eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 77/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Zusammenarbeit zwischen integrativ tätigen schulischen Sonderpädagoginnen/Sonderpädagogen und Regellehrpersonen

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2008
Brigitte Anliker
Meike Lietz
Beat Thommen
Als zentrale Zielsetzung von integrativen Schulungsformen kann die nachhaltige Entwicklung eines inklusiven Unterrichts betrachtet werden. Dieser soll u. a. über unterrichtsbezogene Zusammenarbeit zwischen schulischen Sonderpädagoginnen/Sonderpädagogen und Regellehrpersonen erreicht werden. Unterrichtsbezogene Zusammenarbeit wird jedoch bisher kaum in gewünschtem und gefordertem Ausmaß realisiert. – Selvini-Palazzoli u. a. entwickelten mit dem Konzept des Zusammenarbeitskontexts einen Rahmen, mit dem Probleme der Zusammenarbeit analysiert werden können. Der Ansatz, den Selvini-Palazzoli u. a. für schulpsychologische Helfersysteme entwickelt haben, wird im vorliegenden Beitrag auf Zusammenarbeitsformen von Sonderpädagoginnen/Sonderpädagogen und Regellehrpersonen übertragen. Der Ansatz zeigt, dass Zusammenarbeitsprobleme als Ergebnis unklarer, impliziter und komplexer Kontexte betrachtet werden können. Er vermag mögliche Erklärungen zu liefern, weshalb unterrichtsbezogene Zusammenarbeit nicht vermehrt praktiziert wird.
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Fachbeitrag VHN, 77. Jg., S. 226 - 236 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 226 Zusammenarbeit zwischen integrativ tätigen schulischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen Brigitte Anliker, Meike Lietz, Beat Thommen PH Bern/ Schweiz n Zusammenfassung: Als zentrale Zielsetzung von integrativen Schulungsformen kann die nachhaltige Entwicklung eines inklusiven Unterrichts betrachtet werden. Dieser soll u. a. über unterrichtsbezogene Zusammenarbeit zwischen schulischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen erreicht werden. Unterrichtsbezogene Zusammenarbeit wird jedoch bisher kaum in gewünschtem und gefordertem Ausmaß realisiert. - Selvini-Palazzoli u. a. entwickelten mit dem Konzept des Zusammenarbeitskontexts einen Rahmen, mit dem Probleme der Zusammenarbeit analysiert werden können. Der Ansatz, den Selvini-Palazzoli u. a. für schulpsychologische Helfersysteme entwickelt haben, wird im vorliegenden Beitrag auf Zusammenarbeitsformen von Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen übertragen. Der Ansatz zeigt, dass Zusammenarbeitsprobleme als Ergebnis unklarer, impliziter und komplexer Kontexte betrachtet werden können. Er vermag mögliche Erklärungen zu liefern, weshalb unterrichtsbezogene Zusammenarbeit nicht vermehrt praktiziert wird. Schlüsselbegriffe: Integrative Schulmodelle, Unterrichtsentwicklung, Zusammenarbeit, Schulentwicklung, schulische Heilpädagogik Cooperation Between Special Education Teachers Working in Integrative Settings and Teachers Working in Ordinary Classes n Summary: The central objective of integrative forms of schooling is a sustainable development of inclusive teaching and instruction. This goal can and should be attained by a cooperation between special education teachers and teachers of ordinary classes on the level of instruction. However instruction centred teamwork has not been practised to the postulated and required extent so far. - With their concept of cooperation, Selvini-Palazzoli et al. have designed a framework for the analysis of problems associated with cooperation. In their article, the authors transfer this approach, originally developed for the supporting system of school psychology, to ways of cooperation between special education teachers and teachers of ordinary classes. The outcomes show that cooperation problems are due to non-specific, implicit and complex situations and contexts. The approach of Selvini-Palazzoli et al. can help to find out why instruction centred teamwork is still a marginal phenomenon in integrative settings. Keywords: Integrative models of schooling, cooperation, teamwork, school development, special education teaching 1 Konzeptuelle Vorgaben für integrativ tätige schulische Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen Mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen und unter verschiedenen Bezeichnungen wurden in den vergangenen dreißig Jahren in allen Deutschschweizer Kantonen ambulante sonderpädagogische Angebote eingeführt (vgl. Eberle- Jankowski/ Walther-Müller 2005). Kinder mit Lernschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten werden in Regelklassen unterrichtet und zusätzlich zum Regelunterricht durch sonderpädagogische Förderlehrkräfte unterstützt. VHN 3/ 2008 227 Zusammenarbeit zwischen schulischen Sonderpädagogen und Regellehrpersonen Mit diesen Förderangeboten wurde ein neues Tätigkeitsfeld geschaffen, dasjenige der integrativ tätigen schulischen Sonderlehrkräfte. Ihre Anstellung erfolgt meist so, dass sie als Fachpersonen denjenigen Kindern und Lehrpersonen zur Verfügung stehen, die ihrer Hilfe bedürfen resp. diese anfordern. Die feste Zuteilung einer Sonderpädagogin/ eines Sonderpädagogen zu einer Klasse mit gleichzeitiger, im Umfang klar definierter Anzahl Lektionen an der betreffenden Klasse wird erst zögerlich in einzelnen Kantonen und/ oder Schulgemeinden umgesetzt. Als wichtiger und anspruchsvoller Bestandteil der Arbeit von schulischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen wird in neueren integrativen Konzepten die Beratung von und der gemeinsame Unterricht mit Regellehrpersonen betrachtet (Amt für Volksschulbildung Kanton Luzern 2007; Bildungs- und Kulturdepartement Kanton Obwalden 2006; Departement Bildung Kultur und Sport des Kantons Aargau 2007; Netzwerk integrative Schulungsformen 2002; Verein ambulant tätiger Lehrpersonen Bern 2007). 2 Die Dominanz der kindbezogenen pädagogisch-therapeutischen Arbeit Einblicke in die konkrete Arbeit integrativ tätiger Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen wie auch Hinweise aus empirischen Arbeiten lassen jedoch vermuten, dass der Forderung nach gemeinsamer Arbeit im Klassenzimmer nicht konsequent nachgekommen wird. Eine Befragung von integrativ tätigen schulischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen im Kanton Bern (Gross/ Thommen 1994) hat gezeigt, dass die auf Konzeptebene geforderten Aufgaben der Beratung und des gemeinsamen Unterrichts in der konkreten Arbeit wenig Berücksichtigung fanden. Der Schwerpunkt lag in der kindbezogenen pädagogisch-therapeutischen Arbeit. Kindbezogene pädagogischtherapeutische Arbeit bedeutet, dass Kinder mit Schulproblemen, welche eine Regelklasse besuchen, stundenweise, meist außerhalb des Klassenzimmers, von einer Sonderpädagogin/ einem Sonderpädagogen unterstützt werden. Kronig (2005) konstatiert, dass in der Praxis hartnäckig an dieser Arbeitsform festgehalten werde. Die Dominanz der kindbezogenen pädagogisch-therapeutischen Arbeit erstaunt nicht. Die Autoren Luder u. a. (2006, 303) leiten aufgrund empirischer Daten die Hypothese ab, dass sich viele Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen noch immer stark an einem „herkömmlichen diagnostischen Verständnis (im Sinne von Statusdiagnostik) orientieren“. Dieses Verständnis gründet auf einer individuumzentrierten Sichtweise der Ursache und Behandlung von Schulproblemen und geht einher mit kindzentrierten Diagnosen und darauf folgender kindbezogener pädagogisch-therapeutischer Arbeit. Vielfach wird diese auch durch administrativ-organisatorische Vorgaben gestützt. So werden materielle und personelle sonderpädagogische Ressourcen meist immer noch über individuelle Etikettierungen von Kindern für individuumbezogene pädagogisch-therapeutische Maßnahmen zugeteilt. 3 Das Konzept der Zusammenarbeitskontexte von Selvini-Palazzoli und anderen Erklärungen für die Diskrepanz von konzeptuellen Vorgaben und der konkreten Umsetzung bieten Überlegungen von Mara Selvini-Palazzoli u. a. (1989) Sie entwickelten ein Konzept, mit welchem Probleme in Zusammenarbeitssituationen, speziell in Helfersystemen, analysiert werden können. Selvini-Palazzoli und ihre Mitarbeiter/ innen wandten Ideen aus der systemischen Psychotherapie auf die Kooperation zwischen Schulpsychologinnen/ Schulpsychologen und Lehrpersonen an (vgl. das Mailänder Modell der strukturellen Psychotherapie, z. B. Selvini-Palazzoli u.a. 1977). In ihren Betrachtungen fokussie- VHN 3/ 2008 228 Brigitte Anliker et al. ren sie primär auf die Rollenverteilung sowie die Kommunikations- und Beziehungsdynamik der an einem Problem resp. an dessen Lösungsversuchen beteiligten Personen. Im Zentrum ihres Ansatzes steht das Konzept des Zusammenarbeitskontextes. Ein Kontext wird als „eine präzise Situation in Verbindung mit einem ganz bestimmten Ziel oder Zweck und einer bestimmten Rollenverteilung“ (1989, 71) definiert. Zusammenarbeitskontexte zeichnen sich aus durch: n eine bestimmte Ausgangssituation, welche institutionelle Vorgaben sowie Problemsichten und Zielvorstellungen der beteiligten Personen umfasst, n einen bestimmten Verlauf der Problembearbeitung mit einer entsprechenden Verteilung der Verantwortlichkeiten und Rollen unter den Beteiligten, n ein bestimmtes Ergebnis, das zustande gebracht werden soll. Im Rahmen der schulpsychologischen Arbeit mit „auffälligen“ Kindern untersuchten Selvini- Palazzoli u. a. (1989, 68ff ) idealtypische Zusammenarbeitskontexte. Sie gehen davon aus, dass sich die jeweiligen Zusammenarbeitskontexte durch eine je bestimmte soziale Dynamik unter den Betroffenen (Kind, Lehrperson, Schulpsychologin/ Schulpsychologe) auszeichnen. In der Regel werden Zusammenarbeitskontexte durch die Betroffenen nicht explizit ausgehandelt und definiert. In Zusammenarbeitssituationen entstehen deshalb immer wieder Probleme, wenn die Betroffenen ohne vorherige Absprache stillschweigend von unterschiedlichen Kontexten ausgehen, oder wenn Kontextdefinitionen im Verlaufe der Zusammenarbeit von einer Kooperationspartnerin/ einem Kooperationspartner verändert werden. Im Folgenden wird das Konzept von Selvini-Palazzoli u. a. auf die Zusammenarbeit von Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen übertragen. Der kindbezogene, pädagogisch-therapeutische Zusammenarbeitskontext sowie der unterrichtsbezogene Zusammenarbeitskontext werden in ihrer idealtypischen Form beschrieben und vor dem Hintergrund des Konzeptes von Selvini-Palazzoli u. a. analysiert. Dabei werden mögliche Schwierigkeiten, die sich in den beiden Kontexten zwischen Regellehrpersonen und Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen stellen, aufgezeigt und zusammenfassend dargestellt. In einem abschließenden Kapitel erfolgt eine Betrachtung der Kontexte aus integrationspädagogischer Sicht. 4 Idealtypisch beschriebene Kontexte in der Zusammenarbeit von schulischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen 4.1 Der kindbezogene Zusammenarbeitskontext Der kindbezogene Kontext umfasst den wertenden und richtenden Kontext und den individualtherapeutischen Kontext, die Selvini-Palazzoli u. a. (1989, 68ff ) für die schulpsychologische Arbeit beschreiben. Exemplarisch verläuft die Arbeit in diesem Kontext wie folgt: Die Regellehrperson stellt bei einem Kind gravierende leistungsbezogene Schwierigkeiten fest. Immer mehr äußern sich auch Schwierigkeiten in seinem sozialen Verhalten und im emotionalen Bereich. Die Lehrerin bittet die schulische Sonderpädagogin, die individuellen Stärken und Schwächen des Kindes abzuklären und die nötigen Fördermaßnahmen zum Wohle des Kindes zu treffen. Nach Abklärungen bezüglich der Entwicklungsdefizite des Kindes fördert die Sonderpädagogin das Kind in einzelnen Lektionen (meist) außerhalb des Klassenzimmers. Zeigt sich eine Verbesserung des Problems, endet der Auftrag der Sonderpädagogin. Das Kind kann „geheilt“ wieder dem regulären Unterricht folgen. VHN 3/ 2008 229 Zusammenarbeit zwischen schulischen Sonderpädagogen und Regellehrpersonen Die Ausgangssituation mit der damit verbundenen Problemsicht besteht also darin, dass eine Lehrperson Entwicklungsdefizite des Kindes als Ursache der Schwierigkeiten vermutet. Die Zuschreibungen der Verantwortlichkeiten und Rollen werden von vorneherein festgelegt. Die Lehrerin ist Auftraggebende, sie definiert das Problem und delegiert die Problemlösung an die Sonderpädagogin, die als kompetente Fachperson hilft. Der Veränderungsdruck liegt primär beim Kind, denn es ist Träger des Problems. Ihm muss mittels Diagnose und darauf aufbauenden Maßnahmen geholfen werden. Die Lehrperson befindet sich in einer relativ komfortablen Situation. Sie definiert das Problem beim Kind. Sie kann die Problemlösung an eine Fachperson delegieren und sich damit entlasten und bekommt im Falle eines Therapieerfolgs das Kind „geheilt“ zurück. Mit (verdeckten) Widerständen gegen eine pädagogisch-therapeutische Intervention ist eventuell aufseiten des Kindes, welchem ein Problem zugeschrieben wird, zu rechnen. Es entscheidet sich nicht selber für eine pädagogisch-therapeutische Maßnahme. Kompetente Fachpersonen wissen jedoch mit solchen Widerständen umzugehen. Diese kontextbezogenen Überlegungen machen möglicherweise einen Teil der Attraktivität dieses Kontextes für die Schule aus. Hinzu kommen weitere Überlegungen, welche die Dominanz der kindbezogenen pädagogisch-therapeutischen Arbeit erklären könnten. So sind die institutionell-organisatorischen Vorgaben auf diese Zusammenarbeitsform ausgerichtet: Materielle und personelle sonderpädagogische Ressourcen werden meist immer noch über individuelle Etikettierungen von Kindern zugeteilt. Da dieser Kontext bezüglich der zeitlichen Ressourcen zumindest kurzfristig wenig aufwendig ist, entspricht er den Anstellungsbedingungen oft besser als z. B. eine länger dauernde unterrichtsbezogene Zusammenarbeit. Zudem ist die Rollen- und Aufgabenteilung zwischen Lehrperson und Fachperson beim kindzentrierten Kontext relativ klar festgelegt. Zwar müssen Fragen der Zuweisung, der Organisation und des Abschlusses einer Maßnahme besprochen und Informationen über die Entwicklung des Kindes gegenseitig ausgetauscht werden. Die eigentliche pädagogische Arbeit verläuft jedoch weitgehend getrennt. In der Zusammenarbeit können sich jedoch auch innerhalb dieses Kontexts verschiedene Probleme ergeben (vgl. Barta 2002): Belastend kann es sich auf die Beziehung der pädagogischtherapeutischen Fachperson und der Lehrperson auswirken, wenn die Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg zeitigt. Die Lehrperson hat dann die Möglichkeit, die Kompetenz der Fachperson anzuzweifeln, was sich auf ein längerfristiges Zusammenarbeitsverhältnis erschwerend auswirken dürfte. Umgekehrt kann die Fachperson zum Schluss kommen, dass die Lehrperson in ihrem Bereich zu wenig zur Linderung der kindlichen Probleme unternimmt. Die Fachperson verlässt dann den kindbezogenen Kontext. Die Lehrperson wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht begeistert sein, dass die Fachperson auch von ihr eine Veränderung erwartet. Damit Fachperson und Lehrperson bei einem Behandlungsmisserfolg das Gesicht wahren können, ist es am einfachsten, auf die Schwere und die beschränkte Beeinflussbarkeit der kindlichen Probleme zu verweisen und evtl. eine noch drastischere kindbezogene Maßnahme wie zum Beispiel eine Zuweisung in eine sonderpädagogische Institution ins Auge zu fassen. Dem individual-therapeutischen Kontext liegt ein individuum-zentriertes dispositionelles Erklärungs- und Behandlungsmodell zugrunde (Selvini-Palazzoli u. a. 1989). Wird dieses für bestimmte kindliche Probleme (z. B. schwere psychische Störungen) als adäquat angenommen, kann damit ein individual-therapeutisches Vorgehen durchaus begründet und gerechtfertigt werden. Aus der Perspektive systemischkonstruktivistischer Ansätze werden jedoch einseitig individuum-zentrierte Erklärungsmodelle und daraus abgeleitete Problemlösevorgehen zunehmend infrage gestellt und entsprechend auf das System ausgerichtete Interventionen vorgeschlagen (z. B. Molnar/ Lindquist 1990, engl. Orig. 1989; Palmowski 1996). VHN 3/ 2008 230 Brigitte Anliker et al. 4.2 Unterrichtsbezogene Zusammenarbeitskontexte Als Alternative zu einer festschreibenden und einseitig an ungünstigen Merkmalen des Kindes orientierten Sichtweise, die mit kindbezogenen Kontexten einhergeht, wird eine Kind- Umfeld-Diagnostik gefordert (vgl. u. a. Bundschuh 2005; Kornmann 2002). „Nicht mehr nur den Eigenschaften gilt das Interesse, sondern auch den Prozessen (…)“ (Kretschmann 2004, 124). Diagnoseverfahren in pädagogischen Arbeitsfeldern sind gefordert, welche die Beobachtungen des Kindes in der unterrichtlichen Lernsituation mit einbeziehen. Diagnostik müsste demnach in das pädagogische Alltagsgeschehen integriert sein (Kretschmann 2004). Wird diesen Forderungen entsprochen, ist es naheliegend, die Zusammenarbeit in unterrichtsbezogener Form fortzusetzen. Für diese werden eine ganze Reihe möglicher Tätigkeiten vorgeschlagen: z.B. die Beobachtung der Kinder und des Unterrichtsgeschehens; Unterrichtsplanung und gemeinsames Arbeiten in der Klasse; Diagnostik, verknüpft mit der (unterrichtsintegrierten oder individualisierten) Förderplanung; die Beratung von Lehrpersonen; das Praktizieren verschiedener Formen des Teamteachings. Hinter den vorgeschlagenen Tätigkeiten für die unterrichtsbezogene Zusammenarbeit lassen sich zwei idealtypische (Sub-)Zusammenarbeitskontexte ausmachen. a) Der Kontext der pädagogischen Beratung Dieser Kontext wird von Selvini-Palazzoli u. a. (1989, 68ff ) auch für die schulpsychologische Arbeit beschrieben. In der Zusammenarbeit von integrativ tätigen schulischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen präsentiert er sich wie folgt: Die Lehrperson stellt Probleme eines Kindes im Unterricht fest. Sie ortet Entwicklungsbedarf im eigenen Unterricht und möchte über unterrichtliche Maßnahmen diesem Kind und der ganzen Klasse besser gerecht werden. Sie fühlt sich aber überfordert, den Unterricht entsprechend der Leistungsheterogenität der Klasse zu gestalten, und wendet sich mit einer entsprechenden Anfrage an eine pädagogisch kompetente schulische Sonderpädagogin. Diese berät die Regellehrperson außerhalb des Unterrichts und erarbeitet mit ihr konkrete pädagogische und didaktische Möglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung. b) Der Kontext des gemeinsam verantworteten Unterrichts Der Kontext des gemeinsam verantworteten Unterrichts kommt aus Gründen des beruflichen Selbstverständnisses und Hintergrundes für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen nicht infrage und wurde von Selvini-Palazzoli u. a. auch nicht vorgeschlagen und diskutiert. Für die sonderpädagogische Arbeit ist er aber von Interesse. Dieser Kontext zeichnet sich dadurch aus, dass die Lehrperson und die Sonderpädagogin/ der Sonderpädagoge Unterricht gemeinsam planen und durchführen und dass die Sonderpädagogin/ der Sonderpädagoge zeitlich begrenzt aktiver, Verantwortung übernehmender Teil des Lehr-Lern-Systems ist. Sie/ er plant, gestaltet und evaluiert zusammen mit der Lehrperson den Unterricht mit dem Ziel, diesen nachhaltig so zu verändern, dass dem Kind im Rahmen des Unterrichts in der Klasse geholfen werden kann. Der Leitsatz „miteinander planen - miteinander handeln“, mit dem Goll (1996) in einem Modell zur Klassifizierung verschiedener Zusammenarbeitsformen in multiprofessionell zusammengesetzten Teams das transdisziplinäre Teammodell charakterisiert, ist dabei handlungsleitend. Gemeinsame Verantwortung für den Unterricht kann über verschiedene Zusammenarbeitsformen realisiert werden. Teamteaching ist eine mögliche Form der Zusammenarbeit. Diese Arbeitsform geht von einer weitgehenden Austauschbarkeit der Rollen der zwei Pädagoginnen/ Pädagogen aus (Halfhide u. a. 2001). Aber auch der Ansatz des fachpädagogischen VHN 3/ 2008 231 Zusammenarbeit zwischen schulischen Sonderpädagogen und Regellehrpersonen Coachings von Staub/ West (2003), bei dem eine asymmetrische Rollenverteilung vorgeschlagen wird, kann als eine Variante gemeinsam verantworteten Unterrichts betrachtet werden. Wesentlich ist in diesem Ansatz, dass der Coach nicht bloß eine beratende und unterstützende Funktion hat, sondern „er beteiligt sich viel mehr als ein für das Lernen der Schüler mitverantwortlicher Partner auch schon während der Unterrichtsvorbereitung und während der Unterrichtsdurchführung“ (Staub 2004, 131). Gemeinsam verantworteter Unterricht kann aber auch als eine sehr enge Form der Zusammenarbeit im Rahmen von „professionellen Lerngemeinschaften“ (Bonsen/ Rolff 2006) verstanden werden. Das Konzept „professionelle Lerngemeinschaften“ wird, ausgehend von Forschungen in den USA (u. a. Bryk 1999 zitiert nach Bonsen/ Rolff 2006, 167), in Europa verbreitet diskutiert und erforscht. c) Schwierigkeiten im Zusammenhang mit unterrichtsbezogenen Zusammenarbeitskontexten Institutionelle Vorgaben und Anstellungsbedingungen bieten häufig keine idealen Voraussetzungen für unterrichtsbezogene Zusammenarbeit. Zwar stehen schulischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen im Rahmen ihrer Anstellungsmodalitäten oft Lektionen zur Verfügung, die sie für pädagogische Beratung, gemeinsame Unterrichtsvorbereitung oder gemeinsames Unterrichten einsetzen können (z. B. Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Nr. 7 1997). In den Pensen der Regellehrpersonen sind aber meist keine Stunden explizit für eine solche Zusammenarbeit vorgesehen. Dies kann zu Gefühlen der Ungleichbehandlung führen und die Zusammenarbeit belasten. Erfahrungen aus Entwicklungsprojekten zeigen, dass es eine wichtige Grundlage für die Realisierung unterrichtsbezogener Zusammenarbeitsformen wäre, bestimmte Zeitgefäße für Vor- und Nachbereitung in den Pensen beider Lehrpersonen vorzusehen (Schulgemeinde Stans 1996, 2002). In aktuellen Konzepten heilpädagogischer Versorgung ist unterrichtsbezogene Unterstützung meist ein Angebot neben anderen, primär kindbezogenen. Eine Lehrperson muss unterrichtsbezogene Unterstützung aktiv einfordern, so sie dies denn wünscht. Unter dem Gesichtspunkt der Zusammenarbeits- und Beziehungsdynamik ist dies von Vorteil. Als Ratsuchende ist die Regellehrperson auch diejenige, die mit Veränderungen ihres Unterrichts zur Lösung des Problems beitragen will. Eine Schwierigkeit könnte jedoch darin bestehen, dass sie durch die Anfrage um Unterstützung leicht in den Verdacht gerät, über mangelnde Kompetenzen zu verfügen, was sie mitunter abhalten könnte, in einen entsprechenden Kontext einzutreten. Die Stärke, Entwicklungsbedarf offen zuzugeben, dürfte nur auf eine ausgewählte Lehrerschaft zutreffen. Die Verteilung der Verantwortlichkeiten und Rollen ist komplex und zuweilen unklar. In unterrichtsbezogenen Kontexten kommt den Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen die Rolle der Spezialistin/ des Spezialisten für Unterrichtsgestaltung in leistungsheterogenen Klassen mit spezifischen Kenntnissen bezüglich Lernbehinderungen und Verhaltensauffälligkeiten zu (vgl. auch Bernhard/ Coradi 2005). Aber auch an Regellehrpersonen wird heute der Anspruch gestellt, Unterricht in leistungsheterogenen Klassen professionell gestalten zu können. Die Rolle der Sonderpädagogin/ des Sonderpädagogen unterscheidet sich demnach von der einer Regellehrperson in einem Additum an Kompetenzen in den genannten Bereichen (vgl. Kretschmann 2004). Worin dieses Additum besteht, müsste einerseits von Institutionen der Lehrerinnen- und Lehrergrundausbildung und der sonderpädagogischen Ausbildung ausgehandelt werden. Andererseits wird es auch stark von den jeweiligen Klassenzusammensetzungen, den daraus erwachsenden Anforderungen und den Kompetenzen der beteiligten Lehrper- VHN 3/ 2008 232 Brigitte Anliker et al. sonen abhängen, wo das Fundamentum endet und das Additum beginnt. Werden Vorgaben nicht von institutioneller Seite gemacht, muss jedes Team selber aushandeln, wie die entsprechende Verteilung der Verantwortlichkeiten und Rollen aussehen soll. Im Kontext der pädagogischen Beratung werden die Rollen benannt und voneinander abgegrenzt. Die Lehrperson sucht Rat und Hilfe in einem von ihr formulierten Problemfeld. Die Sonderpädagogin/ der Sonderpädagoge berät sie als Fachperson und zeigt mögliche Vorgehensweisen auf. Die diesem Kontext inhärente Asymmetrie der Rollen wird offengelegt. Ihr muss mit der nötigen beraterischen Sensibilität begegnet werden, wie dies z. B. von Mutzeck (2002) Zielke (2002) oder auch Ziebarth (2002) beschrieben wird. Auch im Ansatz des fachpädagogischen Coachings wird auf die Asymmetrie der Rollen hingewiesen. Allerdings bleibt es den beteiligten Pädagoginnen/ Pädagogen überlassen zu definieren, was unter einem „für das Lernen der Schüler mitverantwortlichen Partner“ verstanden wird und wie weit die gemeinsame pädagogische Verantwortung reicht. Da dieser Ansatz nicht für die Zusammenarbeit von Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen entwickelt wurde, ist auch nicht geklärt, ob sich die zugewiesene Verantwortung auf alle Kinder oder nur je auf die „Regelkinder“ oder die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder Behinderungen bezieht. Offen bleibt auch, wie es mit der Verantwortung gegenüber den Eltern steht. Soll die Arbeit im Kontext des gemeinsam verantworteten Unterrichts erfolgreich verlaufen, müssen diese Fragen geklärt werden. Dies trifft auch für eine Zusammenarbeit nach dem Konzept „professionelle Lerngemeinschaften“ (Bonsen/ Rolff 2006) zu. Bei diesem Konzept wird gegenseitiger Kompetenztransfer als zentrale Zielsetzung angesehen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Zielsetzung nicht in einem gewissen Widerspruch steht mit den Ausbildungshintergründen von Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen. Da schulische Sonderpädagogik in der Schweiz in der Regel nicht grundständig studiert wird, verfügen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen ebenfalls über eine regelpädagogische Grundausbildung und über berufliche Erfahrung im Regelbereich. Konsekutiv erwerben sie dann einen Abschluss in schulischer Sonderpädagogik. Karrer (1997) thematisiert daraus entstehende Fragen in seinem Artikel „Der Schulische Heilpädagoge: Hilfslehrer, Experte oder Narr? “ Auch Schöler (1999, 83) schreibt, dass der Frage besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, wie die Balance gehalten werden kann, damit die Sonderpädagogin nicht als „Oberpädagogin“ gesehen wird, aber auch nicht nur als „normale Regelschullehrerin“, die ihre Arbeit machen könnte, auch ohne ein sonderpädagogisches Studium absolviert zu haben. Aus den geschilderten Schwierigkeiten wird klar, dass unterrichtsbezogene Kontexte bezüglich Kooperation hohe Anforderungen an die Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen stellen und gleichzeitig mit großen Unsicherheiten, Unklarheiten und Widersprüchen behaftet sind. Dies könnte erklären, warum eine Tendenz besteht, den altbewährten kindbezogenen Kontext zu favorisieren, zumal dieser in aktuellen Aufgabenbeschreibungen nach wie vor als eine Möglichkeit sonderpädagogischer Arbeit vorgesehen ist und damit in Konkurrenz steht zu unterrichtsbezogenem Arbeiten (z. B. Amt für Volksschulbildung Kanton Luzern 2007; Departement Bildung Kultur und Sport des Kantons Aargau 2007). 5 Kooperationsprobleme als Kontextprobleme Selvini-Palazzoli u. a. beleuchten in ihren Analysen Kontextprobleme in der schulpsychologischen Arbeit. In unseren Analysen liegt der Fokus auf der Kooperation zwischen Regellehr- VHN 3/ 2008 233 Zusammenarbeit zwischen schulischen Sonderpädagogen und Regellehrpersonen personen und Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen in heilpädagogischen Versorgungssystemen. Nach Selvini-Palazzoli u. a. (1989) können Kooperationsprobleme unter Gesichtspunkten idealtypischer Kontexte wie folgt interpretiert werden: n Implizite Kontextdefinitionen: Kontexte werden meist nicht explizit definiert und formuliert. Dies kann leicht zu Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten in den Kontextdefinitionen der Beteiligten führen. Eine explizite Aushandlung und Einigung über einen Kontext wird häufig erst versucht, wenn sich Probleme in der Zusammenarbeit manifestieren. n Beteiligte gehen von unterschiedlichen Kontexten aus: Es kommt immer wieder vor, dass Beteiligte von unterschiedlichen Kontexterwartungen ausgehen. Bsp.: Die Lehrperson meldet ein Kind bei der Sonderpädagogin zur Abklärung an. Sie wünscht sich einen individual-therapeutischen Kontext. Die Sonderpädagogin hingegen möchte einen gemeinsam verantworteten integrativen Unterricht entwickeln helfen und signalisiert dies durch einen Besuch in der Klasse. Die Regellehrperson ist irritiert und sucht nach Ausflüchten, warum ein Unterrichtsbesuch in der jetzigen Situation ungünstig sei. n Ausgangslage und Rahmenbedingungen sind mit einem Kontext nicht vereinbar: Bsp.: Die Lehrerin und die Sonderpädagogin möchten gemeinsam integrativen Unterricht realisieren, welcher allen Kindern der Klasse zugute kommt. Das Pensum der Sonderpädagogin muss jedoch über die Anzahl Lektionen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgewiesen werden. Für gemeinsam verantworteten Unterricht bleibt damit keine Arbeitszeit. n Parallel bestehende Zusammenarbeitskontexte: Schulische Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen leben häufig, entsprechend den konzeptuellen Vorgaben und Erwartungen, gleichzeitig mit einer Lehrperson/ Klasse in verschiedenen Zusammenarbeitskontexten. Da meist implizit, muss fortlaufend ausgehandelt werden, welcher Kontext in einer bestimmten Problemsituation gelten soll. Wird den Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern schulischer Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen offengelassen, in welchem Kontext eine Hilfeleistung erfolgen soll, dürfte sich aus den diskutierten Gründen häufig der kindbezogene Kontext durchsetzen. Je mehr parallele Zusammenarbeitskontexte bestehen, desto schwieriger, aufwendiger und kräfteraubender dürfte es für die Betroffenen sein, sich auf einen Zusammenarbeitskontext zu einigen. n Kontextveränderungen im Verlaufe von Problemlösungen: Eine Zusammenarbeit beginnt häufig unter bestimmten Kontextdefinitionen, die jedoch oft von einer der beteiligten Personen im Verlaufe der Zusammenarbeit verändert werden. Bsp.: Die Lehrerin und die Sonderpädagogin unterrichten in gemeinsamer Verantwortung. Die Sonderpädagogin fühlt sich aber nach wie vor primär für die leistungsschwachen Kinder zuständig, die sie mehr und mehr im Kleingruppenunterricht fördert. Der gemeinsame Unterricht driftet in kindzentrierte Förderarbeit ab. Als generellen Ausweg aus Problemen mit unklaren, labilen oder sich widersprechenden Kontexten schlagen Selvini-Palazzoli u. a. vor, Kontexte explizit auszuhandeln und festzulegen. Andernfalls drohen sich diejenigen Kontexte durchzusetzen, welche für die agierenden Personen im System mit der größten Definitionsmacht am wenigsten Veränderungsenergie erfordern, oder es setzt sich jener Kontext durch, welcher der Logik der vorgegebenen bürokratisch-administrativen Regelungen folgt. Im Bereich der sonderpädagogischen Unterstützung dürfte dies der kindbezogene Kontext sein. VHN 3/ 2008 234 Brigitte Anliker et al. 6 Betrachtung der Kontexte aus einer integrationspädagogischen Sicht Wird die Zusammenarbeit zwischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen aus einer integrationspädagogischen Sicht betrachtet, wird rasch klar, dass individual-therapeutische Arbeit verschiedenen Zielsetzungen von Integration entgegensteht: Sie geht einher mit der Stigmatisierung und Etikettierung von Kindern. Die Diagnose sonderpädagogischen Förderbedarfs ist äußerst unsicher (vgl. Bless 2002), und die Zuweisungspraktiken sind kantonal sehr unterschiedlich (Lanfranchi 2005; Lischer 2003). Kindbezogene individual-therapeutische Arbeit ist meist mit einer zeitlich begrenzten räumlichen Separation verbunden, präventive Aspekte werden vernachlässigt. Mit der Bindung der Ressourcenzuweisung an kindbezogene Diagnosen, welche der Logik dieser Arbeitsform entspricht, ist auch ein Anstieg des sonderpädagogischen Bedarfs verbunden - eine problematische Konsequenz. Spätestens seit Wocken (1996, 35) ist das Problem unter dem Begriff des „Bedarfs- Angebots-Junktims“ bekannt. In der Integrationsdiskussion wird seit längerer Zeit mit Nachdruck eine Schule gefordert, in welcher durch die Verwirklichung einer inklusiven Didaktik möglichst alle Kinder miteinander optimal lernen können (z. B. Eberwein/ Knauer 2002; Feuser 1995). Eine Schule, welche sich der pädagogischen Herausforderung - Berücksichtigung der Bildungsbedürfnisse aller Schülerinnen/ Schüler im gemeinsamen Unterricht - stellt, muss eine unterrichtsbezogene Zusammenarbeit zwischen Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen fordern und umsetzen, die nicht primär an die Etikettierung von einzelnen Kindern gebunden ist. Unterrichtsbezogene Arbeit lässt sich mit integrationspädagogischen Argumenten gut begründen: keine räumliche Separation, möglichst wenig oder keine langfristige Etikettierung und Stigmatisierung von Kindern, vorsichtiges Umgehen mit dispositionsbezogenen Diagnosen, Verknüpfung von Prävention und Förderung, Entwicklung einer inklusiven Didaktik (u. a. Hinz 2004). Sollen unterrichtsbezogene Kontexte verstärkt Berücksichtigung finden, müssen jedoch Anstellungsbedingungen überdacht sowie Ziele, Rollen- und Beziehungsverhältnisse offengelegt und diskutiert werden. Bereits 1998 hat Haeberlin für eine effiziente Zusammenarbeit in integrationsfähigen Schulen gefordert, dass unter Beibehaltung der ausbildungs-, berufs- und persönlichkeitsspezifischen Kompetenzen die Verantwortlichkeiten ausgehandelt, genau festgelegt und die Aufgabenbereiche abgegrenzt werden. Für Ausbildungsinstitute ergibt sich die Aufgabe, Inhalte, Kompetenzen und Ziele neu zu definieren. Behörden sind aufgefordert, Anstellungsbedingungen und Berufsbilder zu konkretisieren. Für Sonderpädagoginnen/ Sonderpädagogen und Regellehrpersonen ergibt sich die Aufgabe, ihre beruflichen Identitäten neu zu definieren und aufeinander abzustimmen. Literatur Amt für Volksschulbildung Kanton Luzern (2007): Kantonales Konzept für die Sonderschulung 2008. Entwurf vom 17. Januar 2007. Auszug aus dem Internet: www.volksschulbildung.lu.ch/ kant_sonderpaedagogisches_konzept_2008.pdf; Access Datum (20. 8. 2007) Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Nr. 7 (1997): Weisungen zum Beschäftigungsgrad von Lehrkräften des Spezialunterrichts am Kindergarten und der Volksschule des Kantons Bern. Staatlicher Lehrmittelverlag Barta, A. (2002): Die Institution als hilfreicher, unverzichtbarer und behindernder Rahmen für Kinderpsychotherapie. Psychagogische Betreuung in der Institution Schule. In: Zeitschrift für Individualpsychologie 27, 90 - 100 Bernhard, S.; Coradi, U. (2005): Das Berufsbild für die Schulische Heilpädagogin und den Schulischen Heilpädagogen. Fachpersonen für Heterogenität und Integration. In: Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik 11, 21 - 26 VHN 3/ 2008 235 Zusammenarbeit zwischen schulischen Sonderpädagogen und Regellehrpersonen Bildungs- und Kulturdepartement Kanton Obwalden (2006): Richtlinien für Integrative Schulungsformen (ISF). Sarnen Bless, G. (2002): Zur Wirksamkeit der Integration. Forschungsüberblick, praktische Umsetzung einer integrativen Schulform, Untersuchungen zum Lernfortschritt. 2. Aufl. Bern/ Stuttgart/ Wien: Haupt Bonsen, M.; Rolff, H.-G. (2006): Professionelle Lerngemeinschaften von Lehrerinnen und Lehrern. In: Zeitschrift für Pädagogik 52, 167 - 184 Bryk, A.; Camburn, E.; Louis, K. S. (1999): Promoting school improvement through professional communities: An analysis of Chicago elementary schools. In: Educational Administration Quarterly 35, 707 - 750 Bundschuh, K. 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