eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 81/2

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2012
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Aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen

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2012
Gerd Hansen
Die vorliegende Studie macht Aussagen zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Dazu wurden Daten von 4314 Schülerinnen und Schülern erhoben, ergänzt durch Auskünfte von Schulleitungen aus 24 Förderschulen. Es lassen sich mehrere Entwicklungstrends ableiten. So bleibt der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit komplexen Behinderungen insgesamt auf einem hohen Niveau konstant. Zugenommen hat sowohl die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensstörungen wie auch mit Autismus-Spektrum-Störungen. Obwohl nach wie vor die überwiegende Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler eine oder mehrere körperliche oder motorische Schädigung(en) aufweist, stellen sich die zukünftigen pädagogischen Aufgaben sowohl innerhalb der Förderschule als auch bei Maßnahmen der schulischen Inklusion wesentlich umfangreicher und komplexer als bislang dar. Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern muss auf Veränderungen der Schülerschaft und der Förderkontexte reagieren.
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124 VHN, 81. Jg., S. 124 -135 (2012) DOI 10.2378/ vhn2012.art07d © Ernst Reinhardt Verlag Fachbeitrag Aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Nordrhein- Westfalen Ergebnisse einer Querschnitterhebung aus dem Jahr 2010 gerd hansen Universität zu Köln Zusammenfassung: Die vorliegende Studie macht Aussagen zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Dazu wurden Daten von 4314 Schülerinnen und Schülern erhoben, ergänzt durch Auskünfte von Schulleitungen aus 24 Förderschulen. Es lassen sich mehrere Entwicklungstrends ableiten. So bleibt der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit komplexen Behinderungen insgesamt auf einem hohen Niveau konstant. Zugenommen hat sowohl die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensstörungen wie auch mit Autismus-Spektrum-Störungen. Obwohl nach wie vor die überwiegende Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler eine oder mehrere körperliche oder motorische Schädigung(en) aufweist, stellen sich die zukünftigen pädagogischen Aufgaben sowohl innerhalb der Förderschule als auch bei Maßnahmen der schulischen Inklusion wesentlich umfangreicher und komplexer als bislang dar. Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern muss auf Veränderungen der Schülerschaft und der Förderkontexte reagieren. Schlüsselbegriffe: Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, körperliche und motorische Schädigung, Autismus-Spektrum-Störungen, komplexe Behinderung, Verhaltensstörungen current Descriptive Data on Pupils at Schools for Physically Disabled children Summary: The present study makes statements about the description of pupils at schools for physically disabled children in the German state North Rhine-Westphalia. The data were collected from 4314 students and supplemented by information from the directors of 24 special schools. Several trends can be derived. The proportion of pupils with severe disabilities remains on a high level. The number of pupils with behavior disorders and with autism spectrum disorders has increased. Although the majority of the pupils still have one or more physical impairment(s), future educational tasks will be more extensive and more complex than in the past as well in special schools as in inclusive schools. Teacher training has to respond to changes in pupils and in educational contexts. Keywords: School for physically disabled children, physical impairment, autism spectrum disorder, complex disabilities, behavior disorders VHN 2 | 2012 125 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag 1 Zur ausgangslage D ie hier vorgestellte Untersuchung macht beschreibende Aussagen zur Zusammensetzung der Schülerschaft an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen (im Folgenden abgekürzt als FSkmE bzw. NRW). NRW als bevölkerungsreichstes Bundesland der Bundesrepublik Deutschland beherbergt zurzeit insgesamt 35 Förderschulen mit diesem Förderschwerpunkt. 2010 besuchten 6944 Schülerinnen und Schüler diese Schulform, 1408 Schülerinnen und Schüler mit diagnostiziertem sonderpädagogischem Förderbedarf in diesem Bereich wurden in Allgemeinen Schulen im Rahmen des Gemeinsamen Unterrichts beschult (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010 a, 14ff). Die Integrationsquote in NRW steigt in den letzten Jahren moderat an. Empirische Erhebungen zur Beschreibung der Schülerschaft an FSkmEs (früher Schulen für Körperbehinderte) sind bislang eher rar. Als bekannteste und umfassendste kann nach wie vor die bundesweite Untersuchung von Elisabeth Wehr-Herbst (1997) gelten. Die aktuellsten Erhebungen stammen von Reinhard Lelgemann und Alfred Fries (2009) für das Bundesland Bayern sowie von Norbert Kuckartz und Frank Zöllner (2010) für NRW, wobei letztgenannte Studie eher spezifische Fragestellungen enthält und deshalb nicht in Konkurrenz mit der hier vorgestellten eher breit angelegten Studie steht. Die Untersuchung von Lelgemann und Fries ist für die hier berichteten Befunde in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen gibt sie einen kompletten und gut ausgearbeiteten Überblick über den aktuellen Forschungsstand, weshalb an dieser Stelle auch auf eine gesonderte Darstellung verzichtet und stattdessen auf die entsprechende Publikation verwiesen werden soll. Zum anderen gelangt in der hier vorgelegten Erhebung eine modifizierte Fassung des Forschungsinstrumentariums der beiden Autoren zur Anwendung - ein Fragebogen, welcher separat für jede Schülerin bzw. jeden Schüler auszufüllen war, sowie ein weiterer Fragebogen, der Informationen von der jeweiligen Schulleitung erfragte. Die Informationen zu den Schülerinnen und Schülern kamen in der Regel von den jeweiligen Klassenlehrerinnen und -lehrern. Als Informationsbasis dienten dabei vor allem die Schülerakten. Bei einigen wenigen Items wurden auch subjektive Einschätzungen der Lehrkräfte erbeten. Durchschnittlich bearbeitete jede Klassenleitung etwa 10 Fragebogen. Die mit einem solchen Forschungsprozedere verbundenen Probleme und Unschärfen (etwa hinsichtlich der Gütekriterien der Daten, der unterschiedlichen Interpretation von Fachbegriffen durch die befragten Lehrkräfte oder von Differenzen der Dokumentationsqualität der zurate gezogenen Schülerakten) erscheinen bei Erhebungen dieses Zuschnitts unumgänglich und werden sämtlich so auch in Vorgängeruntersuchungen toleriert (vgl. etwa Wehr-Herbst 1997, 317). Ein solches Vorgehen gebietet aber eine gewisse Vorsicht bei der Interpretation der Befunde. Die Erhebung von empirisch gesicherten Daten zur Zusammensetzung von Schülerschaften kann für unterschiedliche Ebenen der pädagogischen Praxis und ihrer Planung nutz- und gewinnbringend sein. Genannt seien beispielsweise die Ebenen n der bildungspolitischen Entscheidungen (etwa hinsichtlich der durch die Veränderung der Schülerschaft notwendigen Anpassungen der personellen und materiellen Ausstattungen, zum Beispiel für den Fall der Zunahme von komplexen Beeinträchtigungen oder hinsichtlich der Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen einer verantworteten Inklusion), VHN 2 | 2012 126 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag n der Organisations- und Schulentwicklung von Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt kmE (etwa hinsichtlich der Konzeption zielgenauer Fort- und Weiterbildungsangebote sowohl für Lehrkräfte als auch für therapeutisch und pflegerisch tätiges Personal), n des Unterrichts und der Didaktik (etwa hinsichtlich des Belegs der Notwendigkeit von unterrichtsvorbereitenden, -begleitenden und -unterstützenden therapeutischen Maßnahmen, der Anschaffung spezifischer didaktischer Materialien oder der Konzeption spezieller didaktischer Arrangements, etwa für Schülerinnen und Schüler mit Autismus-Spektrum-Störungen), n der Ausbildung von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen (betrifft u. a. die zielgenaue und realitätsangemessene Vorbereitung der Studierenden auf die im Förderschwerpunkt zu erwartende Schülerschaft oder Aspekte der Steigerung der Studiumsmotivation durch Praktikumserfahrungen einerseits und universitäre Lehrangebote andererseits), n der Unterstützung von Elternentscheidungen bei Fragen der bestmöglichen Förderung respektive der Schulauswahl (etwa in Bezug auf die Entwicklung von Kriterien zur Wahl inklusiver Schularrangements oder hinsichtlich der Prüfung des Vorhandenseins von als notwendig erachteten Therapie- und Pflegeangeboten). 2 eckpunkte des forschungsmethodischen Vorgehens I nsgesamt 24 von 35 angefragten Schulen beteiligten sich an der Studie. Erhebungszeitraum war der Sommer 2010. Pro Schüler war ein vierseitiger Fragebogen auszufüllen, wobei die Mehrzahl der Items in Form von Multiple- Choice-Fragen vorgelegt wurde, ergänzt durch einige wenige offene Fragen. Neben den üblichen sozialstatistischen Daten (Geburtsdatum, Geschlecht, Aufnahmedatum in die Schule, ergänzt durch Fragen zur Nationalität und einem möglichen Migrationshintergrund) wurden nähere Informationen zu folgenden Themenbereichen erbeten: n Besuch vorschulischer und schulischer Einrichtungen vor der Aufnahme in die FSkmE n Beschulung im Gemeinsamen Unterricht vor der Aufnahme in die FSkmE, n sozialer Status der Familie n familiäre Probleme n Armutslage n Wohnform n körperlich-motorische Schädigung n zusätzliche Beeinträchtigungen n schwerste Behinderung (zur Definition siehe nachfolgendes Kapitel 3) n Beeinträchtigungen des Verhaltens (im Fragebogen als Verhaltensstörung bezeichnet) n Inanspruchnahme von Therapien n der Beschulung zugrunde liegender Lehrplan n spezifische Förderbedarfe. Insgesamt wurden so Daten von 4314 Schülerinnen und Schülern erhoben. Die Daten können damit als repräsentativ für NRW gelten, nicht jedoch für die Bundesrepublik Deutschland, weil aufgrund der föderalen Organisation der Bildungspolitik zwischen den einzelnen Bundesländern zum Teil erhebliche Unterschiede im jeweiligen Förderschulsystem bestehen. Neben der Charakterisierung der einzelnen Schüler wurde ein anderer Fragebogen den Schulleitern vorgelegt, der im Wesentlichen Fragen zur statistischen Erfassung der Gesamtanzahl der Schüler und des an der Schule vertretenen Personals enthielt und daneben noch eigene Beobachtungen bezüglich der Veränderungen der Schülerschaft erfragte. Die im folgenden Kapitel zusammengefassten Antworten geben aufgrund der Umfangbeschränkung des vorliegenden Beitrags nur ei- VHN 2 | 2012 127 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag nen Auszug der insgesamt sehr umfangreichen Stellungnahmen wieder. Das Prinzip der Selektivität der Ergebnisdarstellung gilt im Übrigen auch für die in Kapitel 4 erfolgende Präsentation der Daten zur Beschreibung der Schülerschaft. 3 beobachtungen der Schulleitungen zu Veränderungen der Schülerschaft E s werden nur Beobachtungen und Aussagen aufgelistet, die mehrfach genannt wurden. In der Reihenfolge der Häufigkeit ergab sich folgendes Antwortprofil: n Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf im Bereich der sozialemotionalen Entwicklung (18 Nennungen, entspricht 75 % der Stichprobe); n Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit Autismus-Spektrum-Störungen (14 Nennungen, entspricht 58,33 % der Stichprobe); n Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit schweren, schwersten und komplexen Behinderungen (12 Nennungen, entspricht 50 % der Stichprobe); n Abnahme von Schülerinnen und Schülern in Bildungsgängen der Allgemeinen Schulen (6 Nennungen, entspricht 25 % der Stichprobe); n Zunahme von Schülerinnen und Schülern, die wegen der Notwendigkeit intensiver medizinischer Betreuung oder erheblichen Verhaltensauffälligkeiten einen deutlich höheren Personalschlüssel erfordern (in der Regel 1 : 1-Betreuung) (4 Nennungen, entspricht 16,67 % der Stichprobe); n Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit seltenen Erkrankungen (3 Nennungen, entspricht 12,5 % der Stichprobe). Insgesamt belegen die Daten ein im Vergleich zu früheren Erhebungen deutlich erhöhtes Anforderungsprofil an das pädagogische und therapeutische Personal der Schulen. Auffallend sind besonders zwei Entwicklungen: Zum einen dringen in anderen Schulformen immer deutlicher und präsenter werdende Phänomene von Auffälligkeiten des Verhaltens zusehends auch in die Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung durch, und zum anderen bleibt das Thema schwerste oder komplexe Behinderung nach wie vor eines von hohem Rang. Daten zur Prävalenz sowie zu Erscheinungsformen der Verhaltensauffälligkeiten werden im folgenden Kapitel aufgeführt. Zum prozentualen Anteil von schwersten oder komplexen Behinderungen lässt sich Folgendes feststellen: Bei einer durchschnittlichen Schulgröße der an der Studie beteiligten Schulen von 209 Schülerinnen und Schülern (und 21 Schulklassen) beträgt die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit schwersten oder komplexen Behinderungen in der vorliegenden Untersuchung 1906 (entspricht 38,1 % des gesamten Datenpools). Legt man als Vergleichszahlen die Daten der Erhebung von Wehr- Herbst (1997, 318) für NRW zugrunde, so zeigt sich eine seit dieser Zeit eher konstante Entwicklung beim Anteil dieser Schüler. Auffallend ist dagegen die von Lelgemann und Fries (2009, 219) berichtete deutlich geringere Quote schwerstbehinderter Schülerinnen und Schüler in Bayern (insgesamt 17,3 % des dort erhobenen Datenpools). Auch hier zeigen sich die bereits oben angesprochenen Differenzen der einzelnen Bundesländer bei der Organisation der Beschulung dieser Schüler, die unter anderem auf unterschiedlichen Interpretationen der Begrifflichkeit und in der Folge der schulrelevanten Diagnose einer schwersten oder komplexen Behinderung fußen. In NRW richtet sich die Feststellung einer schwersten Behinderung nach Paragraph 10 der sogenannten AO-SF (Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke, siehe Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes VHN 2 | 2012 128 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag Nordrhein-Westfalen 2010 b), die auch als Definitionsgrundlage für die hier berichtete Untersuchung diente. Als schwerstbehindert gelten dort Schülerinnen und Schüler, „… a) deren geistige Behinderung, Körperbehinderung oder Erziehungsschwierigkeit erheblich über die üblichen Erscheinungsformen hinausgeht oder b) bei denen zwei oder mehr der Behinderungen Blindheit, Gehörlosigkeit, anhaltend hochgradige Erziehungsschwierigkeit, geistige Behinderung und hochgradige Körperbehinderung vorliegen“ (ebd.). In Bayern existiert eine solche verordnungsbezogene Festlegung (etwa über das entsprechend zu denkende VSO-F) nicht. In der Praxis werden hier oft die vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung des Landes veröffentlichten Beschreibungsmerkmale herangezogen, wie etwa die Kumulation verschiedener Behinderungsformen, hoher Förder- und Therapiebedarf, lebenslange(r) Abhängigkeit und Versorgungsbedarf, Bedarf von Einzelzuwendung und direkter Ansprache sowie Bedarf an Kommunikationsunterstützung (vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung 2010, 32 f). Ergänzend und abschließend sollen hier noch einige Angaben zum therapeutischen Angebot der Schulen gemacht werden. Zum Zeitpunkt der Erhebung sind alle befragten Schulen in der Lage, ein Angebot an physiotherapeutischen und ergotherapeutischen Maßnahmen vorzuhalten. Drei Viertel der Schulen haben ein sprachheiltherapeutisches Angebot im Portfolio, neun Schulen verfügen über weitere therapeutische Angebote (wie etwa psychomotorische Förderung, autismusspezifische Förderung, Reittherapie oder Musiktherapie). Nur eine verschwindend geringe Minderheit der Schulen (nämlich zwei) beschäftigen Sozialpädagoginnen oder Sozialpädagogen. Gerade bezogen auf die Gestaltung des Übergangs von der Schule zum nachschulischen Bereich könnte diese Berufsgruppe ein für körperlich und motorisch beeinträchtigte Schülerinnen und Schüler bisher immer noch weitgehend vernachlässigtes Praxisfeld verbessern helfen (vgl. Kuckartz 2003, 300). 4 auswertung der Schülerfragebogen 4.1 auswertung der sozialstatistischen Daten B ezüglich der Geschlechtsverteilung bestätigt sich in der vorliegenden Studie der in jüngerer Zeit zu verzeichnende Trend einer deutlichen Verschiebung der Schülerschaft hin zum männlichen Geschlecht. Berichtet etwa Ursula Haupt für das Land Rheinland- Pfalz 1982 noch einen eher moderat verschobenen Häufigkeitsgipfel (57,1 % Jungen gegenüber 42,9 % Mädchen) (vgl. Haupt 1982 a, 99), so fällt die Verteilung in der vorliegenden Studie wesentlich deutlicher aus (64,9 % männlichen, 35,1 % weiblichen Geschlechts). Die weitgehende Entsprechung der Verteilung zu den statistischen Daten des Schulministeriums NRW von 2009/ 2010 spricht im Übrigen für die Repräsentativität der Daten (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010 a, 15). Das Durchschnittsalter der Schülerinnen und Schüler beträgt etwa 13 Jahre. 11,6 % der Schülerinnen und Schüler besitzen keine deutsche Staatsbürgerschaft, davon sind über die Hälfte türkischer Nationalität. Addiert man zu dieser Gruppe noch 1,2 % Schülerinnen und Schüler mit doppelter Staatsbürgerschaft, so entspricht der Anteil der ausländischen Kinder an der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung ungefähr dem der ausländischen Kinder an Schulen des Landes NRW. Deutlich erhöht (etwa im Vergleich zu Bayern mit 14,7 % [vgl. Lelgemann/ Fries 2009, 217] oder auch zu der Situation im gesamten Schulsystem des Landes NRW mit VHN 2 | 2012 129 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag 12,4 % [vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010 a, 15]) ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund mit knapp 25 %. Für fast jeden fünften Schüler ist Deutsch nicht die Muttersprache. Diese Daten belegen nachdrücklich die Notwendigkeit der Formulierung und Konzeptionierung von pädagogischen Antworten auf sich aus dieser Datenlage ableitende Förderbedarfe. Zwar wird der Kernbereich der pädagogischen Aufgaben der FSkmE in der Regel immer noch durch im Zusammenhang mit körperlichen und motorischen Schädigungen entstehende Förderbedarfe bestimmt (vgl. dazu auch die Daten im nächsten Kapitel), aber eben keinesfalls ausschließlich. Im Übrigen kaprizieren sich die Förderbedarfsprofile an der FSkmE seit jeher eben nicht nur auf körperliche und motorische Aspekte. Die Nomenklatur der Institutionsbezeichnung ist deshalb irreführend und wird früher oder später zu überdenken sein. Das Gros der Schüler (73,5 %) ist beim Schuleintritt 6 - 7 Jahre alt. Vier von fünf Schülern besuchen dabei sofort die Förderschule (kmE), 6,6 % (entspricht 263 Schülerinnen und Schüler) stoßen aus Maßnahmen der integrativen Beschulung dazu. Die Tatsache, dass unter diesen rückgeschulten Schülerinnen und Schülern der Anteil derjenigen mit cerebralen Bewegungsstörungen und mit schwersten Behinderungen signifikant geringer ausfällt, kann als Indiz dafür gelten, dass diese Schädigungsformen nach wie vor als bedeutende Barrieren für die schulische Integration angesehen werden. Neben den im engeren Sinne eher auf die Person der Schülerinnen und Schüler bezogenen Daten wurden in der vorliegenden Untersuchung auch Informationen zum familiären Hintergrund erfragt, insbesondere zum sozialen Status, zu potenziellen familiären Problemen, zum möglichen Vorhandensein einer Armutslage und zur derzeitigen Wohnform. Da es sich bei den Daten um Auskünfte der Lehrerinnen und Lehrer handelt (und nicht um objektivierbare Indizes wie Einkommen oder Beruf oder auch um Selbsteinschätzungen), dürfen die Befunde nur vorsichtig interpretiert werden. Bei der Beantwortung des dazugehörigen Fragenkatalogs fiel aber nicht nur ein vergleichsweise geringer Prozentsatz fehlender Angaben (zwischen 0,4 % für die Wohnform und 2,6 % für die familiären Probleme) auf. Offensichtlich bestand seitens der Lehrerschaft eine hohe Bereitschaft zur gewissenhaften Beantwortung der Fragen. Auffällig häufig gaben die Lehrer ausführliche Zusatzinformationen am Rand des Fragebogens, ohne dass diese gesondert erfragt wurden (etwa bei den familiären Problemen zu Details der Art der Probleme). Aus diesem Grunde sollen hier zumindest ausgewählte Befunde präsentiert werden. Die engagierte Form der Beantwortung, aber auch theoretische Erwägungen machen im Übrigen auf einen hohen Forschungsbedarf hinsichtlich solcher und ähnlicher Fragestellungen aufmerksam. Bei der Kennzeichnung des sozialen Status zeigt sich auf einer fünfstufigen Skala nahezu eine Normalverteilung mit einer leichten Verschiebung hin zu einem eher niedrigen Status. Fasst man die Antworten „sehr niedrig“ und „niedrig“ zusammen, so kommt man auf einen Wert von 28,2 % (im Vergleich dazu bei der Addition von hohem und sehr hohem Status auf 22,2 %). Die große Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler lebt in familialen Systemen, die von den Lehrkräften als ohne oder nur mit geringen Problemen belastet klassifiziert werden (insgesamt 72,4 %). Bei immerhin 215 Schülerinnen und Schülern (5,1 %) liegen allerdings massive familiäre Probleme vor (wie etwa Vernachlässigung oder familiäre Gewalt). Vergleichsdaten von Familien mit körperlich oder motorisch beeinträchtigten Kindern liegen VHN 2 | 2012 130 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag kaum vor. Nimmt man als Grundlage die Daten aus der Erhebung von Haupt (1982 b, 175) mit einem Problemanteil von 69,6 %, so scheint sich die Belastungssituation dieser Familien in der Zwischenzeit deutlich entspannt zu haben. Diese gemäßigt optimistische Einschätzung drängt sich auch bei der Betrachtung der Befunde zum Vorhandensein einer Armutslage auf. Sicherlich kann die Einschätzung der Lehrkräfte hier nur als sehr grob ermittelter Anhaltspunkt fungieren. Es fällt auf, dass im Vergleich zum Sozialbericht von NRW (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen 2009, 11) mit einer Quote von 24,3 % Kinderarmut die Einschätzung in der vorliegenden Studie mit 12,5 % deutlich geringer ausfällt. Die Daten können mit einer gewissen Vorsicht dahingehend interpretiert werden, dass die mit einer körperlichen und motorischen Behinderung eines Kindes durchaus verbundenen finanziellen Mehrbelastungen einer Familie in der Regel zumindest nicht so weit führen, dass eine prekäre Lebenslage entsteht. 4.2 auswertung der spezifischen Daten zur beschreibung der Schülerschaft Entgegen des sich mancherorts aufdrängenden Eindrucks einer Abnahme von Schülerinnen und Schülern mit körperlichen und motorischen Schädigungen an der FSkmE muss festgehalten werden, dass 9 von 10 Schülerinnen und Schülern nach wie vor eine oder mehrere solcher Schädigungen aufweisen (bei genau 91,9 % der Schülerschaft, bei 8,1 % fehlen diese). Zunächst einmal soll letztere kleinere Gruppe näher in Augenschein genommen werden. Bei einer Betrachtung der Merkmale dieser Kategorie fallen zwei Besonderheiten auf. Zum einen findet sich hier ein deutlich erhöhter Anteil von Schülerinnen und Schülern mit erheblichen Verhaltensstörungen (definiert als Störungen, die die Durchführung des geplanten Unterrichts extrem erschweren oder verhindern), zum anderen sind es vor allem Schülerinnen und Schüler mit externalisierenden Auffälligkeiten (in der vorliegenden Studie als dissozial und hyperaktiv qualifiziert), die sich in dieser Gruppe wiederfinden. Beide Befunde sind ebenso hochsignifikant wie die bekannte, sich auch in der vorliegenden Studie bestätigende Tatsache, dass dissoziale Störungen überproportional häufig in Familien mit sehr niedrigem bzw. niedrigem sozialen Status vorkommen. Offensichtlich werden die strukturellen und personellen Systembedingungen der FSkmE für diese Schülerinnen und Schüler als besonders geeigneter Kontext zur Förderung angesehen (vgl. Kuckartz 2003, 299). Die Prävalenzrate des Anteils der Kinder und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen bei Vorliegen einer körperlichen Schädigung ist mit 15,5 % im Vergleich zur Gesamtpopulation der untersuchten Alterskohorte allenfalls eher moderat erhöht (vgl. dazu Hillenbrand 2008, 39ff). Die Einschätzung der besonderen Eignung des Förderkontextes von FSkmEs gilt offensichtlich zusehends auch für Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen. Die schülerbezogenen Daten bestätigen hier in eindrucksvoller Weise die oben vorgestellten Aussagen der Schulleitungen. Mit fast 10 % Anteil an der Gesamtschülerschaft hat sich die Zahl dieser Kategorie in jüngster Zeit sogar noch einmal erhöht. Bereits Kuckartz und Zöllner (2010, 31) berichten einen Anteil von 7,5 %. Bei etwa der Hälfte dieser Schüler treten laut Auskunft der Lehrkräfte erhebliche Verhaltensstörungen auf. Ergänzend sei noch auf einen Häufigkeitswert für ADS bzw. ADHS von 8 % hingewiesen. Deren Prävalenz an der FSkmE kann somit je nach Bezugsnorm als im Vergleich zur Ge- VHN 2 | 2012 131 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag samtpopulation allenfalls leicht erhöht gelten. Die Geschlechterverteilung entspricht mit exakt 80 : 20 der in der einschlägigen Fachliteratur für diese Störungsform berichteten typischen Epidemiologie. Nach dieser aus Gründen der Umfangbeschränkung des Beitrages auf einzelne Aspekte begrenzten Charakterisierung der Schülerinnen und Schüler ohne körperliche und motorische Schädigungen sollen nun typische Beschreibungsmerkmale der Schülerschaft mit körperlichen und motorischen Schädigungen vorgestellt werden. In Bezug auf die medizinischen Diagnosen zeigt sich die in Tabelle 1 dargestellte Verteilung. Es kann festgehalten werden, dass trotz eines offensichtlichen Rückgangs der prozentualen Anteile in den letzten 3 Jahrzehnten die Kategorie der Kinder und Jugendlichen mit cerebralen Bewegungsstörungen mit 44 % nach wie vor die zahlenmäßig am stärksten vertretene ist. Andere seit jeher vertretene „klassische“ Schädigungsformen scheinen insgesamt seltener zu werden (wie etwa Querschnittslähmungen, Muskelerkrankungen oder vor allem auch spina bifida). Deutlich im Ansteigen begriffen sind dagegen chronische Erkrankungen, Syndromerkrankungen und sonstige körperliche und motorische Beeinträchtigungen. Herz- und Hirnerkrankungen stellen die beiden größten Kategorien der chronischen Erkrankungen dar. Unter sonstigen körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen fanden sich am häufigsten folgende Nennungen: allgemeine Entwicklungsverzögerung/ Entwicklungsstörung, motorische Entwicklungsverzögerung/ Entwicklungsstörung, Koordinationsstörung und Wahrnehmungsstörung. Interessante Differenzierungen lassen sich bei der Kreuztabellierung von medizinischen Diagnosen einerseits und den hier erfassten Kategorien zu Auffälligkeiten des Verhaltens andererseits feststellen. So fällt zum Beispiel auf, dass Schülerinnen und Schüler mit cerebralen Bewegungsstörungen signifikant unterdurchschnittlich in den hier erfassten Kategorien (dissoziales, hyperaktives, depressives oder häufigkeit Prozent cerebrale Bewegungsstörung Querschnittslähmung Muskelerkrankung Epilepsie Spina bifida Wachstumsstörung Dysmelie Glasknochen Kinderlähmung amputationen chronische Erkrankung Syndromerkrankung sonstige km-Beeinträchtigung keine km-Beeinträchtigung fehlende angaben 1873 50 240 791 119 275 33 12 3 8 638 406 1137 338 145 44,9 1,2 5,8 19,0 2,9 6,6 0,8 0,3 0,1 0,2 15,3 9,7 27,3 8,1 3,4 tab. 1 Verteilung der Schädigungsformen Da Mehrfachantworten möglich waren, ergeben die Gesamtprozentwerte mehr als 100 %. VHN 2 | 2012 132 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag ängstliches Störungsverhalten) vertreten sind. Auch die mancherorts in der Praxis vertretene These eines verstärkt dissozialen Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen mit Muskelerkrankungen (z. B. verstanden als mögliche Verarbeitungsvariante der schwierigen Lebenssituation) wird durch die Daten nicht gestützt - im Gegenteil. Das Verhalten der Kinder und Jugendlichen dieser Kategorie wird von den befragten Lehrkräften als signifikant geringer dissozial beschrieben. Offensichtlich reagieren Schülerinnen und Schüler mit Muskelerkrankungen auf ihre schwierige Lebenssituation eher in Form von depressivem Verhalten, welches in der vorliegenden Studie hochsignifikant häufiger attestiert wird. Letzterer Befund lässt sich im Übrigen auch auf die Kategorie der Schülerinnen und Schüler mit chronischen Erkrankungen übertragen. Neben den körperlichen und motorischen Schädigungen (zum Teil sich daraus auch direkt ergebend) weisen fast sämtliche Schülerinnen und Schüler (98 %) eine oder mehrere sonstige Beeinträchtigungen auf. Bezogen auf den im engeren Sinne körperlichen Bereich sind insbesondere Sinnesbeeinträchtigungen zu nennen (im Bereich des Sehens bei 46,3 %, im Bereich des Hörens bei 9,3 %). Fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler (45,3 %) sind beim Sprechen beeinträchtigt, ein wenig geringer fällt der prozentuale Anteil der sprachbeeinträchtigten Schülerinnen und Schüler aus. Schwierigkeiten zeichnen sich vor allem in Bezug auf das Thema Lernen insgesamt bzw. hinsichtlich einiger bedeutsamer Teilfunktionen ab. So attestieren die befragten Lehrerinnen und Lehrer vier von fünf Probanden (79,3 %) generelle Lernschwierigkeiten, 59,2 % Probleme bei der Konzentration und 55,8 % mangelnde Ausdauer. Die Frage nach der Spezifizierung der Förderbedarfe ergibt das in Tabelle 2 zusammengefasste Profil. Die im Vergleich zur Studie von Lelgemann und Fries (2009, 219) deutlich erhöhten Häufigkeitswerte sind wohl am ehesten auf unterschiedliche Formulierungen des Fragebogens häufigkeit Prozent Lesen Schreiben Rechnen andere Schulleistungen Sprache/ Kommunikation Grobmotorik Feinmotorik Wahrnehmung Lernstrategien Verhaltensstrategien Persönlichkeitsentwicklung Selbstständigkeit technische Hilfsmittel UK weiterer Förderbedarf fehlende angaben 2034 2127 2118 1016 1828 1819 1972 2166 1901 1834 2532 2109 528 723 251 56 47,8 50,0 49,7 23,9 42,9 42,7 46,3 50,9 44,6 43,1 59,5 49,5 12,4 17,0 5,9 1,3 tab. 2 Verteilung der Förderbedarfe Da Mehrfachantworten möglich waren, ergeben die Gesamtprozentwerte mehr als 100 %. VHN 2 | 2012 133 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag zurückzuführen (dort mit der Anmerkung „Bitte konzentrieren Sie sich auf die wesentlichen Bereiche“, in unserer Studie dagegen „Bitte kreuzen Sie alle wesentlichen Förderbedarfe an“). Relational betrachtet weisen die Befunde beider Studien jedoch durchaus Übereinstimmungen auf. Über die letzten Jahrzehnte deutlich verändert haben sich die Lehrplanbzw. Richtlinienzuordnungen (in NRW existieren für die meisten Förderschulformen Richtlinien) der Schülerinnen und Schüler. Die weitaus größte Kategorie (47 %) bilden jene Schülerinnen und Schüler, die nach den Richtlinien für die Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung unterrichtet werden, gefolgt von der Kategorie der Schülerinnen und Schüler, die gemäß den Unterrichtsvorgaben für die Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen unterrichtet werden. Mit 9,2 % deutlich unterrepräsentiert ist die Gruppe der in Anlehnung an die Lehrpläne der Allgemeinen Schulen (Grundschule, Hauptschule und Realschule) unterrichteten Schüler. Die genaue Verteilung ist der Tabelle 3 zu entnehmen. Noch 1982 wurde mit knapp 42 % ein erheblich höherer Prozentsatz der Schüler (zumindest in Rheinland-Pfalz) nach den geltenden Lehrplänen der Grund- und Hauptschule unterrichtet (vgl. Haupt 1982 b, 177). In der Studie von Wehr-Herbst (1997, 319f) ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. In Nordrhein-Westfalen lag die Zahl der (nach der damals üblichen Terminologie so bezeichneten) lernbehinderten und geistigbehinderten Schüler mit 42 % bzw. 38 % sehr nahe beieinander. Mit immerhin knapp 20 % war der Anteil der nach Lehrplänen der Allgemeinen Schule beschulten Kinder noch doppelt so groß wie heute. Unsere Daten bestätigen im Wesentlichen die Befunde der Studie von Kuckartz und Zöllner (2010), nach denen der Anteil der nicht nach Förderschulrichtlinien unterrichteten Schüler bei gut 9 % liegt. Offensichtlich sind es gerade die kognitiv nicht oder nur gering beeinträchtigten Schülerinnen und Schüler, die vermehrt Maßnahmen des Gemeinsamen Unterrichts zugeführt werden. 5 Zusammenfassung und Fazit D ie Befunde der hier vorgestellten repräsentativen Studie zur Beschreibung der Schülerschaft in Nordrhein-Westfalen bestätigen zum einen sich bereits seit Ende der Neunzigerjahre vollziehende Veränderungen, deuten zum anderen aber auch neuere Enthäufigkeit Prozent gültige Prozente Gültig keine Zuordnung geistige Entwicklung Lernen Grundschule Hauptschule Realschule anderer Lehrplan Gesamt Fehlend Gesamt 127 2008 1481 184 201 7 260 4268 46 4314 2,9 46,5 34,3 4,3 4,7 0,2 6,0 98,9 1,1 100,0 3,0 47,0 34,7 4,3 4,7 0,2 6,1 100,0 tab. 3 Verteilung der Lehrplanbzw. Richtlinienzuordnung VHN 2 | 2012 134 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag wicklungen an, die bei der Planung und Durchführung von Bildungs- und Unterrichtsprozessen auf unterschiedlichsten Ebenen Berücksichtigung finden sollten - und aus denen sich im Übrigen auch dringende Forschungsbedarfe ableiten lassen. Als wichtigste Befunde können zusammengefasst folgende gelten: n Schülerinnen und Schüler der FSkmE sind in der überwiegenden Mehrzahl nach wie vor körperlich und motorisch beeinträchtigt. Diese fast schon banal klingende Erkenntnis bedarf trotzdem der ausdrücklichen Nennung, weil im Zuge der sich unzweifelhaft vollziehenden Veränderungen innerhalb der Schülerschaft mancherorts der Eindruck entstanden ist, dass das Phänomen Körperschädigung an der FSkmE zunehmend seltener werde. n Die mit Abstand größte Kategorie wird nach wie vor durch Kinder und Jugendliche mit cerebralen Bewegungsstörungen gebildet. n Damit korrespondierend ist schon seit längerer Zeit ein sehr hoher Anteil an Schülerinnen und Schülern mit sogenannten schwersten oder komplexen Behinderungen (knapp 40 %) festzustellen, der aber in den letzten Jahren nicht mehr weiter angestiegen zu sein scheint. n Die Befunde deuten darauf hin, dass FSkmEs eine zunehmende Zahl von Kindern und Jugendlichen (knapp 10 %) aufweisen, die primär nicht körperlich und motorisch beeinträchtigt sind und deren Förderbedarfe eher in Bereichen der sozial-emotionalen Funktionen oder auch in kausal vorgelagerten Funktionsbeeinträchtigungen (etwa Störungen der Aufnahme und Verarbeitung von Reizen) liegen. Hier sind vor allem Schülerinnen und Schüler mit Autismus- Spektrum-Störungen oder mit ADS/ ADHS zu nennen, bei denen sich Auffälligkeiten des Verhaltens sowohl als diagnoseimmanente, als begleitende wie auch als sekundär auftretende Erscheinungen manifestieren können. Generell lassen die Daten den Schluss einer Zunahme von Schülerinnen und Schülern mit Autismus-Spektrum-Störungen in jüngerer Zeit zu. n Es gibt Hinweise darauf, dass das Auftreten von externalisierenden Verhaltensstörungen in einem Zusammenhang mit einem sehr niedrigen bzw. niedrigen Status der Familie steht. Allerdings bedarf dieser Befund noch weiterer empirischer Überprüfung, weil das Statusitem in der vorliegenden Untersuchung nur in Form einer persönlichen Einschätzung der Lehrkräfte erfragt wurde und die Daten daher nur entsprechend zurückhaltend interpretiert werden dürfen. Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass derzeit ein umfänglicher Forschungsbericht zum hier in Grundzügen vorgestellten Projekt vorbereitet wird, der bei Interesse und Bedarf auf Anfrage vom Autor gerne elektronisch versandt wird. Literatur Haupt, Ursula (1982 a): Veränderung der Schülerschaft in Körperbehindertenschulen - Notwendigkeit der Entwicklung von neuen Konzepten. In: Sonderpädagogik 12, 97 -102 Haupt, Ursula (1982 b): Veränderung der Schülerschaft in Körperbehindertenschulen - Notwendigkeit der Entwicklung von neuen Konzepten. In: Sonderpädagogik 12, 174 -180 Hillenbrand, Clemens (2008): Einführung in die Pädagogik bei Verhaltensstörungen. 4. aufl. München: Reinhardt Kuckartz, Norbert (2003): Zur aktuellen Situation der schulischen Förderung. In: Lelgemann, Reinhard; Kuckartz, Norbert (Hrsg.): Körperbehindertenpädagogik - Praxis und Perspektiven. Meckenheim: VDS NRW, 290 -315 Kuckartz, Norbert; Zöllner, Frank (2010): Die Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung (KM) in NRW - Beschreibungen - Trends - Perspektiven (Ergebnisse einer landesweiten Befragung). In: Verband Sonderpädagogik. Landesverband NRW. Mitteilungen 48, 3, 29 -32 VHN 2 | 2012 135 GERD HaNSEN aktuelle Daten zur Beschreibung der Schülerschaft an Förderschulen Fachbeitrag Landschaftsverband Rheinland (2005): LVR-Vorlage-Nr. 12/ 749: Beschulung von geistig- und körperbehinderten Schülerinnen und Schülern in Schulen für Körperbehinderte und Schulen für Geistigbehinderte im Rheinland. Online unter: https: / / dom.lvr.de/ lvis/ lvr_rechercheWWW.../ begründung%2012-749.doc, 22. 2. 2011 Lelgemann, Reinhard; Fries, alfred (2009): Die Entwicklung der Schülerschaft an Förderzentren körperliche und motorische Entwicklung in Bayern. Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung und weiterer Untersuchungen in den Jahren 2004 bis 2008. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 60, 213 -223 Ministerium für arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (2009): Sozialberichterstattung Nordrhein-Westfalen. Prekäre Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. Online unter: www.mags.nrw.de/ sozialberichte/ sozialberichterstattung_nrw/ aktuelle_berichte/ Prekaere…, 24. 2. 2011 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2008): Das Schulwesen in NRW aus quantitativer Sicht 2008/ 2009. Stand Juli 2008. Online unter: http: / / www.schulministerium.nrw.de/ BP/ Schul system/ Statistik/ 2008_09/ StatUebers.pdf, 22. 2. 2011 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2009): Das Schulwesen in NRW aus quantitativer Sicht 2007/ 2008. Stand april 2009. Online unter: http: / / www.schulministerium.nrw.de/ BP/ Schulsystem/ Statistik/ 2007_08/ Quantita 2007_08.pdf, 22. 2. 2011 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2010 a): Das Schulwesen in NRW aus quantitativer Sicht 2009/ 2010. Stand april 2010. Online unter: http: / / www.schulministerium.nrw.de/ BP/ schulsystem/ statistik/ 2009_10/ StatUebers. pdf, 22. 2. 2011 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2010 b): Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke (ausbildungsordnung gemäß § 52 SchulG - aO-SF). Stand: 1. 7. 2010. Online unter: http: / / www.schulministerium.nrw.de/ BP/ Schulrecht/ aPOen/ aO_SF.pdf, 22. 2. 2011 Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (Hrsg.) (2010): Unterricht und Förderung von Schülern mit schwerer und mehrfacher Behinderung. München: Reinhardt Wehr-Herbst, Elisabeth (1997): Die heutige Schülerschaft in den Schulen für Körperbehinderte. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 48, 316 - 322 anschrift des autors Prof. Dr. gerd hansen Universität zu Köln Department Heilpädagogik und Rehabilitation Arbeitsbereich Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung Klosterstr. 79 b D-50931 Köln Tel.: +49 (0)2 21 4 70 21 34 Fax: +49 (0)2 21 4 70 21 58 E-Mail: gerd.hansen@uni-koeln.de