eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 81/4

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2012
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Effektivität inklusiver Sprachförderung ein- und mehrsprachiger Vorschulkinder nach der „Language Route“

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2012
Hans-Joachim Motsch
Detta Sophie Schütz
In der kontrollierten Interventionsstudie wurde die Effektivität des Sprachförderkonzepts „Language Route“ (alltagsintegrierte Förderung) mit einer Sprachförderung im Pullout-Setting (1-3x wöchentlich in Kleingruppen) verglichen. Dazu wurden je 100 3-6-jährige ein- und mehrsprachige Kinder ausgewählt, ein Jahr lang begleitet und im Prä- und Posttest mit Verfahren untersucht, die die lexikalischen und grammatischen Fortschritte messen. Die Kinder der Untersuchungsgruppen gehörten zu der lexikalisch schwächeren Hälfte der Kindergartengruppen. Nach einem Jahr zeigten sich signifikante Fortschritte in allen sprachlichen Bereichen und Subgruppen. Wider Erwarten machten die schwächsten mehrsprachigen Kinder größere Fortschritte in ihren produktiven sprachlichen Fähigkeiten als die bereits sprachlich besseren mehrsprachigen Kinder. Die Sprachförderung mit der „Language Route“, die auf eine Aussonderung von Kindern mit „Sprachförderbedarf“ verzichtet, erwies sich als gleich effektiv wie die aussondernde Sprachförderung in der Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu anderen Evaluationsstudien.
5_081_2012_004_0299
299 VHN, 81. Jg., S. 299 -311 (2012) DOI 10.2378/ vhn2012.art16d © Ernst Reinhardt Verlag Fachbeitrag themenstrang evidenzbasierte Logopädie/ sprachheilpädagogik Effektivität inklusiver Sprachförderung ein- und mehrsprachiger Vorschulkinder nach der „Language Route“ 1 hans-Joachim motsch, Detta sophie schütz Universität zu Köln Zusammenfassung: In der kontrollierten Interventionsstudie wurde die Effektivität des Sprachförderkonzepts „Language Route“ (alltagsintegrierte Förderung) mit einer Sprachförderung im Pullout-Setting (1 -3 x wöchentlich in Kleingruppen) verglichen. Dazu wurden je 100 3 -6-jährige ein- und mehrsprachige Kinder ausgewählt, ein Jahr lang begleitet und im Prä- und Posttest mit Verfahren untersucht, die die lexikalischen und grammatischen Fortschritte messen. Die Kinder der Untersuchungsgruppen gehörten zu der lexikalisch schwächeren Hälfte der Kindergartengruppen. Nach einem Jahr zeigten sich signifikante Fortschritte in allen sprachlichen Bereichen und Subgruppen. Wider Erwarten machten die schwächsten mehrsprachigen Kinder größere Fortschritte in ihren produktiven sprachlichen Fähigkeiten als die bereits sprachlich besseren mehrsprachigen Kinder. Die Sprachförderung mit der „Language Route“, die auf eine Aussonderung von Kindern mit „Sprachförderbedarf“ verzichtet, erwies sich als gleich effektiv wie die aussondernde Sprachförderung in der Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu anderen Evaluationsstudien. Schlüsselbegriffe: Sprachförderung, Mehrsprachigkeit, Zweisprachigkeit, Inklusion effectiveness of the inclusive Language support concept “Language route” in monoand multilingual Pre-school children summary: In this controlled intervention study, the effectiveness of the language support concept “Language Route” (training integrated into the daily routine) was compared to common language support in a pull-out setting (training in small groups 1 to 3 times a week). For this purpose, 200 monolingual and multilingual children aged three to six years were evaluated at baseline, monitored for one year, and evaluated again in a post-study session using tests measuring their lexical and grammatical progress. With regard to their lexical abilities, the study participants were among the weaker half of the kindergartenpopulation. After one year, significant progress could be observed in all language skills and among all the monitored subgroups. Contrary to expectations, the weakest multilingual children made greater progress in their productive language skills than those multilingual children with better language skills at baseline. The language support concept “Language Route”, which does not require the separation of the children from the group, was proven to be as effective as the excluding approach used in the control group. The results of this study contradict the findings of other evaluation studies. Keywords: Language support, multilingualism, bilingualism, inclusion 1 ausgangslage Die Länder der Bundesrepublik Deutschland versuchen seit einigen Jahren, sprachlich schwächere Kinder im Vorschulalter, i. d. R. im 4. Lebensjahr, mit unterschiedlichen „Sprachstanderhebungsverfahren“ zu identifizieren. Der Großteil der Vorschulkinder mit Sprachförderbedarf sind mehrsprachige Kinder mit Migrationshintergrund, die zum VHN 4 | 2012 300 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag Teil mit dem Eintritt in den Kindergarten den ersten systematischen Sprachkontakt mit Deutsch als Zweitsprache haben. In der Gruppe der Kinder mit Sprachförderbedarf befindet sich aber auch ein nicht geringer Anteil von Kindern mit Spracherwerbsstörungen, bei denen eine Sprachförderung ohne begleitende Sprachtherapie von vornherein als nicht ausreichend eingeschätzt werden muss. Die anschließende einbis zweijährige Sprachförderung soll die sprachlichen Lernvoraussetzungen für die bevorstehende Einschulung verbessern. Im Ländervergleich ist eine große Beliebigkeit von Messinstrumenten, Förderansätzen und Förderkräften zu konstatieren. Jedes Jahr werden große finanzielle und personelle Ressourcen für Aktivitäten im Bereich der Sprachstanderhebung und Sprachförderung verausgabt, ohne dass bisher empirisch der Nachweis ihrer Effektivität erbracht wurde. Vor diesem Hintergrund sind Evaluationsstudien überfällig. Die größten Evaluationsstudien gab die Landesstiftung Baden-Württemberg in Auftrag. Im ersten Teilprojekt untersuchte eine Forschergruppe der Pädagogischen Hochschule Heidelberg 544 Kinder in ihrem letzten Kindergartenjahr, die mit drei unterschiedlichen Pull-out-Programmen gefördert wurden. Die Autorengruppe stellt abschließend fest: „(…) es gelang den Kindern mit Förderbedarf nicht, ein Sprachniveau zu erreichen, das sich demjenigen von Kindern ohne Förderbedarf annähert. Darüber hinaus zeigte sich, dass eine gezielte sprachliche Förderung nach bestimmten Programmen und Konzeptionen (…) zu keinen besseren Sprachkompetenzen führt als eine unspezifische Förderung im Rahmen des Kindergarten-Alltags.“ (Hofmann u. a. 2008, 297) Im zweiten Teilprojekt untersuchte ein Forschungsteam der Pädagogischen Hochschule Weingarten 600 Kinder mit Sprachförderbedarf (Experimentalgruppe mit Sprachförderung: n = 450, Kontrollgruppe ohne Sprachförderung: n = 150, mehrsprachige Kinder: 60 %) in der ersten und zweiten Schulklasse. Barbara Gasteiger-Klicpera, die Leiterin dieses Projektes, stellt fest, dass sich „wenig signifikante Unterschiede zwischen geförderten und nicht geförderten Kindern über die Zeit“ zeigen (Gasteiger- Klicpera 2007, 180). „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den beiden wissenschaftlichen Untersuchungen nicht gezeigt werden konnte, dass die Sprachfördermaßnahmen im Programm ,Sag’ mal was‘ unter den gegebenen Rahmen- und Untersuchungsbedingungen hinreichend effektiv und effizient zu sein scheinen.“ (Gasteiger-Klicpera u. a. 2010, 205) Bei den Pull-out-Programmen werden die Kinder aus ihren Gruppen herausgenommen und einbis zweimal pro Woche in Kleingruppen „gefördert“. Art, Umfang und Qualität der Förderung variieren. Eine qualitative Analyse von 30 Einzelförderstunden in den Gruppen (4 - 10 Kinder) zeigte, dass die Förderkräfte trotz der bekannten Beobachtungssituation (Filmanalyse) 20 % der Zeit für organisatorische Aktivitäten benötigten. 95 % der verbleibenden Förderzeit gestalteten sie mit Aktivitäten wie Lieder Singen und Brettspiele Spielen. Förderelemente für grammatische Kompetenzen, Vorlesen oder Erzählen fehlten. In allen Studien wird deutlich, dass es von vielen Erzieherinnen als überfordernd erlebt wird, in einer oft kurzen Fortbildung Sprachförderkompetenz zu erreichen. Im Abschlussbericht der Baden-Württemberger Studien werden für die Erweiterung der Fortbildungsinhalte „Beratung, Coaching und Supervision als notwendige Bestandteile der Aus- und Fortbildung von Sprachförderkräften“ gefordert (Gasteiger-Klicpera u. a. 2010, 208). Vor diesem Hintergrund erschien es als eine Herausforderung, die Effektivität eines spezifischen Förderansatzes zu untersuchen, der sich in mehreren Punkten deutlich von der verbreiteten Praxis unterscheidet: VHN 4 | 2012 301 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag n Die spezifische Sprachförderung findet integriert im Kindergartenalltag statt, sodass alle Kinder von der Förderung profitieren (Inklusive Förderung). n Erzieherinnen werden auf diese Sprachförderung durch speziell ausgebildete Sprachtherapeutinnen/ Logopädinnen vorbereitet (Mediatorenkonzept). n Die Erzieherinnen werden während eines Jahres durch die Sprachtherapeutinnen vor Ort in der Arbeit mit ihren Kindern beobachtet und beraten (Supervision). 2 Forschungsfragen Aus diesen Vorüberlegungen ergeben sich die folgenden Forschungsfragen: 1. Bewirkt eine Förderung mit der „Language Route“ statistisch signifikante Fortschritte in der lexikalischen Entwicklung (produktiver, rezeptiver Wortschatz und semantische Organisation des mentalen Lexikons) und in der grammatischen Entwicklung (Kasusfähigkeit als sensibler Marker) der geförderten Kinder? 2. Sind diese Fortschritte denen der Kinder der Kontrollgruppe, deren Sprache auf andere Weise gefördert wurde, statistisch signifikant überlegen? 3. Profitieren mehrsprachige Kinder (Deutsch = L2 [Zweitsprache]) in gleicher Weise von der Förderung wie sprachlich parallelisierte deutschsprachige Kinder (Deutsch = L1 [Erstsprache])? 4. Profitieren mehrsprachige Kinder, die in deutschen Wortschatztests sehr schwache Leistungen zeigen (T-Wert < 30), in gleicher Weise von der Förderung wie mehrsprachige Kinder, die in der deutschen Sprache stärker sind (T-Wert 36 - 50)? 5. Erleben die Erzieherinnen nach der Weiterbildung, Supervision und einjährigen Erprobung des Sprachförderprogramms subjektiv mehr Sicherheit in sprachförderlichen Verhaltensweisen als vor der Intervention? 3 methode 3.1 Probanden Für die Interventionsstudie wurden sechs große Kindertagesstätten (Kitas) der Stadt Köln ausgewählt, die unter den dreibis sechsjährigen Kindern einen Anteil von mehr als 60 % mehrsprachige Kinder aufwiesen. Die Kinder der Experimentalgruppe stammten aus drei Kitas. An diesen Kitas wurde die „Language Route“ zur Sprachförderung eingeführt und für alle Kinder angewendet. Die Kinder der Kontrollgruppe kamen aus den restlichen drei Kitas. Die Teilgruppe der Kontrollgruppenkinder, denen Sprachförderbedarf bescheinigt worden war, erhielten Sprachförderung in Kleingruppen (Pull-out-Verfahren). Auswahldiagnostik: In der ersten Testphase wurden 444 Kinder der sechs Kitas, die zwischen drei und sechs Jahre alt waren, mit folgenden standardisierten Testverfahren getestet: „Aktiver Wortschatztest - Revision (AWST-R)“ (Kiese-Himmel 2005) sowie aus der „Patholinguistischen Diagnostik, Band Lexikon/ Semantik (PDSS)“ (Kauschke/ Siegmüller 2010) der Subtest „Wortproduktion Nomen“. Mit Kindern, die vier Jahre und älter waren, wurde zusätzlich der Subtest „Wortproduktion Verben“ der PDSS durchgeführt. Für jüngere Kinder ist dieser Subtest nicht normiert. Unter den Kindern, die im Subtest „Wortproduktion Nomen“ der PDSS, der als einziger aktiver Wortschatztest für die gesamte Altersgruppe der Kinder normiert ist, einen T-Wert < 50 erzielten (schwächere Hälfte), wurden die Probanden der Untersuchungsgruppen (EG/ KG) rekrutiert und drei Subgruppen zugeordnet. Diese Subgruppenbildung ermöglicht die Beantwortung der differenzierten Forschungsfragen: VHN 4 | 2012 302 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag n EG/ KG monolingual deutschsprachige Kinder mit einem T-Wert unter 50 (schwache Sprachleistung); n EG/ KG mehrsprachige Kinder 1 mit einem T-Wert zwischen 36 und 50 (schwache Sprachleistung im Deutschen); n EG/ KG mehrsprachige Kinder 2 mit einem T-Wert <30 (sehr schwache Sprachleistung im Deutschen). Es ergab sich eine Gruppe von 200 Kindern, von denen nach einem Jahr noch 180 nachgetestet werden konnten (EG: 94, KG: 86, Dropout: 20). 3.2 Vortests (t1) In der 2. Testphase wurden neben den bereits genannten Verfahren folgende Tests angewendet: n die Subtests „Wortverständnis Nomen“, „Wortverständnis Verben“ und „Begriffsklassifikation/ Ablenker aussortieren“ (PDSS); n die Subtests „Genus“, „Akkusativ in der Nominalphrase“ und „Akkusativ in der Präpositionalphrase“ (ESGRAF-R, Motsch 2009). n Die Kapazität und Genauigkeit des phonologischen Arbeitsgedächtnisses wurde mithilfe des „Mottier-Tests“ (Linder/ Grissemann 2000) mit den Normen von 2009 (Kiese-Himmel/ Risse 2009) festgestellt. n Das nonverbale Intelligenzniveau wurde mit Hilfe des „Snijders-Oomen nonverbalen Intelligenztests von 2,5 bis 7 Jahre (SON-R 2 ½-7)“ (Tellegen u. a. 2007) bestimmt. Tabelle 1 zeigt, dass die Ausgangsdaten der Untersuchungsgruppen vergleichbar sind. Der t-Test für unabhängige Stichproben (zweiseitig) ergab keine signifikanten Unterschiede in den gemittelten Testergebnissen mit Ausnahme des Subtests „Ablenker aussortieren“ (PDSS). Auch der Vergleich der Ausgangsdaten der drei Subgruppen (deutschsprachige, mehrsprachige 1 und 2) zeigt lediglich einen signifikanten Unterschied zwischen den deutschsprachigen Kindern im AWST-R (EG: 44,06; KG: 49,85). 3.3 intervention 3.3.1 methode „Language route“ (Lr) In den Niederlanden wird seit 2002 das Sprachförderkonzept LR unter dem Namen „de Taallijn“ umgesetzt. Das Konzept wurde vom niederländischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft in Auftrag gegeben und von einer Arbeitsgruppe der Radboud Universität Nimwegen entwickelt. Die deutsche Version der „Language Route“ und ein dazugehöriges Sprachförderprogramm wurden von Otten und Ender erstellt und veröffentlicht (ProLog 2007). „Förderung der Sprachentwicklung durch Interaktion“ ist das Ziel der LR. Die Erzieherinnen sollen über den Tag hinweg sprachförderndes Verhalten im Umgang mit den Kindern praktizieren. Zu diesem Zweck wird neben einer intensiven themenbezogenen semantischen Elaboration vor allem die Integration eines Zielwortschatzes in die verschiedenen Aktivitäten des Kindergartenalltages angestrebt. Es werden den Erzieherinnen dabei verschiedene Anregungen angeboten, um Situationen zu schaffen, in denen die Kinder bestimmte Wörter in hoher Frequenz hören und benutzen können. Sie sollen dazu befähigt werden, sowohl geplante als auch ungeplante Situationen zur Sprachförderung in den Kindergartenalltag zu integrieren. Dabei spielt der sogenannte „Vorlesezyklus“ eine besondere Rolle. Es handelt sich um verschiedene Aktivitäten, die inhaltlich an das Thema eines von der Erzieherin ausgewählten Bilderbuches anknüpfen. Dieses Thema bestimmt die Aktivitäten VHN 4 | 2012 303 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag der Kindergartengruppe über einen Zeitraum von mehreren Wochen, sodass die Kinder täglich wiederholt mit Wörtern eines bestimmten semantischen Feldes in Kontakt kommen. Auf dem „Erzähltisch“ sind alle „Kernwörter“, die die Kinder erwerben sollen, als reale Gegenstände oder als Fotos (Verben) ständig im Gruppenraum verfügbar und können von den Kindern zum Spielen benutzt werden. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass sie die Wörter durch die alltäglichen Interaktionen in der Kindergartengruppe erlernen (ProLog 2007). 3.3.2 schulung und supervision der erzieherinnen Die Schulung wurde von zwei Sprachtherapeutinnen geleitet, welche die Befähigung zur Vermittlung der LR erworben hatten. Es fansubtest eg Kg t-test für unabhängige stichproben (2-seitig) aWst-r m: 32,70 SD: 12,028 N = 94 m: 34,69 SD: 13,427 N = 86 t = -1,406 p = 0,297 PDss Wortproduktion nomen m: 35,54 SD: 10,879 N = 94 m: 36,03 SD: 11,506 N = 86 t = -0,295 p = 0,768 PDss Wortproduktion Verben m: 23,70 SD: 13,377 N = 67 m: 21,47 SD: 15,700 N = 55 t = 0,847 p = 0,399 PDss Wortverständnis nomen m: 36,57 SD: 14,833 N = 84 m: 39,15 SD: 14,276 N = 78 t = -1,127 p = 0,261 PDss Wortverständnis Verben m: 38,27 SD: 12,279 N = 90 m: 40,45 SD: 12,121 N = 82 t = -1,173 p = 0,243 PDss ablenker aussortieren m: 38,88 SD: 13,653 N = 90 m: 44,60 SD: 14,955 N = 84 t = -2,636 p = 0.009 esgraF-r genus korrekt m: 34,75 SD: 34,449 N = 94 m: 35,85 SD: 36,650 N = 86 t = -0,208 p = 0,836 esgraF-r akkusativ korrekt m: 41,14 SD: 34,419 N = 93 m: 49,93 SD: 35,648 N = 81 t = -1,652 p = 0,100 mottier-test m: 59,60 SD: 12,597 N = 68 m: 63,43 SD: 15,227 N = 51 t = -1,500 p = 0,163 sOn-r 2 ½-7 (iQ) m: 91,87 SD: 14,075 N = 94 m: 94,10 SD: 14,921 N = 86 t = -1,033 p = 0,303 tab. 1 Vergleichbarkeit der Untersuchungsgruppen (T1) Gemittelte T-Werte; ESGRAF-R: gemittelte Prozentwerte; Fettdruck = signifikant VHN 4 | 2012 304 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag den für jede der Fortbildungsgruppen fünf Fortbildungsveranstaltungen (je vier Stunden) im Abstand von jeweils zwei Wochen statt. Die Themen der einzelnen Fortbildungseinheiten lauteten: n Interaktive Sprachförderung n Interaktives Vorlesen n Mit Kindern Gespräche führen n Wortschatzarbeit n Digitale Medien und Einbeziehung der Eltern Ein wichtiges Element der Schulung der Erzieherinnen ist das sogenannte „Coaching am Arbeitsplatz“ (ProLog 2007, 4). Im Laufe des Jahres besuchte die jeweilige Schulungsleiterin jede Erzieherin sechs Mal, um zu überprüfen, wie sie die Inhalte der Fortbildung umsetzte (z. T. mit Videofeedback), um sie zu beraten und um offene Fragen zu klären. 3.4 abschlusstestungen (t2) Zur Erfassung der lexikalischen Fähigkeiten nach Abschluss der Intervention wurden die gleichen Testverfahren verwendet, die in der Eingangstestung (T1) zum Einsatz kamen, mit Ausnahme des Intelligenz- und des Mottiertests. Die Testungen wurden von acht Mitarbeiterinnen des Forschungsteams ohne Verblindung durchgeführt. 3.5 Datenanalyse Die Untersuchungsgruppen wurden bezüglich ihrer Leistungen in den standardisierten Testverfahren miteinander verglichen. Zu diesem Zweck wurden Varianzanalysen mit Messwiederholungen sowie t-Tests für abhängige und unabhängige Stichproben eingesetzt. Die Berechnungen wurden mit dem PC-Programm SPSS 19 durchgeführt. 4 ergebnisse 4.1 effektivität der sprachförderung Den Ergebnissen (Tab. 2) ist zu entnehmen, dass eine einjährige Förderung mit der LR statistisch signifikante bis höchst signifikante Fortschritte in der lexikalischen Entwicklung und in der Kasusfähigkeit (grammatischer Marker) bewirkt hat. Vergleichbare Effekte erreichten aber auch die sprachlich geförderten Kinder der KG, sodass die Sprachförderung in den sechs Kitas erfolgreich verlief. Die Teilgruppe der Kinder der KG, die keine Sprachförderung erhielt, setzt sich einerseits aus jüngeren Kindern zusammen, die noch nicht die Sprachstanderhebung für Vierjährige durchlaufen haben, und andererseits aus Kindern, denen aufgrund der Ergebnisse der Sprachstandmessung kein Sprachförderbedarf bescheinigt wurde. 32 % dieser Kinder erreichten in den standardisierten Tests T-Werte < 40 (Zum Vergleich: 50 % der Kinder der EG hatten T-Werte < 40). Die Teilgruppe der Kinder der KG, die keine Sprachförderung erhielt, zeigte keinen signifikanten Fortschritt im AWST-R (t[38] = -1,929; p = 0,061) und im Subtest „Wortproduktion Nomen“ (PDSS) (t[69] = -0,707; p = 0,481). Betrachtet man in dieser Teilgruppe die Gruppe der mehrsprachigen Kinder 2 (sehr schwache Sprachkenntnisse) ohne Sprachförderung, so zeigt sich, dass diese in keinem lexikalischen Subtest signifikante Fortschritte erzielten. Tabelle 3 zeigt, dass es berechtigt ist, die festgestellten signifikanten Verbesserungen auf die Sprachförderung zurückzuführen. Die Interaktion der Faktoren Zeit und Gruppe (einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung) ist im AWST-R marginal signifikant und im Subtest „Wortverständnis Nomen“ (PDSS) signifikant. VHN 4 | 2012 305 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag 4.2 Unterschiede in der effektivität der sprachförderung zwischen experimentalgruppe und Kontrollgruppe Vergleicht man die Ergebnisse der EG und der KG miteinander, so unterscheiden sich diese nicht statistisch signifikant. Berücksichtigt man den Faktor Kita, so erreicht eine der drei Kitas der EG (Kita EG 1) im Vergleich mit den Kitas der KG größere Leistungszuwächse in zwei Subtests (siehe Tab. 4). Die Kinder dieser Kita zeigen einen signifikant größeren Leistungszuwachs in den Subtests der PDSS „Wortproduktion Nomen“ und „Wortproduktion Verben“. Die Auswersubtest eg Kg Leistungszuwachs t1 zu t2 t-test für verbundene Stichproben (2-seitig) Leistungszuwachs t1 zu t2 t-test für verbundene Stichproben (2-seitig) aWst-r m: 5,348 SD: 8,900 t(46) = -4,075 p < 0,001 m: 2,646 SD: 6,778 t(49) = -3,057 p = 0,004 pDSS WP nomen m: 1,713 SD: 11,370 t(94) = -1,460 p = 0,148 m: 2,523 SD: 11,061 t(87) = -2,252 p = 0,027 pDSS WP Verben m: 6,197 SD: 19,550 t(61) = -2,476 p = 0,016 m: 8,340 SD: 16,607 t(47) = -3,443 p = 0,01 pDSS WV nomen m: 8,820 SD: 14,380 t(83) = -5,587 p < 0,001 m: 6,880 SD: 11,680 t(75) = -5,101 p < 0,001 pDSS WV Verben m: 8,511 SD: 15,067 t(90) = -5,359 p < 0,001 m: 5,701 SD: 13,282 t(78) = -3,850 p < 0,001 pDSS ablenker aussortieren m: 4,694 SD: 16,270 t(85) = -2,660 p = 0,009 m: 2,976 SD: 13,613 t(84) = -1,965 p = 0,053 ESGRaF-R genus korrekt m: 30,142 SD: 34,502 t(94) = -8,470 p < 0,001 m: 29,608 SD: 43,672 t(86) = -6,010 p < 0,001 ESGRaF-R akkusativ korrekt m: 25,479 SD: 31,717 t(93) = -7,747 p < 0,001 m: 25,741 SD: 36,615 t(78) = -6,277 p < 0,001 Fettdruck = signifikant tab. 2 Sprachlicher Leistungszuwachs nach der Intervention eg und Kg mit sF Kg ohne sF Varianzanalyse Leistungszuwachs t1 zu t2 Leistungszuwachs t1 zu t2 zwischensubjektfaktor Gruppe Interaktion Faktoren zeit und Gruppe aWst-r m: 5,160 SD: 8,3683 N = 56 m: 2,2105 SD: 7,0640 N = 38 F = 8,585 p = 0,004 h p 2 = 0,085 F = 3,181 p = 0,078 h p 2 = 0,033 PDss WV nomen m: 9,667 SD: 13,7806 N = 96 m: 5,1513 SD: 11,5648 N = 62 F = 6,629 p = 0,011 h p 2 = 0,041 F = 4,512 p = 0,035 h p 2 = 0,028 tab. 3 Leistungszuwachs mit und ohne Sprachförderung h p2 ≥ 0,01 = kleiner Effekt, h p2 ≥ 0,06 = mittlerer Effekt, h p2 ≥ 0,14 = großer Effekt (Cohen 1988) VHN 4 | 2012 306 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag tung der Supervisionen deutet darauf hin, dass die Erzieherinnen dieser Kita das Konzept der LR besonders engagiert und konsequent umgesetzt haben. 4.3 Vergleich der deutschsprachigen und der mehrsprachigen Kinder Tabelle 5 zeigt, dass die deutschsprachigen Kinder der EG in den zwei Subtests der Wortproduktion (Nomen und Verben) signifikant mehr profitierten als die sprachlich parallelisierten mehrsprachigen Kinder. Der numerische Rückschritt in den T-Werten der mehrsprachigen Kinder erklärt sich dadurch, dass viele Kinder dieser Gruppe vor der 2. Testung eine Alterskohortengrenze der PDSS überschritten haben, sodass selbst bei geringfügig mehr Rohpunktwerten ein deutlich geringerer T-Wert resultiert. Die Gruppe der mehrsprachigen Kinder profitierte hingegen im „Wortverständnis Verben“ mehr als die Gruppe der deutschsprachigen Kinder. Wortverständnis gilt als Vorausläuferfähigkeit zur Wortproduktion. Der geringere Leistungszuwachs der deutschsprachigen Kinder erklärt sich u. a. durch den aufgetretenen Deckeneffekt bei gerade einmal 20 Items in diesem Subtest der PDSS. Kita eg 1 Kg Varianzanalyse Leistungszuwachs t1 zu t2 Leistungszuwachs t1 zu t2 zwischensubjektfaktor Gruppe Interaktion Faktoren zeit und Gruppe PDss WP nomen m: 8,478 SD: 6,438 N = 23 m: 2,523 SD: 11,061 N = 86 F = 4,295 p = 0,041 h p 2 = 0,039 F = 6,088 p = 0,015 h p 2 = 0,054 PDss WP Verben m: 23,467 SD: 20,684 N = 15 m: 8,340 SD: 16,607 N = 47 F = 8,224 p = 0,006 h p 2 = 0,121 F = 8,358 p = 0,005 h p 2 = 0,122 tab. 4 Unterschiede in der Wortproduktion der Kinder der Kita EG 1 und der KG eg deutschsprachig eg mehrsprachig 1 (t-Wert 36 -50) Varianzanalyse Leistungszuwachs t1 zu t2 Leistungszuwachs t1 zu t2 zwischensubjektfaktor Gruppe Interaktion Faktoren zeit und Gruppe PDss WP nomen m: 3,419 SD: 9,814 N = 31 m: -2,929 SD: 11,323 N = 28 F = 12,276 p = 0,001 h p 2 = 0,177 F = 5,320 p = 0,025 h p 2 = 0,085 PDss WP Verben m: 11,885 SD: 21,314 N = 31 m: -2,474 SD: 18,560 N = 19 F = 18,978 p = 0,001 h p 2 = 0,306 F = 5,543 p = 0,023 h p 2 = 0,114 PDss WP Verben m: 3,6129 SD: 16,2331 N = 31 m: 10,0417 SD: 9,5119 N = 24 F = 0,003 p = 0,954 h p 2 = 0,000 F = 2,969 p = 0,091 h p 2 = 0,053 PDss WP Verben m: 6,000 SD: 14,3225 N = 26 m: 15,5556 SD: 11,1263 N = 26 F = 0,271 p = 0,605 h p 2 = 0,005 F = 7,873 p = 0,007 h p 2 = 0,123 tab. 5 Vergleich der Leistungszuwächse von deutschsprachigen und mehrsprachigen Kindern VHN 4 | 2012 307 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag 4.4 Vergleich der mehrsprachigen Kinder mit sehr schlechten und besseren Deutschkenntnissen Die Frage, ob die schwächsten mehrsprachigen Kinder von der Sprachförderung profitieren, hat höchste Bedeutung. Durch die Sprachförderung soll diesen Kindern die Möglichkeit geboten werden, ihre Rückstände aufzuholen, damit sie eine Chance auf eine erfolgreiche Schullaufbahn haben. Der Leistungsabstand, der zwischen den schwächsten und den stärkeren Kindern besteht, soll durch die Sprachförderung verringert, keinesfalls vergrößert werden. Tabelle 6 zeigt, dass sich die schwächsten mehrsprachigen Kinder im Vergleich zu den bereits besseren mehrsprachigen Kindern in den Subtests „Wortproduktion Nomen“ und „Wortproduktion Verben“ hochbis höchstsignifikant verbesserten. Dieser Effekt konnte für den Subtest „Wortproduktion Nomen“ auch in der KG festgestellt werden. Der Vergleich des Ausgangniveaus der beiden Subgruppen der EG mit dem nach einem Jahr erreichten Endniveau zeigt, dass sich die Werte annähern. Im Subtest „Wortproduktion Nomen“ betrug der Unterschied zu Beginn 18,5 T-Wert-Punkte (mehrsprachig 1: M = 41,86; mehrsprachig 2: M = 23,43), nach der Förderung noch 11,5 (mehrsprachig 1: M = 38,93; mehrsprachig 2: M = 27,34). Die „Schere“ schließt sich auch im Subtest „Wortproduktion Verben“: Die T-Wert-Unterschiede betrugen vor der Förderung 12,5 (mehrsprachig 1: M = 24,60; mehrsprachig 2: M = 12,10), nach der Förderung noch 6,2 (mehrsprachig 1: M = 29,56; mehrsprachig 2: M = 23,36). 4.5 Kompetenzempfinden der erzieherinnen Die 22 Erzieherinnen der EG wurden schriftlich befragt, ob sie durch die Fortbildung und die Supervision einen Kompetenzzuwachs erlebt haben. 81,8 % der befragten Personen bejahten dies in Bezug auf die Durchführung eg mehrsprachig 2 (t-Wert < 30) eg mehrsprachig 1 (t-Wert 36 -50) Varianzanalyse Leistungszuwachs t1 zu t2 Leistungszuwachs t1 zu t2 zwischensubjektfaktor Gruppe Interaktion Faktoren zeit und Gruppe PDss WP nomen m: 3,914 SD: 11,893 N = 35 m: -2,929 SD: 11,323 N = 28 F = 75,112 p = 0,001 h p 2 = 0,552 F = 5,372 p = 0,024 h p 2 = 0,081 PDss WP Verben m: 7,2500 SD: 14,3457 N = 16 m: -2,4737 SD: 18,5603 N = 19 F = 4,545 p = 0,041 h p 2 = 0,121 F = 2,918 p = 0,097 h p 2 = 0,081 Kg mehrsprachig 2 (t-Wert < 30) Kg mehrsprachig 1 (t-Wert 36 -50) Varianzanalyse Leistungszuwachs t1 zu t2 Leistungszuwachs t1 zu t2 zwischensubjektfaktor Gruppe Interaktion Faktoren zeit und Gruppe PDss WP Verben m: 7,031 SD: 13,444 N = 32 m: -2,556 SD: 10,013 N = 27 F = 70,630 p = 0,001 h p 2 = 0,553 F = 9,345 p = 0,003 h p 2 = 0,141 tab. 6 Vergleich der Leistungszuwächse zwischen den mehrsprachigen Kindern VHN 4 | 2012 308 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag von Sprachförderung. In der Kommunikation mit Kindern fühlten sich 63,6 % nach der Fortbildung kompetenter als zuvor. Insgesamt empfanden die Erzieherinnen die Betreuung durch die Sprachtherapeutinnen in Form von Fortbildung und Supervision als hilfreich. 5 Diskussion Verschiedene Studien legten bisher die Annahme nahe, dass durch eine Sprachförderung in Kitas keine signifikanten Effekte zu erzielen seien (vgl. Gasteiger-Klicpera u. a. 2010; Hofmann u. a. 2008). Im Rahmen dieser Studie konnte jedoch festgestellt werden, dass sich die sprachlichen Fähigkeiten aller Kinder, die an der Sprachförderung teilnahmen, signifikant verbesserten. Kinder, die keine Sprachförderung erhielten, zeigten in der Testung mit dem verlässlichen Wortschatztest AWST-R keinen signifikanten Entwicklungsfortschritt. Am deutlichsten kommt dies bei den sprachlich schwächsten mehrsprachigen Kindern zum Ausdruck. Diese Kinder wiesen ohne Sprachförderung nach einem Jahr in keinem einzigen der durchgeführten Subtests signifikante Verbesserungen ihrer lexikalischen Fähigkeiten auf. Die schwächsten mehrsprachigen Kinder, die an der Sprachförderung teilnahmen, zeigten hingegen im AWST-R sowie in verschiedenen Subtests der PDSS signifikante bis höchstsignifikante Entwicklungsfortschritte. Dieses Ergebnis belegt, dass Sprachförderung in Kindertagesstätten effektiv sein kann. Die Forschungsfrage 1 kann somit positiv beantwortet werden. Der Methodenvergleich ergibt, dass das Sprachförderkonzept „Language Route“ in allen überprüften Bereichen mindestens ebenso wirksam ist wie die Sprachförderung, die in den Einrichtungen der KG durchgeführt wurde. Der Faktor Kitazugehörigkeit zeigte, dass unter besonderen Rahmenbedingungen (engagierte und konsequente Umsetzung der „Language Route“) signifikant größere Verbesserungen der produktiven lexikalischen Fähigkeiten im Vergleich zur KG möglich sind. Abgesehen von diesem Subgruppeneffekt muss die Forschungsfrage 2 jedoch verneint werden, da sich die Fortschritte in beiden Untersuchungsgruppen nicht signifikant unterscheiden. Die Gruppe der deutschsprachigen Kinder und die Gruppe der sprachlich parallelisierten mehrsprachigen Kinder profitierten in unterschiedlicher Weise von der Sprachförderung. Während die deutschsprachigen Kinder ihre Kompetenzen in den produktiven Fähigkeiten stark verbesserten, konnten die mehrsprachigen Kinder am Ende der Intervention mehr Wörter verstehen. Da das Wortverständnis als Vorausläuferfähigkeit für die Wortproduktion gilt, ist dieser Fähigkeitenzuwachs der mehrsprachigen Kinder auch als Erfolg zu verbuchen. Dennoch ist die Forschungsfrage 3 zu verneinen, da die beiden Gruppen nicht in gleicher Weise von der Sprachförderung profitierten. Ebenso muss die Forschungsfrage 4 verneint werden, da die schwächeren mehrsprachigen Kinder in den beiden Subtests „Wortproduktion Nomen“ und „Wortproduktion Verben“ wider Erwarten signifikant bessere Fortschritte erzielten als die bereits besseren mehrsprachigen Kinder. Die Erzieherinnen der EG bestätigen, dass ihnen die Fortbildung und Supervision subjektiv mehr Sicherheit bezüglich eines spracherwerbsförderlichen Kommunikationsverhaltens vermittelt hat, sodass die letzte Forschungsfrage bejaht werden kann. Das Konzept einer achtwöchigen Fortbildung (jeweils fünf Halbtage mit zwei Wochen Anwendungszeit) und sechs einstündigen Supervisionstreffen mit der Sprachtherapeutin hat sich bewährt. Zusammenfassend liefert die Studie Ergebnisse, die von den Ergebnissen anderer Evaluationsstudien deutlich abweichen. Bei dem Ver- VHN 4 | 2012 309 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag such eines kriteriengeleiteten Vergleiches vorliegender Untersuchungen zeigt sich in erster Linie deren weitgehende Unvergleichbarkeit. Die Studien unterscheiden sich in der Fragestellung, dem Alter und der Auswahl der untersuchten Kinder, der erfolgten Differenzierung in Subgruppen (z. B. deutsch-/ mehrsprachig), der Dauer der Intervention, der eingesetzten Förderprogramme, der Quantität und Qualität der Fortbildung der Sprachförderkräfte, der eingesetzten diagnostischen Instrumente und der Beachtung forschungsmethodischer Standards (z. B. Kontrollgruppe). In der größten Studie der Landesstiftung Baden-Württemberg wurden im 1. Modul 544 Kinder des letzten Kindergartenjahres (Schakib-Ekbatan u. a. 2007) und im 2. Modul 600 Kinder, die alle älter als fünf Jahre waren, bis zum Ende der zweiten Klasse untersucht. Diese größten bisherigen Evaluationsstudien zeigten - wie zu Beginn erwähnt - keine Effekte der Sprachförderung. Der ausbleibende Leistungszuwachs war unabhängig von der Art der Sprachförderung, also unabhängig davon, ob es sich um den Einsatz von Programmen oder auch nur um gemeinsames Singen oder Brettspiele Spielen handelte. In Bielefeld (NRW) wurden 180 4 - 6-jährige Kinder mit Migrationshintergrund zwei Jahre begleitet (Demirkaya u. a. 2010). Die festgestellten Leistungszuwächse dürfen aufgrund der fehlenden Kontrollgruppe nicht zwingend als Effekt der Förderung interpretiert werden. Zudem wurden keine standardisierten Sprachtests verwendet, sondern selbst konzipierte Aufgabensets. In Leipzig (Sachsen) wurden Erzieherinnen durch eine zeitintensive Fortbildung (112 Unterrichtseinheiten = 14 Ganztage) auf die Sprachförderung von Vorschulkindern vorbereitet (Themen: Sprachtheoretische Grundlagen, Sprachförderung, Mehrsprachigkeit, Elternarbeit, Netzwerkarbeit). Ein Element der Fortbildung waren auch Videoanalysen zur Ermöglichung der Selbstreflexion. 76 sprachförderungsbedürftige Kinder erhielten 2009 und 2010 einerseits eine alltagsintegrierte Förderung und zusätzliche Interventionen in Gruppen (geplant: mehrmals wöchentlich). Die geförderten Kinder verbesserten sich in ihren sprachlichen Leistungen nicht stärker als die Kinder der Kontrollgruppe (Schräpler u. a. 2011, 26). Im Abschlussbericht stellt Hannelore Grimm, die wissenschaftliche Begleiterin, als ein Ergebnis der Videoanalysen fest, dass die Erzieherinnen zwar ihr sprachliches Verhalten in kommunikativen Aspekten (Basisfähigkeiten) und auch die Anpassung an das Kind verbesserten. Hingegen gelang es den Erzieherinnen nicht oder viel zu selten, Sprachlehrstrategien konsequent einzusetzen und das grammatische Sprachangebot reichhaltiger zu gestalten. Zudem wurde die im Sprachförderkonzept angestrebte Häufigkeit von zweibis dreimal pro Woche nicht erreicht. Die Sprachförderung fand weniger als einmal pro Woche statt (Schräpler u. a. 2011, 31f). Kleinere Interventionsstudien wurden auch in Berlin (Beller u. a. 2007) und Rheinland-Pfalz (Montanari 2007) durchgeführt und zeigten ebenso wenig positive Effekte. Die sprachlichen Fortschritte der Kinder wurden in mehreren Untersuchungen mit dem SETK 3 - 5 (Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder, Grimm u. a. 2010) gemessen (Dornröse 2011; Schräpler u. a. 2011). Der SETK 3 - 5 misst im Wesentlichen Gedächtnis- und Sprachverarbeitungsfähigkeiten. Er hat keinen Subtest zur Überprüfung des lexikalischen Lernens und nur einen wenig aussagekräftigen Subtest für grammatisches Lernen (Pluralmarkierung). Hier ist die Frage berechtigt, ob die Kinder nicht doch spezifische Fortschritte erzielt haben, die aber durch das gewählte Messinstrument nicht abgebildet werden. Die Untersuchung von Dornröse (2011) thematisiert insbesondere den zu Beginn erwähnten Sachverhalt, dass VHN 4 | 2012 310 HaNS-JOacHIm mOtScH, DEtta SOpHIE ScHütz Effektivität inklusiver Sprachförderung Fachbeitrag sich unter den Kindern mit Sprachförderbedarf nicht nur Kinder mit Deutsch als Zweitsprache (Spracherfahrungsmangel) befinden, sondern auch sprachgestörte deutsch- und mehrsprachige Kinder. Die Ergebnisse der kleinen Studie (48 Kinder zwischen drei und sechs Jahren) stützen die Annahme, dass „sich Sprachstörungen allein durch Sprachförderung nicht verbessern“ (Dornröse 2011, 156). Unterstützend zur Sprachförderung der Kinder in Kitas könnte sich eine Schulung der Eltern anbieten (Buschmann 2009). Da diese aber gerade bei Eltern mit Migrationshintergrund an ihre Grenzen stößt, wird bereits versucht, Erzieherinnen in Fortbildungen die Prinzipien spracherwerbsförderlichen Elternverhaltens zu vermitteln (Buschmann/ Joos 2011). Im Vergleich zu den erwähnten Studien erschien es uns unverzichtbar, unter Berücksichtigung forschungsmethodischer Standards eine kontrollierte Interventionsstudie an einer größeren Stichprobe durchzuführen. Durch die Bildung der drei Subgruppen und die Wahl von Testverfahren, die zur Messung von Fortschritten im lexikalischen und grammatischen Bereich geeignet sind, konnten differenzierte Ergebnisse ermittelt werden, die als Grundlage der Planung für zukünftige Sprachfördermaßnahmen dienlich sein können. Die „Language Route“ unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt deutlich von anderen Sprachförderkonzepten, die zurzeit in Deutschland umgesetzt werden: Sprachförderung wird in den Kindergartenalltag integriert. Dies hat zur Folge, dass alle Kinder im Gruppenverband bleiben und gemeinsam an der Sprachförderung teilnehmen. So profitieren alle Kinder von der Sprachförderung; schwächere Kinder werden nicht aus dem Gruppenverband genommen und separat gefördert, womit einer Stigmatisierung sprachlich schwächerer Kinder entgegengewirkt werden kann. Gemäß der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung von 2006 gibt es im Schulsystem zunehmend Bestrebungen, das Konzept der Inklusion umzusetzen. Das langfristige Ziel ist es, dass alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam eine Schulform besuchen können. Vor diesem Hintergrund ist es zukunftsweisend, dass mit der „Language Route“ nun ein evaluierter Förderansatz vorliegt, der auch ohne eine „Aussonderung“ von Kindern im Kindergartenalter auskommt. anmerkung 1 Das projekt ist ein Drittmittelprojekt und wurde gefördert durch das zmI (zentrum für mehrsprachigkeit und Integration der Bezirksregierung Köln, der Stadt Köln und der Universität zu Köln), durch das amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Köln und durch proLog WISSEN OHG. 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Detta sophie schütz Universität zu Köln Humanwissenschaftliche Fakultät Department für Heilpädagogik und Rehabilitation Klosterstraße 79 b D-50931 Köln Tel.: ++49 (0)2 21 4 70 55 04 E-Mail: j.motsch@uni-koeln.de detta.schuetz@uni-koeln.de