eJournals unsere jugend 76/10

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2024.art56d
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2024
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Zur Relevanz von qualifizierter Elternarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe

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2024
Bodo Albert
Herbert A. Winkens
In der fachlichen Debatte über die Rolle von Eltern mit Kindern in der Jugendhilfe besteht bereits seit vielen Jahren ein breiter Konsens, dass eine gute Kooperation zwischen ihnen und den Akteur:innen des Hilfesystems entscheidend für gelingende Entwicklungsverläufe der Kinder ist. Gelingt diese Zusammenarbeit nicht ausreichend, kann dies für alle Beteiligten gravierende Folgen haben.
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431 unsere jugend, 76. Jg., S. 431 - 435 (2024) DOI 10.2378/ uj2024.art56d © Ernst Reinhardt Verlag Zur Relevanz von qualifizierter Elternarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe Oder „Eulen nach Athen tragen“ In der fachlichen Debatte über die Rolle von Eltern mit Kindern in der Jugendhilfe besteht bereits seit vielen Jahren ein breiter Konsens, dass eine gute Kooperation zwischen ihnen und den Akteur: innen des Hilfesystems entscheidend für gelingende Entwicklungsverläufe der Kinder ist. Gelingt diese Zusammenarbeit nicht ausreichend, kann dies für alle Beteiligten gravierende Folgen haben. von Bodo Albert Dipl.-Sozialarbeiter, Systemischer Familienberater, Verwandter, Vormund und später Erziehungsstelle eines Jungen in Fremdunterbringung, Pädagogische Fachkraft in den Hilfen zur Erziehung, Erziehungsstellenberater Handelt die Jugendhilfe nach dem Motto „Ab jetzt übernehmen wir“ und bekommen die Eltern nicht die Unterstützung, die sie benötigen, hat dies häufig den Rückzug aus dem Leben ihrer Kinder oder Widerstand gegen die Maßnahme zur Folge, verbunden mit Gefühlen von Trauer, Angst und Wut wegen des Verlustes an Bedeutung für ihre Kinder und der Übermacht der Institutionen der Jugendhilfe. Für die Kinder und Jugendlichen bedeutet dies eine geringere Präsenz ihrer Eltern in ihrem Leben, das Gefühl, nicht wichtig für sie zu sein und nicht von ihnen geliebt zu werden. Oder es bedeutet, in immer noch so sehr unterschätzte Loyalitätskonflikte zu geraten, wenn Pädagog: innen und Eltern nicht miteinander, sondern übereinander reden und gegeneinander agieren. Die Frage ist dann, was alle erzieherischen Anstrengungen bewirken können, wenn das Kind in den mehr oder weniger offenen Kämpfen zwischen den pädagogischen Fachkräften und seinen Eltern zerrieben wird, hin- und hergerissen von der Frage, mit wem das Kind loyal sein soll, wer nun Recht oder Unrecht hat bzw. der oder die Schuldige oder Unschuldige an den vorliegenden Problemen ist. Für misslingende Kooperation zahlen aber auch die betreuenden Pädagog: innen, die diesbezüglich oft vergessen werden, einen Preis: Prof. Dr. Herbert A. Winkens Supervisor M. Sc. Familientherapeut, Gestalttherapeut, Dipl.-Sozialpädagoge, Trauma- Fachberater, Professur Soziale Arbeit an der FOM - Standort Aachen und Düsseldorf, Geschäftsführer des Kölner Praxisinstituts für die Jugendhilfe „Grüne Grenze“ 432 uj 10 | 2024 Qualifizierte Elternarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe Auseinandersetzungen mit den Eltern kosten Kraft und Motivation und werden von vielen Fachkräften als anspruchsvoll und anstrengend beschrieben. Zu sehen, dass die Kinder und Jugendlichen, die man so intensiv betreut, hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, erscheint sehr unbefriedigend. Seit 30 Jahren und Bestehen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes hat der Gesetzgeber unter anderem aus den genannten Gründen die Eltern mit starken (Mitsprache-)Rechten ausgestattet, auch wenn ihre Kinder nicht bei ihnen, sondern in einer Wohngruppe oder Pflegefamilie aufwachsen. Trotz des Einvernehmens über die Bedeutung einer guten Kooperation und der starken Elternrechte, die nicht zuletzt verfassungsrechtlich im Art. 6 GG garantiert werden, wird in der Fachöffentlichkeit regelmäßig die defizitäre Umsetzung dieser Notwendigkeit in der Praxis kritisiert. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern trotz ihrer hohen Bedeutung für die Familien häufig nur ausgesprochen unzureichend gelingt. Was Jugendhilfe tun kann, um eine gelingende Kooperation mit den Eltern zu gewährleisten oder zumindest zu verbessern, darüber ist sehr viel bekannt. Würde dieses fundierte und einfach zugängliche Wissen stärker in der Praxis genutzt, wäre sehr viel für die Familien erreicht. Hier sei nur auf die Forschungsergebnisse des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) oder die grundlegenden Arbeiten von Marie Luise Conen (2019) hingewiesen. Ein Misslingen der Kooperation stellt eine massive Gefährdung der kindlichen Entwicklung und des Wohls des Kindes dar. Die Defizite lassen sich nicht nur auf die mangelnde Bereitschaft der Eltern zurückführen. Es handelt sich auch um das Unterlassen und Handeln bis hin zum gelegentlichen Versagen der Akteur: innen des Jugendhilfesystems - seit Jahrzehnten. Das Kernanliegen dieses Beitrages ist es daher, der Frage nachzugehen, wie sich der Graben zwischen der Notwendigkeit guter Zusammenarbeit und der hinterherhinkenden Praxis, wie sich die chronische Vernachlässigung der Eltern reduzieren lässt. Rechtlich und methodisch sind wir gut aufgestellt. Wir haben also lediglich ein Umsetzungsproblem. Die rechtlichen Vorgaben und unser sozialpädagogisches Wissen und Können müssen endlich umfassender bei den Familien ankommen. Neben der breiter gewordenen Debatte um die Mitsprachemöglichkeiten der Eltern stellt sich die Frage, wie es um die Unterstützung der Eltern jenseits des Umgangs mit ihren Kindern und dem Träger bestellt ist. Eine mögliche Rückkehr oder auch dem Kindeswohl dienliche Kontakte sind nicht nur durch psychosoziale Faktoren begrenzt. Dass Kinder nicht in ihrer Familie aufwachsen können, ist in aller Regel die Folge vielfältiger Problemlagen und mangelnder sozialer Teilhabemöglichkeiten. Der Zusammenhang von Armut und der Wahrscheinlichkeit der Fremdunterbringung eines Kindes sind gut belegt. Eine für unseren Arbeitsmarkt unzureichende Bildung, mangelnde oder prekäre Arbeitsverhältnisse, eine schwierige Wohnsituation, biografische psychosoziale Belastungen einschließlich Traumatisierungen und gesundheitliche Probleme bei eingeschränktem Zugang zum Gesundheitssystem sind weitere Hindernisse, seine Kinder selbstständig großziehen zu können. Auch in diesem Bereich muss sich die Jugendhilfe die Frage stellen, wie es gelingen kann, der Verantwortung gerecht zu werden und soziale Ausgrenzungen abzubauen, um dem rechtlichen Anspruch zu genügen. Gesetzlicher Anspruch Erste Adressat: innengruppe der „Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und Hilfe für junge Volljährige“ (§ 27 - § 41 SGB VIII) sind junge Menschen, bei denen eine ihrem Wohl entsprechende Pflege und Erziehung nicht gewährleistet ist. Ziel des Gesetzes ist es, diesen jungen Menschen durch geeignete Hilfen zu ermög- 433 uj 10 | 2024 Qualifizierte Elternarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe lichen, sich zu einer „selbstbestimmten, eigenverantwortlichen, und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 1 (1) SGB VIII) entwickeln zu können. Eine weitere Adressat: innengruppe sind die Personensorgeberechtigten (§27 (1) SGB VIII), also in der Regel die Eltern dieser jungen Menschen. Schaffen Eltern es nicht allein, eine dem Wohl ihrer Kinder entsprechende Pflege und Erziehung zu gewährleisten, haben sie das Recht, Sozialleistungen in Form von Hilfen zur Erziehung in Anspruch zu nehmen. Art 6 (2) unseres Grundgesetzes, der aufgrund seiner elementaren Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfe in § 1 (2) Satz 1 wörtlich wiederholt wird, garantiert für zunächst einmal alle Eltern: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern […]“. Damit ist das Verhältnis der Rechte von Eltern und Jugendhilfe zunächst einmal eindeutig geordnet. Das Grundgesetz ermöglicht den Eltern mit dem Elternrecht in seiner abwehrrechtlichen Funktion grundsätzlich„frei von staatlichem Einfluss nach eigenen Vorstellungen darüber [zu] entscheiden, wie sie ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen“ (Münder et al. 2022, 97, Abs. 10). Die Kinder- und Jugendhilfe hat „nur ein von den Eltern bzw. Personensorgeberechtigten abgeleitetes, nachrangiges Erziehungsrecht“. Die „pädagogischen Fachkräfte der Erziehungshilfe leiten ihre eigenen Befugnisse gegenüber den Kindern und Jugendlichen von deren Eltern ab. Sie müssen aufgrund dessen den Gehalt des primären Erziehungsrechtes der Eltern im Zuge ihrer Arbeit stets berücksichtigen und beachten“ (Münder et al. 2022, 97, Abs. 10). Kommt ein Kind in eine Wohngruppe oder Pflegefamilie und sind die Eltern personensorgeberechtigt, bleibt ihnen nach wie vor das primäre Erziehungsrecht. Sowohl bei der Entscheidung über eine geeignete Hilfe als auch über deren Fortschreibung und Ausgestaltung sieht der Gesetzgeber die Eltern nicht am Rande des Prozesses, sondern neben ihren Kindern mittendrin bei der Problemdefinition, dem Abwägen und Treffen von wesentlichen Entscheidungen rund um die Erziehung ihres Kindes. Hierauf verweist auch § 9 SGBV III (Grundrichtung der Erziehung). Er bestimmt, dass „bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgabe […] die von den Personensorgeberechtigten bestimmte Grundrichtung der Erziehung […] zu beachten“ ist. Wie dies in der Praxis auszugestalten ist, wird in den Paragrafen § 36 und § 37 SGB VIII konkretisiert. Der § 36 (Mitwirkung, Hilfeplan) führt aus, auf welchem Wege eine notwendige und geeignete Hilfe gefunden und regelmäßig fortgeschrieben werden soll. Zunächst einmal sind unter anderem die Eltern bezüglich der Maßnahme zu beraten, wobei sicherzustellen ist, dass dies in einer „verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form“ erfolgt. Weiterhin soll zusammen mit den Personensorgeberechtigten (und weiteren Beteiligten) ein Hilfeplan erstellt werden. Auch hier werden den Fachkräften der Jugendhilfe in keiner Weise größere Beurteilungs- oder Entscheidungsbefugnisse eingeräumt als den (sorgeberechtigten) Eltern. Die Entscheidungen sind somit auf Augenhöhe zu vereinbaren. Ob dies in der Praxis am Tisch im Besprechungsraum der Wohngruppe immer ganz einfach ist oder nicht: die Aufforderung dieses Gesetzes ist es, basisdemokratisch Vereinbarungen zum Wohle des Kindes zu organisieren. § 37 (Beratung und Unterstützung der Eltern, Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie) regelt, welche Rechte Eltern haben, wenn ihr Kind nicht mehr bei ihnen in der Familie lebt. Ob die Unterbringung vorübergehend oder dauerhaft angelegt ist, ob die Eltern die Personensorge innehaben oder nicht: Eltern haben „einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung, sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind“. In den beiden Paragrafen finden sich einige unbestimmte Rechtsbegriffe, die auslegungsbedürftig sind. Wann genau kann man davon sprechen, dass der Hilfeplan „zusammen“ vereinbart wurde? (Spontan würde ich sagen: wenn alle Beteiligten auch außerhalb des offiziellen 434 uj 10 | 2024 Qualifizierte Elternarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe Rahmens in vertrauterer Runde sagen, dass sie die getroffenen Entscheidungen nachvollziehen und mittragen können). Zwischen den Behörden bzw. Fachkräften auf der einen Seite und den hilfebedürftigen Eltern auf der anderen Seite besteht ein erhebliches Wissens- und Machtgefälle. Hier besteht ein weites Feld zwischen „Zusammenarbeit“ und „Bevormundung.“ Auch wann der Anspruch der Eltern auf „Beratung und Unterstützung“ als erfüllt angesehen werden kann, bietet viel Raum für unterschiedliche Sichtweisen. Was bedeutet „Förderung der Beziehung zu ihrem Kind“? Heißt das, dass die Eltern einmal im Monat in den Zug steigen, um mit ihrem Kind eine Stunde in einem kargen Raum des Jugendamtes verbringen zu müssen, unter der Aufsicht der Pädagog: innen? Oder bedeutet Beziehungsförderung, dass gemeinsame Ausflüge organisiert werden, bei denen sich alle Beteiligten wohlfühlen können? Hier stellt sich die große Frage, über wie viel Definitionsmacht und Gestaltungsmöglichkeiten Eltern gegenüber den Fachkräften und Einrichtungen verfügen. Eine weitere entscheidende Frage zur rechtlichen Stellung der Eltern von fremduntergebrachten Kindern lautet, wer aufgefordert ist, sich um die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zu kümmern. Haben die Eltern diese Rechte erst, wenn sie sie beantragen oder einfordern? Oder wendet sich das Gesetz an die Jugendämter und gibt ihnen die Verantwortung, sich darum zu kümmern, dass die Eltern nicht vergessen werden? Anders ausgedrückt: Besteht eine Komm! -Struktur (Aktivwerden auf Antrag) oder eine Geh! -Struktur, also der Auftrag, auf die Eltern zuzugehen und sie aktiv mit einzubinden, auch wenn es den Eltern schwerfällt, weil sie den Behörden und Einrichtungen der Jugendhilfe gegenüber Vorbehalte haben (z. B. aufgrund schlechter Erfahrungen, weil sie sich für ihre Situation schämen oder nicht mehr daran glauben, dass sie über ein Mitspracherecht verfügen)? Zu dieser Frage wird man im zweiten Absatz (Satz 1) des § 37 fündig. Hier heißt es: „Bei den in Absatz 1 Satz 1 genannten Hilfen soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Zusammenarbeit der Pflegeperson oder der in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Person und der Eltern zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen durch geeignete Maßnahmen fördern.“ Es reicht also nicht aus zu warten, bis die Eltern zum Mobiltelefon greifen. Der Träger ist gefordert, aktiv auf die Eltern zuzugehen. (Aus unserer Sicht wäre es sehr wünschenswert gewesen, wenn mit normiert worden wäre, dass auch alles zu unterlassen sei, was eine gute Zusammenarbeit erschwert.) Warum wurde vom Gesetzgeber so viel Wert auf die Mitsprache der Eltern gelegt? Ist ihm nicht klar, vor welche Herausforderungen er die Mitarbeiter: innen der Jugendhilfe stellt, wenn diese Vorgaben umfänglich umgesetzt würden? Neben dem verfassungsrechtlichen Elternrecht „hilft eine gelingende Zusammenarbeit aus Sicht des Kindes oder Jugendlichen, Loyalitätskonflikte zu vermindern, und berücksichtigt bestehende Bindungen und Beziehungen, sie nutzt die Ressourcen von Eltern und Pflege-/ Erziehungspersonen bei der Erziehung“ (Münder et al. 2022, 512, Abs. 9). Zu beachten ist, dass es sich hier um das Rechtsverhältnis von Eltern und dem Jugendamt bzw. demTräger der Maßnahme handelt. Dies beinhaltet keine Verpflichtung des Kindes gegenüber seinen Eltern. In keiner Norm ist festgehalten, dass das Kind hier irgendwelchen Ansprüchen genügen muss. Auch im BGB ist lediglich das Recht des Kindes auf Umgang mit den Eltern normiert, nicht aber die Pflicht (§ 1684 BGB). Das Kind muss keinen Umgang pflegen, es kann, wenn es möchte. Hier besteht die (sozialpädagogische) Kunst darin zu erkennen, wann ein Kind seine Eltern tatsächlich nicht sehen möchte, wann es ihm Schaden zufügt und wann Gründe für eine Kontaktvermeidung vorliegen, die besser mit dem Kind bearbeitet werden sollten. Die hier beschriebenen Elternrechte haben eine weitere Grenze: die des Kindeswohls. Diese Beschränkung findet ihren Ursprung im Artikel 6 (2) Satz 2 des Grundgesetzes: 435 uj 10 | 2024 Qualifizierte Elternarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihrer Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Die Rechte der Eltern sind nicht unbegrenzt. Sie können aufgrund gesetzlicher Regelungen eingeschränkt werden. Maßgeblich relevant ist hier § 1666 BGB. Das Elternrecht endet dort, wo die gerichtliche Feststellung einer Kindeswohlgefährdung beschlossen wird. Diese Norm kann ein wirkmächtiges Werkzeug in der Hand der Jugendämter sein, auch ohne richterlichen Beschluss. Sind Eltern nicht willens, Vorgaben der Behörden Folge zu leisten, kann mit einer Drohung des gerichtlichen Sorgerechtsentzuges viel Druck ausgeübt werden. Ob die Gerichte der Argumentation der Behörde folgen würden, sei dahingestellt. Die Ängste der Eltern vor einem solchen Verfahren reichen sicherlich häufig aus, um eigene Interessen zurückzustellen. Eine weitere Beschränkung der elterlichen Befugnisse im Alltag ergibt sich zivilrechtlich aus dem § 1688 BGB. Dieser sichert Pflegefamilien und Personen, die die Erziehung und Betreuung von Kindern in stationären Einrichtungen übernehmen, das Recht, Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes zu entscheiden. Diese Alltagssorge umfasst alle Angelegenheiten des täglichen Lebens, die häufig vorkommen und keine irreversiblen oder schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (§ 1687 BGB). Hier muss im Konfliktfall näher bestimmt werden, welche Entscheidungen zur Alltagssorge gehören und welche nicht. Auf die Risiken (und Chancen) des zivilrechtlichen Betreuungsvertrages, der zwischen den Personensorgeberechtigten und den freien Trägern abgeschlossen und ausgehandelt wird, weist Beate Naake (2017) hin. Je nach Ausgestaltung können die Gestaltungsmöglichkeiten der Eltern hier eingeschränkt oder aber auch transparent gestaltet werden. Hier stellt sich die Frage, wer den Eltern bei solchen Angelegenheiten stärkend und beratend zur Seite steht. Resümierend ist festzuhalten, dass Deutschland im internationalen Vergleich bezüglich der Rückführung von fremduntergebrachten Kindern deutlich hinterherhinkt. Das Ziel der Rückführung ist in § 34 KJHG benannt. Mangelnde Rückführung ist kaum ein Thema, ist aber auch heikel. Aufgabe der Fachkräfte sollte es sein, diese Ambivalenz aufzugreifen und mit den ihnen zur Verfügung stehenden fachlichen Mitteln aufzulösen. Bodo Albert E-Mail: balbert_de@yahoo.de Prof. Dr. Herbert A. Winkens E-Mail: info@supervision-jugendhilfe.de Literatur Conen, M. L. (2019): Ohne Herkunftseltern geht es nicht. Lebensperspektiven von Pflegekindern zwischen Herkunftsfamilie und Pflegeeltern. ZKJ Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 9/ 10, 341 - 348 Münder, J., Meysen, T., Trenczek, T. (Hrsg.) (2022): Frankfurter Kommentar SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe. 9. Aufl. Nomos, Baden-Baden Naake, B. (2017): Rechte von Eltern auf Partizipation im Kontext von Heimerziehung. Forum Erziehungshilfen (4), 212 - 216 Praxiskonzepte: Das Konzept der PFIFF-Elternberatung. Beratung und Begleitung für Eltern, deren Kinder in Pflegefamilien leben. www.pfiff-hamburg.de Elternberatung. Ein Angebot zur Beratung von Eltern, deren Kinder nach § 33 SGB VIII in auf Dauer angelegter Vollzeitpflege in Pflegefamilien untergebracht sind. www.pib-bremen.de