unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2024.art30d
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2024
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Gespräche mit KlientInnen, mögliche Lösungen und andere Schwierigkeiten
51
2024
Peter Bünder
Annegret Sirringhaus-Bünder
Der Artikel beschreibt häufig auftretende berufliche Kommunikationsprobleme in der Sozialen Arbeit, die dahinter wirkenden Strukturen der beteiligten Personen und zeigt praktikable Lösungsideen auf.
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225 unsere jugend, 76. Jg., S. 225 - 232 (2024) DOI 10.2378/ uj2024.art30d © Ernst Reinhardt Verlag Gespräche mit KlientInnen, mögliche Lösungen und andere Schwierigkeiten Über die Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit Der Artikel beschreibt häufig auftretende berufliche Kommunikationsprobleme in der Sozialen Arbeit, die dahinter wirkenden Strukturen der beteiligten Personen und zeigt praktikable Lösungsideen auf. von Prof. i. R. Dr. Peter Bünder Jg. 1949; Dipl.-Pädagoge und Dipl.-Sozialarbeiter, ist systemischer Paar- und Familientherapeut (DGSF), Lehrender für systemische Beratung (DGSF), Supervisor (DGSF), von 2003 bis 2015 Professor für das Fachgebiet Erziehungswissenschaft, insbesondere Familienpädagogik an der Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften, arbeitet nun in freier systemischer Praxis in Brühl Bereits im Erstgespräch eines Beratungsprozesses werden in der Regel die Weichen gestellt, ob es je nach Situation und Problematik zu einer erfolgreichen Beratung, einem Abbruch oder - sofern ein Zwangskontext gegeben ist - ggf. zu einer „Als-ob-Beratung“ kommt. Soll eine Beratung konstruktiv und hilfreich sein, steht sinnvollerweise am Anfang das gegenseitige Kennenlernen sowie die Klärung von Anliegen der KlientInnen (bzw. des institutionellen Auftrags der Jugendhilfe) von Zielen und dem Rahmen, in dem die Beratung stattfinden soll (Kontextklärung). Speziell im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe ist es daher im wohlverstandenen Interesse der Ratsuchenden und der betroffenen Minderjährigen, wenn ein Erstgespräch positiv verläuft. Das heißt, die KlientInnen sind am Ende des Gesprächs motiviert, an einer Veränderung ihrer Situation mitzuarbeiten und diese Motivation wird von einem Gefühl der Hoffnung und Zuversicht getragen. Dies kann dann in der Folge eher zu weiteren Beratungsgesprächen führen, möglichst unter dem Aspekt der Freiwilligkeit. Annegret Sirringhaus-Bünder Jg. 1952; Dipl.-Sozialarbeiterin, ist systemische Paar- und Familientherapeutin, Lehrende für systemische Beratung, Paar- und Familientherapie (DGSF), Supervisorin (DGSF), MarteMeo Licensed Supervisor, NLP-Trainerin und arbeitet in freier systemischer Praxis in Brühl 226 uj 5 | 2024 Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit Die nachstehenden Überlegungen möchten daher einen Beitrag leisten für eine praktische Orientierungshilfe auf dem Weg zu einer gelingenden beruflichen Kommunikation, gerade auch im Kontext gesetzlich vorgeschriebener Beratungen im Rahmen der Jugendhilfe (vgl. Watzlawick et al. 2017). Wir erheben nicht den Anspruch, dass diese Orientierungshilfe alle Kommunikationsprobleme in sozialarbeiterischen Beratungskontexten auflöst. Wir treffen lediglich einige - aus unserer Sicht - nützliche Unterscheidungen zwischen erfolgreicher Kommunikation und Kommunikationsstörungen, die in der Praxis oft im Eifer des Gefechts übersehen werden. Strukturiert haben wir die Darstellung von Kommunikationsstörungen mithilfe der sog. Kommunikationstreppe, die fälschlicherweise häufig Konrad Lorenz oder Paul Watzlawick zugesprochen wird 1 . Die Idee einer Kommunikationstreppe geht davon aus, dass gelingende Kommunikation ein Prozess ist, der aus fünf aufeinanderfolgenden Stufen oder Schritten besteht, die nicht übersprungen werden können, wenn es tatsächlich zu einer Verständigung und zu einem Anstoß für konkrete Verhaltensänderungen kommen soll. 1. Gesagt heißt nicht unbedingt gehört Es mag banal klingen, aber die Tatsache, dass eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter in einem Erstgespräch etwas gesagt hat, heißt noch lange nicht, dass - exemplarisch - die anwesende Klientin es auch gehört hat. Hören meint hier selbstverständlich mehr als nur „akustisch aufgenommen“. Es gibt unterschiedliche Strategien, wie es KlientInnen gelingen kann, ggf. unerwünschte Informationen gar nicht erst zu „hören“. Man kann beispielsweise sehr laut, aufbrausend oder vorwurfsvoll auftreten, das Gegenüber „prophylaktisch“ verbal angreifen oder sich lautstark beklagen, bevor ausgesprochen oder geklärt ist, um welches Thema es überhaupt geht. Vielleicht möchte diese Person einfach nicht zuhören, mit unliebsamen Informationen konfrontiert werden oder sich vor befürchteter Kritik abschirmen? Aber auch bei KlientInnen, die leiser und zurückhaltender auftreten, kann es passieren, dass das, was Fachkräfte sagen, „vorbeirauscht“. Andererseits kann die Mitteilung oder Botschaft der Sozialarbeiterin oder des Sozialarbeiters so formuliert sein oder auf eine Art und Weise ausgesprochen sein, dass die KlientInnen sie nicht verstehen oder direkt auf „Abwehr“ schalten und sie deshalb gar nicht erst hören. Deshalb macht es Sinn, wenn Fachkräfte sich immer wieder vergewissern, ob das, was sie gerade mitgeteilt haben, auch wirklich gehört wurde. Sie sollten dabei besonders auf die nonverbalen Signale ihrer KlientInnen achten, wie Mimik, Gestik oder die Körperhaltung insgesamt. Wirken die KlientInnen aufmerksam? Halten sie Blickkontakt, während sie zuhören oder schweift der Blick ständig ab? Gibt es zustimmende, infragestellende, unsichere oder ablehnende mimische oder gestische Signale? Unterbrechen die KlientInnen mit einem völlig anderen Thema oder signalisieren sie Desinteresse, Unwillen oder Protest? Manchmal neigen engagierte Fachkräfte dazu, in längere Monologe zu verfallen, vor allem, wenn sie helfen wollen und daher etwas ganz genau erklären, um es ihrem Gegenüber besser begreiflich zu machen. Manche KlientInnen geraten dann gern in einen leichten „Trancezustand“, in dem alles, was der Berater oder die Beraterin sagt, zu einem „bedeutungsvollen Rauschen“ wird. Ihr Gesicht nimmt dann einen etwas abwesenden, fast träumerischen Ausdruck an. Der Blick kann dann de-fokussiert in die Ferne gerichtet sein. Haben KlientInnen Einwände oder Bedenken gegen das, was ihre BeraterInnen sagen, 1 Ab 1986 findet sich der Begriff „Kommunikationstreppe“ in der Fachliteratur, erstmalig wohl bei Herbert Pietschmann in Wien. Die Zuschreibung für Konrad Lorenz und Paul Watzlawick erfolgte erst später in den 1990er-Jahren (vgl. www.falschzitate.blogspot.com). 227 uj 5 | 2024 Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit lässt sich dies häufig schon auf ihrem Gesicht ablesen, bevor sie es sprachlich ausdrücken. In solchen Momenten sollte das inhaltliche Gespräch unbedingt unterbrochen werden. Zum einen, um sich zu vergewissern, ob die KlientInnen mit ihrer Aufmerksamkeit tatsächlich noch dabei sind, zum anderen, um deutlich nachzufragen, welche Bedeutung die gerade zu beobachtende Mimik oder Gestik hat (vgl. Schwing & Fryszer 2018, S. 267ff ). Die Chancen einer ehrlichen Verständigung steigen, wenn BeraterInnen sich die Zeit nehmen, ihre Beobachtungen anzusprechen. Geschieht dies auf eine respektvolle Art und Weise, fühlen sich die meisten KlientInnen gut gesehen und verstanden. Gleichzeitig verringert sich das Gesprächstempo, was den meisten Beratungsgesprächen guttut. 2. Gehört heißt nicht unbedingt verstanden Sind wir sicher, dass unsere KlientInnen uns so zugehört haben, dass sie alle Inhalte akustisch aufgenommen haben, stellt sich die Frage, ob sie diese auch so verstanden haben, wie sie von uns gemeint waren. Richtiges Verstehen bezieht sich hier auf den Sinn der Mitteilung (vgl. Watzlawick et al. 2017). Hat die oben angeführte Klientin beispielsweise wirklich verstanden, was von ihr konkret an Erziehungsleistung erwartet wird, wenn sie als „erziehungsfähig“ gelten möchte? Ist ihr klar, dass sie beispielsweise morgens regelmäßig früh aufstehen muss, um ihr Kind zu einer festgesetzten Zeit in den Kindergarten bringen zu können? Hat sie wirklich verstanden, dass sie der SPFH zu den vereinbarten Zeiten die Türe öffnen und bereit sein muss, mit der Fachkraft über das Tagesgeschehen mit den Kindern zu sprechen? Dass sie mit einer gewissen Offenheit auch über das sprechen sollte, was ihr im Kontakt mit den Kindern schwerfällt, um gemeinsam mit der Beraterin nach Lösungen zu suchen? Ist ihr bewusst, dass unter anderem davon abhängen wird, ob ggf. das Familiengericht eingeschaltet werden muss und ihr das Sorgerecht für die Kinder entzogen werden kann, wenn die Kinder weiterhin einen vernachlässigten bzw. verwahrlosten Eindruck hinterlassen? Hat die Klientin dies nicht verstanden, wird sie sich gemäß ihrer eigenen Vorannahmen und Vorerfahrungen verhalten, die sich wiederum erheblich von dem unterscheiden können, was ihr die Fachkraft tatsächlich mitteilen wollte. So kann es beispielsweise in Hilfeplangesprächen zu einer scheinbaren Übereinkunft kommen, unter der aber letztlich jede der beteiligten Parteien etwas anderes versteht. Es ist also erforderlich, sehr gut nachzufragen, was genau die Klientin verstanden hat. Dabei kann ein Konflikt erkennbar werden zwischen dem, was die Klientin sich denkt oder will (z. B. in Ruhe gelassen werden oder Unterstützung von außen, die sie von ihrer Erziehungsverantwortung entlastet! ) und dem, was vonseiten der Jugendhilfe für das Wohl der betroffenen Kinder für erforderlich gehalten wird. Im Interesse des Kindeswohls ist daher die Klärung unterschiedlicher Vorstellungen von Eltern und Fachkräften über Art, Inhalt und Form der Hilfe grundsätzlich immer von großer Bedeutung. Zu klären sind die unterschiedlichen Erwartungen und Wertvorstellungen, wie beispielsweise eine ausreichende Versorgung der Kinder aussieht sowie die Art und Ausgestaltung der Hilfe, auf die sich KlientInnen nur einlassen werden, wenn sie merken, dass ihnen die Hilfe auch nutzt. Dabei sollten die Dimensionen der Hilfe und Kontrolle klar unterschieden und präzise benannt werden. Welche praktische Unterstützung (Entlastung) wird den Eltern angeboten? Wird ihr Lebenskontext bei „Auflagen“ oder Vereinbarungen wirklich berücksichtigt? Wie wird ggf. kontrolliert, ob und wie sie die Vereinbarungen umsetzen? Eine Verständigung ist dann am leichtesten möglich, wenn beide Seiten die jeweils andere Position nachvollziehen können. Ohne den festen Willen, die andere Position verstehen (nicht: billigen! ) 228 uj 5 | 2024 Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit zu wollen, besteht die große Gefahr, aneinander vorbeizureden. Es startet dann jener Kreislauf, bei dem ständig die eigenen Argumente wiederholt, aber nicht die des Gegenübers gehört werden. Hier empfiehlt es sich, nicht weiter inhaltlich zu argumentieren. Vielleicht könnte einiges klarer werden, würde jetzt stattdessen die Arbeitsbeziehung thematisiert werden. Zu klären wäre beispielsweise: Was ist das Anliegen, der Auftrag der KlientInnen an die Jugendhilfe (vgl. Schwing & Fryszer 2018, S. 112ff )? Was ist das (gemeinsame) Ziel? Was wurde bereits seitens der Jugendhilfe angekündigt und angeboten? Wer möchte aus welchem Grund von wem was genau? Und wie steht es mit den gegebenen Umsetzungsbzw. Durchsetzungsmöglichkeiten im Lebenskontext der KlientInnen? 3. Verstanden heißt nicht unbedingt einverstanden Klar genug gesprochen oder ordentlich auseinandergesetzt kann in einem Gespräch der Punkt erreicht sein, an dem deutlich wird, dass das Gegenüber den Sinngehalt der Aussagen aufgenommen und verstanden hat. Die Eltern haben beispielsweise die Sozialarbeiterin des ASD beim Hausbesuch richtig verstanden. Ihnen ist klar geworden, was von ihnen erwartet wird. Ihr 13-jähriger Sohn schwänzt oft die Schule, vor allem die ersten Stunden, hat nicht immer die notwendigen Arbeitsmaterialien dabei und häufig keine Hausaufgaben erledigt. Außerdem ist er durch einige kleine Ladendiebstähle aufgefallen. Die Eltern haben alles gut verstanden - aber teilen sie auch die Sicht der besorgten Kollegin als Voraussetzung dafür, darüber nachzudenken, was sie nun als Eltern für ihren Sohn zu tun gedenken? Haben sie vielleicht ein völlig anderes Verständnis von Erziehung oder dem Umgang mit dem 13-Jährigen als ihre Beraterin? Häufig erhellen kollegiale Fallbesprechungen, dass Eltern auf dem Hintergrund ihrer eigenen Biografie beispielsweise meinen, dass sich solche Probleme „auswachsen“, oder „alle Jugendlichen schon mal haben“ etc. Manche Eltern sind so sehr mit ihren eigenen beruflichen, partnerschaftlichen oder sozialen Problemen beschäftigt, dass ihnen scheinbar die Motivation und/ oder die nötige Kraft fehlt, in die erforderliche Auseinandersetzung mit ihren heranwachsenden Kindern zu gehen und notwendige elterliche Grenzen zu setzen. Sie empfinden Anforderungen, die für sie mit Energieeinsatz, Auseinandersetzungen und Konfliktbereitschaft zu tun haben, als große Zumutung und Belastung. Sie sehen vielmehr Schule, Lehrkräfte oder die Polizei in der Verantwortung. Sie bestreiten letztlich nicht die zutreffende Situationsbeschreibung, sondern ignorieren die notwendigen Konsequenzen daraus. Im Gespräch besteht die Gefahr, dass sie scheinbar allem zustimmen - handeln aber tatsächlich nicht entsprechend (vgl. Schwing & Fryszer 2018, S. 112ff )! Es sind solche „Als-ob-Zustimmungen“, die beispielsweise das Ergebnis von manchen Hilfeplangesprächen nach § 36- KJHG darstellen: In derartigen Situationen könnte man als ZuschauerIn atmosphärisch spüren, dass hier von KlientInnenseite erfolgreich gute Miene zu einem „netten“, aber folgenlosen Ritual gemacht wird. Auch hier ist zu empfehlen, mit Angeboten und Vorschlägen innezuhalten und stattdessen zu besprechen, welche Bedeutung beispielsweise die gehörten Informationen über die Probleme des Sohnes in der Schule und den ggf. gefährdeten Schulabschluss für beide Eltern oder in der Familie haben. „Kratzt“ es den Vater irgendwie oder geht es anscheinend völlig an ihm vorbei? Ist er vielleicht selbst bisher ohne Schulabschluss ganz gut durch das Leben gekommen oder ist trotz Schulabschluss und Ausbildung seit Jahren arbeitslos? Welchen Wert hätte ein Schulabschluss seines Sohnes für ihn? Wie viel Mitarbeit und Anstrengung wäre ihm 229 uj 5 | 2024 Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit als Vater eine Problemlösung wert? Sieht die Mutter ggf. die Verantwortung für die Probleme des Sohnes nur bei den Lehrkräften oder den Klassenkameraden, von denen er angeblich „gemobbt“ wird? Stellt sie sich bei jeder Anforderung schützend vor ihn oder zumindest dann, wenn es um ernste Konsequenzen für sein Verhalten geht? Ergeben sich auf solche Fragen keine klärenden Antworten, gibt es auch keine Basis für eine Übereinkunft in Bezug auf die nächsten Schritte. Eher entsteht eine Art „Kampfatmosphäre“ zwischen den Fachkräften der Jugendhilfe und den Eltern. Alle inhaltlichen Wiederholungen, alle Appelle an Verantwortung sind jetzt letztlich vergeudete Zeit. Thema des Gesprächs sollten in diesem Moment nicht mehr Ratschläge, Appelle oder irgendwelche Erklärungen sein, um die Eltern „zur Einsicht zu bringen“, sondern die Bedeutung, die die Entwicklungsproblematik des Sohnes für die Beziehungen innerhalb der Familie und für die Beziehungen der Familie zur Außenwelt hat. 4. Einverstanden heißt nicht unbedingt angewendet Selbstverständlich gibt es viel mehr KlientInnen, die an echten Lösungen und Weiterentwicklung interessiert und dankbar für eine Unterstützung durch Beratung sind. Sie denken und arbeiten konstruktiv mit. Im Gespräch mit ihnen ist ein guter Konsens zu erreichen, sowohl über die Einschätzung des Problems, als auch über die Konsequenzen, die daraus erfolgen sollen. Und doch kommt es häufig nicht dazu, die guten Ideen auch tatsächlich umzusetzen. Sind denn KlientInnen andere Menschen als wir? Gilt nicht auch für sie das alte Sprichwort, wonach angeblich der Weg in die Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist? Auch eine aufrichtige, ernst gemeinte Zustimmung zu einer als sinnvoll erkannten Verhaltensänderung stellt noch keine Garantie dafür dar, dass ein neues Verhalten im Alltag auch tatsächlich gezeigt wird. Eine Voraussetzung dafür, dass sich Menschen innerlich auf den Weg machen, etwas zu verändern und die Bereitschaft entwickeln, sich dafür anzustrengen oder gewisse Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen, ist, dass ihnen eine Veränderung tatsächlich wichtig ist, d. h. für sie eine persönlich große Bedeutung hat und dass diese Veränderung dringlich ist - also jetzt passieren muss und nicht mehr auf die „lange Bank“ geschoben werden kann. Darüber hinaus brauchen sie die Zuversicht, es auch wirklich schaffen zu können. Küchler (2016) hat einmal folgende Aspekte für eine erfolgreiche Veränderung zusammengestellt: Veränderung bedarf einer Vision im Sinne einer konkreten Vorstellung, wie das positive Ergebnis aussehen soll. Sie bedarf der für die Erreichung des Ziels notwendigen Fähigkeiten, um die Veränderung auch praktisch angehen und bewältigen zu können. Sie braucht Motivation, um die Kraft zu haben, den Veränderungsprozess durchzuhalten, die notwendigen Ressourcen emotionaler, sozialer und ggf. auch materieller Art und einen realistischen Plan für das praktische Vorgehen. Fehlt die Vision, entsteht Verwirrung statt Veränderung. Fehlen die notwendigen Fähigkeiten, entsteht Angst. Fehlt die Motivation, entwickeln die KlientInnen verdeckten oder offenen Widerstand. Fehlen Ressourcen, entsteht Frust und in dessen Folge oft Resignation. Fehlt ein Plan, kommt es zu einem Fehlstart, der in den meisten Fällen zum Einstellen aller weiteren Bemühungen führt. In einer guten und differenzierten Beratung gibt es also eine Fülle von Aspekten, auf die BeraterInnen ihre Aufmerksamkeit richten sollten, damit aus einer inhaltlichen Zustimmung der KlientInnen auch Handlungen erwachsen. Bevor dann vorschnell eine erfolgreiche Beratung gefeiert wird, dürfte der „Teufel im Nacken“ einer Beraterin oder eines Beraters aktiv werden mit der Frage: „Was könnte passieren, dass all die tollen Schritte, die wir jetzt besprochen und vereinbart haben, doch nicht funktio- 230 uj 5 | 2024 Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit nieren? “ Dies ist eine der wirksamsten Fragen zur frühzeitigen Misserfolgs-Prophylaxe und gleichzeitig ein gutes Instrument, um herauszufinden, was ggf. noch gar nicht bedacht worden ist. Ideen für Lösungen mögen gut und angemessen sein, oft unterschätzen wir aber, wie viel Zeit, Kraft und Unbequemlichkeit die Veränderungen von etablierten Gewohnheiten tatsächlich erfordern (vgl. Watzlawick et al. 2008). Im Alltag mit Kindern passiert ja oft viel Unberechenbares. Da kann es schnell passieren, dass immer wieder „etwas dazwischenkommt“. Oft stellt sich auch im Alltag heraus, dass die überlegten Schritte nicht ausreichend konkret genug besprochen waren. Natürlich leuchtet es ein, dass man über heranwachsende Kinder nicht mehr einfach bestimmen kann, dass Auseinandersetzungen mit ihren Gedanken, Bedürfnissen, Gefühlen und Ideen erforderlich sind und tatsächlich akzeptierte Grenzen erst das Ergebnis solcher nicht selten mühsamen Auseinandersetzungen sind. Und wie sieht es mit der Vorbildfunktion der Eltern aus? Wie zeigen und leben sie ihre eigenen Grenzen? Die zentrale Frage ist, wie genau sie in Kontakt und Beziehung zu ihren Kindern bleiben können und dabei angemessene Grenzen einfordern. Mütter oder Väter, die selbst in ihrer Kindheit erlebt haben, dass Grenzen nur mit Gewalt durchgesetzt wurden, werden selbst keine Vorstellung haben, wie man alternativ mit einem 13-Jährigen klar und bezogen sprechen bzw. verhandeln kann. Kurzum: Es gibt vieles, mit dem auch engagierte Eltern sich überfordert und alleingelassen fühlen können, weshalb ihnen eine kontinuierliche Begleitung mit guter Reflexion guttun würde (vgl. von Schlippe & Schweitzer 2016). 5. Angewendet heißt nicht unbedingt beibehalten Wie ausgeführt arbeiten viele KlientInnen durchaus engagiert und konstruktiv mit. Das Wohlergehen ihrer Kinder liegt ihnen sehr am Herzen. Sie sind bereit, sich auf viele Maßnahmen einzulassen, wenn es ihren Kindern und ihnen nur hilft. Es ist ein schönes Arbeiten mit solch angenehmen KlientInnen. In unserem exemplarischen Beispiel nehmen sich beide Eltern Zeit, um in Ruhe mit dem Sohn über die schwierige Situation zu sprechen. Sie lassen sich durch seine anfängliche heftige Abwehr nicht irritieren. Sie sind bereit, ihm zuzuhören, was aus seiner Sicht zu Hause, in der Schule und in der Klasse schwierig ist. Sie überlegen mit ihm gemeinsam, wie sie ihn unterstützen können, morgens besser aufzustehen, um pünktlich in die Schule zu gehen, seine Hausaufgaben zu erledigen und Differenzen mit LehrerInnen und MitschülerInnen zu klären. Sie sprechen aber auch an, wie die Stimmung zu Hause wieder besser werden kann. Es werden klare Grenzen ausgehandelt. Die Hausaufgaben werden vom Vater regelmäßig kontrolliert, der Umgang mit Gleichaltrigen wird mehr beobachtet und es soll wieder mehr gemeinsam unternommen werden etc. Man könnte annehmen, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, diese Hilfemaßnahme zu beenden. „Es läuft ja gut! “ SozialarbeiterInnen sind an diesem Punkt oft in der Gefahr, zu früh die Beratung und Unterstützung zu stoppen, weil doch die Eltern augenscheinlich ihre „Lösungen“ gefunden haben (vgl. Mücke 2019). Oft wird in Supervisionen berichtet, dass die ersten Rückmeldungen in den nächsten Kontakten sehr positiv waren und bei allen Beteiligten verständlich Zuversicht weckten. Der Knoten schien geplatzt zu sein! Dann aber - aus der Rückschau betrachtet meist schleichend - sind die altbekannten negativen Verhaltensweisen doch wieder da. Hier wirkte möglicherweise das sog. Gesetz der Gewohnheit, welches über die Zeit bewirkt, dass eingefleischte Verhaltensweisen oder alte Vorlieben sich wieder re-etablieren, wenn nicht die neuen alternativen positiven Verhaltensweisen über einen längeren Zeitraum sehr diszipliniert eingeübt werden. Die Betonung liegt hier bewusst auf sehr lange, ohne dies zeitlich konkret fassen zu können. 231 uj 5 | 2024 Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit Zu früh zu beenden birgt die große Gefahr, die KlientInnen ungewollt an einer wichtigen Stelle alleinzulassen. Meistens ist für eine stabile Veränderung hilfreich und erforderlich, die Umsetzung der notwendigen Schritte in der Familie eine Zeit lang weiter zu begleiten. Auf dem Weg der Veränderung gibt es meistens nicht nur Erfolge zu vermelden. Da müssen Hindernisse und Stolpersteine erkannt und bewältigt bzw. aus dem Weg geräumt werden. Manchmal muss vielleicht ein Stück des Weges erneut gesucht werden. Dafür braucht es Ermutigung, eine realistische Zeitplanung und die Fähigkeit, auch Rückschläge zu verarbeiten (vgl. Dilts & Bonissone 1999, S. 70ff ). Allgemein und speziell in der Beratung von Eltern im Rahmen von Jugendhilfemaßnahmen sollte gelten, das notwendige Zeitmaß für Entwicklungsprozesse nicht zu unterschätzen. In unserer sehr schnelllebigen und hektischen Zeit wird oft aus den Augen verloren, dass Zeit nicht beliebig komprimierbar ist. Menschen können zwar Bäume immer schneller fällen, aber nicht schneller wachsen lassen. Sozial erforderliche bzw. erwünschte Verhaltensweisen müssen Kindern vorgelebt, eingeübt, immer erneut wiederholt und positiv verstärkt werden, wenn sie überdauern und zur guten Gewohnheit werden sollen. Arbeitsdruck, strukturelle Überlastung und die oft verbreitete „Geiz-ist-geil-Haltung“ im Rahmen der staatlichen Kinder- und Jugendhilfe führen heute oftmals dazu, dass KollegInnen diese sinnvolle Zeit für eine längerfristige Beratung und Betreuung nicht mehr gewährt wird. Hier wird in vielen Jugendhilfeinstitutionen nicht etwa an der falschen Stelle gespart. Es wird letztlich überhaupt nicht gespart, sondern nur aufgeschoben, wenn man es mit anderen, speziell späteren öffentlichen Ausgabenbereichen vergleicht. Es werden vielmehr in der Jugendhilfe gegen den gesetzlichen Auftrag Familien, Eltern und Kindern Leistungen vorenthalten, die großer Wahrscheinlichkeit nach später mit unverhältnismäßig höheren Zusatzkosten in den Bereichen Justiz, Medizin u. a. nachfinanziert werden müssen. Aber das ist ein anderes Thema. Schlussbemerkung Nutzt man die vorstehenden Unterscheidungen in der Kommunikation mit KlientInnen, können diese eine Art innerer Kompass für die eigene beratungsbezogene Orientierung darstellen, ob Fachfrau oder Fachmann sich noch mit der Familie bzw. den KlientInnen auf dem richtigen Weg befindet (vgl. Schwing & Fryszer 2018, S. 328ff ). Bei dem immer wieder positiv festzustellenden Engagement vieler Kolleginnen und Kollegen ist es oft gar keine Frage, ob sie auf dem Weg sind. Es fragt sich manchmal nur, ob sie im Sinne einer klaren Ziel- und Ergebnisorientierung schon gemeinsam auf dem richtigen Weg sind. Entsprechend angewendet kann das Wissen um die vorgestellten Stufen der Kommunikation helfen, schneller den Punkt etwaiger Stagnation zu erfassen und damit ggf. erfolgreich frühzeitig gegensteuern zu können. Dies kann - ungeachtet aller anderen Aspekte - helfen, persönliche Zeit und Energien zu sparen. Darüber hinaus gilt, dass die beruflichen Konsequenzen in der Arbeit mit KlientInnen auf jeder Stufe andere sein könnten. Während auf den Stufen 1 und 2 schwerpunktmäßig die Fachkraft aufgefordert ist, sich klarer und unmissverständlicher auszudrücken und sich dessen zu vergewissern, gilt bei den Stufen 3 bis 5, dass es hilfreich und förderlich wäre, mit gutem Beispiel voranzugehen und die KlientInnen aktiv zur Darlegung ihrer eigenen Position zu bewegen. Während Stufe 1 und 2 noch etwas mit gutem Kontakt und Vermittlung von Inhalten zu tun hat, geht es bei den drei anderen Stufen entscheidend um die Beschäftigung mit persönlichen Werten und Überzeugungen. Und das auf beiden Seiten. Prof. i. R. Dr. Peter Bünder Annegret Sirringhaus-Bünder Wittelsbacher Str. 35 50321 Brühl 232 uj 5 | 2024 Strukturen von beruflichen Kommunikationsproblemen in der Sozialen Arbeit Literatur Dilts, R. & Bonissone, G. (1999): Zukunftstechniken zur Leistungssteigerung und für das Management von Veränderungen: Über die Entwicklung professioneller Kompetenzen des Lernens, der Führung und der Kreativität. Angewandtes NLP. Paderborn: Junfermann. Küchler, T. (2016): Veränderung muss S.E.X.Y. sein! Lösungsorientierte Anregungen für das (Selbst-)Management von Veränderungen. Dortmund: verlag modernes lernen. Mücke, K. (2019): Probleme sind Lösungen. Systemische Beratung und Psychotherapie - ein pragmatischer Ansatz - Lehr- und Lernbuch (5. Aufl.). Berlin: ÖkoSysteme Verlag. von Schlippe, A. & Schweitzer, J. (2016): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen (3. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schwing, R. & Fryszer, A. (2018): Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis (9. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Watzlawick, P., Beavin, J. H. & Jackson, D. D. (2017): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (13. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Watzlawick, P., Weakland, J. H. & Fisch, R. (2008): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern: Huber. a www.reinhardtverlag.de Im Rahmen professioneller Beratung in den so zialen Diensten wird oft die Beziehung zum Knackpunkt. KlientInnen treten fordernd auf oder erhoffen sich von der BeraterIn die Lösung aller Probleme, BeraterInnen sind mit unerwarteten eigenen Emotionen konfrontiert oder stehen unter Zeitdruck - all das wirkt sich auf die Bezie hungsebene aus und beeinflusst den Beratungsprozess. Die kommunikative Beziehung zum Klienten will professionell gestaltet werden. Das ist anspruchsvoll, denn es spielen viele Gesichts punkte eine Rolle. Das Buch bietet praktische Handlungsorientierungen, Warnung vor Fall stricken und viele wertvolle Tipps für die Umset zung in der Praxis. Hier ist die Beraterin gut beraten Werner Pfab Kompetent beraten in der Sozialen Arbeit 2020. 190 Seiten. 9 Abb. 1 Tab. (9783497029419) kt
