eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 79/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
5
0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2010.art18d
71
2010
793

„Die haben uns sehr bestärkt in der Sache, dass wir das schaffen“ Kriterien für die Gestaltung von guten Beratungsangeboten zum Persönlichen Budget

71
2010
Hanna Weinbach
Zu den meistdiskutierten Themen im Diskurs um das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderung gehört die Budgetassistenz. Im Hinblick auf dieses neue Beratungsfeld liegen bislang noch vergleichsweise wenige abgesicherte empirische Erkenntnisse vor. Das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen hat von 2006 bis 2008 ein Modellprojekt zur Budgetassistenz begleitet. Im Ergebnis der empirischen Untersuchung konnte die Funktion dieser spezifischen Form der Beratung und Unterstützung im Prozess der Beantragung und bei der Inanspruchnahme Persönlicher Budgets näher bestimmt werden. Es wurden Kriterien für eine gute Beratung herausgearbeitet, die auch über den Kontext des Persönlichen Budgets hinaus für die Modernisierung des Unterstützungssystems für Menschen mit Behinderung relevant sind. Im Beitrag werden zentrale Ergebnisse der Studie vorgestellt.
5_079_2010_3_0004
Fachbeitrag VHN, 79. Jg., S. 212 - 223 (2010) DOI 10.2378/ vhn2010.art18d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 212 „Die haben uns sehr bestärkt in der Sache, dass wir das schaffen …“ - Kriterien für die Gestaltung von guten Beratungsangeboten zum Persönlichen Budget Hanna Weinbach Universität Siegen n Zusammenfassung: Zu den meistdiskutierten Themen im Diskurs um das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderung gehört die Budgetassistenz. Im Hinblick auf dieses neue Beratungsfeld liegen bislang noch vergleichsweise wenige abgesicherte empirische Erkenntnisse vor. Das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen hat von 2006 bis 2008 ein Modellprojekt zur Budgetassistenz begleitet. Im Ergebnis der empirischen Untersuchung konnte die Funktion dieser spezifischen Form der Beratung und Unterstützung im Prozess der Beantragung und bei der Inanspruchnahme Persönlicher Budgets näher bestimmt werden. Es wurden Kriterien für eine gute Beratung herausgearbeitet, die auch über den Kontext des Persönlichen Budgets hinaus für die Modernisierung des Unterstützungssystems für Menschen mit Behinderung relevant sind. Im Beitrag werden zentrale Ergebnisse der Studie vorgestellt. Schlüsselbegriffe: Persönliches Budget, Budgetassistenz, Beratung, Qualitätskriterien, Empirische Untersuchung “We got utterly efficient encouragement to be able to succeed …” - Criteria for the Organisation of Effective Counselling on Personal Budget Matters n Summary: Budget assistance is one of the most discussed matters in the discourse on the personal budget for disabled individuals. But so far, this field of counselling has only been marginally empirically explored. From 2006 to 2008 the Centre for Planning and Evaluation of Social Services (Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste [ZPE]) of the University of Siegen (Germany) gave support to a model project on budget assistance. The outcomes of the empirical research allow to define more precisely the function of this kind of counselling and support in the process of application and utilisation of personal assistance. They form a basis to establish criteria for good counselling, that are not only relevant for the personal budget but also for modernising the entire system of support for disabled individuals. Keywords: Personal budget, budget assistance, counselling, quality criteria, empirical research 1 Budgetassistenz als notwendige Voraussetzung für eine gelingende Umsetzung des Persönlichen Budgets Das trägerübergreifende Persönliche Budget gemäß § 17 SGB IX gilt als wesentlicher Baustein des viel beschworenen Paradigmenresp. Perspektivenwechsels hin zur gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichstellung von Frauen und Männern mit Behinderung. Seit dem 1. Januar 2008 gibt es in ganz Deutschland einen gesetzlich verbrieften Anspruch auf die Ausführung von Teilhabeleistungen im Rahmen dieser Leistungsform. Falls sich Menschen mit Behinderung dafür entscheiden, wird ihnen ein an ihrem individuellen Hilfebedarf orientierter Geldbetrag zur Verfügung gestellt, mit dem sie ihre Unterstützungsleistungen bei Diensten, Einrichtungen, freien Anbietern oder Privatpersonen VHN 3/ 2010 213 Gute Beratungsangebote zum Persönlichen Budget einkaufen können. Ausgestattet mit einem Persönlichen Budget können sie somit selbst darüber entscheiden, wie ihre Unterstützung ausgestaltet sein soll. Mit seiner Logik der Geldleistung stellt das Persönliche Budget das System der Leistungserbringung im deutschen Sozialbzw. Behindertenrecht praktisch auf den Kopf: Bislang werden Hilfen für Menschen mit Behinderung in erster Linie im Rahmen des sogenannten Sachleistungsprinzips erbracht, bei dem die Art und der Umfang der zu erbringenden Leistungen sowie die Finanzierungsmodalitäten zwischen Kostenträger und Leistungsanbieter ausgehandelt werden. Die Umsetzung des Persönlichen Budgets stellt hohe Anforderungen an alle Beteiligten. Leistungsberechtigte und ihre Angehörigen sehen sich mit einer über Jahrzehnte gewachsenen, stationär geprägten Angebotslandschaft sowie einem selbst für Experten kaum zu überschauenden System der sozialen Sicherung mit zahlreichen unterschiedlichen Leistungssträngen und Anspruchsvoraussetzungen konfrontiert. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der potenziellen Budgetnehmer/ innen für die Inanspruchnahme Persönlicher Budgets Beratung und Unterstützung benötigt (Metzler u. a. 2007). Die Notwendigkeit entsprechender Angebote zur Budgetassistenz - dieser Terminus hat sich als zusammenfassender Begriff für die Beratung im Vorfeld einer Antragstellung und die praktische Unterstützung bei der Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets eingebürgert (Welti/ Rummel 2007) - ist sowohl im wissenschaftlichen Fachdiskurs als auch auf politischer Ebene weitgehend unumstritten 1 . Aus einer bürgerrechtlichen Perspektive liegt sie im Wesentlichen im Aspekt der Nicht-Diskriminierung begründet. Denn „‚Budgetfähigkeit‘ ist keine Eigenschaft eines Individuums, sondern abhängig von Art und Ausmaß der Unterstützungsleistungen. Die Frage ist deshalb nicht, ob jemand seine Hilfe mit einem Persönlichen Budget organisieren kann oder nicht, sondern welche Bedingungen und Unterstützungsleistungen dafür notwendig sind“ (Wansing u. a. 2003, 214). Eine niedrigschwellige und passgenaue Budgetassistenz dient somit dazu, allen Menschen mit Behinderung - unabhängig von Form und Schwere des Unterstützungsbedarfs - die selbstbestimmte Entscheidung über Auswahl, Form und Ausgestaltung von Leistungen mittels eines Persönlichen Budgets zu ermöglichen. Beratung und Unterstützung im Kontext des Persönlichen Budgets haben die Aufgabe, Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen über die neue Leistungsform zu informieren und sie bei der Bewältigung der Anforderungen des Antragsverfahrens sowie bei der praktischen Organisation und Umsetzung der Hilfen zu unterstützen. Der Beratungsbedarf kann sich dabei einerseits auf sozialrechtliche und verfahrenspraktische Fragen beziehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn es darum geht, einen Antrag auf ein Persönliches Budget auf den Weg zu bringen und in dem komplizierten Prozess von der Bedarfsfeststellung bis zur Zielvereinbarung den Überblick zu behalten. Andererseits benötigen Menschen mit Behinderung, die ihren Hilfebedarf mit einem Persönlichen Budget decken möchten, vielfach Unterstützung in ihrer neuen Rolle als ‚Kunde‘: Wie wähle ich die für mich passenden Unterstützungsleistungen und Anbieter aus? Welche Rechte und Pflichten habe ich als Auftraggeber/ in? Was ist bei der Verwaltung, Abrechnung und ggf. Lohnbuchhaltung zu beachten? Die Liste der sich im Zusammenhang mit dem Persönlichen Budget stellenden Fragen ist lang und ihre Beantwortung notwendig, damit das Persönliche Budget eine realistische Alternative zur Sachleistung werden kann. 2 Hintergrund und Ziele des Modellprojektes Der rheinisch-bergische Verein für sozialtherapeutische Dienste Die Kette e.V. hat sich bereits früh auf den Weg gemacht, Menschen mit Behinderung Budgetassistenz anzubieten. Ziel des zu Beginn des Jahres 2006 gestarteten Modellprojektes ‚Selbstbestimmt Leben - Beratungs- VHN 3/ 2010 214 Hanna Weinbach stelle Persönliches Budget für Bürger/ innen mit Behinderung im Rheinisch-Bergischen Kreis‘ (kurz: ‚PeB‘) war es, Leistungsberechtigten einen Zugang zu der neuen Leistungsform zu eröffnen und Möglichkeiten der Umsetzung auszuloten. Das Beratungsangebot wurde bis zum Endes des Jahres 2008 durch die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW gefördert. Zum Tätigkeitsspektrum der beiden Mitarbeiter/ innen gehörte das Angebot einer Assistenz für Menschen mit Behinderung im Vorfeld einer Beantragung sowie bei der Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets. Darüber hinaus richtete sich das Projekt an Leistungsträger und -anbieter, um gemeinsam nach Verfahren der gelingenden Umsetzung Persönlicher Budgets in der Region zu suchen (Die Kette e.V. 2006; vgl auch Weinbach 2008). 3 Anlage der Begleitstudie Der Fokus vorliegender Studien, in denen das Thema Budgetassistenz berücksichtigt wird, richtet sich insbesondere auf die Frage, inwiefern überhaupt - in quantitativer Hinsicht - bei Menschen mit Behinderung ein Assistenzbedarf bei der Inanspruchnahme Persönlicher Budgets besteht (z. B. Kastl/ Metzler 2005; Metzler u. a. 2007). Die hier vorgestellte empirische Untersuchung sollte diese Perspektive etwas erweitern und die ‚Feinmechanik‘ der Wirkungsweise der Budgetassistenz genauer beleuchten. Sie sollte Aufschluss bezüglich folgender Fragen geben: 1. Wie lässt sich die Funktion der Beratung und Unterstützung im Prozess der Beantragung und der Inanspruchnahme Persönlicher Budgets näher bestimmen? 2. Welche Faktoren erweisen sich als förderlich bzw. hinderlich für eine gelingende Realisierung individueller Hilfearrangements mit Persönlichen Budgets? Das Projekt war als mehrstufige empirische Erhebung konzipiert. Im Hinblick auf das skizzierte Erkenntnisinteresse wurden im Sinne einer Methodentriangulation unterschiedliche forschungsmethodische Zugänge für die einzelnen Untersuchungsbausteine gewählt. Im Einzelnen beinhaltete das empirische Vorgehen: n Eine Dokumentation von Anfragen sowie Antrags- und Budgetverläufen: Die quantitativen Daten ermöglichten einen Überblick u. a. zum Personenkreis der Anfragenden, zu der Frage, wie viele der potenziellen Budgetnehmer/ innen sich im Anschluss an die Erstberatung dafür entschieden, einen Antrag auf ein Persönliches Budgets zu stellen, zu beantragten Leistungen, Inhalten, Zusammensetzung, Höhe usw. der bewilligten Budgets sowie zum Bedarf an Budgetassistenz. n Eine Dokumentation von einzelfallbezogenen Beratungsaktivitäten der Mitarbeiter/ innen der Beratungsstelle: Zur Annäherung an das Tätigkeitsspektrum der Budgetassistenz wurden mithilfe von fallbezogenen Verlaufsprotokollen exemplarisch Beratungsverläufe nachgezeichnet und in Anlehnung an qualitativ-inhaltsanalytische Verfahren (Mayring 2000) ausgewertet. n Ausführliche Einzelinterviews mit Budgetnehmer/ innen: Diesen kam im Rahmen der Studie eine wesentliche Bedeutung zu. Im Rahmen eines qualitativen Forschungsansatzes (Flick 2006) wurden vier Budgetnehmer/ innen zu ihren subjektiven Erfahrungen mit dem Prozess von der Beantragung bis zur Inanspruchnahme des Persönlichen Budgets und zum Erleben der Budgetassistenz befragt. n Eine schriftliche quantitative Befragung von Leistungsanbietern in der Region: Mithilfe eines teilstandardisierten Fragebogens wurden neben etablierten Diensten und Einrichtungen der Behindertenhilfe auch andere Anbieter von Dienstleistungen im Rheinisch-Bergischen Kreis befragt, die ggf. im Rahmen eines Persönlichen Budgets relevant sein könnten. VHN 3/ 2010 215 Gute Beratungsangebote zum Persönlichen Budget n Eine exemplarische Analyse von Verwaltungsvorlagen zum Verfahren mit dem Persönlichen Budget seitens des Landschaftsverbands Rheinland als eines maßgeblichen Kostenträgers in diesem Bereich. Das gewählte methodische Vorgehen ermöglichte es somit, die Perspektiven von Menschen mit Behinderung als Budgetnehmer/ innen ebenso wie die Sichtweise von Leistungsanbietern und Kostenträgern im Rahmen der Begleitstudie zu berücksichtigen 2 . 4 Ausgewählte Ergebnisse Im Folgenden wird zunächst die quantitative Entwicklung der Antrags- und Budgetverläufe skizziert. Anschließend wird das Aufgabenspektrum im Bereich der Budgetberatung, das anhand der einzelfallbezogenen Verlaufsprotokolle deutlich wurde, beleuchtet. In einem nächsten Schritt richtet sich der Blick auf die Frage, wie die befragten Budgetnehmer/ innen die Beratung im Prozess von der Beantragung bis zur Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets erlebt haben. Insbesondere aus den Ergebnissen dieser drei Untersuchungsbausteine speisen sich Kriterien für eine ‚gute‘ Budgetassistenz, die abschließend vorgeschlagen werden. 4.1 Anfragen, Antragsverläufe und bewilligte Budgets Im Erhebungszeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Dezember 2007 wandten sich insgesamt 95 Frauen und Männer mit Unterstützungsbedarf an die Beratungsstelle. 33 Personen beantragten ein Persönliches Budget (‚Beantrager/ innen‘). Bei 16 Personen waren zum Stichtag Budgetanträge in Arbeit. 18 Personen erhielten Unterstützung bei Anträgen auf Sachleistungen oder Nachteilsausgleiche. Insgesamt wurden somit über zwei Drittel der Anfragenden bei Antragstellungen unterstützt, wobei nur etwas über die Hälfte der Erstberatungen in die Beantragung eines Persönlichen Budgets mündete. Im Hinblick auf den Personenkreis der ‚Beantrager/ innen‘ waren Menschen mit allen Behinderungsformen vertreten. Die Mehrheit machten mit 22 Personen Menschen mit Körperbehinderung aus, wobei vier Personen neben der Körperbehinderung eine psychische Erkrankung aufwiesen. Sechs Beantrager/ innen waren Personen mit kognitiven Behinderungen. Vier Personen hatten eine psychische Erkrankung, eine Person eine Sinnesbehinderung. Es handelte sich fast ausschließlich um Menschen mit einem relativ hohen Hilfebedarf, wie sich aus den ergänzenden Angaben (z. B. zum festgestellten Grad der Behinderung, Merkzeichen, Pflegebedürftigkeit) herleiten lässt. Bis Ende 2007 wurden 21 der beantragten Budgets bewilligt, vier Budgetanträge wurden abgelehnt. Eine der in Form eines Persönlichen Budgets beantragten Leistungen wurde als Sachleistung bewilligt. In den übrigen Fällen war der Verfahrensausgang zum Stichtag noch offen oder es lagen keine Angaben vor. Die Bearbeitungsdauer der Budgetanträge war mit einem Median von 14 Wochen (min: eine Woche, max: 68 Wochen) im Rahmen des Modellprojektes zumeist erheblich länger, als es die amtlichen Regelungen vorsehen. Die Budgetanträge, bei denen mehrere Leistungsträger beteiligt waren und bei denen bis zum 31. Dezember 2007 noch kein Gesamtbescheid vorlag, waren im Durchschnitt seit über 36 Wochen (Median: 22 Wochen) nicht abschließend beschieden. Der im Rahmen anderer Studien (z. B. Metzler u. a. 2007) festgestellte diesbezügliche Optimierungsbedarf aufseiten der Leistungsträger lässt sich somit an dieser Stelle untermauern. 14 der 21 bewilligten Persönlichen Budgets enthielten Leistungen der Sozialhilfe bzw. näherhin der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. In 13 Budgets waren Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung, in elf sozialpädagogische Betreuung und Begleitung sowie in zehn Budgets Pflegeleistungen bzw. ergänzende Hilfen zur Pflege einbezogen. Vier der bewilligten Budgets umfassten die Leistung VHN 3/ 2010 216 Hanna Weinbach Arbeitsassistenz, drei Mobilitätshilfen und jeweils eines einen Hausnotruf sowie Elternassistenz. Hinsichtlich der trägerübergreifenden Ausgestaltung der Budgets ergab sich somit in erster Linie (acht Fälle) die Notwendigkeit einer Kooperation auf Leistungsträgerseite zwischen dem überörtlichem Sozialhilfeträger - zuständig für die ambulanten wohnbezogenen Hilfen, die dem Ziel des ‚selbstständigen Wohnens‘ dienten - sowie dem örtlichen Sozialhilfeträger, der z. T. für Mobilitätshilfen sowie für ergänzende Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61ff. SGB XII zuständig war. Darüber hinaus kam es in zwei Fällen zu der Konstellation ‚Sozialhilfeträger und Integrationsamt‘ sowie in ebenfalls zwei Fällen zu der Kombination von Leistungen des Sozialhilfeträgers und der Pflegekasse. Die Höhe der bewilligten Budgets reichte von 119 E bis über 12.000 E monatlich (Median: ca. 600 E ). Die Budgetnehmer/ innen setzten die Geldbeträge für den ‚Einkauf‘ der unterschiedlichen Leistungsbestandteile bei ganz unterschiedlichen Erbringern ein. In der Hälfte der Fälle wurde ein Fachdienst mit einer Leistungserbringung beauftragt, zu jeweils 35 % kamen Hilfen aus dem sozialen Umfeld und allgemeine medizinische oder soziale Hilfen zum Einsatz. In fünf Fällen wurde die Budgetassistenz als Bestandteil des Budgets bewilligt. Der dafür angesetzte Betrag belief sich auf 20 bis ca. 100 E monatlich. 4.2 Aspekte des Tätigkeitsfeldes Budgetassistenz Der Schwerpunkt der Tätigkeiten der Mitarbeiter/ innen der Beratungsstelle lag - wie die vorgestellten Ergebnisse zur quantitativen Entwicklung der Budgetverläufe andeuten - auf der Beratung von Menschen mit Behinderung im Vorfeld einer Antragstellung sowie der Unterstützung im Antragsprozess. Die Unterstützung im Beantragungsprozess bestand in einzelnen, insgesamt komplikationslosen Bewilligungsverfahren von Budgets in Einfachzuständigkeit eines Leistungsträgers neben der Erstinformation über das Persönliche Budget zunächst vor allem in der Erschließung des Hilfebedarfs und der Hilfeplanung sowie der konkreten Antragsvorbereitung (Hilfe beim Zusammenstellen und Ausfüllen der für die Antragstellung erforderlichen Unterlagen, Versenden des Antrags) und in der Begleitung beim Bedarfsfeststellungsverfahren (i. d. R. der Hilfeplankonferenz). Gegebenenfalls kam eine Unterstützung bei Antragstellungen außerhalb des Persönlichen Budgets hinzu. In nicht wenigen der dokumentierten Fälle handelte es sich allerdings um langwierige und komplikationsreiche Antragsverläufe, in denen mehr als ein Leistungsträger bzw. sowohl der überörtliche als auch der örtliche Sozialhilfeträger potenziell für die Leistung eines Teilbudgets in Frage kamen. Anhand dieser Budgetverläufe wird deutlich, wie vielfältig und zahlreich die Aufgaben im Bereich der Budgetassistenz sind. Neben den oben bereits genannten Aktivitäten wurden die Berater/ innen an vielen Stellen immer wieder vermittelnd zwischen den verschiedenen an den Antragsverfahren beteiligten Akteuren - Antragsteller/ in und angegangener Leistungsträger, Leistungsträger und Leistungsträger, Antragsteller/ in und Anbieter, Antragsteller/ in bzw. Leistungsträger und Ärzte, Kliniken, Schulen usw. - tätig. Im Laufe der Klärungsprozesse im Antragsverfahren verging teilweise so viel Zeit, dass sich die Lebenssituation bzw. der Hilfebedarf der Antragsteller/ innen inzwischen verändert hatte und deshalb die Unterlagen zur Bedarfsfeststellung aktualisiert werden mussten. In anderen Fällen wurden die Berater/ innen bei der Abklärung, welche Hilfe welcher Leistung entsprach (z. B. Bewo- Fachleistungsstunde oder Pflege) und wie die Leistung organisiert werden konnte, vermittelnd tätig. VHN 3/ 2010 217 Gute Beratungsangebote zum Persönlichen Budget Eine wichtige Funktion kam der direkten psychosozialen Unterstützung der Antragsteller/ innen zu. Zum Teil wurde schon beim Erstgespräch deutlich, dass enorme Dringlichkeit bestand, d. h. dass ein Hilfebedarf vorhanden war, der einen großen ‚Problemdruck‘ verursachte, weshalb Eile geboten war, diesen Hilfebedarf zu decken. In einem Teil der dokumentierten Fälle gingen der Entscheidung für oder gegen einen Budgetantrag mehrere Termine zur Klärung und Stabilisierung der allgemeinen Situation voraus. Bei einigen Personen war im gesamten Prozess eine enge Begleitung notwendig, vor allem wenn sich die Lebenssituation und damit auch der Hilfebedarf im Laufe der Antragstellung veränderten. Unterstützung im Sinne eines Auffangens bzw. einer Ermutigung war auch in Situationen notwendig, in denen die Antragsteller/ innen durch die lange Dauer bzw. Komplexität des Verfahrens belastet waren. Besondere Unterstützung war zumeist notwendig, wenn Anträge teilbewilligt/ -abgelehnt, nicht beschieden oder ganz abgelehnt wurden. Die Berater/ innen formulierten daraufhin gemeinsam mit den Antragsteller/ innen Widersprüche und besprachen mit ihnen die weiteren Schritte. Waren die Budgets bewilligt, so wurden die Berater/ innen bei der Frage der Verwendung bzw. Einteilung der Gelder tätig oder sie erinnerten die Budgetnehmer/ innen auch an die Vorgaben der Zielvereinbarung. Teilweise war eine Vermittlung zwischen Kostenträger und Budgetnehmer/ innen notwendig, da sich die Überweisung der Geldbeträge lange hinzog bzw. als schwierig erwies, gerade, wenn mehrere Leistungsträger beteiligt waren. Darüber hinaus leisteten die Berater/ innen bei der Suche nach Assistenten und Anbietern Unterstützung, begleiteten z.T. die Budgetnehmer/ innen beim ersten Kontakt bzw. Kennenlernen und besprachen mit ihnen eventuelle Schwierigkeiten mit den Assistenten. Nach erfolgreichen Budgetbeantragungen und Vermittlungen bei Budgetnehmer/ innen, die zur Inanspruchnahme des Budgets keine weitere Assistenz benötigten, findet sich in einigen der Verlaufsprotokolle der Hinweis „PeB ab hier ’raus - nur noch für Rückfragen da! “. Zum Teil bezogen sich solche Rückfragen der Budgetnehmer auf den Verlängerungsantrag bzw. wurde dieser gemeinsam auf den Weg gebracht. Insgesamt wurde die Aufgabe der Budgetberatung jedoch in diesen Fällen zeitlich begrenzt und beinhaltete deutlich auch die Ablösung. 4.3 Erfahrungen von Budgetnehmer/ innen In eindrücklicher Weise zeigt sich die Funktion der Budgetassistenz in den Erfahrungen, welche die Budgetnehmer/ innen im Interview schilderten. Biografische Situation zum Zeitpunkt der Entscheidung für das Budget Die interviewten Personen trafen die Entscheidung, ein Persönliches Budget zu beantragen, jeweils in kritischen bzw. von großen Veränderungen geprägten Lebenssituationen. So fiel die Entscheidung zur Antragstellung bei Gerda Seidel 3 und Anton Müller, als sie aus einer betreuten WG aus- und in eine gemeinsame eigene Wohnung einziehen wollten. Die Beantragung des Persönlichen Budgets wurde auf Vorschlag der Beraterin des Modellprojektes, zu der bereits vorher Kontakt bestand, zu einer Option. G. S.: „Während der ganze Umbruch war, hat unsere Beraterin dann mit uns Budget beantragt. Die hat uns darauf aufmerksam gemacht.“ Bei Mareike Feldmann erfolgte die Beantragung des Persönlichen Budgets zu einem Zeitpunkt, als sie ihren Unterstützungsbedarf aufgrund des Alters bzw. von Krankheit ihrer bis dato privat organisierten Helfer/ innen nicht mehr abdecken konnte. Ausgehend von einem Antrag auf Höherstufung des Schwerbehindertenausweises kam sie mit der Beraterin ins Gespräch und entschloss sich auf deren Anregung schließlich dazu, ein Budget zu beantragen: VHN 3/ 2010 218 Hanna Weinbach „Und ich war eigentlich nur froh, dass ich da jetzt nicht mehr alleine war. Dass es mal weiter geht. Also dass es für mich mal ’ne Entwicklung gibt, und das fand ich toll.“ Viktoria Storm kam ebenfalls in einer Krisensituation zu der Beantragung des Persönlichen Budgets. Sie besuchte auf Anraten einer Freundin die Beratungsstelle. Erfahrungen im Prozess von der Beantragung bis zur Inanspruchnahme Den Prozess von der Beantragung bis zur Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets erlebten die befragten Budgetnehmer/ innen unterschiedlich. Sowohl die mit der Hilfeplanung verbundene Konfrontation mit der eigenen Einschränkung als auch die Unklarheit in Bezug auf den Ausgang des Antragsverfahrens, verknüpft mit langen Wartezeiten auf das Ergebnis, stellten Belastungsfaktoren dar. Von Gerda Seidel und Anton Müller wurde die Antragsvorbereitung, respektive die Hilfeplanung als Belastung und Stress erlebt, insbesondere die damit zusammenhängende Auseinandersetzung mit den eigenen Erschwernissen und die Notwendigkeit, viele Fragen beantworten zu müssen. G. S.: „Das ist ja eine Bürokratie. (…) Und für mich war es sehr schwer, Sachen zuzugeben, die ich nicht mehr kann. (…) und dann auch noch Hilfe anzunehmen, dass jemand bei uns in die Wohnung kommt und meine Arbeit macht, das ist schon ganz schön heftig.“ Auch für Viktoria Storm stellte die mit der Hilfeplanung verbundene Auseinandersetzung mit ihrer Behinderung eine sehr große Belastung dar: „Es war für mich super, super schwer, weil die Voraussetzung dafür einfach ist zuzugeben, wie beschissen es mir geht.“ Die lange Wartezeit auf die Bewilligung sowie ihre sehr negativen Erlebnisse mit Kostenträgern, insbesondere in der Phase ihres Umzugs („Die sitzen das einfach aus“), kosteten sie sehr viel Kraft. Mareike Feldmann verfolgte den Prozess der Hilfeplanung eher mit Spannung und wunderte sich darüber, dass die Formulare des Kostenträgers eine alltagssprachliche Formulierung ihres Hilfebedarfs zuließen. Die Wartezeit und Unklarheit während der Bearbeitung des Antrags ärgerten sie: „Und das fand ich damals schlimm. (…) Ich hatte dann meiner Beraterin auch immer gesagt, es müsste unbedingt mal jemand kommen, also, unbedingt, dass das mal durchkommt.“ Auswirkungen des Persönlichen Budgets Gerda Seidel, Anton Müller und Viktoria Storm beschreiben die Auswirkungen des Persönlichen Budgets auf ihren Alltag als sehr positiv. In ihren Erzählungen wird eine als aktiv erlebte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben - etwa in der Nachbarschaft - sowie ein Gefühl von Unabhängigkeit deutlich. A. M.: „Ja, ’n großer Teil Freiheit. Man ist nicht mehr so angewiesen auf andere.“ G. S.: „Wir leben also genauso wie jeder, der gesund ist, der kein Handicap hat, so leben wir halt jetzt. Trotz Handicap.“ Viktoria Storm schildert darüber hinaus insbesondere positive Auswirkungen auf das eigene Selbstverständnis und Selbstwertgefühl, das dadurch gestärkt wird, auch mal etwas ‚geben‘ zu können und nicht immer nur in der Rolle der Hilfe-Annehmenden sein zu müssen: „Ich bin jetzt nicht mehr nur derjenige, der nimmt und braucht und braucht, sondern ich kann auch was zurückgeben (…) Das ist total schön. Das ist wirklich ’n Gewinn an Lebensqualität.“ Die Erfahrungen von Mareike Feldmann erinnern dagegen daran, dass auch mit dem Persönlichen Budget organisierte Hilfen einen bedeutsamen Eingriff in die Privatsphäre von Menschen darstellen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Der Budgetnehmer/ in fehlt es an Flexibilität bei der Einteilung der Hilfen und an Verständnis seitens der professionellen Helfer: VHN 3/ 2010 219 Gute Beratungsangebote zum Persönlichen Budget „Also ich hab das mal einmal gesagt, da bin ich direkt niedergeknüppelt worden. Da hieß es dann sofort: Ja, ich müsste das anders sehen. Ich hätte aber jetzt die Hilfen, und da müsste man eben Abstriche machen und da müsste man zufrieden sein.“ Darüber hinaus vermisst sie Verständnis von Menschen, die selbst nicht behindert oder beeinträchtigt sind: „Ich hab auch keine Lust, neuen Menschen zu erzählen, was mit mir los ist. Weil wenn ich das sage, dann springen die sofort ab. Hab ich ja auch schon erlebt. Wenn ich jetzt sage, was ich habe, dass ich krank bin und dass ich eingeschränkt bin.“ Ein Persönliches Budget bedeutet somit nicht zwangsläufig eine selbstbestimmte Hilfe und ein Mehr an Teilhabe, sondern kann wie eine Hilfe, die in Form der Sachleistung erbracht wird, Belastungen und Einschränkungen mit sich bringen. Zwar wird durch den Mechanismus der Geldleistung die Position von Leistungsempfänger/ innen als Kunden/ innen erheblich gestärkt. In der Beziehung zwischen Helfer/ innen und Nutzer/ innen bleibt jedoch das Machtgefälle bestehen, das aus der erhöhten Abhängigkeit von Unterstützung resultiert. Erfahrungen mit der Budgetassistenz Im Prozess der Budgetbeantragung und der Organisation der Hilfen hatte die Beratung die Funktion, Kompetenzen, Ressourcen und nicht zuletzt Selbstwirksamkeitserwartungen aufseiten der Antragsteller/ innen zu mobilisieren, so dass diese, unterstützt auch durch praktische sozialrechtliche Sachkenntnis, den Antragsprozess zu einem positiven Ergebnis führen konnten. Die Beratung wirkte dabei stellenweise auch kompensatorisch. Wie im Interview mit Gerda Seidel und Anton Müller deutlich wird, geht die Anregung der Idee, ein Persönliches Budget zu beantragen, von der Beraterin aus. Auch die Organisation des Antragsverfahrens wird maßgeblich von dieser gesteuert. Im Prozess der Hilfeplanung bezieht sich die psychosoziale Unterstützung insbesondere auf den Lernprozess, mit der eigenen Einschränkung umzugehen und bereit zu sein, Hilfe anzunehmen. Die Beratung ermutigt und bestärkt Frau Seidel und Herrn Müller z. B. in der Überzeugung, dass sie das Leben in einer eigenen Wohnung und das ‚Auf-eigenen-Füßen-Stehen‘ ebenso wie den stellenweise aufreibenden Prozess der Budgetbeantragung erfolgreich bewältigen können. G. S.: „Unsere Berater/ innen haben uns sehr bestärkt in der Sache, dass wir das schaffen, haben uns sehr engmaschig kommen lassen, haben uns auch hier besucht in der Wohnung. Ja, die haben uns also sehr unterstützt.“ Dass die Beratung im Prozess der Hilfeplanung tätig wurde, stellte für Frau Feldmann eine ganz praktische Entlastung dar: „Ich war auch schon ganz froh, dass meine Beraterin das gemacht hat, weil ich hätte das gar nicht gekonnt.“ Den Hilfeplanprozess erlebte sie gleichzeitig als Gelegenheit zum Führen hilfreicher Gespräche: „Und dann haben wir natürlich auch noch so ’n paar Sachen besprochen, die mir jetzt so persönlich auf dem Herzen lagen.“ In den Schilderungen von Viktoria Storm zeigt sich die Entlastungs- und Stützfunktion der Beratung im Hilfeplanungsprozess in vielen Facetten. So erlebte die Budgetnehmerin beispielsweise die Gewissheit als hilfreich, mit allen Sorgen zur Beratung kommen zu können, verstanden zu werden und dazu ermutigt zu werden, die ‚Schwäche zur Stärke‘ zu machen: „Ich konnte mit allen meinen Sorgen und mit meinem ganzen Müll kommen. (…) das mal überhaupt mal so im Zusammenhang oder völlig zusammenhanglos alles rauserzählen zu dürfen, auch ungefiltert. (…) Irgendwie hat sie’s geschafft, mich da irgendwie durchzutragen und zu triezen und ist immer am Ball geblieben. Das war wirklich supergenial. Also ohne ihren Einsatz wäre das völlig undenkbar gewesen.“ VHN 3/ 2010 220 Hanna Weinbach Das Sprechen über ihre Einschränkung wurde Frau Storm auch dadurch erleichtert, dass die Beraterin selbst eine Körperbehinderung hatte, dass also „alleine schon durch ihr eigenes Schicksal“ eine Vertrauensbasis hergestellt werden konnte. 5 Qualitätskriterien Aus den Untersuchungsergebnissen lassen sich spezifische förderliche Faktoren für die Gestaltung von Angeboten der Budgetassistenz ableiten. Diese sind jeweils für sich betrachtet von Bedeutung für die Umsetzung Persönlicher Budgets. In ihrer Zusammenschau ergeben sie ein Gesamtbild von Anforderungen - d. h. Qualitätskriterien - für eine gelingende Budgetassistenz: n Individuelle Beratung ‚aus einer Hand‘: Das deutsche Rehabilitationssystem begünstigt eine isolierte Betrachtung jeweils einzelner Teilaspekte des menschlichen Daseins wie z. B. Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Gesundheit. Angebote der Budgetassistenz sind dann hilfreich, wenn es gelingt, diesen verengten Blickwinkel zugunsten einer umfassenden lebensbereichsübergreifenden Beratung des Menschen mit Unterstützungsbedarf zu überwinden. n ‚Beratung vor der Budgetberatung‘: Im Fokus der Erstberatung sollte ein niedrigschwelliger Zugang zum Hilfesystem stehen - unabhängig von der Frage, ob Angebote in Form einer Sachleistung erbracht oder mit einem Persönlichen Budget finanziert werden. n Peer Counseling: Angebote der Budgetassistenz sind dann besonders wirksam, wenn es gelingt, das Prinzip der Beratung „von Behinderten für Behinderte“ (Hermes 2006) zu realisieren. Der Umstand, dass die Beraterin des Modellprojektes selbst eine Körperbehinderung hatte, stellte sich als förderlich für die Entwicklung einer Vertrauensbasis in der Beratung dar, nicht zuletzt, da „so grundlegende Gegebenheiten, die mit der Behinderung zusammenhängen, nicht großartig erklärt werden“ mussten (Rösch 1994, 6). n Ermutigung und Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartungen der beratenen Menschen mit Behinderung: Dieses Kriterium ist mit der Philosophie des Peer Counseling und ihren Bezügen zu den Regeln der Klientenzentrierten Gesprächsführung von Rogers eng verbunden (Hermes 2006). Es stellt gewissermaßen die Grundlage für jedwede Beratung in der Sozialen Arbeit dar: „Grundgedanke ist, die Fähigkeiten der hilfesuchenden Person durch die Beratung weiterentwickeln zu helfen, so dass es ihr möglich wird, ihre Probleme selbst zu bewältigen“ (Rösch 1994). n Erschließung neuer Handlungsmöglichkeiten: Für die Wirksamkeit der Budgetassistenz stellt sich die wesentliche Frage, inwiefern es gelingt, gemeinsam mit den potenziellen Budgetnehmer/ innen neue Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Zielperspektive eines „gelingenderen Alltags“ (Thiersch 2004, 701) zu erschließen. n Unterstützung bei der individuellen Zusammenstellung des Hilfearrangements: Durch den mit dem Persönlichen Budget intendierten spezifischen Mechanismus der Geldleistung erweitern sich die Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung, ihren Unterstützungsbedarf zu decken. Eine wichtige Aufgabe der Budgetassistenz besteht darin, Budgetnehmer/ innen bei der individuellen Zusammenstellung ihres Hilfearrangements zu unterstützen. n Unterstützung bei der Bewältigung kritischer Lebenssituationen: Angebote der Budgetassistenz müssen der Anforderung gerecht werden, Menschen mit Behinderung bei der Bewältigung von krisenhaften (z. B. beim Zerbrechen des bisherigen Hilfearrangements) bzw. von Veränderungen geprägten Lebenssituationen (z. B. beim Auszug aus stationärer Betreuung) zu unterstützen. VHN 3/ 2010 221 Gute Beratungsangebote zum Persönlichen Budget n Mobilisieren von Ressourcen der Person, ihres sozialen Umfelds und professioneller Unterstützer/ innen bzw. Leistungsanbieter: Eine ‚gute‘ Budgetassistenz trägt im Sinne des Prinzips der Hilfe zur Selbsthilfe dazu bei, Ressourcen des Menschen mit Behinderung, seines sozialen Umfelds und professioneller Unterstützer bzw. Leistungsanbieter zu mobilisieren. n Unterstützung im Prozess der Individuellen Hilfeplanung: Die Budgetassistenz muss Antragsteller/ innen im Prozess der Individuellen Hilfeplanung einerseits bei der Anwendung der vonseiten der Leistungsträger vorgegebenen Planungsinstrumente und andererseits bei Bedarf psychosozial unterstützen - etwa bei der nicht zu vermeidenden Konfrontation mit dem eigenen Hilfebedarf. n Vermittlung zwischen unterschiedlichen Perspektiven: Ein wesentliches Qualitätskriterium der Budgetassistenz und zugleich eine große Herausforderung besteht im Übereinanderbzw. Zusammenbringen der Perspektive des Antragstellers, der sozialrechtlichen bzw. verwaltungstechnischen Perspektive des angegangenen Leistungsträgers, der Perspektive potenzieller Leistungsanbieter und der eigenen fachlichen Perspektive. n Anwaltschaftliches Verständnis der Beratungstätigkeit: Die auch an anderer Stelle (Welti/ Rummel 2007) benannte advokatorische Grundhaltung der Berater/ innen, d. h. ein anwaltschaftliches Verständnis der eigenen Tätigkeit, erwies sich im Rahmen des begleiteten Modellprojektes als ein relevantes Kriterium. n Lotse im System: Die Budgetassistenz berät Personen im Hinblick auf die Wahrnehmung individueller Rechtsansprüche auf Teilhabeleistungen. Für eine erfolgreiche Budgetbeantragung und -umsetzung ist es daher erforderlich, den potenziellen Budgetnehmer/ innen eine entsprechende sozialrechtliche und verfahrenspraktische Kompetenz bereitzustellen. Die Beratung muss eine grundlegende Information über die Besonderheiten der Leistungsform ‚Persönliches Budget‘ und eine möglichst detaillierte Aufklärung über die leistungsrechtlichen Ansprüche im Einzelfall gewährleisten können. n Unterstützung bei der Wahrnehmung der Kundenrolle sowie von Arbeitgeberrechten und -pflichten: Je besser sich das Persönliche Budget etabliert, umso wichtiger wird die Unterstützung bei der Wahrnehmung der Kundenrolle sowie von Arbeitgeberrechten und -pflichten, etwa in den Bereichen Personalführung, Steuerrecht, Buchhaltung usw. Dies erfordert von den Berater/ innen entsprechende Sachkenntnisse. n Barrierefreiheit: Dieses Kriterium müsste eigentlich selbstverständlich sein und soll hier dennoch Erwähnung finden: Angebote der Budgetassistenz können nur dann wirksam sein, wenn sie für alle Menschen barrierefrei erreichbar sind, unabhängig von Form und Schwere des Unterstützungsbedarfs. n ‚Motor‘ für die Entwicklung des Persönlichen Budgets im örtlichen Hilfesystem: Das Persönliche Budget befindet sich momentan noch in der Phase der Etablierung. Eine gelingende Budgetassistenz kann gleichsam als ‚Motor‘ für die Entwicklung des Persönlichen Budgets in örtlichen Hilfesystemen fungieren. Im Rahmen einer Vernetzung örtlicher Angebotsstrukturen geht es darum, Leistungsträger und -anbieter beim Erlernen von Routinen im Umgang mit dem Persönlichen Budget zu unterstützen. Einer strukturellen Unabhängigkeit des Budgetassistenzangebotes von Leistungsträger- und Anbieterinteressen kommt dabei große Bedeutung zu. 6 Fazit Angebote der Budgetassistenz haben die Funktion, Frauen und Männern mit Behinderung ‚Türen zu öffnen‘ und Wege in Richtung einer möglichst selbstbestimmten Inanspruchnahme von Teilhabeleistungen zu erschließen. Die VHN 3/ 2010 222 Hanna Weinbach zentrale Bedeutung der Budgetassistenz für eine gelingende Umsetzung Persönlicher Budgets lässt sich im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojektes untermauern. Die Beratung und Assistenz zum Persönlichen Budget stellt sich insgesamt als ein sehr anspruchsvolles und komplexes, aber auch sehr vielfältiges und spannendes Aufgabengebiet dar. Die im Rahmen der vorliegenden Studie herausgearbeiteten Kriterien können für die Gestaltung von Beratungsangeboten für Menschen mit Behinderung Anknüpfungspunkte bieten. Dabei erscheinen viele der genannten Anforderungen in anderen Bereichen der Beratung in der Sozialen Arbeit mit Menschen mit Behinderung ebenso relevant. Eine im Sinne dieser Kriterien verstandene und praktizierte Budgetassistenz kann einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen, vor denen das Hilfesystem insgesamt steht, leisten und zur Verwirklichung der behindertenpolitischen Zielperspektiven der Teilhabe, Selbstbestimmung und Nicht-Diskriminierung beitragen. Anmerkungen 1 Gestritten wird dagegen über die Frage, wer diese Beratung und Unterstützung leisten bzw. finanzieren und wie diese institutionell verankert sein sollte. Die Diskussion dieser wichtigen sozialpolitischen Frage würde den Rahmen dieses Beitrags jedoch sprengen. Verwiesen sei daher auf die entsprechenden Ausführungen bei Welti/ Rummel 2007. 2 Detaillierte Angaben zur Forschungsmethodik können unter sekretariat@zpe.uni-siegen.de angefordert werden. 3 Alle Angaben sind anonymisiert. Literatur Die Kette e.V. (2006): Selbstbestimmt Leben. Modellprojekt Beratungsstelle persönliches Budget für Bürger mit Behinderung im Rheinisch-Bergischen Kreis. Konzept. Bergisch Gladbach Flick, Uwe (2006): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 4. Aufl. Hamburg: Rowohlt Hermes, Gisela (2006): Peer Counseling - Beratung von Behinderten für Behinderte als Empowerment-Instrument. In: Schnoor, Heike (Hrsg.): Psychosoziale Beratung in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer, 74 - 105 Kastl, Jörg Michael; Metzler, Heidrun (2005): Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Modellprojekt Persönliches Budget für Menschen mit Behinderung in Baden- Württemberg (Oktober 2001 bis Mai 2005). Herausgegeben von Ministerium für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg. Stuttgart Mayring, Philipp (2000): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 7. Aufl. Weinheim: Deutscher Studien Verlag Metzler, Heidrun; Meyer, Thomas; Rauscher, Christine; Schäfers, Markus; Wansing, Gudrun (2007): Begleitung und Auswertung der Erprobung trägerübergreifender Persönlicher Budgets. Wissenschaftliche Begleitforschung zur Umsetzung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -. Abschlussbericht. In: http: / / www.bmas. de/ portal/ 23078/ f366_begleitung_und_aus wertung_der_erprobung_persoenlicher_bud gets.html, 10. 12. 2009 Rösch, Matthias (1994): Einleitung. In: Autonomes Behindertenreferat AstA Uni Mainz; IsL Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (Hrsg.): Peer Counseling Reader & Peer Counseling Training Programm (Peer Counseling Training Manual, Independent Living Resource Center San Francisco/ USA). 2., erw. Aufl. In: www.peer-counseling.org, 10. 12. 2009 Thiersch, Hans (2004): Lebensweltorientierte Soziale Beratung. In: Nestmann, Frank; Engel, Frank; Sickendiek, Ursel (Hrsg.): Das Handbuch der Beratung. Band 2: Ansätze, Methoden und Felder. Tübingen: dgvt, 699 - 709 Wansing, Gudrun; Hölscher, Petra; Wacker, Elisabeth (2003): Maß nehmen und Maß halten - in einer Gesellschaft für alle (3). Personenbezogene Leistungen (PerLe) für alle - Budgetfähigkeit und Klientenklassifikation in der Diskussion. In: Geistige Behinderung 42, 210 - 221 Weinbach, Hanna (2008): Beratung und Assistenz zum persönlichen Budget. Erfahrungen aus einem Modellprojekt. 1. Aufl. Siegen: ZPE VHN 3/ 2010 223 Gute Beratungsangebote zum Persönlichen Budget Welti, Felix; Rummel, Kerstin (2007): Rechtsfragen des Persönlichen Budgets nach § 17 SGB IX. Gutachten im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der modellhaften Erprobung Persönlicher Budgets nach § 17 Abs. 6 SGB IX. In: http: / / www.bma s .de/ portal/ 24190/ f367_ rechtsfragen_des_persoenlichen_budgets.html, 10. 12. 2009 Dipl.-Päd./ Dipl.-Soz.-Päd. Hanna Weinbach Universität Siegen Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) Adolf-Reichwein-Straße 2 D-57068 Siegen E-Mail: hanna.weinbach@gmx.de