eJournals unsere jugend 75/1

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2023.art06d
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Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen in stationären Erziehungshilfen: ein digitaler Beitrag im Videoformat

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Mathias Schwabe
Christoph Lampe
Fachkräftemangel stellt in vielen stationären Einrichtungen bereits jetzt ein Problem dar. Deswegen kommt es darauf an, neue MitarbeiterInnen möglichst optimal einzuarbeiten. Dazu haben Mathias Schwabe und Christoph Lampe einen digitalen Baustein entwickelt.
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40 unsere jugend, 75. Jg., S. 40 - 43 (2023) DOI 10.2378/ uj2023.art06d © Ernst Reinhardt Verlag Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen in stationären Erziehungshilfen: ein digitaler Beitrag im Videoformat Fachkräftemangel stellt in vielen stationären Einrichtungen bereits jetzt ein Problem dar. Deswegen kommt es darauf an, neue MitarbeiterInnen möglichst optimal einzuarbeiten. Dazu haben Mathias Schwabe und Christoph Lampe einen digitalen Baustein entwickelt. von Dr. Mathias Schwabe Jg. 1958; Diplompädagoge, systemischer Berater (IGST und SIT ) und Supervisor, lehrt Methoden der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin 1. Die Bedeutung einer guten Einarbeitung Der schon seit mehreren Jahren in anderen Arbeitsfeldern beschriebene Fachkräftemangel hat zwischenzeitlich auch den gesamten Bereich der pädagogischen Arbeit erfasst. So ist nach aktueller Statistik der Bundesagentur für Arbeit der Fachkraftmangel in pädagogischen Berufen höher als der viel beschriebene Mangel an Pflegefachkräften. Manchmal müssen Gruppen trotz lebhafter Nachfrage geschlossen werden, weil Menschen fehlen, die diese Art von Arbeit leisten wollen. Deswegen kommt der Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen und dem Onboarding-Prozess eine deutlich gestiegene Bedeutung zu, auch weil Ausbildung und Studium nur mangelhaft auf die spezifischen Herausforderungen der Heimerziehung vorbereiten. Nur wenn sich MitarbeiterInnen bei der Ausübung der neuen Arbeit gut unterstützt fühlen, werden sie diesem Aufgabengebiet treu bleiben. Nur wenn sie ihm treu bleiben, können stationäre Gruppen Kindern und Jugendlichen ein „Zuhause auf Zeit“ bieten, in dem Beziehungskontinuität erfahren werden kann. Nur wenn Beziehungen aufgebaut werden können, mit allen Krisen, die dazugehören, und mit aller Ausbalancierung von Nähe und Distanz, wird die Heimerziehung mittelfristig auch erfolgreich sein. Insofern ist es im Interesse aller Leitungspersonen, neue Mitarbeitende als eine kostbare Ressource zu begreifen, die gut eingearbeitet werden muss, damit - bei NeuanfängerInnen - die Berufseinmündung bzw. der Wechsel an einen neuen Arbeitsplatz - bei Berufserfahrenen - gelingen kann und ein Bindungseffekt für diese Einrichtung/ das Arbeitsfeld entsteht. In der Regel besitzen stationäre Einrichtungen heute Einarbeitungskonzepte. Diese beruhen meist auf drei Säulen: Christoph Lampe Jg. 1962; Sozialpädagoge und systemischer Berater, leitet die Abteilung Jugendhilfe und die Abteilung Altenhilfe im Evangelischen Johannisstift Paderborn 41 uj 1 | 2023 Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen per Video ➤ Eine persönliche, fachliche Begleitung durch jemanden aus dem Team; im besten Fall trifft diese Person sich einmal pro Woche mit dem/ der Neuen über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten; später in größeren Abständen. ➤ Schriftliches Material wie Konzepte, Leitbilder, Qualitätshandbücher und Arbeitseinweisungen, die in der Arbeitszeit gelesen werden sollen. Das Lesen kann man sich quittieren lassen. Wichtig ist, dass dem/ der Neuen jemand für Rückfragen zur Verfügung steht, der/ die kompetent Auskunft geben kann. ➤ Zwei oder drei Veranstaltungen im ersten Jahr, bei denen der/ die Neue auf institutioneller Ebene in die Einrichtungskultur eingeführt wird und dabei auch andere neue MitarbeiterInnen kennenlernen und mit diesen in Austausch gehen kann. Daneben gibt es in großen Einrichtungen die Möglichkeit, alle, die neu sind, also PraktikantInnen, Freiwilligendienst-Ableistende und neue MitarbeiterInnen, in Gruppen zusammenzufassen, um mit diesen an bestimmten Themen oder jeweils spontan generierten Fragestellungen zu arbeiten. Hier geht es um eine Mischung aus Wissensvermittlung und Supervision, die gut von erfahrenen Fachkräften oder BereichsleiterInnen vertreten werden kann. In manchen Regionen werden solche Angebote für BerufseinsteigerInnen auch von den Fachverbänden auf Landesebene organisiert. Hier lernt man MitarbeiterInnen aus anderen Einrichtungen und von anderen Trägern kennen, was sehr nützlich sein kann, um Vergleiche anzustellen. Schließlich stellt auch das Mitarbeitendengespräch mit dem/ der Vorgesetzten ein Zeichen des Sich-Kümmerns dar: Der/ die Vorgesetzte beobachtet den Einarbeitungsprozess eher aus der Ferne, sollte aber zwei- oder dreimal im ersten Jahr fragen, wie weit sich der/ die neue Mitarbeitende angekommen fühlt und welche Unterstützungen er/ sie sich erwartet, um weiter dazuzulernen. Hier können dann spezifische Fortbildungsangebote ansetzen oder - bei anhaltenden persönlichen Schwierigkeiten im Umgang mit bestimmten Herausforderungen - individuelle Formen von Supervision oder Coaching. 2. Ein digitales Curriculum als strukturierter Baustein der Einarbeitung Christoph Lampe - ein langjährig erfahrener Heimleiter - und ich - Praxisforscher und Hochschullehrer - haben aufgrund von Anregungen anderer HeimleiterInnen und aufgrund praktischer Erfahrungen mit scheiternden Berufseinmündungen einen digitalen Baustein entwickelt, der online abgerufen werden kann. Wir kennen uns seit über 30 Jahren und haben in der gleichen stationären Einrichtung angefangen zu arbeiten und dort viele wichtige Erfahrungen, gerade als Anfänger, gemacht. Wir führen auch heute noch gemeinsam die Fortbildung „Umgang mit Aggressionen und Gewalt in stationären Einrichtungen“ durch und sind nach wie vor mit dem Alltag in stationären Einrichtungen verbunden und vertraut. Für den digitalen Baustein haben wir zehn Lektionen in Videofilmen zusammengestellt, in denen wir über die spezifischen Aufgaben des Arbeitsplatzes stationärer Erziehungshilfen informieren. Diese zehn Lektionen formieren sich zu einem Curriculum und tragen die folgenden Überschriften: Lektion 1 Was ist das Besondere an „stationär“? Lektion 2 Der erste Tag aus der Perspektive des Kindes, der Eltern, der MitarbeiterInnen und der Einrichtung Lektion 3 Gruppe(n-Alltag) gestalten Lektion 4 Regeln, Grenzen und Konflikte 42 uj 1 | 2023 Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen per Video Lektion 5 Die Regulierung von Nähe und Distanz als professionelle Aufgabe Lektion 6 Lebensthemen, Ziele und Visionen. Oder: wie und wann machen stationäre Erziehungshilfen für die davon Betroffenen Sinn? Lektion 7 Die Hilfeplanung und das Hilfeplangespräch Lektion 8 Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen von Partizipation Lektion 9 Zusammenarbeit mit Eltern/ Familien Lektion 10 Arbeiten im und mit dem Team Jede Lektion ist in sich durch Zwischenüberschriften strukturiert. Hier ein Beispiel für Lektion 4: Regeln, Grenzen und Konflikte 1. Konflikte: ein zentrales Thema für den stationären Kontext 2. Verhandelbare und unverhandelbare Regeln; sinnvolle und sinnlose Regeln 3. Kollektive Deckung und persönliches Standing 4. Vier Hintergründe von Regelkonflikten 5. Umgang mit Konflikt-Eskalationen 6. Das Prinzip Wiedergutmachung 7. Auszeitkonzepte Während der Videolektionen, die zwischen 45 Minuten und einer Stunde 10 Minuten dauern, entwickeln wir das Thema dialogisch. Wir berichten dabei auch von eigenen Erfahrungen - aktuellen und vergangenen - und achten darauf, eine gut verständliche Fachsprache zu sprechen. Die Möglichkeiten eines solchen digitalen Curriculums bestehen unseres Erachtens in Folgendem: ➤ Man kann neue MitarbeiterInnen darauf verpflichten, sich die zehn Lektionen in einem Zeitraum von fünf bis zehn Monaten anzuhören. Jede/ r Mitarbeitende kann das im eigenen Rhythmus tun und zu einer Zeit, die selbst bestimmt wird. Bewusst auch von zu Hause aus oder auf dem Weg zur Arbeit, wobei ein bestimmtes Kontingent an aktiver Zuhörzeit Arbeitszeit darstellen muss. Ob das immer 100 % sein muss, lassen wir offen. Aber das muss klar vereinbart sein. ➤ Die Lektionen sind informativ und unterhaltsam. Sie regen zu neuen Denk- und Handlungsweisen bzw. zur Überprüfung von alten an. Aber in der Regel werden sie auch Fragen aufwerfen, die man gerne mit KollegInnen nachbesprechen würde. Hier kommt nun entweder der persönliche Coach aus dem Team zum Tragen, der - neben Alltagsthemen - auch Lektion für Lektion mit dem neuen Kollegen/ der neuen Kollegin durchsprechen kann. Zur Vertiefung halten wir das gerade bei BerufseinsteigerInnen für unbedingt geboten. Auch deswegen, weil es im Team begründete Abweichungen vom üblichen Fachstandard geben kann, den wir vertreten. Dann muss ein erfahrener Kollege/ eine erfahrene Kollegin begründen, „warum wir das hier anders machen“, als die beiden ExpertInnen empfohlen haben. ➤ Hier könnte aber eine Gruppe ins Spiel kommen. Jeder kommt dorthin und hat die Lektion gesehen und gehört, hat Eindrücke gewonnen und Fragen kreiert, und nun beginnt ein Austausch darüber. Wir sind uns sicher, dass die Lektionen so gehaltvoll sind, dass auch erfahrene Fachkräfte davon profitieren oder zumindest angeregt werden, ihren neuen KollegInnen mit neuem Wissen besser zur Seite zu stehen. 43 uj 1 | 2023 Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen per Video ➤ Selbstverständlich lässt sich das Curriculum auch für die Ausbildung an Erzieher- und Fachhochschulen verwenden und auch für Quereinsteiger nutzen, d. h. für berufsfremde MitarbeiterInnen, deren Einsatz das Landesjugendamt zugestimmt hat. Es kann helfen, begleitenden Unterricht vor- oder nachzubereiten. ➤ Jede einzelne Lektion eignet sich darüber hinaus dafür, als Einstieg in einen thematisch damit verbundenen Teamtag oder einen halben Tag interne Fortbildung zu dienen. Auch hier würden neue und alte MitarbeiterInnen gemeinsam über die Inhalte ins Gespräch kommen. ➤ Auch alte Hasen und LeiterInnen können mithilfe unserer Lektionen überprüfen, wo sie fachlich-inhaltlich stehen und wo sie uns zustimmen oder begründet von unseren Vorstellungen abweichen. Wir stellen nicht den Anspruch, die stationäre Erziehungshilfe in ihrer einzig möglichen Form darzustellen, aber doch substanzielle Beiträge dazu zu liefern, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Auf Anregungen hin produzieren wir gerne weitere Lektionen oder vertiefen die vorliegenden. 3. Praktische Umsetzung Wenn die Ausführungen Ihr Interesse wecken, können Sie sich zunächst ein kleines Probevideo anschauen, in dem wir in gut 15 Minuten das Gesamtcurriculum und uns selbst vorstellen. Hier der entsprechende Link: https: / / vimeo.com/ 687595178/ 44b4c0a599 Auf der Seite Ijos.net (https: / / www.ijos.net/ fortbildungen/ online-kurse/ 645-neu-in-den-station %C3%A4ren-erziehungshilfen.html) finden Sie weitere Informationen, auch zu den Nutzungsbedingungen. Für Rückmeldungen und Anregungen aller Art sind wir dankbar: Schwabe@eh-berlin.de Wer Interesse an mehr Informationen, bezogen auf den Vertrieb oder den Erwerb der Videolektionen, hat, wende sich bitte an: Plassmeyer@ijos.net Dr. Mathias Schwabe Hortensienstr. 10 12203 Berlin E-Mail: schwabe@eh-berlin.de