unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2024.art64d
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2024
7611+12
Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung
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2024
Carsten Bromann
„Belasten Kinder eine Partnerschaft?“ oder „Sind Kinder Beziehungskiller?“ sind Fragen, die in Elternforen gestellt werden und oft rege Diskussionen auslösen. Hinweise darauf, wie Elternschaft und Partnerschaft zusammenhängen, ergeben sich aus Forschungen und aus den Erfahrungen der Eltern- und Paarberatung. Wie muss eine Erziehungsberatung der Zukunft aussehen, die sowohl die Eltern- als auch die Paarebene umfasst?
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490 unsere jugend, 76. Jg., S. 490 - 502 (2024) DOI 10.2378/ uj2024.art64d © Ernst Reinhardt Verlag Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung „Belasten Kinder eine Partnerschaft? “ oder „Sind Kinder Beziehungskiller? “ sind Fragen, die in Elternforen gestellt werden und oft rege Diskussionen auslösen. Hinweise darauf, wie Elternschaft und Partnerschaft zusammenhängen, ergeben sich aus Forschungen und aus den Erfahrungen der Eltern- und Paarberatung. Wie muss eine Erziehungsberatung der Zukunft aussehen, die sowohl die Elternals auch die Paarebene umfasst? von Carsten Bromann Dipl.-Psychologe, Paar- und Familientherapeut, Gesamtleiter von integrierten AWO- Familienberatungsstellen in der Region Braunschweig, Buchautor, Fort- und Weiterbildner In Deutschland hat sich aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungen eine parallele Struktur von Elternberatung, i. d. R. in Erziehungsberatungsstellen, und Paarberatung, i. d. R. in Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen, entwickelt. Wer in beiden Arbeitsfeldern Erfahrungen sammelt, dem fällt auf, dass sich diese Parallelwelten in den Arbeitsweisen und den Problemlagen sehr ähneln, sodass es naheliegend ist, sich einmal darüber Gedanken zu machen, ob beide Prozesse nicht zusammengehören. Dazu passt das buddhistische Gleichnis von den Blinden und dem Elefanten. In diesem Gleichnis betastet jeweils ein Blinder den Schwanz, den Rüssel, die Beine und andere Körperteile des Elefanten. Die Blinden sprechen über das Tier und haben dabei den Eindruck, jeweils von unterschiedlichen Tieren zu sprechen. Wenn man die Diskussionen und die Literatur zur Elternberatung und zur Paarberatung daraufhin liest, kann man den Eindruck bekommen, dass dieses Gleichnis ein Abbild der derzeitigen Situation ist. In diesem Aufsatz geht es darum, über den „Elefanten“ als Sinnbild für Familien zu sprechen und deutlich zu machen, dass die verschiedenen Eltern- und Paarberatungsansätze doch denselben Gegenstand behandeln. Der Auftrag der Erziehungsberatung wird im Gesetzbuch (SGB VIII, § 28) sehr umfassend formuliert, dass Familien „bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrunde liegenden Faktoren“ unterstützt werden sollen. Um zu verstehen, was die „zugrunde liegenden Faktoren von familienbezogenen Problemen“ sind, werden im Folgenden die Ergebnisse der familienpsychologischen Forschung und die davon abgeleiteten Konzepte, beschränkt auf die Eltern- und Paarebene, kurz dargestellt. Danach wird von einer eigenen Fragebogenerhebung in einer Erziehungsberatungsstelle zu dem Vorkommen von Belastungen auf den Ebenen familiärer Beziehungen berichtet. Anhand der Methode des begehbaren Genogramms wird verdeutlicht, wie eine integrierte Eltern- und Paarberatung aussehen könnte. Abschließend erfolgt eine Diskussion darüber, welche Konsequenzen sich für Forschung und Praxis daraus ergeben sollten. 491 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Familienpsychologische Konzepte und Forschungsergebnisse als Grundlage der Erziehungsberatung „Paare sind die Architekten der Familie“ - so hat Virginia Satir die besondere Bedeutung der Partnerschaft der Eltern für die Entwicklung und das Funktionieren von Familien herausgestellt (Kröger et al. 2008, 3 nach Satir 1972). Bodenmann beschreibt die besondere Wirkung der Paarbeziehung auf die Familie folgendermaßen: „Die Partnerschaft der Eltern ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamten familiären Lebens, da sie nicht nur das Familienklima maßgeblich prägt, Werte, Einstellungen und Verhaltenskodizes definiert, sondern den Kindern im Sinne des Modellernens auch den familiären und dyadischen Alltag vorlebt“ (Bodenmann 2016, 25). Die Familienpsychologie beschäftigt sich intensiv mit einzelnen Aspekten der Familie sowie mit den Wechselwirkungen der einzelnen Teile eines Familiensystems untereinander. Die nachfolgende eigene Abbildung verdeutlicht die Zusammenhänge: Partnerschaften wirken sich stark auf das Befinden der einzelnen Partner: innen aus. Dieser Wirkmechanismus gilt allerdings auch andersherum. Die psychische Gesundheit oder die psychische Erkrankung einer Partnerin bzw. eines Partners beeinflusst die Zufriedenheit in der Partnerschaft. Das Zusammenwirken in einer Partnerschaft steht in engem Zusammenhang mit dem Gelingen der Elternschaft. Mit einer gelingenden Elternschaft gestalten sich die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern für beide Seiten zufriedenstellender. Schließlich wirkt sich die Partnerschaftsqualität auf das Befinden und die psychische Gesundheit der Kinder aus. Partnerschaft und Elternschaft Wie eng hängen Elternschaft und Partnerschaft miteinander zusammen? Wie verändert sich die Paarbeziehung nach der Geburt von Kindern? Bilden zufriedene Partner: innen immer eine gute Elternallianz? Paarbeziehung Elternbeziehung Co-Parenting Entwicklung der Kinder Eltern-Kind-Beziehungen Entwicklung der Erwachsenen Abb. 1: Wechselwirkungen innerhalb eines Familiensystems 492 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Partnerschaftsentwicklung beim Übergang zur Elternschaft Zahlreiche Studien belegen eindeutig, dass nach der Geburt des ersten Kindes, dem Beginn der Elternschaft, die Paarbeziehungsqualität deutlich nachlässt (Schneewind 2010, 163ff ). Die LBS- Familienstudie (Fthenakis et al. 2002), die den Übergang von Paaren zur Elternschaft untersucht hat, kommt eindeutig zum Ergebnis, dass sich mit dem Eintritt in die Elternschaft die Partnerschaft verschlechtert. In der Längsschnittstudie wurden Elternpaare von der Schwangerschaft (letztes Schwangerschaftsdrittel) bis 34 Monate nach der Geburt zu verschiedenen Messzeitpunkten zu ihrer Partnerschaft befragt. Es wurden sowohl Ersteltern als auch Zweiteltern erfasst. Die Partnerschaftszufriedenheit wurde mit dem Partnerschaftsfragebogen (PFB) erhoben. Das Instrument zielt auf das Verhalten der Partner: innen und die Paarinteraktion ab und kann in drei Unterskalen ausgewertet werden. Die Studie konnte auf allen gemessenen Ebenen wie Streitverhalten, Zärtlichkeit/ Sexualität, Kommunikation und generelle Partnerschaftszufriedenheit signifikante Verschlechterungen feststellen (Fthenakis et al. 2002, 84ff ). Die LBS- Familienstudie stellt klar, dass die Verschlechterungen in ca. 60 % der Beziehungen stattfinden. 30 % der Partnerschaften bleiben gleich und 10 % der Partnerschaften verbessern sich. Das führt natürlich zu der spannenden Frage, wie Eltern es schaffen, ihre Partnerschaftszufriedenheit aufrechtzuerhalten oder sogar zu verbessern. Die Studie gibt zu dieser Fragestellung einige Hinweise auf mögliche Zusammenhänge. So wird der Einfluss der Herkunftsfamilie auf die Bewältigung der Geburt des ersten Kindes genauer betrachtet (Fthenakis et al. 2002, 227). Mithilfe des Kindheitsfragebogens von Engfer (Fthenakis et al. 2002, 235) wurden die Kindheitserfahrungen der Paare untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Erfahrung von mangelnder Wärme und Geborgenheit von Frauen in ihren Ursprungsfamilien korreliert mit einer deutlichen Verschlechterung der Partnerschaftszufriedenheit. Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen dem Erleben in der eigenen Kindheit und der Zufriedenheit in der Paarbeziehung erklären? Die Geburt des ersten Kindes löst bei Paaren oftmals eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Kindheit und ihren Ursprungsfamilien aus. Liebevolle Erfahrungen und Erinnerungen von Zuwendung, Wärme und Aufmerksamkeit helfen möglicherweise insbesondere den jungen Müttern, gut in die eigene Elternrolle zu finden und ebenfalls einen zugewandten Kontakt mit ihrem Neugeborenen einzugehen, sodass die Elternschaft zufriedener erlebt wird und vermutlich das Baby ebenfalls zufriedener ist und den Eltern weniger abverlangt. Eigene Erziehungserfahrungen von Kontrolle, Strenge und Kritik erschweren vermutlich das Hineinwachsen in die Elternschaft. Diese Unzufriedenheit mit der eigenen Elternrolle, so ergab die Studie, übertragen insbesondere Frauen in Form eines zunehmenden kritischen Umgangs mit ihrem Partner. Diese Kritik löst eine negative Abwärtsbewertung der Beziehung aus. Verschlechterung Gleichbleibend Verbesserung n Veränderung der Partnerschaft in % 80 60 40 20 0 LBS-Familienstudienergebnisse: Veränderung der Partnerschaft in % Abb. 2: LBS-Familienstudienergebnisse: Veränderung der Partnerschaft (in %) 493 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Aus den Ergebnissen der LBS-Familienstudie lässt sich ablesen, wie wichtig die Auseinandersetzung beider Partner: innen mit ihren Ursprungsfamilien ist, da sie im engen Zusammenhang mit dem Gestalten der Partnerschaft stehen. Partnerschaft und Coparenting Nachfolgend wird erörtert, inwieweit Partnerschaften mit verschiedenen Aspekten von Elternschaft interagieren. Kröger et al. (2008) beschreiben die einzelnen Aspekte einer gelingenden Elternschaft. Die gelingende Elternschaft nennen die Autor: innen Coparenting: „Coparenting - im Deutschen zum Teil auch als Elternallianz bezeichnet - meint im Wesentlichen, dass Eltern ihr Kind gemeinsam erziehen und ob es ihnen gelingt, sich gegenseitig zu unterstützen und harmonisch zusammenzuwirken oder ob sie das erzieherische Handeln des anderen untergraben, ablehnend betrachten und sozusagen zu Gegenspielern werden“ (Kröger et al. 2008, 8). Kröger et al. (2004) haben mithilfe einer Faktorenanalyse des EPF-Fragebogens vier Faktoren identifiziert, inwieweit Elternschaft die Partnerschaft negativ beeinflussen kann. Den ersten Faktor nennen sie Erziehung als Konfliktursache. Der zweite Faktor wird als mangelnde Unterstützung in der Erziehung bezeichnet und weist auf das fehlende Gefühl eines guten Erziehungsteams hin. Der Faktor 3 umfasst die Unzufriedenheit mit der Elternrolle. Abschließend weisen die Autor: innen die globale Belastung der Ehe durch die Elternschaft als Einflussfaktor nach. Zemp und Martensen (2020) haben 23 Studien zum Zusammenhang zwischen Partnerschaftsqualität und Coparenting ausgewertet. Alle Studien wiesen einen mittleren bis teils starken statistischen Zusammenhang zwischen Partnerschaftsqualität und Coparenting nach. Der korrelative Zusammenhang kann in zwei Richtungen interpretiert werden: „Dies bedeutet, dass Eltern in der Erziehung weniger kooperativ und konstruktiv sind, wenn ihre emotionalen Ressourcen durch Partnerschaftsstress absorbiert sind. Demgegenüber stellt eine hohe Qualität und Zufriedenheit in der Partnerschaft eine günstige Ausgangslage für positives Coparenting (gegenseitige Unterstützung, Verbindlichkeit, Vertrauen) dar. Die umgekehrte Wirkrichtung ist aber ebenso denkbar: Gelingendes Coparenting kann die Partnerschaftsqualität positiv beeinflussen, während Coparenting-Konflikte negativ in die Paarbeziehung überschwappen können“ (ebd., 15). In der familienpsychologischen Forschung spricht man von positiven „Spill-Over-Effekten“ (Schneewind 2010, 165ff ), wenn sich die Zufriedenheit in einer Partnerschaft positiv auf die Elternschaft auswirkt. Als negativer Spill-Over- Effekt wird der Einfluss von Unzufriedenheit mit der Partnerin oder dem Partner auf die Elternschaft bezeichnet. Schneewind beschreibt verschiedene Ursachen für einen negativen Spill- Over-Effekt: Ein Partnerschaftskonflikt kann auf die Eltern-Kind-Beziehung umgelenkt werden. Ein sogenanntes Problemkind kann dann den Eltern dazu dienen, die Paarkonflikte zu verdecken. Konflikthafte Elternbeziehungen können allerdings auch für die Kinder negative Vorbildfunktionen aufweisen und im Sinne des Modelllernens zu schwierigen Eltern-Kind-Beziehungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern beitragen. Paarkonflikte können zu sehr unterschiedlichen Erziehungshaltungen beider Eltern führen und die Kinder verleiten, sich zwischen diesen Unterschieden zu positionieren. Dadurch können Kinder leicht in Loyalitätskonflikte geraten. Bei etlichen Eltern wirken sich Partnerschaftskonflikte negativ auf die Elternschaft aus (negativer Spill-Over-Effekt). Es gibt allerdings auch Eltern, die Partnerschaft und Elternschaft gut trennen können („compartmentalization“). Sturge-Apple et al. 2014 (Bodenmann 2016, 180) untersuchten in einer Studie das mütterliche Erziehungsverhalten bei zweijährigen Kindern in Abhängigkeit von der Partnerschaftszufriedenheit. Sie konnten die unzufriedenen 494 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Mütter in zwei Gruppen teilen. Die „Compartmentalization“-Gruppe zeigte deutlich bessere Werte bei Empathiefähigkeit, weniger harscher Erziehung, körperlicher Bestrafung, emotionaler Wärme und Unterstützung als die „Spill- Over-Gruppe“, bei der sich die Partnerzufriedenheit direkt auf das Erziehungsverhalten negativ auswirkt. Daraus ergibt sich die Frage, wie dieser Prozess geschieht, der es einigen Personen gelingen lässt, die Paarkonflikte von der Elternschaft zu trennen, und anderen nicht. Wirkung von Partnerschaft und Coparenting auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen Das psychische Befinden von Kindern und Jugendlichen hängt in starkem Maße von der Beziehung zu ihren Eltern ab. Das Erleben einer positiven Partnerschaft der Eltern wirkt sich positiv auf das Familienklima und das psychische Befinden von Kindern aus. Bodenmann (2016, 158ff ) beschreibt, dass sich bei positiven Interaktionsverhalten von Paaren wie z. B. Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit zeigen, emotionale Selbstöffnung, Versöhnung und Akzeptanz eine positive Wirkung auf Kinder und Jugendliche nachweisen lässt. So entwicklungsfördernd wie die positiven Interaktionsformen von Paaren sich auf Kinder auswirken, so negativ sind verschiedene Formen von Partnerschaftskonflikten für Kinder. Bodenmann (2016) fasst verschiedene Studienergebnisse zu einer eindeutigen Grundaussage zusammen: Destruktive Elternkonflikte wirken sich in einem großen Umfang auf Kinder und Jugendliche auf verschiedenen Ebenen (psychisch, somatisch, im Leistungsverhalten) aus. Bereits bei Föten konnte festgestellt werden, dass destruktive Partnerschaftskonflikte zu heftigen Bewegungen der Föten oder zu Verhärtungen im Bauch der Mütter beitragen. Weiterhin konnte belegt werden, dass Partnerschaftsstörungen während der Schwangerschaft zu vermehrten neurologischen Dysfunktionen, Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensproblemen während der Säuglingsphase und zu mehr Infektionskrankheiten im weiteren Leben führen. Die Wirkung der Partnerschaftsunzufriedenheit erwies sich sogar als stärkerer Prädiktor für kindliche Erkrankungen als kritische Lebensereignisse während der Schwangerschaft. In zahlreichen Studien konnte der Zusammenhang zwischen Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und psychischen Problemen deutlich nachgewiesen werden. 40 bis 50 % der Kinder, die diesen Konflikten ausgesetzt sind, zeigen Verhaltensauffälligkeiten. Kinder, die häufig destruktiven Elternkonflikten ausgesetzt sind, zeigen häufiger externalisierte Störungen wie aggressives, impulsives, oppositionelles und trotziges Verhalten. Bei ihnen kommt häufiger Substanzmissbrauch und Hyperaktivität im Entwicklungsverlauf vor. Kinder, die diesem destruktiven elterlichen Verhalten ausgesetzt sind, weisen weiterhin oftmals internalisierte Störungen auf, z. B. depressive Störungen, Angststörungen, Rückzugsverhalten oder Essstörungen. In einer experimentellen Studie konnte nachgewiesen werden, dass „das Sehen eines Partnerschaftskonflikts dieselben negativen Auswirkungen auf die Konzentrationsleistung hatte, wie das Sehen eines Actionfilms“ (Bodenmann 2016, 173). Langmeyer (2015) hat in einer Studie u. a. untersucht, ob sich Effekte zwischen Coparenting und Verhalten von Kindern feststellen lassen. Langmeyer fasst die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Die Effekte gehen in die Richtung, dass Eltern mit einer besseren Coparentingbeziehung, versehen mit einer guten Kooperation, wenig Konflikten und Differenzen sowie wenig an Triangulation und Untergrabung, seltener von Verhaltensschwierigkeiten ihrer Kinder berichten“ (Langmeyer 2015, 356). Weiterhin hat sie in ihrer Studie die Zusammenhänge zwischen Partnerschaftsqualität, Coparenting und kindlichem Verhalten untersucht und kommt zu folgendem Schluss: „Zudem konnte gezeigt 495 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung werden, dass das Coparenting stark von der Partnerschaftsqualität der Eltern abhängig ist, und dass der Effekt der Partnerschaftsqualität auf das Verhalten des Kindes durch das elterliche Coparenting mediiert wird“ (Langmeyer 2015, 357f ). Fragebogenuntersuchung über das Ausmaß von familiären Belastungsebenen in der Erziehungsberatung Um der Frage nachzugehen, in welchem Ausmaß Klient: innen von Erziehungsberatungsstellen von verschiedenen familiären Belastungsebenen betroffen sind, wurde in dem AWO- Zentrum für Erziehungs- und Familienberatung in Seesen, einer niedersächsischen Kleinstadt, eine Fragebogenuntersuchung durchgeführt (Adameit/ Bromann 2024). Zur Beantwortung der Frage bot sich der Fragebogen von Klemm „Ebenen familiärer Beziehungen“ (2013) an, der in Form einer Checkliste elterliche Stärken und Schwächen erfasst. Die 24 Items des Fragebogens werden von den Eltern in ca. 5 - 7 Minuten selbst ausgefüllt. Der Fragebogen ermöglicht Aussagen hinsichtlich folgender familiärer Belastungsbereiche: Beziehung zum Kind, persönliches Befinden, Partnerschaftszufriedenheit und Sozialkontakte. Jeden der Bereiche kann man dahingehend auswerten, ob kein Bedarf, ein Beratungsbedarf oder ein Therapiebedarf besteht. Damit ein Gesamtscore ermittelt werden kann und die Auswertungsbereiche miteinander verglichen werden können, wurden nur Eltern befragt, die in einer Partnerschaft leben. Beschreibung der Fragebogenerhebung Von April 2022 bis April 2023 wurden allen Klient: innen vor einem Erstgespräch die Fragebögen ausgeteilt, die sie ausgefüllt zurückgeben sollten. Ausgenommen waren Mediations- und Diagnostikanfragen und Jugendberatungen. 129 Fragebögen wurden ausgefüllt. Davon konnten 109 Fragebögen ausgewertet werden. Darstellung der Ergebnisse 69 % der befragten Eltern gaben eine mindestens beratungsrelevante Belastung in der Beziehung zu ihren Kindern an, 73 % der Eltern gaben an, dass sie persönlich sehr belastet sind, sogar 74 % der Befragten sehen ihre Partnerschaft als belastet an und immerhin 61 % klagen über Schwierigkeiten in den Sozialkontakten. Beziehung zum Kind Befinden Partnerschaft Sozialkontakte n Ausmaß Beratungs-/ Therapiebedarf 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Abb. 3: Ausmaß des Beratungs- und Therapiebedarfs (in %) 496 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Diese differenzierte Auswertungsebene verdeutlicht das Ausmaß der Belastung in den einzelnen familiären Ebenen. Dabei wird deutlich, dass der Therapiebedarf sogar höher ist als der Beratungsbedarf, insbesondere in den Bereichen Beziehung zum Kind, Partnerschaft und soziale Kontakte. Eine weitere Auswertung, die in Abbildung 5 dargestellt ist, verdeutlicht, dass nur in einem einzigen Fall bei allen vier Ebenen keine beratungsrelevante Belastung angegeben wurde. Bei mehr als 80 % der befragten Klient: innen sind mindestens zwei familiäre Bereiche belastet, bei über 50 % der Befragten sind sogar drei oder vier Familienebenen belastet. In der vorliegenden Befragung wurde neben den bekannten Familienebenen (persönliches Befinden, Eltern-Kind-Beziehung, Partnerschaft) auch nach den Sozialkontakten gefragt. Die Befragung konnte eindeutige Belege bringen, dass Klient: innen in Erziehungsberatungsstellen erhebliche Schwierigkeiten in der sozialen Einbindung erleben. Es könnte sein, dass Familien, die durch Erziehungskonflikte Beziehung Kind Befinden Partnerschaft Soziale Kontakte n kein Bedarf n Beratungsbedarf n Therapiebedarf 50 40 30 20 10 0 Abb. 4: Verteilung der vier Ebenen bezogen auf Beratungs-/ Therapiebedarfe (in %) n Anzahl Bereiche mit Beratungs-/ Therapiebedarf 40 30 20 10 0 0 Bereiche 1 Bereich 2 Bereiche 3 Bereiche 4 Bereiche Abb. 5: Verteilung nach Anzahl der Bereiche, bei denen Beratungs-/ Therapiebedarf besteht (in %) 497 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung besonders herausgefordert sind, sozial isolierter sind als Familien, bei denen weniger Erziehungskonflikte vorliegen. Es wäre allerdings auch denkbar, dass Familien, die durch Paarkonflikte belastet sind, oder Familien, bei denen mindestens eine Person in der Partnerschaft psychisch belastet ist, sozial isolierter sind als Familien, in denen diese Bereiche nicht problematisch sind. Weitere Forschungen der Familienpsychologie sollten unbedingt die soziale Einbindung der untersuchten Familien mit in den Blick nehmen. Die Fragebogenerhebung konnte eindrücklich belegen, wie stark belastet Klient: innen der Erziehungsberatung auf verschiedenen Ebenen sind. Bezogen auf den Fokus Partnerschaft und Elternschaft wird deutlich, in welch großem Ausmaß Klient: innen der Erziehungsberatung auch Partnerschaftsprobleme haben. Fallbeispiel einer integrierten Eltern- und Paarberatung Aus familientherapeutischer Sicht bilden Ablösekonflikte mit den Ursprungsfamilien oftmals den Hintergrund sowohl für Erziehungsals auch für Paarkonflikte. Manchmal liegt eine verstrickte Beziehung zu den Ursprungsfamilien in der Form vor, dass die Personen entweder die eigenen Familien zu stark idealisieren oder indem sie diese abwerten und genau das Gegenteil von dem leben wollen, was sie vorgelebt bekommen haben. Zum Aufbau einer vertrauensvollen, emotional verbundenen Partnerschaft ist es notwendig, dass eine Abgrenzung zur eigenen Familie stattgefunden hat, um sich ganz auf eine eigene Partnerschaft einzulassen. Gleichzeitig kann eine extreme Abgrenzung zur eigenen Familie eine Belastung für den Aufbau einer Partnerschaft darstellen, da zu viel von der Partnerschaft erwartet wird, z. B. in der Form, dass etwas ausgeglichen werden soll, was man von den eigenen Eltern nicht bekommen hat. Für den Aufbau einer gemeinsamen Elternallianz ist es ebenfalls besonders wichtig, dass eine geklärte Beziehung zu der eigenen Ursprungsfamilie von beiden Eltern entwickelt wurde. Eine geklärte Beziehung zur Ursprungsfamilie auf der Ebene der Elternschaft liegt dann vor, wenn sich beide Eltern sowohl positiv mit den guten Erfahrungen mit ihren jeweiligen Eltern verbinden und gleichzeitig eigene Erziehungsziele und -vorhaben entwickeln, ohne die eigenen Eltern abwerten zu müssen. Das Ziel der Genogrammarbeit besteht in einer bezogenen Individualität in Bezug auf die eigene Ursprungsfamilie. Bezogene Individualität (Stierlin 1994) bedeutet, dass sich eine Person verbunden fühlt mit den Personen aus der eigenen Geschichte, wertschätzend auf sie schauen kann und gleichzeitig eine eigene Individualität entwickeln kann, die weder in extremer Abgrenzung noch in starker Idealisierung besteht. Eine integrierte Paar- und Elternberatung hilft den Elternpaaren, familiäre Verstrickungen zu erkennen und aufzulösen. Die Methode des begehbaren Genogramms kann dazu beitragen, eine bezogene Individualität auf den Ebenen Elternschaft und Partnerschaft gleichzeitig zu entwickeln. Die Paare verstehen, worin möglicherweise noch die verstrickten Beziehungen bei sich oder dem Gegenüber liegen. Die gewonnene bezogene Individualität von beiden im Hinblick auf ihre Ursprungsfamilien ist die wesentliche Grundvoraussetzung für eine gemeinsame Elternallianz und eine Paaridentität. Aufgrund der gebotenen Kürze dieses Artikels wird die Eltern-Paar-Genogrammarbeit nur angedeutet, indem der Prozess einer Person ausführlicher beschrieben wird und der zweite Prozess sowie die Zusammenführung der Genogrammarbeit von beiden Partner: innen nur benannt werden: 498 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Zum Erstgespräch in einer Erziehungsberatungsstelle hat sich ein Elternpaar mit dem Beratungsanlass Eltern-Jugendlichen-Konflikte angemeldet. Eine 36-jährige Mutter (Frau K.) und ein 37-jähriger Vater (Herr K.) berichten von sehr emotionalen Konflikten mit ihrer 14-jährigen Tochter. Im weiteren Verlauf des Gespräches wird deutlich, dass das Elternpaar häufig Konflikte bezüglich der Erziehung hat. Darüber hinaus haben sie viele Konflikte auf der Paarebene, bezogen auf den Kontakt mit seinen Eltern und das Bedürfnis nach Nähe und Distanz. Nach dem Erstgespräch wird mit dem Paar eine integrierte Eltern-Paarberatung geplant. Es wird verabredet, dass mithilfe einer Genogrammarbeit herausgearbeitet wird, worin die jeweiligen Prägungen jeder Person aus den Ursprungsfamilien bestehen und wie das Paar aus diesen Prägungen und Grundüberzeugungen zu den Fragen „Wie viel Nähe und Distanz möchte ich in einer Partnerschaft leben? “ und „Welche wichtigen Grundüberzeugungen bezüglich der Erziehung von Kindern möchte ich verwirklichen? “ eine gemeinsame Paaridentität und Elternallianz entwickeln kann. Zunächst werden in zwei Sitzungen die beiden Fragen mit Frau K. in Anwesenheit von Herrn K. bearbeitet: Die Genogrammarbeit von Frau K. Frau K. ist das einzige Kind ihrer Eltern. Ihre Mutter (Verkäuferin) ist 1950 geboren, ihr Vater (Polizist) 1940. Die Ehe ihrer Eltern beschreibt sie als sehr konflikthaft und als Vernunftehe. Ihre Mutter hatte mit ihrem ersten Partner bereits 1970 eine Tochter bekommen. Die leidenschaftliche Beziehung zwischen ihrer Mutter und ihrem ersten Partner dauerte allerdings nur kurze Zeit und ihre Mutter war als 20-Jährige alleinerziehend. Sie war froh, als sie ihren jetzigen Ehemann kennenlernte, der zehn Jahre älter war, aber sich um sie und ihre Tochter kümmerte. Die Mutter von Frau K. schwärmt aber immer noch von ihrer ersten großen Liebe, die sie nie losgelassen hat. Der Vater von Frau K. war sehr streng, was insbesondere in der Jugendzeit zu heftigen Konflikten führte. Die Mutter von Frau K. hingegen war sehr freizügig in ihrer Erziehung. Sie wird von Frau K. als schnell überfordert mit der Erziehung beschrieben, sodass sie nicht sehr regulierend eingeschritten ist. Aus der Genogrammarbeit von Frau K. ergeben sich folgende Botschaften aus ihrer Ursprungsfamilie: Botschaften bezogen auf die Elternebene Botschaften bezogen auf die Paarebene Von der Mutter von Frau K. ➤ Kinder entwickeln sich von alleine. ➤ Zu viele Emotionen gefährden Partnerschaften. ➤ Das Ausleben der Leidenschaft ist gefährlich. Vom Vater von Frau K. ➤ Kinder brauchen Ordnung. ➤ Kinder müssen lernen, sich anzupassen. ➤ Vernunft schafft dauerhafte Beziehungen. ➤ Ehen werden für ein ganzes Leben geschlossen. ➤ Unterschiede können ausgehalten werden. Botschaften von Frau K. für ihre Zukunft ➤ Kinder brauchen ein starkes Gegenüber. ➤ Ich möchte eine leidenschaftliche Beziehung leben. ➤ Unterschiede können das Leben bereichern. Tab. 1: Botschaften aus der Ursprungsfamilie von Frau K. 499 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Nach der Erarbeitung der Botschaften aus dem eigenen Genogramm wird das Genogrammblatt auf den Boden gelegt. Um die einzelnen Einflussbereiche (hier Mutter und Vater von Frau K.) werden Seile zu einem Kreis gelegt. In diese Kreise werden die erarbeiteten Botschaften, die auf Karteikarten geschrieben wurden, hineingelegt. Frau K. begeht nun ihr Genogramm, indem sie sich in die jeweiligen Kreise stellt und der Berater ihr noch einmal die Botschaften vorliest. Frau K. soll dabei eintauchen in die Zeit, in der ihre Mutter und ihr Vater sehr bedeutsam für sie waren und sie diese Botschaften gespürt hat. Beim Verlesen der Botschaften ihrer Mutter zu den Emotionen und der Leidenschaft in Partnerschaften wird Frau K. sehr traurig, da sie fühlt, wie sehr ihre Mutter resigniert hat in ihrem Leben. Frau K. merkt dabei, dass sie für sich innerlich aus diesem Erspüren des Leidens ihrer Mutter die Konsequenz gezogen hat, dass sie auf keinen Fall eine Vernunftehe führen möchte und ihr eine leidenschaftliche Partnerschaft sehr wichtig ist. Aus dieser Erfahrung mit der Geschichte ihrer Mutter wird eine neue Botschaft für Frau K. auf eine Karteikarte geschrieben: „Ich möchte eine leidenschaftliche Liebesbeziehung leben.“ Frau K. bekommt diese Karte in die Hand und beginnt zu lächeln. Als der Satz „Kinder entwickeln sich von alleine“ verlesen wird, spürt FrauK. Ärger und Traurigkeit gleichzeitig. Sie hätte sich eine stärkere Mutter gewünscht, aber auch eine Mutter, die mehr für sie da gewesen wäre. Aus dieser Erfahrung hat Frau K. die Konsequenz gezogen, dass sie unbedingt ein starkes Gegenüber für ihre Kinder sein möchte. Auch dieser Satz wird auf eine neue Karte geschrieben. Nun tritt Frau K. in das Feld ihres Vaters. Beim Verlesen der drei Paar-Botschaften zur Vernunft, der lebenslangen Ehe und den Unterschieden spürt Frau K., dass sie nur die Aussage zu den Unterschieden anspricht. Sie entscheidet sich, die Botschaft aus der Geschichte ihres Vaters „Unterschiede können ausgehalten werden“ leicht abgeändert in „Unterschiede können das Leben bereichern“ in ihre Zukunft mitzunehmen. Bei den Botschaften zur Elternschaft, bezogen auf Ordnung und Anpassung, spürt Frau K. eine Zustimmung. Sie würde allerdings für sich eher den Satz, den sie schon beim Kreis ihrer Mutter auf eine Karte geschrieben hat: „Kinder brauchen ein starkes Gegenüber“, mitnehmen wollen. Frau K. tritt aus dem Kreis ihres Vaters heraus, stellt sich an das untere Ende des Genogramms und blickt mit ihren Sätzen in der Hand noch einmal auf ihre Ursprungsfamilie. Sie spürt dabei deutlich, dass ihre Eltern schwere Zeiten erlebt haben. Sie merkt die Prägung durch ihre Eltern, aber auch die Kraft und Energie, mit denen sie wichtige Erkenntnisse über Paarbeziehungen und Elternschaft mitgenommen hat. Frau K. dreht sich nun um und blickt in die Zukunft. Der Berater liest ihr noch einmal die drei Karten vor, die sie aus ihrer Geschichte mit in die Zukunft nehmen will. Herr K. ist sehr berührt von dem Erleben und gibt als Rückmeldung, dass er sehr viel besser verstehen kann, warum seiner Frau bestimmte Themen so wichtig sind. Die Genogrammarbeit von Herrn K. erfolgt in der gleichen Weise in zwei Sitzungen. Bei Herrn K. ergeben sich prägende Sätze bezogen auf die beiden Fragestellungen, s. Tab. 2. Nach diesen zwei Einzelarbeiten in jeweils zwei Sitzungen wird mit dem Paar eine nächste Sitzung verabredet, in der die Erfahrungen der Einzelarbeiten zusammengeführt werden. Beide Genogrammblätter werden auf den Boden gelegt. Beide nehmen ihre Zukunftssätze in die Hand und stellen sich jeweils mit dem Rücken zu ihren Genogrammblättern nebeneinander und schauen in ihre gemeinsame Zukunft. Die Sätze werden noch einmal vom Berater vorgelesen und das Paar wird aufgefordert, miteinander darüber zu sprechen, ob sie beide gemeinsam diese Sätze so teilen und leben wollen. Alternativ können sie etwas an den Botschaften umformulieren, damit der Satz für beide passt, oder zu dem Schluss kommen, dass dieser Satz nur für eine Person wichtig ist. Aus diesem Prozess ergibt sich eine gemeinsame Basis, auf der das Elternpaar Erziehungsentscheidungen treffen kann und sie ihre Partnerschaft, bezogen auf Nähe und Distanz, gestalten können. 500 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Wie sieht eine Erziehungsberatung mit einer integrierten Eltern-Paarberatung in Zukunft aus? Die Erziehungsberatung hat schon seit langer Zeit den Blick auf die ganze Familie gerichtet und immer weiter Methoden entwickelt, die die ganze Familie unterstützen. Sie sollte sich verstärkt um die Verbindung von Eltern- und Paarebene kümmern, da diese sehr häufig untrennbar miteinander zusammenhängen. Das Konzept des Coparenting macht deutlich, wie sehr Eltern herausgefordert sind, als gemeinsames Team zu agieren. Gleichzeitig hat die Forschung zum Übergang der Paarbeziehung zur Elternschaft eindrücklich deutlich gemacht, wie schwer Paaren eine Entwicklung einer gemeinsamen Identität als Eltern fällt und wie anfällig die Entwicklung eines Coparentings für Paarkonfliktkreisläufe ist. Solche Paarkonfliktkreisläufe können sich über Jahre verfestigen und zum Scheitern einer Partnerschaft beitragen. Für ein gutes Coparenting bedarf es einer guten Paarbeziehung. Gleichzeitig gilt: Für eine gute Paarbeziehung von Eltern bedarf es eines guten Coparentings. Erziehungsberatung sollte verstärkt integrative Methoden und Konzepte entwickeln, die Elternpaare sowohl beim Aufbau eines guten Coparentings als auch beim Aufbau einer guten Paarbeziehung unterstützen. Die Methode des begehbaren Genogramms zur Verbindung von Eltern- und Paarebene ist eine Form des integrierten Arbeitens. Verschiedene Skulpturarbeitsweisen (Bindungsorientierte Eltern-Paarskulpturarbeit oder Erziehungshaltungsskulpturarbeit) sowie Lebensflussarbeit mit Eltern und Paaren (Bromann 2017; 2020) sind andere erlebnisorientierte, integrierte Methoden, die in der Erziehungsberatung weiterentwickelt werden sollten. In den vielen guten Elternkurskonzepten, die in der Erziehungsberatung eingesetzt werden, sollten Einheiten ergänzt werden, die die Eltern anregen, wie sie ein gutes Coparenting entwickeln könnten. Das Potenzial von Erziehungsberatungsstellen, durch eine integrierte Eltern-Paarberatung positiv auf die Paarzufriedenheit einzuwirken, ist sehr groß, da die Erziehungsberatungsstellen nachgewiesenermaßen von vielen Eltern mit Paarproblemen genutzt werden (74 % der Klient: innen geben Paarprobleme an; Adameit/ Bromann 2024). Integrierte Erziehungsberatungsstellen können dieses Potenzial besonders gut nutzen. Erziehungsberatungsstellen, die keine integrierte Eltern- und Paarberatung anbieten, sollten aktive Kooperationskontakte zwischen Erziehungsberatungs- und Paarberatungsstellen eingehen. Darüber hinaus taucht das Thema Partnerschaft in vielfältiger Form in weiteren sozialen Institutionen auf. Eine aktuelle Studie des DJI (Esteban/ Castiglioni 2022, 20ff ) Botschaften bezogen auf die Elternebene Botschaften bezogen auf die Paarebene Von den Eltern von Herrn K. ➤ Regeln und Grenzen engen Kinder ein. ➤ Kinder können am besten für sich entscheiden, was gut für sie ist und was nicht. ➤ Gemeinsame Werte machen eine Partnerschaft aus und tragen zum Zusammenhalt bei. ➤ Jeder darf seine Bedürfnisse ausleben. ➤ Freiheit ist der höchste Wert in einer Partnerschaft. Botschaften von Herrn K. für seine Zukunft ➤ Ich möchte meinen Kindern Vertrauen entgegenbringen, aber ihnen auch Sicherheit geben. ➤ Das Entwickeln einer gemeinsamen Identität in Partnerschaften ist ein wichtiger Prozess. Tab. 2: Botschaften aus der Ursprungsfamilie von Herrn K. 501 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung hat sich damit beschäftigt, inwieweit das Thema Partnerschaft in verschiedenen Beratungskontexten vorkommt. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Institutionen, die keinen originären Auftrag zur Paarberatung haben (z. B. Suchtberatung oder Schuldnerberatung) in 46 % der Fälle häufig Partnerschaftsprobleme bei ihren Klient: innen wahrnehmen und diese auch thematisieren. Diese Studienergebnisse sollten die Erziehungsberatungsstellen, die integrierte Eltern- und Paarberatung anbieten, anregen, gute Kooperationen mit den Institutionen ohne originären Paarberatungsauftrag anzustreben, da diese in erheblichem Ausmaß mit dem Thema Paarkonflikte in Kontakt kommen. Familienpsychologische Forschung bildet eine gute Grundlage für eine Erziehungsberatung mit Blick auf Eltern-Paarkonflikte. Im deutschsprachigen Forschungsraum sollte die familienpsychologische Forschung einen größeren Raum einnehmen, um noch besser zu verstehen, in welcher Form die verschiedenen familiären Ebenen miteinander zusammenhängen und wie sie sich mit welchen Methoden am besten gemeinsam fördern lassen. Die Grundlagenforschung könnte sich verstärkt mit der Frage beschäftigen, was Paare lernen müssten, damit sie eine gute Abgrenzungsfähigkeit zwischen der Eltern- und der Paarebene entwickeln, um negative Spill-Over-Effekte zu vermeiden. Die Evaluationsforschung könnte sich vermehrt dafür interessieren, durch welche Elternberatungsmethoden die Partnerschaft positiv beeinflusst und durch welche Paarberatungsmethoden die Elternebene positiv verändert wird. Die dargestellte eigene Fragebogenerhebung (Adameit/ Bromann 2024) erweitert die klinische Familienpsychologie um den Aspekt der sozialen Beziehungen. Erziehungsberatung ist vor diesem Hintergrund gut beraten, die Möglichkeiten der Förderung sozialer Kontakte ihrer Klient: innen stärker zu reflektieren und zu berücksichtigen. Eltern- und Paarkonflikte haben oft die gleichen Ursachen, die in verstrickten Beziehungen zu den Ursprungsfamilien beider Partner: innen bestehen. Eine integrierte Eltern-Paarberatung ist ein guter Weg, um die Bearbeitung der ungelösten Konflikte mit den Ursprungsfamilien von Elternpaaren in parallelen Welten zu beenden. Ziel ist es, das zusammenzubringen, was zusammengehört, damit Elternpaare eine bezogene Individualität entwickeln können, die eine Voraussetzung für eine gute Partnerschaft und gemeinsame Elternschaft darstellt. Carsten Bromann Körnerstr. 23 38102 Braunschweig Literatur Adameit, C., Bromann, C. (2024): Fragebogenerhebung: Ebenen familiärer Beziehungen in der Erziehungsberatung in Seesen. In: https: / / www.awo-bs.de/ file admin/ downloads/ ZEF/ Fachartikelbibliothek/ Fach artikel__Fragebogenerhebung_Ebenen_familiaerer_ Beziehungen_in_der_Erziehungsberatung_in_Seesen. pdf, 10. 6. 2024 Bodenmann, G. (2016): Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie. Hogrefe, Göttingen Bromann, C. (2017): Bindungsbasierte Skulpturarbeit in der Paartherapie. In: Götting, G., Bromann, C., Möller, M., Piorunek, M., Schattanaik, M., Werner, A. (Hrsg.): Zeit geben - Bindung stärken. Beltz Juventa, Weinheim, 157 - 176 Bromann, C. (2020): Eltern-Paare gut beraten. Beltz Juventa, Weinheim Esteban, E., Castiglioni, L. (2022): Ehe und Partnerschaft in verschiedenen Beratungskontexten. In: https: / / www. dji.de/ veroeffentlichungen/ literatursuche/ detail ansicht/ literatur/ 32182-ehe-und-partnerschaft-inverschiedenen-beratungskontexten.html, 10. 6. 2024 Fthenakis, W. E., Kalicki, B., Peitz, G. (2002): Paare werden Eltern - die Ergebnisse der LBS-Familien-Studie. Leske & Budrich, Opladen 502 uj 11+12 | 2024 Erziehungsberatung als integrierte Eltern- und Paarberatung Klemm, T. (2013): Ebenen familiärer Beziehungen (EFA). Leipziger Wissenschaftsverlag, Leipzig Kröger, C., Hahlweg, K., Klann, N. (2004): Eltern in der Eheberatung: Zu den Auswirkungen von Ehe- und Paarberatung auf die Zufriedenheit mit der Kindererziehung. Verhaltenstherapie & Psychosoziale Praxis 36 (4), 821 - 834 Kröger, C., Haslbeck, A., Dahlinger, K., Sanders, R. (2008): „Paare sind die Architekten der Familie“. Zur Bedeutung der Paarbeziehung für die Familienentwicklung. Beratung Aktuell 3, 1 - 20 Langmeyer, A. (2015): Sorgerecht, Coparenting und Kindeswohl. Springer Verlag, Heidelberg Schneewind, K. (2010): Familienpsychologie. Kohlhammer, Stuttgart Stierlin, H. (1994): Individuation und Familie. Suhrkamp Verlag, Berlin Zemp, M., Martensen, B. (2020): Gute Partnerschaft gleich gutes Erziehungsteam? Der Zusammenhang zwischen Partnerschaftsqualität und Coparenting in verschiedenen Familienformen. Kindheit und Entwicklung 29 (1), 5 - 20 a www.reinhardtverlag.de Die Einschätzung der Erziehungsfähigkeit von Eltern ist in der Jugendhilfe und bei familien psychologischen Fragen oft der Schlüssel für hilfreiche Begleitung und Entscheidungen - besonders, wenn ein Elternteil an einer psychi schen Erkrankung leidet. Dieses Buch gibt einen Überblick über die Auswirkungen der häufigsten psychischen Erkrankungen auf die Erziehungs fähigkeit und über Kriterien für deren Ein schätzung. Eine Auswahl geeigneter Techniken für Gespräche mit Eltern und Kindern ergeben zusammen mit spezifischen Unterstützungs angeboten einen praxisorientierten Leitfaden. Fachkräfte können damit ihr Expertenwissen ausbauen und die Zusammenarbeit mit psychisch kranken Eltern erfolgreich gestalten. Erziehungsfähigkeit auf dem Prüfstand 3., aktualisierte und erweiterte Auflage 2024. 198 Seiten. 1 Abb. 1 Tab. (978-3-497-03278-5) kt
