Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aktuelle Forschungsprojekte (3/08)
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Integrationsrisiken hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in allgemeinen und integrativen Einrichtungen in Bayern
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VHN 3/ 2008 248 Aktuelle Forschungsprojekte Integrationsrisiken hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in allgemeinen und integrativen Einrichtungen in Bayern Ricarda Runge, Vera Kobler Ludwig-Maximilians-Universität München Forschungshintergrund Die vorliegende Forschungsstudie ist eingebettet in das Gesamtforschungsprojekt „Integration hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in allgemeinen Einrichtungen“ des Lehrstuhls für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der Ludwig- Maximilians-Universität München (Projektleitung: Prof. Dr. Annette Leonhardt). In vorangegangenen Teilmodulen konnte belegt werden, dass eine relativ große Zahl hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher heute erfolgreich in integrativen Einrichtungen beschult wird (vgl. Leonhardt 2008 [im Druck]). Der positive Verlauf schulischer Integration ist von vielen Faktoren abhängig, deren sensibles Gleichgewicht leicht gestört werden kann. Neben günstigen familiären und schulischen Rahmenbedingungen erscheint vor allem die Befriedigung der psychosozialen Bedürfnisse integrierter hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher entscheidend zu sein. Lindner (2007) verweist im Zusammenhang mit ihrer Untersuchung von hörgeschädigten Schulwechslern darauf, dass im Fall der Einzelintegration aufgrund der mangelnden Vergleichsmöglichkeiten mit anderen hörgeschädigten Personen eine Auseinandersetzung mit erlebter Behinderung oft nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Vor diesem Hintergrund hat sich ein Forschungsvorhaben entwickelt, das sich mit der Frage befasst, wie Risiken bei der vorschulischen und der schulischen Integration von hörgeschädigten Kindern mittels eines Testverfahrens abgeklärt und wie Einflussfaktoren für ein Integrationsrisiko eruiert werden können. Ein erstes Projektmodul befasst sich dabei mit Integrationsrisiken hörgeschädigter Kinder im vorschulischen Bereich, das zweite mit Risiken im schulischen Bereich. Beide Module finden in enger Zusammenarbeit statt und verfahren methodisch analog. Forschungsziel und Forschungsfragen Forschungsziel ist es zunächst, ein Instrumentarium für die Hand von Erziehern und Erzieherinnen sowie Lehrern und Lehrerinnen zur frühzeitigen Erkennung von Integrationsrisiken bei hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen in allgemeinen oder integrativen Einrichtungen zu entwickeln. Hierfür wurden zwei US-amerikanische Screeningtests, „Preschool SIFTER“ und „SIFTER“ (Anderson/ Matkin 1996 und Anderson 1989), herangezogen. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht die Übersetzung und Adaption der beiden Screeningtests für den deutschen Raum. Ein zweites Forschungsziel besteht darin, mit Hilfe der jeweiligen deutschen Version Daten zu gewinnen, die eine nähere Abklärung der Art und Prävalenz von Integrationsrisiken erlauben. Zudem sollen mögliche Einflussfaktoren von Integrationsrisiken bzw. Integrationserfolgen durch zusätzliche Fragebögen eruiert werden. In dieser Datenerhebungsphase wird folgenden Fragen nachgegangen: n Welche Integrationsrisiken bestehen? n Wie hoch ist die Prävalenz von Integrationsrisiken bei hörgeschädigten Kindern? n Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Integrationserfolg bzw. Integrationsrisiko des hörgeschädigten Kindes und familiären sowie (vor-) schulischen Rahmenbedingungen? Forschungsdesign Untersuchungspopulation: Im vorschulischen Bereich sollen alle hörgeschädigten Kinder in Bayern, die einen allgemeinen oder integrativen Kindergarten besuchen und von der mobilen sonderpädagogischen Hilfe (msH) betreut werden, einbezogen werden. Im schulischen Bereich wird sich die Erhebung auf die integrierten hörgeschädigten Schüler der Jahrgangsstufen zwei bis sieben in Bayern beschränken. Zusätzlich wird der Einbezug einer Kontrollgruppe hörender Kinder bzw. Schüler erwogen. Des Weiteren sollen die jeweils für das hörgeschädigte Kind bzw. den hörgeschädigten Schüler zuständigen Erzieher/ innen und Lehrer/ innen sowie dessen Eltern schriftlich befragt werden. Forschungsmethodik: Die Projektbearbeitung gliedert sich in je zwei Phasen: in eine Adaptionsphase des Tests und in eine Datenerhebungsphase. VHN 3/ 2008 249 Aktuelle Forschungsprojekte A) Adaption des Tests Die Testadaption des „Preschool SIFTER“ und des „SIFTER“ erfolgt in Anlehnung an die „ITC Guidelines for Translation and Adaption of Educational and Psychological Tests“ (vgl. Hambleton 2001). Diese 22 Richtlinien werden in den vier folgenden, aufeinander aufbauenden Stufen zusammengefasst: n Stufe 1: Context n Stufe 2: Instrument Development and Adaptation n Stufe 3: Administration n Stufe 4: Documentation/ Score Interpretations Gemäß diesen Empfehlungen wurden auf Stufe 1 die Tests zunächst auf inhaltliche und formale Äquivalenz sowie Attraktivität für den deutschen Raum geprüft. Stufe 2 leitete den Übersetzungsprozess ein, bei welchem sowohl ein forward als auch ein backward translation design verwendet wurde. Er erfolgte in vier Stadien: n Übersetzung der Originalversion des „Preschool SIFTER“ bzw. „SIFTER“ ins Deutsche durch ein Übersetzungsbüro n Besprechung und Überprüfung der Übersetzung in einem Gruppendiskussionsverfahren n Rückübersetzung der deutschen Version ins Englische durch eine bilinguale Fachkraft n Prüfung des Originals und der rückübersetzten Tests durch eine bilinguale Fachkraft aus dem Bereich der Hörgeschädigtenpädagogik bzgl. inhaltlicher Vergleichbarkeit. Das vorliegende Forschungsdesign sieht - in Anlehnung an die ITC Richtlinien - auf Stufe 3 die Überprüfung der psychometrischen Güte anhand einer repräsentativen Stichprobe in Bayern vor. Die erhobenen Daten werden für die Durchführung statistischer Analysen verwendet. Im Mittelpunkt steht dabei die Prüfung der Reliabilität (Interne Konsistenz) sowie der Konstruktäquivalenz (Faktorenanalyse) der Tests. Aufgrund der Tatsache, dass der zeitliche Rahmen dieses Forschungsprojekts die Überprüfung der Tests anhand mehrerer Stichproben nicht zulässt, werden beide Screeninginstrumente in weiteren Feldtests überprüft und evaluiert werden müssen, um zusätzliche empirische Aussagen vor allem hinsichtlich der Validität zu erhalten. Den Empfehlungen in Stufe 4 entsprechend sind eine Normierung der deutschen Testversionen sowie die Erstellung von Testhandbüchern geplant. B) Datenerhebung Die Datenerhebung ist explorativ und Hypothesen überprüfend angelegt, wobei folgende Instrumentarien verwendet werden: n deutsche Version des „Preschool SIFTER“ und „SIFTER“ n Fragebögen für Erzieher/ innen und Lehrer/ innen der hörgeschädigten Kinder und Jugendlichen zur Ermittlung der Rahmenbedingungen der allgemeinen oder integrativen Einrichtungen n Fragebogen für Eltern hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher zur Ermittlung der familiären Rahmenbedingungen Durch „Preschool SIFTER“ und „SIFTER“ werden kindliche Entwicklungen erfasst, die zur Diagnose „integrationsgefährdet“ in folgenden Bereichen führen können: n vorschulische Kompetenzen bzw. Schulleistungen n Aufmerksamkeit n Kommunikation n Teilnahme am Gruppengeschehen bzw. Teilnahme am Unterricht n Sozialverhalten Die beiden Fragebögen für Erzieher/ innen bzw. Lehrer/ innen und Eltern des hörgeschädigten Kindes/ Jugendlichen dienen der Eruierung der Rahmenbedingungen in Familie und (vor-)schulischer Einrichtung. Folgende Inhalte werden dabei fokussiert: n Erziehungsvorstellungen und Einstellungen (vor allem bezogen auf die Integration) n institutionelle Rahmenbedingungen n soziodemografische Daten des hörgeschädigten Kindes bzw. Jugendlichen und dessen familiärer Umgebung Ausblick Das weitere Forschungsvorgehen sieht zunächst die Fertigstellung der Fragebogenentwicklung mit anschließender Evaluation durch eine Expertenrunde vor. Im Anschluss an die Erhebung im Feld werden die Daten mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS ausgewertet. Im Mittelpunkt der Auswertung steht zum einen die Prüfung der Reliabilität und Validität der deutschen Versionen der Screeningtests, zum VHN 3/ 2008 250 Aktuelle Forschungsprojekte anderen die Überprüfung der aufgestellten Hypothesen. Die Auswertung erfolgt mit den Methoden der deskriptiven Statistik. Weitere Informationen sowie Literaturangaben können eingeholt werden bei Ricarda.Runge@campus. lmu.de und kobler@lmu.de Erfolg wider Erwarten - Eine Studie zur Lese- und Schreibentwicklung unter ungünstigen Bedingungen Winfried Kronig Universität Freiburg/ CH Das Resilienzkonzept Es gibt immer wieder Kinder und Jugendliche, bei denen trotz ungünstiger Voraussetzungen und widriger Umstände eine erfolgreiche Entwicklung zu beobachten ist. Wenn man wissen würde, warum dies so ist, würden sich daraus vielleicht Anhaltspunkte für eine aussichtsreiche pädagogische Intervention ableiten lassen. In dieser Hoffnung liegt die hauptsächliche Attraktivität des Resilienzbegriffs. Getrübt wird sie jedoch durch verschiedene Bedenken an der Robustheit des Konzeptes Resilienz (z. B. Kronig 2007). Humanwissenschaftliche Fassungen des Konzepts bezeichnen Resilienz als das Produkt von schützenden Faktoren, welche die Wirkung von negativen Einflüssen eindämmen, die eine gewünschte Entwicklung hemmen, gefährden oder ihr einen negativen Verlauf geben (vgl. Werner/ Smith 1993). Oftmals scheint jedoch die Diskussion zu unterschlagen, dass pädagogischer Optimismus bedingen würde, dass die als Schutzeigenschaft auftretende protektive Wirkung eines Faktors überhaupt veränderbar ist. Wenn sich in einer bestimmten Frage herausstellt, dass das Geschlecht ein Schutzfaktor darstellt, entzieht sich dies einer unmittelbaren pädagogischen Intervention. Die schwierige Debatte um das konzeptuelle Verhältnis von Risiko- und Schutzfaktoren ist längst nicht abgeschlossen (vgl. Opp/ Fingerle 2007; Rutter 1993). Inzwischen ist klar geworden, dass ein Schutzfaktor etwas anderes ist als die positive Polung bzw. die Abwesenheit eines Risikos. Ansonsten würde man sich sehr nahe an der tautologischen Auflösung des Begriffs befinden, weil es dann lediglich Populationen mit und solche ohne Risiko geben würde. Ebenfalls klar geworden ist, dass Resilienz keine individuelle und zeitstabile Eigenschaft einer Person ist, sondern ein situativer Zustand, der durch komplexe Faktorenbündel hervorgerufen wird. Es gibt keinen generellen Schutz, und es gibt keine Personen, die generell geschützt sind. Der Resilienzansatz kann als Versuch gewertet werden, die alten Bahnen der Ursachendiskussionen zu verlassen. Die Einführung des neuen Begriffs löst freilich ätiologische Probleme wie Variablenkonfundierung, komplexe Ursachenketten, Äqui- und Multifinalität, Scheinkorrelation oder Reziprozität nicht. So können sich dann wenig überraschend etwa psychosoziale Stabilität als Schutzfaktor für eine unauffällige Schulkarriere und günstige Schulkarrieren als Schutzfaktor für eine psychosoziale Stabilität herausstellen (z. B. Rutter 2000, 662f ). Bislang ist es noch eher selten gelungen, bei der empirisch abgestützten Auflistung von Schutzfaktoren auf Unbekanntes zu stoßen. Die verschiedenen Einwände und Bedenken können zwar nicht den Kerngedanken des Resilienzkonstrukts im Grundsatz widerlegen. Aber sie überdecken dessen Plausibilität mit Unübersichtlichkeiten und Unwägbarkeiten. Und sie warnen vor einer zu schlichten Fassung des Konzepts und den damit wahrscheinlicher werdenden Enttäuschungen bei der Umsetzung pädagogischer Interventionen. Das Forschungsprojekt Für eine derzeit laufende Längsschnittstudie hat sich der Resilienzbegriff gleichzeitig als hilfreiches Instrument und als Hypothek erwiesen, welche eine vorsichtige theoretische Durchstrukturierung notwendig machen. Ziel der Nationalfondsuntersuchung ist es, das Muster einer erfolgreichen Lese- und Schreibentwicklung von Jugendlichen in Risikosituationen aufzuklären. Gearbeitet wird mit Längsschnittdaten aus einer Stichprobe von 1500 Jugendlichen aus drei Kantonen der deutschsprachigen Schweiz, die an Lesetests und Fragebogenerhebungen teilgenommen haben. Mit einer Auswahl von 78 Schülerinnen und Schülern wurde eine detaillierte Schreiberhebung und mit 28 von ihnen wurden vertiefende Interviews durchgeführt. Schließlich wurden mit 16 gematchten Untersuchungspaaren mittels einer SMS-Befragung die aktuellen Lese- und Schreibtätigkeiten innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums in kurzen Intervallen erfasst. Von besonderem Interesse sind Jugendliche aus unterprivilegierten Familien, die in VHN 3/ 2008 251 Aktuelle Forschungsprojekte den Leistungstests gute Resultate erzielen. Für diese Gruppe sollen Schutzfaktoren eruiert werden, welche die familiäre Lebenswelt, das schulische Umfeld oder aber die Peergruppe generiert. An der Studie sind Erziehungswissenschaftler der Universitäten Basel und Freiburg sowie Linguistinnen und Linguisten der Universität Basel und des Zentrums Lesen in Aarau beteiligt. Zwischenergebnisse Die bislang vorliegenden Zwischenergebnisse bestätigen Erwartungen und Befürchtungen der Projektbeteiligten. Es gibt keine Einzelfaktoren, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden würden. Vielmehr scheint die kumulative Wirkung einer Vielzahl von Variablen zu einem Phänomen zu führen, das als Resilienz bezeichnet werden kann. Dennoch zeichnen sich dokumentierbare Muster innerhalb des komplexen Wirkungsgefüges der Lese- und Schreibentwicklung ab. Nimmt man aus den vielen Faktoren, die eine erfolgreiche Lesesozialisation ausmachen, jenen der Motivation heraus, scheint er in Bezug auf die Resilienz eine vermittelnde Rolle zu haben. Erfolgreiche Jugendliche aus Risikolagen scheinen ein Bewusstsein für die persönlichen Gratifikationen des Lesens entwickelt zu haben. Ihnen ist der Genuss und Spaß am Lesen ganz wesentlich. Sie lassen sich leichter in die Emotionalität von Texten involvieren und geben an, keine Anstrengung beim Lesen zu verspüren. Anders die weniger erfolgreichen Schülerinnen und Schüler. Bei ihnen steht nicht der Lesegenuss, sondern die Sorge um die Leistung und die Beurteilung durch die Eltern im Vordergrund (ausführlich vgl. Schneider u. a. 2008). Führt intrinsische Motivation zu mehr Leistung, oder ermöglicht Leistung erst intrinsische Motivation? Und wie wirkt dieser Aspekt im Zusammenspiel mit anderen Faktoren? Die Längsschnittstudie versucht, zumindest Teilantworten auf diese Fragen zu finden und den Zustand der Resilienz weiter aufzuklären. Trotz der kaum abzusprechenden Originalität des Resilienzkonzepts für die Forschung rechnen die Autorinnen und Autoren nicht mit Ergebnissen, die in Erfolg garantierende und schlichte Fördermaßnahmen für die Lese- und Schreibentwicklung von Kindern und Jugendlichen aus schriftfernen Welten umgemünzt werden können. Weitere Informationen und Literaturangaben können eingeholt werden bei winfried.kronig@unifr.ch Kooperation zwischen Lehrkräften des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes und Klassenlehrkräften hörgeschädigter Schüler an allgemeinen Schulen Gudrun Kellermann Ludwig-Maximilians-Universität München Die nachfolgend beschriebene Studie ist eingebettet in das umfassende Forschungsprojekt „Integration hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in allgemeinen Einrichtungen“ des Lehrstuhls für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik (Projektleitung: Prof. Dr. Annette Leonhardt) der Ludwig-Maximilians-Universität München, das seit 1999 läuft. Darstellung des Forschungsprojekts In Anbetracht dessen, dass der Anteil der Schüler/ innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den allgemeinen Schulen stetig ansteigt, gewinnt die Integration hörgeschädigter Kinder mit Unterstützung von Lehrkräften des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes (MSD) zunehmend an Bedeutung. Für integriert beschulte hörgeschädigte Schülerinnen und Schüler, die durch einen MSD begleitet werden, wurde im Schuljahr 2005/ 06 ein Anteil von 33 % ermittelt (vgl. Heimlich 2007). Infolge der Novellierung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen am 1. August 2003, welche die sonderpädagogische Förderung als Aufgabe aller Schularten ausweist, hat der Tätigkeitsbereich des MSD eine neue Dimension erfahren. Dank der verbesserten Bedingungen der schulischen Integration hat die Kooperation von Lehrpersonen des MSD mit Lehrkräften an allgemeinen Schulen an Bedeutung gewonnen. Forschungsfragen Im hier vorgestellten Forschungsprojekt sollen Ressourcen und Schwierigkeiten der Kooperation zwischen Lehrkräften hörgeschädigter Schüler an allgemeinen Schulen und Lehrpersonen des MSD in Bayern erfasst werden. Auf der Basis der gewonnenen Daten soll eruiert werden, welche Faktoren die Zusammenarbeit erschweren und welche sie begünstigen, um daraus Vorschläge für verbesserte Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche schulische Integration der hörgeschädigten Schüler/ innen abzuleiten. VHN 3/ 2008 252 Aktuelle Forschungsprojekte Im Fokus stehen dabei folgende Forschungsfragen: n Wie muss bzw. sollte die Begleitung der Lehrkräfte an den allgemeinen Schulen durch die Lehrkräfte des MSD aussehen, damit Kooperation von beiden Seiten als effektiv wahrgenommen wird? n Welche beruflichen Rahmenbedingungen begünstigen eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den beiden Lehrergruppen? n Welche Wünsche und Erwartungen werden im Hinblick auf die Kooperation geäußert? Forschungsdesign Die Datenerhebung erfolgt in Form einer schriftlichen Befragung, die als quantitative Studie angelegt ist. Für die beiden Personengruppen wurde je ein standardisierter Fragebogen mit vorwiegend geschlossenen Fragen entwickelt, der als häufigstes Antwortformat eine fünfstufige Likert-Skala beinhaltet. Die Fragebögen der beiden Lehrergruppen sind sich thematisch ähnlich, auf das jeweilige Tätigkeitsfeld im Zusammenhang mit der Kooperation bezogen, und sie untersuchen schwerpunktmäßig folgende Fragen: n Wie gestaltet sich die Kooperation konkret (z. B. Art, Quantität und Qualität des Kontaktes, Formen der Unterstützung durch den MSD, Inhalte von Beratungsgesprächen)? n Wie wird die Kooperation auf der zwischenmenschlichen Ebene wahrgenommen (z. B. Effektivität und Konstruktivität der Zusammenarbeit, wechselseitige Akzeptanz u. Ä.)? n Welche Erwartungen haben die beiden Lehrergruppen an ihre jeweiligen Kooperationspartner? n Welche beruflichen Rahmenbedingungen liegen der Kooperation zugrunde (z. B. Unterstützung durch die Schulleitung, Zeitbudget, Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten)? Aufgrund des unterschiedlichen Tätigkeitsfeldes der Teilnehmer der Untersuchung ergaben sich spezifische Besonderheiten bei der Konstruktion der Fragebögen. Während Lehrkräfte von Schülern mit sonderpädagogischem Bedarf an allgemeinen Schulen in der Regel nur mit einer bzw. wenigen Lehrpersonen des MSD kooperieren, stehen Lehrkräfte des MSD mit einer größeren Anzahl von Lehrern an allgemeinen Schulen in Kontakt. Deshalb bezieht sich der Fragebogen für die Lehrkräfte des MSD auf den Gesamteindruck zur Kooperation mit allen Klassenlehrkräften hörgeschädigter Schüler, während die Klassenlehrkräfte die Zusammenarbeit mit einem einzelnen Lehrer des MSD einschätzen sollen. Erste Ergebnisse Im November 2007 wurde mit zwei Experten ein Gespräch in Form eines Runden Tisches geführt, bei dem die inhaltliche Gestaltung der Fragebögen im Zentrum stand. Weitere Teilnehmerinnen des Runden Tisches waren die Forschungsprojektleiterin, die Projektbearbeiterin sowie eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der LMU München. Als Experten wurden eine Lehrerin und ein Lehrer eingeladen, die seit kurzer Zeit nicht mehr im Schuldienst stehen und über jahrzehntelange Erfahrung als Lehrkraft des MSD für hörgeschädigte Schüler an allgemeinen Schulen sowie als Lehrkraft an Förderzentren mit dem Förderschwerpunkt Hören verfügen. Aufgrund der Tatsache, dass die Zahl der Lehrer des MSD im Hörgeschädigtenbereich in Bayern sehr klein ist (weniger als 50), wurden bewusst Experten ausgewählt, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht mehr im Schuldienst waren. Im Expertengespräch wurde die Notwendigkeit aufgezeigt, bei der Konstruktion der Fragebögen für die Klassenlehrkräfte zwischen Lehrern mit Vorerfahrungen in der Förderung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Unterricht und mit der Kooperation mit Lehrkräften des MSD und Lehrern ohne Vorerfahrungen zu unterscheiden. Ein weiterer wesentlicher Gesprächsgegenstand des Runden Tisches waren angemessene sprachliche Formulierungen für Problembereiche der Kooperation. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Lehrer der allgemeinen Schulen bei der Datenerhebung sich erstmals bewusst kognitiv mit der Integrationsdebatte auseinandersetzt, sodass es sinnvoll erschien, bei der inhaltlichen Konstruktion des Fragebogens für die Klassenlehrkräfte mögliche Schwierigkeiten im Bereich der Kooperation vollständig auszublenden und den Fokus stattdessen auf Chancen der Kooperation zu richten. Mit diesem methodischen Vorgehen soll eine indirekte negative Beeinflussung bezüglich der schulischen Integration hörgeschädigter Schüler vermieden werden. Vielmehr sollen knapp formulierte, vorwiegend geschlossene VHN 3/ 2008 253 Aktuelle Forschungsprojekte Antwortvorgaben, die meistens fünfstufig skaliert sind, alle negativen und positiven Aspekte der Zusammenarbeit mit dem MSD einschließen. Die Antwortvorgaben umfassen sowohl quantitative (z. B. „sehr selten“ versus „sehr häufig“) als auch qualitative Aspekte (z. B. „sehr zufrieden“ versus „sehr unzufrieden“), um eine maximal mögliche Aussagekraft der gewonnenen Daten zu erreichen. Ein dritter wesentlicher Punkt des Expertengesprächs war die Thematisierung der schulischen Integration der durch einen MSD betreuten hörgeschädigten Kinder. Die Integration der hörgeschädigten Schüler gehört zu den wichtigen Inhalten von Beratungsgesprächen zwischen Klassenlehrern und den Lehrern des MSD. Im Gespräch mit den Experten wurde festgehalten, dass die psychosoziale Situation der Schülerinnen und Schüler in der Klasse nicht Inhalt der ersten Beratungsgespräche sein kann, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt thematisiert werden soll. Des Weiteren ist bei der Datenanalyse zu berücksichtigen, dass den Lehrern der beiden Gruppen Grenzen gesetzt sind, die psychischemotionale Situation der Schüler objektiv zu beurteilen. Dieser Aspekt ist insofern bedeutsam, als Bullying, d. h. Mobbing durch Schulkameraden, von Lehrern an allgemeinen Schulen teilweise unterschätzt wird, aber ein häufiger Grund für einen Wechsel des hörgeschädigten Schülers von der allgemeinen Schule in ein Förderzentrum ist (vgl. Lindner 2007). Insbesondere unterschiedliche Beurteilungen durch Klassenlehrer und Lehrer des MSD in dieser Hinsicht können ein hohes Konfliktpotenzial im Bereich der Kooperation in sich bergen. Somit gehören auch eventuelle Zusammenhänge zwischen den persönlichen Einschätzungen der Lehrer und der Qualität der Kooperation zu den wichtigen Fragestellungen der Datenanalyse. Weitere Informationen sowie Literaturangaben können angefordert werden bei kellermann@edu.lmu.de
