Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2009
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Modernisierung karitativer Nonprofit-Organisationen - Modernisierungstheoretische Betrachtungen
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2009
Rainer Wetzler
Karitative Nonprofit-Organisationen sehen sich seit einigen Jahren einem erheblichen Modernisierungsdruck ausgesetzt. Wohlfahrtsstaatliche Aufgaben entwickeln sich sukzessive in Form moderner Dienstleistungen. Wir beobachten auf systemischer Ebene eine Verschiebung von so genannten Wertegemeinschaften zu Dienstleistungsunternehmen. Karitative Nonprofit-Organisationen stehen vor der Herausforderung, diese Entwicklung nachzuvollziehen. Der Prozess ist aus modernisierungstheoretischer Sicht stringent und spiegelt u. a. die gesellschaftlichen Entwicklungen von Differenzierung, Individualisierung und Rationalisierung wider. Der etablierte karitative Nonprofit-Sektor mit seiner ihm eigenen Kooperationslogik modifiziert zwangsweise seinen Charakter und wird sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen – dies beinhaltet eine Annäherung an den Marktsektor mit seiner vorherrschenden Verwertungslogik. Karitative Nonprofit-Organisationen haben sich zusehends dieser Herausforderung gestellt und arbeiten vielfach mit effektiven betriebswirtschaftlichen Instrumenten. Diese Entwicklung ist der Anpassung an die gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet und sollte nicht als neue Sozialphilosophie interpretiert werden. Der karitative Nonprofit-Sektor ist weit entfernt vom „Ende der Besonderheiten“, er wird uns als „Besonderheiten ohne Ende“ erhalten bleiben.
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Fachbeitrag VHN, 78. Jg., S. 46 - 54 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 46 Modernisierung karitativer Nonprofit- Organisationen - Modernisierungstheoretische Betrachtungen Rainer Wetzler Technische Universität Dortmund n Zusammenfassung: Karitative Nonprofit-Organisationen sehen sich seit einigen Jahren einem erheblichen Modernisierungsdruck ausgesetzt. Wohlfahrtsstaatliche Aufgaben entwickeln sich sukzessive in Form moderner Dienstleistungen. Wir beobachten auf systemischer Ebene eine Verschiebung von so genannten Wertegemeinschaften zu Dienstleistungsunternehmen. Karitative Nonprofit-Organisationen stehen vor der Herausforderung, diese Entwicklung nachzuvollziehen. Der Prozess ist aus modernisierungstheoretischer Sicht stringent und spiegelt u. a. die gesellschaftlichen Entwicklungen von Differenzierung, Individualisierung und Rationalisierung wider. Der etablierte karitative Nonprofit- Sektor mit seiner ihm eigenen Kooperationslogik modifiziert zwangsweise seinen Charakter und wird sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen - dies beinhaltet eine Annäherung an den Marktsektor mit seiner vorherrschenden Verwertungslogik. Karitative Nonprofit-Organisationen haben sich zusehends dieser Herausforderung gestellt und arbeiten vielfach mit effektiven betriebswirtschaftlichen Instrumenten. Diese Entwicklung ist der Anpassung an die gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet und sollte nicht als neue Sozialphilosophie interpretiert werden. Der karitative Nonprofit- Sektor ist weit entfernt vom „Ende der Besonderheiten“, er wird uns als „Besonderheiten ohne Ende“ erhalten bleiben. Schlüsselbegriffe: Karitative Nonprofit-Organisationen, Modernisierungstheorie, Wertegemeinschafen, Qualitätsmanagement Modernisation of Charitable Non-Profit Organisations - Reflections from the Point of View of Modernisation Theories n Summary: Over the past few years, charitable non-profit organisations have been more and more exposed to the pressure of modernisation. Little by little they had to alter their activities and to adapt to the functions of modern services. To follow this development is one of the big challenges of today‘s charitable non-profit organisations. Inevitably the well-established non-profit sector with its logic of cooperation has to modify its character and to adapt to the social changes - i. e. to approximate the market sector with its predominant logic of exploitation. Nowadays, more and more charitable nonprofit organisations meet the challenge and make use of effective economic instruments. This development should not be considered a new social philosophy, as it simply is the adaptation to the social changes. The charitable non-profit sector is far away from the “end of peculiarities”, it will persist as “peculiarities without an end”. Keywords: Charitable non-profit organisations, quality management, modernisation theory, communities of value 1 Problemstellung Der Nonprofit-Bereich, dem auch die freie Wohlfahrtspflege zuzuordnen ist, sieht sich seit knapp zwei Jahrzehnten einem ausgeprägten Modernisierungsdruck ausgesetzt bzw. ist in einen „Modernisierungsstrudel“ fortgeschrittener Gesellschaftsformationen geraten. Im Kontext der soziologischen Modernisierungstheorie ist dies ein „emergenter“ Entwicklungsprozess. Für VHN 1/ 2009 47 Modernisierung karitativer Nonprofit-Organisationen die freie Wohlfahrtspflege (und auf den gesellschaftlichen Bezugspunkt „karitative Nonprofit- Organisationen“ beschränkt sich dieser Artikel) stellt diese Modernisierung eine ungeahnte Herausforderung und gleichsam eine völlig ungewohnte Bewährungsprobe im Blick auf die Existenzberechtigung etablierter gesellschaftlicher Wohlfahrtsorganisationen dar. Der Arbeitskreis Nonprofit-Organisationen (1998) pointierte den Zusammenhang bereits vor zehn Jahren im Titel seiner Schriftenreihe: „Nonprofit-Organisationen im Wandel. Ende der Besonderheiten oder Besonderheiten ohne Ende? “ Die Ressourcenknappheit der öffentlichen Hand, die unterstellte Stagnation fachlicher Standards wie auch eine systemische Eigendynamik bei den Produzenten der Wohlfahrt bzw. Anbietern im Bereich der freien Wohlfahrtspflege (vgl. zur Kritik an den Wohlfahrtsverbänden u. a. Seibel 1994; Öhlschäger/ Brüll 1996) sind Kennzeichen des Strukturwandels sozialer Dienstleistungen. Dazu gehören ein sukzessiver Umbau des Sozialstaates und die Ablösung der bisherigen staatlichen Finanzierungspraxis durch Marktstrukturen und -gesetze. Im Vorfeld lief über mehrere Jahre hinweg eine Diskussion, die im Grundsatz die Neubewertung des „dualen Verhältnisses“ zwischen Staat und freier Wohlfahrtspflege fordert, welches sich als wenig effektiv und kaum innovativ darstellt und den Kunden wenig Möglichkeiten eröffnet, auf die Angebotsgestaltung Einfluss zu nehmen (vgl. u. a. Oliva/ Oppl/ Schmid 1991; Prognos AG 1991; Seibel 1994; Öhlschläger 1994; Seibel 1994; Rauschenbach/ Sachße/ Olk 1996; Schmid 1996). Rauschenbach u. a. (1996) titulieren den o. g. Modernisierungsschub mit der Entwicklung „Von der Wertgemeinschaft zum Dienstleistungsunternehmen“, und die Autoren verweisen früh auf sich abzeichnende Veränderungen bei der strukturellen Organisation staatlicher Wohlfahrtspflege. Der Begriff „Wertgemeinschaft“ bzw. Wertegemeinschaft verweist auf den spezifischen Kohäsionscharakter karitativer Nonprofit-Organisationen, die u. a. auf einer ideellen Grundlage basieren, welche für die Organisation oder besser Gemeinschaft konstituierend ist. Die - weitgehend zweckrational ausgerichteten - Organisationen der staatlichen Wohlfahrtspflege könnten Dienstleistungsunternehmen sein, die ihre Dienstleistungen als Marktleistungen realisieren. Das Erfolgskriterium hierbei ist die Verwertung der Dienstleistung am Markt (ungeachtet des Phänomens, dass sich karitative Nonprofit-Organisationen dort etablieren, wo Bedarf, aber keine Kaufkraft vorzufinden ist). Im Alltag karitativer Nonprofit- Organisationen manifestierten sich diese Entwicklungen durch Neufassungen relevanter Sozialgesetzbücher (insbesondere SGB IX; SGB XI und SGB XII) und Festschreibungen über Vereinbarungen hinsichtlich Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen, der Stärkung der Nutzerposition (Stichwort „Ergebnisqualität“) sowie neuer Leistungsvereinbarungen (Stichwort „Persönliches Budget“). In diesem Beitrag gilt es herauszustellen, dass die Modernisierung karitativer Nonprofit- Organisationen aus soziologischer Sicht nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen ist - ungewöhnlich scheinen eher der Zeitpunkt und die Dynamik dieses Prozesses. 2 Modernisierungstheoretische Ansätze Soziologie behandelt u. a. die Beschreibung und die Analyse des sozialen Wandels und ist in diesem Sinne einerseits ein Produkt der Modernisierung, andererseits finden wir in der Soziologie maßgebliche Ansätze zur Kritik an der Modernisierung (in Form einer Wissenschaft von sozialer Entfremdung und Verunsicherung). Einige soziologische Klassiker wie u. a. Marx (1998/ 1890), Tönnies (1979) und Durkheim (1994) betonen den Prozess der Differenzierung, von welchem auch das differenzierungstheoretische Konzept von Luhmann (1984) ausgeht. Andere soziologische Ansätze heben auf den Prozess der Individualisierung ab (u. a. Simmel 1989), der Schelsky (1955) zu der ge- VHN 1/ 2009 48 Rainer Wetzler wagten Beschreibung der nivellierten Mittelstandsgesellschaft verleitet und die Frage „Jenseits von Klasse und Schicht? “ aufwirft. Webers (1972) modernisierungstheoretischer Ansatz hebt stärker auf den Prozess der Rationalisierung ab. Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass auch die soziologische Auseinandersetzung mit Be- und Entschleunigung, die Analyse der Globalisierung, Risikodebatten über die gesellschaftlichen Entwicklungen und Gefahren (u. a. Beck 1986), die politikwissenschaftliche Diskussion „Institutionalismus versus Rationalismus“ und vieles mehr im Kontext dieser modernisierungstheoretischen Tradition zu verorten sind. Für die hier vorliegenden Ausführungen lohnen insbesondere Einblicke in wegweisende bzw. klassische modernisierungstheoretische Ansätze für die Interpretation des „Modernisierungsschubs“ in karitativen Nonprofit-Organisationen. Stellvertretend für eine lange soziologische Tradition wird auf die klassischen Ansätze von Emile Durkheim, Ferdinand Tönnies und Max Weber näher eingegangen. Emile Durkheim (1994) beschreibt die gesellschaftliche Entwicklung als Differenzierungsprozess und rekurriert dabei auf den Prozess der sozialen Arbeitsteilung (von inkohärenter Homogenität zu kohärenter Heterogenität). Diese Entwicklung ist für ihn weniger Gegenstand kritischen Hinterfragens, sondern vielmehr die Beschreibung einer Entwicklung sui generis von einer primitiven zu einer modernen Gesellschaft in Form eines evolutionären, durch soziale Tatsachen erzeugten Prozesses. Primitive Gesellschaften konstituieren sich durch mechanische Solidarität und bleiben durch Gleichförmigkeit bzw. Ähnlichkeit stabil (daraus entwickelt sich eine Art Kollektivbewusstsein). Der Kohäsionscharakter moderner Gesellschaften basiert auf der sogenannten organischen Solidarität und wurzelt in der Arbeitsteilung, die (weil Abhängigkeiten schaffend gesellschaftserhaltend wirkt) als sozial zu interpretieren ist. Arbeitsteilung wird in diesem Ansatz zum Integrationskonzept, welches Individualität und den Schutz individueller Rechte fördert. Ferdinand Tönnies (1979) analysiert - möglicherweise einer gewissen sozialromantischen Idee anhängend - den Übergang von Gemeinschaft zu Gesellschaft. Gemeinschaft spiegelt die Verwandtschaft und die emotionale Verbundenheit wider, die es zu erhalten gilt und die die Sozialbeziehungen der vormodernen Gemeinschaft reproduzieren. Gesellschaft vollzieht sich hingegen in versachlichten Sozialbeziehungen, in Verträgen und in rechtlich einforderbaren Gesetzen. Max Weber (1972) sieht in der fortschreitenden Rationalisierung die Triebfeder einer sich ständig modernisierenden Gesellschaft. Rationalisierung ist das Ordnen und Systematisieren der Wirklichkeit, sei es hinsichtlich des Weltbildes, der praktischen Lebensführung oder bezüglich der Rationalisierungstendenzen von Organisationen und Institutionen. 3 Modernisierungstheoretische Konzepte und die Logik gesellschaftlicher Sektoren Modernisierungstheoretischen Konzepten (insbesondere den klassischen) ist gemeinsam, dass sich dominante Prinzipien in der Gesellschaft gegenüber weniger dominanten Prinzipien durchsetzen. Erstellt man in Anlehnung an Wex (1998) eine Synopse der gesellschaftlichen Sektoren und deren Logik (siehe Abbildung 1), nimmt die o. g. Linie „Von der Wertgemeinschaft zum Dienstleistungsunternehmen“ Gestalt an. Wex (1998) geht von einem trichotomischen Konstrukt aus und stellt den Marktsektor, den Staats-Sektor und den Nonprofit- Sektor einander gegenüber. Die dominante Rationalität am Markt ist die Verwertungslogik, Geld greift als Kommunikations- und Steuerungsmedium, die Koordination dieses Sektors ergibt sich durch Erfolg bzw. Misserfolg am Markt. Der Staats-Sektor folgt einer eigenen Logik, die Herrschaftslogik, die sich über Herr- VHN 1/ 2009 49 Modernisierung karitativer Nonprofit-Organisationen schaft Wirkung verschafft und je nach Herrschaftsform variieren kann - in Mitteleuropa in der Regel in demokratisch-gesetzeskonformen Bahnen. Hier ist Macht das entscheidende Steuerungsmedium und legitimiert sich in der Regel durch die Verwirklichung öffentlicher Aufgaben. Weitaus diffuser stellen sich diese Zusammenhänge im Nonprofit-Sektor dar. Wir finden keine klar dominierende Rationalität, ggf. eine Kooperationslogik. Wex (1998, 267) führt dieses Rationalitätskonstrukt ein, wobei diese Form der Kooperation auf einer gemeinsamen Idee basiert - ko-operiert wird selbstverständlich in allen gesellschaftlichen Sektoren. Der Nonprofit-Sektor zeigt ferner kein eindeutiges Steuerungsmedium und orientiert sich eher an qualitativen Zielen, die sich insbesondere bei den karitativen Nonprofit-Organisationen konstituierend und nachhaltig tragfähig erweisen. Die Unterscheidung in verschiedene gesellschaftliche Sektoren mit einer je entsprechenden Logik erweist sich als fruchtbar in Kombination mit modernisierungstheoretischen Ansätzen. Diese Ansätze verweisen wie angedeutet auf gesellschaftliche Angleichungsprozesse und auf eine Überlagerungstendenz der gesellschaftlichen Sektoren. Im Verlauf gesellschaftlicher Modernisierung überlagert die Logik z. B. eines gesellschaftlichen Sektors andere Sektoren. Dominante Koordinationsprinzipien (z. B. Geld, Bürokratie, Macht, rationale Kapitalrechnung) setzen sich gegen weniger dominante Kooperationsprinzipien (z. B. Werte) durch. Welches die jeweils dominante Durchsetzungslogik wird, ist von dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext abhängig. Die karitativen Nonprofit-Organisationen bildeten gemeinsam mit dem Staats-Sektor in fast der gesamten zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eine feste Partnerschaft. Die karitativen Nonprofit-Organisationen waren für das operative Geschäft verantwortlich, der Staat für die Finanzierung. Es etablierte sich ein festes und gleichsam konkurrenzfreies Kooperationsgefüge zwischen Leistungsträger (Staat) und Leistungserbringern (freie Wohlfahrtspflege), der Nutzer spielte hier eine eher untergeordnete Rolle. Abbildung 2 zeigt am Beispiel der Wohnplätze in Behinderteneinrichtungen nach Trägern, dass knapp 80 % der Plätze den frei-gemeinnützigen Trägern zuzuordnen sind, also den karitativen Nonprofit- Organisationen. Gesellschaftliche Sektoren und deren Logik (trichotomisches Konzept) Marktsektor Staats-Sektor Nonprofit-Sektor n Verwertungslogik als dominante Rationalität n Geld als Kommunikations- und Steuerungsmedium n Marktkoordination n Herrschaftslogik als dominante Rationalität n Macht als Kommunikations- und Steuerungsmedium, Gesellschaft als Gestaltungsebene n Verwirklichung öffentlicher Aufgaben n Kooperationslogik als dominante Rationalität (nicht neutral im Sinne einer Ko-Operation) n Kein eindeutiges Steuerungsmedium, Bedarfsorientierung mit qualitativen Zielen, konstituierend ist eine Idee/ ein gemeinsames Ziel n Aufgabenorientierung zwischen Markt und Staat Abb. 1: Gesellschaftliche Sektoren und deren Logik VHN 1/ 2009 50 Rainer Wetzler Die gängige Finanzierungspraxis zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern war bis in die 1990er Jahre das sogenannte Selbstkostendeckungsprinzip, bei dem die staatliche Seite die in einem Geschäftsjahr angefallenen Kosten übernommen hat, teilweise auch rückwirkend und ohne ausgeprägtes Controlling. Steigende staatliche Aufwendungen, Managementversagen und Skandale bei den karitativen Nonprofit-Organisationen sowie der kostenintensive Prozess der Wiedervereinigung führten zu einer staatlichen Abkehr von dieser Praxis, die durch eine staatliche Modernisierungsstrategie ersetzt wurde, mit u. a. den Eckpunkten: n Modernisierungsstrategie des organisierten Wettbewerbs, n Modernisierungsstrategie des Kontraktmanagements, n Modernisierungsstrategie der Aufwertung von Prävention und bürgerschaftlichem Engagement. Eine Umsteuerung des Sozialstaates ist vollzogen worden, von einer Sozialpolitik erster Ordnung, geprägt durch den politischen Willen, die Lebenslage von bestimmten benachteiligten Gruppen zu verbessern, hin zu einer Sozialpolitik zweiter Ordnung, die insbesondere die Steuerungsintervention des Staates auf etablierte karitative Nonprofit-Organisationen zum Ziel hatte und hat. Wichtigste staatliche Interventionsmöglichkeit ist die Übertragung der Verwertungslogik aus dem Marktsektor, die sukzessive die Kooperationslogik des karitativen Nonprofit-Sektors ersetzen sollte. Mit diesem Übergang klingt die bislang konstituierende Kooperationslogik ab und öffnet Raum für Elemente der Verwertungslogik in einem Sektor, der bisher weitgehend von Prinzipien der Marktkoordination ausgeklammert war. Wir beobachten seit einigen Jahren den Einzug erwerbswirtschaftlicher Prinzipien - z. B. in den Bereich sozialer Rehabilitation -, die Einführung betriebswirtschaftlicher Rationalität mit einem Hauch betriebswirtschaftlich motivierter Dienstleistungseuphorie, die intraorganisatorische Suche nach Effizienzkriterien und neuen Steuerungsmodellen sowie eine Marktöffnung in einem Bereich, der sich bislang dort ansiedelte, wo Nachfrage, aber keine Kaufkraft vorhanden war. 4 Die Modernisierung karitativer Nonprofit-Organisationen Abbildung 3 stellt inhaltliche Anforderungen an karitative Nonprofit-Organisationen in Zusammenhang mit klassischen Modernisierungstheorien dar. Die von Max Weber beobachtete Rationalisierung der Gesellschaft und ihrer Institutionen finden wir konkret in Sozialmanagement-Bestrebungen, die in den 1980er Jahren als Fortbildungen begannen und mittlerweile ganze Studiengänge ausfüllen. Die Publikation von Kurt Rother (1982), einem der Pioniere der diakonischen Behindertenarbeit nach 1945 mit dem Titel „Glücklich war ich, wenn ich helfen konnte …“, dürfte heutigen Sozialmanagern lediglich als sozialromantische Reminiszenz geläufig sein. Der Einzug betriebswirtschaftlicher Rationalität in karitative Nonprofit-Organisationen kann nicht mehr wegdiskutiert werden - dies scheint auch notwendig als professionelles Pendant zur sozialstaatlichen Professionalisierung. Träger Plätze (Prozentangaben) Frei-gemeinnützige Träger Privat-gewerbliche Träger Öffentliche Träger 116.099 (79,1 %) 15.998 (10,9 %) 14.677 (10,0 %) Abb. 2: Verteilung der Wohnplätze in Behinderteneinrichtungen nach Trägern Quelle: Wacker/ Wetzler/ Metzler/ Hornung 1998, 45 VHN 1/ 2009 51 Modernisierung karitativer Nonprofit-Organisationen Individualisierung der Lebenswelt und der Lebensumstände beschränkt sich nicht auf die normale Bevölkerung, sie ist aktueller Bestandteil der professionellen Arbeit in der sozialen Rehabilitation von Menschen mit Behinderung und in besonderen Lebenslagen. Konkrete Impulse kommen von der Selbstbestimmt-Leben- Bewegung und von politischen Setzungen zur notwendigen Individualisierung der Hilfen, die in den neueren Sozialgesetzbüchern nachzuvollziehen sind - z. B. im SGB XI § 1 (Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft) und § 17 (Ausführung von Leistungen, Persönliches Budget; vgl. hierzu die Ausführungen von Wacker/ Wansing/ Schäfers 2005). Differenzierung, die insbesondere Durkheim im Blick hatte, korrespondiert mit der gesellschaftlichen Tendenz zur Individualisierung. In der sozialen Arbeit bzw. in der entsprechenden beruflichen Arbeitswelt geben strategische Planungen zur Differenzierung des Portfolios, spezialisierte Settings, Ressourcenorientierung und Case-Management mittlerweile den Takt vor, Pauschalleistungen sind weniger „markttauglich“ als noch vor einigen Jahren. Modernisierung scheint ein emergenter Prozess - getragen von den jeweiligen gesellschaftlichen wie politischen Umständen -, der die Bereitschaft zu Anpassung und Veränderung impliziert. Ein zusehends liberal auftretender Staats-Sektor favorisiert die marktwirtschaftliche Verwertungslogik gegenüber einer unspezifischen Kooperations-Logik. „Qualität“ (mit aller Vielschichtigkeit und Differenzierungsproblematik) ist ein wesentlicher Verhandlungsgegenstand für die Leistungsübernahme geworden, die es zwischen den im Wohlfahrtsstaat beteiligten Institutionen zu verhandeln gilt. 5 Qualitätsmanagement in karitativen Nonprofit-Organisationen Die Verwertungslogik scheint unter den momentanen gesellschaftlichen Bedingungen der Kooperations-Logik überlegen (siehe vorne). Zwar haben karitative Nonprofit-Organisationen über Jahrzehnte die Rolle der operativen Wohlfahrtspflege ausgefüllt, in der politischen wie öffentlichen Wahrnehmung werden mittlerweile jedoch eher die Defizite als die Vorteile wahrgenommen. Offen bleibt die Frage, ob ka- Modernisierungstheoretische Ansätze „Von der Wertegemeinschaft zum Dienstleistungsunternehmen“ Rationalisierung u. a. Sozialmanagement Betriebswirtschaftliche Rationalität Controlling Individualisierung u. a. Selbstbestimmt-Leben-Bewegung Persönliches Budget Differenzierung u. a. spezialisierte Settings Ressourcenorientierung Fallindizierte Settings Case-Management Abb. 3: Modernisierungslinien in karitativen Nonprofit-Organisationen VHN 1/ 2009 52 Rainer Wetzler ritative Nonprofit-Organisationen unzureichend Qualität produziert haben, ob sie aufgrund einer jahrzehntelangen Eigenständigkeit bei der Festlegung von Qualität darüber unzureichend öffentlich kommuniziert haben oder ob die Diskussion über „vormoderne Zustände in karitativen Nonprofit-Organisationen“ dazu genutzt wird, diesen Sektor konsequent umzubauen (Stichwort: Ende der Vielfalt statt Vielfalt ohne Ende). Sicher ist, dass die Neuerungen der einschlägigen Sozialgesetzbücher Qualitätsmanagement als wichtiges Kriterium für die Existenzsicherung von Organisationen im sozialen Sektor verankern. Und dies ist unabhängig davon, ob diese Organisationen dem Nonprofit-Sektor oder dem Marktsektor zuzuordnen sind. Es bleibt eine Zukunftsfrage, inwieweit die einzelnen Organisationen im Nonprofit- Sektor einerseits die interne Umstellung auf konkurrenzfähige Dienstleister vollziehen und andererseits ihr weltanschauliches Profil schärfen und kommunizieren können. Wohlfahrtspflege wird sich unter realen, modernen Gesichtspunkten stärker der Dienstleistungskultur verpflichtet sehen müssen. Dass hingegen marktwirtschaftlich organisierte Wohlfahrtspflege qualitativ überlegen sei, lässt sich so nicht konstatieren. Denkt man z. B. an das englische Registrierungsgesetz und die staatlichen Qualitätsrichtlinien für privat-gewerbliche Altenheime, dann ist diese staatliche Initiative den dortigen Missständen geschuldet und nicht der staatlichen Sorge um die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen (vgl. Wetzler 1995). Karitative Nonprofit-Organisationen befinden sich auf einer Entwicklungslinie hin zu Dienstleistungsunternehmen, die sich differenziert in den Angeboten, individualisiert im Aufgabenzuschnitt und effizient in der Abwicklung darstellen. Die gesellschaftliche Wirklichkeit folgt der Logik von der Kooperation zur Ko- Operation und hat den karitativen Sektor längst erreicht. Indikatoren dafür sind u. a., dass bereits 2002 in einer repräsentativen Befragung über 30 % der Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe ein Qualitätsmanagement-Handbuch hatten (nahezu 35 % haben dieses geplant und heute wahrscheinlich umgesetzt; vgl. Wetzler 2003, 51), über 30 % ein Qualitätsmanagement-System (z. B. DIN ISO 9001: 2000) vorbereitet haben (ebd., 48). Externe Berater finden wir in knapp 45 % der Wohneinrichtungen (ebd., 49). Diese Anpassungssequenzen könnten beliebig ergänzt werden und zeigen deutlich, dass mit Unterstützung bzw. durch vermeintliche Durchsetzung der Herrschaftslogik erwerbswirtschaftliche Mechanismen in karitativen Nonprofit-Organisationen virulent sind und ein Eigenleben entwickeln. Die Frage, inwieweit „Restbestände“ einer Kooperationslogik in karitativen Nonprofit- Organisationen dauerhaft erhalten bleiben, hängt von der Auseinandersetzung und der plausiblen Kommunikation des „konstituierenden Moments“ ab. Hier sprechen wir von der Darlegung der Organisation und deren Mission in Form einer je spezifischen Konzeptqualität (u. a. weltanschauliche Elemente), die sich in den Strukturen wiederfinden sollte (bekannt als Strukturqualität), sich in standardisierbaren - und oftmals nicht standardisierbaren, aber bekannten - Prozessen in einem Handbuch weitestgehend darlegen und die sich schließlich in Ergebnissen überprüfen lassen kann (Stichwort Ergebnisqualität in Form von z. B. Kundenzufriedenheit und Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; vgl. ebd., 82ff ). Eingangs wurde auf die Publikation des Arbeitskreises Nonprofit-Organisationen (1998) hingewiesen, die die Frage „Nonprofit-Organisationen im Wandel. Ende der Besonderheiten oder Besonderheiten ohne Ende? “ stellt. Die Frage scheint unter modernisierungstheoretischen Gesichtspunkten längst beantwortet. Das System der Wohlfahrtspflege in der BRD wird sich in dem zur Verfügung stehenden Finanzierungsrahmen weiter differenzieren und die Angebote kundenorientiert gestalten, und dies bei steigendem Kosten- und Qualitätsbewusstsein. Sollten die karitativen Nonprofit- Organisationen auf die Kooperationslogik ver- VHN 1/ 2009 53 Modernisierung karitativer Nonprofit-Organisationen zichten und trotzdem an der Wohlfahrtspflege partizipieren „dürfen“, wäre dies inhaltlich vermutlich wertvoller als deren Umstellung auf die erwerbswirtschaftliche Ko-Operationslogik - willkommen bei den emergenten „Besonderheiten ohne Ende“. Literatur Arbeitskreis Nonprofit-Organisationen (1998): Nonprofit-Organisationen im Wandel. Ende der Besonderheiten oder Besonderheiten ohne Ende? Schriften des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Allgemeine Schrift 274. Stuttgart/ Berlin/ Köln Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt/ M.: Suhrkamp Degele, Nina; Dries, Christian (2005): Modernisierungstheorie. München: Wilhelm Fink Verlag Durkheim, Emile (1994) [1930]: De la division du travail social. Paris: Quadriga Luhmann, Niklas (1970): Soziologische Aufklärung, Bd. 1. 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Frankfurt: stw Rother, Kurt (1982): Glücklich war ich, wenn ich helfen konnte … Ein Rückblick auf drei Jahrzehnte Leben für behinderte Menschen. Mosbach: Eigenverlag der Johannes-Anstalten Mosbach Schelsky, Helmut (1955): Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart. Darstellung und Deutung einer empirisch-soziologischen Tatbestandsaufnahme. Stuttgart: Enke Schmid, Josef (1996): Wohlfahrtsverbände in modernen Wohlfahrtsstaaten. Soziale Dienste in historisch-vergleichender Perspektive. Opladen: Westdeutscher Verlag Seibel, Wolfgang (1994): Funktionaler Dilettantismus: Erfolgreich scheiternde Organisationen im „Dritten Sektor“ zwischen Markt und Staat. Baden-Baden: Nomos Simmel, Georg (1989) [1890]: Über soziale Differenzierung. Sociologische und psychologische Untersuchungen. In: Simmel, Georg: Aufsätze 1887 - 1890 (GA, Bd. 2). Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 109 - 295 Speck, Otto (1999): Marktgesteuerte Qualität - eine neue Sozialphilosophie? In: Peterander, Franz; Speck, Otto (Hrsg.): Qualitätsmanagement in sozialen Einrichtungen. München: Reinhardt, 15 - 30 Tönnies, Ferdinand (1979): Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie. Darmstadt Wacker, Elisabeth; Wetzler, Rainer; Metzler, Heidrun; Hornung, Claudia (1998): Leben im Heim. Baden-Baden: Nomos Wacker, Elisabeth; Wansing, Gudrun; Schäfers, Markus (2005): Personenbezogene Unterstützung und Lebensqualität. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag Weber, Max (1972) [1922]: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: Mohr Wetzler, Rainer (1995): Qualitätsstandards in Einrichtungen der Altenhilfe in Großbritannien. Impulse Nr. 9; Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. Wetzler, Rainer (1996): Nationale und internationale Instrumente der Qualitätssicherung sozialer (residentieller) Dienstleistungen. In: Heiner, Maja (Hrsg.): Qualitätsentwicklung durch Evaluation - Internationale Ansätze und Anregungen. Freiburg: Lambertus, 108 - 120 Wetzler, Rainer (2003): Qualitätsmanagement in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe - eine empirische Bestandsaufnahme. Freiburg: Lambertus Wetzler, Rainer (2007): Analyse und Interpretation des Strukturwandels in der Behindertenhilfe. Habilitationsschrift. München VHN 1/ 2009 54 Rainer Wetzler Wex, Thomas (1998): Die Modernisierung der Nonprofit-Organisationen und die Frage der Auflösung ihrer Spezifika. In: Arbeitskreis Nonprofit- Organisationen: Nonprofit-Organisationen im Wandel. Ende der Besonderheiten oder Besonderheiten ohne Ende? Schriften des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Allgemeine Schrift 274. Stuttgart/ Berlin/ Köln, 251 - 280 Wiesnet, Sebastian (2004): Durkheims Modernisierungstheorie. München/ Ravensburg: Grin Verlag PD Dr. Rainer Wetzler Technische Universität Dortmund Fakultät Rehabilitationswissenschaften Rehabilitationssoziologie Emil-Figge-Straße 50 D-44227 Dortmund
