eJournals unsere jugend 77/2

unsere jugend
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0342-5258
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/uj2025.art08d
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2025
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Cannabis in der Jugendhilfe

21
2025
Fabian Günther
Daniel Ellerbrock
In diesem Beitrag geben die Verfasser einen kurzen Einblick in die Praxis der Suchtprävention im Rahmen der Förderung durch das Dresdner Jugendamt. Dabei steht die subjektive Alltagsbetrachtung der Fachkräfte der (apo)THEKE – Fachstelle für Suchtprävention und Konsumkompetenz der Diakonie Dresden auf das Thema Teillegalisierung von Cannabis und dessen Auswirkung auf ihr praktisches Handeln im Vordergrund.
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66 unsere jugend, 77. Jg., S. 66 - 70 (2025) DOI 10.2378/ uj2025.art08d © Ernst Reinhardt Verlag Cannabis in der Jugendhilfe Cannabis-Teillegalisierung trifft auf Suchtprävention In diesem Beitrag geben die Verfasser einen kurzen Einblick in die Praxis der Suchtprävention im Rahmen der Förderung durch das Dresdner Jugendamt. Dabei steht die subjektive Alltagsbetrachtung der Fachkräfte der (apo)THEKE - Fachstelle für Suchtprävention und Konsumkompetenz der Diakonie Dresden auf das Thema Teillegalisierung von Cannabis und dessen Auswirkung auf ihr praktisches Handeln im Vordergrund. von Fabian Günther Jg. 1994; Sozialpädagoge, Diakonie Dresden Daniel Ellerbrock Jg. 1982; Sozialpädagoge, Diakonie Dresden Einleitung Seit April 2024 ist Cannabis in Deutschland teilweise legalisiert. Das bedeutet, dass Cannabis nicht denselben Rechtsstatus (Cannabispraevention.de) wie z. B. Alkohol und Nikotinprodukte besitzt. Im Vorfeld gab es viele Spekulationen und Kritik am neuen Gesetz, sowohl von Gegner: innen wie auch Befürworter: innen. Hauptkritikpunkte sind die Annahme, dass der Konsum vor allem in den jüngeren Altersgruppen steigen könnte, aber auch viele Konsumierende - zumindest vorerst - Cannabis weiter durch den Schwarzmarkt beziehen müssen. Die Perspektive der Vertreter: innen der Sozialen Arbeit war grundsätzlich auf die möglichen Vorteile für Konsumierende hinsichtlich einer Reduzierung von Gesundheitsrisiken durch den Konsum und der wegfallenden Kriminalisierung durch Ermittlungsbehörden gerichtet. Mittlerweile sind sechs Monate vergangen (Stand Ende Oktober 2024) und wir wagen einen ersten Blick mit der Brille der Suchtprävention. Es sollen für die Lesenden sowohl unsere Annahmen und Erwartungen hinsichtlich der Teillegalisierung als auch die tatsächlichen von uns wahrgenommenen Änderungen dargelegt werden. Die folgenden Ausführungen sind nicht empirisch erhoben, sie sind einzig Momentaufnahmen aus der Erfahrungsperspektive einzelner Fachkräfte der Jugendhilfe bzw. Suchtprävention. Kurzvorstellung Wir sind das Team der „(apo)THEKE - Fachstelle für Suchtprävention und Konsumkompetenz“ der Diakonie Dresden und werden durch das Jugendamt Dresden gefördert. Wir sind vier Fachkräfte und teilen uns 3,0 VZÄ. Unsere Arbeitsgrundlage ist der § 11 SGB VIII in Verbindung mit den § 14 und § 13. Unsere Angebote richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 26 Jahren. Die Kernzielgruppe stellen dabei die 14bis 23-Jährigen dar. Es handelt sich um junge Men- 67 uj 2 | 2025 Cannabis-Teillegalisierung trifft auf Suchthilfe schen ganz ohne Konsumerfahrung, Probierkonsument: innen, aber auch Jugendliche und junge Erwachsene mit konstant riskanten Konsummustern. Ebenso zählen Eltern, Pädagog: innen, Sozialarbeiter: innen sowie Peergroups zu unseren Zielgruppen. Relevante Zielgruppen hinsichtlich Cannabiskonsum Im Großen und Ganzen begegnet uns das Thema Cannabis und Cannabiskonsum in folgenden Bereichen und Adressat: innengruppen: ➤ FreD-Workshops ➤ Workshops mit Schulklassen ➤ Freizeitdrogenkonsumierende ➤ Schulungen oder Beratung von Fachkräften ➤ Elternberatung Im Folgenden beschreiben wir für die genannten Gruppen jeweils einzeln sowohl unsere Erwartungen als auch die tatsächlichen Erfahrungen mit jeweils einer Einschätzung, wie es weitergehen könnte. FreD-Gruppenangebot FreD - Frühintervention bei erstauffälligem Drogenkonsum - als Gruppenangebot richtet sich an junge Menschen, die über das Gericht oder die Jugendhilfe im Jugendstrafverfahren eine Auflage haben bzw. Sanktionen und Strafen verhindern können. FreD-Kurse bieten wir in Kooperation mit der Suchtberatungsstelle der Diakonie Dresden an. Einer der Hauptzuweisungsgründe von jungen Menschen in unsere FreD-Kurse war bisher tatsächlich der Besitz von Cannabis. Unsere Annahme war, dass durch die Teillegalisierung vorerst weniger Personen zum Kurs angemeldet werden, obwohl der Gesetzgeber festgelegt hat, dass minderjährige Menschen verpflichtend an einem Suchtpräventionskurs teilnehmen sollen. Gegenwärtig können wir ganz klar feststellen, dass keine Zuweisungen aufgrund von Cannabis zustande kommen. Dementsprechend werden weniger Jugendliche durch das Angebot erreicht. Es bleibt abzuwarten, welche Behörde Abb. 1: Arbeitsbereiche der Fachstelle Safer Nightlife - Gesundheitsförderung im Nachtleben Bildungsarbeit HaLT-Projekt Kontaktöffnungszeit Öffentlichkeitsarbeit (apo)THEKE - Fachstelle für Suchtprävention und Konsumkompetenz Jugendbildungsarbeit Workshops an Schulen Multiplikator: innenarbeit Fachkräfte Elternarbeit Erziehende Angehörige Vor-Ort-Arbeit Infostand auf Veranstaltungen Multiplikator: innenarbeit 68 uj 2 | 2025 Cannabis-Teillegalisierung trifft auf Suchthilfe letztendlich festlegt, dass Minderjährige an Suchtpräventionskursen teilnehmen sollen. FreD versteht sich vor allem als erste Brücke ins Hilfesystem für (erst)auffällig konsumierende junge Menschen. Dies scheint für Cannabiskonsumierende Jugendliche vorerst wegzufallen. In diesem Bereich sehen wir großes Entwicklungspotenzial als verpflichtendes Programm bei Verstößen durch Minderjährige. Die Nichtzuweisung von Cannabisvergehen minderjähriger Konsumierender lässt sich als klare Folge der Teillegalisierung und der vorerst unklaren Lage hinsichtlich behördlicher Verantwortlichkeiten verstehen. Formal ist zu klären, ob z. B. Gericht, Staatsanwaltschaft, Ordnungsamt oder Jugendamt zuständig sind. Laut Bundesministerium für Gesundheit gilt Folgendes: „Falls Minderjährige trotz des Verbots Cannabis besitzen, erwerben oder anbauen, wird dieses von der zuständigen Behörde sichergestellt, verwahrt und vernichtet. Zudem werden ihre Personensorgeberechtigten informiert. Generell werden Informations- und Präventionsangebote sowohl für Kinder und Jugendliche, als auch für Erwachsene in allen Bereichen gestärkt und die cannabisbezogene Aufklärungs- und Präventionsarbeit durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgeweitet“ (Bundesgesundheitsministerium). Workshops mit Schulklassen In unseren Workshops für achte bis zehnte Klassen thematisieren wir Substanzwirkungen und deren Folgen. Hier nahm und nimmt Cannabis neben Nikotin und Alkohol einen großen Stellenwert hinsichtlich des Interesses und Gesprächsbedarfs der jungen Menschen ein. Unsere Annahme war, dass Schüler: innen freier über Cannabis und den eigenen Konsum sprechen würden und ebenso die möglichen Auswirkungen einer Teillegalisierung selbst bewerten und einzuordnen lernen. Gleichzeitig müssen sich auch Minderjährige nun bei Besitz nicht mehr vor Strafen fürchten, solange sie die Grenzwerte nicht überschreiten. Wie schon oben beschrieben, sind verpflichtende Kurse geplant. Auffällig sind die Fehlannahmen der jungen Leute. Hier lässt sich oft feststellen, dass viel Unklarheit hinsichtlich Besitzwerten und Altersbeschränkungen herrscht, sowohl bei Jugendlichen allgemein, aber vor allem auch bei jungen konsumierenden Personen. Wie in allen Workshops bleibt uns immer darauf hinzuweisen, dass der (Ill-)Legalitätsstatus nichts darüber aussagt, wie schädigend eine Substanz ist. Freizeitdrogenkonsumierende Die sog. Freizeitdrogenkonsumierenden begegnen uns vor allem im Nachtleben. Bereits Konsumierende hatten große Erwartungen an eine Legalisierung. Diese decken sich grob mit denen aus der Fachlandschaft. Insbesondere das Wegfallen von Strafverfolgung aufgrund des eigenen Konsumverhaltens war als Argument für diese Gruppe zentral. Aber auch Aspekte der Risikoreduzierung durch eine kontrollierte Abgabe wurden oft genannt. Dies muss auch unter Berücksichtigung des aufkommenden, mit synthetischen Cannabinoiden gestreckten Cannabis (Beauftragter der Bundesregierung 2021; Legal High 2023) und den immer höher werdenden THC-Werten betrachtet werden. Noch sind die Auswirkungen auf den Schwarzmarkt nicht zu deuten oder gar zu erkennen. Es ist anzunehmen, dass ein Großteil des Cannabis immer noch illegal erworben wird. Klar ist jedoch jetzt schon, dass die Teillegalisierung zu weniger Kriminalisierung und somit auch zu weniger Stigmatisierung von Konsumierenden führen wird. Dies ergibt sich logisch aus einer zukünftigen Nichtverfolgung und einer gesellschaftlichen Neubewertung des Themas Cannabiskonsum. 69 uj 2 | 2025 Cannabis-Teillegalisierung trifft auf Suchthilfe Fachkräfte und Multiplikator: innen Für Fachkräfte der Jugendhilfe bieten wir Workshops und Beratung an. Die Teillegalisierung von Cannabis hat dazu geführt, dass sich Fachkräfte aktuell verstärkt mit dem Thema Cannabis auseinandersetzen. Dabei geht es nicht nur um rechtliche Fragestellungen, die durch das Konsumcannabisgesetz (KCanG) aufkommen, sondern häufig auch um eine generelle Auseinandersetzung mit dem Thema Drogenkonsum. Haltungen werden überprüft und vermehrt Sachinformationen eingeholt. Die große Frage, die immer im Raum steht: Soll Cannabiskonsum nun ähnlich eingeschätzt werden wie Alkoholkonsum? Fachkräfte gewichten die Thematisierung von Cannabis mittlerweile höher als vor der Teillegalisierung. Hierbei fällt uns auf, dass die Präventionskampagne (Cannabispraevention.de) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) vielen nicht bekannt ist. Eltern In den letzten Jahren stieg die Befürwortung gegenüber der Cannabislegalisierung in Deutschland (Deutscher Hanfverband; Statista 2024). Eine Legalisierung befürworteten 40 - 47 % der Befragten (ab 18 Jahren). Eltern hatten vor allem Angst, dass der Zugang zu Cannabis für Kinder und Jugendliche vereinfacht wird. Durch fehlende Repressionen gegenüber Konsument: innen würde zudem die Hemmschwelle sinken, Cannabis zu probieren oder sogar regelmäßig zu konsumieren. Eltern befürchteten eine allgemeine Verharmlosung von Cannabis. Unsere Annahmen gingen zum einen in die Richtung, dass Eltern nun vielmehr selbst Cannabis verharmlosen, aber auch, dass es Eltern gibt, deren Ängste nun steigen, da eine ehemals illegale Substanz nun nicht mehr verboten ist. Zum anderen erwarteten wir, dass der Beratungsbedarf hinsichtlich des Konsums ihrer Kinder steigen könnte. Mittlerweile lässt sich festhalten, dass sich auch Eltern melden, die aufgrund ihres eigenen Konsums unsicher sind, was nun genau im eigenen Haushalt erlaubt ist und was nicht. Grundsätzlich informierten sich Eltern schon vorher bei Bedenken zum Konsum ihrer Kinder. Sollten die Zahlen bei längerer Betrachtung steigen, dann könnte dies letztendlich mit der Entstigmatisierung des Konsums zusammenhängen. Fazit In der Phase vor der Legalisierung fiel uns der Umstand auf, dass unserer Meinung nach nur wenig Öffentlichkeitsarbeit gelungen ist, um den Ängsten der Bevölkerung und vor allem von Eltern zu begegnen. Dies lässt sich vor allem daran erkennen, dass Eltern immer noch viele Fragen rund um die Teillegalisierung haben und scheinbar keine hilfreichen Onlineressourcen finden, obwohl es diese gibt. Das lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber keine geeigneten Kanäle zur Adressierung wichtiger Themen an die Eltern und Erziehenden hat. Jugendliche sind ähnlich wie viele Erwachsene unzureichend informiert, wie die aktuelle Gesetzeslage ist. Oft ist nicht klar, ob es einen freien Verkauf gibt und wer diesen jetzt organisiert; wie viel jemand besitzen darf oder wie viele Pflanzen angebaut werden dürfen, ist den meisten ebenso unbekannt. Was viele Personen aber wissen: Cannabis ist ab 18 Jahren legal und darf zu Hause angebaut werden. Was das beinhaltet und welche Besonderheiten damit verbunden sind, wissen jedoch die wenigsten. Die vielen Besonderheiten, die im Vergleich zu anderen legalen Drogen existieren, lassen sich nur schwer kommunizieren und vermitteln. Wieso darf ich den gekauften Bierkasten mit meinen Freunden teilen, mein Cannabis aber nicht? Wieso kann ich Tabak im Laden kaufen, Cannabis aber nur selbst anbauen? Eben dieser Status der Teillegalisierung macht es so schwer, Klarheit zu schaffen. Es wird vermutlich noch eine Weile dauern, bis Markt- und Konsumtrends 70 uj 2 | 2025 Cannabis-Teillegalisierung trifft auf Suchthilfe ausgewertet sind, um anschließend Schlüsse vor allem für die Jugendhilfe und Suchtprävention abzuleiten. Klar ist, dass alle oben genannten Adressat: innengruppen Zugang zu jeweils spezifischen Informationen brauchen. Abschließend lässt sich nach so kurzer Zeit wenig zu den Vor- und Nachteilen der Teillegalisierung aussagen. Nichtsdestotrotz vereinfacht diese das Thematisieren des Cannabiskonsums bei allen Zielgruppen. Ebenso kann nun durch das Beispiel Cannabis intensiver darauf verwiesen werden, dass der Legalitätsstatus einer Substanz nichts über deren Schädlichkeit auf die Gesundheit von (jungen) Menschen verrät. Literatur Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen (2021): Gefährliche Entwicklungen auf dem Rauschgiftmarkt - Warnung vor Cannabisprodukten mit synthetischen Cannabinoiden. In: https: / / www. bundesdrogenbeauftragter.de/ presse/ detail/ gefaehr liche-entwicklungen-auf-dem-rauschgiftmarkt-war nung-vor-cannabisprodukten-mit-synthetischencannabinoiden, 14. 11. 2024 Bundesministerium für Gesundheit: Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz. In: https: / / www.bundes gesundheitsministerium.de/ themen/ cannabis/ faqcannabisgesetz.html, 14. 11. 2024 Cannabispraevention.de: Wichtige Inhalte des Cannabisgesetzes (CanG). In: www.cannabispraevention.de/ eltern/ rechtslage/ wichtige-inhalte-des-cannabisge setzes-cang/ , 14. 11. 2024 Deutscher Hanfverband: Meinungsumfragen des Deutschen Hanfverbands. In: https: / / hanfverband.de/ meinungsumfragen-des-deutschen-hanfverbands, 14. 11. 2024 Legal High Inhaltsstoffe.de (2023): Synthetische Cannabinoide 2022. In: https: / / legal-high-inhaltsstoffe.de/ de/ news/ 2023/ 01/ synthetische-cannabinoide-2022. html, 14. 11. 2024 Statista (2024): Halten Sie es für richtig oder für nicht richtig, dass der Besitz und der Anbau von Cannabis in Deutschland künftig erlaubt sein sollen? In: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1459269/ um frage/ meinung-zur-cannabis-legalisierung-in-deutsch land/ , 14. 11. 2024 Wenn wir davon ausgehen, dass die liberalere Haltung zu Substanzkonsum dazu führt, dass mehr Menschen sich trauen, im Hilfesystem anzukommen, dann bleibt mit Blick auf die Förderung von Beratungs- und Präventionsangeboten durch den Gesetzgeber nur zu sagen, dass die gegenwärtige Fördergrundlage hierzu vermutlich zu gering bemessen ist. Fabian Günther und Daniel Ellerbrock (apo)THEKE - Fachstelle für Suchtprävention und Konsumkompetenz der Diakonie Dresden Rothenburger Str. 9 01099 Dresden