eJournals unsere jugend 75/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2023.art08d
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2023
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Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland

21
2023
Juliane Korall
Katrin Arnold
Nora Linner
Kristin Ferse
In ihren Koalitionsvertrag nahm die amtierende Bundesregierung das Vorhaben auf, Cannabis zum Freizeitgebrauch für Erwachsene zu legalisieren. Ein Blick auf die Länder, die diesen Schritt bereits gegangen sind, kann Hinweise auf mögliche Folgen auch in Deutschland liefern. Durch den Austausch mit Dresdner Fachkräften ergeben sich Erwartungen hinsichtlich der geplanten Legalisierung und klare Forderungen an die Politik, um das Vorhaben bestmöglich mittragen zu können.
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50 unsere jugend, 75. Jg., S. 50 - 61 (2023) DOI 10.2378/ uj2023.art08d © Ernst Reinhardt Verlag Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland Welche Auswirkungen auf das System der Sucht- und Jugendhilfe legen Studien nahe und was erwarten und fordern Fachkräfte? In ihren Koalitionsvertrag nahm die amtierende Bundesregierung das Vorhaben auf, Cannabis zum Freizeitgebrauch für Erwachsene zu legalisieren. Ein Blick auf die Länder, die diesen Schritt bereits gegangen sind, kann Hinweise auf mögliche Folgen auch in Deutschland liefern. Durch den Austausch mit Dresdner Fachkräften ergeben sich Erwartungen hinsichtlich der geplanten Legalisierung und klare Forderungen an die Politik, um das Vorhaben bestmöglich mittragen zu können. von Juliane Korall Jg. 1997; Soziologiestudierende und Praktikantin im Amt für Gesundheit und Prävention der Landeshauptstadt Dresden Katrin Arnold Jg. 1981; Dipl.-Soz., Amt für Gesundheit und Prävention der Landeshauptstadt Dresden, Sachbearbeiterin Suchthilfe/ Suchtprävention Nora Linner Jg. 1993; Psychologiestudierende und Praktikantin im Amt für Gesundheit und Prävention der Landeshauptstadt Dresden Dr. Kristin Ferse Jg. 1959; Soz.päd., Amt für Gesundheit und Prävention der Landeshauptstadt Dresden, Koordinatorin Suchthilfe/ Suchtprävention 1 Anlass und Ausgangssituation Das Streiten über den richtigen Umgang mit Cannabis und das Für und Wider einer Legalisierung des Freizeitkonsums in Deutschland sind nicht neu. 2015 wurde - im zeitlichen Zusammenhang mit mehreren kommunalen Initiativen, die sich für Pilotprojekte zur Cannabis-Legalisierung einsetzten - der Entwurf eines Cannabis-Kontrollgesetzes von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen in den Bundestag eingebracht, jedoch mehrheitlich abgelehnt. Dieses Gesetz sollte u. a. den Verkauf von Cannabis an Erwachsene ermöglichen, ohne dabei den Jugendschutz zu vernachlässigen (Deutscher Bundestag 2015). Im Juni 2021 beantragte die Dissidenten-Fraktion im Dresdner Stadtrat die Umsetzung eines Modellprojektes, welches den Weg zu einer verantwortungsvollen Abgabe von Cannabis an Erwachsene ebnen sollte. Das Projekt wurde ebenfalls nicht beschlossen. 51 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland Im Rahmen der Koalitionsgespräche nach der Bundestagswahl 2021 einigten sich SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP auf die Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene, wobei die Abgabe in lizenzierten Fachgeschäften erfolgen soll (SPD Koalitionsvertrag 2021). Obwohl hierbei noch rechtliche Hürden bestehen (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags 2022) - die Bundesrepublik wäre nicht das erste Land, welches diesen Schritt geht. Der Freizeitkonsum von Cannabis ist bisher in Kanada, Uruguay und einigen US-Bundesstaaten legal. In einigen Ländern ist auch der Konsum von Cannabis aus medizinischen Gründen zugelassen und manche haben den Besitz, Verkauf und Anbau von Marihuana zumindest entkriminalisiert, was bedeutet, dass der Besitz, Erwerb und Konsum erlaubt sind, die Herstellung und der Drogenhandel allerdings weiterhin kriminalisiert werden. Schon jetzt sind Produkte mit dem Wirkstoff CBD in Deutschland käuflich zu erwerben. In Dresden, woher der vorliegende Beitrag stammt, findet sich beispielsweise neben diversen CBD- Shops ein diesbezüglicher Automat, und generell erstreckt sich die Werbung für die THCfreien Tropfen, Blüten und sonstigen Produkte mit dem Wirkstoff bis hinein in die Sozialen Medien (vgl. Beitrag von Hildmann in diesem Heft). Welche Auswirkungen sich im Falle der tatsächlichen Legalisierung von THC-haltigem Cannabis zu Genusszwecken ergeben werden, bleibt abzuwarten, aber ein Blick in die Länder, welche den Schritt bereits gegangen sind, lohnt sich dennoch. So soll im Folgenden mithilfe von empirischen Arbeiten ein Abriss der möglichen Auswirkungen einer Legalisierung auf das Konsumverhalten, auf die Häufigkeit von Cannabiskonsumstörungen sowie ausgewählter weiterer gesundheitsrelevanter Aspekte erfolgen. Hierbei wird der Fokus auf Studien aus den USA bzw. Kanada gelegt, wohingegen die Betrachtung von Uruguay aufgrund der spärlichen Datenlage ausgeklammert wird. Anschließend kommen Dresdner Fachkräfte aus dem Feld der Suchtprävention und Suchthilfe zu Wort, um einen Einblick in die Erwartungen und Forderungen derer zu geben, die in ihrem weiteren Arbeitsalltag mit den Folgen einer möglichen Legalisierung konfrontiert sein werden. Ergänzt werden die Ausführungen um Bezüge zu verschiedenen Positionspapieren, welche von bundesweiten Arbeitsgemeinschaften bzw. (Dach-)Organisationen und medizinischen Fachgesellschaften veröffentlicht wurden. Ziel dieses Artikels ist es, zu einer sachlichen und informierten Diskussion einer möglichen Cannabis-Legalisierung und ihrer erforderlichen Rahmenbedingungen beizutragen und hierbei speziell die kommunale Perspektive zu integrieren. 2 Entwicklungen des Cannabiskonsums und dessen gesundheitliche Folgen nach der Legalisierung in anderen Ländern Es besteht das Bewusstsein für die nicht eindeutige Übertragbarkeit der Ergebnisse aus Kanada und den USA auf Deutschland. Sowohl die Sozialpolitik wie auch die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Cannabis vor der Legalisierung und weitere Faktoren scheinen Einfluss auf Effekte derselben zu haben. Dennoch können empirische Daten und die wissenschaftliche Auseinandersetzung wertvolle Hinweise für mögliche Legalisierungsfolgen auch in Deutschland liefern. 2.1 Veränderungen des Cannabiskonsums Kanada legalisierte Cannabis zum Freizeitkonsum im Jahr 2018. Der Canadian Cannabis Survey (CCS) wird bereits seit 2017 jährlich durchgeführt, um die Effekte des sogenannten „Cannabis Act“ zu monitorieren. Vergleicht man 52 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland die Cannabis-Nutzung der befragten Kanadier und Kanadierinnen von 2017 und 2021 innerhalb der letzten zwölf Monate, so ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen: 2017 gaben 22 % der Befragten an, Cannabis innerhalb dieses Zeitraums konsumiert zu haben, während 2021 25 % die gleiche Angabe machten. Unter denjenigen, die innerhalb der letzten zwölf Monate konsumiert hatten, wurde auch die Häufigkeit des Konsums erfragt. Demnach hat sich seit 2017 der Anteil derjenigen, die mindestens einmal wöchentlich konsumierten, ebenfalls geringfügig erhöht (2017: 44 %, 2018: 45 %, 2019: 45 %, 2020: 47 %, 2021: 46 %). Für die Untergruppe der täglich Konsumierenden hingegen gilt, dass deren Anteil seit 2017 konstant zwischen 18 und 19 % liegt. Obwohl Cannabis im Zuge der Legalisierung ausschließlich für Erwachsene zugänglich gemacht werden soll, wird im Fachdiskurs die berechtigte Frage aufgeworfen, ob die Legalisierung auch Einfluss auf die Konsumierendenzahl unter Kindern und Jugendlichen haben könnte. Deren besonderes Risiko für kurz- und langfristige Folgeschäden des Konsums und Missbrauchs konnte schließlich bereits belastbar gezeigt werden (z. B. Lubman et al. 2015; Hoch et al. 2015). Altersspezifische CCS-Daten zeigen für die Gruppe der Jugendlichen eine nach der Legalisierung eingetretene vorübergehende Erhöhung der 12-Monats-Konsumprävalenzen. Gaben 2017 und 2018 noch 41 bzw. 36 % der 16bis 19-Jährigen an, in den letzten 12 Monaten Cannabis konsumiert zu haben, waren es 2019 und 2020 bereits jeweils 44 %. 2021 erfolgte dann ein Absinken auf 37 %. Bei jungen Erwachsenen (20 bis 24 Jahre) sowie ab 25-jährigen Erwachsenen sind die 12-Monats- Konsumprävalenzen seit der Legalisierung hingegen dauerhaft erhöht (20 bis 24-Jährige 2017: 45 %, 2018: 44 %, 2019: 51 %, 2020: 52 %, 2021: 49 % bzw. ab 25-Jährige 2017: 18 %, 2018: 19 %, 2019: 21 %, 2020: 24 %, 2021: 22 %) (Canadian Cannabis Survey 2017; dies. 2018; dies. 2019; dies. 2020; dies. 2021). Obwohl die USA Cannabisbesitz und -konsum zum jetzigen Zeitpunkt nicht legalisiert haben, haben einzelne Staaten von ihrem bundesstaatlichen Recht als teilsouveräne Einheit Gebrauch gemacht. 2012 legalisierten Colorado und Washington den Freizeitkonsum von Cannabis als erste US-amerikanische Staaten. Viele andere US- Staaten taten es ihnen in den Folgejahren gleich. Eine Analyse zur Entwicklung des Cannabiskonsums in den USA trifft Aussagen zu Personen ab 12 Jahren. Es wurde zwar festgestellt, dass der Konsum innerhalb jener Staaten, in denen der Freizeitkonsum von Cannabis legalisiert wurde, tendenziell höher ist als der Konsum in den Vereinigten Staaten insgesamt (Dills et al. 2021, 4), aber dass dieser Unterschied mutmaßlich bereits auf die Zeit vor der jeweiligen Legalisierung zurückzuführen ist. In vielen Legalisierungsstaaten stiegen die Konsumprävalenzen bereits vor der Legalisierung an, sodass der dort nach der Legalisierung höhere und/ oder stärker steigende Cannabiskonsum keine Folge der Legalisierung, sondern eine Ursache für jene gewesen sein könnte (dies., 6). In einem narrativen Review von 2020 wird in Bezug auf Jugendliche in den USA die Schlussfolgerung gezogen, dass deren Cannabiskonsum seit 2002 stabil geblieben ist. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass die Legalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken und als Freizeitdroge nicht zu einem Anstieg des Freizeitkonsums unter Jugendlichen geführt hat (Hammond et al. 2020, 11). Zum selben Schluss kommt für die Gruppe der 12bis 17-Jährigen auch eine Studie, die bevölkerungsrepräsentative US-Daten der Jahre 2008 bis 2016 auswertete (Cerdá et al. 2020, 168). Obwohl die Evidenz in den USA eher gegen die generelle These eines Konsumanstieges unter Jugendlichen infolge von Cannabis-Legalisierungen spricht, gibt es zu Subpopulationen auch Studien mit anderslautendem Befund. Eine Analyse zu den Legalisierungs-Auswirkungen in Colorado und Washington auf SchülerInnen dreier Altersgruppen ergab beispielsweise, dass sich die Cannabis- 53 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland Nutzung im letzten Monat bei Achtsowie ZehntklässlerInnen in Washington zwischen Vor- und Nach-Legalisierungs-Zeitraum erhöhte, wohingegen sie in Nicht-Legalisierungsstaaten sank. Bei ZwölftklässlerInnen in Washington sowie allen drei Altersgruppen in Colorado zeigte sich hingegen keine im Vergleich zu Nicht-Legalisierungsstaaten unterschiedliche Entwicklung (Cerdá et al. 2017, 6). Für den Konsum junger Erwachsener nach erfolgter Cannabis-Legalisierung liegen ebenfalls heterogene Befunde aus den USA vor. Gemäß des bereits erwähnten Reviews von Hammond und Kollegen hat dieser seit 2002 zugenommen (Hammond et al. 2020, 3). Cerdá et al. (2020, 168) hingegen können auf der Basis ihrer Analyse für 18bis 25-Jährige weder eine Beeinflussung des Cannabiskonsums noch des häufigen Cannabiskonsums (definiert als Konsum an mindestens 20 Tagen im letzten Monat) infolge der Legalisierung feststellen. Bei Erwachsenen ab 26 Jahren deuten US- Daten hingegen auf einen Anstieg der Zahl Konsumierender sowie der Zahl häufig Konsumierender in Folge der Legalisierung hin (ebd., 168). Der Anstieg des Cannabiskonsums sowie häufigen Cannabiskonsums fiel in dieser Altersgruppe in Staaten, welche Gesetze zur Legalisierung des Freizeitkonsums eingeführt hatten, signifikant steiler aus als in den Staaten, welche nur den Cannabiskonsum zu medizinischen Zwecken eingeführt oder gar keine legalisierenden Cannabisgesetze erlassen hatten. 2.2 Veränderung von Cannabiskonsumstörungen und weiteren Cannabis-assoziierten Notfällen Für Fachkräfte ist natürlich nicht nur die Veränderung des Konsums selbst relevant, sondern insbesondere auch die gesundheitlichen Effekte, die sich daraus ergeben können. 2020 wurde in dem bereits angeführten narrativen Review von Hammond et al. auf Basis von Daten des National Survey on Drug Use and Health konstatiert, dass die Zahl der Cannabiskonsumstörungen in den frühen 2000er Jahren in den USA einen Höchststand unter Jugendlichen erreichte, zwischen 2002 und 2013 abnahm und seit 2014 stabil geblieben ist (Hammond et al. 2020, 3). Cerdá et al. (2020, 167) kommen hingegen zu anderen Ergebnissen. Auf die Einführung von Gesetzen zur Legalisierung des Freizeitkonsums von Cannabis in den Jahren 2012 bis 2015 folgte laut dieser Studie ein Anstieg von Cannabiskonsumstörungen unter Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren in den betroffenen Staaten. Dieser Anstieg war 25 % höher als der bei gleichaltrigen Teilnehmenden aus Staaten, die den Cannabis-Freizeitkonsum nicht legalisiert hatten. Bei Teilnehmenden zwischen 18 und 25 Jahren konnte dieser Effekt nicht entdeckt werden, hier blieb die Zahl der Cannabiskonsumstörungen stabil. Ab einem Alter von 26 Jahren konnte jedoch abermals ein Anstieg verzeichnet werden (ebd., 168). Das Ergebnis der letzteren Gruppe überrascht nicht, betrachtet man den ebenfalls steigenden Konsum in dieser Altersgruppe (s. o.). Eine Cannabiskonsumstörung ist nicht die einzige gesundheitliche Konsequenz, welche Cannabiskonsum nach sich ziehen kann. In Colorado kam es laut einem Review von 2017 zu einem signifikanten 10-Jahres-Anstieg der Cannabisassoziierten Inanspruchnahme von Notfallaufnahmen (emergency departements und urgent care) durch Jugendliche, vor allem in den Jahren nach der Kommerzialisierung von medizinischem (2009) und Freizeit-Marihuana (2014) (Wang et al. 2017, 240). Es kann verschiedene Gründe für diese Entwicklung geben. Ein bisher in diesem Artikel unbeachteter könnte sein, dass die in beschlagnahmten Proben nachgewiesene Potenz des Cannabis in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen ist. In den frühen 1990er-Jahren lag der durchschnittliche THC-Gehalt in beschlagnahmten Cannabis-Proben bei weniger als 4 %. Im Jahr 2018 lag er bei mehr als 15 % (National Institute on Drug Abuse 2020, 9). 54 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland 3 Weitere mögliche Effekte der Legalisierung von Cannabis 3.1 Verharmlosung von Cannabis In den letzten zwei Jahrzehnten, so das Resümee des Reviews von Hammond et al. (2020, 11) für die USA, ist die Wahrnehmung von Cannabis als schädliche Droge drastisch zurückgegangen und befindet sich unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den USA nah eines Allzeittiefs, unabhängig vom Bundesstaat, in dem die Befragten wohnen. Dieser übergreifende Befund deutet auf einen eher geringen Zusammenhang zwischen dem rechtlichen Status von Cannabis und der Risikowahrnehmung hin; insgesamt ist die Datenlage aber auch hierzu nicht einheitlich und die Art des Zusammenhanges zwischen Legalisierung und Risikowahrnehmung nicht abschließend geklärt. Dills et al. (2021) beispielsweise stellen in ihrer Analyse Verlaufsdaten zur Risikowahrnehmung des monatlichen Cannabiskonsums dar, die zwischen 2002 und 2018 im Rahmen des National Survey on Drug Use and Health in den USA erhoben wurden. Alle Staaten, die Cannabis legalisiert haben, liegen demnach unter der durchschnittlichen Risikowahrnehmung der gesamten Vereinigten Staaten - dies jedoch bereits seit der Zeit vor der Legalisierung. Dies könnte im Einklang mit der Ansicht stehen, dass die Einstellung zu Cannabis sowohl die politischen Veränderungen als auch steigende Konsumraten gefördert habe. In einigen Staaten stieg die Risikowahrnehmung um die Zeit der Legalisierung. Dieser Anstieg könnte auf Kampagnen gegen die Legalisierung zurückzuführen sein, welche auf Risiken des Konsums hinwiesen (Dills et al. 2021, 6). Cerdá et al. (2017) untersuchten die Entwicklung der Risikowahrnehmung von Jugendlichen in den Legalisierungsstaaten Washington und Colorado um den Zeitpunkt der Legalisierung (2012) herum im Vergleich zu der Entwicklung in Staaten ohne Legalisierung. Für Washington wurde im Vergleich zu Nicht-Legalisierungsstaaten eine signifikant stärkere Abnahme der Risikowahrnehmung bei Acht- und ZehntklässlerInnen festgestellt; bei ZwölftklässlerInnen wurde hingegen kein signifikanter Unterschied gefunden. In Colorado gab es in keiner der drei untersuchten Altersgruppen signifikante Unterschiede zur Entwicklung in Nicht-Legalisierungsstaaten. 3.2 Konsum von anderen Drogen im Zuge der Cannabis-Legalisierung Im Verlauf des letzten Jahrzehntes ist der Konsum von Alkohol, brennbaren Tabakprodukten, und der Konsum illegaler Drogen (abgesehen von Cannabis) unter US-Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren zurückgegangen. Die Zahlen befinden sich nahe der niedrigsten Konsumzahlen seit der ersten Datenerhebung in den 1970er Jahren (Hammond et al. 2020, 4). In einer Analyse wurde der Konsum anderer Drogen in US-amerikanischen Staaten infolge der Cannabis-Legalisierung genauer betrachtet: Es konnte kein klarer Zusammenhang der Cannabis-Legalisierung mit der Entwicklung des Kokainkonsums hergestellt werden, genauso wenig war dies im Zusammenhang mit Alkoholkonsum möglich. So wie der Konsum der jeweiligen Substanz in manchen Staaten, welche Cannabis legalisiert hatten, anstieg, so fiel er in anderen ab und unterschied sich in noch anderen nicht vom landesweiten Trend des Konsums der Substanz (Dills et al. 2021, 8). Es gibt dennoch Studien, die nahelegen, dass Cannabiskonsum dem Konsum von härteren, illegalen Drogen teilweise vorangeht. Zum Beispiel könnten die Auswirkungen von Cannabis auf das sich entwickelnde Gehirn eine Rolle für den späteren Opioid-Gebrauch einer Person spielen (Hammond et al. 2020, 8f ). Allerdings ist es schwierig, in diesem Zusammenhang eine generelle Kausalverbindung zu vermuten. Es könnte auch sein, dass Menschen, welche aus ver- 55 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland schiedensten Gründen dazu neigen, Drogen zu konsumieren, mit jenen beginnen, welche vergleichsweise leicht zu erreichen sind. Zu diesen gehört, neben Alkohol und Tabak, auch Cannabis (National Institute on Drug Abuse 2020, 12f ). 3.3 Bezugsquelle des konsumierten Cannabis Ab 2019, dem Jahr nach der Cannabis-Legalisierung in Kanada, wurde im Rahmen des CCS erfasst, wie viele der Befragten ihr Cannabis innerhalb der letzten zwölf Monate normalerweise aus einem legalen Fachgeschäft erworben hatten. Waren es 2019 nur 24 %, so stieg diese Zahl bis zur Befragung 2020 bereits auf 41 %, um 2021 den bisherigen Höchststand von 53 % zu erreichen. Dem Ziel einer Austrocknung des illegalen Cannabismarktes konnte man dementsprechend zwar näherkommen, es aber (bislang) nicht erreichen. Es wurde außerdem erfragt, welche Faktoren beeinflussten, aus welcher Quelle Cannabis bezogen wurde. 2021 sowie 2020 waren die drei wichtigsten Faktoren hierfür der Preis, die sichere Zustellung und die Qualität. Noch 2019 war die sichere Zustellung der wichtigste Faktor, gefolgt vom Preis. Der drittwichtigste Faktor war damals noch die Bequemlichkeit (Canadian Cannabis Survey 2021). 4 Erwartete Auswirkungen der geplanten Cannabis-Legalisierung aus Sicht der Dresdner Fachkräfte und Forderungen an die Politik Die nachfolgenden Ausführungen sind Ergebnis des offenen Austausches im Rahmen der kommunalen suchtspezifischen Arbeitskreise der Landeshauptstadt Dresden. Zu diesen gehört der Arbeitskreis Suchtprävention, die Unterarbeitsgruppe Sucht der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG), der Arbeitskreis illegale Drogen sowie die Leiter-Runde der sechs städtisch geförderten Suchtberatungs- und Behandlungsstellen (SBBn). Die in diesen Gremien repräsentierten Fachkräfte (N = 45) kommen aus der freien Jugendhilfe, aus dem medizinischen bzw. klinischen Bereich, von Suchtberatungs- und Behandlungsstellen, von sozialen Diensten, aus Ämtern der Stadtverwaltung (Gesundheitsamt, Jugendamt, Ordnungsamt, Sozialamt, Amt für Kindertagesbetreuung), dem Jobcenter, von der Polizei, dem Landesamt für Schule und Bildung sowie von Landesstellen für Suchtprävention und Gesundheitsförderung. In jedem der vier genannten Gremien wurde die von der Ampel-Koalition geplante Legalisierung des Freizeitkonsums für Erwachsene in Deutschland thematisiert. Die Fachkräfte wurden dabei gebeten, sich zu den beiden folgenden Fragen zu äußern: 1. Welche Auswirkungen der Legalisierung erwarten Sie? 2. Welche Forderungen hinsichtlich der Rahmenbedingungen einer Legalisierung stellen Sie an die Politik? Hierbei wurden auch schriftliche Zuarbeiten im Nachgang der Sitzungen berücksichtigt. Die Positionierungen wurden im Anschluss pro Frage thematisch geclustert, um jeweils ein Meinungsbild zu generieren. Die im Folgenden an den thematisch passenden Stellen angeführten Positionspapiere sind den Literaturhinweisen zu entnehmen. 4.1 Erwartete Auswirkungen der Legalisierung Konsumintensität von Cannabis und Anzahl der Konsumierenden Ähnlich wie die Forschungslage ist auch das Meinungsbild der Dresdner Fachkräfte hierzu heterogen. Reichlich die Hälfte der Fachkräfte, die sich äußerten, erwartet einen Anstieg der Zahl Konsumierender bzw. der Konsumintensität, einige auch explizit in der Altersgruppe 56 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland der Jugendlichen. Der andere Teil geht davon aus, dass es hinsichtlich des Konsums zumindest keine großen Veränderungen geben wird. Befürchtungen hinsichtlich eines Konsumanstieges infolge einer Legalisierung vertreten insbesondere die ärztlichen und polizeilichen VertreterInnen in den Arbeitskreisen. Alter der Cannabis-Konsumierenden Es wird seitens einiger Fachkräfte mit einer Ausweitung der Altersspanne von Konsumierenden gerechnet. Das könne sich sowohl in einer Senkung des Einstiegsalters als auch in einem Anstieg von älteren Konsumierenden zeigen. Bislang gibt es in Dresden, gemessen an den stationären Einweisungsfällen, eine Konzentration auf die Altersgruppe der 18bis 25-Jährigen, gefolgt von der Altersgruppe der 25 bis 30-Jährigen. Bis auf die zuletzt genannte Altersgruppe ist jedoch ein Rückgang von Konsumierenden in allen anderen Altersspannen zu verzeichnen (Dresdner Suchtbericht 2022, 20). Quantitative Inanspruchnahme von Suchthilfe/ Psychiatrie (Behandlungsnachfrage) Ähnlich wie beim Thema Konsumintensität und Anzahl der Konsumierenden erwartet eine knappe Mehrheit der Fachkräfte, dass es infolge einer Cannabis-Legalisierung zu einer steigenden Behandlungsnachfrage im Bereich Suchthilfe bzw. Psychiatrie kommen wird. Dieser Anstieg werde auch durch behandlungsbedürftige Komorbiditäten wie bspw. cannabisinduzierte Psychosen bedingt sein. Einige Fachkräfte leiten daraus einen erhöhten Bedarf an Behandlungsplätzen ab, u. a. für Doppeldiagnosen (s. u.). Vereinzelt erwarten Fachkräfte auch eine gesteigerte Behandlungsnachfrage durch den positiven Aspekt, dass sich bereits Konsumierende infolge von Entstigmatisierung eher in das Hilfesystem begeben. Im Jahr 2020 wurden 131 Dresdnerinnen und Dresdner aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide stationär behandelt; in Dresdner Suchtberatungs- und Behandlungsstellen wurden zuletzt (Jahr 2021) 437 Fälle mit der Hauptproblemsubstanz Cannabis gezählt (Dresdner Suchtbericht 2022, 12, 36). Käme es zu einer Verschiebung hinsichtlich der Intensität des Konsums, wäre mit einem Anstieg von cannabisbezogenen Einweisungen bzw. Beratungen zu rechnen. Haltung und Risikowahrnehmung Die Entwicklung der Risikowahrnehmung bezogen auf Cannabiskonsum wird nahezu einheitlich mit Sorge gesehen. So wird befürchtet, dass die Legalisierung zu einer (weiteren) Verharmlosung von Cannabis beiträgt, was sich in einer Senkung der Hemmschwelle äußern könnte, Cannabis zu probieren. Auch der kritische Blick der Elterngeneration könnte als Folge schrumpfen. Selbige Befürchtung wird auch in Bezug auf die Haltung von Fachkräften gegenüber Cannabis geäußert. Zugang zu und quantitative Inanspruchnahme von Präventionsangeboten Einige Fachkräfte betonen, dass mit einer Legalisierung in Bezug auf Cannabis der Zugangsweg zu Präventionsangeboten über Polizei und Justiz entfällt. Dadurch würde auch ein stückweit konstruktiver Druck wegbrechen und es bestünde die Gefahr, dass weniger Kinder und Jugendliche sekundärpräventiv erreicht werden. Daher halten viele Fachkräfte eine Anpassung der bisherigen Präventionsstrategien für erforderlich, um die Zielgruppe auch weiterhin gut erreichen zu können. Konkret müssten bereits bestehende Projekte überarbeitet werden und ggf. weitere Angebote konzipiert werden (s. u.). Ausgestaltung der Aufklärungsarbeit Einige Fachkräfte merken an, dass eine Cannabis-Legalisierung Veränderungen in der Aufklärungsarbeit erforderlich machen würde. Es müssten mehr Wissen über die Gesetzeslage vermittelt und Hinweise in Richtung Vermeidung von Schwarzmarktkäufen verschoben werden. 57 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland Fortbildungsbedarf bei Fachkräften Die Fachkräfte sehen in Bezug auf die geplante Cannabis-Legalisierung einen hohen Fortbildungsbedarf. Zu den spezifischen Bedarfen gehören Fortbildungen für SBB-Fachkräfte hinsichtlich jüngerer Konsumierender (ab 13/ 14 Jahren), Fortbildungen bezüglich KlientInnen mit Doppeldiagnosen sowie Anleitungen zur Ansprache des Cannabiskonsums trotz Legalität. Zudem wird ein Fortbildungsbedarf bezogen auf Kenntnisse zu entstehenden neuen Cannabisprodukten erwartet. Polizeiarbeit Die Polizei geht von einer Verschiebung ihrer Arbeit aus, nicht aber von einer Entlastung. Beispielsweise muss bei Feststellung von Cannabis dessen legale oder illegale Herkunft geprüft werden. In Dresden gab es im Jahr 2021 insgesamt 1253 Rauschgiftdelikte, die im Zusammenhang mit Cannabis standen. Die Tendenz ist dabei das vierte Jahr in Folge sinkend (Dresdner Suchtbericht 2022, 124). Illegaler Markt und Konsum Die Fachkräfte, die sich zu Bezugswegen im Falle der Legalisierung äußerten, gehen von einem Fortbestand des Schwarzmarktes aus - schon allein aufgrund der jüngeren Konsumierenden, die nicht von der Legalisierung betroffen wären. Konsum anderer Substanzen Die Äußerungen zu möglichen Auswirkungen einer Cannabis-Legalisierung auf den Konsum anderer Substanzen gehen in die Richtung, dass ein erleichterter Einstieg in den Konsum anderer, härterer Drogen befürchtet wird. Kinderschutz Es wird von einigen Fachkräften darauf hingewiesen, dass die Legalisierung von Cannabis zu einer Veränderung im KWG-Meldeverhalten führen kann. Vor allem durch den Mechanismus der Verharmlosung der dann legalen Substanz könnte es weniger KWG-Meldungen in Zusammenhang mit Cannabis geben. Auch die in der Regel konsequentere Intervention des Familiengerichts bei illegalem Substanzgebrauch wird angemerkt. Als Folge würde mit der Legalisierung ein Argument für den Kinderschutz entfallen. Ein geschärfter Blick der Fachkräfte auf Elternschaft und Sucht wird daher für besonders wichtig gehalten. An der entsprechenden Haltung der Fachkräfte müsse gearbeitet werden. Konsumentenschutz Einzelne Fachkräfte äußern sich hoffnungsvoll bezüglich der Produktqualität, die die Konsumierenden bei legalem Bezug von Cannabis erwarten könnten. Soziale Folgeprobleme der Kriminalisierung Durch den Wegfall von Anzeigen - so die Erwartung einzelner Fachkräfte - könnte es in der Folge zu weniger Wohnraumverlust und damit einhergehend zu einer Verringerung von sozialen Folgeproblematiken kommen. 4.2 Forderungen an die Politik Zentrale Stellen in Dresden für Suchtproblematiken von Kindern und Jugendlichen schaffen Dadurch soll es zu einer Minimierung von Verweisen auf Kliniken außerhalb von Dresden kommen. Es werden gemäß der Dresdner Fachkräfte jedoch auch allgemein mehr Plätze für Kinder und Jugendliche für Entgiftungen und Langzeittherapien benötigt. Speziell genannt wird auch der Bedarf an Therapieplätzen mit einer Aufenthaltsdauer von unter sechs Monaten. Mit ihren Forderungen nach einem Ausbau bzw. der flächendeckenden Vorhaltung von Behandlungsangeboten stehen die Dresdner Fachkräfte in Übereinstimmung mit dem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). 58 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland Mehr Präventionsarbeit und mehr Präventionsangebote vorhalten Das Stimmungsbild der Dresdner Fachkräfte zeigt sich sehr homogen hinsichtlich der Forderung des Ausbaus von Präventionsarbeit und -angeboten. Konkrete genannte Bedarfe sind Angebote für die Zielgruppe Eltern zur Vorbeugung der Verharmlosung von Cannabis und zur Befähigung, zu Hause angemessen über Cannabis aufzuklären, Angebote zur Gesundheitsbzw. Lebenskompetenzförderung von Kindern, Eltern-Kind-Angebote zur Resilienzstärkung sowie Angebote zur Konsumreflexion. Die DGPPN sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ) fordern in ihren Positionspapieren ebenfalls den Ausbau und die flächendeckende Vorhaltung niedrigschwelliger Präventions- und Beratungsangebote. Die BAJ betont insbesondere das Erfordernis, hierdurch die Risikosowie Handlungskompetenz der Jugendlichen zu fördern. Steuermittel aus legalem Verkauf für Präventionsangebote nutzen Es besteht die gemeinsame Auffassung der Dresdner Fachkräfte, dass Gelder, welche durch den legalen Verkauf von Cannabis generiert werden, für die Finanzierung der benötigten Präventionsarbeit zur Verfügung stehen müssen. Diese Forderung findet sich, unterschiedlich graduiert, auch in den Positionspapieren von DGPPN, BAJ sowie im gemeinsamen Positionspapier der suchtmedizinischen Fachgesellschaften und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Das Thema Cannabis in das Jugendschutzgesetz aufnehmen Ein Teil der Fachkräfte weist darauf hin, dass bislang nur der Umgang mit Alkohol und Tabak geregelt ist. Eine Aufnahme von Cannabis in das Jugendschutzgesetz sei daher geboten. Diese Notwendigkeit merkt auch das Positionspapier der BAJ an. Dem großen Fortbildungsbedarf muss entsprochen werden Große Übereinstimmung sehen die Dresdner Fachkräfte hinsichtlich des Fortbildungsbedarfes. Neben den weiter oben ausgeführten Bedarfsfeldern wird auch auf Fachkräfte in Kitas und Schulen hingewiesen. Hier wird spezifischer Fortbildungsbedarf bezüglich des Kinderschutzes gesehen. Auch das Verkaufspersonal an den Abgabestellen benötigt ernst zu nehmende Schulungen. Altersbegrenzung einführen Das Meinungsbild zur genauen Altersgrenze für legalen Cannabiserwerb und -konsum, so dieser denn kommen sollte, ist in der Dresdner Fachkräfteschaft nicht einheitlich. Konsens besteht jedoch bei der Minimalschwelle von 18 Jahren. Insbesondere MedizinerInnen unter den Fachkräften betonen die erhöhte Wahrscheinlichkeit ernsthafter Folgeschäden des Cannabiskonsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (u. a. aufgrund der nicht abgeschlossenen Hirnreife) und plädieren mehrheitlich dafür, Cannabis nicht an unter 21-Jährige abzugeben. Unter Realitätsaspekten (es konsumieren auch jüngere Menschen, die dann gewissermaßen auf den unregulierten illegalen Markt angewiesen wären) favorisieren andere Fachkräfte die Freigabe ab 18 Jahren. Die Positionspapiere der DGPPN und das gemeinsame Positionspapier der suchtmedizinischen Fachgesellschaften und der DHS fordern eine Altersbegrenzung von 21 Jahren aufgrund der bis dahin nicht ausreichend abgeschlossenen Entwicklung des Gehirns. Maßnahmen wie Selbstsperre und Fremdsperre einführen Es kam in der Dresdner Fachkräfteschaft die Forderung nach einer Fremdsperre ab einem bestimmten Konsum sowie einer Selbstsperrmöglichkeit analog zum Spielerschutz im Glücksspielbereich auf. Die suchtmedizinischen Fach- 59 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland gesellschaften und die DHS sowie die DGPPN fordern in ihren Positionspapieren zumindest eine Mengenbegrenzung beim Verkauf (quasi Fremdsperre). Werbeverbot und werbefreie Verpackungen durchsetzen Vereinzelt wurde ein generelles Werbeverbot für alle Substanzen gefordert. Eine weitere Forderung der Fachkräfte war die werbefreie Gestaltung der Verpackung von Cannabisprodukten. Diese sollte neben dem THC/ CBD-Gehalt auch mit Warnhinweisen und Kontaktdaten zu Beratungsangeboten versehen werden. Diese Anforderungen an die Verpackung von Cannabisprodukten stimmen überein mit den Forderungen der DGPPN und den gemeinsamen Forderungen der suchtmedizinischen Fachgesellschaften und der DHS. Beide Positionspapiere und das der BAJ fordern darüber hinaus das Verbot jeglicher Werbung für legale Cannabisprodukte. Verkauf nur in lizensierten Abgabestellen in Verbindung mit einem Beratungsangebot sicherstellen Auch diese Forderung wurde von Dresdner Fachkräften gestellt. Die suchtmedizinischen Fachgesellschaften und die DHS fordern des Weiteren eine Begrenzung der Zahl sowie der Öffnungszeiten der Ausgabestellen sowie die Einhaltung eines Mindestabstandes zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Schwarzmarktaktivitäten eindämmen Mehrfach wurde die Forderung einer Anpassung des Preises und des Wirkstoffgehalts (in Grenzen) an den Schwarzmarkt geäußert. Als Folge soll der Schwarzmarkt unattraktiv werden und die Legalisierung zur Eindämmung beitragen. Die DGPPN greift diese Forderung in ihrem Positionspapier ebenfalls auf und zeigt sich dahingehend übereinstimmend mit den Dresdner Fachkräften. Dem Regelungsbedarf im Straßenverkehr nachkommen Zustimmung zeigte sich bezüglich der Forderung nach klaren Regelungen im Straßenverkehr, wie es sie bereits zu Alkohol gibt. Wirksame Qualitätssicherung etablieren Vereinzelt wurde auf die Notwendigkeit der Qualitätssicherung für den Verbraucherschutz aufmerksam gemacht. 5 Fazit und Ausblick Ob und wann die geplante Legalisierung in Deutschland stattfinden wird, ist bisher unklar. Die Forschungsergebnisse aus Ländern mit einem inzwischen legalisierten Freizeitgebrauch von Cannabis für Erwachsene machen gerade angesichts ihrer Heterogenität deutlich, dass es neben dem rechtlichen Status von Cannabis zahlreiche weitere Faktoren gibt, die die Entwicklung von Konsumprävalenzen, Cannabiskonsumstörungen und weiteren Parametern beeinflussen. Nichts desto trotz zeigt die Forschung auch, dass unbestritten Legalisierungsrisiken bestehen und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich auch in Deutschland unerwünschte Effekte eines solchen Schrittes zeigen würden - und dies möglicherweise auch in der Gruppe der Kinder- und Jugendlichen, die gar nicht Zielgruppe der Legalisierung sind. Um derartige Risiken zu minimieren, knüpfen auch die Dresdner Fachkräfte eine etwaige Legalisierung an die Erfüllung bestimmter Forderungen hinsichtlich der konkreten Umsetzung und erforderlichen Rahmenbedingungen, wobei sich vielfältige Übereinstimmungen mit den Forderungen bundesweit agierender medizinischer Fachgesellschaften und Organisationen der Suchthilfe und Suchtprävention zeigen. Erforderlich ist demnach unbedingt die Flankierung der Legalisierung durch zielgruppenspezifische und flächendeckend vorhandene Präventions- 60 uj 2 | 2023 Geplante Cannabis-Legalisierung in Deutschland und Behandlungsangebote (wobei im Bereich Prävention die Vermeidung der Verharmlosung von Cannabis ein wichtiges Ziel ist), die Fortbildung von Fachkräften der Sucht- und Jugendhilfe, die Installation wirksamer verhältnispräventiver Maßnahmen, auch und insbesondere zum Jugendschutz (z. B. Werbeverbot, Altersbegrenzung) sowie das Ergreifen regulatorischer Maßnahmen zur Begrenzung des illegalen Marktes, zur Qualitätssicherung des legalen Marktes und zur Gewährleistung der Sicherheit im Straßenverkehr. Der erforderliche Ausbau und die Anpassungen im Bereich Suchtprävention und Suchtversorgung sind aus den Einnahmen des legalen Cannabisverkaufs zu generieren. Derzeit ist das System der kommunalen Suchtprävention und Suchthilfe in Dresden, wie auch in anderen Kommunen, an seiner Belastungsgrenze und wäre nicht ausreichend darauf vorbereitet, den seitens der Bundesregierung geplanten Schritt der Legalisierung adäquat zu begleiten. Dass für die nächsten Jahre mit einer weiteren Verknappung der kommunalen Haushaltsmittel gerechnet werden muss, steht im scharfen Kontrast zu den eindeutigen fachlichen wie fachpolitischen Forderungen und ist auch mit der aktuellen Studienlage hinsichtlich möglicher Legalisierungsfolgen nicht in Einklang zu bringen. Hier besteht seitens der Politik Nachbesserungsbedarf bzw. die unbedingte Notwendigkeit, die erforderlichen finanziellen wie auch personellen Ressourcen bereitzustellen. Danksagung Die Autorinnen danken den Mitgliedern der suchtspezifischen kommunalen Arbeitskreise in Dresden für ihre offenen und konstruktiven Rückmeldungen im Rahmen des Austausches zur Thematik Cannabis-Legalisierung. Juliane Korall, Katrin Arnold, Nora Linner und Dr. Kristin Ferse Landeshauptstadt Dresden Amt für Gesundheit und Prävention E-Mail: suchtkoordination@dresden.de Literatur BAJ Positionspapier (2022): Schutz + Entkriminalisierung! Cannabis-Freigabe aus Sicht des Kinder- und Jugendschutzes. In: https: / / www.bag-jugendschutz. de/ de/ stellungnahmen, 29. 9. 2022 Cerdá, M., Wall, M., Feng, T., Keyes, K. M., Sarvet, A., Schulenberg, J., O’Malley, P., Liccardo Pacula, R., Galea, S., Hasin, D. S. (2017): Association of State Recreational Marijuana Laws With Adolescent Marijuana Use. 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