unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2023.art32d
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Schutzkonzepte
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Markus Wegenke
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Schutz vor Gewalt. Damit das nicht nur reine Programmatik ist, sondern aktiv gelebt wird, bieten Schutzkonzepte einen geeigneten Rahmen. Das Thema ist aktueller denn je. Steigende Fallzahlen von Gewalt in Institutionen sowie mehr Fälle von Übergriffen unter Kindern und Jugendlichen lassen an allen Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, erkennen: Die Zeit für Schutzkonzepte ist jetzt. Institutionen müssen zu Kompetenzorten im Bereich Gewaltschutz gemacht werden und dürfen nicht zu Tatorten werden.
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238 unsere jugend, 75. Jg., S. 238 - 243 (2023) DOI 10.2378/ uj2023.art32d © Ernst Reinhardt Verlag Schutzkonzepte Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Schutz vor Gewalt. Damit das nicht nur reine Programmatik ist, sondern aktiv gelebt wird, bieten Schutzkonzepte einen geeigneten Rahmen. Das Thema ist aktueller denn je. Steigende Fallzahlen von Gewalt in Institutionen sowie mehr Fälle von Übergriffen unter Kindern und Jugendlichen lassen an allen Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, erkennen: Die Zeit für Schutzkonzepte ist jetzt. Institutionen müssen zu Kompetenzorten im Bereich Gewaltschutz gemacht werden und dürfen nicht zu Tatorten werden. von Markus Wegenke Jahrgang 1982; Sozialarbeiter B. A., zusammen mit Prof. Dr. Jan Kepert Gründer des Freiburger Zentrums für Kinder- und Jugendhilfe (FZKJ) „Gewalt an Kindern und Jugendlichen? Das betrifft unsere Einrichtung zum Glück nicht! “ Das ist ein häufiger Satz, den man zu hören bekommt, wenn es um Schutzkonzepte geht. Man meint die Eltern gut zu kennen, ist im regelmäßigen Austausch mit den Kindern und Jugendlichen, kennt Kolleginnen und Kollegen - da wird schon alles in Ordnung sein. Zumal es ja auch keinen Generalverdacht gegen irgendwen geben soll. Aber: Nur weil man Gewalt physisch nicht immer sieht, bedeutet es nicht, dass sie nicht da ist. Gewalt an Kindern und Jugendlichen besitzt viele Facetten und nur die wenigsten Formen von Gewalt sind dabei körperlich sichtbar. Wer glaubt, an der eigenen Schule, dem Kindergarten, der Tagesgruppe, Schulkindbetreuung etc. gäbe es keine Kinder und Jugendlichen, die von Gewalt betroffen sind, hat sie nur noch nicht erkennen können. Faktisch kann Gewalt an Kindern und Jugendlichen nicht nur innerfamiliär auftreten, sondern überall, wo Kinder und Jugendliche sind - in Schulen, Kindertageseinrichtungen, Vereinen, offenen Treffs, Nachmittagsbetreuung, stationären Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie etc. Die handlungsleitende Frage ist nicht: „Betrifft uns das Thema? “ Die handlungsleitende Frage ist: „Wie gut sind wir im Bereich Gewaltschutz aufgestellt? “ Ein bis zwei SchülerInnen pro Schulklasse Von Gewalt betroffen sind viele Kinder und Jugendliche. Legt man die Zahlen aus der MiKA- DO-Studie (2015) zugrunde, liegt die Prävalenz von Missbrauchserfahrungen in Deutschland bei 8,5 %. In Bezug auf die rund 14 Millionen Minderjährigen in Deutschland bedeutet das: Circa 1,2 Millionen Kinder und Jugendliche sind Opfer von sexueller Gewalt. Die Prävalenzzahlen für Diabetes Typ 1 bei Erwachsenen sind ähnlich hoch. Hier sprechen wir von einer Volkskrankheit - und bei der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche? 8,5 % bedeu- 239 uj 6 | 2023 Schutzkonzepte tet, dass bundesweit ca. ein bis zwei SchülerInnen pro Schulklasse Opfer von sexueller Gewalt sind. Und diese Zahl ist nur die Spitze des Eisbergs. Zahlen von sexueller Gewalt durch andere SchülerInnen fließen dort nur zu einem kleinen Teil mit ein. Es ist davon auszugehen, dass nur ca. 1 % der Fälle von sexueller Gewalt den Strafermittlungsbehörden oder den Jugendämtern bekannt werden - 99 % der Fälle verbleiben dementsprechend im Dunkelfeld. Zudem beziehen sich diese Zahlen nur auf Formen sexueller Gewalt. Andere Formen von Gewalt und Vernachlässigung addieren sich hinzu. Damit wird deutlich, dass in der Summe deutlich mehr Kinder und Jugendliche von Gewalt betroffen sind als ein bis zwei SchülerInnen pro Schulklasse. Das Thema Gewalt an Minderjährigen betrifft selbstverständlich nicht nur Schulkinder. Von der Geburt an bis zum Übergang in das Erwachsenenalter besteht das Risiko, von Gewalt betroffen zu sein. Statistisch haben Kinder unter 4 Jahren das höchste Risiko für eine Kindeswohlgefährdung. Damit gilt es besonders, auch die Altersgruppe der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege in den Blick zu nehmen, wenn es um Gewaltschutz geht. Gewalt durch wen? Prinzipiell kann Gewalt an Kindern und Jugendlichen von jedem verübt werden: Eltern, Geschwister, Stiefeltern, Großeltern, Onkel und Tanten, Freunde der Familie, aber auch pädagogische Fachkräfte, PraktikantInnen. Kurz: Gewalt kann innerfamiliär, außerfamiliär und in Einrichtungen auftreten. Für ein Gewaltschutzkonzept ist nur sekundär relevant, von wem die Gewalt ausgeht. Primär ist relevant, dass das Kind entsprechende Schutzmöglichkeiten hat. Eine besondere Form von Gewalt sind Übergriffe durch Kinder an anderen Kindern oder Gewalt von Jugendlichen an anderen Kindern und Jugendlichen. Insbesondere im Bereich der sexuellen Gewalt wird deutlich, dass das Versenden von (kinder- und jugend-)pornografischen Inhalten von Minderjährigen an andere Minderjährige einen sehr starken Zuwachs in den letzten Jahren hatte. Das BKA registrierte einen Anstieg der Fallzahlen von 500 % zwischen den Jahren 2018 und 2020. Das verwundert nicht wirklich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Durchschnittsalter für den Erstkonsum pornografischer Inhalte im Internet bei 9 Jahren liegt. Rund um das Thema digitale Medien haben sich zahlreiche Phänomene gebildet, von denen viele Eltern und Fachkräfte nicht einmal wissen, dass sie existieren: „Dickpics“, „Catcalling“ und „Daddy Issues“ sind nur einige wenige davon, um die es bei TikTok, Instagram und anderen sozialen Medien geht. Um welche Gewaltformen es geht Gewalt ist ein Begriff mit unterschiedlicher Definition und sehr heterogener Ausprägung. Es geht hierbei nicht ausschließlich um Gewalt im strafrechtlichen Sinne. Innerhalb einer Einrichtung kann Machtmissbrauch eine Form der Gewalt sein, ebenso wie verbale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, sexualisierte Sprache, herabwürdigende Erziehungsmethoden und andere Formen. Grundlegend kann man Formen der Gewalt auf institutioneller Ebene in drei Kategorien einteilen: Grenzüberschreitung, Übergriffe und Misshandlung/ Missbrauch. Dabei können diese drei Ebenen der Gewalt inhaltlich nicht immer gleich besetzt werden, sondern sind stark abhängig von den zu betreuenden Kindern und Jugendlichen mit ihren individuellen Besonderheiten. Schutzkonzept: die eierlegende Wollmilchsau? Man muss sich nicht der Illusion hingeben, dass die oben genannten Fallzahlen auf null sinken, sobald man ein Schutzkonzept hat - 240 uj 6 | 2023 Schutzkonzepte eine 0 %-Strategie ist nicht Ziel des Schutzkonzepts. Primär geht es bei Schutzkonzepten darum, eine gemeinsame fachliche Haltung zum Thema Gewaltschutz zu finden, blinde Flecken zu identifizieren, Handlungsleitpläne zu entwerfen, den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zur Beschwerde zu geben und einen respektvollen Umgang mit klar definierten Grenzen auszuhandeln - gemeinsam mit Fachkräften, Kindern/ Jugendlichen und ElternvertreterInnen. Die interessanten Fragen bei Schutzkonzepten lauten: Wie können wir die Kinder und Jugendlichen im Dunkelfeld erreichen? Und was können wir leisten, damit es gar nicht erst zu Gewalt und/ oder Vernachlässigung kommt? Um das gewährleisten zu können, müssen Schutzkonzepte Elemente aus der Prävention und der Intervention beinhalten. Damit sind auch die beiden Ziele von Schutzkonzepten markiert: 1. Einrichtungen, Institutionen und Vereine müssen zu Kompetenzorten im Bereich Gewaltschutz werden. 2. Einrichtungen, Institutionen und Vereine dürfen nicht zu Tatorten werden. Für die Kinder und Jugendlichen darf es kein Glück sein, ob ein Verein, Schule oder Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung etc. gut bei dem Thema Gewaltschutz aufgestellt ist. Kinder und Jugendliche bewegen sich im Alltag in einer Vielzahl verschiedener Institutionen. Und an jedem Ort, an dem Kinder und Jugendliche sich aufhalten, sollte klar sein: Hier bist du geschützt. Und das nicht nur, weil es ein Aufkleber an der Eingangstür verspricht, sondern weil es hierfür ein durchdachtes Konzept gibt, dass allen bekannt ist und aktiv gelebt wird. Was benötigt wird, ist eine flächendeckende Kenntnis zum Thema Gewaltschutz in allen Bereichen, in denen Kinder und Jugendliche sind. Dass das keine Frage der persönlichen Meinung von einzelnen Einrichtungen sein darf, hat der Gesetzgeber mit der Reform des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes im neu formulierten § 45 Abs. 2 SGB VIII seit 2021 klargestellt: Ein Konzept zum Schutz vor Gewalt ist Voraussetzung für die Betriebserlaubnis einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe - genauso wie ein Abb. 1: Formen von Gewalt in Institutionen, Markus Wegenke (2022) ➤ Einmaliges/ gelegentliches/ unangemessenes Fehlverhalten ➤ Persönliche Grenzüberschreitungen zu Kindern ➤ Häufige Ursachen: Unausgereifte Fachlichkeit Stresssituationen Unklare Strukturen Fehlende Leitung Kultur des Wegschauens Zu niedriger Betreuungsschlüssel Herausforderndes Verhalten von Kindern Grenzverletzungen = TäterInnenstrategie bei sexuellem Missbrauch (Desensibilisierung) ➤ Ziel: „Kodex“ im Team. Bewusstmachen von Grenzverletzungen im Team und gegenüber den Kindern, ggfs. Elterngespräche ➤ Im Gegensatz zu Grenzverletzungen meist bewusste Handlungen ➤ Bewusstes Hinwegsetzen über den Widerstand von Kindern ➤ Bewusstes Ignorieren von Grundsätzen der Einrichtung ➤ Bewusstes Ignorieren von Regeln ➤ Bewusstes Ignorieren von Weisungen der Leitung ➤ Häufige Ursachen: Fehlender Respekt gegenüber Kindern/ Mädchen/ Jungen Grundlegender fachlicher Mangel Bewusstes Desensibilisieren als TäterInnenstrategie bei sexuellem Missbrauch ➤ Ziel: Intervention, Mitteilungspflicht, Elterngespräche ➤ Strafrechtlich relevante Taten ➤ Körperliche Gewalt ➤ Sexueller Missbrauch ➤ Schwerer sexueller Missbrauch ➤ Psychische Gewalt ➤ Vernachlässigung ➤ Unter Kindern: Im Sprachgebrauch keine Misshandlung/ Missbrauch, sondern Übergriffe (kein Täter-Opfer-Schema), insges. selten ➤ Ziel: Intervention, Mitteilungspflicht, Elterngespräche Grenzverletzungen Grenzverletzungen Übergriffe Misshandlung/ Missbrauch 241 uj 6 | 2023 Schutzkonzepte adäquater Personalschlüssel und ein pädagogisches Konzept. Der Schritt ist sehr zu begrüßen und es bleibt zu hoffen, dass mindestens die Schulen auf Länderebene bald nachziehen müssen. „Wir machen jetzt ein Schutzkonzept . . .“ „Unsere Studentin schreibt das gerade, die hatte das Thema erst im Studium.“ Wenn sich Einrichtungen auf den Weg machen, ein Schutzkonzept zu erstellen, ist das eine Aufgabe für das gesamte Team, die Kinder und Jugendlichen sowie ElternvertreterInnen. Bei Schutzkonzepten geht es in erster Linie nicht darum, eines zu haben - es geht darum, die Inhalte im pädagogischen Alltag zu leben. Und dazu gehört mehr als ein Schutzkonzept zu schreiben. Von elementarer Bedeutung ist der Aushandlungsprozess im Team, die Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen, die Sichtweise von Eltern, das Bewusstmachen und die Sensibilisierung in der gesamten Einrichtung. Jedes Schutzkonzept ist so einzigartig wie die jeweilige Einrichtung mit ihrem Konzept und die Familien, die sie betreut. Ein reines Kopieren eines anderen Schutzkonzeptes, nur um eines zu haben, macht keinen Sinn. Es muss auf die Besonderheiten der Einrichtung Bezug genommen werden. Schlussendlich ist jedes Schutzkonzept nur so gut, wie es von jedem Einzelnen in der Einrichtung auch akzeptiert und gelebt wird. Die inhaltliche Struktur des Schutzkonzeptes Es gibt keine einheitlich vorgeschriebene Struktur für Schutzkonzepte, wohl aber inhaltliche Elemente, die in jedem Schutzkonzept vorhanden sein sollen: 1. Pädagogisches Leitbild: Ein Schutzkonzept beginnt klassisch mit einem pädagogischen Leitbild, in dem auf die Besonderheiten der Einrichtung und die Besonderheiten der zu betreuenden Kinder und Jugendlichen Rücksicht genommen wird. Das Leitbild erklärt die Notwendigkeit des Schutzkonzeptes, die sich aus der Verantwortungsübernahme der Fachkräfte gegenüber den Kindern und Jugendlichen ergibt. 2. Beteiligung und Kinderrechte: Ein Schutzkonzept respektiert die Rechte der Kinder und listet diese nicht nur auf, sondern erklärt, wie Kinderrechte im pädagogischen Alltag aktiv gelebt und umgesetzt werden können. Zudem geht das Schutzkonzept bei dem Thema der Beteiligung darauf ein, wie Kinder und Jugendliche in allen sie betreffenden Belangen aktiv beteiligt werden können. 3. Kodex: Der Kodex ist ein Schlüsselelement des Schutzkonzepts. Hier wird festgehalten, was erwünschte, grenzwertige und Tabu-Verhaltensweisen von Fachkräften gegenüber Kindern und Jugendlichen sind. Es geht um einen verbindlichen, gemeinsamen Wertekompass innerhalb der Institution. Welche Werte möchten wir gegenüber Kindern und Jugendlichen aktiv leben? Welche Handlungen dürfen nur in Ausnahmefällen vorkommen (z. B. Festhalten des Kindes gegen dessen Willen im Straßenverkehr zur Unfallvermeidung), welche Handlungen dürfen nicht vorkommen (z. B. Erniedrigung oder Bloßstellung von Kindern etc.). Der Kodex wird gegenüber den Kindern und Jugendlichen bekannt gemacht, idealerweise auch in der Einrichtung ausgehängt. Die Kinder und Jugendlichen haben das Wertekonstrukt vor Augen und sind informiert, was Fachkräfte dürfen und was nicht. Der Kodex kann ebenso auf der Ebene Kind - Kind erstellt werden, in dem die Kinder und Jugendlichen gemeinsam überlegen, welche Werte und Normen sie untereinander leben und vermeiden wollen. 242 uj 6 | 2023 Schutzkonzepte 4. Beschwerdemöglichkeiten: Kindern und Jugendlichen muss auch die Gelegenheit gegeben werden, sich zu beschweren, z. B. bei Verstoß gegen Inhalte aus dem Kodex. Die Beschwerdemöglichkeiten sind innerhalb und außerhalb der Einrichtung zu organisieren und den Kindern und Jugendlichen gegenüber transparent zu machen. Insbesondere in einem Kontext eines familiären Betreuungssettings, z. B. Pflegefamilien, kommt der Beschwerdemöglichkeit außerhalb der Pflegefamilie eine elementare Bedeutung zu, sollte es Gewalt innerhalb der Pflegefamilie geben. 5. Prävention: Schutzkonzepte sind nicht nur rein interventionell orientiert, sondern adressieren auch an die Prävention. Wie kann die Resilienz gefördert werden? Wie können Körpergrenzen respektiert werden? 6. Intervention: Es ist ähnlich wie der Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein: Kinderschutz ist in vielen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe nicht alltägliche Aufgabe. Aber wenn es zu einer Situation kommt, in der das Wohl eines Kindes gefährdet ist, muss allen Fachkräften klar sein, was zu tun ist. Hierzu braucht es verbindliche Handlungsleitfäden und Abb. 2: Inhalte des Schutzkonzeptes, Markus Wegenke (2022) Leitbild NetzwerkpartnerInnen Beteiligung & Kinderrechte Fortbildung, Fachberatung Supervision Fehlerkultur Intervention Prävention Beschwerdemöglichkeiten Schutzkonzept Kodex 243 uj 6 | 2023 Schutzkonzepte Kontaktdaten, z. B. der erfahrenen Fachkräfte, des Jugendamtes etc. 7. Fehlerkultur: Was es für den gelingenden Schutz von Kindern und Jugendlichen braucht, ist eine gelebte, positive Fehlerkultur. Liegt eine strafende Fehlerkultur vor, sind die Hemmschwellen eher hoch, sich der Leitung anzuvertrauen und Fehler einzugestehen. Stattdessen braucht es eine lernende Fehlerkultur. Alle sollten ermutigt werden, auf Fehler aufmerksam zu machen. Denn aus den Fehlern Einzelner kann das ganze Team wichtige Erkenntnisse gewinnen. 8. Fortbildung, Fachberatung und Supervision: Das Schutzkonzept geht darauf ein, welche Fortbildungsinhalte in welchem Umfang durchgeführt werden, welche Fachberatungsstellen zur Seite stehen und wie viel Supervision durchgeführt wird. 9. NetzwerkpartnerInnen: Das Schutzkonzept stellt auch die NetzwerkpartnerInnen dar, die der Einrichtung zur Verfügung stehen, wie Beratungsstellen, Jugendamt, MedizinerInnen, FachberaterInnen etc. Der Anfang des Schutzkonzeptes Vieles von dem, was ein Schutzkonzept beinhaltet, ist meistens in kleinen Teilen schon vorhanden. Die wenigsten Einrichtungen müssen bei der Erstellung von Schutzkonzepten bei null starten, sondern können auf pädagogische Leitbilder, NetzwerkpartnerInnen, Interventionsleitfäden etc. zurückgreifen. Es geht im Schutzkonzept darum, diese Fragmente zu einem schlüssigen Gesamtprodukt zusammenzufügen und es allen Fachkräften, Kindern und Jugendlichen sowie den Eltern bekannt zu machen. Schlussendlich ist kein Schutzkonzept in Stein gemeißelt. Die Re-Evaluation des Schutzkonzeptes zu Elementen, die sich bewährt haben, die sich vielleicht auch nicht bewährt haben oder noch fehlen, sollte in jeder Einrichtung regelmäßig auf die Agenda. Jedes Schutzkonzept beginnt dabei mit einer Risiko- und Potenzialanalyse. In der Risikoanalyse wird gesammelt, welche räumlichen, personellen oder konzeptionellen Elemente eine Gefahrensituation fördern könnten. Die Potenzialanalyse zielt darauf hin zu bewerten, welche Elemente zum Schutz vor Gewalt und Gefahren bereits vorhanden sind. Jedoch gibt es in Zeiten von Fachkräftemangel, überfüllten Einrichtungen und vielen pädagogischen Herausforderungen auch Elemente, die der Erstellung von Schutzkonzepten entgegenstehen können: Wenn Personen federführend ein Schutzkonzept zusätzlich zu den bereits vorhandenen Pflichten organisieren sollen, ohne zusätzlich zeitliche Kapazitäten zu erhalten, führt das meist zu wenig durchdachten und sehr oberflächlichen Schutzkonzepten. Ebenso sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das gesamte Team Zeit benötigt, um in einen Aushandlungsprozess, z. B. für den Kodex, zu gehen. Dem Team sollte auch eine Unterstützung zur Seite gestellt werden, die bei dem Prozess aktiv unterstützen und begleiten kann. Markus Wegenke Reischstr. 14 79102 Freiburg E-Mail: wegenke@fzkj.de Literatur Neutze, J.; Osterheider, M. (2015): MiKADO - Missbrauch von Kindern: Aetiologie, Dunkelfeld, Opfer. Zentrale Ergebnisse des Forschungsverbundes. In: http: / / www.mikado-studie.de/ tl_files/ mikado/ upload/ MiKADO_Zusammenfassung.pdf (3. 4. 2023)
