unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2023.art14d
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2023
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Orientierungshilfen für professionell - sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit
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2023
Bernd Sommer
Wer in der Fallarbeit professionell tätig sein möchte, ist auf Orientierungshilfen für sozialpädagogisches Handeln angewiesen. Im vorliegenden Aufsatz werden ausgewählte Grundsätze sozialpädagogischen Handelns vorgestellt und auf ihre mögliche Bedeutung für die Fallarbeit geprüft.
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106 unsere jugend, 75. Jg., S. 106 - 111 (2023) DOI 10.2378/ uj2023.art14d © Ernst Reinhardt Verlag Orientierungshilfen für professionell-sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit Wer in der Fallarbeit professionell tätig sein möchte, ist auf Orientierungshilfen für sozialpädagogisches Handeln angewiesen. Im vorliegenden Aufsatz werden ausgewählte Grundsätze sozialpädagogischen Handelns vorgestellt und auf ihre mögliche Bedeutung für die Fallarbeit geprüft. von Prof. Dr. Bernd Sommer Jg. 1959; Dipl.-Pädagoge, Dr. phil., Professor für Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg - Villingen-Schwenningen, Fakultät für Sozialwesen, Studiengang Sozialwirtschaft 1. Einleitung Die Vielzahl und Vielfalt an möglichen Orientierungshilfen für professionell-sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit sind auf den ersten Blick nicht oder kaum überschaubar. Dabei stellen sich die Aufgaben der in der Sozialen Arbeit tätigen SozialpädagogInnen als sehr breit gefächert dar, wobei Helfen, Beraten und Für-andere-Dasein zentrale berufliche Tätigkeiten ausmachen, die jedoch, so Lenzen, so vielfältig seien wie die Probleme, Nöte und Anliegen ihrer KlientInnen (vgl. Lenzen 2007, 71). In der praktischen Sozialen Arbeit schreibt niemand den KollegInnen vor, wie sie zu arbeiten haben. Jede einzelne Person trifft Entscheidungen nicht nur auf fachlich begründeter, rationaler, sondern auch auf subjektiver, teilweise auch intuitiver Ebene (vgl. Miczuga 2017; Wolf 2015), an welchen Konzepten, Grundsätzen und Arbeitsformen sie oder er sich anlehnt. Ein Richtig oder Falsch scheint es in diesem Zusammenhang nicht zu geben. Im Folgenden wird hinsichtlich Fallarbeit auf grundlegende Erkenntnisse der Arbeitsform Soziale Einzelfallhilfe rückgegriffen. Der sogenannte Methodische Vier-Schritt wird thematisiert, wie auch die Zehn Gebote der Sozialarbeit nach Herbert Lattke und die Allgemeinen Prinzipien der Sozialen Einzelfallhilfe nach Henry Maas, beide aus den 1960er Jahren stammend, herangezogen werden. Dies mutet auf den ersten Blick veraltet an, auf den zweiten Blick jedoch wird deutlich, dass diese Grundsätze, in moderne Fachterminologie übersetzt, von hochaktueller Bedeutung für die professionell gestaltete Fallarbeit sein können. Im Rahmen der hier angestellten Überlegungen zur Fallarbeit wird von einem ausgesprochen pädagogischen Verständnis ausgegangen, d. h. als Zentrum sozialpädagogischer Tätigkeiten wird das Erfüllen von Aufgaben als LernhelferIn angesehen (vgl. Giesecke 2015), als derbzw. diejenige, der bzw. die Lern-, Hilfe- und Entwicklungsprozesse wie beispielsweise in der Fall- und Beratungsarbeit analysiert, zielgerichtet plant, durchführt und gemeinsam mit den KlientInnen auswertet. 107 uj 3 | 2023 Professionell-sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit Als LernhelferInnen treten SozialpädagogInnen vor allem auf der Ebene der Arbeitsbeziehung, in der direkten Begegnung von Mensch zu Mensch, auf. Daneben eröffnen sich, wie dies Erler eindrücklich beschreibt, auch Aufgabenbereiche hinsichtlich gesellschafts- und sozialpolitischer Zusammenhänge. Er spricht in diesem Zusammenhang u. a. davon, dass die in unterschiedlichen Berufsfeldern der Sozialen Arbeit Tätigen Not entdecken, auf sie aufmerksam machen und Vorschläge zu ihrer Überwindung formulieren sollen, dass sie Einfluss auf Entscheidungsgremien in Planung, Organisation und Administration nehmen sollen, um Dienstleistungen zu entwickeln und Lebensbedingungen zu verbessern (vgl. Erler 2012, 15). Um diese mannigfachen Aufgaben in professioneller Weise erfüllen zu können, benötigen MitarbeiterInnen personale Kompetenzen, fachliche Kompetenzen, didaktische Kompetenzen, soziale und kommunikative Kompetenzen, die Fähigkeit zur (selbst-)kritischen Reflexion sowie wissenschaftliche Kompetenzen (vgl. Sommer 2019, 170). Maus, Nodes und Röh nennen in diesem Zusammenhang als Schlüsselkompetenzen die strategische Kompetenz, die Methodenkompetenz, die sozialpädagogische Kompetenz, die sozialrechtliche Kompetenz, die sozialadministrative Kompetenz, die personale und kommunikative Kompetenz sowie die berufsethische Kompetenz (vgl. Maus/ Nodes/ Röh 2013, 43 - 93). An welchen Grundsätzen sozialpädagogischen Handelns sich KollegInnen im Zusammenhang mit Fallarbeit orientieren können, wird Thema des vorliegenden Beitrags sein. 2. Grundsätze als mögliche Grundlage und Orientierungshilfe für professionelle Fallarbeit Grundsatz 1 Das professionelle Vorgehen in der sozialpädagogischen Fallarbeit ist gekennzeichnet durch eine Abfolge von aufeinander aufbauenden Phasen, in denen bestimmte Aufgaben anstehen. Diese Phasen laufen nicht linear ab, sondern als in die vorherige und die nachfolgende Phase durchlässig, letztlich stellen sie sich als ein Kreislauf dar. Unabhängig davon, dass sich für die jeweiligen Phasen je nach Wissenschaftsdisziplin unterschiedliche Begrifflichkeiten finden lassen, werden folgende Aufgaben deutlich: relevante Informationen sammeln, Themen ausfindig machen und deren Bearbeitung in gemeinsamer Absprache mit dem bzw. der KlientIn priorisieren, Ressourcen feststellen, Ziele des Hilfeprozesses formulieren, Interventionsmöglichkeiten planen und durchführen, eine Evaluation vornehmen. Als beispielhaft herangezogene Modelle können der sogenannte Methodische Vier-Schritt in den beiden Varianten Medizinisches Modell oder Expertokratisches Modell mit den vier Phasen Anamnese, Diagnose, Behandlung/ Intervention und Evaluation sowie das Modell klienteler Kompetenz oder Sozialwissenschaftliches Modell mit den Phasen Informationssammlung, Problemdefinition/ Themenwahl, Intervention und Evaluation angeführt werden (vgl. Michel- Schwartze 2002, 122 - 166). Das Modell der Kooperativen Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit stellt die qualifizierte Fort- und Weiterentwicklung des Modells klienteler Kompetenz dar. Es erweitert das Vier-Schritt- Modell zu einem Sieben-Schritt-Modell (vgl. Hochuli Freund/ Stotz 2021). Während im Methodischen Vier-Schritt die Zielformulierung nicht aufgenommen wird, stellen Ziele im Modell der Kooperativen Prozessgestaltung eine eigens benannte Phase dar. Das Ausfindigmachen von Ressourcen wird weder in einem der benannten Modelle noch in der sogenannten Grundlogik zielorientierten Vorgehens, das den Anspruch erhebt, von allen Wissenschaftsdisziplinen gleichermaßen angewendet werden zu können (vgl. Meinhold/ Matul 2011), explizit thematisiert. 108 uj 3 | 2023 Professionell-sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit An dieser Stelle sind das zweite und das siebte Gebot der Sozialarbeit nach Lattke bedeutsam: Die MitarbeiterInnen der Sozialen Arbeit sollen die Selbsthilfekräfte des bzw. der KlientIn entdecken und fördern und mit seinen bzw. ihren Stärken arbeiten (vgl. Lattke 1961, 319f ). Übersetzt in moderne Terminologie bedeutet dies ressourcenorientiertes Arbeiten. Grundsatz 2 Der Aufbau einer vertrauensvollen, tragfähigen (Arbeits-)Beziehung von MitarbeiterInnen und KlientInnen der Sozialen Arbeit steht zeitlich und von der Bedeutung her vor der Bearbeitung inhaltlich-thematischer Fragen. Gleichzeitig muss, um die professionelle Handlungsfähigkeit herstellen und aufrechterhalten zu können, auf ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz geachtet werden. Dieses gilt es in jeder Arbeitsbeziehung individuell einzurichten und auszuloten (vgl. Dörrlamm 2006). Lern- und Hilfeprozesse, wie sie in Fallarbeit stattfinden, können nur dann erfolgreich sein, wenn MitarbeiterInnen der Sozialen Arbeit und KlientInnen in einem gleichberechtigten Miteinander an den anstehenden Themen arbeiten, sie ein partnerschaftliches Verhältnis aufbauen, das von gegenseitigem Vertrauen, von Wertschätzung und Akzeptanz gekennzeichnet ist. Hier kommt das Gebot nach Lattke zum Tragen, wonach jeder bzw. jede KlientIn als ganzer Mensch gesehen werden solle (1. Gebot), also als Leib-Seele- und Geist- Einheit, ebenfalls das Gebot, wonach der bzw. die KlientIn zum Partner bzw. zur Partnerin am Hilfevorgang werden solle (3. Gebot). Maas spricht in seinen Allgemeinen Prinzipien der Sozialen Einzelfallhilfe in diesem Zusammenhang vom Grundsatz des Akzeptierens (1. Prinzip) und dem Grundsatz der aktiven Beteiligung (4. Grundsatz). Wie auch immer geartete Kommunikation zwischen KlientIn und MitarbeiterIn sei dabei eine wesentliche Grundlage für den Lern- und Hilfeprozess (2. Grundsatz). Eine vertrauensvolle, von gegenseitiger Achtung und Respekt gekennzeichnete Beziehung von MitarbeiterIn zu KlientIn der Sozialen Arbeit kann als eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen dafür angesehen werden, dass überhaupt inhaltlich gearbeitet werden kann (5. Grundsatz nach Maas). Vertrauen und zwischenmenschliche Beziehung bedeuten dabei jedoch nicht, den professionell notwendigen inneren Abstand zu den hilfesuchenden Menschen und deren Nöten zu verlieren. Vielmehr sind MitarbeiterInnen der Sozialen Arbeit nur dann zu Kommunikation auf gleichberechtigter Ebene fähig, wenn sie trotz aller Empathie, unbedingter Wertschätzung und Akzeptanz ihre eigenen inneren Grenzen zu beachten vermögen. Ein Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin, der bzw. die mitleidet statt mitschwingt, kann für den oder die KlientIn keine professionelle Hilfestellung von außen darstellen. Professionelle Nähe herzustellen ist dabei ebenso notwendig wie professionelle Distanz zu wahren (6. Grundsatz nach Maas) (vgl. Lattke 1961; Maas 1969). Grundsatz 3 Zielorientiertheit stellt ein bedeutsames Kennzeichen professionell-sozialpädagogischen Vorgehens dar. Neben diesen eher rational-intellektuellen Fähigkeiten sind auch Merkmale der sogenannten Pädagogik aus dem Bauche heraus in das Handeln zu integrieren. Ziele sind wichtig, weil durch sie und mit ihnen formuliert wird, welches Ergebnis am Ende eines Lern- und Hilfeprozesses erhofft bzw. erwartet wird. Ziele können in unterschiedlicher Weise differenziert werden: Fern- und Nahziele, Grob- und Feinziele, aber auch die Unterscheidung in Erziehungsbzw. Lehrziele, Handlungsziele und Lernziele (vgl. Schilling 2020, 103 - 106). Ziele 109 uj 3 | 2023 Professionell-sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit beschreiben einen Zustand, der in der Zukunft erreicht werden soll. Das Feststellen und Beschreiben der Ausgangssituation sowie das Formulieren von Zielen weisen somit mögliche Wege auf, die KlientIn und MitarbeiterIn der Sozialen Arbeit mit ihrer Zusammenarbeit miteinander zu beschreiten haben. Gleichzeitig kann das Abgleichen von vorab formulierten Zielen und tatsächlich erreichten Ergebnissen als Grundlage einer kritischen (Selbst-)Reflexion bzw. Evaluation des gesamten Lern- und Hilfeprozesses dienen. Die landläufig vorschnell als unprofessionell bezeichnete Pädagogik aus dem Bauche heraus speist aus Intuition, aus Gefühl, aus subjektiver, selektiver und unbewusster Wahrnehmung, aus Gedankenblitzen, Gespür und plötzlichen Eingebungen, aus Handeln in Situationen, in denen keine Routinen zur Verfügung stehen, aus Empathie, aus Bauchgefühlen, in ihrer Gesamtheit die sogenannte intuitive Kompetenz. Wolf bezeichnet in diesem gedanklichen Zusammenhang „Intuition als Professionalisierungsmerkmal“ (Wolf 2015, 32). Grundsatz 4 Ziele, Inhalte und Methoden stehen im Rahmen von anzubahnenden Lern- und Hilfeprozessen (hier Fallarbeit) in Wechselwirkung miteinander, sie beeinflussen sich gegenseitig. Neben allem methodischen Wissen sind, dem Konzept des bzw. der (Sozial-)PädagogIn als LernhelferIn folgend, insbesondere didaktische Kompetenzen von Bedeutung. Methode stellt in einem umfassenden didaktischen Konzept lediglich einen Baustein unter mehreren dar. Methoden sind folglich eingebunden in einen größeren Denk- und Handlungszusammenhang. In einem Konzept werden Ziele, Inhalte, Methoden und Arbeitsverfahren in einen sinnhaften Zusammenhang gebracht, auf dessen Grundlage dann professionell gehandelt werden kann. Bezogen auf professionelle sozialpädagogische Tätigkeiten, hier insbesondere Fallarbeit, kann als eine weitere Orientierungshilfe auf das sogenannte Didaktische W-Fragen-Modell rückgegriffen werden, das in dem beschriebenen Sinne als übergeordnetes (Handlungs-)Konzept angesehen werden kann, in dessen Rahmen der bzw. die sozialpädagogisch Tätige als LernhelferIn fungiert. Während die Fragen nach dem Wie und dem Auf welchem Wege im engeren Sinne methodische Fragen darstellen, bilden die Fragen nach dem Wer (die Frage nach den beteiligten Personen), dem Was (die Frage nach Inhalt, Thema bzw. nach dem zu bearbeitenden Problem), dem Wohin (die Fragen nach Lehr-, Handlungs- und Lernzielen), dem Warum (die Frage nach dem Sinn und nach Begründungen), dem Wann und In welchem Zeitraum (die Fragen nach dem Zeitfaktor) sowie dem Wo (die Frage nach dem konkreten und nach dem übergeordneten Raum), die allesamt in den Kontext im engeren Sinne didaktischer Fragestellungen eingereiht werden können, den Rahmen, innerhalb dessen methodisches Handeln im Sinne von systematischem, schrittweise aufeinander aufbauendem, begründetem Vorgehen in Handlungszusammenhängen der Sozialen Arbeit erst stattfinden kann (vgl. Sommer 2021, 43ff ). Grundsatz 5 Der gezielte Einsatz von Methoden soll personen-, gegenstands- und situationsadäquat erfolgen sowie unter Berücksichtigung des Zeitfaktors. Das Einsetzen unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen, das Anwenden vielfältiger Arbeitsformen, Arbeitsweisen und Arbeitstechniken, Verfahren wie auch im Rahmen der konkreten Umsetzung von Zielen in Handlungen, also im engeren Sinne das Arbeiten mit Methoden (vgl. Schilling 2020, 140ff; vgl. auch Kreft/ Müller 110 uj 3 | 2023 Professionell-sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit 2019, 19ff ) soll flexibel handhabbar und auf den jeweiligen Klienten bzw. die jeweilige Klientin, das entsprechende Thema bzw. Problem und auf die Erfordernisse der jeweils unterschiedlichen Situation individuell abgestimmt werden. Hier schwingt der 3. Grundsatz nach Maas, der Grundsatz des Individualisierens, mit. Grundsatz 6 Der sechste Grundsatz, Vom Einfachen zum Komplexen, verkörpert ein klassisch pädagogisches Prinzip. Lern- und Hilfeprozesse sollen so aufgebaut sein, dass auch und insbesondere in der Fallarbeit gemeinsam mit dem bzw. der KlientIn realistische Zielsetzungen formuliert werden, die zeitlich überschaubar, die erreichbar sein sollen und somit motivierend wirken. Mit zunehmender Dauer, Erfahrungen und sich einstellenden Erlebnissen von Gelingen und Erfolg kann die Komplexität der anzubahnenden Lern- und Hilfeprozesse erhöht werden, die jedoch immer dem jeweiligen Lern- und Leistungsstand des bzw. der Lernenden entsprechen solle, der bzw. die in diesem Zuge zwar gefordert, nicht aber unter- oder überfordert werden dürfe. 3. Zusammenfassung und Diskussion Wenn wir den Anspruch an uns selbst erheben, in der Fallarbeit professionell vorgehen zu wollen, dann benötigen wir, unabhängig von der Wahl des konkreten Modells, eine Vorstellung von der Struktur und Abfolge sowie von den inhaltlichen und didaktischen Herausforderungen von Denk- und Handlungsschritten, die wir im Laufe des Lern- und Hilfeprozesses mit unseren KlientInnen zu durchlaufen haben. Ob wir uns an dem Methodischen Vier-Schritt, an dem Modell der Kooperativen Prozessgestaltung oder an Grundsätzen und Prinzipien sozialpädagogischen Handelns orientieren, ist und bleibt eine Frage der individuell-persönlichen Entscheidung. Fallarbeit macht aus meiner Sicht ein dynamisches Geschehen aus. Es folgt nicht in linearer Anordnung ein Schritt nach dem anderen. Jede Phase des Hilfeprozesses ist vielmehr in beide Richtungen, zeitlich nach vorn und nach hinten, durchlässig. So kann beispielsweise in der Phase der Intervention ein Schritt (zurück-)gegangen werden in die Phase der Themenfindung und -gewichtung, wenn andere als die bisherigen Informationen das Bild von der Ausgangssituation verändern. Die Wirklichkeit scheint es nicht zu geben. Im konstruktivistischen Sinne sind unterschiedliche Sichtweisen von Wirklichkeit real. KollegInnen in der praktischen Fallarbeit sollten sich möglichst ihrer eigenen Normalitätsstandards, ihrer Werte und ihrer Kompetenzen wie auch des subjektiven Charakters ihrer Betrachtungen und Bewertungen bewusst sein. Dies beeinflusst in nicht zu unterschätzendem Maße das eigene Arbeiten. Kein Modell deckt alle Herausforderungen an Fallarbeit ab. Jeder bzw. jede KollegIn wird sich aus dem breitgefächerten Angebot möglicher Orientierungshilfen das aussuchen, was ihm oder ihr als sinnvoll erscheint. Die im Rahmen des vorliegenden Beitrags formulierten Grundsätze sozialpädagogischen Vorgehens, die hier auf Fallarbeit konkretisiert werden, können aus meiner Sicht einen Beitrag leisten, sich in selbstkritischer Weise Gedanken um das eigene berufliche Selbstverständnis zu machen. Prof. Dr. Bernd Sommer Duale Hochschule Baden-Württemberg - Villingen-Schwenningen Fakultät für Sozialwesen Bürkstr. 1 78054 Villingen-Schwenningen E-Mail: bsommer@dhbw-vs.de 111 uj 3 | 2023 Professionell-sozialpädagogisches Vorgehen in der Fallarbeit Literatur Dörrlamm, M. (2006): Professionelle Nähe - auf Distanz zum Status quo. Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich 2, 155 - 160 Erler, M. (2012): Soziale Arbeit. Ein Lehr- und Arbeitsbuch zu Geschichte, Aufgaben und Theorie. Beltz Juventa, Weinheim/ München Giesecke, H. (2015): Pädagogik als Beruf. Grundformen pädagogischen Handelns. Beltz Juventa, Weinheim/ München Hochuli Freund, U., Stotz, W. (2021): Kooperative Prozessgestaltung in der Sozialen Arbeit. Ein methodenintegratives Lehrbuch. Kohlhammer, Stuttgart Kreft, D., Müller, C. W. (Hrsg.) (2019): Methodenlehre in der Sozialen Arbeit. Konzepte, Methoden, Verfahren, Techniken. UTB, München Lattke, H. (1961): Gegenwartsforderungen an Methodik und Organisation der Sozialarbeit. Caritas 12, 315 - 334 Lenzen, D. (2007): Orientierung Erziehungswissenschaft. Was sie kann, was sie will. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg Maas, H. S. (1969): Soziale Einzelfallhilfe. In: Friedländer, W. A., Pfaffenberger, H. (Hrsg.): Grundbegriffe und Methoden der Sozialarbeit. Luchterhand, Neuwied/ Berlin, 15 - 112 Maus, F., Nodes, W., Röh, D. (2013): Schlüsselkompetenzen der Sozialen Arbeit für die Tätigkeitsfelder Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Wochenschau Verlag, Schwalbach am Taunus Meinhold, M., Matul, C. (2011): Qualitätsmanagement aus der Sicht von Sozialarbeit und Ökonomie. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Michel-Schwartze, B. (2002): Handlungswissen der Sozialen Arbeit. Deutungsmuster und Fallarbeit. Leske + Budrich, Opladen Miczuga, L. (2017): Bauchgefühle. Blinde Antreiber oder Ausdruck professioneller Haltung? Sozialmagazin 7 - 8, 58 - 65 Schilling, J. (2020): Didaktik/ Methodik Sozialer Arbeit. Grundlagen und Konzepte. Reinhardt, München/ Basel Sommer, B. (2019): Der Pädagoge als Lernhelfer. Grundsätze und Orientierungshilfen für (sozial-)pädagogisches Handeln. Unsere Jugend 4, 170 - 174 Sommer, B. (2021): Ausgewählte Orientierungshilfen für sozialpädagogisches Denken und Handeln. Eine Einführung für Studierende und Lehrende der Sozialen Arbeit und Sozialwirtschaft. Engelsdorfer Verlag, Leipzig Wolf, G. (2015): Aus dem Bauch heraus? Intuition als Professionsmerkmal. Erwachsenenbildung 1, 32 - 34
