Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit bei Kindern und Jugendlichen mit Lernbehinderung: Synopse systematischer Übersichtsarbeiten
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Erich Hartmann
Jüngere Forschung unterstreicht nicht nur die Wichtigkeit der Leseflüssigkeit als Komponente der erfolgreichen Leseentwicklung, sondern auch die Notwendigkeit gezielter Interventionen besonders für schwache Leser. Dieser Beitrag versucht zu klären, welche der in der Literatur empfohlenen Lautleseverfahren für Kinder und Jugendliche mit Lernbehinderung aktuell als effektiv gelten können. Die Beantwortung dieser Frage basiert auf empirischer Evidenz aus drei systematisch identifizierten meta-analytischen Übersichtsarbeiten, die ausgewertet, bewertet, synthetisiert und diskutiert werden. Neben der Bilanzierung des derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zur Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit werden Herausforderungen für die -weiterführende Forschung umrissen.
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Fachbeitrag VHN, 79. Jg., S. 224 - 238 (2010) DOI 10.2378/ vhn2010.art19d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 224 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit bei Kindern und Jugendlichen mit Lernbehinderung: Synopse systematischer Übersichtsarbeiten Erich Hartmann Universität Freiburg/ CH n Zusammenfassung: Jüngere Forschung unterstreicht nicht nur die Wichtigkeit der Leseflüssigkeit als Komponente der erfolgreichen Leseentwicklung, sondern auch die Notwendigkeit gezielter Interventionen besonders für schwache Leser. Dieser Beitrag versucht zu klären, welche der in der Literatur empfohlenen Lautleseverfahren für Kinder und Jugendliche mit Lernbehinderung aktuell als effektiv gelten können. Die Beantwortung dieser Frage basiert auf empirischer Evidenz aus drei systematisch identifizierten meta-analytischen Übersichtsarbeiten, die ausgewertet, bewertet, synthetisiert und diskutiert werden. Neben der Bilanzierung des derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstandes zur Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit werden Herausforderungen für die weiterführende Forschung umrissen. Schlüsselbegriffe: Systematische Übersichtsarbeit, Meta-Analyse, Lautleseverfahren, Leseflüssigkeit, Lernbehinderung Effectiveness of Reading Fluency Procedures in Learning Disabled Children and Adolescents: Synopsis of Systematic Reviews n Summary: Recent research emphasises not only the importance of fluency as a component of successful reading development, but also the need for systematic fluency interventions especially for poor readers. This article attempts to clarify which of the fluency-procedures suggested in the current literature can be considered as effective with regard to children and adolescents with learning disability. The answer to this question is based on empirical evidence found in three systematically identified meta-analytic reviews that are analysed, evaluated, synthesised and discussed. In addition to a summary of the current scientific knowledge on the effectiveness of fluency-interventions, challenges for further research are outlined. Keywords: Systematic review, meta-analysis, oral reading procedures, reading fluency, learning disability 1 Leseflüssigkeit als Herausforderung für schwache Leser Wie Praxisbeobachtungen und wissenschaftliche Untersuchungen belegen, bekunden Schülerinnen und Schüler mit schriftsprachlichen Lernproblemen oft erhebliche Mühe, Leseflüssigkeit zu erlangen (z. B. Klicpera/ Gasteiger-Klicpera 1995; Meyer/ Felton 1999; Wexler u. a. 2008). Damit ist eine Komponente der sich entwickelnden Lesefertigkeit angesprochen, die unter dem Begriff Fluency bislang vor allem im angloamerikanischen Raum erforscht worden ist. Fokussierten frühere theoretische Konzeptionen und empirische Studien auf die automatisierte Worterkennung (Dekodieren), so ist das Verständnis des Konstrukts Leseflüssigkeit in den letzten Jahren erweitert worden. Aktuell wird darunter zumeist die Fähigkeit zum genauen, angemessen raschen bzw. automatisierten und ausdrucksvollen („natürlichen“) Lesen von Texten verstanden. Zur Lesegenauigkeit und zum adäquaten Tempo kommen also prosodische Merkmale (Phrasie- VHN 3/ 2010 225 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit rung, Intonation, Rhythmus u. a.) hinzu, die lautes Lesen charakterisieren, bei stillen Leseaktivitäten hingegen nicht erkennbar sind. Während die ersten beiden Komponenten häufig operationalisiert werden als Anzahl richtig gelesener Wörter bzw. als Lesezeit beim lauten Lesen eines (standardisierten oder curriculumbasierten) Textes, lässt sich die Prosodiekomponente u. a. anhand von entwicklungsorientierten Kriterienrastern beurteilen (vgl. National Reading Panel 2000; Rasinski 2003; Rosebrock/ Nix 2006; Hartmann/ Niedermann 2007). Alle erwähnten Komponenten der Leseflüssigkeit stehen in positivem Zusammenhang mit dem Leseverstehen. Theoretisch und praktisch ist Flüssigkeit wichtig, weil der Lesende dank flüssigem Lesen über genügend kognitive Ressourcen für höhere Verarbeitungsprozesse auf Satz- und Textebene verfügt. Obgleich erfolgreiches Textverstehen zusätzliche Kompetenzen (Sprach- und Weltwissen, Lesestrategien u. a.) erfordert, spielt Leseflüssigkeit unbestritten eine bedeutende Rolle im Hinblick auf die Essenz des Lesens (Hartmann/ Niedermann 2006). Leseflüssigkeit entwickelt sich auf der Basis einer effizienten und zuverlässigen (Wort-)Dekodierfähigkeit graduell über mehrere Jahre. Die beachtlichsten Fortschritte erfolgen in den Grundschuljahren, danach schwächt sich der Zuwachs ab. Für die Ausbildung von Leseflüssigkeit ist die Entwicklung von Genauigkeit und Automatisierung in zugrunde liegenden sublexikalischen und lexikalischen Prozessen sowie deren Integration auf der Ebene von Wörtern, Sätzen und Texten erforderlich (Wolf/ Katzir-Cohen 2001), was durch gezielte Instruktion und ausreichende Lesepraxis begünstigt wird (z. B. National Reading Panel 2000; Rasinski 2003; Rosebrock/ Nix 2006). Bei vielen Schülerinnen und Schülern mit Leseproblemen (z. B. Kinder mit „Lernbehinderung“, „Lese-Rechtschreibstörung“, „Sprachstörungen“) ist dieser komplexe Entwicklungsprozess erschwert. Am offenkundigsten zeigen sich die individuell ausgeprägten Probleme beim lauten Lesen von Texten: Bei einem Teil der Kinder sind alle Komponenten der Leseflüssigkeit betroffen, d. h. sie lesen ungenau, fehlerhaft, mühsam und ausdruckslos. Andere Schülerinnen und Schüler zeigen eine relativ gute Lesegenauigkeit, sind aber im Tempo und in der Phrasierung auffällig (z. B. langsames oder hastiges Lesen). Eine weitere Untergruppe mit Leseproblemen liest zwar einigermaßen fließend, jedoch sehr ungenau und fehlerhaft. Mit solchen vielfältigen Formen von Leseunflüssigkeiten gehen oft Defizite im sinnerfassenden Lesen einher (z. B. Klicpera/ Gasteiger- Klicpera 1995; Meyer/ Felton 1999; Wember 1999). Wie in der Literatur festgestellt wird, gibt es zahlreiche mögliche Quellen für Probleme beim Erwerb von Leseflüssigkeit: Auf einer basalen Ebene des Leseprozesses können Schwächen in der phonologischen und/ oder orthografischen Verarbeitung das fließende Lesen erschweren. Auf einer höheren Verarbeitungsebene kann die Fähigkeit beeinträchtigt sein, effiziente semantische und phonologische Verbindungen zwischen Wörtern und Bedeutungen herzustellen. Schließlich kann eingeschränkte Leseflüssigkeit durch Defizite der syntaktischen Verarbeitung und durch eine reduzierte Sensibilität für prosodische Hinweisreize mitbedingt werden (Kuhn/ Stahl 2003; Wolf/ Katzir-Cohen 2001). Selbst wenn lesebeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler ihre anfänglichen Schwierigkeiten im Dekodieren so weit überwunden haben, dass sie Wörter adäquat lesen können, erlangen sie die für gute Leser typische Geläufigkeit des Worterkennens nicht mühelos. Dadurch werden bei der Textlektüre kognitive Ressourcen für basale Leseprozesse absorbiert, die somit nicht mehr für die Bedeutungskonstruktion zur Verfügung stehen. Obgleich kindlichen Verstehensproblemen vielfältige Faktoren zugrunde liegen können, ist anerkannt, dass mangelnde Leseflüssigkeit eine kausale Rolle spielt (z. B. Hartmann/ Niedermann 2006). VHN 3/ 2010 226 Erich Hartmann Dazu kommt, dass Kinder mit schriftsprachlichen Lernproblemen infolge von Misserfolgen oft und gern dem Lesen ausweichen und daher weit weniger Leseaktivitäten verzeichnen als erfolgreiche Lerner. Aufgrund eingeschränkter Lesepraxis wird nur langsam ein Sichtwortschatz aufgebaut, Erfahrungen mit Texten bleiben ebenso eingeschränkt - beides wesentliche Voraussetzungen für Leseflüssigkeit. Lesen bleibt für die Betroffenen daher weiterhin eine mühsame und wenig motivierende Angelegenheit, der sie sich auch künftig entziehen. Um dieser negativen Lernspirale entgegenzuwirken, bedürfen lesebeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler spezifischer Interventionen zur Überwindung ihrer Schwierigkeiten mit dem fließenden Lesen (z. B. Wember 1999; Chard u. a. 2002; Wexler u. a. 2008). 2 Methodische Ansätze zur Verbesserung von Leseflüssigkeit Laut Rosebrock und Nix (2006, 8) sind Fördermethoden zur Leseflüssigkeit in der deutschsprachigen Didaktik „annähernd unbekannt“, sieht man von einzelnen Beiträgen ab, die teilweise aus der Sonderpädagogik stammen (z. B. Wember 1999). Anders präsentiert sich die Situation im angloamerikanischen Raum, wo mittlerweile eine Reihe von Veröffentlichungen vorliegt, die forschungsbasierte Interventionsverfahren vorstellen und empfehlen. Primäres Interesse kommt den Lautleseverfahren zu, da sie besonders hilfreich seien, Leseflüssigkeit und Lesefertigkeiten insgesamt zu verbessern (National Reading Panel 2000; Chard u. a. 2002; Shanahan 2006). Dabei lassen sich zwei Ansätze unterscheiden, deren methodische Möglichkeiten auch kombiniert genutzt werden können (vgl. Allington 2001; Rasinski 2003; Rasinski u. a. 2006; Hartmann/ Niedermann 2007; Rosebrock/ Nix 2006): n Wiederholtes Lesen ist die älteste und am häufigsten empfohlene Methode. Ursprünglich als 1 : 1-Intervention für lesebeeinträchtigte Kinder entwickelt, existiert sie heute in verschiedenen Varianten (z. B. kombiniert mit unterstützenden Techniken), die über das Einzelsetting hinaus einsetzbar sind. Die Grundstruktur sieht vor, dass ein Text - innerhalb einer oder mehrerer Sitzungen - mehrmals gelesen wird, bis ein bestimmter, definierter Flüssigkeitswert (z. B. Anzahl richtiger Wörter pro Minute) erreicht ist. Der Lernfortschritt wird dokumentiert, indem jeweils Fehlerzahl und Lesezeit ermittelt und die einzelnen Resultate grafisch repräsentiert werden (Lernkurve). Dadurch sollen leseschwache Kinder motiviert werden, an anderen Texten weiterzuüben, um noch besser lesen zu können. n Bei den verschiedenen Formen des unterstützten Lesens wird der nicht fließende Leser interaktiv gefördert, indem die Lehrperson oder ein Mitschüler einen Text mit optimaler Flüssigkeit vorliest (Modell) und den Lernenden durch Feedbacks und Hilfestellungen beim Aufbau von Leseflüssigkeit unterstützt: Beim Choralbzw. Unisono-Lesen lesen Tutor und Schüler simultan den gleichen Text; beim Echo-Lesen liest der Schüler die vorgelesenen Abschnitte zeitlich verzögert vor; beim Lücken-Lesen setzt das Modell an bestimmten Stellen aus und der Lernende setzt das laute Lesen fort. n Kombinationen dieser Ansätze finden sich etwa beim paarweisen wiederholten Lesen oder bei verschiedenen Methodenvariationen für den Klasseneinsatz, z. B. Lesetheater, Radio-Lesen und Mitlesen-beim-Zuhören. Unter Experten auf dem Gebiet der Lesedidaktik und -intervention besteht Konsens, dass Lautleseverfahren grundsätzlich wirksam sind. Für empirische Belege wird zumeist auf die Übersichtsarbeit des amerikanischen National Reading Panel (2000, 3-16 - 3-20) verwiesen: Dieses Gremium identifizierte und synthetisierte 16 experimentelle Gruppenstudien (Prätest-Posttest-Design) zu einem breiten Spektrum VHN 3/ 2010 227 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit an Lautleseverfahren (u. a. wiederholtes und unterstütztes Lesen). Die berücksichtigten Studien umfassten insgesamt 398 „schwache“ Leser (2. - 9. Klasse) und 281 durchschnittliche oder gute Leser (2. - 4. Klasse). Aus der Forschungssynthese resultierte eine durchschnittliche Effektstärke (ES) von .41, was moderaten Auswirkungen auf die Lesekompetenz entspricht. Der höchste Einfluss von Lautleseverfahren zeigte sich bei der Lesegenauigkeit (ES = .55), gefolgt vom Lesetempo (ES = .44). Etwas schwächer erwiesen sich die Effekte auf das Leseverstehen (ES = .35). Studien mit normalen Lesern (ES = .50) ergaben eine höhere Effektstärke als Studien mit schwachen Lesern (ES = .33). Die verschiedenen Verfahren scheinen vergleichbar effektiv zu sein, jedenfalls ließ sich kein methodischer Favorit eruieren. In Anbetracht der substanziellen Verbesserungen, die Lautleseverfahren in Aussicht stellen, wird empfohlen, solche Aktivitäten vermehrt in den Leseunterricht der Grundschule zu integrieren und besonders auch für die Förderung von schwachen Lesern zu nutzen. Mit diesem Forschungsbeitrag bleiben allerdings verschiedene Fragen zur Wirksamkeit von Lautleseverfahren unbeantwortet oder unzulänglich geklärt. So müsse die zukünftige Forschung vermehrt differenzielle Langzeiteffekte verschiedener Methoden(-kombinationen) bestimmen, aber auch spezifische instruktionale Komponenten identifizieren, die sich positiv auf den Fördererfolg auswirken (National Reading Panel 2000, 3-20). Die zitierte Forschungsübersicht lässt auch offen, inwieweit die ermittelten Effekte von Lautleseverfahren speziell auf Kinder oder Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen (learning disability) generalisierbar sind, bei denen signifikante Leseprobleme bzw. Leseunflüssigkeiten eher die Regel als die Ausnahme bilden (Lyon u. a. 2001; Chard u. a. 2002). Zur wissenschaftlichen Klärung dieser Frage können möglicherweise neuere Übersichtsarbeiten beitragen, die speziell auf Studien mit dieser sonderpädagogisch relevanten Population fokussierten. 3 Synopse systematischer Übersichtsarbeiten zur Effektivität von Lautleseverfahren bei lernbehinderten Schülerinnen und Schülern 3.1 Ziel Dieser Beitrag zielt darauf ab, folgende Fragen zu beantworten: n Sind seit der Forschungssynthese des National Reading Panel (2000) systematische Übersichten zur Wirksamkeit von Interventionsverfahren zur Leseflüssigkeit speziell bei lernbehinderten Kindern und Jugendlichen durchgeführt und veröffentlicht worden? n Welches sind deren wissenschaftliche Befunde hinsichtlich des Nutzens von verschiedenen Lautleseverfahren? n Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für Praxis und weiterführende Forschung? Bevor das methodische Vorgehen zur Beantwortung dieser Fragen dargelegt wird, bleibt zu klären, was eine systematische Übersichtsarbeit ist und welche Vorteile dieses „wissenschaftliche Instrument“ (Green 2005, 270) beinhaltet. 3.2 Systematische Übersichten und ihre Relevanz für Forschung und Praxis Die Rolle von systematischen Übersichtsarbeiten (auch: Übersicht, Review) wird aktuell in Zusammenhang mit dem Konzept der evidenzbasierten Praxis thematisiert, das u. a. auch in der Heil- und Sonderpädagogik an Einfluss gewinnt (z. B. Schlosser 2006). Im Gegensatz zur teilweise synonymen Verwendung der Termini systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse in der Literatur wird hier einem zweiteiligen Begriffssystem gefolgt (z. B. Ziegler u. a. 2004; Mullen/ Ramirez 2006; Schlosser 2006): n Eine systematische Übersicht ist eine wissenschaftliche Methodologie, die dazu dient, empirische Evidenz aus originären Einzelstudien aufzufinden, auszuwählen, zu be- VHN 3/ 2010 228 Erich Hartmann werten, zu synthetisieren und zu kommunizieren mit dem Ziel, spezifische - wissenschaftliche oder praxisrelevante - Fragen zu beantworten. Ähnlich wie Primärstudien umfassen systematische Übersichten mehrere Arbeitsschritte: 1. Vorbereitung, 2. Konkretisierung der Fragestellung, 3. Identifikation und Auswahl von Primärstudien, 4. Kodierung und Bewertung der Arbeiten, 5. Datenanalyse, 6. Präsentation und Interpretation der Befunde im Hinblick auf Forschung und Praxisimplikationen. Im gesamten Prozess einer systematischen Übersicht wird durch rigorose Strategien und Standards versucht, Fehler zu vermeiden. n Die Meta-Analyse ist eine optionale Komponente der systematischen Übersichtsarbeit. Sie beinhaltet die statistische Zusammenfassung von quantitativen Resultaten mehrerer Einzelstudien zu bestimmten Fragestellungen und zielt darauf ab, übergeordnete Effektstärken bspw. für Interventionen zu ermitteln. Insbesondere Übersichten mit Meta-Analyse vermeiden Nachteile klassischer, narrativer Literatursynthesen oder einfacher quantitativer Auszähltechniken. Sie ermöglichen, „auch bei nicht übereinstimmenden oder widersprüchlichen Partialbefunden zu einem eindeutigen Gesamtergebnis zu gelangen und die Unterschiedlichkeit der Partialbefunde anhand von Moderatorvariablen zu erklären“ (Eisend 2004, 19). Zwar sind auch systematische Reviews anfällig für Fehler und Probleme (z. B. Publikationsverzerrung, Äpfel- und Orangen-Argument), ihre kritischen Aspekte sind jedoch weitgehend ausdiskutiert. Mittlerweile liegen auch Vorschläge vor, wie potenzielle Probleme gelöst werden können, sodass Möglichkeiten und Begrenzungen von systematischen Übersichten klar umrissen sind (z. B. Masendorf/ Grünke 2000; Mullen/ Ramirez 2006). Solche Forschungsbeiträge können für anwendungsorientierte Fachgebiete von beachtlichem Nutzen sein und verschiedene Rollen spielen: a) Bilanzierung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes hinsichtlich konkreter Fragestellungen, Identifikation von Forschungs- und Literaturlücken; b) Unterstützung der Implementation von forschungsbasierter Praxis durch Bereitstellung von vorgefilterter Evidenz über empirisch abgesicherte Verfahren; c) Begründung von Entwicklungsprojekten und qualitative Bewertung von innovativen Bemühungen (Schlosser 2006). Der Nutzen von systematischen Übersichten ist allerdings von deren Qualität abhängig, die erfahrungsgemäß variiert - mit Auswirkungen auf Befunde und Schlussfolgerungen von Reviews. Daher sollten Verwerter von wissenschaftlicher Forschung zwischen qualitativ guten und schwachen Arbeiten unterscheiden können. Voraussetzung hierfür sind grundlegende Kenntnisse über Methodologie und mögliche Schwachstellen von systematischen Übersichten. Verschiedene Kriterien, die bei der Evaluation von solchen Forschungsbeiträgen in Betracht zu ziehen sind, sowie Hinweise auf verfügbare Bewertungsinstrumente finden sich bei Schlosser (2007). 3.3 Methodisches Vorgehen 3.3.1 Suche und Auswahl von Übersichtsarbeiten Zum Auffinden von relevanten Forschungsbeiträgen wurden elektronische Literaturrecherchen in ERIC, PsycINFO, PSYNDEX und SoLi für den Zeitraum von Anfang 2000 bis Ende März 2008 durchgeführt. Dabei kamen folgende Suchbegriffe zur Anwendung: systematic review, research synthesis, meta analysis, metaanalysis, reading, reading fluency, instruction, intervention, learning disab*, reading disab*, struggling reader*, poor reader* (ERIC, PsycIN- FO) und analoge deutschsprachige Termini in PSYNDEX und SoLi. Eine Einschränkung bezüglich der Veröffentlichungsart bestand dabei nicht. Weitere Recherchen erfolgten in speziellen Review-Datenbanken: The Cochrane Library, What Works Clearinghouse und EPPI- Centre Evidence Library. VHN 3/ 2010 229 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit Die Suchergebnisse wurden gesichtet, um aufgrund der ausgewiesenen Informationen (Zusammenfassung, Schlüsselbegriff u. a.) entscheiden zu können, ob es sich um eine metaanalytische Übersicht zu Leseinterventionen handelte oder nicht. Ließ sich dies nicht eindeutig klären, wurde die Originalpublikation beschafft, zielgerichtet gelesen und aufgrund der zusätzlich gewonnenen Angaben eingestuft. Anderweitige Formen von Forschungsüberblicken (z. B. narrative Literatursynthese) wurden ausgesondert, ebenso sonstige Beiträge und Mehrfachtreffer. Fanden sich bei der Durchsicht der Suchergebnisse Hinweise auf noch nicht identifizierte Reviews, wurde diesen Anhaltspunkten nachgegangen. Aus diesem Vorgehen resultierten 17 Beiträge, auf die folgende Auswahlkriterien angewendet wurden: Der Fokus der Übersichtsarbeit liegt explizit auf Studien a) zu Lautleseverfahren zur Verbesserung von Leseflüssigkeit, b) speziell bei Kindern und/ oder Jugendlichen mit Lernbeeinträchtigungen (learning disability). Drei englischsprachige Beiträge erfüllten diese Kriterien und bilden die Grundlage für die vorliegende Synopse, nämlich die Arbeiten von Therrien (2004), Chard u. a. (2002) und Scammacca u. a. (2007). 3.3.2 Analyse und Bewertung Jede Übersicht wurde einer kriterienorientierten Inhaltsanalyse unterzogen, um spezifische Informationen auffinden und extrahieren zu können. Das Auswertungsprotokoll umfasste - entsprechend den Arbeitsschritten einer systematischen Übersicht - die folgenden Kategorien: a) Ziel/ Fragestellung, b) Identifikation, c) Auswahl, d) Anzahl und Designs, e) Kodierung und Bewertung der Primärstudien, f ) Probandeninformationen, g) Angaben zu den evaluierten Interventionen, h) statistische Analysen, Effektstärkeberechnung, i) Ergebnisse, k) Implikationen für Praxis und Forschung. Die entsprechenden in den Publikationen aufgefundenen und im Auswertungsbogen festgehaltenen Informationen wurden in einem weiteren Schritt in tabellarischer Form verdichtet. Dadurch sollten sich Fragestellungen, Methodik, Ergebnisse und Schlussfolgerungen der jeweiligen Arbeiten übersichtlich darstellen und leichter miteinander vergleichen lassen. Um deren Qualität einschätzen zu können, wurde jede Übersicht einer Bewertung anhand der CASP-Checkliste unterzogen (Public Health Resource Unit, England 2006). Dieses Instrument ist nutzbar für systematische Reviews von nicht-randomisierten Studien, was auf die Arbeiten von Chard u. a. (2002) und Therrien (2004) weitgehend zutraf. Obwohl Scammacca u. a. (2007) nur randomisierte Studien synthetisierten, erschien es angemessen, deren Arbeit ebenfalls anhand der CASP-Checkliste zu beurteilen. Diese umfasst zehn Fragen mit jeweils mehreren Kriterien zu Aspekten wie Fragestellung, Methodik, Ergebnisse und Nützlichkeit von systematischen Übersichtsarbeiten. Gemäß diesen Bewertungen waren alle drei meta-analytischen Beiträge insofern von akzeptabler Qualität, als die meisten Checkliste-Fragen positiv beantwortet werden konnten. Bei jeder Übersichtsarbeit gab es auch einige Fragen, die mit Nein beantwortet wurden oder die sich nicht eindeutig klären ließen. Damit ist auf gewisse Schwachstellen verwiesen, die von den Autoren der Reviews teilweise auch thematisiert wurden. Sie betreffen Gesichtspunkte wie Identifikation und Bewertung von Primärstudien, Datenanalyse oder Ergebnisdarstellung - und sollen in die nachfolgende Darstellung, Synthese und Diskussion der Übersichtsarbeiten einfließen. 3.4 Ergebnisse 3.4.1 Ziele und Methodik der Übersichtsarbeiten Jeder Forschungsbeitrag zielte darauf ab, Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Lautleseverfahren zur Verbesserung von Leseflüssigkeit bei lernbeeinträchtigten Schülerinnen und Schülern zu gewinnen. Nur Scammacca u. a. (2007) VHN 3/ 2010 230 Erich Hartmann Autoren Jahr Ziele/ Fragestellungen Identifikation der Primärstudien Auswahl der Primärstudien Anzahl und Designs der Primärstudien Kodierung und Bewertung der Primärstudien Probanden Evaluierte Förderverfahren zur Leseflüssigkeit Statistische Analysen, Effektstärkenberechnung Chard u. a. (2002) n Synthese vorliegender Forschungsbefunde zur Wirksamkeit von Lautleseverfahren bei lernbehinderten Grundschulkindern n Elektronische Literatursuche in ERIC, PsycINFO und ArticleFirst n Handsuche in 16 wissenschaftlichen Zeitschriften zum Thema Lesen, Lernbehinderung, Lesestörung n Durchsicht von Literaturverzeichnissen und identifizierten Beiträgen oder Reviews n Publiziert zw. 1975 und 2000 n Probanden der 1. bis 5. Klasse mit Lernbehinderung; Studien mit normalen Lernern akzeptiert, sofern für Lernbehinderte separate Daten ausgewiesen sind oder Probanden mit Lernbehinderung > 60 % des Samples ausmachen n Abhängige Variable: Flüssigkeit, Verstehen n Englischsprachige n 8 Mehrgruppenstudien n 5Eingruppenstudien n 11 Fallstudien oder Einzelfallanalysen n Allgemeine Studienangaben n Informationen zu Untersuchungsgruppen n Beschreibung von Treatment und Kontrollbedingung n Abhängige Variablen: Flüssigkeit, Verstehen n Spezifische Ergebnisse n Interrater-Reliabilität für 20 % der Studien = .92 n Durch Forschende oder Schulen identifizierte Lernbehinderte zwischen 7 und 13; 6 Jahren n Variationen des wiederholten Lesens: mit/ ohne Modell, Feedback, Performanzkriterium, kombiniert mit anderen Interventionen u. a. n Verfahren zur Einzelworterkennung n Interventionsdauer zwischen einigen Minuten und 30 Tagen n Cohen’s d Effektstärke, korrigiert nach Hedges und Olkin (1985) n Interpretation nach Cohen (1988) Therrien (2004) n Ist wiederholtes Lesen wirksam zur Erhöhung von Flüssigkeit und Leseverstehen? n Welche Komponenten des wiederholten Lesens sind wichtig für den Erfolg? n Können lernbehinderte Schüler vom wiederholten Lesen profitieren? n Elektronische Literatursuche in ERIC und PsycINFO n Durchsicht von Literaturlisten identifizierter Studien und Analyse des Berichts des National Reading Panel (2000) n Publiziert zw. 1977 und 2001 n Experimentellquantitative Studien n Probanden zw. 5 und 18 Jahren n Ausreichende Daten für Effektstärkenberechung n 18 Gruppenstudien, ohne näher spezifizierte Designs (u. a. Eingruppenstudien) n Interventionsdauer (Sessionen) n Probanden: lernbehinderte Schüler; normale Schüler oder gemischte Gruppen n Abhängige Variablen: Flüssigkeit, Leseverstehen n Transfer- und Nichttransfermaße n Interventionskomponenten: Feedbacks, Modellieren, Performanzkriterium u. a. n Schüler zw. 5 und 18 Jahren mit identifizierten Lernstörungen n Normale Lerner n Variationen des wiederholten Lesens: Lesehinweise, Feedback, Modellieren, Performanzkriterium, Aufzeichnung des Fortschritts, Verstehenskomponente n Durchschnittliche Interventionsdauer von 36 Sessionen (ausgewiesen für Studien mit Transfermaßen) n Standardisierte Effektstärke mit Standardfehler nach Becker (1988) n Berechnung für kombinierte Maße sowie separat für Transfer- und Nichttransfermaße n Spezifische Auswertungen für lernbehinderte und normale Probanden n Interpretation nach Cohen (1988) Tabelle 1: Ziele und Methodik der systematischen Übersichtsarbeiten zu Lautleseverfahren VHN 3/ 2010 231 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit Autoren Jahr Ziele/ Fragestellungen Identifikation der Primärstudien Auswahl der Primärstudien Anzahl und Designs der Primärstudien Kodierung und Bewertung der Primärstudien Probanden Evaluierte Förderverfahren zur Leseflüssigkeit Statistische Analysen, Effektstärkenberechnung Scammacca u. a. (2007) n Wie effektiv sind Interventionen zu verschiedenen Bereichen der Lesekompetenz (Dekodieren, Flüssigkeit, Wortschatz, Verstehen) bei leseschwachen Jugendlichen? n Welche spezifischen Effekte haben solche Interventionen auf das Leseverstehen? n Welche Auswirkungen haben verschiedene Leseinterventionen speziell bei Jugendlichen mit Lernbehinderung? n Elektronische Datenbanksuche n Durchsicht von Literaturlisten früherer Reviews zum Thema n Publiziert zw. 1980 und 2006 n Englisch sprechende schwache Leser der 4. bis 12. Klasse n Fokus Worterkennen, Flüssigkeit, Wortschatz, Verstehen oder Kombinationen n Experimentelle oder quasi-experimentelle Studiendesigns n Mindestens eine lesebezogene abhängige Variable n Ausreichende Daten für Effektstärkenberechnung n 4 randomisierte Gruppenstudien n Interventionsfokus: Flüssigkeit, Worterkennen, Wortschatz, Leseverstehen, mehrere Komponenten n Alter/ Klassenstufe n Probanden: Lernbehinderung, lernbehinderte Schüler und andere schwache Leser gemischt,schwache Leser ohne Lernbehinderung n Durchführung: Forscher, Lehrperson oder andere n Insgesamt 132 Jugendliche mit Lernbehind. oder andere schwache Leser der 5. bis 9. Klasse n Varianten des wiederholten Lesens: Tonband, Lesehinweise, Partnerlesen n Fluency-Strategy Instruction: Selbstüberwachung, moduliertes Lesen, angemessenes Tempo, Finger- Tracking u. a. n Unterstützte, nicht repetitive Lautleseverfahren: Echo-, Unisono-, und Lückenlesen n Interventionsdauer: 1 - 30 Sessionen bzw. 420 - 600 Minuten n Implementation durch Lehrer oder Forschende n Cohen’s d Effektstärke, korrigiert nach Hedges (1981) n Zufälliges Effektmodell n Gemittelte Effektstärke bei mehreren Maßen pro abhängige Variable n Separate Analysen für standardisierte und nichtstandardisierte Maße n Differierende Studienfaktoren als Moderatoren (z. B. Teilnehmerstatus) VHN 3/ 2010 232 Erich Hartmann interessierten sich zusätzlich auch für Förderverfahren zu anderen Bereichen der Lesekompetenz. Während Therrien (2004) ausschließlich auf die Methode des wiederholten Lesens fokussierte, verwendeten Chard u. a. (2002) und Scammacca u. a. (2007) kein solches restriktives Kriterium und sahen für ihre Forschungssynthesen also auch Primärstudien zu anderen Lautleseverfahren vor (vgl. Tab. 1). Für das Auffinden von Primärstudien wurde durchgängig die Möglichkeit der elektronischen Datenbankrecherche genutzt. Die verwendeten Datenbanken und Suchbegriffe wurden nur bei Therrien (2004) und Chard u. a. (2002) ausdrücklich erwähnt. Die Literaturrecherchen wurden in jedem Fall durch eine weiterführende Handsuche in Zeitschriften und/ oder Durchsichten von Bibliografien ergänzt. Über andere Möglichkeiten (Kontakte mit Experten) wurde nicht berichtet. Da alle Übersichtsarbeiten nur publizierte Studien umfassen, ist eine Verzerrung ihrer Befunde in Richtung positiver Effekte in Betracht zu ziehen (Ziegler u. a. 2004) - dieser Sachverhalt wird weiter unten zu berücksichtigen sein. Immerhin decken alle Reviews eine Publikationszeitspanne von rund 25 Jahren ab. Uneinheitlicher gestalteten sich die Auswahlkriterien. So fanden bei Chard u. a. (2002) nur Untersuchungen mit Grundschulkindern Eingang in die Übersichtsarbeit, bei Scammacca u. a. (2007) ausschließlich Studien mit Jugendlichen. Die Kriterien von Therrien (2004) deckten die breiteste Altersspanne ab (5 - 18 J.) und beschränkten sich im Gegensatz zu den anderen Beiträgen auch nicht auf englischsprachige Probanden. Hinsichtlich methodischer Anforderungen für die Aufnahme von Originalstudien findet sich bei Chard u. a. (2002) kein explizites Kriterium. Therrien (2004) akzeptierte nur experimentell-quantitative Studien, Scammacca u. a. (2007) beschränkten sich auf experimentelle oder quasi-experimentelle Mehrgruppendesigns. Unter Anwendung der jeweiligen Suchstrategien und Selektionskriterien resultierten unterschiedlich umfangreiche Pools an Originalstudien, bei Scammacca u. a. (2007) vier randomisierte Studien, bei Therrien (2004) 18 Studien (z. T. Eingruppenstudien) und bei Chard u. a. (2002) 24 Arbeiten unterschiedlichen Designs, d. h. Mehr- und Eingruppenstudien sowie Einzelfallanalysen oder Fallstudien, wobei Letztere nicht in die Effektstärkeberechnungen eingingen. Ein näherer Blick auf die Primärstudien der Übersichten lässt zwischen Chard u. a. (2002) und Therrien (2004) eine Überschneidung von mehreren Arbeiten erkennen. Auch zwei von Scammacca u. a. (2007) meta-analysierte Studien sind in einer weiteren bzw. in beiden anderen Übersichtsarbeiten berücksichtigt. Die Kodierung der Studien erfolgte in ähnlicher Weise mehrdimensional, nur Chard u. a. (2002) ermittelten die Interraterreliabilität der Kodierung, die gut ausfiel. In keiner der Übersichtsarbeiten wurde über eine systematische Bewertung der Primärstudien berichtet, wenngleich auf gewisse Schwachstellen dieser Publikationen hingewiesen wurde. Dazu gehören unvollständige (Probanden-)Informationen, teilweise schwache Studienanlagen und ein Mangel an Designs zur Evaluation von Langzeiteffekten. Solche kritischen Aspekte werden bei der Diskussion der meta-analytischen Befunde zu bedenken sein. Abgesehen von den Angaben zu den Klassenbzw. Altersstufen der Teilnehmenden der Primärstudien (vgl. Auswahlkriterien oben) fehlen in allen Übersichten nähere Informationen über die geförderten lesebeeinträchtigten Kinder oder Jugendlichen (z. B. kognitivsprachliche Voraussetzungen, allgemeines Leseniveau, Art der Flüssigkeitsdefizite). In der Regel sind auch die Angaben zu den evaluierten Interventionen knapp gehalten. Wiederholtes Lesen spielt in allen Übersichten eine dominante Rolle. Bei Therrien (2004) wurden ausschließlich Studien zu Varianten dieser Methode analysiert; Chard u. a. (2002) VHN 3/ 2010 233 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit berücksichtigten vorwiegend Arbeiten zum wiederholten Lesen, zusätzlich auch einzelne Arbeiten zur Einzelwortverarbeitung. Anderweitige bzw. nicht-repetitive Lautleseverfahren wurden offenbar nur in einzelnen Primärstudien bei Scammacca u. a. (2007) evaluiert. Die Angaben hinsichtlich statistischer Datenanalyse und Ergebniszusammenfassung sind in allen Publikationen weder ausführlich noch vollständig. Laut vorliegenden Informationen wurden gleiche oder ähnliche Verfahren zur Berechnung von Effektgrößen aufgrund gruppenbezogener Statistiken eingesetzt, die jeweils nach Cohen (1988) interpretiert wurden. Nur Scammacca u. a. (2007) explizierten das gewählte Auswertungsmodell (Zufallseffekt). In keiner der Übersichtsarbeiten finden sich Hinweise auf Heterogenitätstests und Sensitivitätsanalysen zur Überprüfung der Ergebnisrobustheit; es ist daher anzunehmen, dass solche Zusatzauswertungen ausblieben. 3.4.2 Darstellung und Synthese der metaanalytischen Befunde und Praxisimplikationen Tabelle 2 enthält die extrahierten Befunde (mit aggregierten Effektstärken) der Übersichtsarbeiten zur Wirksamkeit von Lautleseverfahren bei Kindern und Jugendlichen mit Lernbeeinträchtigungen. Verdichtet man die unterschiedlich detaillierten Ergebnisinformationen unter Einbezug der expliziten Schlussfolgerungen der jeweiligen Forschungsbeiträge, ergibt sich ein etwas uneinheitliches Bild: Die Arbeiten von Chard u. a. (2002) und Therrien (2004) bestätigen auch für lernbehinderte Schüler und Schülerinnen die grundsätzliche Effektivität der am häufigsten evaluierten Methode des (unterstützten) wiederholten Lesens - und weisen somit in dieselbe Richtung wie die Befunde des National Reading Panels (2000) für schwache Leser (vgl. Kap. 2). Für Aspekte der Leseflüssigkeit (Genauigkeit, Tempo) resultierten - je nach Operationalisierung - mäßige bis hohe Effektstärken, für das Leseverstehen waren die Effekte schwächer, d. h. gering bis moderat. Laut der Übersichtsarbeit von Therrien (2004) kann wiederholtes Lesen mit Unterstützung effektiv genutzt werden, um fließendes Lesen und adäquates Verstehen von spezifischen Texten (Nichttransfer) wie auch von neuem Textmaterial (Transfer) zu verbessern. Die Effekte von verschiedenen Interventionskomponenten hängen vom Ziel ab: Sollen sich lernbeeinträchtigte Personen beim Lesen von Übungstexten verbessern, so sind kombinierte Hinweise der Förderperson auf Lesetempo und Verstehen hilfreich. Zudem wird der Text vorteilhaft dreibis viermal nacheinander gelesen. Zielt die Intervention hingegen darauf ab, Flüssigkeit und Verstehen beim Lesen von nicht bekannten Passagen zu erhöhen, erweisen sich die folgenden unterstützenden Komponenten als wichtig: Erwachsene als Modell/ Zuhörer, korrektive Feedbacks und Lesepraxis bis zur Erreichung eines gesetzten Performanzkriteriums (z. B. korrekt gelesene Wörter pro Minute). Zu konvergierenden Befunden und Praxishinweisen für die Durchführung des wiederholten Lesens gelangten Chard u. a. (2002): So erhöhen sich die Effekte auch gemäß dieser Übersicht, wenn Texte mehrmals gelesen werden, und Interventionen mit Erwachsenen, die hilfreiche Modelle, Hinweise und/ oder Feedbacks geben, bewirken günstigere Ergebnisse als die Beteiligung von Peers an der Förderung. In Übereinstimmung mit Therrien (2004) verweisen die Befunde von Chard u. a. (2002) schließlich auf Vorteile des (unterstützten) wiederholten Lesens in Kombination mit Instruktionen zum Leseverstehen. Weniger beeindruckend sind die Ergebnisse von Scammacca u. a. (2007). Gemäß deren Übersichtsarbeit haben Lautleseverfahren bei lernbzw. lesebeeinträchtigten Jugendlichen - je nachdem, ob standardisierte oder nicht-standardisierte Maße herangezogen werden - vernachlässigbare bis geringe Auswirkungen auf die allgemeine Lesekompetenz und auf das Leseverstehen im Speziellen. Entsprechend wer- VHN 3/ 2010 234 Erich Hartmann Autoren Jahr Ergebnisse Chard u. a. (2002) n WL ohne Modell hat moderate Effekte auf Flüssigkeit (Geschwindigkeit, Genauigkeit) (ES = .68; n = 21; N = 128) n WL mit Erwachsenenmodell hat mäßige Effekte auf Lesegenauigkeit (ES = .46 - .57; N = 40) und geringe Effekte auf Leseverstehen (ES = .25 - .34; N = 40) n WL bzw. gestütztes Lesen mit Peers hat geringe Effekte auf Flüssigkeit (ES = .10; N = 22 bzw. ES = 1.7; N = 23 ) und Verstehen (ES = .01; N = 22; bzw. ES = .04; N = 23) n WL kombiniert mit anderen Instruktionen (Partnerlesen, Verstehen) hat moderate bis hohe Effekte auf Flüssigkeit (ES = .71; n = 4; N = 48) n WL auf dem Instruktionsniveau (50 - 100 Wörter/ Minute) übertrifft WL von Mastery-Texten (> 100 Wörter/ Minute) bezüglich Lesegenauigkeit (ES = .61; N = 17); hingen sind Mastery-Texte für Lesegeschwindigkeit wirksamer (ES = 1.57; N = 8) n Beide Schwierigkeitsniveaus (Mastery-Texte vs. Instruktionstexte) haben vergleichbare Effekte auf Verstehen (ES = .34 für 1x Lesen bzw. ES = .78 für 3 x Lesen) n 3 x Lesen eines Textes begünstigt Flüssigkeit (ES = 2.70; N = 25) und Verstehen (ES = 1.67; N = 25) stärker als einmaliges Lesen Therrien (2004) Kombinierte Maße n WL hat mäßige bis hohe Effekte auf Flüssigkeit (ES = .77; n = 9) und moderate Effekte auf Verstehen (ES = .59; n = 6) Nichttransfermaße n Effekte sind mittel bis groß für Flüssigkeit (ES = .75; n = 4) und Verstehen (ES = .73; n = 4) n WL mit Flüssigkeitshinweisen hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .72; n = 2) und Verstehen (ES = .66; n = 2) n WL mit Hinweisen zum Verstehen hat hohe Effekte auf Flüssigkeit (ES = .81; n = 8) und mäßige Effekte auf Verstehen (ES = .75; n = 6) n WL mit kombinierten Hinweisen hat große Effekte auf Flüssigkeit (ES = .94; n = 3) und mäßige Effekte auf Verstehen (ES = .67; n = 3) n WL mit korrektiven Feedbacks hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .68; n = 3), ohne Feedbacks resultieren hohe Effekte (ES = .88; n = 13) n 4 x Lesen hat einen höheren Effekt auf Flüssigkeit (ES = .95; n = 3) als 3 x Lesen (ES = .85; n = 10); 2 x Lesen hat moderate Effekte (ES = .57; n = 2); 4 x Lesen hat höhere Effekte auf Verstehen (ES = .71; n = 2) als 3 x Lesen (ES = .66; n = 10) Transfermaße: n WL hat mäßige bis hohe Effekte auf Flüssigkeit (ES = .79; n = 5) und mäßige Effekte auf Verstehen (ES = .41; n = 2) n Effekte sind deutlich höher, wenn Erwachsene die Intervention durchführen (Flüssigkeit ES = 1.37; n = 5; Verstehen: ES = .71; n = 2) statt Peers (Flüssigkeit ES = .36; n = 10; Verstehen ES = .22; n = 9) n WL mit vorgängigem Modell hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .40; n = 6) und geringe Effekte auf Verstehen (ES = .10; n = 5) n WL ohne Modell hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .30; n = 4) und Verstehen (ES = .45; n = 4) n WL ohne Feedbacks hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .46; n = 2) und Verstehen (ES = .52; n = 2) n WL mit korrektiven Feedbacks hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .51; n = 14) und geringere Effekte auf Verstehen (ES = .23; n = 9) n WL mit fixer Anzahl von Wiederholungen hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .38; n = 11); Effektstärke für Lesen mit Performanzkriterium ist deutlich höher (ES = 1.70; n = 5) n Bei fixen Wiederholungen ist 2 x Lesen hinsichtlich Flüssigkeit weniger wirksam (ES = .37; n = ohne Angaben) als 3 x Lesen (ES = .42; n = ohne Angabe); 2 x Lesen hat unbedeutenden Effekt (ES = .03; n = ohne Angaben) auf Verstehen, 3 x Lesen mäßige Effekte (ES = .49; n = ohne Angaben) n WL mit Verstehenskomponente hat mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .39; n = 6) und Verstehen (ES = .28; n = 6); ohne Verstehenskomponente sind die Effekte geringer (Flüssigkeit ES = .33; n = 4; Verstehen ES = .14; n = 3) n Grafisches Darstellen des Fortschritts hat moderate Effekte auf Flüssigkeit (ES = .57; n = 9) und geringe Effekte auf Verstehen (ES = .11; n = 5); ohne Darstellung resultieren mäßige Effekte auf Flüssigkeit (ES = .40; n = 7) und Verstehen (ES = .44; n = 6) Scammacca u. a. (2007) n Leseflüssigkeits-Interventionen bzw. WL haben geringe bzw. unbedeutende Effekte auf Lesefertigkeiten insgesamt (alle Maße: ES = .26; standardisierte Maße: ES = .04) n Effekte auf das Leseverstehen sind ebenfalls gering (alle Maße: ES = .26) bzw. unbedeutend (standardisierte Maße: ES = - .07) WL: Wiederholtes Lesen ES: Effektstärke N: Anzahl Probanden n: Anzahl Effektstärken/ Studien Tabelle 2: Ergebnisse der systematischen Übersichtsarbeiten zu Lautleseverfahren VHN 3/ 2010 235 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit den auch keine spezifischen Empfehlungen zum Einsatz des wiederholten Lesens oder von anderen Lautleseverfahren bei dieser Personengruppe formuliert, während die Autoren die Wichtigkeit und die Effektivität von guten Interventionen zu anderen Bereichen der Lesefertigkeit betonen (u. a. Übungen zum Einzelwortlesen, Wortschatzarbeit, Vermittlung von Verstehensstrategien). 3.5 Diskussion Den erläuterten Befunden ist zunächst einschränkend anzumerken, dass alle Übersichtsarbeiten nur Primärstudien mit englischsprachigen Probanden ausgewertet haben. Somit bleibt offen, ob ähnliche Effekte von Lautleseverfahren auch bei lernbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen erwartet werden können, die in anderen (komplexen und einfachen) Orthografien individuelle Probleme mit dem Lesenlernen bzw. der Leseflüssigkeit bekunden. Zudem beziehen sich die Resultate lediglich auf Kurzzeiteffekte, wurde in den Forschungssynthesen doch durchgängig ein Mangel an Studien festgestellt, die längerfristige Auswirkungen von Förderverfahren evaluierten. Bezüglich Leseflüssigkeit als Interventionsziel fällt auf, dass die ermittelten Effektstärken ausschließlich die Merkmale Lesegenauigkeit und Lesetempo betreffen; Auswirkungen auf die prosodische Komponente der Leseflüssigkeit bleiben unbeachtet. Die (Teil-)Ergebnisse der Reviews zu verschiedenen Varianten von Lautleseverfahren haben ferner eine eher schmale empirische Basis, wie die jeweiligen Angaben zur Anzahl ausgewerteter Studien/ Effektstärken deutlich machen. Kritisch zu betrachten bleibt insbesondere die Design-Qualität der Originalstudien, die in den Arbeiten von Chard u. a. (2002) und Therrien (2004) nicht durchgängig befriedigt: Abgesehen von Studien ohne Kontrollgruppe(n) wurden hauptsächlich nicht-randomisierte Untersuchungen ausgewertet. Effektivitätsstudien ohne Randomisierung bzw. mit schwachem Design begünstigen eine Überschätzung von Effekten und müssen daher mit Vorbehalt interpretiert werden (z. B. Ioannidis u. a. 2001; Kunz u. a. 2003). Schließlich ist aufgrund der oben angesprochenen Publikationsverzerrung - es wurden nur publizierte Studien meta-analysiert - zusätzlich mit einer systematischen positiven Verzerrung der Befunde zu rechnen, ein Problem, das in keiner Übersichtsarbeit gezielt untersucht wurde. Somit gibt es Gründe für die Annahme, dass die übereinstimmend positiven Bilanzen bei Chard u. a. (2002) und Therrien (2004) auf etwas überschätzten Effektstärken für Lautleseverfahren gründen. Vor diesem Hintergrund ist denn auch die Diskrepanz zur Arbeit von Scammacca u. a. (2007) zu erörtern. Diese Autoren meta-analysierten ausschließlich randomisierte Studien und kamen zum Schluss, Lautleseverfahren (u. a. wiederholtes Lesen) hätten keine bedeutsamen Effekte auf die Lesefertigkeit (v. a. Verstehen) von lernbeeinträchtigten Jugendlichen. Die im Vergleich zu Chard u. a. (2002) und Therrien (2004) weniger günstigen Effekte dürften nicht nur durch die angesprochenen Unterschiede in der methodischen Qualität der Primärstudien bedingt sein. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Arbeit von Scammacca u. a. (2007) Daten von Jugendlichen zugrunde liegen, während Chard u. a. (2002) und Therrien (2004) hauptsächlich Studien mit Probanden der Primar- und Elementarstufe synthetisierten. Obgleich der genaue Einfluss des Altersfaktors auf die Wirksamkeit von Lautleseverfahren nicht bestimmt werden kann, verweist die vorliegende Evidenz auf eine Effektabschwächung im Jugendalter. Mit Blick auf das Leseverstehen ist dies wenig erstaunlich, verringert sich doch mit der Zeit der begünstigende Einfluss des fließenden Lesens auf das Verstehen von Texten, die ab der Mittelstufe komplexer werden. Demgegenüber gewinnen linguistische und (meta-)kognitive Kompetenzen an Bedeutung (Paris u. a. 2005), Bereiche, in denen lernbehinderte Jugendliche oft auch indi- VHN 3/ 2010 236 Erich Hartmann viduelle Defizite aufweisen (z. B. Biancarosa u. a. 2007). Deshalb erscheint die Feststellung von Scammacca u. a. (2007) schlüssig, dass Interventionen zur Leseflüssigkeit für sich nicht ausreichend für die Verbesserung des Leseverstehens seien; sie sollten vielmehr durch anderweitige Fördermaßnahmen zu Bereichen wie Wortschatz und Verstehensstrategien ergänzt werden. Allerdings wurden auch in der Übersichtsarbeit von Scammacca u. a. (2007) vorwiegend Studien zum wiederholten Lesen synthetisiert. Ob nicht-repetitive Lautleseverfahren bei leseschwachen Jugendlichen günstigere Effekte zeigen, bleibt empirisch zu klären. Diese Frage ist insofern berechtigt, als zumindest der einseitige Einsatz des wiederholten Lesens von Texten bei älteren Lesern verschiedene Nachteile haben könnte: Durch den abermaligen Umgang mit den gleichen Texten ergeben sich etwa eingeschränkte Erfahrungen mit verschiedenen Textstrukturen und -themen, reduzierte Gelegenheiten zum Erwerb von Wortbedeutungen im Kontext des Lesens, negative Effekte auf Lesemotivation und -interesse. Aus diesen Gründen sollten Lehrpersonen beim aktuellen Forschungsstand sorgfältig erwägen, welche Formen von Lautleseverfahren mit welcher Gewichtung bei älteren Schülerinnen und Schülern sinnvollerweise einzusetzen sind, um bedeutsame individuelle Lesefortschritte erzielen zu können (Wexler u. a. 2008). 4 Forschungsausblick Wie diese Synopse aufgezeigt hat, beschäftigt sich vorwiegend die angloamerikanische Forschung seit etwa 30 Jahren mit der Frage der Effektivität von Förderverfahren zum Bereich der Leseflüssigkeit. Obwohl seit der Veröffentlichung des National Reading Panels (2000) mehrere meta-analytische Übersichten dazugekommen sind, die spezifisch auf lernbeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler fokussieren, ist der entsprechende wissenschaftliche Kenntnisstand nach wie vor unvollständig. Alle berücksichtigten Arbeiten unterstreichen denn auch die Notwendigkeit weiterführender Forschung zur Bestimmung der differenziellen Wirksamkeit von verschiedenen Lautleseverfahren speziell bei Kindern und Jugendlichen mit Lernproblemen. Ziel der wissenschaftlichen Bemühungen muss es sein, vermehrt auch Methoden und Methodenkombinationen zu evaluieren, über welche die rezipierten Forschungsbeiträge keine Auskunft geben. Hier sind etwa die in der didaktischen Literatur empfohlenen Förderverfahren für den Klasseneinsatz (Lesetheater, Radio-Lesen u. a.) angesprochen (vgl. Kap. 2). Auch bezüglich der am häufigsten untersuchten Methode des (unterstützten) wiederholten Lesens besteht weiterer Forschungsbedarf. Trotz erzielter Wissensfortschritte ist noch recht wenig darüber bekannt, welche spezifischen Merkmale (Komponenten) dieses bewährten Verfahrens - u. a. Textmaterial, Art und Ausmaß der Unterstützung, Dauer, Intensität - die Effekte auf verschiedene Aspekte der Lesekompetenz optimieren. Weitgehend ungeklärt ist schließlich der Einfluss individueller Variablen (u. a. kognitiv-sprachliche Voraussetzungen, Art und Ausmaß der Flüssigkeitsprobleme, allgemeines Leseniveau) auf den Erfolg von solchen (und anderen) Fördermaßnahmen zur Leseflüssigkeit bei jüngeren und älteren Personen mit Lernbeeinträchtigungen. Zur zuverlässigen Klärung solcher Fragen - und somit zur Verfeinerung unseres Wissens über effektive Interventionen - sind mehr qualitativ hoch stehende Studien erforderlich, die gemäß dieser Synopse noch nicht sehr häufig anzutreffen sind. Über kurzfristige Auswirkungen hinaus sind zukünftig vermehrt auch Langzeiteffekte von verschiedenen Verfahren bzw. Methodenkombinationen zu eruieren. Schließlich basiert der skizzierte Forschungsstand auf englischsprachigen Arbeiten. Es bleibt daher unklar, inwieweit die gewonnenen Befunde Gültigkeit beanspruchen können für lernbeeinträchtigte Leser in transparenteren Schriftsprachen wie z. B. Deutsch. Damit eröffnet sich auch für die hiesige Heil- und Sonderpädagogik ein interessantes Forschungsfeld. VHN 3/ 2010 237 Wirksamkeit von Interventionen zur Leseflüssigkeit Literatur Allington, R. L. (2001): What really matters for struggling readers. Designing research-based programs. New York: Longman Becker, B. J. (1988): Synthesizing standardized mean-change measure. In: British Journal of Mathematical and Statistical Psychology 41, 257 - 278 Biancarosa, G.; Palinscar, A. S.; Deshler, D. D.; Nair, M. (2007): Adolescent literacy: myths and realities. In: Deshler, D. D.; Palinscar, A. S.; Biancarosa, G.; Nair, M. (eds.): Informed choices for struggling adolescent readers. 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