eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 81/1

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2012
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Zukunftsvorstellungen und Berufsorientierungen von benachteiligten Jugendlichen

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2012
Sandra Deneke
Die durch hohe Arbeitslosigkeit und Lehrstellenknappheit gekennzeichnete Arbeitsmarktsituation und der gesellschaftliche Wandel stellen eine Bedrohung für gering Qualifizierte dar. Insbesondere Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Lernen zählen wegen eines oft fehlenden anerkannten Schulabschlusses und des Stigmas Behinderung zur Gruppe der Benachteiligten. Aufgrund der Bedeutung von Berufsorientierungen und Zukunftsvorstellungen für die berufliche und soziale Integration wird vor dem Hintergrund einer widersprüchlichen Forschungslage in einer qualitativ-explorativen Studie die Gruppe der Förderschüler genauer analysiert. Die Ergebnisse zeichnen ein positiveres Bild hinsichtlich ihrer Berufspläne, ihrer Einstellungen zur Zukunft und ihres beruflichen Zukunftsengagements, als es allgemeine Jugendstudien und die schlechte Ausgangslage der Förderschüler erwarten lassen.
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35 VHN, 81. Jg., S. 35 -46 (2012) DOI 10.2378/ vhn2012.art03d © Ernst Reinhardt Verlag Fachbeitrag Zukunftsvorstellungen und Berufsorientierungen von benachteiligten Jugendlichen 1 Sandra Deneke Leibniz Universität hannover Zusammenfassung: Die durch hohe Arbeitslosigkeit und Lehrstellenknappheit gekennzeichnete Arbeitsmarktsituation und der gesellschaftliche Wandel stellen eine Bedrohung für gering Qualifizierte dar. Insbesondere Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Lernen zählen wegen eines oft fehlenden anerkannten Schulabschlusses und des Stigmas Behinderung zur Gruppe der Benachteiligten. Aufgrund der Bedeutung von Berufsorientierungen und Zukunftsvorstellungen für die berufliche und soziale Integration wird vor dem Hintergrund einer widersprüchlichen Forschungslage in einer qualitativ-explorativen Studie die Gruppe der Förderschüler genauer analysiert. Die Ergebnisse zeichnen ein positiveres Bild hinsichtlich ihrer Berufspläne, ihrer Einstellungen zur Zukunft und ihres beruflichen Zukunftsengagements, als es allgemeine Jugendstudien und die schlechte Ausgangslage der Förderschüler erwarten lassen. Schlüsselbegriffe: Berufsorientierungen, Einstellung zur Zukunft, Förderschwerpunkt Lernen Vocational Orientations and Visions for the Future of Disadvantaged adolescents Summary: Social changes, a high unemployment rate and the shortage of apprenticeship places pose a threat to the lesser qualified young people. Especially young adults with learning difficulties belong to the group of disadvantaged adolescents. They often lack in an approved school-leaving qualification and they are labeled as being disabled. Vocational orientation and constructive plans for the future are particularly important for the professional and social integration of these students. In view the contradictory findings in this field of research the present qualitative-explorative study analyses a group of young adults with special needs with a view to clarifying the inconsistent results of former investigations. Compared to the expectations of public youth surveys and with regard to the difficult starting position of adolescents with learning difficulties, the outcomes of this study present a more positive picture with regard to their career schemes, their attitudes towards the future and their future vocational commitment. Keywords: Vocational orientation, attitude towards the future, special educational needs, learning difficulties 1 berufliche integration von benachteiligten Jugendlichen D ie Gesellschaft ist heutzutage durch Individualisierungstendenzen und die Abkehr von einer sogenannten Normalerwerbsbiografie geprägt. Die Abfolge Schulabschluss, berufliche Ausbildung und langfristige Beschäftigung im erlernten Beruf ist nicht mehr der selbstverständliche Weg. Diese Veränderungen führen zu erhöhten Freiheitsgraden, aus denen gestiegene Anforderungen an die personalen Kompetenzen Jugendlicher im Übergang von der Schu- VHN 1 | 2012 36 Fachbeitrag SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher le in den Beruf resultieren. Dazu zählen beispielsweise mehr Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Planungskompetenz. So müssen insbesondere benachteiligte Jugendliche ihre Wünsche und Ziele mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten in Beziehung setzen und Strategien zur Lösung eventueller Probleme entwickeln (vgl. Orthmann 2005, 132). Ein durch hohe Arbeitslosigkeit und Lehrstellenknappheit gekennzeichneter Arbeits- und Ausbildungsmarkt wirkt sich für Menschen mit geringer schulischer Bildung besonders verheerend aus. Ein Hauptschulabschluss stellt auf dem deutschen, sehr stark zertifikatsorientierten Arbeitsmarkt keine Garantie mehr dar, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. Solga 2005, 170). Die Mehrzahl der gering Qualifizierten ist im Sektor ungelernter bzw. angelernter oder besonderer Tätigkeiten zu finden. Dieser Bereich ist besonders stark vom Arbeitsmarktwandel durch z. B. verstärkten technologischen Fortschritt betroffen. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ohne abgeschlossene Ausbildung geht weiter zurück, während der Bedarf an höher qualifizierten Fachkräften stetig steigt (vgl. Döbert 2009, 40). Dieser Trend erschwert die berufliche und soziale Integration von benachteiligten Jugendlichen. Bojanowski geht davon aus, dass „in Deutschland inzwischen wohl über 20 % eines Altersjahrgangs von beruflicher und sozialer Ausgrenzung bedroht“ sind (Bojanowski 2006, 344). Die Teilhabe am Erwerbsleben ist jedoch unbestritten ein hohes bildungspolitisches und gesellschaftliches Ziel und gerät im Zuge nationaler wie internationaler Vergleichsuntersuchungen verstärkt ins Blickfeld. So konzentriert sich beispielsweise der zweite nationale Bildungsbericht unter anderem explizit auf die Übergangsproblematik Schule - Berufsausbildung - Erwerbsarbeit (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008 a, 153ff). Die Analysen untermauern den vor allem für Deutschland stark ausgeprägten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, Bildungserfolg und Teilhabe am Erwerbsleben. Mit einem höheren sozioökonomischen Status sind bis zu dreimal geringere Hauptschul- und bis zu fünfmal höhere Gymnasialbesuchsquoten verbunden. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei beruflichen Abschlüssen mit direkten Auswirkungen auf die Erwerbsarbeit. Der Anteil an Erwerbslosen bei Personen ohne beruflichen Abschluss lag im Jahr 2006 bei ca. zwölf Prozent, bei Hochschulabsolventen jedoch nur bei rund vier Prozent (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008 b, 13ff). Für die hohe Zahl an Absolventen 2 der allgemeinbildenden Schulen, die nicht direkt in eine voll qualifizierende Ausbildung wechseln können, wurden die unterschiedlichsten Maßnahmen des Übergangssystems entwickelt, deren Effektivität allerdings aufgrund langer Übergangswege und mangelnden Erfolgs kritisch einzuschätzen ist (vgl. Lex 2003, 41; Döbert 2009, 43ff). Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss 3 zählen zu der größten Gruppe der Teilnehmer am Übergangssystem. Es gelingt Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss nur zu gut einem Fünftel und Jugendlichen mit Hauptschulabschluss nur zur Hälfte, einen beruflichen Ausbildungsplatz zu finden (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 99). Eine besondere Risikogruppe stellen Schulabgänger der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen dar. Sie sind aufgrund eines fehlenden anerkannten Schulabschlusses und ihres Etiketts Behinderung hinsichtlich der beruflichen Integration doppelt benachteiligt (vgl. Wagner 2005, 25). Weitere benachteiligende Faktoren können das Geschlecht oder ein Migrationshintergrund sein. VHN 1 | 2012 37 Fachbeitrag SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher 2 bedeutung von Zukunftsvorstellungen für die berufliche integration A ktuelle Studien decken einen Zusammenhang zwischen der Art der Berufswünsche und den Zukunftsvorstellungen der Schüler und der Wahrscheinlichkeit bzw. den Chancen ihrer beruflichen Integration auf (vgl. Ehret u. a. 2003, 74; Bergzog 2006, 31; Reißig 2007, 105). Von den Hauptschülern, die während der Schulzeit noch keinen Berufswunsch entwickelt hatten, befand sich zwei Jahre nach Beendigung der Pflichtschulzeit nur ein Viertel in einem Ausbildungsverhältnis, fast die Hälfte besuchte eine weitere Schule. Demnach erweist es sich als ein weiterer wesentlicher Risikofaktor, wenn Jugendliche gegen Ende ihrer Schulzeit noch keinen konkreten Berufswunsch und keine positive Einstellung oder positive Erwartungen bezüglich ihrer beruflichen Zukunft haben und somit meist demotiviert sind. Dies fasst Reißig in der prägnanten Gleichung „kein Berufswunsch - keine Ausbildung“ (Reißig 2007, 106) zusammen. Es stellt sich daher die Frage, welche Zukunftsvorstellungen und Berufsorientierungen benachteiligte Jugendliche entwickeln. Zu klären ist, ob sich die gegenwärtig postulierte berufliche Perspektivlosigkeit der Gruppe der Benachteiligten wiederum negativ auf die Motivation und die Einstellung der Schüler mit schlechten Startchancen auswirkt. In amtlichen Statistiken und repräsentativen Studien wird die heterogene Gruppe der Benachteiligten selten differenziert betrachtet. Es ist jedoch zu vermuten, dass Unterschiede in den lebensweltlichen Rahmenbedingungen wie z. B. die besuchte Schulform Auswirkungen auf die Pläne und die Zukunftseinstellung der Jugendlichen haben. Im Folgenden werden die beruflichen Zukunftsvorstellungen und die konkreten Bildungs- und Ausbildungswege von Haupt- und Förderschülern genauer betrachtet und beide Zielgruppen differenziert dargestellt. 3 Zukunftsvorstellungen und berufsorientierungen von benachteiligten Jugendlichen E rste Antworten auf die Frage nach beruflichen Zukunftsvorstellungen von benachteiligten Jugendlichen geben allgemeine Jugendstudien (vgl. Raab 2003; Prager/ Wieland 2005; Gille u. a. 2006; Hurrelmann 2006; Albert u. a. 2010). Daneben existieren weitere Studien, die sich dezidiert mit der Situation der Hauptschüler befassen (vgl. Schumann 2003; Gaupp/ Geier 2008; Reißig u. a. 2008). Diese Studien berücksichtigen allerdings nicht oder nur zum Teil die Risikogruppe der Förderschüler. Diese Gruppe wird verstärkt in kleineren regionalen Untersuchungen näher betrachtet (vgl. 3.2). 3.1 Zielgruppe absolventen der hauptschule Aktuelle Jugendstudien belegen, dass alle Jugendlichen über Wünsche nach einer autonomen und selbstständigen Sinngebung im Leben verfügen und Erwerbstätigkeit dabei zu den zentralen Lebensvorstellungen zählt (vgl. Hurrelmann 2006, 10; Gille u. a. 2006, 204). Für drei Viertel der Jugendlichen hat ein sicherer Arbeitsplatz in der Zukunft oberste Priorität. Berufstätigkeit wird insbesondere unter benachteiligten Jugendlichen als notwendige Voraussetzung für gesellschaftlichen Status und für ein zufriedenstellendes Privatleben angesehen (vgl. Raab 2003, 13f). Hinsichtlich der Einstellungen gegenüber der beruflichen Zukunft schreibt die 16. Shell Jugendstudie der jungen Generation trotz Finanz- und Wirtschaftskrise insgesamt eine VHN 1 | 2012 38 SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher Fachbeitrag optimistische Grundhaltung zu. Allerdings verweist sie auf eine Verstärkung der sozialen Unterschiede bezüglich der Zuversicht, die die Jugendlichen ihrer Zukunft entgegenbringen (vgl. Albert u. a. 2010). Laut Prager/ Wieland sehen die Jugendlichen Arbeits- und Lehrstellenknappheit als größtes Hindernis auf dem Weg von der Schule in den Beruf an. Darüber hinaus ist bei Jugendlichen mit Hauptschulabschluss im Vergleich zu Realschülern und Gymnasiasten eine deutlich pessimistischere Einstellung gegenüber der eigenen beruflichen Zukunft festzustellen (vgl. Prager/ Wieland 2005, 3f). Jugendliche, die mit weniger Vertrauen in die Zukunft blicken, sind weniger bereit, in den Beruf zu investieren. Beispielsweise kommt es für 48 % der befragten Hauptschüler keinesfalls in Frage, für eine Arbeitsstelle in eine andere Stadt zu ziehen (a.a.O., 6). Dieses negative Bild vom Hauptschüler wird durch den DJI-Übergangspanel bezüglich der Einstellung gegenüber der Schule nicht bestätigt. Unter den Jugendlichen lässt sich hier eine grundsätzlich positive Einstellung feststellen. Darüber hinaus sind die Pläne der Jugendlichen anfänglich stark an den Vorstellungen eines normalbiografischen Lebenslaufs ausgerichtet (Reißig 2007, 99). Während ein Drittel der Hauptschüler eine Ausbildung geplant hat, nimmt nach Schulabschluss tatsächlich jedoch nur ein Viertel eine Ausbildung auf; ein weiteres Viertel wählt den Weg in eine berufsvorbereitende Maßnahme. Eine stark bevorzugte Alternative stellt der weitere Schulbesuch dar, um einen besseren allgemeinbildenden Schulabschluss zu erwerben (vgl. Reißig 2007, 99ff; Gaupp/ Daigler 2009, 11). Angesichts der dargestellten Befunde und der deutlich schwierigeren Ausgangslage der Förderschüler im Vergleich zu den Hauptschülern ist zu erwarten, dass jene der beruflichen Zukunft gegenüber insgesamt demotivierter und pessimistischer eingestellt sind. 3.2 Zielgruppe absolventen der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen 3.2.1 berufliche Zukunftsvorstellungen Die unterschiedlichen Studien, die sich explizit mit den Zukunftsvorstellungen und Berufsorientierungen von Schülern im Förderschwerpunkt Lernen und ihren konkreten Bildungs- und Ausbildungsstationen befassen, zeichnen an mehreren Stellen ein uneinheitliches Bild vom sogenannten Förderschüler. Geiling stellt im Rahmen eines Pilotprojekts zu den Wünschen und mittelfristigen Zielen von Schülern von Abschlussklassen im Förderschwerpunkt Lernen fest, dass sich die Verbindung von Berufs- und Familienorientierung geschlechtsübergreifend als oberstes Ziel bei drei Viertel der Jungen und Mädchen darstellt (vgl. Geiling 2004, 278). Dabei ist insgesamt von einer realistischen Lebensplanung zu sprechen. Beispielsweise haben sich 64 % zum Zeitpunkt der neunten Klasse bereits für einen konkreten Beruf entschieden, der im Bereich ihrer Möglichkeiten liegt (a.a.O., 283). Geiling beschreibt eine optimistische Grundorientierung, bei der die Schüler ein traditionelles Leben auf der Basis der Erwerbstätigkeit anstreben. Das berufsvorbereitende Jahr wird verstärkt als Anschlussmöglichkeit gesehen (a.a.O., 282). Ein ähnliches Bild vom aktiven, realistischen und konstruktiven Jugendlichen, der eine Verbindung von Beruf und Familie anstrebt, findet sich in der qualitativ-explorativen Studie von Orthmann. Sie liefert differenzierte Erkenntnisse zu den Plänen in den Bereichen Familie, Beruf, Freizeit und Wohnen weiblicher Jugendlicher mit Lernbehinderung. Danach verfügen die befragten Schülerinnen gegen Ende ihrer Schulzeit durchaus über „in sich geschlossene, inhaltlich konsistente Gesamtlebensentwürfe“ (Orthmann 2005, 134). VHN 1 | 2012 39 SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher Fachbeitrag Etwa die Hälfte der Schülerinnen hat ein Problembewusstsein bezüglich Ausbildung und Beruf entwickelt und strebt mehrheitlich wegen dieser wahrgenommenen Bildungsbenachteiligung einen weiteren Schulbesuch zur Erlangung eines höher qualifizierenden Schulabschlusses an (a.a.O., 136). Nach Aussage von Berufsberatern besitzen Schulabgänger im Förderschwerpunkt Lernen jedoch oft unrealistische Vorstellungen von der Arbeitswelt, und ihre Berufswünsche sind mit den konkreten Voraussetzungen nicht vereinbar. Diese Einschätzung scheint durch eine Pilot-Studie von Pfriem/ Moosecker bestätigt zu werden. Die Autoren kommen zum Schluss, dass Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Lernen „in erheblichem Maße unrealistische Berufswünsche“ (Pfriem/ Moosecker 2004, 475) äußern, dass berufsvorbereitende Maßnahmen allerdings realistische Berufswünsche bei den Schülern fördern. Dagegen verweisen Sahli Lozano u. a. mit ihrer repräsentativen Studie auf einen negativen Einfluss der schulbiografischen Erfahrungen in einer Förderschule auf Berufswünsche der Jugendlichen bezüglich des Prestigewertes (vgl. Sahli Lozano u. a. 2009, 174). Interessanterweise bekräftigen verschiedene Studien das bereits angesprochene Bild vom optimistischen Förderschüler. Die Einstellung der Jugendlichen, die an der Studie von Pfriem/ Moosecker teilgenommen haben, zu ihrer beruflichen Zukunft ist ebenfalls tendenziell zuversichtlich und durch Anstrengungsbereitschaft gekennzeichnet (Pfriem/ Moosecker 2004, 474). Die Schul-Motivation und das Engagement der Förderschüler für ihre berufliche Zukunft werden im Vergleich zu den Hauptschülern auch in einer Repräsentativumfrage in fünf Bundesländern als sehr hoch bezeichnet (vgl. Osipov u.a. 2009, 19). Diese Ergebnisse überraschen, da die Erkenntnisse der allgemeinen Jugendstudien ein negatives Bild von benachteiligten Jugendlichen bezüglich ihres beruflichen Zukunftsengagements aufgrund schlechter Chancen für die berufliche Integration zeichnen. Abschließend sollen die tatsächlichen Bildungswege von Förderschülern skizziert werden. 3.2.2 Konkrete bildungswege von Förderschülern Der weitere Weg nach der Schule führt meist in die Berufsvorbereitung (Ehret u. a. 2003, 73; Gebhardt 2009, 230). Im Rahmen der Stuttgarter Schulabsolventenstudie wird deutlich, dass 86 % der 76 befragten Abgänger der Förderschule im Anschluss an die Schule in berufsvorbereitende Maßnahmen gehen. Bei mehr als der Hälfte der Schüler entspricht dieser Weg den geäußerten Plänen während der Schulzeit (vgl. Gaupp/ Geier 2008, 44; Gaupp/ Daigler 2009, 11). Hier besteht ein Unterschied zu den Hauptschülern, die überwiegend eine Ausbildung oder einen weiteren Schulbesuch anschließen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Gruppe der Schulabgänger im Förderschwerpunkt Lernen hinsichtlich ihrer besuchten Schulform keine homogene Gruppe darstellt. Ergebnisse einer Vergleichsstudie zu den Entwicklungsverläufen von Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten in separativen bzw. integrativen Kontexten lassen diesbezüglich große Unterschiede erkennen. Demnach stehen die Jugendlichen aus Förderschulen im Vergleich zu jenen aus Integrationsschulen hinsichtlich des erreichten Schulabschlusses, der Anzahl der Übergänge nach Verlassen der Schule, dem Status am Ende der ersten Schwelle und der erreichten Ausbildungsform deutlich schlechter da (Ginnold 2006, 190ff). Es stellt sich angesichts der geringen beruflichen Ausbildungs- und Arbeitsmarktchancen von Förderschulabsolventen die Frage, „ob die möglicherweise begründbaren pädagogischen Vorteile der Sonderschule heute nicht zu hoch VHN 1 | 2012 40 SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher Fachbeitrag bewertet werden gegenüber dem Nachteil einer frühzeitigen Festlegung auf geringe Berufs- und Aufstiegschancen im Lebensverlauf “ (Wagner 2005, 27). Es bleibt eine „empirische Benachteiligung“ festzuhalten. Die Gruppe der Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf findet in repräsentativen Erhebungen und Langzeituntersuchungen zum Übergang Schule/ Beruf wenig Berücksichtigung. Einzelne Studien, in denen explizit Förderschüler zum Gegenstand der Forschung gemacht werden, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Realitätsnähe, der Einstellung und des Engagements zur beruflichen Zukunft. Das eigene Forschungsvorhaben „Zukunftsvorstellungen und Berufsorientierungen von Schülerinnen und Schülern im Förderschwerpunkt Lernen und ihre Chancen am Arbeitsmarkt“ knüpft an die bestehende Forschungslage an und greift einige dieser offenen Punkte zunächst in einer qualitativen Pilot-Studie auf. 4 erste ergebnisse der qualitativen Pilot-Studie und Diskussion 4.1 Forschungsfragen und -methodik A ussagen über Risiko- und Schutzfaktoren lassen sich kaum generalisierend auf den je konkreten Einzelfall übertragen. Zudem ist davon auszugehen, dass Entwicklungsverläufe auch beim Vorliegen von Risiken unterschiedlich gestaltet werden und durchaus auch positive Wendepunkte möglich sind. Daher erscheint mir die Wahl eines qualitativen Zugriffs angemessen zu sein, und es ergeben sich für mich die folgenden Forschungsfragen: Wie nehmen benachteiligte Jugendliche ihre Situation wahr? Welche Lebensentwürfe, welche Zukunftspläne haben Jugendliche im Förderschwerpunkt Lernen? Welche Einstellungen gegenüber der beruflichen Zukunft entwickeln sie? Wie schätzen sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein? Wie engagiert kümmern sie sich um die Erreichung ihrer Ziele? In einer qualitativ-explorativen Phase wurden Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt Lernen diesbezüglich befragt 4 . Auf der Grundlage eines interpretativen Paradigmas sind die gewonnenen Daten computergestützt inhaltsanalytisch ausgewertet und die Ergebnisse interpretiert worden (vgl. Mayring 2007). In den folgenden Ausführungen konzentriere ich mich auf die Darstellung und Diskussion zentraler Ergebnisse der Interviewbefragung von allen sieben Schülern einer neunten Förderschulklasse in Hannover zum Schuljahresende 2007 kurz vor Verlassen der Schule. Die Befragten äußern sich zu ihrer häuslichen und familiären Situation, zur Lebensplanung nach Beendigung der Schule und zur Berufswahl und -orientierung. Selbstverständlich sind die Ergebnisse dieser kleinen Pilot-Studie nicht verallgemeinerbar. Interessant hierbei sind jedoch die unterschiedlichen Perspektiven, die die befragten Jugendlichen ihrer Zukunft gegenüber haben, aber auch grundlegende Tendenzen, die sich in der Gruppe herauskristallisieren. 4.2 Zukunftsvorstellungen Auf die Frage nach ihren Wünschen und Zielen für ihr Leben in zehn Jahren werden neben der Familiengründung Arbeit und finanzielle Sicherheit genannt. Leon: „Da will ich einen vernünftigen Job haben, vielleicht eine Familie und genug Geld verdienen und dass alles gut läuft.“ Finanzielle Sicherheit soll die Grundlage dafür sein, andere Familienangehörige versorgen zu können sowie die eigene Existenz zu sichern und eine Wohnung bzw. VHN 1 | 2012 41 SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher Fachbeitrag ein Haus zu finanzieren. Anke antwortet beispielsweise: „Hätt ich ne Arbeit - könnte meiner Mutter mal ein bisschen Geld abgeben! “ Arne dagegen: „Jaaa, also - weiß nicht, wie ich das sagen soll. Mhm - ich würde auf jeden Fall dann in so einem eigenen Haus wohnen. Und, ja ne Frau und zwei Kinder. Dann - ja so, ich würde auch versuchen so berühmt zu werden. - Ja so was in der Art. Das Beste aus dem Leben so zu machen. […] Also ich, ich will Rapper werden.“ Immaterielle Wünsche wie Zufriedenheit oder Gesundheit werden nicht erwähnt. Die sehr positive Stimmungslage, die in der Studie von Pfriem/ Moosecker beschrieben wird - über zwei Drittel der befragten Förderschüler schätzen die Chancen zur Erfüllung des favorisierten Berufswunsches als sehr gut ein (Pfriem/ Moosecker 2004, 473) -, findet sich in der vorliegenden Pilot-Studie nicht wieder. Bezüglich der Einstellung zur Zukunft lassen sich beide Stimmungslagen feststellen. Die eine Hälfte der Jugendlichen freut sich auf das Leben nach der Schule, die andere macht sich Sorgen um die Zukunft. Die Vorfreude ist insbesondere durch die Hoffnung auf Geldverdienen und die damit zusammenhängende Selbstständigkeit gekennzeichnet; die Sorge wird von der Angst vor Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen fehlenden materiellen Lebensgrundlage bestimmt. Serkan freut sich auf die Zukunft und erklärt: „Ähm, weil ich dann arbeiten kann - und selbst Geld verdienen kann und eine Familie gründen kann - und ein eigenes Haus habe.“ Julia äußert sich dagegen wie folgt: „Also ich mach mir Sorgen um die Zukunft - nach der Schule, weil ich nicht weiß, was noch kommen wird, also was - ob ich einen Beruf finde und so. Dass ich vielleicht nicht genug Geld habe zum Leben und so.“ Die Schüler, die ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz und anschließende Arbeit in ihrem angestrebten Beruf als sehr gut bzw. gut beurteilen, begründen dies mit der Tatsache, dass sie auf familiäre bzw. persönliche berufliche Kontakte zurückgreifen können oder Erfahrung in dem angestrebten Berufsfeld mitbringen. Arne erklärt beispielsweise: „Weil ich schon vieles darüber so über meinen Bruder da so gelernt habe. So weiß ich schon vieles.“ Serkan meint dagegen: „Weil mein Bruder arbeitet Karosseriebauer und der ist da der Chef.“ Die übrigen Schüler schätzen ihre eigene berufliche Perspektive insbesondere aufgrund der unsicheren Arbeitsmarktsituation eher mittelmäßig ein. Von einem Schüler wird diesbezüglich explizit sein Status als Förderschüler als benachteiligender Faktor problematisiert. Ob sich die Schüler grundsätzlich als benachteiligt im Beruf wahrnehmen und ein Problembewusstsein entwickelt haben, wie es für die Schülerinnen im Förderschwerpunkt Lernen von Orthmann (2005, 135) beschrieben wurde, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht beantworten. Keiner der Befragten geht jedoch von schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus. Darüber hinaus sehen die befragten Jugendlichen hohe Einflussmöglichkeiten. Selbstständiges Arbeiten, Fleiß im Berufsvorbereitungsjahr, ein gutes Schulzeugnis und damit verbunden ein Hauptschulabschluss erhöhen ihrer Ansicht nach die Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Neben dieser Anstrengungsbereitschaft werden die in den Praktika gemachten Erfahrungen und die dort angetroffenen Kontaktpersonen erwähnt, aber auch nicht beeinflussbare Faktoren wie Glück und viele freie Ausbildungsstellen. 4.3 berufsorientierung Bezüglich ihrer Pläne nach Beendigung der Schule geben die Schüler an, entweder eine Ausbildung anzustreben oder ein Berufsvorbereitungsjahr anzuschließen. Da bei den Berufswünschen überwiegend Ausbildungsbe- VHN 1 | 2012 42 SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher Fachbeitrag rufe genannt werden, kann davon ausgegangen werden, dass die befragten Schüler der Förderschule prinzipiell eine Ausbildung anstreben - insbesondere wenn das BVJ als Brücke angesehen werden kann, die letztlich in einer Ausbildung mündet (vgl. Reißig 2007, 103). Die Ausbildung soll als Basis für eine dauerhafte Beschäftigung und Sicherung der materiellen Lebensgrundlage dienen. Dieses Ergebnis entspricht dem Wunsch nach einer Normalerwerbsbiografie Schule - Ausbildung - Beruf. So begründet Anke ihre positive Einstellung zur Zukunft folgendermaßen: „Weil ich eigentlich ja schon fast alles habe - diesen Platz für die andere Schule - und dann komm - gehe ich halt dann schon gleich - mach ich ja schon meine Aus meine Lehre dann schon bald - nach einem Jahr.“ Aus der Analyse der vorliegenden Interviewtranskripte wird deutlich, dass die befragten Schüler der Förderschule gegen Ende ihrer Schulzeit mehrheitlich über klare (annähernd realistische) Berufswünsche aus dem Dienstleistungssektor und dem Handwerk verfügen und gleichzeitig nicht auf einen einzigen Wunschberuf festgelegt sind. Sofern der Wunschberuf schwierig umzusetzen erscheint, wie z. B. Glasbläser, Fußballer oder Rapper, wird dieser mit einer Alternative wie Tischler, Verkäufer oder Friseur geäußert. Dabei begründet ein Großteil der befragten Schüler die Wahl mit dem Interesse an der berufspraktischen Tätigkeit und damit zusammenhängenden positiven Begleiterscheinungen wie körperliche Fitness oder erlangte Kompetenzen, die auch im Privatleben von Nutzen sein können. In der vorliegenden Pilot-Studie zeichnet sich ab, dass von allen befragten Schülern Spaß bei der Arbeit als wichtigstes Kriterium bei der Berufswahl empfunden wird, gefolgt von guter Bezahlung, Erfolg im Beruf und ausreichend Freizeit. Keiner spricht sich gegen einen Beruf aus, der mit Anstrengung verbunden sein könnte (siehe auch Pfriem/ Moosecker 2004, 474). Gutes Ansehen des Berufs ist für keinen der Jugendlichen zwingend notwendig (siehe auch Sahli Lozano u. a. 2009, 174). Die überwiegende Mehrheit der Schüler ist grundsätzlich zu einem Umzug bereit oder würde die Entscheidung vom Ort abhängig machen. Es gibt keinen Schüler, der einen Umzug in eine andere Stadt zur Erlangung einer Ausbildungs- oder Arbeitsstelle ablehnt. Daraus wird deutlich, dass die Schüler - entgegen der Ergebnisse von Prager/ Wieland (2005) - bereit sind, gewisse Opfer für das Erreichen beruflicher Ziele zu erbringen. Maßgebende Quellen für Berufswünsche sind in erster Linie konkrete Erfahrungen mit dem Tätigkeitsfeld durch Praktika, Familienangehörige oder Freunde. Die Berufswahl ist „einer der wenigen Bereiche, in dem Jugendliche ihre Eltern noch um Rat fragen, in dem sie ihnen noch Kompetenzen einräumen“ (Prager/ Wieland 2005, 9; vgl. auch Pfriem/ Moosecker 2004, 473; Gaupp/ Daigler 2009, 11). Es stellt sich jedoch angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen innerhalb der sozial benachteiligten Familien die Frage, ob die Jugendlichen im häuslichen Umfeld langfristig stabile Orientierungen erhalten. 5 Zusammenfassung und ausblick D ie vorliegende qualitativ-explorative Pilot-Studie gibt Antworten auf die Fragen, welche Pläne und Einstellungen die befragten Förderschüler zu ihrer beruflichen Zukunft entwickeln und wie sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt einschätzen. Die befragten Abschlussschüler einer städtischen Förderschulklasse gewichten die Lebensbereiche Ausbildung/ Beruf und Familie in ihren Zukunftsvorstellungen gleich stark. Sie haben am Ende ihrer Schulzeit konkrete VHN 1 | 2012 43 Fachbeitrag SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher Berufswünsche aus den Bereichen des Dienstleistungssektors und des Handwerks und sind nicht auf einen einzigen Wunschberuf festgelegt. Alle streben eine Ausbildung im Sinne einer Normalerwerbsbiografie an. Dabei zeigen sie deutliches Interesse an den praktischen Tätigkeiten des angestrebten Berufs, wünschen sich Spaß bei der Arbeit und finanzielle Sicherheit. Die Berufswahl wird wesentlich durch eigene konkrete Erfahrungen der Schüler in Praktika und durch private Kontakte beeinflusst. Die Stimmungslage der Gruppe lässt sich als gespalten beschreiben. Auf der einen Seite zeichnet sich ein Typus ab, bei dem eine positive Zukunftseinstellung überwiegt, die durch Freude auf Verdienst und Selbstständigkeit geprägt wird. Auf der anderen Seite wird eine eher skeptische Haltung sichtbar, die auf Angst vor Arbeitslosigkeit und damit verbundenen Geldsorgen beruht. Optimismus scheint mit einer positiven Einschätzung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt zusammenzuhängen. Diese Haltung geht vielfach einher mit einer erstaunlich hohen Überzeugung, die Situation durch eigene Anstrengung verbessern zu können. Beide Typen, der positiv gestimmte, anstrengungsbereite Optimist und der besorgte, aber dennoch anstrengungsbereite Skeptiker, scheinen sich - anders als die Analyse der Forschungslage vermuten ließ - als Gestalter ihrer Zukunft zu sehen. Es sind an dieser Stelle noch keine Aussagen darüber machbar, in welcher Hinsicht diese Kontrollüberzeugungen in tatsächliche Handlungen überführt werden. Die dargestellten Ergebnisse haben nur Gültigkeit für die ausgewählte Stichprobe und können nicht verallgemeinert werden. Sie weisen jedoch auf unterschiedliche Typen (Kelle/ Kluge 1999) in der Auseinandersetzung mit der beruflichen Zukunft hin und geben Anregungen für anschließende Forschung. So stellen sich vor allem folgende Kernfragen: Wie lässt sich das erkennbare berufliche Zukunftsengagement der Förderschüler und ihre tendenziell optimistische Einstellung trotz schlechter Startchancen erklären? Warum halten die Jugendlichen in schwierigen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt und der Zunahme alternativer Erwerbsmöglichkeiten (wie z. B. der Nischenarbeitsplätze) eisern an einer Normalerwerbsbiografie fest? Eine Erklärung dafür wäre, dass die Realität des Arbeitsmarktes aus dem Berufsvorbereitungsunterricht ausgeblendet wird und die Schüler in einem Schonraum unrealistische Vorstellungen entwickeln. Es spricht jedoch viel für die These, dass die Schüler ihre faktische Benachteiligung beim Übergang ins Erwerbsleben aufgrund vielfältiger unterstützender Faktoren als kaum relevant einschätzen. Soziale Netzwerke, die Einbindung in den nahen Sozialraum, eine engagierte Lehrkraft scheinen förderliche Bedingungen zu sein, die eine optimistische proaktive Stimmung begünstigen. Hier ist jedoch darauf zu achten, dass wir zunächst lediglich auf der Ebene der manifesten Sinngehalte der Äußerungen verblieben sind. Hinter den hoffnungsvollen Zukunftsentwürfen können sich durchaus verdrängte Ängste vor der Einmündung ins Berufsleben verbergen. Ein zweites Ergebnis ist das Festhalten an klassischen Erwerbsverläufen. Es bietet möglicherweise Stabilität und Sicherheit in einer unsicheren Welt. Dennoch sind diesbezüglich Auflösungstendenzen sichtbar. Die Mehrheit orientiert sich ebenfalls an den Werten einer individualisierten Gesellschaft und ist bereit, für eine Arbeitsstelle umzuziehen. Hängt die angegebene Bereitschaft zur Mobilität und Flexibilität mit der Tatsache zusammen, dass es sich bei dieser Stichprobe um Schüler einer städtischen Förderschule handelt? Lassen sich Stadt-Land-Unterschiede identifizieren? Interessant scheint für zukünftige Forschung ein Vergleich der Aussagen der Schüler mit dem VHN 1 | 2012 44 SaNDRa DENEkE Zukunftsvorstellungen benachteiligter Jugendlicher Fachbeitrag tatsächlichen späteren beruflichen Werdegang und ihrem Engagement zu sein. Sind ihre Aussagen tatsächlich handlungsrelevant? Zu klären ist weiterhin, welche Auswirkungen schulbiografische Erfahrungen, insbesondere integrative oder separative Kontexte, auf die Lebensentwürfe der Jugendlichen, ihre Einstellungen zur beruflichen Zukunft und ihr Problembewusstsein haben. Der Schwerpunkt des Forschungsvorhabens liegt dabei auf einer Analyse typischer Muster bei der individuellen Auseinandersetzung mit den Zukunftschancen. Aufgrund der Problematik einer multifaktoriellen Beeinflussung sind weitere Rahmenbedingungen wie Migrationshintergrund, Geschlechterzugehörigkeit oder die soziale Lage als Erklärungsansätze für die vordergründig unterschiedlichen Erkenntnisse innerhalb der Gruppe der Benachteiligten hinzuzuziehen und in Folgeuntersuchungen genauer zu analysieren. Erst dadurch lässt sich ein Bild der variablen Einflüsse - individuelle wie strukturelle - auf Zukunftsvorstellungen im Lebenskontext der Jugendlichen zeichnen, das Faktoren für Resilienz in Bezug zu gesellschaftlichen Hintergründen aufzeigen kann. Dies wiederum kann die Grundlage für eine integrative Pädagogik sein, die nicht nur die schulische, sondern auch die berufliche und die soziale Integration bei ihren Unterstützungsarrangements im Blick hat. anmerkungen 1 Teile dieses Beitrags stellten die Grundlage für den gleichnamigen Vortrag auf dem DGfE-Kongress in Mainz am 15. 3. 2010 dar. 2 Die männliche Form schließt in diesen Ausführungen die weibliche mit ein. 3 Der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss aus allgemeinbildenden Schulen in Deutschland bleibt mit 7,5 % seit Jahren relativ hoch (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, 90). 4 Die Befragung (mit Hilfe von Fragebogen oder Interviewleitfaden) wurde bisher unter Einbezug von Jugendlichen mit und ohne Förderbedarf sowie in verschiedenen Schulformen (Förderschule, Integrierte Gesamtschule) und Klassenstufen der Sekundarstufe (siebte bis zehnte Klasse) in Anlehnung an das Prinzip der maximalen Variation durchgeführt. Literatur albert, Mathias; Hurrelmann, klaus; Quenzel, Gudrun (2010): Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt a. M.: Fischer autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2008 a): Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer analyse zu Übergängen im anschluss an den Sekundarbereich I. Bielefeld: WBV autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2008 b): Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer analyse zu Übergängen im anschluss an den Sekundarbereich I - Pressemitteilung. Berlin, Frankfurt a. M. autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2010): Bildung in Deutschland 2010. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demographischen Wandel. Bielefeld: WBV Bergzog, Thomas (2006): Beruf fängt in der Schule an - Schülerbetriebspraktika in der Berufsorientierungsphase. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis o. Jg. 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