eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 76/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? Zehn mögliche Kooperationshindernisse und die Suche nach Lösungsansätzen - Spielregeln und ihre Hintergründe verstehen und verändern

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2007
Anke Sodogé
Andreas Eckert
Die Kooperation von Fachleuten und Eltern eines behinderten Kindes wird in der heil- und sonderpädagogischen Praxis von den Beteiligten vielfach als ein Hindernislauf beschrieben. Obwohl Eltern und Fachleute eine Zusammenarbeit als wichtigen und notwendigen Bestandteil der Förderung und Begleitung des Kindes ansehen, gelingt die Umsetzung der Kooperation häufig für beide Seiten nur sehr unbefriedigend und scheint durch zahlreiche Kooperationshindernisse gekennzeichnet zu sein. – Basierend auf Ergebnissen qualitativer und quantitativer Forschungsprojekte befasst sich dieser Artikel zunächst mit einer Analyse möglicher Kooperationshindernisse. Im Anschluss werden Erklärungsansätze auf der Grundlage unterschiedlicher theoretischer Positionen dargestellt. Eine besondere Beachtung erhält dabei die Reflexion gegenwärtiger Spielregeln der Kooperation. Abschließend werden neue Spielregeln als eine mögliche Basis für gelingende Kooperationsprozesse entwickelt.
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195 Das Bestreben nach „gelingender“ Kooperation von Fachleuten und Eltern in heil- und sonderpädagogischen Arbeitsfeldern stellt in einem ressourcenorientierten Verständnis ein wichtiges Qualitätsmerkmal professioneller Arbeit dar (u. a. Seifert 2001; Sodogé/ Eckert 2004; Eckert 2006). Gleichwohl ist man sich der Komplexität der Ansprüche bewusst, die mit diesem Arbeitsinhalt und -ziel verbunden sind. Zu verschieden sind häufig die persönlichen Hintergründe und Erwartungen, Ressourcen und Betroffenheiten von Eltern und Fachleuten, als dass man stets von einem unkomplizierten, nicht weiter zu reflektierenden Miteinander im Prozess der Förderung und Begleitung eines jungen Menschen mit einer Behinderung ausgehen könnte. Wenn man zudem im Blick behält, dass Kooperation vielfach einhergeht mit einem gewissen Maß an Konkurrenz - ohne dies negativ bewerten zu wollen (Kriwet 2003) -, er- Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? Zehn mögliche Kooperationshindernisse und die Suche nach Lösungsansätzen -Spielregeln und ihre Hintergründe verstehen und verändern Anke Sodogé Andreas Eckert Hochschule für Heilpädagogik Universität zu Köln Zürich Zusammenfassung: Die Kooperation von Fachleuten und Eltern eines behinderten Kindes wird in der heil- und sonderpädagogischen Praxis von den Beteiligten vielfach als ein Hindernislauf beschrieben. Obwohl Eltern und Fachleute eine Zusammenarbeit als wichtigen und notwendigen Bestandteil der Förderung und Begleitung des Kindes ansehen, gelingt die Umsetzung der Kooperation häufig für beide Seiten nur sehr unbefriedigend und scheint durch zahlreiche Kooperationshindernisse gekennzeichnet zu sein. - Basierend auf Ergebnissen qualitativer und quantitativer Forschungsprojekte befasst sich dieser Artikel zunächst mit einer Analyse möglicher Kooperationshindernisse. Im Anschluss werden Erklärungsansätze auf der Grundlage unterschiedlicher theoretischer Positionen dargestellt. Eine besondere Beachtung erhält dabei die Reflexion gegenwärtiger Spielregeln der Kooperation. Abschließend werden neue Spielregeln als eine mögliche Basis für gelingende Kooperationsprozesse entwickelt. Schlüsselbegriffe: Zusammenarbeit, Ressourcenorientierung Cooperation with Parents - an Obstacle Course? Ten Potential Obstacles for Cooperation and the Search for Solutions - How to Understand and Modify the Rules and Backgrounds Summary: In special educational practice, the cooperation of professionals and the parents of a disabled child is often described as an obstacle course by the persons involved. Both parents and specialists consider a good cooperation an essential and necessary integral part of the support and assistance for children with a handicap, but the implementation of cooperation is often rather unsatisfying for both sides and seems to be characterised by numerous cooperation obstacles. - Based on the results of qualitative and quantitative research projects, this article analyses at first the possible obstacles for cooperation. On the basis of different theoretical positions, the authors present a number of approaches to explain such obstacles. They focus particularly on the reflection of the current rules of cooperation. Finally they develop new rules as a basis for successful cooperation processes. Keywords: Cooperation, resource orientation Fachbeitrag VHN, 76. Jg., S. 195 -211 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel scheint die Reflexion auftretender Problemsituationen auch aus einer ressourcenorientierten Perspektive sinnvoll und notwendig. Aus bereits gesammelten Erfahrungen zu lernen, sich auf mögliche Stolperfallen in der Kooperation besser vorzubereiten und damit so gut wie möglich umgehen zu können, stellt eine Intention der folgenden Ausführungen dar. Diesem Ziel folgend, werden wir nach einer kurzen Darstellung der Forschungsmethode zunächst zehn mögliche Hindernisse der Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten exemplarisch beschreiben. Im nächsten Schritt werden wir nach einer kurzen Erläuterung des entsprechenden theoretischen Blickwinkels Kooperationssituationen zwischen Eltern und Fachleuten aus einer person-, einer interaktions- und einer kontextbezogenen Warte betrachten. Der Wechsel des Blickwinkels soll die Chancen der Mehrperspektivität bei der Suche nach Problemlösungen verdeutlichen. Anschließend werden die Forschungsergebnisse zur Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten aus einem kontextbezogenen Blickwinkel hinsichtlich der zugrunde liegenden Muster und Regeln analysiert und Lösungsvorschläge durch die Entwicklung neuer Spielregeln erarbeitet. 1 Zur Forschungsmethode Die vorliegenden Forschungsergebnisse beruhen auf einer in den Jahren 2004 und 2005 im Rahmen mehrerer universitärer Forschungsseminare durchgeführten qualitativen Untersuchung. Dieser Befragung ging eine Fragebogenerhebung bei Eltern behinderter Kinder und Lehrkräften unterschiedlicher Förderschulen im Kölner Raum voraus (Sodogé/ Eckert 2004), in welche 106 Elternteile sowie 41 Lehrkräfte einbezogen wurden. Der qualitativen Untersuchung lagen 45 problemzentrierte Interviews mit Müttern und Vätern behinderter Kinder sowie 28 Interviews mit Fachleuten zugrunde. Die Gruppe der Fachleute setzte sich aus 13 Lehrkräften verschiedener Förderschulen sowie 15 Fachkräften aus unterschiedlichen außerschulischen heilpädagogischen Arbeitsfeldern zusammen. Die Interviewauswertung erfolgte mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2002) mit dem Ziel einer nach Themen geordneten Zusammenfassung des Materials. Die Bildung von Auswertungskategorien wird in diesem Fall als das Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial auf der Grundlage theoretischer Überlegungen verstanden und beinhaltete somit sowohl deduktive als auch induktive Anteile. Schmidt (1997, 548) charakterisiert die auch für die vorliegenden Forschungsarbeiten gültige Methodik wie folgt: „Aus der Fragestellung, theoretischen Traditionen und vorliegenden Forschungsergebnissen abgeleitete, zunächst eher vage Kategorisierungen werden während der Erhebung und Auswertung ausdifferenziert, präzisiert, modifiziert und ergänzt bzw. ersetzt. Hierzu werden Auswertungskategorien abgeleitet und in einem Codierleitfaden zusammengestellt, auf dessen Grundlage dann der nächste Auswertungsschritt, das Codieren der Interviews, erfolgt.“ Tatsächlich wurden im Rahmen der Forschungsseminare gemeinsam mit den Studierenden auf der Grundlage der bearbeiteten Theorie ein Interviewleitfaden für die problemzentrierten Interviews erarbeitet und ein Interviewtraining durchgeführt. Nach der Interviewdurchführung und -transkription wurden mittels der von Mayring (2002) beschriebenen Techniken der Paraphrasierung, Generalisierung und Reduktion erste Auswertungskategorien entwickelt. Als Auswertungseinheit galt der einzelne Fall. Das im ersten Arbeitsgang sehr weit gefasste Abstraktionsniveau umfasste alle Äußerungen, die sich auf die belastenden bzw. förderlichen Aspekte der Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten bezogen. Nach der Entwicklung eines ersten groben Kategorienschemas wurde dieses in weiteren Durchgängen von den Studierenden spezifiziert und verändert, bis schließlich alle Interviews nach einem einheitlichen Codierleitfaden verschlüselt werden konnten. Die zusammenfassende Themenanalyse Anke Sodogé, Andreas Eckert 196 VHN 3/ 2007 wurde nach Abschluss des Projekts durch die Autoren vorgenommen. Zitate aus diesen Interviews fließen in die folgende Darstellung der Kooperationshindernisse ein. 2 Zehn Kooperationshindernisse Die im Folgenden dargestellten Kooperationshindernisse entsprechen den in der Auswertung der genannten Untersuchungen am häufigsten benannten Aspekte. Sie greifen sowohl die Perspektive der Eltern als auch die Sichtweise der Fachleute auf, wenngleich mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. So benennen die ersten vier Aussagen problematische Aspekte, die von Eltern und Fachleuten gemeinsam als erschwerend bezeichnet wurden, die vier folgenden Aussagen beziehen sich auf die Äußerungen der Fachleute. Die letzten beiden Aussagen beschreiben schließlich von Eltern geäußerte Aspekte. Im Text ist die Herkunft der Zitate dementsprechend gekennzeichnet. Auf die Darstellung der Kooperationshindernisse übertragen wird zudem das Modell der vier Strukturebenen pädagogischer Zusammenarbeit, das von Lütje-Klose und Willenbrink (1999) in ihrer Auseinandersetzung mit förderlichen und hinderlichen Faktoren in der interdisziplinären Kooperation von Fachleuten praktische Anwendung gefunden hat. Dieses Modell unterscheidet die Organisationsebene, die Sachebene, die Beziehungsebene und die Persönlichkeitsebene. Auf jeder dieser Ebenen lassen sich Besonderheiten kooperativer Beziehungen sowie des Kooperationsprozesses beschreiben und analysieren. 2.1 Ungünstige institutionelle Rahmenbedingungen (Zeitmangel, Raumengpässe, Personalmangel) der Einrichtungen, in denen die Kooperation stattfinden soll, erschweren die Zusammenarbeit Ein erstes Kooperationshindernis kann diesem Modell zufolge auf der Organisationsebene angesiedelt werden. Besonders aus der fachlichen Perspektive werden organisatorische Gründe, in erster Linie der Zeit- oder Personalmangel, als wesentliche Erschwernisse für die Gestaltung kooperativer Beziehungen mit den Eltern genannt. Als unzureichend erlebte zeitliche Freiräume im Rahmen der persönlichen Arbeitszeit, verstärkt durch personelle Engpässe, schaffen Arbeitsbedingungen, die den Untersuchungen zufolge den organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Eltern enge Grenzen setzen. Hinzu kommen die vielfach fehlenden adäquaten räumlichen Gegebenheiten, um beispielsweise Gespräche in angenehmer Atmosphäre führen zu können. „… wir bräuchten eigentlich viel mehr Zeit für Elterngespräche, die Elterngespräche dauern auch meistens sehr lange, wenn es wirklich gute Gespräche sind, dann geht das über 1,5 Stunden hinaus, und das ist die Zeit, die wir nicht haben“. (Fachkraft) „Ne, Arbeitszeit haben wir nicht dafür, aber es muss ja dann irgendwie gehen. Und da muss man sich die Zeit irgendwie nehmen. Aber richtig vorgesehen ist die Zeit bei uns eigentlich nicht, die müssen wir uns dann freischaufeln.“ (Fachkraft) „Dann sind da noch die Hausbesuche, die im Gegensatz zu den Besuchen der Eltern in der Einrichtung eben sehr rar sind, das hat personelle und finanzielle Gründe, die Rahmenbedingungen sind da einfach sehr schlecht - wobei diese Hausbesuche eigentlich sehr zu empfehlen sind.“ (Fachkraft) Erschwerende organisatorische Rahmenbedingungen werden auch von den befragten Eltern registriert und benannt. Für sie stellen vielfach insbesondere die fehlende Zeit zum Gespräch sowie der teilweise nicht adäquate Gesprächsrahmen eine Schwierigkeit dar. „Und es ist manchmal schwer, Ruhe und Konzentration im Gespräch hineinzubekommen, zumindest wenn das Gespräch stattfindet, während die Kinder noch da sind.“ (Eltern) Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 197 VHN 3/ 2007 2.2 Der Gedanke der Kooperation mit den Eltern ist in den Konzepten und praktischen Arbeitsansätzen der jeweiligen Institution nicht bzw. nicht ausreichend verankert Ein zweites Kooperationshindernis wird von Eltern und Fachleuten auf der Sachebene beschrieben. Diese Ebene umschließt Fragen der Zuständigkeiten, Kompetenzen und Kooperationsinhalte und steht somit in einer engen Beziehung zum Konzept und dessen Umsetzung innerhalb der Institutionen. Selbstkritisch wird hier von einigen Fachleuten ein bestehender Mangel sowohl bezüglich der fehlenden Handlungsgrundlagen und -modelle als auch in einigen Fällen der Motivation beschrieben. „Ich habe den Eindruck, dass unsere Schule kein bestimmtes Konzept verfolgt, was Kooperation mit den Eltern und anderen Institutionen unterstützen würde. Ich würde meinem Schulleiter schon unterstellen, dass er da auch kein großes Interesse dran hat.“ (Fachkraft) „Ein Konzept über Elternarbeit ganz im Spezifischen ist nicht da. Wir sind gerade dabei, das in unser Konzept einzubringen, wie wir die Elternarbeit konzeptionell für alle gleich machen, jetzt im Moment macht das jeder noch so, wie er meint und wie er es am besten hinkriegt.“ (Fachkraft) Die Kooperation mit den Eltern wird zwar aus fachlicher Sicht vielfach als wichtig und notwendig bewertet, der Stellenwert, der einer theoretischen Fundierung und Reflexion als Basis erweiterter Handlungskompetenzen zugesprochen wird, scheint jedoch gering zu sein. „Ich würde unterscheiden zwischen so einem theoretischen Konsens, der da herrscht, und eben der praktischen Umsetzung, die gegeben ist. Und insgesamt würde ich sagen, dass Elternarbeit bei weitem nicht so konzeptionell verankert ist, wie es sein sollte … also da muss auf jeden Fall noch viel passieren und dran gearbeitet werden.“ (Fachkraft) 2.3 Eltern und Fachleute haben ein sehr unterschiedliches Bild von dem Kind, seiner Behinderung und den notwendigen und möglichen Angeboten der Förderung Ein dritter, die Kooperation erschwerender Aspekt bezieht sich auf differierende Sichtweisen der Entwicklung und Förderung des Kindes aus der fachlichen und der elterlichen Perspektive. Den unterschiedlichen Positionen liegen in der Regel eine Vielzahl von Besonderheiten der jeweiligen Lebenserfahrungen und der aktuellen Lebenskontexte zugrunde, die bei Eltern und Fachleuten bei ihrem Zusammentreffen relevant sind. Der Grad der Betroffenheit, das spezielle fachliche Wissen, das intuitive Elternwissen, institutionelle Einflüsse, individuelle Erwartungen, persönliche Hintergründe, Gedanken an die Zukunft usw. prägen die jeweiligen Standpunkte, die im Kooperationsprozess aufeinandertreffen. Diese Aspekte weisen erneut auf die Bedeutung des Wissens und der Kompetenzen auf der Sachebene hin, darüber hinaus gewinnt hier auch die Persönlichkeitsebene für die Kooperation an Bedeutung. „… dass ich eigentlich den Erwartungen der Eltern nie ganz gerecht werden kann, erschwert die Kooperation, einfach aus dem Grunde, weil die Eltern und ich ’nen komplett anderen Standpunkt einnehmen. Den Eltern geht es in erster Linie um ihr Kind und dann um den ganzen Rest, und mir muss es halt um alle Bewohner gleichzeitig gehen“. (Fachkraft) „Oder, was es auch schwierig macht, ist, wenn die die Kinder anders wahrnehmen, also das haben wir auch, also wenn ein Kind nicht als geistigbehindert wahrgenommen wird und dass es bestimmte Einschränkungen hat und nur bestimmte Kompetenzen oder Fähigkeiten, sondern das Kind irgendwo viel höher angesetzt wird …“. (Fachkraft) Anke Sodogé, Andreas Eckert 198 VHN 3/ 2007 2.4 Kooperationsangebote hängen sehr stark vom persönlichen Engagement der einzelnen Fachleute ab Die konkrete Umsetzung von Kooperationsangeboten scheint, wie bereits dargestellt, einerseits von organisatorischen und konzeptionellen Fragen abzuhängen, ist aber andererseits den Untersuchungen zufolge auch besonders auf das unmittelbare Agieren der beteiligten Personen angewiesen. Das persönliche Engagement der Fachleute stellt diesbezüglich einen wichtigen Faktor dar. Eine besondere Bedeutung erhält hierbei die individuelle Bewertung der Kooperationszeit mit den Eltern, die vielfach als „zusätzliche Arbeitszeit“, „Mehraufwand“ oder sogar als „freiwillig aufgegebene Freizeit“ interpretiert wird. „Nein, das ist alles auf freiwilliger Basis. Das bekommst du weder finanziell noch mit Stunden vergütet. Das ist halt deine Freizeit. Das gehört halt zum Lehrerberuf dazu! “ (Fachkraft) Auch aus der Elternperspektive wird die gewünschte Zeit für Gespräche häufig nicht als selbstverständliche Arbeitsaufgabe innerhalb einer Institution erlebt, sondern dem besonderen Engagement einzelner Fachleute zugesprochen. Damit verbunden ist zum einen die Abhängigkeit von den persönlichen Einstellungen der einzelnen Fachleute, zum anderen die eigene Motivation schaffende Aktivität. „Wenn das Gespräch nach 17 Uhr wäre, wäre vieles einfacher, aber da muss man erst mal die Mitarbeiter motivieren, das zu machen, außerhalb der Arbeitszeit.“ (Eltern) 2.5 Eine unzureichende Vorbereitung auf die Kooperation im Sinne einer fehlenden Schulung geforderter Kompetenzen führt auf der fachlichen Seite zu Unsicherheiten, welche die Kooperation erschweren Ein weiteres Kooperationshindernis, das vor allem von Fachleuten immer wieder angesprochen wird, stellt die fehlende, fachlich adäquate Vorbereitung auf das Arbeitsfeld der Kooperation mit Eltern dar. Im Vordergrund steht dabei die Erlangung von Kompetenzen, die für das Gespräch mit den Eltern zentral sind, vor allem in den Bereichen der Gesprächsführung und Beratung. „… zu wissen, wie man in solchen Gesprächen zu reagieren hat und auf der anderen Seite aber auch der Bereich des Einfühlungsvermögens, das ist eine ganz wichtige Sache. Wenn diese beiden Komponenten nicht beide vorhanden sind, der Lehrer nicht über diese Kompetenzen verfügt, dann gehen solche Gespräche häufig nicht in die gewünschte Richtung“. (Fachkraft) Die Kooperation mit den Eltern des behinderten Kindes bringt in diesem Sinne vielfach Anforderungen mit sich, die in den meisten heil- und sonderpädagogischen Ausbildungsgängen wenig Berücksichtigung erfahren, sodass zusätzliche Ausbildungen notwendig erscheinen. „Die Ausbildung, die dahingehend ist, dass wir mit den Eltern Erziehungsberatung machen können, haben wir einfach nicht an der Uni gehabt. Zusatzqualifikationen habe ich im Moment auch noch nicht gemacht. Aber das ist sicherlich bei allen Kollegen noch nicht so vorhanden, also eher nur vereinzelt.“ (Fachkraft) Selbstreflexion und die Bereitschaft zum produktiven Umgang mit Kritik stellen weitere auszubildende persönliche Kompetenzen dar, deren Fehlen ein professionelles Handeln in der Zusammenarbeit mit den Eltern erschweren. „Ich glaube schon, dass gerade für Gespräche eine gute Vorbereitung notwendig ist. Das merkt man ja auch an sich selber, wenn man mal angegriffen wird, und wie man da reagiert. Das sollte man eben nicht so machen, dass man da nicht professionell mit umgeht, sondern mehr auf der emotionalen Ebene reflektiert. Professionalität hat man in dem Bereich wenig.“ (Fachkraft) Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 199 VHN 3/ 2007 2.6 Fachleute erleben ein geringes Interesse der Eltern an einer aktiven Kooperation Als ein auf der Persönlichkeitsebene anzusiedelndes Kooperationshindernis wird von zahlreichen Fachleuten ein als gering erlebtes Interesse zahlreicher Eltern an den Angeboten der Zusammenarbeit, die von den Fachleuten ausgehen, beschrieben. Viele Fachleute erleben bei einzelnen Eltern eine grundsätzlich desinteressierte Haltung, sowohl dem Kind und seiner Entwicklung gegenüber als auch bezüglich der Fördermöglichkeiten. „Weniger hilfreich für eine Zusammenarbeit ist, wenn die Eltern lethargisch sind, wenn sie nicht mitarbeiten wollen, wenn es ihnen egal ist.“ (Fachkraft) „Schwierig ist die Kooperation mit Eltern, die sich dem so entziehen, die den Gesprächstermin absagen z. B. oder wo einfach auch die Rückmeldung kommt ‚Das Kind hat ja das Problem und nicht wir, wir haben ja nicht das Problem.‘ Wo das Interesse einfach fehlt.“ (Fachkraft) Erschwerend hinzukommen können die Vernachlässigung von Absprachen, eine als gering erlebte Resonanz auf die fachlichen Angebote oder das Einnehmen einer passiven „Konsumhaltung“ der Eltern. „So ist das meistens auch bei den Abschlussfeiern, die wir hier immer ganz groß machen. Die Klassen und die Lehrer machen und die Eltern konsumieren praktisch da, und das find ich bedauerlich.“ (Fachkraft) „Dass manche Eltern es noch nicht einmal hinkriegen, in der Schule anzurufen und ihr Kind krank zu melden. Viele Eltern vereinbaren auch Termine und kommen dann nicht. Das ist ja schon mal der äußere Rahmen, wo den Eltern eine Fähigkeit, eine Kompetenz fehlt.“ (Fachkraft) 2.7 Eine als hoch erlebte Erwartungshaltung der Eltern oder eine verstärkte Einmischung der Eltern in den professionellen Alltag haben eine Zurückhaltung der Fachleute in der Kooperation zur Folge Unklarheiten bezüglich der Möglichkeiten und Grenzen dessen, was jeder Kooperationspartner in den Prozess der Zusammenarbeit, vor allem aber in die Förderung und Begleitung des behinderten Kindes einbringen kann, können die Kooperation besonders auf der Beziehungsebene erschweren. Ihren Ausdruck kann eine mangelnde Transparenz der Zuständigkeiten und Handlungsspielräume bzw. der unzureichende Austausch darüber insbesondere im Auftreten einer hohen, in der einzelnen Situation unangemessen erscheinenden Erwartungshaltung finden. Gerade Fachleute beschreiben die teilweise hohen Erwartungen von Eltern gegenüber ihrer Arbeit vielfach als einen Druck, der sie in ihrem Auftreten den Eltern gegenüber verunsichert, eine mögliche Auseinandersetzung mit eigenen Überforderungen nötig macht und sie in diesem Rahmen in der Zusammenarbeit mit den Eltern bremsen kann. „Das liegt oftmals daran, dass die Erwartungen an uns zu hoch sind. Dass nicht gesehen wird, dass der Einzelne bei 25 Kindern in einer Gruppe nicht immer im Mittelpunkt stehen kann. Dass es im Alltag …ja … Probleme und Schwierigkeiten gibt, und dass man vielleicht auch sieht, dass wir nur ganz wenig bewegen können und wir manchmal auch überfordert sind.“ (Fachkraft) Ähnliche Reaktionen einer möglichen Abwehr oder Zurücknahme der Kontakte werden von Fachleuten im Fall einer intensiv erlebten Einmischung der Eltern in den Arbeitsalltag benannt, die ihnen scheinbar ähnlich wie eine sehr hohe Erwartungshaltung die eigene Handlungsautonomie der Fachpersonen einzuschränken scheint. Anke Sodogé, Andreas Eckert 200 VHN 3/ 2007 2.8 Fachleute fühlen sich in ihrer professionellen Arbeit und ihrem Engagement von den Eltern wenig wertgeschätzt Probleme auf der Beziehungsebene erweisen sich den Untersuchungen zufolge als ein weiteres zentrales Kooperationshindernis. In der Zusammenarbeit von Eltern und Fachleuten treffen neben Personen mit sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen auch stets unterschiedliche Charaktere und Persönlichkeiten aufeinander, sodass die möglichen Schwierigkeiten auf dieser Ebene nicht verwundern. Einen zentralen, die Kooperation erschwerenden Faktor stellt dabei neben einer eventuell vorhandenen persönlichen Antipathie das Fehlen von Wertschätzung, vor allem des Engagements und der fachlichen Arbeit, durch die Eltern dar. Stehen einer erwarteten Wertschätzung des eigenen Handelns Reaktionen wie Misstrauen oder Abwertungen gegenüber, wirkt sich dies natürlich negativ auf die Kooperationsbereitschaft aus. „Das hängt damit zusammen, wie gut man sich natürlich auch auf welcher Ebene treffen kann. Eltern, die mir nur Vorwürfe machen … ne, denn wenn ich immer das Gefühl habe, mir weht der Wind von vorne entgegen, werde ich auch sehr unfrei und sehr rigide in dem, was ich tue.“ (Fachkraft) Eng verbunden mit der fehlenden Wertschätzung sind Aspekte wie eine fehlende Offenheit oder das fehlende Vertrauen in die Fachleute. „Und dann hab ich hintenrum über den Kindergarten erfahren, dass es jetzt doch in die Regelschule geht, und die Eltern hätten von sich aus mir nichts gesagt.“ (Fachkraft) 2.9 Eltern erhalten zu wenig Kontakt- und Informationsangebote, sodass der Informationstransfer bezüglich der Förderung und Begleitung des Kindes sowie weiterer Fragen als unzureichend erlebt wird Ein von der Elternseite als sehr relevant erlebtes Kooperationshindernis stellt die mangelnde Bereitstellung gewünschter Informationen und Unterstützungsangebote dar. Dies bezieht sich auf der Sachebene auf das unmittelbare Fehlen adäquater und kompetenter Informations- und Hilfsangebote, auf der Beziehungsebene auf das Fehlen von Transparenz und Offenheit in den Kontakten zu Fachleuten. „Es ist leider traurig, dass man so wenig informiert wird halt, was man mit einem behinderten Kind machen kann oder wo man hingehen könnte, dass man so wenig Vorschläge bekommt. Nee, ich bin eigentlich da drüber auch ein bisschen enttäuscht.“ (Eltern) In unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen erleben manche Eltern die Fachleute als wenig mitteilsam und informationswillig, vielmehr scheinen Eltern häufig auf ihre eigene Aktivität bei der Suche nach relevanten Informationen und Hilfen in ihrer besonderen Situation mit dem behinderten Kind angewiesen zu sein. „Eine Zusammenarbeit hat überhaupt nicht stattgefunden. Es waren eigentlich immer nur die Untersuchungen, ansonsten alles, was da so drum rum noch passiert ist, musste man sich teilweise in mühevollster Kleinarbeit selber zusammensuchen.“ (Eltern) Die negativen Auswirkungen der mangelnden Informationsweitergabe machen sich für die Eltern zum einen bei der Suche nach spezifischen Hilfen und Unterstützungsangeboten, zum anderen in der Gestaltung der Kooperation mit den Fachleuten, die das eigene Kind betreuen, deutlich bemerkbar. 2.10 Eltern fühlen sich in ihrem Engagementund ihren Vorstellungen von den Fachleuten nicht akzeptiert, wertgeschätzt und einbezogen, oder sie erleben Schuldzuweisungen Ähnlich dem von Fachleuten beschriebenen Kooperationshindernis der geringen Wertschät- Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 201 VHN 3/ 2007 zung ihres Handelns und ihrer Kompetenzen lässt sich der Bereich der Probleme auf der Beziehungsebene auf das Erleben von Eltern übertragen. Die Äußerungen der untersuchten Eltern zu dieser Thematik beziehen sich in erster Linie auf die fehlende Einbeziehung und Wertschätzung der von den Eltern gesammelten Erfahrungen, ihres Wissens und ihrer Kompetenzen. Auch heute noch finden sich viele Eltern in der Rolle des „unwissenden Laien“ wieder, dem wenig ressourcenorientiert begegnet wird. Wie von einzelnen Eltern beschrieben wird, stellen Schuldzuweisungen ein weiteres Erschwernis für die Gestaltung einer gelingenden Kooperation dar. „Ja, die von der Ambulanz haben auch immer gesagt, das mit dem Festhalten ist das Schlimmste, was sie machen können, aber ich hab dann immer gesagt, ja, da können sie machen, was sie wollen, wenn das das ist, was bei uns geholfen hat… und wenn sie das nicht kapiert hat, dann Pech gehabt, ne. Und die hat auch so alles schlecht gemacht, was wir halt vorher gelernt hatten, und ich meinte dann, hören Sie, das ist mein Kind (…)“. (Eltern) „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir als Eltern als undankbar hingestellt worden sind und wir eigentlich noch gefrusteter rausgegangen sind, als das vor dem Gespräch schon der Fall war.“ (Eltern) Ein wenig offener Umgang mit fachlicher Autorität wird ebenfalls als Hindernis für ein kooperatives Zusammentragen unterschiedlicher Kompetenzen, z. B. im Sinne des „Empowerment“, benannt. „»Man hat natürlich teilweise auch mit Koryphäen zu tun, die vielleicht seit 20 Jahren absolute Spezialisten auf ihrem Gebiet sind und sich halt auch nicht reinreden lassen.“ (Eltern) 3 Kooperationshindernisse aus verschiedenen Perspektiven Das Ge- oder Misslingen der Kooperation zwischen Fachleuten und Eltern wird entscheidend vom Verhalten und Erleben der beteiligten Personen beeinflusst. Wissenschaftliche Theorien formulieren, abhängig von ihren Grundannahmen, u. a. personen-, interaktions- und kontextbezogene Erklärungen für die wahrgenommenen Phänomene des menschlichen Verhaltens und Erlebens. Jede theoretische Position stellt hierzu für sich genommen eine schlüssige Betrachtungsweise dar, fokussiert aber damit einen bestimmten Blickwinkel und vernachlässigt andere. Will man den Möglichkeitsraum für Problemlösungen erweitern, so macht es Sinn, den Blickwinkel zu verändern, Dinge mit einer anderen Brille zu betrachten, um durch andere Erklärungen neue Lösungen zu finden. Im Folgenden möchten wir die Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten aus den oben genannten unterschiedlichen Perspektiven betrachten, um die Chancen des Wechsels der Blickrichtung für die Analyse zu nutzen. 3.1 Personenenbezogene Erklärungsmodelle Personenbezogene Erklärungsmodelle, wie sie unter anderem von den verschiedenen psychologischen Denkrichtungen (Lerntheorie, Psychoanalyse, Humanistische Psychologie, Kognitivismus) vertreten werden, gehen gemäß Palmowski (2000, 50) von der Annahme aus, „dass das zu beobachtende Verhalten vorrangig abhängig ist von verdeckten, in der Person liegenden Ursachen oder Mechanismen“. Laut Palmowski beruhen die Theorien auf der gemeinsamen Grundüberzeugung, „dass menschliches Verhalten am besten erklärt werden kann durch Introspektion“ (2000, 51). Aus der Perspektive eines Beobachters stellt sich die Kooperationssituation zwischen Fachkraft und Eltern wie in Abb.1 dar. Anke Sodogé, Andreas Eckert 202 VHN 3/ 2007 Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 203 VHN 3/ 2007 Verhalten und Erleben von Eltern und Fachleuten in der Kooperation erfolgen unabhängig voneinander, denn die an der Kooperation Beteiligten interagieren und kommunizieren aufgrund der ihnen eigenen Eigenschaften, Verhaltensweisen und Bewertungen. Eine Beeinflussung der Kooperation kann dementsprechend im Wesentlichen durch Veränderung der Emotionen, durch Beeinflussung des Verhaltens oder der kognitiven Bewertungen der kooperierenden Personen erreicht werden. Um Kooperationshindernisse abzubauen, müssten Fachleute und Eltern sich mit ihren die Begegnungen beeinflussenden Emotionen auseinandersetzen, sie müssten die Bewertungen, die ihrem Verhalten zugrunde liegen, reflektieren und gegebenenfalls verändern, sie müssten Muster, die ihr Verhalten in Kooperationssituationen steuern, analysieren und neue Verhaltensweisen im Umgang miteinander einüben. 3.2 Interaktionsbezogene Erklärungsmodelle Die interaktionistischen Theorien fokussieren das aktive Individuum in einer aktiven Umwelt. Im Mittelpunkt der Erklärungsansätze stehen die gegenseitigen Anforderungen und wechselseitigen Anpassungen zwischen den Individuen. Menschliches Erleben und Verhalten werden dementsprechend anhand der Interaktions- und Kommunikationsprozesse, die zwischen den an einer Situation beteiligten Menschen stattfinden, analysiert. Schwierigkeiten und Störungen werden im Bereich der Interaktion und Kommunikation zwischen den Menschen verortet. Modellhaft lässt sich die Kooperationssituation zwischen Fachkraft und Eltern aus der Perspektive des Beobachters wie in Abb. 2 darstellen. Die Interaktions- und Kommunikationsprozesse in der Kooperation zwischen Fach- Abb. 1: Kooperationssituation aus Sicht personenbezogener Erklärungsmodelle Abb. 2: Kooperationssituation aus Sicht interaktionsbezogener Erklärungsmodelle K o o p e r a t i o n s s i t u a t i o n F a c h k r a f t B e o b a c h t e r E l t e r n K o o p e r a t i o n s s i t u a i o n E l t e r n F a c h k r a f t B e o b a c h t e r Anke Sodogé, Andreas Eckert 204 VHN 3/ 2007 leuten und Eltern sind dieser Sichtweise entsprechend direkt aufeinander bezogen und bedingen sich wechselseitig. Lösungen zur Überwindung von Kooperationshindernissen können nur durch die Analyse der Interaktion und Kommunikation zwischen den Kooperationspartnern angestrebt werden. Um Art und Qualität der Interaktion und Kommunikation zu betrachten, ist es bedeutsam zu hinterfragen, wer die Zielsetzung und das Tempo der Interaktion bestimmt, wer Prozesse weiterführt und neue Impulse gibt, ob die Strukturen von Interaktion und Kommunikation hierarchisch oder demokratisch organisiert sind usw. 3.3 Kontextbezogene Erklärungsmodelle Kontextbezogene Erklärungsmodelle beruhen auf der gemeinsamen Grundannahme, dass das menschliche Erleben und Verhalten auf der Grundlage von Regelkreisprozessen verstanden werden muss. Insbesondere die Systemtheorien, die systemisch-ökologischen Theorien und der Konstruktivismus sind die Grundlage kontextbezogener Deutungen für menschliches Erleben und Verhalten. Die systemisch-ökologische Theorie nach Bronfenbrenner (1981) fokussiert die Wechselwirkungsprozesse zwischen der Person und der sie umgebenden Umwelten, die der Autor als Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem bezeichnet. Jedes menschliche Verhalten und Erleben wird als sinnvoll bezogen auf den jeweiligen Kontext betrachtet. Das System der Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten stellt sich aus der Perspektive des Beobachters demzufolge wie in Abb. 3 dar. Verhalten und Erleben von Eltern und Fachleuten in der Kooperation resultieren aus den Wechselwirkungsprozessen mit den sie umgebenden Kontexten (Fachkraft und Kind, Elterteil und Kind, Fachkraft und Kollegen, Elternpaar, Geschwister, Rahmenbedingungen der Institution, wirtschaftliche Situation der Familie, Sozialpolitik, Schulgesetzgebung, Religion usw.) und müssen im Zusammenhang mit diesen Umgebungsfaktoren analysiert werden. Kooperationshindernisse lassen sich dann Abb. 3: Kooperationssituation aus Sicht kontextbezogener Erklärungsmodelle E l t e r n Zeitplanung Familie Werte Team Konzepte Finanzen … Ausbildung Gesellschaft K o o p e r a t i o n s s i t u a t i o n F a c h k r a f t B e o b a c h t e r Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 205 VHN 3/ 2007 überwinden, wenn der Kontext, in welchem Kooperation stattfindet, so gestaltet bzw. verändert wird, dass sowohl Eltern als auch Fachleute die Zusammenarbeit als sinnvoll und passend hinsichtlich der Erziehung, Förderung, Unterstützung und Begleitung des Kindes erleben und bewerten. Eine weitere kontextbezogene Erklärung für menschliches Verhalten und Erleben stammt von Palmowski (1998, 2000). Dieser Sichtweise liegt die Annahme zugrunde, dass „Verhalten […] Ergebnis und Ausdruck von Spielregeln in Systemen [ist]. Es ist nicht ursächlich, sondern funktional bedingt. Der Mensch ist aktiver Teilnehmer in einem Spiel, dessen Spielregeln prinzipiell verhandelbar sind.“ Systeme werden dementsprechend ausschließlich von den darin herrschenden Strukturen oder Spielregeln bestimmt. Die das System bestimmenden Spielregeln gelten weitgehend unabhängig von den Personen, d. h. auch wenn die Personen in Systemen ausgetauscht werden, bleibt die Gültigkeit der Regeln bestehen. Veränderungen sind daher nicht durch einen Austausch der Personen, sondern nur durch die Veränderung der Regeln zu erreichen. Das System der Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten stellt sich aus der Perspektive des Beobachters demzufolge wie in Abb. 4 dar. Die Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten wird von den Spielregeln bestimmt, die grundsätzlich gelten, die also relativ unabhängig sind von den je spezifischen Merkmalen und Verhaltensweisen der Fachkraft oder der Elternteile. Kooperationshindernisse sind, so gesehen, das Ergebnis der gültigen Spielregeln. Diese müssen analysiert und benannt werden, damit sie zum Nutzen der Kooperationsprozesse verändert werden können. Jeder der beschriebenen Erklärungsansätze liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Kooperationssituation zwischen Eltern und Fachleuten und gibt Hinweise zur Lösung von Kooperationsproblemen. Zur Systematisierung und Bewertung der empirischen Daten unseres Forschungsprojekts haben wir bisher mit der Zuordnung des Materials zur Organisations-, Sach-, Beziehungs- und Persönlichkeitsebene sowohl personenals auch interaktions- und kontextbezogene Sichtweisen genutzt. Die Analyse der Kooperationsprozesse zwischen Eltern und Fachleuten in der heil- und sonderpädagogischen Arbeit im Hinblick auf die zugrunde liegenden Spielregeln ist bisher nicht erfolgt. Die Einnahme dieser Perspektive halten wir jedoch für sehr interessant und gewinnbringend, denn sie lenkt den Blick auf die Muster und Regeln, die relativ unabhängig von den kooperierenden Personen wirken. So können verdeckte Strukturen der Kooperation aufgedeckt und prinzipiell auch verändert werden. Diese vielleicht ungewohnte Denkweise eröffnet eine neue Perspektive auf mögliche Lösungen für problematische Aspekte in der Kooperation. Abb. 4: Kooperationssituation aus der Perspektive des Beobachters K o o p e r a t i o n s s i t u a t i o n E l t e r n B e o b a c h t e r SPIELREGELN F a c h k r a f t 4 Welche sind die aktuellen Spielregeln? Abgeleitet aus den zuvor dargestellten, empirisch ermittelten Kooperationshindernissen möchten wir nun vier Spielregeln formulieren, die eine gelingende Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten unseres Erachtens maßgeblich erschweren können und gleichzeitig die Praxis häufig mitzubestimmen scheinen. Die Bewusstmachung dieser Regeln stellt die Grundlage für die Entwicklung handlungsleitender Gedanken dar, die wiederum die Grundlage für neue Spielregeln bilden können. Spielregel Nr. 1: Kooperation darf nichts kosten! Die Ergebnisse der Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass die Kooperation von Eltern und Fachleuten mit der Notwendigkeit der Investition von Ressourcen unterschiedlicher Art verbunden ist. Dies betrifft zum einen die Bereitstellung förderlicher Rahmenbedingungen, zum anderen das persönliche Engagement der beteiligten Personen. Vielfach scheint in der Praxis jedoch der Gedanke vorzuherrschen, dass Kooperation nur dann erfolgen kann, wenn sie kosten- und zeitneutral möglich ist. Die Kooperation mit den Eltern wird statt als grundlegender und gewinnbringender Bestandteil des pädagogischen Konzeptes häufig als „Luxusgut“ oder auch „zusätzliche Arbeitsbelastung“ gesehen, der man sich erst dann widmet, wenn sich zeitliche Freiräume und persönliche Arbeitskapazitäten ergeben. Jede persönliche und institutionelle Investition wird in diesem Fall sehr genau abgewogen, möglicherweise verbunden mit dem Gedanken, dass sich die Investition nicht auszahlt, d. h. dass die Vorteile der Kooperation in der Relation zu dem mit ihr verbundenen Aufwand nicht deutlich erkannt werden. Spielregel Nr. 2: Kooperation ergibt sich von alleine, sie braucht nicht erlernt oder konzeptionell verankert zu werden! Aus den Ergebnissen bezüglich der häufig fehlenden Verankerung von Kooperationskonzepten sowie der unzureichenden Vorbereitung von Fachleuten auf diesen Arbeitsbereich lässt sich diese zweite Spielregel ableiten. Der Kooperation mit den Eltern wird institutionell vielfach nicht der Stellenwert zugesprochen, der eine vertiefte theoretische und konzeptionelle Auseinandersetzung notwendig machen würde. Dies lässt sich durch zwei mögliche Gedankengänge erklären. Dem ersten zufolge wird die Kooperation mit den Eltern im jeweiligen institutionellen Kontext so gering gewichtet, dass sie in einer Hierarchie der Arbeitsaufgaben und Leitideen eine untergeordnete Rolle spielt. Parallel zur Entwicklung der Rolle der Eltern in der Heilpädagogik ist man in diesem Fall möglicherweise auf der Stufe des „Laien-Modells“ stehen geblieben. Ein zweiter, ebenfalls aus den Untersuchungsergebnissen ableitbarer Gedanke legt demgegenüber nahe, dass die Kooperation mit den Eltern vielfach als wichtig gesehen wird, dass ihr jedoch sehr schnell der Charakter einer „Alltagskommunikation“ zugesprochen wird, auf die man sich nicht explizit vorbereiten muss. Die in der praktischen Arbeit beschriebenen Probleme weisen aber auf die Gefahren der Unterschätzung der Spezifika der Zusammenarbeit von Eltern und Fachleuten hin, die sich aus einer unzureichenden Vorbereitung ergeben können. Spielregel Nr. 3: Die Gestaltung der Kooperation liegt in den Händen der Fachleute! Die Verantwortung für die Art und Weise, in der die Kooperation mit den Eltern im jeweiligen institutionellen Kontext gestaltet wird, liegt den Ergebnissen der Untersuchungen zufolge sehr stark in den Händen der Fachleute. Anke Sodogé, Andreas Eckert 206 VHN 3/ 2007 Sowohl aus den Schilderungen der Eltern wie auch der Fachleute lässt sich ein scheinbar häufig stillschweigend existierendes Übereinkommen ableiten, dass sowohl die Intensität als auch der Charakter der Kontakte in erster Linie durch die Fachleute bestimmt werden. Kooperation ist in diesem Sinne erneut abhängig von den Rahmenbedingungen und Konzepten der jeweiligen Einrichtung sowie den persönlichen Überzeugungen, den Kompetenzen und dem Engagement der einzelnen Fachkraft. Eltern beschreiben dieser Regel entsprechend unzureichende Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten, Fachleute demgegenüber einen hohen Druck, den Erwartungen gerecht zu werden und sich für die Motivierung der Eltern zur Zusammenarbeit verantwortlich fühlen zu müssen. Spielregel Nr. 4: Fachleute müssen ihren Status als Experten sichern! Die besonders von den Eltern beschriebene Problematik der vielfach nicht gelingenden Zusammenführung des Expertenwissens der Fachleute mit den Kenntnissen und Erfahrungen der Eltern legt die Vermutung nahe, dass von fachlicher Seite Statusfragen in der Kooperation eine wichtige Rolle zu spielen scheinen. Durch eine begrenzte Weitergabe von Informationen an die Eltern, eine hohe Gewichtung des eigenen Expertenwissens sowie eine geringe Wertschätzung der Kompetenzen und Bemühungen der Eltern kann es Fachleuten zwar gelingen, ihre eigene Arbeit gegen (teilweise sicher auch unangemessene) Kritik oder Störungen von außen abzuschotten, negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit den Eltern sind jedoch absehbar. Aus der Perspektive der Fachleute ist eine Hervorhebung, Akzeptanz und Wertschätzung des Expertenwissens selbstverständlich wichtig, frag-lich scheint dabei lediglich das in der praktischen Arbeit teilweise vorzufindende Bestehen auf dem alleinigen Expertentum. 5 Gestaltung der Kooperation nach neuen Spielregeln Neue Spielregel Nr. 1: Kooperation ist gewinnbringend! In der (heil)pädagogischen Fachdiskussion wird Kooperation unstrittig als wesentlicher und wertvoller Bestandteil der pädagogischen Arbeit betrachtet. Kracht und Welling (2002, 10) weisen darauf hin, dass „im Denkrahmen der Kooperativen Pädagogik […] Kooperation die pädagogische Leitidee dar[stellt]“. Diese Leitidee steht für ein gewandeltes Verhältnis zwischen Professionellen und Betroffenen, welches von gegenseitigem Respekt und wechselseitiger Wertschätzung der Zusammenarbeit geprägt ist und sich ausdrücklich gegen Fremdbestimmung wendet. Auch die weiteren für die schulische und außerschulische Heilpädagogik bestimmenden Leitideen Normalisierung, Integration/ Inklusion, Selbstbestimmung/ Empowerment messen der Kooperation zwischen Experten und Klienten bzw. ihren Angehörigen eine große Bedeutung zu. Ohne die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Professionellen und Klienten sind die mit den Leitkonzepten verbundenen Ziele wie Lebensweltorientierung, Individualisierung und Bedürfnisorientierung, Stützung sozialer Netzwerke nicht zu erreichen. Die Qualität heilpädagogischer Arbeit in der Praxis muss sich daran messen lassen, ob sie diesen Ansprüchen genügt. Theoretisch lässt sich der Wert der Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten für die kindliche Entwicklung mit der systemischökologischen Theorie der menschlichen Entwicklung von Bronfenbrenner (1981) (hierzu ausführlich Sodogé/ Eckert 2004) belegen. Empirisch zeigen die Aussagen unserer Interviewpartnerinnen, dass eine gelingende Kooperation auch in der Praxis sowohl aus der Sicht der Fachkräfte als auch aus der Sicht der Eltern als gewinnbringend bewertet wird. Der Gewinn durch Kooperation wird Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 207 VHN 3/ 2007 also prinzipiell weder aus theoretischer noch aus empirischer Perspektive in Frage gestellt. Im Gegensatz zu dieser Erkenntnis steht die oben erläuterte Spielregel „Kooperation darf nichts kosten“, denn sie macht deutlich, dass der Ertrag der Kooperation von den Kostenträgern und den Beteiligten nicht besonders wertgeschätzt wird. Die Frage, wie es gelingen kann, dass der mit der Kooperation verbundene Profit deutlicher wird, hat dementsprechend große Bedeutung. Hierzu wird im Folgenden zunächst der Gewinn der Kooperation für Fachkräfte, Eltern und Kostenträger diskutiert, um dann Möglichkeiten zur Verbesserung der Transparenz des Kooperationsertrags vorzustellen. Gewinn für die Fachleute: Die Eltern unterstützen die Arbeit der Fachleute durch Informationen, denn sie geben einen Teil ihres Wissens als Experten für ihre Kinder an die Fachpersonen weiter. Dieses Mehr an Kenntnissen über das Kind und sein Umfeld erleichtert den Fachkräften den Beziehungsaufbau zum Kind. Ungewöhnliche Verhaltensweisen und Reaktion eines Kindes können mit Hilfe dieses Wissens eher akzeptiert werden, die Planung von passenden lebensweltbezogenen Förder- und Lernangeboten wird durch die Informationen der Eltern erst möglich. Instrumentelle Unterstützung erhalten Fachkräfte von Eltern durch Spenden aller Art sowie durch aktive Mitarbeit in der Einrichtung. Wertschätzung der Fachkompetenz und des Engagements der Fachleute seitens der Eltern bedeutet emotionale Unterstützung, sie erhöht die berufliche Motivation und führt zu größerer Berufszufriedenheit. Kooperation mit Eltern eröffnet für Heil- und Sonderpädagoginnen neue Perspektiven auf ihre Arbeit, sie erweitert und verändert den Blickwinkel, sodass eingefahrene Erklärungs- und Handlungsmuster hinterfragt und verändert, neue Fragen gestellt und neue Lösungen entwickelt werden können. Gewinn für die Eltern: Auch für Eltern entsteht durch die Kooperation ein Informationsgewinn, denn im Rahmen des gemeinsamen Handelns können sie am Fachwissen der Heil- und Sonderpädagogen partizipieren. Dies betrifft zum einen Kenntnisse, die sich direkt auf das Störungsbild des Kindes beziehen, zum anderen Informationen über weitere Unterstützungsmöglichkeiten im sozialen Umfeld sowie die Vermittlung des Kontaktes zu gleich Betroffenen. Instrumenteller Gewinn für Eltern kann dadurch entstehen, dass Fachkräfte sie bei der Inanspruchnahme staatlich finanzierter Unterstützungsmöglichkeiten beraten, sie auf ihre Rechte hinweisen und ihnen bei der Formulierung entsprechender Anträge zur Seite stehen. Die Wertschätzung der Leistungen der Familie seitens der Fachleute stellt für Eltern eine emotionale Unterstützung bei der Bewältigung des Familienalltags dar. Kooperation mit Heil- und Sonderpädagoginnen eröffnet ihnen Einblicke in einen zentralen Lebensbereich ihres Kindes. Sie haben die Möglichkeit, die Lebenssituation des Kindes durch die Brille einer Fachkraft zu betrachten und so neue Perspektiven, Fragen und Lösungen für das Zusammenleben in der Familie zu entwickeln. Gewinn für die Institution: Die Kooperation zwischen Fachkräften und Eltern ist - wie weiter oben ausgeführt wurde - ein zentrales Qualitätsmerkmal moderner sonder- und heilpädagogischer Arbeit. Eine gute Kooperation mit den Eltern trägt entscheidend zur Reputation jeder Einrichtung bei. In einer Zeit, in der auch soziale Einrichtungen sich den Prozessen der Qualitätssicherung sowie dem Wettbewerb untereinander stellen müssen, kann u. E. keine Institution auf diesen Zuwachs an Professionalität, der durch die Bereitstellung kooperationsfördernder Rahmenbedingungen und Ressourcen entsteht, verzichten. Anke Sodogé, Andreas Eckert 208 VHN 3/ 2007 Neue Spielregel Nr. 2: Der Gewinn muss sichtbar gemacht werden! Die Erkenntnis, dass Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten ein Unternehmen ist, das den Einsatz an notwendigen Ressourcen lohnenswert macht, bedarf sowohl einer kognitiven als auch einer emotionalen Verankerung. Auf der kognitiven Ebene könnten eine genaue Dokumentation und eine abschließende, möglichst standardisierte Evaluation der kooperativen Prozesse zu einem besseren Verständnis beitragen. Die langfristige und regelmäßige schriftliche Niederlegung von vereinbarten Zielen, zur Verfügung stehenden Ressourcen und erreichten Lösungen kann den erzielten Gewinn transparent und den Weg dahin auch für den Blick von außen nachvollziehbar machen. Das Ergebnis der Kooperation wird somit nicht nur der subjektiven Bewertung der Kooperationspartner überlassen, sondern der Prozess wird durch eine derartige Verschriftlichung anhand gemeinsam entwickelter Kriterien „objektiver“ bewertet und damit durchschaubarer. Noch bedeutsamer erscheint aber eine Veränderung der Haltungen der Kooperationspartner zum Stellenwert der gemeinsamen Arbeit. Die Haltungen von Fachkräften zu professionellen Fragen sind in ihrem Berufsethos verankert. Das Berufsethos ist aber „kein Rucksack voller Tugenden“ (Oser 1998, 10), über den Heilpädagoginnen verfügen oder eben nicht, sondern Berufsethos soll als lernbar verstanden werden. Die Äußerungen der befragten Fachkräfte zeigen, dass sie die Zusammenarbeit als eine Option mit unsicherem Ergebnis bewerten. Kooperation mit Eltern gehört nicht zu den verpflichtenden und zentralen Aufgaben, für die sich der Einsatz lohnt. Es muss angestrebt werden, im Kontext von Fallkonferenzen diese eher geringschätzende Haltung zur Zusammenarbeit langfristig durch Reflexionen über den grundsätzlichen Wert der Kooperation zu verändern. Nur so kann es gelingen, den Gewinn der Kooperation für die Professionalität von Heil- und Sonderpädagoginnen stärker in ihrem beruflichen Selbstverständnis zu verankern. Vorschläge zur praktischen Übung von derartigen Diskursen finden sich bei Oser (1998). Neue Spielregel Nr. 3: Kooperation bedarf einer spezifischen Schulung Es ist unstrittig, dass die Kooperationsfähigkeit zu den professionellen Kompetenzen von Sonder- und Heilpädagoginnen gehört. Penné (1995, 276) bezeichnet sie sogar als ein „Essential“ der sonderpädagogischen Professionalität. Praktizierte Kooperation ist aber mit vielen Problemen verbunden, die - wie unsere Forschungsergebnisse zeigen - häufig auf der Beziehungs- und Persönlichkeitsebene angesiedelt sind. Die große Bedeutung der Kooperationsfähigkeit wird noch unterstrichen, wenn man die Aussagen unserer Interviewpartner zur Kenntnis nimmt, wonach Kooperation bei hohem Engagement und ausgeprägter Kooperationsfähigkeit der Beteiligten trotz struktureller Defizite und mangelnder Ressourcen sehr gut gelingen kann. Die Kooperationsfähigkeit besteht aus Einzelfähigkeiten, die von verschiedenen Autoren (z. B. Behringer/ Höfer 2005, 109f, Bundschuh u. a. 1999, 179; Stiller 2004, 47) relativ übereinstimmend insbesondere mit fachlicher Sicherheit, Achtung, Akzeptanz, Empathie, Kommunikationsfähigkeit, Managementkompetenz, Annahme der eigenen Schwächen, Konfliktfähigkeit, Zuwendungsfähigkeit und -bereitschaft beschrieben werden, die unabhängig vom Kooperationspartner Gültigkeit haben. Alle aufgezählten Kompetenzen sind ohnehin Merkmale sonder- und heilpädagogischer Professionalität, sodass man sagen kann, dass zur Kooperation prinzipiell keine spezifischen Fähigkeiten über das übliche Curriculum hinaus erworben werden müssen. Das heißt jedoch nicht, dass Kooperation keiner besonderen Schulung bedarf - im Gegenteil. Neben der Er- Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 209 VHN 3/ 2007 weiterung und Vertiefung der zugehörigen Kompetenzen soll insbesondere die Fähigkeit zur Reflexion von Kooperationsprozessen vermittelt werden. Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten findet in der Praxis häufig relativ ungeplant, durchaus nebenbei statt und gelingt dann, wenn Eltern und Fachleute intuitiv an einem Strang ziehen, gemeinsame Ziele verfolgen. Eine fehlende Zielvereinbarung, mangelnde Planung und Überwachung des Prozesses führen zu Kooperationsproblemen, und meist ist die Zusammenarbeit auf einer solch unstabilen Basis zum Scheitern verurteilt. Im Rahmen einer Qualifizierung für Kooperation müssen Fachkräfte daher metakooperatives Wissen erwerben, das zur Reflexion pädagogischer Probleme unter dem Fokus der Kooperation dient. Es gilt zu lernen, wie Kooperationsprozesse bewusst initiiert werden können, wie Ziele für die Kooperation ausgehandelt und Prozesse gemeinsam mit den Kooperationspartnern geplant, überwacht und dokumentiert werden. Neue Spielregel Nr. 4: Kooperation wird durch die Formulierung von Arbeitsbündnissen zur gemeinsamen Aufgabe gemacht! Die Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten kann nur dann gelingen, wenn sie als eine Aufgabe betrachtet wird, für welche die Beteiligten gleichermaßen Verantwortung übernehmen. Arbeitsbündnisse, in denen Zielsetzungen, Rahmenbedingungen und Formen der Zusammenarbeit explizit gemacht werden, sind hierfür eine geeignete Grundlage. Sie dokumentieren den wechselseitigen Respekt und anerkennen die verschiedenen Kompetenzen von Eltern und Fachleuten als gleichwertige Zuständigkeiten an. Derartige Arbeitsbündnisse können aber nicht verordnet werden, sondern sie stellen eine freiwillige Selbstverpflichtung von Eltern und Fachleuten dar. Ihre Inhalte sollten von den Kooperationspartnern gemeinsam erarbeitet, festgehalten und im Rahmen regelmäßiger Prozessreflexion überwacht und verändert werden. So können langfristig nicht nur Veränderungen auf der Handlungsebene, sondern insbesondere Veränderungen der Haltung der Beteiligten gegenüber dem Wert der Kooperation erwartet werden. Literatur Behringer, Luise; Höfer, Renate (2005): Wie Kooperation in der Frühförderung gelingt. München: Reinhardt Bronfenbrenner, Urie (1981): Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta Bundschuh, Konrad; Heimlich, Ulrich; Krawitz, Rudi (1999): Wörterbuch Heilpädagogik. Bad Heilbrunn/ Obb.: Klinkhardt Eckert, Andreas (2006): Kooperation mit den Eltern. In: Hansen, Gerd; Stein, Roland (Hrsg.): Kompendium Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn/ Obb.: Klinkhardt, 276 - 290 Kracht, Annette; Welling, Alfons (2002): Einleitung - Kooperation als pädagogische Leitidee. In: Arbeitskreis Kooperative Pädagogik (AKoP) e.V. (Hrsg.): Vom Wert der Kooperation. Gedanken zu Bildung und Erziehung. Frankfurt/ M. u. a.: Lang, 11 - 18 Kriwet, Ingeborg (2003): Normative Implikationen der Kooperationsdiskussion in der Sonderpädagogik. In: Sonderpädagogik, 174 - 185 Lütje-Klose, Birgit; Willenbrink, Monika (1999): Kooperation fällt nicht vom Himmel. In: Behindertenpädagogik, 2 - 31 Mayring, Philipp (2002): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz Oser, Fritz (1998): Ethos - die Vermenschlichung des Erfolgs. Zur Psychologie der Berufsmoral von Lehrern. Opladen: Leske und Budrich Palmowski, Winfried (1998): System Schulklasse. In: System Schule 1, 4 - 8 Palmowski, Winfried ( 3 2000): Anders handeln. Lehrerverhalten in Konfliktsituationen. Dortmund: Borgmann Penné, Klaus (1995): Kooperation im Kontext der Professionalisierung. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 46, 275 - 281 Schmidt, Christiane (1997): „Am Material“: Auswertungstechniken für Leitfadeninterviews. In: Anke Sodogé, Andreas Eckert 210 VHN 3/ 2007 Friebertshäuser, Barbara; Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim: Juventa Seifert, Monika (2001): Zur Rolle der Familie im Kontext von Autonomie und Abhängigkeit geistig behinderter Menschen. In: Geistige Behinderung, 247 - 261 Sodogé, Anke; Eckert, Andreas (2004): Kooperation mit Eltern in der Sonderschule. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 10, 453 - 461 Stiller, Karl-Theodor (2004): Kooperation von Schule und Familie. Hilfen für Kinder mit Lernschwierigkeiten. Bad Heilbrunn/ Obb.: Klinkhardt Prof. Dr. Anke Sodogé Hochschule für Heilpädagogik Zürich Schaffhauserstraße 239 CH-8057 Zürich Tel.: ++41 (0) 44 317 11 47 E-Mail: anke.sodoge@hfh.ch Vertretungsprof. Dr. Andreas Eckert Universität zu Köln Heilpädagogische Fakultät Frangenheimstraße 4 a D-50931 Köln Tel.: ++49 (0)2 21-4 70 21 22 Fax: ++49 (0)2 21-4 70 51 03 E-Mail: andreas.eckert@uni-koeln.de Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? 211 VHN 3/ 2007