unsere jugend
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Das Erasmus+ Projekt "UpFamilies"
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2025
Andrada Istrate
Rhianon Williams
Ana Rita Lourenço
Margarita Defingou
Ourania Xylouri
Bela Szuroka
Alfonso Andreo Almansa
Dieser Artikel dokumentiert die Fortschritte des dreijährigen, von Erasmus+ geförderten Projekts „UpFamilies“. Es hat zum Ziel, die Unterstützungsangebote für Familien mit inhaftierten Angehörigen zu verbessern und diese digital zugänglich zu machen. Die Autor:innen erläutern die Ergebnisse ihrer Befragungen zu den aktuellen Bedürfnissen von Angehörigen in Rumänien, Griechenland, Portugal, Spanien und dem Bundesland Bremen in Deutschland. Darüber hinaus werden länderspezifische Lücken in der Dienstleistungsversorgung aufgezeigt und vielversprechende Ansätze in diesem Bereich vorgestellt. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde der UpFamilies-Schulungskurs entwickelt, der Fachkräften einen Einblick in die Lebensrealität, Bedürfnisse und Versorgungslücken von Familien mit inhaftierten Angehörigen bietet. Zudem wird die UpFamilies-App vorgestellt, die Angehörigen den Zugang zu relevanten Diensten erleichtert und Anbietern hilft, diese schwer erreichbare Zielgruppe besser zu unterstützen. Abschließend werden politische Handlungsempfehlungen in den Bereichen Unterstützung, Schutz und Investition formuliert.
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140 von Dr. Andrada Istrate European Strategies Consulting (Rumänien), Forscherin zu Kriminalität und Straffälligkeit im heutigen Rumänien Rhianon Williams Interchange Non-Profit gUG (Deutschland), Spezialistin für Mitarbeiterschulungen in EU-Justizsystemen Ana Rita Lourenço Aproximar (Portugal), Consultant und Koordinatorin der Abteilung für Strafjustiz Das Erasmus+ Projekt „UpFamilies“ Europäische Zusammenarbeit für eine bessere Unterstützung von Familienangehörigen Inhaftierter Dieser Artikel dokumentiert die Fortschritte des dreijährigen, von Erasmus+ geförderten Projekts „UpFamilies“. Es hat zum Ziel, die Unterstützungsangebote für Familien mit inhaftierten Angehörigen zu verbessern und diese digital zugänglich zu machen. Die Autor: innen erläutern die Ergebnisse ihrer Befragungen zu den aktuellen Bedürfnissen von Angehörigen in Rumänien, Griechenland, Portugal, Spanien und dem Bundesland Bremen in Deutschland. Darüber hinaus werden länderspezifische Lücken in der Dienstleistungsversorgung aufgezeigt und vielversprechende Ansätze in diesem Bereich vorgestellt. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde der UpFamilies-Schulungskurs entwickelt, der Fachkräften einen Einblick in die Lebensrealität, Bedürfnisse und Versorgungslücken von Familien mit inhaftierten Angehörigen bietet. Zudem wird die UpFamilies-App vorgestellt, die Angehörigen den Zugang zu relevanten Diensten erleichtert und Anbietern hilft, diese schwer erreichbare Zielgruppe besser zu unterstützen. Abschließend werden politische Handlungsempfehlungen in den Bereichen Unterstützung, Schutz und Investition formuliert. unsere jugend, 77. Jg., S. 140 - 149 (2025) DOI 10.2378/ uj2025.art17d © Ernst Reinhardt Verlag Margarita Defingou Athens Lifelong Learning (Griechenland), Projektmanagerin für europäische soziale Eingliederung Ourania Xylouri Gründerin von Athens Lifelong Learning (Griechenland), Spezialistin für lebenslanges Lernen Szuroka Bela Vis Juventum Association (Rumänien) Alfonso Andreo Almansa Fundación Diagrama Intervención Psicosocial (FDIP) (Spanien), Projektkoordinator von UpFamilies 141 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ Einführung „UpFamilies - Online Resources To Support Prisoners’ Families“ ist ein dreijähriges Projekt von sechs Organisationen aus Spanien, Portugal, Rumänien, Griechenland und dem Bundesland Bremen in Deutschland 1 , das Familien von Inhaftierten unterstützt und auf deren Situation aufmerksam macht. Das Projekt bietet digitale Ressourcen, darunter eine App mit einem Angebotsverzeichnis für betroffene Familien und einen Online-Sensibilisierungskurs für Fachkräfte. Dadurch wird der Zugang zu passenden Angeboten sowohl für Fachkräfte, Organisationen und Ehrenamtliche als auch für von Inhaftierung betroffenen Familien selbst erheblich erleichtert. Das Projekt wird von der EU (Erasmus+, 2021-1-ES01-KA220-ADU-000025967) kofinanziert und durch die Fundación Diagrama Intervención Psicosocial, Spanien, koordiniert. Kinder und Familien von inhaftierten Personen in Europa „Unsichtbare Opfer“ (Travis/ Waul 2003), „Kollateralschäden“ (Eddy/ Poehlmann-Tynan 2019), „legale Zuschauer“ (Comfort 2007),„Kinder von niemandem“ (Fuentes 2014), „Quasi-Häftlinge“ (Comfort 2016), „vergessene Opfer“ (Matthews 1983), „versteckte Opfer“ (Cunningham/ Baker 2003), „Waisenkinder der Justiz“ (Shaw 2011) sind nur einige der Begriffe, die für die Kinder und Familien von Inhaftierten verwendet wurden. Unter dem weit gefassten Begriff der „Nebenkosten und Folgen der Inhaftierung“ (Hagan/ Dinovitzer 1999, 121) werden die betroffenen Familien von den meisten Strafjustizsystemen weltweit übersehen. Dennoch erkennen dieselben Systeme grundsätzlich an, dass die Stärkung der Beziehungen zwischen Inhaftierten, ihren Familien und wichtigen Bezugspersonen dazu beitragen kann, Rückfälle zu verhindern und die Kriminalität zwischen den Generationen zu verringern (Farmer/ Ministry of Justice 2017). Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass stabile familiäre und gemeinschaftliche Bindungen die Rückfälligkeit verringern (Sampson/ Laub 2003). Für Inhaftierte sind familiäre und soziale Beziehungen wesentlich für persönliche Veränderungen und eine erfolgreiche Resozialisierung. Umfangreiche Forschungsarbeiten unterstützen die Empfehlungen des Europarats (CM/ Rec (2018) 5), die den regelmäßigen und qualitativ hochwertigen Kontakt zwischen inhaftierten Eltern und ihren Kindern fördern. Diese Kontakte bringen Vorteile für die Kinder und fördern auch den emotionalen Zustand der Inhaftierten, verringern Spannungen im Gefängnis und verbessern die allgemeine Sicherheit und Ordnung. Angehörige spielen dabei eine wichtige Rolle, indem sie die Wiedereingliederungskultur sowohl innerhalb als auch außerhalb der Haftanstalt stärken. Der Europarat schätzt, dass im Jahr 2018 mehr als 2,1 Millionen Kinder europaweit von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen waren. Die Schätzungen der„Internationalen Koalition für Kinder mit inhaftierten Eltern“ (International Coalition for Children with Incarcerated Parents, ICCIP, 2020) gingen 2020 sogar von 2,7 Millionen Kindern mit einem Elternteil in Haft aus - davon 2,52 Millionen mit inhaftierten Vätern und über 160.000 mit inhaftierten Müttern. „Children of Prisoners Europe“ (COPE) erforscht die Auswirkungen elterlicher Inhaftierung auf die Entwicklung und das Wohl der betroffenen Kinder in Europa (Schuster et al. 2011). Zudem engagiert sich COPE für kinderfreundliche Fürsorge- und Justizpolitik und setzt auf solide europäische Daten als Basis für politische Veränderungen. Über die Angehörigen gibt es nur wenig Forschung, doch einige Studien (Arditti 2012; Jardine 2018) zeigen spezifische Herausforderungen dieser Gruppe. Die Folgen der Inhaftierung betreffen oft die gesamte erweiterte Familie, einschließlich Großeltern und Geschwister, und haben erhebliche soziale Auswirkungen (Arditti 2003). 142 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ UpFamilies-Konsultationen in Spanien, Portugal, Rumänien, Griechenland und dem Bundesland Bremen Um die Herausforderungen von Familien Inhaftierter gezielter anzugehen, erfasste das Projekt UpFamilies zunächst das vorhandene Unterstützungsangebot in den teilnehmenden Ländern. Die erhobenen Daten flossen in eine umfassende Roadmap 2 und den Mapping-Bericht 3 ein. Sie sind in sechs europäischen Sprachen, darunter Deutsch, verfügbar. Neben der Darstellung lokaler Dienstleistungen und Versorgungslücken werden hier bewährte Praxisbeispiele beschrieben, darunter das deutsche Netzwerk „Kinder von Inhaftierten“ (KvI), die „Appreciative Parenting Education der HoltIS Association“ in Rumänien sowie „Children Heard and Seen“ (CHAS) in England. Diese Erkenntnisse dienten als Grundlage für die Entwicklung des UpFamilies-Schulungskurses, der Fachkräften Einblicke in vielversprechende Praktiken und konkrete Lösungsansätze bietet. In einer standardisierten Analyse wurden über 20 Fallbeispiele identifiziert, die aufzeigen, wie in anderen Ländern Versorgungslücken erfolgreich geschlossen werden können. Die Ergebnisse sind praxisorientiert aufbereitet und wurden direkt in den Trainingskurs integriert, um dessen Nutzen für Fachkräfte zu maximieren. Der vollständige Fahrplan und der Mapping- Bericht bieten einen fundierten Überblick über die standardmäßige Unterstützung für Familien, die mit dem Strafrechtssystem in Kontakt stehen. Sie kartieren und bewerten bestehende Strukturen und schaffen so eine Grundlage für die Weiterentwicklung dieser essenziellen Dienste. Beide Dokumente sind online zugänglich und dienen als wertvolle Ressource für Politik, Praxis und Wissenschaft. Länderspezifische Einblicke UpFamilies-Schulungskurs Der kostenlose UpFamilies-Schulungskurs ist in fünf europäischen Sprachen und auf Englisch als E-Learning-Kurs und Handbuch verfügbar 4 . In acht Modulen bietet der Kurs Fachkräften wie Lehrer: innen und Arbeitsvermittler: innen, die oft mit Angehörigen von Inhaftierten arbeiten, jedoch wenig über deren besonderen Bedarf wissen, fundierte Kenntnisse. UpFamilies-App Unsere Untersuchungen zeigen, dass lokale Organisationen zwar Angebote für Familien von Inhaftierten bereitstellen, diese Zielgruppe jedoch nur schwer erreichen. Die neue UpFamilies-App 5 schafft hier Abhilfe, indem sie es Organisationen ermöglicht, ihre Dienste in einer kostenlosen, anonym zugänglichen App zu präsentieren. Politische Empfehlungen Die UpFamilies-Roadmap enthält auch politische Empfehlungen, die in drei Kategorien unterteilt sind: Unterstützen, Schützen und Investieren: UNTERSTÜTZEN Um Familien von Inhaftierten gezielt zu unterstützen, sollten die folgenden politischen Empfehlungen zur Bereitstellung passender Hilfsangebote zum richtigen Zeitpunkt berücksichtigt werden (Geller et al. 2009): Rechtzeitige und leicht zugängliche Unterstützung: ➤ Entwickeln Sie Strategien, die rechtzeitige und leicht zugängliche Angebote für Familien von Inhaftierten sicherstellen. 143 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ ➤ Verringern Sie die Zugangshürden zu Unterstützung, indem Sie klare Informationen bereitstellen, die Antragsverfahren vereinfachen und die Kommunikationen zwischen Angeboten und Familien verbessern. Familienorientierte Ansätze: ➤ Implementieren Sie Strategien, die familienorientierte Ansätze bei der Bereitstellung von Angeboten bevorzugen. ➤ Erkennen Sie die Bedeutung der Aufrechterhaltung und Stärkung von Familienbeziehungen während der Inhaftierung an und fördern Sie Maßnahmen, die eine regelmäßige Kommunikation zwischen Inhaftierten und ihren Angehörigen erleichtern. Traumainformierte Betreuung: ➤ Integrieren Sie traumainformierte Betreuung bei allen Interaktionen und Interventionen mit von Inhaftierung betroffenen Familien. Tab. 1: Ergebnisse der UpFamilies-Konsultationen in Spanien, Portugal, Rumänien, Griechenland und im Bundesland Bremen Land Bundesland Bremen, Deutschland Griechenland Portugal Rumänien Spanien Wissenslücken und Defizite in der Bereitstellung von Angeboten Fehlendes Wissen über Bedürfnisse von Familien als eigenständige Gruppe. Unzureichende Beratungsdienste für Familien ohne Kinder. Unterstützung bei psychischer Gesundheit und Suchtproblemen kaum vorhanden. Schlechte Zusammenarbeit zwischen den Akteur: innen des Strafjustizsystems (CJS). Wenig Wissen über verfügbare Angebote für Familien. Die Auswirkungen auf betroffene Kinder brauchen besondere Aufmerksamkeit. Begrenzte Angebote für Kinder und Familienangehörige. Mangel an finanziellen, psychischen und medizinischen Hilfen. Mangel an langfristiger Sicherheit bei der Bereitstellung von Angeboten. Begrenzte Zusammenarbeit mit dem Justizsystem. Schlechte Abdeckung bei finanzieller, medizinischer und Wohnraumhilfe. Nur wenige Organisationen bieten spezielle Angebote für Familien von Inhaftierten. Besondere Probleme Gefängnispersonal könnte als Vermittler fungieren, benötigt aber Investitionen. Multi-Agency-Ansatz für Eltern- und Kind-Dienste erforderlich. Informationsaustausch und Beteiligung oft zögerlich. Beeinträchtigung der Bereitstellung von Angeboten durch übermäßige Arbeitsbelastung. Psychosoziale Dienste sind zwar vorhanden, aber finanzielle Hilfen sind selten. Regionale Angebote dominieren; nationale Strategie und stabile Finanzierung nötig. 144 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ ➤ Bieten Sie Fachkräften Schulungen an, um ihr Verständnis für die Auswirkungen von Traumata zu verbessern und Fähigkeiten zur Gestaltung eines sicheren und unterstützenden Umfelds zu entwickeln. Ganzheitliche Unterstützung: ➤ Stellen Sie ganzheitliche Unterstützung für Familien in den Vordergrund und gehen Sie auf ihre physischen, emotionalen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse ein. ➤ Sorgen Sie für umfassende Angebote, einschließlich psychologischer Unterstützung, Beratung, finanzieller Hilfe, Unterstützung bei der Wohnungssuche, Bildungsmöglichkeiten und Kinderbetreuung. Zusammenarbeit und Koordinierung: ➤ Stärken Sie die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Fachkräften und Behörden, die an der Unterstützung von betroffenen Familien beteiligt sind. ➤ Bilden Sie multidisziplinäre Teams oder Netzwerke, um den Informationsaustausch, Überweisungen und koordinierte Betreuungspläne zu erleichtern. Kontinuität der Unterstützung: ➤ Stellen Sie eine nahtlose Unterstützung für Familien während des gesamten Prozesses - von der Inhaftierung bis zur Resozialisierung - sicher. ➤ Entwickeln Sie Übergangspläne, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Familien in den Phasen vor, während und nach der Inhaftierung eingehen und einen ununterbrochenen Zugang zu Angeboten und Unterstützung gewährleisten. Gesellschaftliches Engagement: ➤ Fördern Sie gesellschaftliches Engagement bei der Unterstützung von Familien Inhaftierter. ➤ Treiben Sie die Einbindung von gemeinnützigen Organisationen, Verbänden, Selbsthilfegruppen und Ehrenamtlichen aktiv voran. Stärkung und Interessenvertretung: ➤ Befähigen Sie Familien, für ihre Bedürfnisse und Rechte einzutreten. ➤ Stellen Sie Informationen und Ressourcen für Familien bereit, damit sie sich im System zurechtfinden, auf verfügbare Unterstützung zugreifen und an Entscheidungsprozessen teilnehmen können. Evaluation und Feedback: ➤ Führen Sie regelmäßige Evaluierungs- und Feedbackmechanismen durch, um die Effektivität der Angebote zu bewerten und verbesserungswürdige Bereiche zu identifizieren. ➤ Beziehen Sie betroffene Familien in den Evaluationsprozess ein, um sicherzustellen, dass ihre Perspektiven berücksichtigt werden. Durch die Umsetzung dieser politischen Empfehlungen können betroffene Familien gezielt und rechtzeitig unterstützt werden. Entscheidend ist, die besonderen Bedürfnisse dieser Familien zu erkennen, ihnen den Zugang zu umfassender Hilfe zu ermöglichen und sie darin zu fördern, die Herausforderungen ihrer Situation erfolgreich zu bewältigen. SCHÜTZEN Damit Fachkräfte kompetent und verlässlich auf die Bedürfnisse der betroffenen Familien eingehen können, brauchen Sie entsprechende Ressourcen und Rahmenbedingungen (O’Malley/ Devaney 2016): Schulung und Unterstützung von Fachkräften: ➤ Räumen Sie der Ausbildung und beruflichen Weiterbildung von Fachkräften, die mit betroffenen Familien arbeiten, Priorität ein. 145 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ ➤ Bieten Sie Fachkräften kontinuierliche Unterstützung, Supervision und Ressourcen an, um ihre Kompetenz, ihr Wissen und ihr Verständnis für die besonderen Bedürfnisse dieser Familien zu verbessern. Qualitätssicherung und Standards: ➤ Legen Sie Qualitätssicherungsmechanismen und Standards für Angebote für betroffene Familien fest. ➤ Überprüfen Sie regelmäßig die Angebote, um die Einhaltung von Best Practices, ethischen Richtlinien und Qualitätsstandards zu gewährleisten. Zusammenarbeit und Informationsaustausch: ➤ Fördern Sie die Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und die interdisziplinäre Kooperation zwischen Fachkräften, Behörden und Gemeindeorganisationen. ➤ Verbessern Sie die Kontinuität der Versorgung und vermeiden Sie Versorgungslücken durch regelmäßige Kommunikation und koordinierte Maßnahmen. Stärkung der Gemeinschaftsressourcen: ➤ Stellen Sie Ressourcen zur Stärkung von Fachkräften und Angeboten bereit, die Angehörige von Inhaftierten unterstützen. ➤ Stellen Sie Fördermittel und technische Unterstützung für Fachkräfte bereit, die mit Angehörigen von Inhaftierten arbeiten, um effektive Unterstützung in Bereichen wie Wohnen, Beschäftigung, Bildung usw. zu leisten. Gemeinschaftsbildung und Bewusstseinsförderung: ➤ Bildungskampagnen und Aufklärungsinitiativen stärken das Bewusstsein für die Herausforderungen von Angehörigen von Inhaftierten. ➤ Eine breite Öffentlichkeitsarbeit kann die Solidarität und Unterstützung für diese Zielgruppe fördern. Zusammenarbeit mit Justizvollzugsanstalten: ➤ Fördern Sie die Zusammenarbeit zwischen Trägern von Angeboten für betroffene Angehörige und JVA. ➤ Erstellen Sie Protokolle und Vereinbarungen zur Erleichterung des Informationsaustauschs bei der Zusammenarbeit mit den JVA. Prävention und frühzeitige Intervention: ➤ Legen Sie einen Schwerpunkt auf Präventions- und frühzeitige Interventionsstrategien, um die grundlegenden Probleme der Inhaftierung und ihrer Auswirkungen auf die Familien anzugehen. ➤ Stellen Sie Mittel bereit, die sich an Risikofamilien richten und Unterstützung, Beratung und Ressourcen bieten, um die negativen Folgen der Inhaftierung zu verhindern oder abzumildern. Forschung und Evaluierung: ➤ Investieren Sie in Forschungsinitiativen, um die Bedürfnisse von Familien Inhaftierter besser zu verstehen. ➤ Fördern Sie Forschung und Evaluierung, um evidenzbasierte Entscheidungen und effektive Interventionsstrategien zu unterstützen. Unterstützung für Fachkräfte: ➤ Stellen Sie das Wohlergehen und die Unterstützung von Fachkräften, die mit von Inhaftierung betroffenen Familien arbeiten, in den Vordergrund. ➤ Stellen Sie Ressourcen für die Selbstfürsorge, psychische Unterstützung und berufliche Entwicklung bereit, um Burnout vorzubeugen und eine konstante Angebotsqualität sicherzustellen. Durch die Umsetzung dieser politischen Empfehlungen können betroffene Familien effektiver geschützt und unterstützt werden. Es ist essenziell, die Schlüsselrolle von Angeboten 146 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ und Fachkräften anzuerkennen, gemeinschaftliche Ressourcen zu stärken, die interdisziplinäre Zusammenarbeit auszubauen und gezielt in Strategien zu investieren, die betroffene Familien nachhaltig stabilisieren und stärken. INVESTIEREN Zur Verbesserung der Situation von Angehörigen von Inhaftierten und zur kontinuierlichen Bewertung und Verbesserung der Angebote sollten die folgenden politischen Empfehlungen berücksichtigt werden (Nomaguchi/ Milkie 2020): Kontinuierliche Bewertung und Feedback: ➤ Überprüfen Sie kontinuierlich die Effektivität von Angeboten, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren. ➤ Beziehen Sie Familien, Fachkräfte und andere Interessengruppen in den Bewertungsprozess ein, um verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen und Feedback zu integrieren. Datenerhebung und -analyse: ➤ Fördern Sie eine systematische Datenerfassung und -analyse, um evidenzbasierte Entscheidungen zu ermöglichen. ➤ Erfassen Sie Daten über die Bedürfnisse, Erfahrungen und Ergebnisse von betroffenen Familien, um Lücken zu identifizieren, Fortschritte zu überwachen und die Ressourcenzuweisung zu optimieren. Bedarfsanalyse: ➤ Führen Sie regelmäßige Bedarfsanalysen durch, um die sich wandelnden Bedürfnisse der Familien von Inhaftierten zu ermitteln. ➤ Führen Sie umfassende Analysen durch, um spezifische Herausforderungen der betroffenen Familien zu ermitteln und Angebote entsprechend anzupassen. Forschung und Innovation: ➤ Stellen Sie Ressourcen für Forschungsinitiativen bereit, die sich auf die besonderen Bedürfnisse und Herausforderungen dieser Familien konzentrieren. ➤ Fördern Sie innovative Ansätze und Pilotprojekte, welche die Effektivität und Wirkung von Angeboten verbessern können. Zusammenarbeit und Partnerschaften: ➤ Fördern Sie die Zusammenarbeit und Partnerschaften zwischen Regierungsbehörden, Gemeinschaftsorganisationen und akademischen Einrichtungen. ➤ Fördern Sie den Austausch von Wissen, Best Practices und Ressourcen, um Angebote zu stärken und weiter auszubauen. Kapazitätsaufbau: ➤ Investieren Sie in den Kapazitätsaufbau von Fachkräften, die mit betroffenen Familien arbeiten. ➤ Bieten Sie Fachkräften Schulungen, berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten und technische Unterstützung an. Erfolgsmessung und Verantwortung: ➤ Entwickeln Sie Richtlinien, um die Effektivität und Wirkung der Angebote zu messen. ➤ Legen Sie klare Leistungsindikatoren fest, überwachen Sie den Fortschritt und stellen Sie die Verantwortung der Fachkräfte sicher. Ressourcenzuteilung: ➤ Sorgen Sie für eine angemessene und gerechte Ressourcenzuteilung, um betroffene Familien zu unterstützen. ➤ Stellen Sie Mittel für umfassende und integrierte Dienstleistungen zur Verfügung, die den unterschiedlichen Bedürfnissen dieser Familien gerecht werden, und setzen Sie Prioritäten in den Bereichen, in denen Lücken bestehen. 147 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ Familienbeteiligung: ➤ Fördern sie eine Einbindung der Familien in Planung, Umsetzung und Bewertung von Angeboten. ➤ Ermutigen Sie die aktive Beteiligung von betroffenen Familien an Entscheidungsprozessen, um ihre Bedürfnisse und Stimmen zu berücksichtigen. Durch die Umsetzung dieser politischen Empfehlungen kann die Situation von Angehörigen Inhaftierter gezielt verbessert werden. Dazu gehören die regelmäßige Bewertung und Verbesserung der Angebote. Ein strategischer Ansatz zur behördenübergreifenden Datenerhebung, kontinuierliche Forschung und die Bereitstellung ausreichender Ressourcen sind entscheidend, um die Lebenssituation dieser Familien nachhaltig zu verändern. Fazit Die Untersuchungen im Rahmen des Projekts „UpFamilies“ bestätigen, dass familiäre Netzwerke entscheidend für die Rückfallprävention sind. Trotz einiger guter Ansätze fehlt in den teilnehmenden Ländern ein strategischer Ansatz, um Angehörige von Inhaftierten systematisch in die Resozialisierung einzubeziehen. Die Projektergebnisse deuten eher darauf hin, dass die Familien von Inhaftierten in Europa nicht als wichtige Ressource der Resozialisierung anerkannt werden. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass sie eine oft übersehene, diffuse Gruppe darstellt, die teilweise absichtlich unbemerkt bleibt, um Stigmatisierung zu vermeiden. Die UpFamilies-Roadmap identifiziert Lücken in Unterstützungsangeboten, deren Schließung die familiäre Situation der Angehörigen von Inhaftierten stabilisieren könnte. Die UpFamilies- App erleichtert betroffenen Familien den Zugang zu lokalen Angeboten. Die Projektergebnisse von UpFamilies unterstreichen, dass trotz unterschiedlicher Justizsysteme ähnliche Herausforderungen für Familien von Inhaftierten bestehen. Diese Gemeinsamkeiten bieten Chancen für Verbesserungen, etwa durch familienzentrierte Ansätze oder behördenübergreifenden Datenaustausch. Erfolgreiche Beispiele wie das Netzwerk „Kinder von Inhaftierten“ (KvI) in Deutschland oder „Children Heard and Seen“ (CHAS) in England zeigen praktikable Wege auf. Durch stärkere politische Unterstützung und Investitionen könnten nationale und europäische Standards effektiver umgesetzt werden, um so die Arbeit von Fachkräften zu verbessern und die Lebensrealität betroffener Familien in Europa nachhaltig zu stärken. Anmerkungen 1 Spanischer Koordinator: Fundación Diagrama Intervención Psicosocial (FDIP); portugiesische Partner: Aproximar, Cooperativa de Solidariedade Social und O Mundo da Carolina - Associaç-o de Apoio a Crianças e Jovens; rumänische Partner: European Strategies Consulting und Asociatia Vis Juventum; griechische Partner: Athens Lifelong Learning Institute - Civil Non-Profit Organisation; Deutsche/ Bremer Partner: Interchange Non-Profit gUG 2 UpFamilies-Fahrplan: https: / / upfamilies.eu/ wp/ results/ 3 UpFamilies Mapping-Bericht über Programme und Dienstleistungen, die den Bedürfnissen der von Inhaftierung betroffenen Familien entsprechen: https: / / upfamilies.eu/ wp/ wp-content/ uploads/ 2024/ 06/ Mapping-report_Final-Publish.pdf 4 Schulungshandbuch: https: / / upfamilies.eu/ wp/ results/ ; Link zum Schulungskurs auf Deutsch: https: / / www.inter-change.eu/ upfamilies-results 5 Die App ist verfügbar für Android: https: / / play. google.com/ store/ apps/ details? id=com.appupfamilies&pli=1, und iOS: https: / / apps.apple.com/ pt/ app/ upfamilies/ id6547853512 Andrada Istrate E-Mail: andrada.istrate@gmail.com Rhianon Williams E-Mail: rhianon@inter-change.eu 148 uj 3 | 2025 Das Erasmusprojekt „UpFamilies“ Literatur Arditti, J. A. (2003): Locked doors and glass walls: Family visiting at a local jail. Journal of Loss & Trauma, 8 (2), 115 - 138, https: / / doi.org/ 10.1080/ 15325020305864 Arditti, J. A. (2012): Parental Incarceration and the Family. Psychological and Social Effects of Imprisonment on Children, Parents, and Caregivers. New York University Press, New York Blitz, L. V., Anderson, E. M., Saastamoinen, M. (2016): Assessing Perceptions of Culture and Trauma in an Elementary School. Informing a Model for Culturally Responsive Trauma-Informed Schools. The Urban Review 48, 520 - 542 Blitz, L. V., Yull, D., Clauhs, M. (2020): Bringing Sanctuary to School. Assessing School Climate as a Foundation for Culturally Responsive Trauma-Informed Approaches for Urban Schools. Urban Education 55 (1), 95 -124 Comfort, M. (2016): ”A Twenty-Hour-a-Day Job“. The Impact of Frequent Low-Level Criminal Justice Involvement on Family Life. 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Durch gezielte Kooperation und die Einbindung aller Akteur: innen entstehen Räume, die nicht nur Schutz, sondern auch Chancen bieten. In diesem Sinne wird für eine Reflexion institutioneller Strukturen plädiert, damit die Kinder- und Jugendhilfe ihren sozialpolitischen Auftrag noch besser erfüllen kann. Zum Social Return on Investment (SROI): Der SROI zeigt auf, welche konkreten Wirkungen soziale Angebote entfalten und wie sich deren gesellschaftlicher Mehrwert messen lässt. Der Blick über die die reine Kostenrechnung hinaus ermöglicht es, den Nutzen sozialer Dienstleistungen sichtbar zu machen. Angesichts wachsender Herausforderungen in der Institutionalisierung und Finanzierung wird aufgezeigt, wie der SROI helfen kann, Transparenz zu schaffen und die Bedeutung sozialer Arbeit in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext zu verdeutlichen.
