der Eltern. Die Inanspruchnahme ist freiwillig und kann jederzeit von allen Beteiligten beendet werden. Es bedarf keiner Meldung beim Jugendamt, da es sich hierbei nicht um eine HzE-Maßnahme handelt, sondern im Bereich der Jugendsozialarbeit angesiedelt ist. Aufgrund der hohen Komplexität wird jeder Fall seitens der Fachkräfte individuell erfasst und bearbeitet. Dennoch hat sich im Laufe der Zeit ein Ablauf entwickelt und in der Praxis etabliert, der wie folgt zusammengefasst werden kann: 477 uj 11+12 | 2023 Schulvermeidung in der Grundschule Methodischer Interventionsplan Aufnahme des Falles ➤ Aufnahme des Falles und Terminvereinbarung zum Erstgespräch mit der kooperierenden Schule und der Familie Prüfung der Indikatoren ➤ Auftragsklärung seitens der Schule und Austausch der zu bearbeitenden Problematik und der bisherigen Schritte ➤ Erarbeiten eines Kontraktes mit der Familie ➤ Verbindlichkeiten für den weiteren Verlauf planen Beziehungsaufbau zu Kind und Eltern Hospitationen in der Schule und kleine Diagnostik bezogen auf ➤ Schulverweigerungssymptom ➤ auf Wunsch Hausbesuch ➤ Aufsuchen zu Hause Aktive Bearbeitungsphase in den Schulen: ➤ Begleitung des Kindes in die Schule ➤ Stärkungstraining ➤ Bearbeitung der Schulverweigerungsproblematik in der praktischen Umsetzung, z. B. Kind in die Schule bringen in der Familie: ➤ Erziehungskompetenz fördern ➤ Erarbeitung von Strukturen und Abläufen ➤ Vermittlung und Begleitung zu weiteren Hilfemaßnahmen ➤ Notfallpläne erarbeiten ➤ Begleitung zu ÄrztInnen ➤ TherapeutInnen ➤ Institutionen Stabilisierung und Abschluss Verselbstständigung des Kindes im System Schule ➤ Begleiten und Installieren nachfolgender Hilfen für die Familie ➤ Abschlussgespräch mit Familie ➤ Übergabe an kooperierende Schule Für den Erfolg einer Kurzzeitintervention des Projektes ist eine gute Kooperation mit den Lehrkräften vor Ort, der Schulsozialarbeit und den Eltern elementar. In regelmäßigen Rücksprachen mit allen Beteiligten wird der Prozess eingeschätzt, begleitet und reflektiert. Die Projektmitarbeitenden nehmen dabei eine wichtige Vermittlerrolle ein, da sie als „externe Dienstleistung“ im Sinne der Kinder alle zusammenbringt und die nötigen Stellschrauben in Bewegung setzt. Am Fall „Klara“ möchte ich abschließend ein Best-Practice-Beispiel einbringen, in dem alle genannten Faktoren zusammenfließen. Klara besucht die 2. Klasse einer Gemeinschaftsgrundschule und hat seit dem neuen Schuljahr häufig Schwierigkeiten, morgens in die Schule zu gehen. Ganz besonders schlimm ist es montags, zumal an dem Tag auch der Sportunterricht stattfindet, den sie nicht mag. Die Eltern suchen Hilfe bei der Klassenleitung. Gemeinsam wird beschlossen, die Hilfe des Projektes für schulvermeidende GrundschülerInnen in Anspruch zu nehmen. So wird Klara über die Schule dort angemeldet. Innerhalb von wenigen Tagen nimmt die Projektmitarbeiterin Kontakt zur Lehrerin und Mutter auf, es wird ein gemeinsamer Gesprächstermin vereinbart. In diesem Termin schildern Mutter und Lehrkraft gemeinsam, dass Klara seit einigen Wochen morgens nicht in die Schule möchte und ganz besonders montags. Sie weint und weigert sich, in das Schulgebäude zu gehen. Nur nach gutem Zureden und langer Begleitung der Mutter schafft sie es manchmal, in die Klasse zu gehen, aber oft auch nicht. Mutter und Lehrkraft wünschen sich eine externe Hilfe, die unterstützt und mit einem anderen Blick in die Situation geht. Die Projektmitarbeiterin kommt am nächsten Montag vor 8 Uhr in die Schule und hospitiert während der Ankommensphase von Klara in die Schule. Ihre Mutter bringt sie bis zum Schulhof und will sich dann verabschieden. Klara weint 478 uj 11+12 | 2023 Schulvermeidung in der Grundschule und sagt, sie möchte nicht in die Schule. Der Mutter fällt es sichtlich schwer, sich in dieser Situation von ihrem Kind zu lösen. Sie nimmt sie in den Arm, tröstet und bietet ihr an, sie in die Schule zu begleiten. Dennoch braucht es auch in der Schule noch Zeit, bis Klara in der Klasse angekommen ist. In der gleichen Woche findet ein Gespräch zwischen der Projektmitarbeiterin und der Mutter statt. In diesem wird die häusliche Situation thematisiert und erste Gründe, die das Verhalten von Klara erklären könnten, besprochen. Klara ist Einzelkind. Im Hause der Familie wohnt auch die Oma. Sie übernimmt in der Woche häufig die Kinderbetreuung, da beide Eltern berufstätig sind und häufig länger arbeiten müssen. Die Mutter ist immer mal wieder in der Woche über Nacht auf Dienstreisen. Es wird deutlich, dass sich Klara und ihre Mutter häufig Montagmorgen in der Schule verabschieden und Klara nicht weiß, ob sie ihre Mama nachmittags oder erst zwei Tage später wiedersieht. Mit der Mutter wird besprochen, wie man diese Trennungssituation anders lösen könnte und wie das Wochenende genutzt werden kann, um die Situation vorzubereiten. Es wird vereinbart, dass die Mutter am Tag vor ihrer Dienstreise abends besonders viel Zeit mit Klara verbringt und sie mit ihr bespricht, wann sie sich wiedersehen. Zudem soll Klara morgens von dem Vater oder der Oma zur Schule gebracht werden, um die Trennung der Mutter nicht mit dem Ort Schule zu verknüpfen. Während der Tage, an denen die Mutter weg ist, ist auszuprobieren, ob es Klara guttut, ihre Mutter z. B. über einen Videochat zu sehen, oder ob es besser ist, keinen Kontakt zu haben und sich zu freuen, wenn alle wieder zusammen sind. Über die Vereinbarungen des Bringens wird die Lehrkraft von der Mutter informiert. Es findet ein täglicher Austausch zwischen allen Beteiligten statt, wie sich das Ankommen in der Schule für Klara gestaltet. Es dauert ein paar Wochen und beinhaltet natürlich auch kleine Rückschläge, bis sich sowohl Mutter als auch Kind an die neue Situation des Verabschiedens und Bringens in die Schule gewöhnt haben. Die Projektmitarbeiterin steht in der Zeit in einem engen Austausch mit der Familie und begleitet sie in der Schule oder im häuslichen Umfeld während des Prozesses. In der Schule ist bereits nach kurzer Zeit eine Besserung zu bemerken und die Zeitabstände vom Ankommen auf dem Schulhof bis in die Klasse verkürzen sich. Unterstützend ist auch, dass Klaras MitschülerInnen sie mehr einbinden, wenn sie in die Schule gehen. Die Mutter freut sich sehr über den Erfolg und denkt, dass sie in den nächsten Monaten sogar daran üben können, dass Klara den kompletten Schulweg mit Freundinnen alleine geht und ein Bringen seitens der Oma nicht mehr notwendig ist. Diesen weiteren Schritt wird die Familie alleine bewältigen. Nachdem Klara ihr „Schulvermeidungsverhalten“, dessen Ursache woanders lag, abgestellt hat, wird die Projektarbeit in einem Abschlussgespräch beendet. Abb. 4: Beratungsgespräch einer Sozialpädagogin mit einer Mutter 479 uj 11+12 | 2023 Schulvermeidung in der Grundschule Das Beispiel von Klara stellt von außen betrachtet vielleicht nur eine „einfache“ Schulvermeidungsthematik dar, die aber nur aufgrund verschiedener Faktoren erfolgreich bearbeitet werden konnte: ➤ Schule, Familie und Projektmitarbeiterin haben vertrauensvoll zusammengearbeitet und es gab eine vorbildhafte Kooperation. ➤ Alle Beteiligten haben sich Zeit genommen und die Wichtigkeit des Themas erkannt und sich dessen direkt angenommen. ➤ Die Projektmitarbeiterin war präsent und hat die Familie unterstützt über Beratung und Begleitung. ➤ Es war für alle Beteiligten klar, dass das Projekt „nur“ eine anstoßende Hilfe ist und die Verantwortung weiter bei Schule und Familie bleibt. Bei einer Nicht-Bearbeitung wäre eine Manifestierung bzw. Steigerung der Schulvermeidungssymptomatik möglich: Etwa verliert Klara den Anschluss in der Schule, sie kann sich nicht im Klassenverband integrieren und verpasst Gemeinschaftserlebnisse oder aber sie entwickelt eine Schulphobie bzw. Angststörung, die ärztlich behandelt werden muss. Das Thema Schulvermeidung im Grundschulalter ist vorhanden und sollte weiterhin mehr in den Blick genommen werden. Wissenschaftlich wird von den sogenannten Phasen von Schulabsentismus (Aversion - Schwänzen - Drop out) (Domsch/ Ufermann 2023, 6) gesprochen, die es frühzeitig zu durchbrechen gilt. Mit der Coronapandemie und den damit verbundenen Schulschließungen ist das Thema in Verbindung mit dieser Zielgruppe in den letzten Jahren mehr in den öffentlichen Fokus gerückt, was aus sozialpädagogischer Sicht zu begrüßen ist. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Thema weiterhin im Bewusstsein der Entscheidungsträger bleibt und zu einem weiteren Ausbau von Kooperationen von Jugendhilfe und Schule führt. Das Ziel sollte sein, vielen Kindern eine gelingende Schullaufbahn zu ermöglichen. Yvonne Rosenthal E-Mail: Yvonne.Rosenthal@diakonieduesseldorf.de Literatur Diakonie Magazin (08/ 2022): 5 Tipps für einen guten Schulstart. www.diakonie-duesseldorf.de/ magazin/ jugend-und-familie/ tipps-zum-schulstart Diakonie Düsseldorf: Jahresbericht Rather Modell Nord - Inhalte und Statistiken. Vorlage für das Jugendamt der Landeshauptstadt Düsseldorf, 2022 Drabinski, J. (2009): Schulverweigerung bzw. Schuldistanz in der Grundschule. https: / / www.erzieherin. de/ schulverweigerung-bzw-schuldistanz-in-dergrundschule.html Domsch, H., Ufermann, L. (2023): Schulabsentismus - eine Einführung ins Themenfeld. Lernende Schule, 101 Ricking, H., Albers, V., Dunkake, I. (2016): Schulabsentismus als Gegenstand der Jugendhilfe! ? Unsere Jugend, 68 Ricking, H., Albers, V. (2019): Schulabsentismus, Intervention und Prävention. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg