Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2010.art12d
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Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen
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Alexander Wettstein
Unterrichtsstörungen sind ein Risikofaktor für Schüler und eine große Belastung für Lehrpersonen. Wie können Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützt werden? Viele Interventionsmodelle basieren auf einseitiger, situationslosgelöster Wissensvermittlung. Dadurch können Wissensbestände oft nur ungenügend in die eigene Unterrichtspraxis übertragen werden. Der Autor stellt ein speziell entwickeltes pädagogisch-didaktisches Coaching vor, bei dem Experten gemeinsam mit Lehrpersonen vor Ort lösungsorientierte Strategien zur Verminderung von Unterrichtsstörungen erarbeiten. Das Coaching wurde bisher in vier Feldstudien erprobt. Eine erste Studie fokussierte auf die Interaktionsprozesse zwischen Coaches und Lehrpersonen und ging der Frage nach, inwieweit die Coachingstrategien tatsächlich dem Anspruch der gemeinsam verantworteten Unterrichtsgestaltung genügen. In einer zweiten Studie wurden die Effekte des Coachings auf die Prävention von Unterrichtsstörungen geprüft. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass der Anspruch einer ko-konstruktiven gemeinsamen Unterrichtsgestaltung erfüllt wurde. Die Auswirkungen des pädagogisch-didaktischen Coachings auf die Reduktion von Unterrichtsstörungen sind ermutigend.
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Fachbeitrag 145 VHN, 79. Jg., S. 145 - 157 (2010) DOI 10.2378/ vhn2010.art12d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen Ein pädagogisch-didaktisches Coaching zur Prävention von Unterrichtsstörungen Alexander Wettstein Pädagogische Hochschule Bern n Zusammenfassung: Unterrichtsstörungen sind ein Risikofaktor für Schüler und eine große Belastung für Lehrpersonen. Wie können Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützt werden? Viele Interventionsmodelle basieren auf einseitiger, situationslosgelöster Wissensvermittlung. Dadurch können Wissensbestände oft nur ungenügend in die eigene Unterrichtspraxis übertragen werden. Der Autor stellt ein speziell entwickeltes pädagogisch-didaktisches Coaching vor, bei dem Experten gemeinsam mit Lehrpersonen vor Ort lösungsorientierte Strategien zur Verminderung von Unterrichtsstörungen erarbeiten. Das Coaching wurde bisher in vier Feldstudien erprobt. Eine erste Studie fokussierte auf die Interaktionsprozesse zwischen Coaches und Lehrpersonen und ging der Frage nach, inwieweit die Coachingstrategien tatsächlich dem Anspruch der gemeinsam verantworteten Unterrichtsgestaltung genügen. In einer zweiten Studie wurden die Effekte des Coachings auf die Prävention von Unterrichtsstörungen geprüft. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass der Anspruch einer ko-konstruktiven gemeinsamen Unterrichtsgestaltung erfüllt wurde. Die Auswirkungen des pädagogisch-didaktischen Coachings auf die Reduktion von Unterrichtsstörungen sind ermutigend. Schlüsselbegriffe: Unterrichtsstörungen, Prävention, Aggression, Didaktik, Coaching Teachers’ Support in Problematic Classroom Situations A Pedagogic-Didactic Coaching for the Prevention of Classroom Disruptions n Summary: Classroom disruptions are a risk factor for students and a heavy burden for teachers. How can teachers be assisted in problematic tuition situations? Most intervention models are based on a unidirectional transfer of theoretical knowledge, that can only partially and insufficiently be adapted to the classroom situation. In his article, the author presents a pedagogic-didactic coaching that aims at reducing classroom disruptions on a basis of cooperation between teachers and experts. The coaching has been field-tested in four different studies. A first study scrutinised the interaction processes between coaches and teachers. How far do the coaching strategies actually meet the requirements of the conjunctly designed lesson plans? A second study verified the effects of coaching on the prevention of classroom disruptions. First results show that a co-constructivist teaching seems to be effective and that the consequences of a pedagogic-didactic coaching are encouraging. Keywords: Classroom disruptions, coaching, prevention, aggression, didactics 1 Unterrichtsstörungen als Belastung Unterrichtsstörungen stellen einen Risikofaktor für Schülerinnen und Schüler und eine große Belastung für Lehrpersonen dar. Lehrpersonen nennen Störungen des Unterrichts als vordringliche berufliche Belastungsfaktoren (Lambert 2002). Solche Störungen werden im Folgenden vor dem Hintergrund einer systemisch-konstruktivistischen Perspektive als relationales Geschehen definiert (vgl. Winkel 2005, 29). ‚Unterrichtsstörung‘ ist demnach ein Be- VHN 2/ 2010 146 Alexander Wettstein griff, der sich auf Interaktionen von Lehrperson und Schüler im Rahmen des Lehr-Lernprozesses bezieht. Gemäß dieser Auffassung liegt eine Störung dann vor, wenn der Lehr-Lern- Prozess in Bezug auf die Zielsetzungen des Unterrichts dysfunktional wird, d. h. wenn das Geschehen im Unterricht verhindert, die durch den Lehrplan vorgegebenen Ziele zu erreichen. Mit dieser Definition von Unterrichtsstörung, welche über eine rein personenbezogene Definition hinausgeht, sollen vorschnelle monokausale Erklärungen und persönliche Schuldzuschreibungen vermieden werden. Im Rahmen eines Forschungsprojektes der PH Bern wurde ein pädagogisch-didaktisches Coaching zur Prävention von Unterrichtsstörungen entwickelt und in vier explorativen Feldstudien getestet. Dabei stand die Frage im Vordergrund, wie Experten Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen können. 2 Intervention im Spannungsfeld einseitiger Wissensvermittlung und Ko-Konstruktivität Die traditionelle Lehrerbildung wurde in den letzten Jahren zunehmend kritisiert. Im Zentrum der Kritik stehen die fehlende Kohärenz des Angebots im Hinblick auf Curricula und Unterrichtsstandards, die oft beklagte Praxisferne und die fehlende Situierung im Arbeitskontext der Lehrpersonen sowie die geringe Wirksamkeit von Fortbildung als reine Wissensvermittlung ohne Nachbetreuung (vgl. Hawley/ Valli 1999; Huberman 1995; Joyce/ Showers 1995; Messner/ Reusser 2000; Putnam/ Borko 2000; Thompson/ Zeuli 1999; Wilson/ Berne 1999). Unterrichten ist eine komplexe Gestaltungsprofession (Schön 1983; Wiggins/ McTighe 1998), welche kein starres Vorgehen, sondern eine gelungene Orchestrierung diverser didaktischer und pädagogischer Strategien voraussetzt. Das Professionswissen von Lehrpersonen ist erfahrungsgebunden, handlungsorientiert und situationsspezifisch organisiert (Bromme 1992; Leinhardt 1993). Eine erfolgreiche Unterstützung von Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen erfordert deshalb die Berücksichtigung situationaler und personaler Aspekte des jeweilig spezifischen Unterrichtskontextes. 2.1 Das Konzept des fachspezifischpädagogischen Coachings In traditionellen Lehrerweiterbildungsmodellen wird Theoriewissen außerhalb der eigentlichen Schulsituation vermittelt. Im Modell des fachspezifisch-pädagogischen Coachings (Staub 2001) geht die Rolle des Experten über eine allgemeine Prozessberatung hinaus. Der Coach beteiligt sich an der Planung, Durchführung und Reflexion des Unterrichts und übernimmt Mitverantwortung für den Lehr-Lern-Prozess. Dem begleitenden Coach kommt dabei eine Schlüsselrolle in der Vermittlung von Theorie und Praxis zu. Er verfügt über eine fundierte Fachausbildung und profunde Unterrichtskenntnisse. Er unterstützt die Lehrpersonen in der Unterrichtsplanung, im Unterricht und bei der Unterrichtsreflexion von Lektionen. Exemplarische Fallbeispiele für diese Art von Coaching sind in West und Staub (2003) beschrieben und anhand von Videoaufnahmen veranschaulicht. Im Gegensatz zu den in der Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen oft dominierenden Lektionsnachbesprechungen kommt der Unterrichtsvorbesprechung eine ebenso grundlegende Bedeutung zu. Der Coach übernimmt zudem auch im Unterricht eine meist sehr aktive Rolle. Die Ausgestaltung der Zusammenarbeit berücksichtigt die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lehrperson und verändert sich im Laufe der Zeit. Die Unterrichtsvorbesprechung spielt eine zentrale Rolle. Sie dient Lehrperson und Coach zur Verständigung über Lektionsziele, Lektionsplan sowie Gestaltungsüberlegungen. Diese Vorbesprechungen sind Teil eines kooperativen Settings, in welchem der Coach Mitverantwortung für die Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht übernimmt. Dieses Element der Mitverantwortung steht in Kontrast VHN 2/ 2010 147 Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen zu den in der heutigen Praxis verbreiteten Formen der Unterstützung von Lehrpersonen, deren Hauptfokus auf der Wissensvermittlung oder der retrospektiven Unterrichtsreflexion liegt. Bei der gemeinsamen Vorbereitung bringen sowohl die Lehrkraft wie der Coach ihr Wissen und ihre Überlegungen ein. Meist verfügt die Lehrperson schon über einen Unterrichtsentwurf, der zur Grundlage des Lektionsplanes wird. Aber auch der Coach kann einen mehr oder weniger ausgearbeiteten Unterrichtsplan in die Besprechung einbringen. Wesentlich ist, dass eine Einigung auf einen gemeinsam verantworteten Lektionsplan erfolgt. Die Rolle des Coaches beschränkt sich somit nicht darauf, den Unterricht der Lehrperson erst im Nachhinein zu reflektieren. Er beteiligt sich vielmehr als ein für das Lernen der Schüler mitverantwortlicher Partner schon während der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung am Lehrprozess. Damit kann der Coach sein Wissen für die Gestaltung des Unterrichts einbringen. Die Vorbesprechung im kooperativen Setting des fachspezifisch-pädagogischen Coachings erhöht die Wahrscheinlichkeit ko-konstruktiver Problemlösungen zur Gestaltung von Unterricht (Staub 2004; Kollaart 2006). Die Evaluation ausführlicher und mitverantwortlich geführter Unterrichtsvorbesprechungen im Rahmen des ersten Jahres der Grundausbildung von Grundschullehrpersonen zeigte sowohl vonseiten der Studierenden wie auch vonseiten der Praxislehrpersonen positive Einschätzungen des Nutzens für den Erwerb professioneller Handlungskompetenzen (Futter 2005). 2.2 Ko-Konstruktivität in Coachingsitzungen Das gemeinsam verantwortete Lösen von Gestaltungsproblemen ist ein dialogischer Prozess. Im Coaching beschränkt sich die Aufgabe des Coachs nicht auf eine Prozessberatung. Von ihm wird vielmehr erwartet, dass er auch substanzielle Hilfestellungen und Vorschläge einbringt, beispielsweise indem er Unterrichtsmaterialien oder Lektionselemente vorschlägt. Der Coach sucht dies aber auf eine Weise zu tun, welche auf die Lehrperson abgestimmt ist und diese mit ihrem Wissen, ihren Überzeugungen und in ihrem Denken ernst nimmt. Der Coach unterstützt sie darin, eigene Vorschläge, Begründungen und Sichtweisen einzubringen. Nur auf dieser Grundlage kann der Coach adaptiv und situationsspezifisch auf die Lernbedürfnisse und Lernerfordernisse der Lehrperson eingehen. Coaching, das auf gemeinsam verantworteten Unterricht abzielt, ist anspruchsvoll. Es gilt, zwischen aktivem Zuhören einerseits und dem Einbringen von Deutungen, Gestaltungsvorschlägen und Erklärungen andererseits immer wieder ein optimales Gleichgewicht zu finden. Ein Coach hat dabei gleichzeitig zwei Hauptziele zu verfolgen und in Einklang zu bringen: Einerseits geht es um die optimale Förderung der Schüler, indem der Coach mit Bezug auf die gemeinsam verantworteten Lektionen die Lehrperson unterstützt und so dazu beiträgt, für die Schüler möglichst lernfördernde Lektionen zu gestalten. Andererseits soll durch den gemeinsam gestalteten Unterricht und die dabei entstehenden Gespräche die Entwicklung der Unterrichtskompetenz der Lehrperson gefördert werden. Es geht darum, eine der jeweiligen Lehrperson angepasste Balance zu finden. Staub, West und Bickel (2003, 14ff ) unterscheiden zwei Strategien zur Sensibilisierung für die Gestaltung von ko-konstruktiven Gesprächen. (1) Initiieren: Mittels Fragen, Aussagen, aktivem Zuhören werden die Lehrpersonen aufgefordert, eigene Beobachtungen, Pläne, Überlegungen und Argumente einzubringen; (2) Unterstützen: Durch substanzielle Gesprächsbeiträge wird die Lehrperson in der Lektionsgestaltung aktiv unterstützt. Eine ko-konstruktive Gesprächsform wirkt sich positiv auf den Lernerfolg aus. Lügstenmann (2004) hat bei der Untersuchung von Unterrichtsbesprechungen in Lehrpraktika nachgewiesen, dass Lehrerstudierende dialogisch konstruierte Ideen auch einen Tag nach dem Gespräch signifikant häufiger abrufen können als monologisch eingebrachte Ideen. VHN 2/ 2010 148 Alexander Wettstein 2.3 Das MERID Modell Hennissen u. a. (2008) haben mit dem MERID Modell einen konzeptuellen Rahmen zur empirischen Untersuchung von Coachingverhalten entwickelt. Das MERID Modell basiert auf zwei Dimensionen: Die vertikale Achse kennzeichnet die Themeninitiative des Coaches. Wie verhält sich die Anzahl der durch den Coach eingebrachten Themen zu jener der Lehrperson? Die horizontale Achse kennzeichnet das Ausmaß an Direktivität in der Gesprächsführung des Coaches. Aus den Dimensionen Themeninitiative und Direktivität lassen sich vier Coachingstile ableiten: initiieren, herrschen, ermutigen, Rat geben. 3 Die Entwicklung eines pädagogischdidaktischen Coachings zur Prävention von Unterrichtsstörungen Wettstein und Thommen (2007) haben das Konzept des fachspezifisch-pädagogischen Coachings erfolgreich auf die Prävention von Unterrichtsstörungen übertragen. Das pädagogisch-didaktische Coaching unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Formen der Einzelberatung. Das Coaching wird dort durchgeführt, wo die Probleme auftreten: im Schulalltag der Lehrperson. Unterrichtssequenzen werden videografiert. Lehrpersonen und Coach besprechen den Unterricht gemeinsam und führen (z.T. aufgrund von Videoaufnahmen) eine Nachbesprechung des Unterrichts durch. Dieses Vorgehen ermöglicht eine individualisierte und situationsspezifische Unterstützung der Lehrperson vor Ort. Der Ablauf der Intervention orientiert sich am Modell des pädagogisch-fachspezifischen Coachings von Staub (2001; 2004) sowie West und Staub (2003). Die Intervention erfolgt in drei Schritten: 1. Vorbereitung: Der Coach lokalisiert zusammen mit der Lehrperson chronifizierte maladaptive Interaktionsmuster und erfragt dazu die entsprechenden Deutungen der Lehrperson. Er versucht durch Rückfragen, eigene Beobachtungen und alternative Deutungen, Handlungsalternativen einzubringen. Das häufig festgefahrene Interaktionssystem Lehrer - Schüler - Klasse wird durch eine Person mit einer Außenperspektive und profundem Fachwissen erweitert. Die Lehrperson entscheidet, welche Maßnahmen sie umsetzen möchte. Die Maßnahmen werden auf einer möglichst konkreten, situationsspezifischen Verhaltensebene formuliert. 2. Umsetzung: Im Gegensatz zum fachspezifischpädagogischen Coaching ist der Coach während des Unterrichts nicht anwesend. Die Lehrperson setzt die Maßnahmen in ihrem Unterricht selbstständig um. Abb. 1: Das MERID Modell VHN 2/ 2010 149 Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen 3. Auswertung: Die Interventionen und die dabei gemachten Erfahrungen der Lehrperson werden (teilweise anhand der Videoaufnahmen) gemeinsam ausgewertet. Die Innenperspektive der Lehrperson, ihre Absichten, Ziele und Handlungspläne spielen dabei eine zentrale Rolle. Je nach Erfolg der Intervention, der Resistenz des Problems und den zur Verfügung stehenden Ressourcen für das Coaching kann dieser Drei-Schritt-Zyklus mehrmals durchlaufen werden. Inhaltlich setzt die Intervention an zwei Hauptbereichen an. Im sozial-interaktionalen Bereich der Klassenführung werden Vorgehensweisen der lösungs- und ressourcenorientierten Kurztherapie (Schlippe/ Schweitzer 1998; Shazer 1989; Molnar/ Lindquist 2002) auf die Schule übertragen. Vor dem Hintergrund einer pragmatischen Zielsetzung werden nebst systemischen Ansätzen auch individuum-zentrierte Ansätze (zum Beispiel verhaltenstherapeutische Interventionen) nicht ausgeschlossen. Im didaktischen Bereich der Unterrichtsgestaltung stützt sich die Intervention vorwiegend auf allgemein-didaktische Wissensbestände und ein breites Verständnis von Klassenführung (Emmer u. a. 1994; Kounin 1976) (vgl. Tab. 1). 4 Die Erprobung des didaktischpädagogischen Coachings in vier Feldstudien 4.1 Fragestellungen Der Interventionsansatz wurde bisher in vier Klassensystemen erprobt. Dabei standen zwei Fragestellungen im Vordergrund: 1. Wie ko-konstruktiv sind die Coachingsitzungen tatsächlich? Gelingt es den Coaches, ein Gleichgewicht zwischen aktivem Zuhören und dem Einbringen von Gestaltungsvorschlägen zu finden? 2. Kann durch das Coaching eine Reduktion von Unterrichtsstörungen erreicht werden? 4.2 Forschungsdesign Die Dialoge von vier Coachingdiaden wurden während der Vor- und während der Nachbesprechung videografiert. Anschließend wurden die Aufnahmen mittels systematischer Verhaltensbeobachtung im Event-sampling-Verfahren kodiert. Die Beobachtungszeit betrug 16 Stunden. Die Effektprüfung des Coachings erfolgte in einem Prä-Post-Test-Design ohne Kontrollgruppe. Zur Erfassung der Baseline wurden im Prätest im Zeitraum von einer Woche stichpro- Sozial-interaktionaler Bereich Didaktischer Bereich Verhaltenstherapeutische Interventionen z. B. nach Petermann/ Petermann (2005) Veränderung der subjektiven Deutungen der Lehrperson. Techniken der Umdeutung nach Molnar/ Lindquist (2002). n Positive Konnotation des Motivs n Positive Konnotation der Funktion n Umdeuten Indirekte Beeinflussung des Problems Lokalisierung von Ausnahmen Paradoxe Interventionen Symptomverschreibungen Situative Kontextbedingungen n Veränderung räumlicher Anordnungen und zeitlicher Abläufe Gestaltung des Unterrichts n Einführung von Ritualen n Didaktische Analyse und zielorientierter Unterricht mit klar strukturiertem Unterrichtsaufbau n Schnelle Hinführung zu motivierenden Lerninhalten und Vermeidung von langen Wechselphasen n Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts Tab. 1: Interventionsbereiche VHN 2/ 2010 150 Alexander Wettstein benmäßig vier Lektionen der Lehrperson videografiert. Anschließend erfolgte über einen Zeitraum von fünf Wochen wöchentlich ein Coaching mit der Lehrperson. Die Interventionen und deren Effekte wurden wiederum über wöchentlich zwei videografierte Lektionen aufgezeichnet. Nach Abschluss der Intervention wurden im Posttest noch einmal stichprobenmäßig vier Lektionen untersucht. 5 Studie 1: Coachingprozesse unter der Lupe 5.1 Problemstellung In einer ersten Studie wurde untersucht, inwieweit das Coaching dem postulierten Anspruch der gemeinsam verantworteten Unterrichtsgestaltung gerecht wird. 5.2 Methode Stichproben Beide Coaches haben eine psychologische Grundausbildung absolviert und bilden Heilpädagogen/ innen aus. Coach A verfügt über eine mehrjährige Unterrichtserfahrung an Regel- und Sonderklassen und eine vergleichsweise kurze Erfahrung in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Coach B verfügt über eine langjährige Erfahrung in der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Coach A arbeitete mit zwei Sonderklassen zusammen. Die Sonderklasse 1 setzte sich aus sechs verhaltensauffälligen Schülern (davon ein Mädchen) im Alter von 7; 9 bis 12; 6 Jahren (M = 11; 2) zusammen und wurde von einer neuen Lehrerin ohne Sonderschulerfahrung geführt. Die Sonderklasse 2 wurde von einer heilpädagogisch ausgebildeten Lehrerin geführt und wurde von acht Jungen im Alter von14; 4 bis 16; 3 Jahren (M = 15; 2) besucht. Coach B arbeitete mit einer Kleinklasse und einer Sonderklasse. Die beiden Lehrerinnen der Kleinklasse 1 unterrichteten Schüler (davon vier Mädchen) im Alter von 9; 3 bis 12; 9 Jahren (M = 11; 6 Jahre). Während die Lehrerinnen weniger als zehn Jahre Berufserfahrung aufwiesen, wurde ein Lehrer in die Untersuchungen miteinbezogen, welcher seit über 35 Jahren an der Sonderklasse 3 unterrichtet. Seine Klasse setzte sich aus sieben Schülern im Alter von 13; 8 bis 16; 9 Jahren (M = 15; 0) zusammen. Erhebungsinstrumente Zur Analyse der Coachingprozesse wurde ein niedrig-inferentes Kodiersystem entwickelt. Dabei stützten wir uns teilweise auf die Kategorien des MERID Modells (Hennissen u. a. 2008) sowie auf eigene Entwicklungen (Wettstein/ Thommen 2007). a) Themen Wer bringt die Themen ein? Übernimmt der Coach die Themeninitiative oder reagiert er auf Themenvorschläge der Lehrperson? n Der Coach bringt ein Thema aktiv ein. n Die Lehrperson bringt ein Thema ein. b) Direktivität Unterstützt der Coach die Lehrperson non-direktiv darin, eigene Vorschläge, Begründungen und Sichtweisen einzubringen oder belehrt er die Lehrperson in direktiver Weise? n Direktiv: Der Coach lenkt, instruiert, belehrt, verordnet (z. B.: „Hier gibt es nur eine Möglichkeit, du musst die individuellen Lernziele anpassen“) n Non-direktiv: Der Coach hört aktiv zu, fragt nach, regt Reflexion der Lehrperson an (z. B.: „Mit welchen Mitteln könntest du dieses Problem angehen? “) c) Inhalte Bei welchen Inhalten setzt der Coach im Gespräch an? Wo spricht der Coach soziale Steuerungsprozesse bzw. methodisch-didaktische Fragen an? n Soziale Prozesse und Steuerung: Thematisierung von sozialen Interaktionsprozessen, losgelöst von Fragen des methodisch-didaktischen Settings. n Unterrichtsinhalte und Didaktik: Fragen des Unterrichtsaufbaus, der Individualisierung und Differenzierung. 5.3 Auswertung Zwei Beobachter, welche nicht an den Coachings beteiligt waren, kodierten 16 Coachingsitzungen mittels systematischer Verhaltensbeobachtung im Event-sampling-Verfahren. Zur Berechnung der Objektivität wurden 20 % des Datenmaterials von beiden Beobachtern kodiert. In einem ersten Schritt wurde die prozentuale Übereinstimmung zwischen den Beobachterurteilen berechnet. Anschließend wurde nach Cohen’s Kappa die zufällig erwartete Übereinstimmung korrigiert (vgl. Tab. 2). VHN 2/ 2010 151 Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen 5.4 Ergebnisse Im Coachingprozess gilt es, zwischen aktivem Zuhören einerseits und dem Einbringen von Deutungen, Gestaltungsvorschlägen und Erklärungen andererseits immer wieder ein optimales Gleichgewicht zu finden. Die Coachingprofile werden im MERID Modell (vgl. Hennissen u. a. 2008) durch die Koordinaten für die Dimensionen ‚Themeninitiative‘ und ‚Direktivität‘ und durch die Verbindung der vier resultierenden Punkte durch Geraden visualisiert (vgl. Abb. 2). Beide Coaches steuerten die Themen stark und können vorwiegend den Stilen Initiator und Herrscher zugeordnet werden. Auffallend ist, dass Coach B öfter direktiv kommunizierte als Coach A (vgl. Tab. 3). 1. Themen: Durchschnittlich wurden in einer einstündigen Coachingsitzung 7.32 Themen besprochen. In 81.25 % der Fälle brachte der Coach die Themen ein. Die differenziellen Effekte zwischen den Coachingdiaden waren gering. Kategorie Quantifizierung Unterkategorie Beobachterübereinstimmung in % Cohen’s Kappa 1. Thema Häufigkeit - Coach bringt Thema ein - Lehrperson bringt Thema ein 91.0 .82 2. Direktivität Dauer - Coach redet direktiv - Coach redet non-direktiv - Lehrperson redet - Keine verbale Kommunikation 89.9 .88 3. Inhalt Dauer - Didaktik - Soziale Prozesse - Keine verbale Kommunikation 93.1 .91 Total 91.3 .87 Tab. 2: Kategorien Coachingstile mit Objektivitätsangaben Abb. 2: Coachingstile zwischen Initiieren und Herrschen VHN 2/ 2010 152 Alexander Wettstein 2. Direktivität: In 52 % der Dauer kommunizierten die Coaches non-direktiv. Allerdings traten hier starke differenzielle Effekte auf. Coach A führte das Gespräch häufiger nondirektiv (61.84 %) als Coach B (44.32 %). Allerdings variierten beide Coaches ihren Gesprächsstil auch stark in Abhängigkeit von der eingeschätzten Veränderungsbereitschaft der jeweiligen Lehrperson. Coaches richteten sich häufiger in non-direktiver Weise (65.98 %) an die Lehrpersonen der SK 2 und SK 3, welchen sie eine eher geringere Veränderungsbereitschaft zuschrieben als den Lehrpersonen SK1 und KK1, deren Veränderungsbereitschaft sie als hoch einschätzten (43.84 %). 3. Inhalte: Lehrpersonen thematisieren Unterrichtsstörungen bevorzugt auf einer sozialinteraktionalen Ebene. Die Coaches versuchten, den schülerbezogenen Blick auf Störungen vermehrt hin zu Möglichkeiten veränderter Unterrichtsgestaltung zu lenken. In 74.56 % der Gesprächsdauer sprachen die Coaches didaktische Inhalte an. Soziale Prozesse wurden nur in 25.44 % der Dauer thematisiert. 4. Sprechdauer: Der Anteil an der gesamten Gesprächsdauer war bei den Lehrpersonen mit 64.45 % fast doppelt so hoch wie der Anteil der Coaches (35.55 %). In 16.90 % der Zeit erfolgen keine verbalen Äußerungen. 6 Studie 2: Auswirkungen des Coachings auf Unterrichtsstörungen 6.1 Problemstellung In einem weiteren Schritt wurde geprüft, ob durch das pädagogisch-didaktische Coaching eine Reduktion von Unterrichtsstörungen erreicht werden könne. Die Methoden und Ergebnisse werden hier in aller Kürze wiedergegeben. Interessierte Leser verweisen wir auf Wettstein u. a. (accepted). 6.2 Methode Erhebungsinstrumente Ausgehend von den eingangs genannten theoretischen Überlegungen zu Unterrichtsstörungen entwickelten wir ein niedrig-inferentes Kategoriensystem. Wir stützten uns dabei auf drei Indikatoren, welche sich reliabel aus der systematischen Verhaltensbeobachtung erschließen lassen: a) Aggressionsfrequenz der Klasse Mit dem Beobachtungssystem zur Analyse von aggressivem Verhalten in schulischen Settings BASYS (Wettstein 2008) wurde die Häufigkeit von sechs Formen aggressiven Verhaltens erfasst und auf Klassenebene aggregiert. b) Off-task-Verhalten ausgewählter Indexschüler Ziel des Unterrichts ist es, Lehr-Lern-Prozesse auszulösen und zu begleiten. Im gestörten Unterricht sind Lehr-Lern-Prozesse stark beeinträchtigt und Coach bringt Thema ein % Coach nondirektiv % Coach spricht über Lehrperson spricht % Effekt Coaching Faktor Didaktik % Soziales % Coach A SK 1 85 51.27 77.50 22.50 62.53 3.10 SK 2 86 75.64 37.50 62.50 61.16 3.20 Total 85.5 61.84 64.46 35.54 61.85 3.15 Coach B KK 1 69 36.4 86.58 13.42 55.04 2.26 SK 3 85 56.32 76.92 23.08 79.06 1.20 Total 77 44.32 81.54 18.46 67.05 1.73 Insgesamt 81.25 52.50 74.56 25.44 64.45 2.44 Tab. 3: Coachingstile VHN 2/ 2010 153 Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen teilweise sogar verunmöglicht. Als personenbezogener Indikator für gestörte Unterrichtsprozesse wurde das Arbeitsverhalten von zwei Indexschülern auf einer niedrig-inferenten Ebene mit der Dichotomie „On task“ vs. „Off task“ erfasst. Wir unterscheiden: n On-task-Verhalten, n Passives, nicht störendes Off-task-Verhalten und n Aktiv störende Formen des Off-task-Verhaltens. c) Verbale Äußerungen der Lehrperson Die Lehrperson kann im Unterricht lehr-lernstoffbezogene Inhalte ansprechen oder aber auf einer sozialen Steuerungsebene kommunizieren. Gelingt es der Lehrperson, im Lehr-Lern-Dialog zu bleiben oder gleitet die Kommunikation zunehmend in soziale Aushandlungen ab? Wir unterscheiden: n Lehr-lernbezogene verbale Äußerungen der Lehrperson erfolgen innerhalb eines inhaltsbezogenen Lehr-Lern-Dialoges (wissen/ nicht wissen) und dienen vordringlich der Vermittlung curriculumbezogenen Lernstoffs. n Steuerungsbezogene verbale Äußerungen der Lehrperson sind geprägt von Aushandlungen und dem Versuch, sich durchzusetzen. Regeln werden expliziert, durchgesetzt oder ausgehandelt (z. B.: „So aber nicht, jetzt hörst du aber auf zu schwatzen“) oder Macht- und Beziehungsstruk- Indikatoren gestörter Unterrichtsprozesse Prätest 4 Lektionen Intervention 5 Lektionen Posttest 4 Lektionen Coach A SK 1 Steuerungsbezogene Äußerungen der LP in % 6.59 2.35 3.59 Frequenz aggressiven Verhaltens der Klasse 4.00 1.40 0.66 Mittlere Dauer Off-task-Verhalten in % 23.67 33.91 16.95 SK 2 Steuerungsbezogene Äußerungen der LP in % 13.77 5.16 3.94 Frequenz aggressiven Verhaltens der Klasse 1 1 0.25 0.25 Mittlere Dauer Off-task-Verhalten in % 51.44 18.14 24.56 Coach B SK 3 Steuerungsbezogene Äußerungen der LP in % 0.78 0.14 0.98 Frequenz aggressiven Verhaltens der Klasse 1.00 0 0.5 Mittlere Dauer Off-task-Verhalten in % 24.62 18.57 30.47 KK 1 Steuerungsbezogene Äußerungen der LP in % 1.29 1.43 0.47 Frequenz aggressiven Verhaltens der Klasse 2.5 0.8 1 Mittlere Dauer Off-task-Verhalten in % 15.76 17.54 10.17 Tab. 4: Coachingerfolg Lektionsmittelwerte der prozentualen Dauer steuerungsbezogener verbaler Äußerungen der Lehrperson, der Frequenz des aggressiven Verhaltens der Klasse und der prozentualen Dauer des Off-task-Verhaltens ausgewählter Indexschüler vor, während und nach der Intervention VHN 2/ 2010 154 Alexander Wettstein turen explizit angesprochen, teilweise auch grundsätzlich infrage gestellt (z. B.: „Ich bin hier der Lehrer. Hier bestimme immer noch ich“). 6.3 Auswertung Die Häufigkeit aggressiven Verhaltens, die Dauer des Arbeitsverhaltens von zwei ausgewählten Indexschülern und die Dauer der verbalen Äußerungen der Lehrperson wurden mit systematischer Verhaltensbeobachtung im Event-sampling-Verfahren (vgl. Faßnacht 1995, 136ff ) kodiert. Zur Bestimmung der Interrater-Reliabilität wurden 10 % der Videoaufnahmen von einem weiteren Beobachter kodiert und die exakte prozentuale Übereinstimmung der Kodierreihen im gleichen Zeitintervall ermittelt (vgl. Faßnacht 1995, 211). Dieser Objektivitätsnachweis ist strenger als die nach Cohen’s Kappa korrigierten Vergleiche der Lektionsmittelwerte, da auch bei identischen Mittelwerten die Kodezuteilungen in einem bestimmten Zeitintervall beträchtlich variieren können. Für jede Lektion wurden pro Kategorie Gesamtsummenwerte gebildet. So lagen pro Klasse für jede der drei Untersuchungsphasen vier bzw. fünf Messzeitpunkte vor. Da die Durchführung eines abhängigen t-tests weitaus mehr Messzeitpunkte voraussetzt, werden hier die Ergebnisse in deskriptiver Weise wiedergegeben. 6.4 Ergebnisse Obwohl es sich bei der Überprüfung des Coachingerfolges um eine explorative Studie mit geringer Stichprobengröße ohne Kontrollgruppe handelt, sind die Ergebnisse ermutigend (vgl. Tab. 4; auch Wettstein u. a. accepted). An der Sonderklasse 1 und der Sonderklasse 2 konnten die Indikatoren gestörten Unterrichts durch das pädagogisch-didaktische Coaching reduziert werden. Die Lehrpersonen richteten in der Intervention und im Posttest weniger steuerungsbezogene Äußerungen an die Klasse und lenkten den Unterricht vermehrt über inhaltlich-didaktische Impulse. Die prozentuale Dauer des Off-task-Verhaltens der Indexschüler konnte durch das Coaching reduziert werden. Die Häufigkeit des aggressiven Verhaltens der Klasse konnte durch vorwiegend didaktische Maßnahmen reduziert werden. An der Sonderklasse 3, welchen von dem Lehrer mit über 35-jähriger Berufserfahrung in hoch ritualisierter Weise geführt wurde, konnten mit Ausnahme ausschließlich passiver Formen des Schüler-Off-task-Verhaltens tiefe Ausgangswerte im Prätest und teilweise sogar eine Verschlechterung der Indikatoren im Posttest beobachtet werden. Betrachtet man die relativen Veränderungswerte zwischen Prätest und Posttest nach Klassen und Indikatoren, so überrascht insbesondere, dass aggressives Verhalten indirekt über didaktische Maßnahmen in hohem Maße abgebaut werden konnte. Dies weist auf eine hohe Bedeutung der Didaktik für die Prävention aggressiven Verhaltens hin (vgl. Tab. 5). Coach A Coach B Summe Indikator SK 1 SK 2 SK 3 KK 1 Aggressives Verhalten 6.06 4.00 2.00 2.50 3.64 Steuerung 1.84 3.50 0.80 2.74 2.22 On Task 1.40 2.09 0.81 1.55 1.46 Summe Klasse 3.10 3.20 1.20 2.26 2.44 Tab. 5: Reduktion der Unterrichtsstörungen Relative Veränderungen zwischen Prä- und Posttest nach Klassen und Indikatoren. So konnte beispielsweise die Frequenz aggressiven Verhaltens der Sonderklasse 1 durch das pädagogisch-didaktische Coaching um den Faktor 6.06 reduziert werden. Über alle Klassen nahm das aggressive Verhalten um den Faktor 3.64 ab. VHN 2/ 2010 155 Lehrpersonen in schwierigen Unterrichtssituationen unterstützen 7 Interpretation und Diskussion Es ist bemerkenswert, in welchem Ausmaß aggressives Verhalten, Schülerarbeitsverhalten und die steuerungsbezogenen Gesprächsbeiträge der Lehrperson indirekt vorwiegend über allgemein-didaktische Maßnahmen verändert werden können. n Coaching im Spannungsfeld zwischen Initiieren und Belehren Coaches bewegen sich im Spannungsfeld zwischen gemeinsamer Verantwortung, Beratung und Anleitung. Die Analyse der Coachingsitzungen zeigt, dass sich die Coaches sowohl non-direktiv initiierten als auch direktiv belehrten. Interessant scheint hier, dass sich zwischen den Coachingdiaden beträchtliche differenzielle Effekte ergeben. Die Coaches scheinen ihr Verhalten auf die jeweilige Lehrperson abzustimmen. Schätzen sie die Veränderungsbereitschaft der Lehrperson als eher gering ein, so versuchen sie, durch einen non-direktiven Gesprächsstil Widerstände abzubauen. In Bezug auf den Interventionserfolg springen die großen Unterschiede zwischen den Coaches ins Auge. Leider sind jedoch im vorliegenden Design der explorativen Studie zu viele Einflussfaktoren konfundiert, als dass verlässliche Aussagen über die Ursachen der differenziellen Effekte gemacht werden könnten. Es lassen sich somit lediglich hypothesengenerierende Vermutungen anstellen: Coach A verfügte über eine langjährige Unterrichtserfahrung auf der Zielstufe und setzte in den Nachbesprechungen gezielt das Element der Videoanalyse ein. Coach B führte die Coachings direktiver, verfügte über keine Unterrichtserfahrung auf der Zielstufe und verzichtete in den Nachbesprechungen auf das Element der Videoanalyse. Folgende mögliche Einflussfaktoren müssten in einer größeren Studie systematisch kontrolliert werden: (a) Ausgangskompetenz und Veränderungsbereitschaft der Lehrperson; (b) Vermittlungskompetenz, Schulerfahrung und Gesprächsstil der Coaches; (c) interaktionale Effekte zwischen Merkmalen des Coaches und der Lehrperson; (d) Reaktion des Klassensystems auf veränderte Unterrichtsmuster; (e) Elemente der Coachingtechnik, insbesondere der Einsatz der Videoanalysetechnik. n Lehrpersonen stärken Lehrpersonen bewegen sich in hoch komplexen und anspruchsvollen Handlungsfeldern. Im pädagogisch-didaktischen Coaching versuchen Experten vor Ort neue Perspektiven einzubringen und gemeinsam mit Lehrpersonen Probleme zu lösen. Unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen dieses Prozesses ist die Vermeidung eines Machtgefälles zwischen Coach und Lehrperson. Es besteht die Gefahr, dass die Experten Lehrpersonen einseitig aus ihrer Außensicht belehren und eine eingeschränkte Perspektive auf den Unterricht einnehmen, welche der Komplexität des Berufsauftrages der Lehrperson nicht gerecht wird. Denn Lehrpersonen verfügen über wesentliche Wissensbestände: Sie kennen ihre Klasse, die Lerngeschichte ihrer Schüler und die institutionellen Rahmenbedingungen der Schule. Der Coach kommt und geht - die Lehrperson bleibt. Damit liegt die letztendliche Entscheidung, eine bestimmte Intervention umzusetzen und allfällige Folgen zu tragen, bei der Lehrperson. Das Arbeitsbündnis zwischen Coach und Lehrperson muss auf Freiwilligkeit beruhen und setzt eine Veränderungsbereitschaft der Lehrperson voraus. Lehrpersonen müssen selber entscheiden können, ob sie einen Experten beiziehen möchten und von wem sie sich coachen lassen. n Anwendungsgebiete in der Praxis Das pädagogisch-didaktische Coaching erlaubt eine Zusammenarbeit mit Lehrpersonen in der unmittelbar problematischen Unterrichtssituation. Damit kann die Ent- VHN 2/ 2010 156 Alexander Wettstein wicklung eines störungspräventiven Unterrichts erreicht werden. Das Interventionsmodell ist jedoch sehr personalintensiv und teuer und kann deshalb kaum als breite Maßnahme in der Lehrerbildung eingesetzt werden. Das pädagogisch-didaktische Coaching könnte jedoch als sekundärpräventive Maßnahme zu bestehenden Lehrertrainings in besonders herausfordernden Unterrichtssituationen an Sonderklassen eingesetzt werden. Zudem könnten Elemente des Coachings (insbesondere die Vorbesprechung) in die Praktika in der Ausbildung von Lehrpersonen integriert werden. Des Weiteren bietet das pädagogisch-didaktische Coaching eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit von Regelklassenlehrpersonen und Heilpädagogen/ innen bei der Entwicklung integrativer Unterrichtsformen. Anmerkung Forschungsmethodische Details können auch eingeholt werden über alexander.wettstein@phbern.ch Literatur Bromme, R. (1992): Der Lehrer als Experte. Zur Psychologie des professionellen Wissens. Bern: Huber Emmer, E.; Everston, C.; Clements, B.; Warsham, M. (1994): Classroom management for secondary teachers. Boston: Allyn & Bacon Faßnacht, G. (1995): Systematische Verhaltensbeobachtung. München: Reinhardt Futter, K. (2005): Unterrichtsvorbesprechungen in der berufspraktischen Ausbildung zukünftiger Lehrpersonen: Ein Element zur Förderung des berufsbezogenen Lernens der Studierenden. Lizentiatsarbeit am Pädagogischen Institut der Universität Zürich Hawley, W. D.; Valli, L. (1999): The essentials of effective professional development. A new consensus. 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