unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2023.art53d
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WirkMit! - wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann
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Claudia Eichenberg
Mitwirkung erscheint nur dann attraktiv, wenn das Gefühl gegeben ist, tatsächlich etwas bewirken zu können. Um Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und deren Familien in der Kinder- und Jugendhilfe erfahrbar zu machen, gilt es, die hierzu notwendigen Voraussetzungen in den Blick zu nehmen - in der Zusammenarbeit mit den AdressatInnen und bezogen auf die eigene Einrichtungskultur.
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375 unsere jugend, 75. Jg., S. 375 - 388 (2023) DOI 10.2378/ uj2023.art53d © Ernst Reinhardt Verlag von Claudia Eichenberg Jg. 1968; Magister Filmwissenschaft, Master Erziehungswissenschaft, Systemische Therapeutin, Deeskalationstrainerin, Erziehungsleitung in der Caritas Jugendhilfe gGmbH Wiesbaden WirkMit! - wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann Mitwirkung erscheint nur dann attraktiv, wenn das Gefühl gegeben ist, tatsächlich etwas bewirken zu können. Um Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und deren Familien in der Kinder- und Jugendhilfe erfahrbar zu machen, gilt es, die hierzu notwendigen Voraussetzungen in den Blick zu nehmen - in der Zusammenarbeit mit den AdressatInnen und bezogen auf die eigene Einrichtungskultur. 1 „Beteiligung setzt Wirkungsmöglichkeit voraus. Sonst braucht sie niemand.“ (Jörg Sommer, Sozialwissenschaftler und Direktor des Berlin Instituts für Partizipation) Beteiligung von Kindern und Jugendlichen als Handlungsmaxime Das Thema Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in verschiedenen Kontexten unserer Gesellschaft zur Handlungsmaxime geworden. Ausschlaggebend hierfür war die 1990 in Kraft getretene UN-Kinderrechtskonvention, die das Recht von Kindern und Jugendlichen formulierte, sich zu allen sie berührenden Themen frei zu äußern, und das Recht auf eine angemessene Berücksichtigung ihrer Meinung und Haltung verankerte (vgl. § 12). Ihren rechtlichen Ausdruck fand die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland in der Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im Jahr 1990/ 91. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien in der öffentlichen Jugendhilfe wurde zur gesetzlichen Norm. Revisionen und die Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes bezogen immer wieder neue Vorgaben zur Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern mit ein. Die Thematik ist mittlerweile omnipräsent, und das ist gut so, denn die Befähigung von Kindern und Jugendlichen, ihre Interessen, Anliegen und Bedürfnisse zu formulieren und ihnen hierdurch das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu ermöglichen, muss das Anliegen einer demokratischen Gesellschaft sein (vgl. Schnurr 2022). So befasste sich der 16. Kinder- und Jugendbericht aus dem Jahr 2020 mit dem Thema „Förderung 1 Im vorliegenden Artikel wird die Methode WirkMit! aus Sicht eines Leistungserbringers beschrieben. Aufgrund der inhaltlichen Nähe zum Artikel von Vanessa Hermann, in dem die Erfahrungen eines Jugendamtes mit der Methode aufgezeigt werden, kann es an manchen Stellen zu Schnittmengen kommen. 376 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“ (vgl. BMFSFJ 2020). Auch die aktuelle Reform des Sozialgesetzbuches VIII hat sich das Thema Partizipation von jungen Menschen und deren Familien in der Kinder- und Jugendhilfe zum Auftrag gemacht und bildet dies als ein zentrales Thema von insgesamt fünf Bereichen im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KSJG) ab: 1. Besserer Kinder- und Jugendschutz 2. Stärkung von Kindern und Jugendlichen, die in Pflegefamilien oder in Einrichtungen der Erziehungshilfe aufwachsen 3. Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen 4. Mehr Prävention vor Ort 5. Mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien (vgl. BMFSFJ 2021). Betrachtet man das System der Jugendhilfe als Dienstleistungsorganisation, so ergibt sich zwangsläufig die Schlussfolgerung, dass die Bedarfe und Interessen von jungen Menschen und deren Familien in Leistungsentscheidungen und -erbringungen mit einfließen müssen, um eine wirksame und bedarfsorientierte Jugendhilfe erreichen zu können. Partizipation als strukturelles Leitmotiv einer gelingenden Kinder- und Jugendhilfe bildet die Voraussetzung, um definierte Ziele des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes adressatInnenorientiert erreichen zu können (vgl. Schnurr 2022). Die Entwicklung der letzten Jahre macht Mut. Neue Ansätze zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen werden diskutiert, ausprobiert und strukturell verankert. Junge Menschen werden verstärkt in politische Prozesse einbezogen. Auf kommunaler Ebene sind im Laufe der letzten Jahre vielfältige Formen von Beteiligungs- und Beschwerdemodellen für junge Menschen entstanden: Kinder- und Jugendparlamente, Runde Tische, Jugendforen etc. (vgl. Pluto 2007). Kann die Conclusio aus dieser gesellschaftlichen Entwicklung heraus nun lauten, dass alle Kinder und Jugendlichen aus verschiedensten gesellschaftlichen Kontexten gleich von dieser Entwicklung profitieren können? Die Antwort muss mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden. Wenn es um Beteiligung geht, dann sind dabei politische Fragen und damit grundsätzliche Fragen von Gerechtigkeit und der Verteilung von Macht und Ressourcen berührt, und Letztere sind ungleich verteilt. Deshalb gilt es, insbesondere die Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen, die aus sozial benachteiligten Familien stammen und überproportional im System der Hilfen zur Erziehung vertreten sind (vgl. Helming 2017). Was brauchen diese jungen Menschen und ihre Familien, um soziale Teilhabe und Selbstwirksamkeit in der Kinder- und Jugendhilfe erleben zu können? Befähigung als Voraussetzung zur Partizipation in der stationären Kinder- und Jugendhilfe Partizipation im Kontext der Hilfen zur Erziehung stellt eine besondere Herausforderung dar, denn es soll darum gehen, die AdressatInnen der Hilfe zu einem selbstständigen Leben zu befähigen. Wenn wir hier von einem selbstständigen Leben sprechen, so setzen wir häufig unsere Konstruktion eines erstrebenswerten Lebens als Maßstab und Ziel für die AdressatInnen. Vielmehr muss es jedoch darum gehen zu erfahren, was ein gutes Leben in der Vorstellung der uns anvertrauten Menschen beinhaltet. An dieser Maxime richtet sich auch der im Entstehen begriffene 17. Kinder- und Jugendbericht aus. Im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens unter der Überschrift „Nicht über uns ohne uns“ werden die Interessen und Meinungen junger Menschen in verschiedenen Betreuungssituationen (Kita, Jugendhilfe, Jugendverbände etc.) erhoben und fließen in die Arbeit der Kommission mit ein (vgl. DJI o. J.). 377 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann Die AdressatInnen der Kinder- und Jugendhilfe kennen Gefühle von Kontrollverlust und Ohnmacht und erleben sich in verschiedenen Lebenskontexten, gerade auch im Bildungssystem, als nicht selbstwirksam. Die Erfahrung, dass Beteiligung erwünscht ist und ein ehrliches zugewandtes Interesse an ihrer Person besteht, kann weder bei den jungen Menschen noch bei deren Eltern als gegeben vorausgesetzt werden. Dies stellt die Kinder- und Jugendhilfe vor große Herausforderungen, denn es ist nicht „nur“ damit getan, dass Kinder, Jugendliche und Eltern mitgeteilt bekommen, dass ihre Mitwirkung im Alltag und Hilfeprozess erwünscht ist. Ziel muss es sein, dass dieser Wunsch für die AdressatInnen erlebbar und erfahrbar wird, um nicht in den Verdacht eines lediglich „inszenierten Partizipationsangebotes“ zu geraten. Es gilt, Transparenz darüber herzustellen, in welcher Form Beteiligung stattfinden kann und wo diese auch mal an ihre Grenzen stößt (vgl. Rohrmann 2022, 44). Ein weiterer zentraler Punkt, um Beteiligung zu ermöglichen, liegt in der Befähigung von jungen Menschen und deren Eltern, im Hilfeprozess Sprachfähigkeit zu erlangen, um den eigenen Bedürfnissen, Interessen und Zielen entsprechend Ausdruck verleihen zu können. Gefühle von Angst, Scham und Überforderung aufseiten der AdressatInnen führen nicht selten zu einem eher resignierten, vermeidenden oder auch herausfordernden Verhalten (vgl. Helming 2017). Es bedarf einer zugewandten Haltung, entsprechender Methoden und niedrigschwelliger Zugänge und Kommunikationsformen, um angemessene Beteiligungsformen für Kinder, Jugendliche und deren Eltern zur Verfügung zu stellen. Und last but not least braucht es eine institutionalisierte Beteiligungskultur, die auch die pädagogischen Fachkräfte miteinschließt, denn Beteiligtsein ist die Voraussetzung dafür, andere zu beteiligen (vgl. Winkelmann 2020). Und hier gelten die gleichen Prinzipien wie in der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und deren Familien. Transparenz in Kommunikation und Einbeziehung in Entscheidungsprozesse, Klarheit darüber, wo es auch mal Grenzen geben kann und muss, Bereitstellung angemessener Räume für Beteiligung und das Gefühl, dass Mitarbeitende und deren Themen gesehen werden und in Entscheidungsprozesse mit einfließen. Das Bewusstsein darüber, dass Beteiligung als Voraussetzung dafür gilt, dass die Kinder- und Jugendhilfe fördernd wirken kann, verbietet es, das Thema als Nebenschauplatz zu betrachten. Vielmehr erscheint es lohnend, Beteiligung ganzheitlich, glaubhaft, bedarfsorientiert und nachhaltig zu leben und erlebbar zu machen. Eine verantwortungsvolle und beteiligungsfördernde Kinder- und Jugendhilfe bedarf einer gemeinsamen Haltung, um Beteiligung auf allen Ebenen und von Anfang an erfahrbar zu machen und AdressatInnen zu befähigen, ihre Bedarfe und Themen in dem Hilfeprozess vertreten zu können. Hier sind sowohl kommunale als auch freie Träger gefordert, eine gemeinsame Haltung und Herangehensweise zu entwickeln. WirkMit! - Beteiligung und Selbstwirksamkeit in der stationären Jugendhilfe ermöglichen WirkMit! ist eine vom Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) entwickelte, vielseitig einsetzbare Methode, um Beteiligung und Befähigung im pädagogischen Alltag in der Kinder- und Jugendhilfe niedrigschwellig zu ermöglichen. Es geht darum, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung bestmöglich zu unterstützen und die wirkungsorientierte Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung zu ermöglichen (vgl. IKJ o. J.). 378 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann WirkMit! basiert auf dem Capability Approach oder Befähigungsansatz, der auf Amartya Sen und Martha Nussbaum zurückzuführen ist. Der gerechtigkeitstheoretische Ansatz kommt hauptsächlich in Themenbereichen zum Tragen, in denen Armut und damit verbundene Ausgrenzung eine Rolle spielen. Armut definiert sich hierbei jedoch nicht ausschließlich darüber, was Menschen finanziell und materiell zur Verfügung steht, sondern vielmehr, was diese darüber hinaus brauchen, um ein zufriedenstellendes und selbstbestimmtes Leben zu führen (vgl. Graf et al. 2013). In diesem Sinn sind Capabilities die Fähigkeiten, die jeder Mensch mitbringt und die ihn dazu befähigen, ein zufriedenstellendes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Hierzu wiederum benötigt es entsprechende Rahmenbedingungen, das sogenannte „Bündel realer Chancen“ (vgl. Winkelmann 2020). Gerade Kinder und Jugendliche, die mit einem Mangel an Verwirklichungschancen groß werden und Unterstützung dabei benötigen, ihre eigene Vorstellung eines guten Lebens zu entwickeln und realisieren zu können, benötigen Strukturen und Menschen, die sie hierbei befähigend unterstützen und begleiten. Die Methode WirkMit! verleiht Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, anhand von 16 Themenbereichen (Caps) abzubilden, wie zufrieden sie gerade mit ihrem Leben sind und in welchen Bereichen sie sich eine Veränderung wünschen. WirkMit! kann im Bereich der Auftragsklärung, Fallbesprechung oder Hilfeplanung zum Einsatz kommen. Aber auch in Krisensituationen stellt das Instrument einen guten Zugang dar, um sich der Lebenswelt des Kindes oder Jugendlichen zu nähern und bedürfnisorientierte Unterstützung zu leisten. Zudem erlaubt die Anwendung von WirkMit! über einen längeren Zeitraum auch die Evaluation der Maßnahme hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Mit der Methode WirkMit! ist es gelungen, das wissenschaftliche Interesse an messbarer Weiterentwicklung von Hilfen zur Erziehung und den gesellschaftlichen Auftrag der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und deren Familien in eine niedrigschwellige und bedürfnisorientierte Beteiligungsform zu bringen. Die Methode bietet, und vor allem das zählt, die strukturelle Voraussetzung, um individuellen Bedürfnissen, Wünschen und Unterstützungsbedarfen von Kindern und Jugendlichen eine Sprache zu verleihen. WirkMit! signalisiert Interesse Auf dem Hauptfeld, ähnlich einem Spielbrett aus LKW-Plane, sind 16 Capabilities abgebildet: zwölf personenbezogene Bereiche, gefolgt von vier Bereichen, die sich auf das Unterstützungs- und Beziehungssystem des jungen Menschen beziehen. Kinder und Jugendliche haben die Möglichkeit, eine Aussage darüber zu treffen, Abb. 1: Ausschnitt aus dem WirkMit! -Hauptfeld 379 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann wie zufrieden sie sich in den einzelnen Themenbereichen in den letzten Wochen gefühlt haben. Hierzu zählen z. B. die Lebensmotivation und Lebenszufriedenheit, körperliche und psychische Gesundheit, das Leben in der Gruppe und/ oder Familie, Schule, Freundschaften etc. Hierüber können die jungen Menschen eine differenzierte Aussage treffen: „In den folgenden Bereichen läuft mein Leben in den letzten Wochen so, wie ich es mir wünsche.“ WirkMit! ermöglicht Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung Anhand einer Spielfigur nehmen Kinder und Jugendliche auf einer 6er-Smiley-Skala eine Bewertung zwischen „stimmt völlig“ und „stimmt gar nicht“ vor. Zudem haben die jungen Menschen und/ oder die begleitende Fachkraft die Möglichkeit, mittels eines anderen Coins besondere Erfolge hervorzuheben bzw. Wertschätzung auszudrücken (Sterne) und in welchen der abgebildeten Bereiche sie sich eine Veränderung wünschen (runde Steine). In den gekennzeichneten Bereichen, in denen die Kinder und Jugendlichen eine Veränderung wünschen, erfolgen folgende Nachfragen: 1. Woran würdest Du erkennen, dass sich etwas verändert hat? 2. Welche Unterstützung brauchst/ wünschst Du Dir hierzu von wem? Die Methode bringt mit sich, dass der junge Mensch sich in seinen Bedarfen gesehen fühlt und selbstbestimmt zum Ausdruck bringen kann, in welchen Bereichen er für sich Entwicklungsbedarfe sieht. WirkMit! ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang Die AdressatInnen können sich gut auf die Methode/ das Setting einlassen, da die Einschätzung auch non-verbal stattfinden kann, die Bewertungs-Symbolik anhand der Smileys selbsterklärend und der Umgang mit Spielsteinen vertraut ist. Zu allen Themenbereichen gibt es entsprechende Aussagen in „einfacher Sprache“, sodass die jungen Menschen gut folgen können. Somit ist ein ansprechender und gleichzeitig niedrigschwelliger Zugang zur Methode gegeben. Eine wichtige Voraussetzung, um sich als selbstwirksam während des Beteiligungsprozesses zu erleben. Abb. 2: Die Piktogrammkarten 380 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann WirkMit! ermöglicht einen multiperspektivischen Blick Die Methode kann um weitere Perspektiven auf den jungen Menschen erweitert werden. So ist es möglich und erwünscht, dass Eltern auch ihre Einschätzung dazu abgeben, was sie denken, wie sich ihr Kind in den einzelnen Themenbereichen fühlt und wo sie Veränderungsbedarfe sehen. Diese Form der Beteiligung im Hilfeprozess für das eigene Kind ist ein wichtiges Signal an die Eltern, dass diese in ihrer Rolle weiterhin wahrgenommen und gebraucht werden. WirkMit! wirkt nicht nur als Appell an Kinder und Jugendliche, sondern auch an deren Eltern, um gemeinsam mit ihrem Kind und der Fachkraft den Hilfeprozess gestalten zu können. Die multiperspektivische Herangehensweise in der Einschätzung des jungen Menschen und dessen Entwicklungsbedarfen (junger Mensch, Eltern, Fachkraft) konfrontiert alle Beteiligten auch mit ihrer eigenen Konstruktion von Wirklichkeit und birgt die Chance zur Reflexion und möglichen Veränderung der eigenen Perspektive hin zum Fokus auf die Bedarfe des Kindes oder Jugendlichen. WirkMit! befähigt auch das Fachpersonal Nicht selten fehlt es bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an guten Konzepten und Ideen sowie einem niedrigschwelligen Zugang, um Beteiligung zu ermöglichen. Zu oft gibt es Gesprächsangebote und Beteiligungsformen, welche Kinder und Jugendliche nicht dort abholen, wo sie stehen oder aber das Gefühl vermitteln, dass es eigentlich nicht um sie und ihre eigentlichen Anliegen geht. In der Anwendung von WirkMit! machen PädagogInnen die Erfahrung, dass Beteiligung gelingen kann und sie den Jugendlichen ein Instrument zur Verfügung stellen, das genutzt wird und den Austausch mit den jungen Menschen vertieft und bereichert. Somit erfahren sich auch die Fachkräfte in der Anwendung von WirkMit! als selbstwirksam in einem Beteiligungsprozess, der gelingen kann und Spaß macht. WirkMit! im Hilfeplangespräch - echt jetzt? ! Das halbjährlich stattfindende Hilfeplangespräch ist das Setting, um gemeinsam mit dem Kind oder Jugendlichen und dessen Eltern, der betreuenden Fachkraft und dem Jugendamt zu einem gemeinsamen Gespräch zusammenzukommen und die weiteren Ziele für die Familie zu besprechen. Es ist zwar richtig, dass sich die Hilfeplanung nicht auf diesen Moment reduzieren lässt (vgl. Graßhoff 2022), jedoch bildet sie für den jungen Menschen und dessen Familie einen besonderen und manchmal auch beschämenden Moment, da alle auf das schauen, was der junge Mensch aktuell „vorzuweisen“ hat und in welchen Bereichen weiterer Unterstützungsbedarf gesehen wird. Die Perspektive der Eltern stellt in diesem Setting häufig eine Nebenrolle dar. Dem fachlichen Grundsatz, im Rahmen des Hilfeplangesprächs in einen Aushandlungsprozess einzutreten, in dem alle Beteiligten ihre Interessen und Perspektiven vertreten können, kann in der Praxis selten gut bzw. in ausreichender Sorgfalt entsprochen werden. Dies liegt schon im Rahmen der Vorbereitung eines Hilfeplangesprächs begründet, das sich nicht selten wie nachfolgend darstellt: Zur Vorbereitung des Hilfeplangesprächs erstellt die betreuende Einrichtung einen Bericht, der die aktuelle Situation des jungen Menschen in verschiedenen Lebenskontexten darstellt. Dieser nimmt im Idealfall Kenntnis vom Inhalt des Berichts und äußert sich hierzu, sodass seine Anmerkungen einfließen können. Der Bericht wird dann den zuständigen SachbearbeiterInnen des Jugendamtes zur Vorbereitung des Hilfeplangesprächs zur Verfügung gestellt. Die Eltern sind oft nicht mit dem Inhalt des Berichts vertraut. Die darin definierten oder daraus zu entnehmenden Entwicklungsfelder und möglichen Ziele bilden zwar die Grundlage des Gesprächs für die weitere Hilfeplanung, spiegeln jedoch regelmäßig mehr die Perspektive 381 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann der Fachkraft als die der jungen Menschen oder deren Eltern wider. Die im KJSG geforderte und fachlich gewünschte Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und auch deren Eltern gerät in diesem Kontext häufig nicht ausreichend in die Umsetzung. Und so dreht sich zu Recht die fachliche Diskussion weiterhin um die Diskrepanz zwischen geforderter Beteiligung von jungen Menschen und deren Familien in der Hilfeplanung und der alltäglichen Realität, die ernst zu nehmende Beteiligung vermissen lässt (vgl. Graßhoff 2022). Wie schafft man es also, aus (gefühlter) Fremdbestimmung im Hilfeplanprozess in einen Modus zu gelangen, der Kinder und Jugendliche und deren Familien in die Lage versetzt, eigene, intrinsisch motivierte Ziele zu formulieren und auszuhandeln? WirkMit! in der Vorbereitung zum Hilfeplangespräch - ein Beispiel In dem nachfolgenden Beispiel geht es um einen siebenjährigen Jungen, der eine Tagesgruppe besucht. Er lebt mit seiner Mutter und Schwester in einem Haushalt. Der Vater lebt im Ausland und ist für den Jungen nicht präsent. In der Vorbereitung zum anstehenden Hilfeplangespräch setzte die pädagogische Fachkraft die Methode WirkMit! ein. Hierbei legte sie Wert auf eine multiperspektivische Betrachtung der Befindlichkeit des Kindes und möglicher Entwicklungsfelder. Eine Einordnung des Kindes in den 16 dargestellten Lebensbereichen wurde aus der Perspektive des Kindes getroffen, zudem nahmen sowohl die Mutter als auch die Fachkraft ihre Einschätzung hinsichtlich der Aussage „In den folgenden Bereichen läuft mein Leben in den letzten Wochen so, wie ich es mir wünsche“ vor. Die pädagogische Fachkraft schildert zunächst, dass sich sowohl der Junge als auch die Mutter sehr gut auf das Setting einlassen konnten. Der Junge verlor nach kurzer Zeit seine anfängliche Zurückhaltung und entwickelte gegenüber den Materialien schnell Neugier. Als die Fachkraft ihm erklärte, dass ein Hilfeplangespräch mit dem Jugendamt ansteht und es ihr wichtig ist zu erfahren, wie es ihm gerade geht und was ihm wichtig ist, um seine Wünsche beim Jugendamt platzieren zu können, war der Junge hochmotiviert. Zudem genoss er es sichtlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen und seine Sicht der Dinge darstellen zu können. Er formulierte nachfolgende Entwicklungsziele für das anstehende Hilfeplangespräch: 1. Ich möchte lernen, besser zuzuhören, d. h. z. B. warte ich mit dem Sprechen, bis jemand zu Ende gesprochen hat. Ich möchte außerdem, dass die anderen Kinder ebenso darauf achten, wenn ich spreche. Dies kann ich ihnen freundlich sagen, wenn sie mir dazwischenreden. (CAP 5 - Kommunikation) 2. Ich möchte lernen, mir mein Pausenbrot morgens selbst zu schmieren. (CAP 9 - Eigenständigkeit und praktische Vernunft) 3. In der Schule werde ich manchmal beim Spielen ausgeschlossen. Ich würde mir wünschen, dass die Tagesgruppe mit meiner Lehrerin spricht und wir gemeinsam überlegen, wie ich Freunde finden kann. (CAP 10 - Teilhabe an Gemeinschaft und Gesellschaft) Die Erfahrung des Jungen, seine Wünsche und Bedürfnisse mithilfe der Methode formulieren zu können, machten ihn stolz und stärkten sein Selbstbewusstsein. Dazu muss man wissen, dass der Junge im Alltag Schwierigkeiten hat, seinen Bedürfnissen angemessen Ausdruck zu verleihen. Der spielerische und symbolhafte Ansatz der Methode verliehen ihm die Fähigkeit, seine Anliegen zu verdeutlichen und eigene Ziele für das anstehende Hilfeplangespräch zu formulieren. 382 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann Abb. 3: Einschätzungen junger Mensch 383 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann Abb. 4: Einschätzungen Mutter 384 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann Auch die Mutter konnte sich gut auf WirkMit! einlassen und empfand die Methode als sehr hilfreich. Während sie ihrem Kind bei der Einschätzung zusah, erlebte sie dieses als sehr konzentriert, überlegt und konnte die Ressourcen ihres Kindes erkennen. Die Mutter benannte, dass die Methode ihr geholfen habe, sich zu sortieren, und stellte fest, dass sich ihr Kind in einer positiven Entwicklung befindet. Sie hatte vorher einen sehr defizitorientierten Blick auf ihren Sohn und war auf die „schlechten Eigenschaften“ des Kindes fokussiert. Durch WirkMit! war es ihr möglich, wieder mehr die positiven Eigenschaften und Ressourcen ihres Kindes zu erkennen. Darüber hinaus fand sie es bemerkenswert, dass es in der Bewertung des Kindes und der eigenen Einschätzung durchaus Übereinstimmungen gab. Auch die Mutter konnte drei Ziele für ihr Kind formulieren: 1. Mein Kind lernt, sich auch in schwierigen Situationen mitzuteilen. (Ebenfalls CAP 5) 2. Mein Kind erlernt einen besseren Umgang mit belastenden Situationen (bisher Rückzug, Aggression, Gewalt). (CAP 3) 3. Mein Kind respektiert die Wünsche seiner großen Schwester, insbesondere, wenn sie ihre Ruhe möchte. (CAP 15) Im Anschluss war eine gemeinsame Reflexion möglich, wie die Unterstützungsmöglichkeiten der Mutter und weiterer Beteiligten aussehen könnten. Das gemeinsame Wirken und sich aufeinander einlassen Können taten Mutter und Kind sichtlich gut. In den Gesprächsverlauf floss auch die Perspektive der Fachkraft mit ein. Auch sie führte WirkMit! durch und machte ihre Einschätzung der Befindlichkeit des Jungen in den einzelnen Caps transparent (siehe Abb. 5). Die Fachkraft beschrieb die Erfahrung, die Wahrnehmungen des Kindes, der Mutter und der Fachkraft nebeneinander sehen zu können, als sehr förderlich für den weiteren Prozess: (1) Voneinander abweichende Figur-Positionen machten diese Unterschiede besprechbar und ermöglichten allen Beteiligten, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Teilweise ergaben sich neue Aspekte, die in die weitere Arbeit mit dem Kind und der Mutter mit einfließen konnten bzw. werden - so z. B. die Stärkung des ressourcenorientierten Blicks der Mutter auf ihr Kind und das Bedürfnis des Kindes nach Selbstständigkeit und Zugehörigkeit. (2) In diesem Fall verzichtete die Fachkraft auf die Formulierung von Zielen: Der Prozess zwischen der Mutter und dem Kind war so konstruktiv und zugewandt, dass es keines eigenen Beitrags seitens der Fachkraft bedurfte. (3) Mutter und Kind waren für das bevorstehende Hilfeplangespräch gut vorbereitet, sich ihrer Anliegen und Bedürfnisse im Klaren und waren somit in der Lage, diesen verbal und bildlich Ausdruck zu verleihen. (4) Die Rolle des Jugendamtes und die der zuständigen Fachkraft rückten in den Hintergrund und die AdressatInnen erlebten sich mit ihren Zielen und Wünschen als proaktive und autonome GestalterInnen ihrer Hilfe bzw. ihres Lebens. Um die durch WirkMit! gewonnenen Erkenntnisse und Ziele für das Hilfeplangespräch auch in entsprechender Berichtsform abbilden zu können, evaluieren wir auf Basis der Caps die Wirkung unserer Hilfen mittels EVAS. Es handelt sich hierbei um ein pädagogisches Fachverfahren des IKJ, wodurch Einrichtungen der Erziehungshilfe ihre sozialpädagogische Diagnostik sowie ihre Hilfe- und Erziehungsplanung strukturieren und fachlich weiterentwickeln können. In diesem Prozess stehen wir kurz vor der Verabschiedung einer neuen Berichtvorlage, die durch die Verknüpfung mit EVAS gleichzeitig die strukturelle Verankerung von WirkMit! in unserer Einrichtung nach sich zieht. Zentrale Bausteine sind auch hier: a) die Struktur der Capabilities aufzugreifen, b) die Transparenz bzw. das Abbilden der Sichtweisen aller Beteiligten. 385 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann Abb. 5: Einschätzungen Fachkraft 386 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann WirkMit! in der Caritas Jugendhilfe - Beteiligtsein ist die Voraussetzung dafür, andere Menschen zu beteiligen Wir, die Caritas Jugendhilfe gGmbH, haben uns gemeinsam mit einem anderen großen Träger und dem Jugendamt in Wiesbaden im Jahr 2022 dazu entschieden, die Methode WirkMit! als zentrale Beteiligungsmöglichkeit für Kinder, Jugendliche und deren Familien zukünftig in unserer pädagogischen Arbeit einzusetzen. Eine Kultur der Beteiligung kann nicht eindimensional gedacht werden. In einem zirkulären Verständnis sozialer Einrichtungen können PädagogInnen junge Menschen und deren Familien nur dann ressourcenorientiert fördern, wenn sie diese Förderung auch selbst erfahren und sich in Beteiligungsstrukturen als wirksam erleben (vgl. Winkelmann 2020). Eine Leitungskultur, die Beteiligung in Kontexten der Jugendhilfe einfordert und selbst keine Beteiligung ermöglicht, wirkt unglaubwürdig und provoziert Widerstand. Unser Ziel war und ist, in einen gemeinsamen Entwicklungs- und Gestaltungsprozess einzutreten, der Raum für eigene Erfahrungen bietet, Vertrauen schafft und die Potenziale von WirkMit! in einen lebendigen fachlichen Diskurs bringt. Das mehrere Module umfassende WirkMit! - Fortbildungsprogramm des IKJ wurde für und mit uns so modifiziert, dass es zu unserem Bedarf passt, unsere MitarbeiterInnen fachlich abholt und sie sich die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von WirkMit! erschließen können. Im Januar 2023 machten wir den ersten Aufschlag mit einer Kick-Off-Veranstaltungsreihe, die allen MitarbeiterInnen eine Teilnahme in überschaubarer Gruppenstärke ermöglichte. Im Nachgang gingen die Arbeitsmaterialien von WirkMit! in die verschiedenen Arbeitsbereiche, um die Methode in einem sicheren Rahmen ausprobieren zu können. Im nächsten Schritt gab es das Angebot, sich mit der Methode hinsichtlich der Themen Hilfeplanung und Fallbesprechung auseinanderzusetzen und Raum für Erfahrungsaustausch, Bedenken und Fragen zu öffnen. In dieser frühen Phase der Implementierung von WirkMit! spielten die Aspekte Vertrauen und Befähigung eine zentrale Rolle. Besonders interessant in diesem Zusammenhang war die Methode „kill your company“, in der eine Hypothesenbildung darüber erfolgte, was nötig wäre, um eine erfolgreiche Etablierung von WirkMit! in unsere Einrichtung zum Scheitern zu bringen: Abb. 6: Die Capabilities im Sachstandsbericht 387 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann MitarbeiterInnen vk Leitung: ➤ MitarbeiterInnen werden zur Anwendung gezwungen ➤ MitarbeiterInnen werden in die weitere Entwicklung nicht eingebunden ➤ AnfängerInnen werden fachlich nicht abgeholt ➤ Bedarfe der MitarbeiterInnen werden nicht gehört ➤ Unsicherheiten im Umgang werden nicht ernst genommen Junger Mensch vk Fachkraft: ➤ Junge Menschen werden zur Teilnahme gezwungen ➤ Jungen Menschen wird vermittelt, dass ihre Perspektive falsch ist ➤ Das Timing für WirkMit! wird ohne Rücksprache mit dem jungen Menschen gesetzt ➤ Der Fokus liegt auf den Defiziten des jungen Menschen ➤ Der junge Mensch bekommt das Gefühl, dass kein Interesse an seiner Perspektive besteht Somit hatten wir schon mal eine „profunde Anleitung“, wie das Projekt ganzheitlich misslingen könnte. Die „Verschlimmerungsfrage“ war für alle Beteiligten sehr aufschlussreich und führte zu einem sehr transparenten und konstruktiv-kritischen Austausch über Bedenken, Stolpersteine, Gelingensfaktoren und Handlungsmaximen. Wenige Wochen später hatten wir uns ein Feedback bei VertreterInnen aller 13 teilstationären und stationären Gruppen eingeholt und feststellen können, dass WirkMit! in der Zwischenzeit in allen Gruppen angekommen ist und seitens der Kinder, Jugendlichen und der Teams als positiv bis sehr positiv erlebt wird. „Zum Redaktionsschluss liegen drei große Linien vor uns: 1. Die Fortsetzung der im bisherigen Implementierungsprozess etablierten Reflexionsschleifen - insbesondere die mit den jungen Menschen. 2. Die Pflege unserer kollegialen Lernprozesse, um die Potenziale von WirkMit! in ihrer Breite und Tiefe für und mit unseren Kindern, Jugendlichen und Familien nach und nach voll auszuschöpfen. 3. Die Erprobung und ggf. Etablierung von WirkMit! im Rahmen von Hilfeplangesprächen, Auftragsklärung und Fallverstehen.“ Ein Anfang ist gemacht - und er macht Lust auf mehr. Wir sind davon überzeugt, dass es sich lohnt, die Beteiligung aller ernst zu nehmen, zu Fragen und Kritik einzuladen und in einen gemeinsamen Diskurs zu gehen. WirkMit! ist für uns ein wertvoller Bestandteil unseres Methodenkoffers, Kinder und Jugendliche im und am pädagogischen Alltag zu beteiligen und sie zu Teilhabe zu befähigen. Das möchten wir erreichen - und zwar gemeinsam! Fazit Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe ist eine komplexe und lohnende Herausforderung. Als Leitgedanke muss gelten, dass Partizipationsangebote adressatInnengerecht zu gestalten sind. Beteiligungsangebote, die Ausschluss und Ohnmacht provozieren und in eine Überforderung münden, wirken kontraproduktiv. Wer junge Menschen und deren Familien beteiligen will, hat dafür Sorge zu tragen, dass die Beteiligungsform Selbstwirksamkeit und soziale Teilhabe ermöglicht. Dieses Handlungsprinzip gilt auch in der Kinder- und Jugendhilfe. Geringe Beteiligung von Kindern, Jugendlichen oder deren Eltern im Hilfeprozess oder im pädagogischen Alltag ist nicht automatisch gleichzusetzen mit mangelndem Interesse. Vielmehr lohnt die Überlegung, wie adäquate Beteiligungsangebote, die sich an den Bedarfen und Fähigkeiten der AdressatInnen orientieren, weiter ausgebaut und gefestigt werden können. Diese Überlegung ist gerade auch hinsichtlich der Vorbereitung einer Ge- 388 uj 9 | 2023 Wie Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe gelingen kann samtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe in einem inklusiven SGB VIII, die mit der Umsetzung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes eingeleitet wird, weiterzuführen. Es muss darum gehen, dass jungen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung vielfältige, adäquate Beteiligungsmöglichkeiten geboten werden, um sich und ihren Bedarfen Ausdruck zu verleihen und sich in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen als wirksam zu erleben. WirkMit! kann als ein Beispiel dafür gelten, wie Beteiligung niedrigschwellig und vielseitig stattfinden kann und verdeutlicht, welcher Mehrwert für alle Beteiligten entsteht, wenn Beteiligungsangebote adressatInnenorientiert erfolgen. Soziale Organisationen, die Beteiligungsangebote für junge Menschen und deren Eltern erfolgreich implementieren möchten, sind hierbei auf die Bereitschaft ihrer MitarbeiterInnen angewiesen. Um Kooperation und Partizipation mit den AdressatInnen im pädagogischen Alltag erreichen zu können, bedarf es einer Beteiligungskultur in der Organisation, welche alle in ihr handelnden Personen mit einschließt. Für alle Beteiligten gilt gleichermaßen: Capabilities können sich dort entfalten und wachsen, wo die entsprechenden Kontextressourcen zur Verfügung stehen und abgerufen werden können. Die gesellschaftliche Verantwortung für das Verfügbarmachen muss deshalb mitdiskutiert werden. Claudia Eichenberg Caritas Jugendhilfe gGmbH Idsteiner Str. 105 65193 Wiesbaden E-Mail: claudia.eichenberg@cjh-wiesbaden.de Literatur Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2020): 16. Kinder- und Jugendbericht. In: https: / / www.bmfsfj.de/ bmfsfj/ service/ publi kationen/ 16-kinder-und-jugendbericht-162238, 22. 6. 2023 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2021): Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG). In: https: / / www.bmfsfj.de/ bmfsfj/ service/ gesetze/ neues-kinder-und-jugendstaerkungsgesetz- 162860, 22. 6. 2023 Deutsches Jugendinstitut (DJI) (o. J.): Geschäftsführung 17. Kinder- und Jugendbericht. In: https: / / www.dji.de/ ueber-uns/ projekte/ projekte/ 17-kinder-und-jugend bericht/ beteiligungsverfahren.html, 22. 6. 2023 Graf, G., Babic, B., Germes Castro, O. (2013): Der Capability Approach als Ansatz zur Stärkung der Adressatenperspektive in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Graf, G., Kapferer, E., Sedmak, C. (Hrsg.): Der Capability Approach und seine Anwendung. Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen erkennen und fördern. Fachverlag Springer, Wiesbaden, 177 - 200 Graßhoff, G. (2022): Partizipation in der Hilfeplanung. In: Peyerl, K., Züchner, I. (Hrsg.): Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe. Anspruch, Ziele und Formen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Beltz, Weinheim/ Basel, 167 - 176 Helming, E. (2017): Konstruktiv mit Eltern kooperieren: eine Herausforderung für Fachkräfte und erzieherische Hilfen. Forum Erziehungshilfen 23 (4), 196 - 201 Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) (o. J.): Wirk- Mit! In: https: / / ikj-mainz.de/ wirkmit/ , 22. 6. 2023 Pluto, L. (2007): Partizipation in den Hilfen zur Erziehung. Eine empirische Studie. Deutsches Jugendinstitut, München Rohrmann, A. (2022): Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigung. In: Peyerl, K., Züchner, I. (Hrsg.): Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe. Anspruch, Ziele und Formen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Beltz, Weinheim/ Basel, 40 - 54 Schnurr, S. (2022): Zur Bedeutung von Partizipation für die Kinder- und Jugendhilfe. In: Peyerl, K., Züchner, I. (Hrsg.): Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe. Anspruch, Ziele und Formen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Beltz, Weinheim/ Basel, 14 - 25 Winkelmann, I. (2020): Systemisch-ressourcenorientiertes Arbeiten in der Jugendhilfe. Carl-Auer Verlag, Heidelberg
