Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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„Das klappt schon irgendwie...!“
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Frauke Janz
Schülerinnen und Schüler mit sehr schweren und mehrfachen Behinderungen sind in ihrer schulischen Bildung auf die Kooperation verschiedener Berufsgruppen angewiesen (z. B. Pädagogen, Therapeuten, Pflegekräfte). Im Rahmen des Forschungsprojektes BiSB (Bildungsrealität von Schülerinnen und Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen) an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg wurde durch mehrperspektivische Fragebögen und sechs einwöchige videobasierte Einzelfallstudien erstmals umfassend untersucht, wie sich die interprofessionelle Zusammenarbeit in diesem Arbeitsfeld gestaltet. – Der Artikel thematisiert die durch die Arbeits- und Organisationspsychologie definierten Grundlagen einer professionellen Zusammenarbeit: die konzeptionelle Verankerung, die Erwartungen der Schulleitungen zur Aufgabenteilung, die Übernahme der Förderplanung durch die verschiedenen Berufsgruppen sowie die Häufigkeit und die inhaltlichen Schwerpunkte der Teamsitzungen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kooperation noch nicht in allen Schulen konzeptionell verankert ist und professionell gestaltet wird (z. B. durch regelmäßige Teamsitzungen).
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302 VHN, 76. Jg., S. 302 -314 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel „Das klappt schon irgendwie …! “ Konzeption und Planung der interprofessionellen Zusammenarbeit im Klassenteam von Schülerinnen und Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen Frauke Janz Pädagogische Hochschule Heidelberg Zusammenfassung: Schülerinnen und Schüler mit sehr schweren und mehrfachen Behinderungen sind in ihrer schulischen Bildung auf die Kooperation verschiedener Berufsgruppen angewiesen (z. B. Pädagogen, Therapeuten, Pflegekräfte). Im Rahmen des Forschungsprojektes BiSB (Bildungsrealität von Schülerinnen und Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen) an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg wurde durch mehrperspektivische Fragebögen und sechs einwöchige videobasierte Einzelfallstudien erstmals umfassend untersucht, wie sich die interprofessionelle Zusammenarbeit in diesem Arbeitsfeld gestaltet. - Der Artikel thematisiert die durch die Arbeits- und Organisationspsychologie definierten Grundlagen einer professionellen Zusammenarbeit: die konzeptionelle Verankerung, die Erwartungen der Schulleitungen zur Aufgabenteilung, die Übernahme der Förderplanung durch die verschiedenen Berufsgruppen sowie die Häufigkeit und die inhaltlichen Schwerpunkte der Teamsitzungen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kooperation noch nicht in allen Schulen konzeptionell verankert ist und professionell gestaltet wird (z. B. durch regelmäßige Teamsitzungen). Schlüsselbegriffe: Interprofessionelles Team, schwere und mehrfache Behinderung, Kooperation, Klassenteam, empirische Untersuchung “It Does Work Somehow …! ” - Concept and Design of Inter-Professional Cooperation in Classroom Teams Working with Pupils with Severe and Multiple Disabilities Summary: Pupils with severe and multiple disabilities are completely dependent on the support of a number of professionals who take care of their education at school. This calls for a close cooperation of the staff belonging to several disciplines (e.g. pedagogical, medical and therapeutic staff). This study is part of an extended project which investigates for the first time the cooperation of staff working with these children in Baden-Württemberg (Germany) (BiSB: Bildungsrealität von Schülerinnen und Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen, sponsored by the University of Education, Heidelberg). Based on the fundamentals of organisational and industrial psychology, the author analyses how professionals from different disciplines work together as a team at school: Is the cooperation embedded in the school concept? Does the whole team meet regularly and what are the topics of these meetings? Who is responsible for the supportive measures? etc. The results show that in many schools cooperation is not an integral part of the concept and that the collaboration is not structured in a professional way, e. g. with regard to periodical meetings or the dialog between disciplines. Keywords: Inter-professional team, severe and multiple disabilities, cooperation, classroom team, empirical research Fachbeitrag 1 Die Notwendigkeit von Kooperations- Konzepten für Fachleute an Schulen für schwer und mehrfach behinderte Kinder Jeder Mensch hat ein Recht auf Bildung, so ist es in der Internationalen Charta der Menschenrechte der UNO von 1966 in Artikel 13 verankert. In einer Gesellschaft, die den Anspruch hat, die Menschenrechte umfassend zu verwirklichen, sollte dies auch für Kinder mit sehr schweren Behinderungen gelten. Tatsächlich werden sie seit ungefähr 30 Jahren in Schulen aufgenommen und in Baden-Württemberg vornehmlich an Schulen für Geistig- und Körperbehinderte unterrichtet. Die Kinder, von denen hier die Rede ist, sind infolge einer schweren geistigen und häufig einer weiteren motorischen oder Sinnes-Behinderung „in (fast) allen Lebensbereichen auf umfassende Assistenz angewiesen“ (Klauß/ Lamers 2003, 37). Sie haben aufgrund ihrer Beeinträchtigungen einen besonderen und sehr komplexen Förder- und Unterstützungsbedarf, der neben pädagogischen Kenntnissen und Kompetenzen auch die Einbeziehung von Kenntnissen anderer Disziplinen und Professionen in den schulischen Bildungsprozess erfordert. Sie brauchen neben differenzierten pädagogischen Angeboten auch physiotherapeutische und in hohem Umfang pflegerische und Betreuungs- Angebote, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Die Klassenteams in Baden-Württemberg setzen sich daher in der Regel aus Pädagogen 1 , Therapeuten, Betreuungskräften, Zivildienstleistenden und Pflegekräften zusammen. Nur wenn die Kooperation zwischen diesen Personen gelingt, können die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Schüler beachtet und ihr Anspruch auf Bildung und Teilhabe erfüllt werden. Angesichts dieser offenkundigen Notwendigkeit einer effektiven und abgestimmten Zusammenarbeit liegt die Annahme nahe, dass es nach 30 Jahren viele gut begründete und ausgearbeitete Modelle zur Kooperation geben müsste, auf die das schulische Personal bereits in der Ausbildung vorbereitet wird und auf welche die Teammitglieder bei der Gestaltung der Zusammenarbeit zurückgreifen können. Eine Analyse der Fachliteratur zeigt jedoch, dass eine solche Entwicklung bislang ausgeblieben ist, denn es gibt in der deutschsprachigen Literatur kaum wissenschaftlich begründete Konzepte oder theoretische Modelle der interprofessionellen Kooperation in diesem speziellen Arbeitsfeld (vgl. Janz 2006, 85ff). Dabei wird in neueren Beiträgen die Professionalisierungsdiskussion der Erziehungswissenschaft auch für die Sonderpädagogik durchaus aufgegriffen (vgl. Lindmeier 2000; Horster/ Hoyningen-Süess/ Liesen 2005; Dlugosch 2005; Reiser 1996, 2005). Obwohl jedoch Horster u. a. (2005, 7) in diesem Zusammenhang von einem „nachhaltig erwachten Forschungsinteresse“ berichten, da „die Sonderpädagogik […] in den letzten Jahren begonnen [hat], die Professions- und Professionalisierungsforschung für sich zu entdecken“, ist die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen und Teammitgliedern ohne spezifische Ausbildung in Klassenteams von Schülerinnen mit schweren und mehrfachen Behinderungen bislang weder systematisch analysiert und modellhaft formuliert noch wissenschaftlich untersucht worden. Insofern können vermutlich auch keine diesbezüglichen Kompetenzen in den Ausbildungen der in diesem Berufsfeld arbeitenden Personen erworben werden. An der Pädagogischen Hochschule Heidelberg gibt es beispielsweise erst seit 2005 ein regelmäßiges Seminarangebot, das die Kooperation verschiedener Berufsgruppen in der Arbeit mit schwer behinderten Schülern thematisiert. Von offizieller Seite - z. B. in Lehrplänen oder Vorgaben der Schulverwaltung - erhalten die mit diesen Schülern arbeitenden Fachpersonen in der Praxis ebenfalls wenig konkrete Hinweise zu Zielen oder zur Ausgestaltung ihrer Zusammenarbeit (vgl. Janz 2006, 74ff). Wenn aber die Bedeutung der Teamarbeit in diesem Arbeitsfeld nur grundsätzlich anerkannt und gefordert wird, ohne dass diese „Das klappt schon irgendwie …! “ 303 VHN 4/ 2007 Forderung mit inhaltlichen Konzepten zu ihrer Umsetzung untermauert wird, besteht zumindest die Gefahr, dass eine gelingende Kooperation vom zufälligen Zusammentreffen engagierter und „teamfähiger“ Mitarbeiter abhängt und damit einer gewissen Beliebigkeit unterliegt. Luhmann, der in früheren Schriften beklagt, dass zwischen Erziehungswissenschaft und pädagogischer Praxis ein ‚Technologiedefizit‘ herrsche (vgl. Luhmann/ Schorr 1982), sieht dieses Verhältnis in einem nach seinem Tode veröffentlichten Buch positiver (Luhmann 2002, 157) und schreibt: „Die Wissenschaft ist die vielleicht wichtigste Ressource der Erziehung, denn die gute Absicht, richtig zu erziehen, kann sich am besten auf wahres Wissen stützen, und für Wahrheit ist in der modernen Welt die Wissenschaft zuständig. […] die Lehre [ist somit] auf die Präsentation von Resultaten der wissenschaftlichen Forschung angewiesen“ (ebd., 132f). Auf diesem Ansatz basierend, werden im Folgenden aus wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen Implikationen für die Teamkooperation abgeleitet. Der Artikel befasst sich unter Einbeziehung von empirischen Daten aus dem Forschungsprojekt BiSB mit der Frage, wie Planung und Konzeption der Zusammenarbeit verschiedener Professionen und Mitarbeiter in den Klassenteams in Baden-Württemberg organisiert und umgesetzt werden bzw. ob die in der Überschrift genannte Aussage: „Das klappt schon irgendwie …! “ in der Praxis Gültigkeit hat 2 . 2 Untersuchungen im Forschungsprojekt BiSB an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg Im Forschungsprojekt „Bildungsrealität von Schülerinnen und Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen“ (BiSB), das seit dem Jahr 2000 an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg läuft, wird erstmals die schulische Situation von Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen untersucht. Die Forschenden befassen sich - neben vielen anderen Schwerpunkten (vgl. Klauß/ Lamers/ Janz 2006) - auch mit Aspekten der Kooperation im Team (vgl. Janz 2006), dazu werden zwei umfangreiche methodische Instrumente genutzt: eine flächendeckende, explorative Befragung (2001) der Schulen in Baden-Württemberg 3 , an denen diese Schüler unterrichtet werden: Um den Aspekten der Interprofessionalität und Mehrperspektivität gerecht zu werden, wurden von jeweils zwei Schülern alle beteiligten Berufsgruppen befragt. Die Fragebögen wurden auf der Grundlage einer sechswöchigen Beobachtungsphase in sechs Schulen unter Einbeziehung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse vom Forschungsteam konstruiert und in zwei Vorstudien erprobt und weiterentwickelt (vgl. Schendera u. a. 2003). Insgesamt äußerten sich 179 Fachlehrer, 147 Sonderschullehrer, 115 Therapeuten, 132 Pflegekräfte und 166 Teams sowie 97 Schulleiter und 179 Eltern. videobasierte Einzelfallstudien: Da in einer Fragebogenerhebung nicht alle Aspekte befriedigend untersucht werden können, wurden zusätzlich sechs videobasierte Einzelfallstudien (2003 - 2004) durchgeführt. Dafür wurden sechs Schüler mit schweren Behinderungen über eine ganze Schulwoche mit Kameras durchgehend begleitet, sodass der gesamte Schulalltag exemplarisch vertiefend untersucht werden konnte. Die hohe Beteiligung an der höchst komplexen Fragebogenerhebung ist ein Indiz für die große Relevanz des Themas in den Schulen: 95,6 % der 114 Schulen, an denen diese Schüler in Baden-Württemberg unterrichtet werden, haben an der Befragung teilgenommen. Gleichzeitig lässt sich daraus schließen, dass sich vermutlich sehr engagierte Teams an der Erhebung beteiligt haben, da sowohl die Befragung als auch die Videobeobachtung sehr aufwendig war. Frauke Janz 304 VHN 4/ 2007 2.1 Konzeptionelle Verankerung der Teamkooperation in den untersuchten Schulen Eine gelingende Teamkooperation erfordert die gemeinsame Orientierung an den Zielen und der Aufgabe und setzt voraus, dass sich die Teammitglieder in Bezug auf die Gestaltung ihrer Zusammenarbeit weitgehend einig sind. Nach den Erkenntnissen aus der Arbeits- und Organisationspsychologie macht dies neben gemeinsamen Normen und Werten (vgl. Antoni 2000) auch die Übereinstimmung bezüglich des Ablaufs und der Zuständigkeiten sowie Absprachen zur konkreten täglichen Zusammenarbeit erforderlich. Vereinbarungen dazu können z. B. durch explizite Ausarbeitungen in der Schulkonzeption festgehalten sein. Wenn keine schriftliche Festlegung existiert, kann auch implizit festgelegt sein, wie die Zusammenarbeit funktionieren soll. Die (implizite) Konzeption kann allerdings auch darin bestehen, dass möglichst wenig geregelt wird und jedes Team eine eigene Form und ein individuelles Ausmaß an Kooperation gestaltet. Das Problem liegt hier allerdings darin, dass vieles doch geregelt werden muss und dass die Vereinbarungen darüber dann „irgendwie“, in Form informeller und unter Umständen konflikthafter Prozesse, entschieden werden (vgl. Haisch 1988; 1993). Das Entstehen und auch die Verbindlichkeit solcher faktisch praktizierten, aber nicht ausgesprochenen Regelungen bleiben intransparent. Vieles spricht also dafür, dass eine Institution wie eine Schule eine explizite Konzeption erarbeitet, in der die gemeinsamen Ziele, die Zielgruppe(n), die allgemein anerkannten Vorgehens- und Arbeitsweisen, die eingesetzten Personen und notwendigen Qualifikationen sowie materielle Gegebenheiten, Entscheidungswege und -gremien usw. so formuliert sind, dass die Mitarbeitenden ebenso wie auch die Schüler bzw. deren Eltern Klarheit darüber haben. Im Zusammenhang mit der Teamkooperation wurde deshalb zunächst untersucht, ob in den vorhandenen Konzeptionen Aspekte der Teamarbeit thematisiert werden. 2.2 Verankerung der Teamkooperation in den Schulkonzeptionen Alle an der Erhebung beteiligten Schulen wurden gebeten, ihre Schulkonzeptionen gesondert den anonymisierten Fragebögen beizulegen. Ergänzend fanden im Herbst 2005 Analysen der Internetseiten der an der Untersuchung beteiligten Schulen statt, um auch Schulen einzubeziehen, die zwar keine Konzeption mitgeschickt hatten, aber - möglicherweise auch zwischenzeitlich - über eine solche im Internet informierten. Die Auswertungen dieses Materials ergaben, dass 54 der 109 an der Erhebung beteiligten Schulen keine öffentlich zugängliche Konzeption hatten (49,5 %). Von 26 dieser Schulen gibt es explizite Aussagen dazu, dass kein ausführliches, konkretes Schulkonzept existiere (24 %). Bei den 28 restlichen Schulen (26 %) ist nicht auszuschließen, dass Einzelne von ihnen über eine interne Konzeption verfügen, diese aber nicht weitergeben und veröffentlichen (vgl. Abb.1). Die 55 verfügbaren Konzeptionen wurden nun detailliert auf die Verankerung der Teamarbeit analysiert: Die Teamkooperation wird in 32 (knapp 60 %) der 55 Schulkonzepte angesprochen (vgl. Abb. 2). „Das klappt schon irgendwie …! “ 305 VHN 4/ 2007 Abb. 1: Vorhandensein einer veröffentlichten Schulkonzeption in den an der Erhebung beteiligten Schulen Die Aussagen zur Zusammenarbeit sind allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß ausführlich und verbindlich ausgeführt. So ist in einer Konzeption (Schule Nr. 78) zu lesen: „Als Arbeitsgrundlage dient für Schüler/ innen, Mitarbeiter/ innen, Eltern und alle beteiligten Personen eine gemeinsame Plattform. Diese gründet sich auf Selbstbestimmung, Toleranz und Kooperation. Sie schafft ein Klima, das allen Beteiligten Vertrauen und Zuversicht ermöglicht“. Es gibt daneben aber auch Konzeptionen, in denen die Teamarbeit überaus ausführlich und konkret dargestellt und begründet wird, so in der Schule Nr. 70, in deren Organisationsmodell das „Blockteamkonzept“ beschrieben wird, oder in der Schule Nr. 6, deren Konzeption explizite Aussagen zur Häufigkeit von Teamsitzungen und Inhalten macht: „In unserer Schule steht die Teamarbeit sehr im Vordergrund sowohl innerhalb der einzelnen Klassen als auch innerhalb der Stufen. Die Teams der Klassen treffen sich 14-tägig, bei Bedarf öfter, und die Teams der Stufen treffen sich je nach Besonderheiten, Themen, Aktuellem etc. Zusätzlich greift die Teamarbeit bis auf Schulleiterebene ein. Im 14-tägigen Rhythmus trifft sich eine freiwillige Gruppe von Sonderschullehrern, Fachlehrern und Erzieherinnen mit der Schulleitung zu einer Teammanagementsitzung. In dieser Sitzung geht es um gegenseitige Informationen, Austausch und gemeinsame Erarbeitung von größeren Projekten, derzeit ist es die Aktualisierung des Schulkonzeptes.“ Eine solche ausführlichere Bezugnahme auf die Teamarbeit findet sich nur in insgesamt sieben Konzeptionen. Die von verschiedenen Autoren (vgl. Antoni 2000; Brodbeck/ Anderson/ West 2000) begründete Forderung nach konzeptioneller und organisatorischer Verankerung der Zusammenarbeit und der konkreten Teamkooperation ist also bei knapp 70 % der beteiligten Schulen zumindest in den öffentlich zugänglichen Konzeptionen nicht gegeben. Auch wenn es darüber hinaus schulintern verbindliche Verabredungen geben könnte, deutet dies darauf hin, dass diesem Thema - zumindest auf Schulebene - bislang kein erkennbarer Stellenwert zukommt. Möglicherweise spiegelt dieses Ergebnis die Haltung wider, dass Teamarbeit nicht explizit (und öffentlich zugänglich) formuliert werden muss, sondern „einfach so“ funktioniert. 2.3 Erwartungen der Schulleitungen bezüglich der Aufgabenübernahme der verschiedenen Berufsgruppen Neben der Konzeption ist auch die Erwartung der Schulleitung bezüglich der Arbeits- und Aufgabenverteilung im Team bei der Zusammenarbeit von Bedeutung, da diese Erwartung implizit und auch explizit in die Zusammensetzung der Teams und die Arbeitsabläufe hineinspielt (vgl. Antoni 2000). Die Schulleiter wurden deshalb gefragt, welche Art von Angeboten bzw. Tätigkeiten sie von den Mitarbeitern verschiedener Berufsgruppen 4 erwarten. Bei der Fragebogenkonstruktion wurden die schulischen Aufgabenbereiche aufgrund von Beobachtungen in den Vorstudien und von Erkenntnissen aus der Fachliteratur (vgl. Klauß 1999) in „Gruppenangebote“, „individuelle Angebote“, „pflegerische Angebote“ und die „Gestaltung freier Zeit“ unterschieden. Die angegebenen prozentualen Anteile beziehen sich jeweils auf die Zahl der Schulleiter, die sich zu den Aufgaben der entsprechenden Berufsgruppe 5 mindestens einmal geäußert haben, um sicherzustellen, dass nur Frauke Janz 306 VHN 4/ 2007 Abb. 2: Wird die Teamkooperation in den vorhandenen Konzeptionen erwähnt? (N = 55; in %) Schulen in diese Auswertung einbezogen werden, an denen die jeweilige Berufsgruppe auch tatsächlich eingesetzt ist. Von den 96 Schulleitern, die sich dazu äußerten, erachten über 90 % die Sonderschul- und Fachlehrer für die Einzel- und Gruppenangebote zuständig. Sie gehen weiter zu ca. 80 % davon aus, dass beide Pädagogengruppen auch pflegerische Aufgaben übernehmen. Dieser Anspruch wird allerdings - wie Fragen nach der Aufgabenübernahme belegen - von vielen Sonderschullehrern nur mit Einschränkungen umgesetzt (vgl. Janz 2006, 212ff). Außerdem wird auch die Gestaltung von freier Zeit und Pausen häufig als Aufgabenschwerpunkt der Pädagogen verstanden (FL 72 %, SoL 58 %). Die Therapeutinnen haben nach Auffassung aller Schulleiter einerseits die Aufgabe, individuelle Angebote zu machen. Erwähnenswert ist jedoch, dass andererseits fast die Hälfte der Schulleiter auch Gruppenangebote von ihnen erwarten, und dass fast ein Drittel der Therapeutinnen auch bei der Gestaltung freier Zeit beteiligt sehen möchte. Pflegekräfte und ZDL liegen hinsichtlich der zugewiesenen Erwartungen nahe beieinander, nämlich vornehmlich bei pflegerischen Aufgaben und der Gestaltung der freien Zeit. Dagegen geben nur 9 % der Schulleiter an, dass sie von diesen Mitarbeitenden Tätigkeiten im Bereich der Gruppenangebote erwarten. Dieses Ergebnis ist zunächst beinahe banal, weil Zivildienstleistende ebenso wie Pflegekräfte in der Regel Tätigkeiten im Bereich von Pflege, Versorgung und Transport übernehmen. Die Auswertungen der Einzelfallstudien zeigen allerdings, dass viele Pflegekräfte und ZDL de facto im Unterricht und in Gruppenangeboten eingesetzt werden. Es fällt jedoch in der Videoanalyse der Unterrichtszeiten auf, dass sie sich während dieser Zeit häufig nicht aktiv in den Unterricht einbringen, sondern „nur betreuen“, sodass die quantitativ durchaus vorhandene Arbeitskraft z. T. nicht qualitativ genutzt wird (vgl. Janz 2006, 322ff). Nach Antoni (2000) übt die Haltung der Organisationsleitung einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Zusammenarbeit im Team aus. „Das klappt schon irgendwie …! “ 307 VHN 4/ 2007 Abb. 3: Von Schulleitern erwartete Angebote (N = 97; Mehrfachnennungen) Es kann daher vermutet werden, dass die Erwartungen der Schulleiter bezüglich der Übernahme von Tätigkeiten die Einstellungen der Teammitglieder zu ihrer Zusammenarbeit mit beeinflussen, sei es, dass die Pädagogen den Pflegekräften und ZDL weniger aktive Aufgaben im Unterricht zutrauen und übertragen und sie ggf. nicht dazu anleiten oder dass diese sich selbst in Gruppensituationen zurücknehmen (vgl. Abb. 3). 2.4 Planung des Förderangebots für Schüler mit schweren und mehrfachen Behinderungen In der Literatur zur Schwerstbehindertenpädagogik wird von verschiedenen Autoren die Auffassung vertreten und begründet, dass Unterricht, Pflege und Therapie nach Möglichkeit integriert und miteinander verschränkt stattfinden sollten (vgl. Fröhlich 2003; Goll 1996; Koskie/ Freeze 2000, Orelove/ Sobsey 1996), damit die Lerninhalte als Einheit erlebt werden können und einzelne Fähigkeiten nicht isoliert von Sinnzusammenhängen angeeignet und „trainiert“ werden (vgl. Lamers 2000, Lamers/ Heinen 2006). Die dafür erforderliche Abstimmung setzt Koordinations- und Entscheidungsprozesse voraus. Deshalb wurden in der Untersuchung verschiedene Fragen nach der Entscheidung über die Gestaltung des Gesamtförderangebotes (im Fragebogen an die Teams als Ganzes) sowie bezogen auf die Planung der Unterrichtseinheiten (an SoL, FL und TH) gestellt. In den Antworten zeigen sich Unterschiede zwischen der Gesamteinschätzung der Teams, wer für das Gesamtförderangebot verantwortlich ist, und den Angaben der einzelnen Teammitglieder zur Zuständigkeit für die Planung einzelner Förderbereiche: Die Teams als Ganzes geben mit großer Mehrheit an, dass sie ‚gemeinsam‘ für das Gesamtförderangebot zuständig seien (vgl. Tab. 1). Die von Koskie und Freeze (2000) in ihrem - speziell für Teams in Klassen mit schwer behinderten Kindern entwickelten - Modell der transdisziplinären Zusammenarbeit geforderte „gemeinsame Planung“ scheint gemäß den Ergebnissen der Untersuchung im Bewusstsein der Teammitglieder zu existieren. Tabelle 1 zeigt, wer wesentlich zu der Entscheidung beiträgt, wie sich das Gesamtförderangebot für diese Schüler zusammensetzt. Die einzelnen Mitarbeiter sehen dies bei der Gestaltung des Unterrichts jedoch differenzierter (vgl. Tab. 2). Dabei kann man zusammenfassend festhalten, dass die einzelnen Berufsgruppen ihren eigenen Einfluss häufig höher einschätzen, als dies von den Kollegen einge- Frauke Janz 308 VHN 4/ 2007 Nennungen % (der Teams) Das Team 135 78,5 Klassenlehrerin (in der Regel Fachlehrerin) 106 61,6 Therapeutin 63 36,6 Sonderschullehrerin 62 36,0 Je nach Unterrichtseinheit unterschiedlich 51 29,7 Eltern 34 19,8 Andere 24 14,0 Fachkonferenz/ Stufenkonferenz 16 9,3 Schulleiterin 9 5,2 Niemand, es gibt kein bestimmtes Gesamtangebot 4 2,3 Tab. 1: Wer entscheidet über die Gestaltung des Gesamtförderangebots? - Frage an die Teams (N = 172; Mehrfachnennungen) räumt wird. Dies gilt insbesondere für die Sonderpädagogen, die beispielsweise bei der Entscheidung über die Gestaltung des unterrichtlichen Angebotes zu 52 % sich selber als zuständig sehen, während z. B. die Fachlehrerinnen die SoL nur zu 33 % als zuständig betrachten. Selbst wenn die pädagogischen Fachkräfte angeben, ‚im Team‘ zu planen, gehen sie allerdings offenbar davon aus, dass das Team schon dann komplett ist, wenn sie beide - Fach- und Sonderschullehrer - gemeinsam planen, die Therapeuten und Pflegekräfte werden hier häufig nicht mit einbezogen (vgl. Janz 2006, 153ff). 2.5 Teamsitzungen Wie dargestellt, wird die Planung der Förderangebote vom Team überwiegend als gemeinsame Aufgabe angesehen. Damit stellt sich die Frage, wann und in welchem Rahmen die hierzu erforderlichen Absprachen stattfinden. Regelmäßige und professionell gestaltete Teamsitzungen, die nach Klauß (1999) zum „indirekten pädagogischen Handeln“ zu zählen sind, in denen die Zusammenarbeit geplant und konzeptionell gearbeitet wird, werden in der Fachliteratur (vgl. Jacobs 2005; Antoni 2000; v. Rosenstiel 2004) übereinstimmend als bedeutsam für gelingende Zusammenarbeit eingeschätzt. Etliche der befragten Teams setzen diesen Anspruch auch um, ca. 35 % treffen sich nach eigenen Angaben in den Fragebögen wöchentlich und außerhalb der Unterrichtszeit, um Planungen für Unterricht und Förderung vorzunehmen. Dies bedeutet umgekehrt, dass sich fast zwei Drittel der Teams nur monatlich und seltener oder tatsächlich nur bei ‚konkreten Anlässen‘ treffen (18,1 % haben nur hier eine Angabe gemacht) (vgl. Abb. 4). Das entspricht einer Aussage von Schley (1998, 148), wonach das „prägende Selbstverständnis [der schulischen Teamarbeit] von einem Reagieren auf Geschehnisse aus[geht]“. ‚Täglich‘ geführte Gespräche (12,7 % kreuzen [auch] hier an) müssen aufgrund der vielfältigen sonstigen Aufgaben der Teammitglieder unter einem gewissen Zeitdruck stattfinden, sodass die Vermutung naheliegt, dass bei einem solchen Austausch Inhalte nicht vertiefend besprochen werden können. Werden diese Besprechungen in den Unterricht eingebaut, stellt sich wiederum die Frage, wie gleichzeitig die Förderung der Schüler in diesen Zeiten gewährleistet sein kann. Zusätzliche regelmäßige Sitzungen sind also dringend notwendig, wenn der oben (auch durch die Angaben der Teammitglieder) gestellte Anspruch, ‚im Team‘ über das Förderangebot der Schüler zu entscheiden, es zu überprüfen und die Arbeit zu koordinieren, umgesetzt werden soll. „Das klappt schon irgendwie …! “ 309 VHN 4/ 2007 FL % SoL % TH % Alle % Team gemeinsam 123 68,0 102 64,6 58 50,4 283 62,3 Sonderschullehrerin 59 32,6 82 51,9 66 57,4 207 45,6 Fachlehrerin 104 57,5 81 51,3 70 60,9 255 56,2 Therapeutin 26 14,4 24 15,2 13 11,3 63 13,9 Pflegekräfte 19 10,5 12 7,6 7 6,1 38 8,4 Eltern 25 13,8 17 10,8 13 11,3 55 12,1 Niemand 0 0,0 1 0,6 0 0,0 1 0,2 Andere 8 4,4 6 3,8 6 5,2 20 4,4 Personen 181 158 115 454 Tab. 2: Wer entscheidet über die Gestaltung des Unterrichts? - Frage an die einzelnen Berufsgruppen (FL N = 181; SoL N = 158; TH N = 115; Alle N = 454; Mehrfachnennungen) Inhaltlich hängen die thematisierten Bereiche in den Besprechungen ebenfalls vom Zeitpunkt und der Häufigkeit ab (vgl. Abb.5). Teams, die sich regelmäßig und außerhalb der Unterrichtszeit treffen, sprechen eher über ‚inhaltliche Aspekte‘ und die ‚Förderung‘ der Schüler. Bei solcher Teamarbeit ist eine entsprechende Förderplanung vermutlich gewährleistet. ‚Zwischen Tür und Angel‘ werden eher ‚Vorkommnisse‘, aber auch ‚pädagogische Aspekte der Pflege‘ besprochen. Letzteres ist im Lichte eines von Koskie und Freeze (2000) geforderten Kompetenztransfers pädagogischer Inhalte auf die Pflegekräfte besonders bemerkenswert: ‚Zwischen Tür und Angel‘ kann keine umfangreiche Anleitung und Kompetenzübertragung stattfinden. Der Einsatz pädagogischer Konzepte (z. B. Basale Stimulation in der Pflege) wird von den Pflegekräften auch dementsprechend selten erwähnt (72 % nutzen keine speziellen Förderkonzepte in der Pflege). Sie scheinen über die notwendigen Kenntnisse z. T. nicht zu verfügen, obwohl diese Kompetenzen im Gesamtteam durchaus vorhanden sind (knapp 90 % der befragten Pädagogen geben an, die Basale Stimulation zu kennen). Die ‚Teamarbeit‘ wird in den Besprechungen ebenso wie Fragen der ‚Schulentwicklung‘ eher selten thematisiert (22 % beschäftigen sich ‚nie‘ mit ‚Teamarbeit‘ und 38 % ‚nie‘ mit ‚Schulentwicklung‘). Auch wenn abschließende schulkonzeptionelle Entscheidungen eher auf der Schulkonferenzebene getroffen werden, müssten sich die Klassenteams ebenfalls mit der Meinungsbildung und später mit der Umsetzung von Schulentwicklungsaspekten befassen. In den Sitzungen der an der Erhebung beteiligten Teams beschäftigt man sich offenbar eher mit der konkreten Arbeit in der Klasse. Das heißt, dass im Schulalltag in den Teambesprechungen oftmals vornehmlich eher „reaktiv“ auf konkrete Probleme und Vorkommnisse eingegangen wird und organisatorische Belange geklärt werden. Diese unbestritten ebenfalls wichtige Form der Zusammenarbeit, die gewährleistet, dass ein Team flexibel auf spontan auftretende Erfordernisse eingehen kann, scheint jedoch in etlichen Teams derart im Vordergrund zu stehen, dass eine langfristige, auch konzeptionelle und reflektierende Arbeit in den betreffenden Teams unter Umständen vernachlässigt wird. Geht man - wie oben erwähnt - Frauke Janz 310 VHN 4/ 2007 Abb. 4: Häufigkeit von Teambesprechungen - Frage an die Teams (N = 163; Mehrfachnennungen) von der Annahme aus, dass es sich bei den beteiligten Fachpersonen um sehr engagierte Teams handelt, denen der Unterricht mit Schülern mit schweren Behinderungen ein besonderes Anliegen ist, ist dieses Ergebnis alarmierend. Die Notwendigkeit einer verbindlichen „Teamzeit“ wird durch die nachfolgend dargestellten Ergebnisse zu den vorhandenen Möglichkeiten der sechs Einzelfall-Klassenteams, im Schulalltag überhaupt komplett zusammenzutreffen, sehr deutlich unterstrichen. 2.6 Möglichkeit der Teams, im Schulalltag zusammenzutreffen Auch in Teams, die regelmäßige Teamsitzungen abhalten, sind tägliche Kurzabsprachen gemäß Jacobs (2005) wichtig, um Feinabstimmungen vorzunehmen und flexibel mit den täglichen Bedingungen umzugehen. Umso bedeutsamer sind sie in Teams, in denen keine regelmäßigen Treffen die Zusammenarbeit regeln - stellen sie doch die einzige Möglichkeit dar, Informationen auszutauschen und sich zumindest in groben Zügen über Ziele und Vorgehensweisen abzustimmen. Die Ergebnisse aus der Auswertung der Einzelfallstudien zeigen, dass es aufgrund der vielen Teilzeitkräfte nur in zwei der sechs gefilmten Teams in der Filmwoche einen Tag gibt, an dem das Team vollständig zusammentreffen könnte, hier war zumindest ein „Kernteam“ anwesend. Aufgrund der Eindeutigkeit und der gegebenen Personalstruktur (viele Frauen in Teilzeitanstellung) ist zu vermuten, dass sich dieses Bild in vielen Schulen finden lässt. Gestützt auf Schumacher (2003) waren diese Ergebnisse tendenziell zu erwarten, aber deren Eindeutigkeit erstaunt dennoch. Daraus müsste die Konsequenz gezogen werden, dass sich die Teams zu bestimmten Zeiten außerhalb der Unterrichtszeit treffen, um notwendige Absprachen zu vereinbaren und Förderziele zu entwickeln, zu besprechen und anzupassen. „Das klappt schon irgendwie …! “ 311 VHN 4/ 2007 Abb. 5: Themen in den Teambesprechungen - Frage an die Teams (N = 160) Es ist im Lichte dieser Ergebnisse fraglich, ob und wie Informationen und pädagogische Vorstellungen im Team ohne Besprechungen und ohne die von verschiedenen Autoren geforderte unmittelbare Zusammenarbeit ausgetauscht und diskutiert werden (vgl. Antoni 2000; v. Rosenstiel 2004). 3 Zusammenfassung und Implikationen für die Praxis „Das gute Klima im Team“ wird von 72 % der befragten Fach- und Sonderschullehrer in der Fragebogenerhebung als eine der drei wichtigsten Voraussetzungen für ihre Arbeit genannt. Die dargestellten Ergebnisse der Untersuchungen aus dem Projekt BiSB zeigen jedoch, dass diese Teamkooperation offenbar in vielen Schulen bislang kein Thema ist, auf das explizit und professionell eingegangen wird. Insgesamt scheint die Teamarbeit weder schulkonzeptionell noch schulorganisatorisch überall verbindlich verankert zu sein. Nur 35 % der an der Untersuchung beteiligten Teams treffen sich wöchentlich und außerhalb der Unterrichtszeit zu Teamsitzungen, insgesamt geht man bei diesen Besprechungen in vielen Fällen eher reaktiv auf anstehende Probleme ein, anstatt gemeinsam Förderpläne zu erstellen, diese umzusetzen und immer wieder zu evaluieren. Selbst wenn die Teams „gemeinsam“ planen, sind die Therapeuten und Pflegekräfte oftmals davon ausgeschlossen. Dies ist insofern problematisch, als es dadurch schwierig wird, unter Umständen vorhandene unterschiedliche Sichtweisen, Ziele und Schwerpunkte in der Arbeit zu koordinieren und zu integrieren (vgl. Janz/ Klauß/ Lamers/ Strauch 2006; Janz 2006). Die Schulleiter erwarten von den Pflegekräften offenbar nicht, dass sie sich in hohem Maße in die unterrichtlichen Gruppenangebote einbringen. In den Einzelfallstudien wird jedoch deutlich, dass Pflegekräfte häufig in Unterrichtsituationen anwesend sind, aber offenbar oftmals nicht genügend informiert werden (vgl. Janz 2006, 313ff), sodass sie nur betreuende Aufgaben wahrnehmen, ohne sich aktiv am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen. Dass die Zusammenarbeit trotz dieser Ergebnisse dennoch in vielen Fällen offensichtlich so gut funktioniert, dass die Teammitglieder und auch die Eltern mit der Situation der Schüler überwiegend zufrieden sind (vgl. Klauß/ Lamers/ Janz 2006), ist vermutlich auf das besondere Engagement der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zurückzuführen. Die Teamarbeit funktioniert also häufig tatsächlich „irgendwie“. Wenn das Gelingen der Kooperation jedoch vor allem vom Zusammentreffen engagierter und so genannter teamkompetenter Mitarbeiter und ihren persönlichen Qualitäten, Interessen und Vorlieben abhängt (vgl. Kreie 2002, 406), bleibt die Chance ungenutzt, das Thema der Zusammenarbeit wirklich professionell zu gestalten. Aus den wissenschaftlichen Ergebnissen können verschiedene konkrete Implikationen abgeleitet werden: Die Rahmenbedingungen müssten entsprechend gestaltet werden, sodass alle Teammitglieder (auch Pflegekräfte, Therapeuten und ZDL) den nötigen Zeitrahmen erhalten, an regelmäßig anberaumten Teambesprechungen teilzunehmen. Es sollte konzeptionell verbindlich geklärt sein, welche inhaltliche Bedeutung die Teamarbeit in der Schule hat und wie sie formal, inhaltlich und strukturell umgesetzt werden soll. Qualifikationsmaßnahmen der Teammitarbeiter für einen professionellen Umgang mit der Kooperation, z. B. durch den Erwerb von Kompetenzen für eine effektive Gestaltung von Teamsitzungen, Gesprächsführung, Konfliktlösung müssen geschaffen und unterstützt werden. Dadurch kann sich das Bewusstsein etablieren, dass die Arbeit „am Team“ (vgl. Jacobs 2005) keine verlorene Zeit, sondern einen Gewinn für die eigene Arbeit darstellt. Hier sind die Aus- Frauke Janz 312 VHN 4/ 2007 bildungsstätten gefordert, ein diesbezügliches Bewusstsein und die erforderlichen Kompetenzen von Anfang an zu implementieren. Der Dreh- und Angelpunkt für eine Umsetzung dieser durch die wissenschaftlichen Ergebnisse nahegelegten Implikationen sind in der Praxis, neben den Teammitgliedern selbst, die Schulleitungen. Diese können durch ihre positive Haltung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, der Teamkooperation schulkonzeptionell und durch die verbindliche Festlegung von Planungszeiten für alle Teammitglieder einen geeigneten Rahmen zu geben und ihr dadurch zu dem notwendigen größeren Stellenwert zu verhelfen. Anmerkungen 1 Der besseren Lesbarkeit wegen wird entweder die männliche oder weibliche Form verwendet, die das jeweils andere Geschlecht mit einschließt. 2 Zum ausführlichen methodischen Vorgehen im Forschungsprojekt BiSB vgl.: Janz, Frauke (2006) „Interprofessionelle Kooperation in Klassenteams von Schülerinnen und Schülern mit schweren und mehrfachen Behinderungen. Eine empirische Untersuchung in Baden-Württemberg“ 3 Die vorliegenden Ergebnisse wurden ausschließlich in Baden-Württemberg erhoben. Da Bildung in der Verantwortung der Bundesländer liegt, unterscheiden sich die Bedingungen teilweise erheblich voneinander (vgl. Kuckartz 2003). „Fachlehrer“ sind beispielsweise in Baden-Württemberg Erzieher oder Physiotherapeuten mit einer sonderpädagogischen Zusatzausbildung. Dennoch lassen sich viele Teilergebnisse aufgrund der Ähnlichkeit der Bedürfnisse der Schüler auf andere Bundesländer übertragen. 4 In der Studie wurden folgende Gruppen von Mitarbeitenden unterschieden: SL = Schulleiter/ in, SoL = Sonderschullehrer/ in, FL = Fachlehrer/ in, PK = Pflegekraft, TH = Therapeut/ in. 5 Die Zivildienstleistenden (ZDL) wurden hier ebenfalls wie eine „Berufsgruppe“ ausgewertet, da sie viele Aufgaben übernehmen. http: / / archiv.ub.uni-heidelberg.de/ volltextser ver/ volltexte/ 2006/ 6685/ Literatur Antoni, Conny H. (2000): Teamarbeit gestalten. Grundlagen, Analysen, Lösungen. Weinheim Brodbeck, Felix C.; Anderson, N. R.; West, M. (2000): Das Teamklima-Inventar. Göttingen Dlugosch, Andrea (2005): Professionelle Entwicklung in sonderpädagogischen Kontexten. In: Horster, Detlef; Hoyningen-Süess, Ursula; Liesen, Christian (Hrsg.): Sonderpädagogische Professionalisierung. Beiträge zur Entwicklung der Sonderpädagogik als Disziplin und Profession. 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Frau Janz) E-Mail: frauke.janz@ph-heidelberg.de Frauke Janz 314 VHN 4/ 2007
