eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 81/4

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2012.art15d
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2012
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Effekte einer kombinierten Förderung des Sprachverstehens und der phonologischen Bewusstheit zur Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten

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2012
Elmar Souvignier
Dagmar Duzy
Wolfgang Schneider
Die Effekte von zwei Maßnahmen zur Förderung sprachlicher Kompetenzen und der phonologischen Bewusstheit wurden vergleichend bei Kindern mit sehr niedrigen Leistungen beim Nachsprechen von Sätzen (PR < 5) evaluiert. Das Nachsprechen von Sätzen gilt gleichermaßen als aussagekräftig bei der Diagnose von Sprachauffälligkeiten und als Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Über den Zeitraum der letzten beiden Kindergartenjahre bekamen 22 Kin-der eine sukzessive Förderung, bei der zunächst ein Programm zur Sprachförderung (KonLab) und anschließend ein Training der phonologischen Bewusstheit (Hören, Lauschen, Lernen) durchgeführt wurde, während 20 Kinder mit einer fusionierten Variante dieser beiden Programme gefördert wurden, bei der die Programme in ihre Bestandteile aufgegliedert und miteinander verknüpft wurden. Am Ende der Klassenstufen 1, 2 und 3 durchgeführte Lese- und Rechtschreibtests zeigen, dass die sukzessive Förderung insgesamt deutlich höhere Leistungszuwächse bewirkt. Dieser Befund stützt theoretische Modelle, bei denen die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit als abhängig von der Verfügbarkeit sprachlicher Erfahrungen postuliert wird.
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282 VHN, 81. Jg., S. 282 -298 (2012) DOI 10.2378/ vhn2012.art15d © Ernst Reinhardt Verlag Fachbeitrag themenstrang evidenzbasierte Logopädie/ sprachheilpädagogik Effekte einer kombinierten Förderung des Sprachverstehens und der phonologischen Bewusstheit zur Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten 1 elmar souvignier Dagmar Duzy Universität münster Universität Frankfurt a. m. Wolfgang schneider Universität Würzburg Zusammenfassung: Die Effekte von zwei Maßnahmen zur Förderung sprachlicher Kompetenzen und der phonologischen Bewusstheit wurden vergleichend bei Kindern mit sehr niedrigen Leistungen beim Nachsprechen von Sätzen (PR < 5) evaluiert. Das Nachsprechen von Sätzen gilt gleichermaßen als aussagekräftig bei der Diagnose von Sprachauffälligkeiten und als Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Über den Zeitraum der letzten beiden Kindergartenjahre bekamen 22 Kinder eine sukzessive Förderung, bei der zunächst ein Programm zur Sprachförderung (KonLab) und anschließend ein Training der phonologischen Bewusstheit (Hören, Lauschen, Lernen) durchgeführt wurde, während 20 Kinder mit einer fusionierten Variante dieser beiden Programme gefördert wurden, bei der die Programme in ihre Bestandteile aufgegliedert und miteinander verknüpft wurden. Am Ende der Klassenstufen 1, 2 und 3 durchgeführte Lese- und Rechtschreibtests zeigen, dass die sukzessive Förderung insgesamt deutlich höhere Leistungszuwächse bewirkt. Dieser Befund stützt theoretische Modelle, bei denen die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit als abhängig von der Verfügbarkeit sprachlicher Erfahrungen postuliert wird. Schlüsselbegriffe: Sprachförderung, phonologische Bewusstheit, vorschulisches Training, Lese-Rechtschreibschwierigkeiten effects of a combined Promotion of Language comprehension and Phonological awareness for the Prevention of Dyslexia summary: The effects of two programs aimed at fostering language acquisition and phonological awareness were evaluated in a sample of children with low performances in repeating sentences (PR < 5). Low performances in repeating sentences can be considered as a predictor of specific language impairment as well as an indicator for an increased risk of difficulties in reading and spelling. During the last two years of kindergarten, 22 children received a successive form of the two training programs, the training of language acquisition (KonLab) followed by the training of phonological awareness (Hören, Lauschen, Lernen); 20 children got an integrated training version that combined relevant parts of both programs in a meaningful way. Reading comprehension and spelling were tested at the end of the first, second, and third school year, respectively. The results show that the successive form of the training leads to significantly higher improvement. These findings support the theoretical model, which states that the development of phonological awareness is a function of linguistic experiences. Keywords: Language training, phonological awareness, pree-school training, dyslexia VHN 4 | 2012 283 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag 1 theoretischer hintergrund und Forschungsstand Kinder mit Defiziten in ihren sprachlichen Leistungen weisen ein deutlich erhöhtes Risiko auf, Lese- und Rechtschreibstörungen zu entwickeln (Bishop/ Adams 1990; McArthur u. a. 2000; Schöler 2011). Ein solcher Zusammenhang zwischen der sprachlichen Entwicklung und dem Schriftspracherwerb ist vor dem Hintergrund von Modellen der Schriftsprachentwicklung (z. B. Hoover/ Gough 1990; Lundberg 2002) auch zu erwarten. So ist es zum Erlernen des Lesens und (Recht-)Schreibens zum einen notwendig, den Sprachfluss auf der Ebene von Lauten analysieren zu können. Nur unter Nutzung solcher phonologischer Kompetenzen ist es möglich, Verbindungen zwischen der Sprache und dem Kodiersystem der Buchstaben herzustellen. Zum anderen sind Aspekte des Sprachverständnisses wie Wortschatz oder syntaktische und semantische Kenntnisse eine Voraussetzung für das Leseverständnis. Nur wenn grammatische Strukturen (Satzstellung, Flexion von Verben, Pluralbildung usw.) hinreichend gut beherrscht werden und die Bedeutung gelesener Wörter bekannt ist oder hergeleitet werden kann, ist sinnerfassendes Lesen möglich. Zusammenfassend beschreiben Modelle wie das des „simple view of reading“ (Hoover/ Gough 1990) oder das „Zwei-Stränge-Modell“ (Lundberg 2002), dass der Schriftspracherwerb von den beiden Säulen phonologischer und sprachlicher Kompetenzen abhängig ist. Insbesondere bei Kindern mit Risiken hinsichtlich der Entwicklung des Lesens und Schreibens liegt es daher nahe, diese beiden Aspekte für Fördermaßnahmen in den Blick zu nehmen. Generell gilt es als gut gesichert, dass Maßnahmen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit - also eine Förderung der Einsicht in die Lautstruktur der Sprache - hohe Effekte bei der Prävention von Lese- und Rechtschreibstörungen bewirken (Bus/ van IJzendoorn 1999; Schneider/ Marx 2008). Befunde bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen (Hartmann 2002; Marx u. a. 2005) weisen allerdings darauf hin, dass eine vorschulische Förderung der phonologischen Bewusstheit alleine nicht ausreicht, um Rückstände bei Vorläuferfähigkeiten auszugleichen und eine hinreichende Prävention für Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zu bewirken. Es erscheint daher aussichtsreich, Maßnahmen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit und der Sprachkompetenz zu kombinieren. Tatsächlich ist die Erfahrung mit einer solchen theoretisch gut zu begründenden Kombination von Fördermaßnahmen gering. Im Sinne der von Hartmann (2012) formulierten Forderung nach evidenzbasierter Praxis wäre es daher wünschenswert, über empirische Befunde zu Wirkungen einer längerfristigen Förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen bei Kindern mit einem hohen Risiko zur späteren Ausprägung von Lese- und Rechtschreibstörungen zu verfügen. Im Zentrum unserer Untersuchung stand die Frage, wie eine über zwei Jahre angelegte kombinierte Förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen gestaltet sein sollte, um langfristig möglichst hohe Effekte im Hinblick auf das schulische Lesen und Rechtschreiben zu bewirken. Dazu wurde auf der einen Seite eine sukzessive Abfolge von Programmen - zuerst sprachliche Kompetenzen, dann phonologische Bewusstheit - und auf der anderen Seite eine integrierte Förderung realisiert. Auf diese Weise konnten neben der Frage nach der Wirksamkeit unterschiedlicher Fördermaßnahmen gleichzeitig theoretische Annahmen zur Entwicklung von Vorläuferkompetenzen für den Schriftspracherwerb im Rahmen einer Interventionsstudie geprüft werden. VHN 4 | 2012 284 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag 1.1 Vorhersage von schriftsprachleistungen Modelle des Schriftspracherwerbs weisen darauf hin, dass sowohl Defizite in der phonologischen Verarbeitung als auch mangelnde sprachliche Fertigkeiten eine altersgemäße Entwicklung des Lesens und Rechtschreibens behindern können. Entsprechend können Maße der phonologischen Bewusstheit, der Umfang des phonologischen Arbeitsgedächtnisses und auch der Wortschatz zu einer Prognose schriftsprachlicher Leistungen beitragen. Ergebnisse aktueller Arbeiten zur Prognose schriftsprachlicher Leistungen anhand von Indikatoren aus dem Kindergartenalter weisen jedoch darauf hin, dass sich insbesondere das Nachsprechen von Sätzen als einzelner Indikator sehr gut für eine Vorhersage der weiteren Entwicklung von Leistungen im Lesen und Rechtschreiben eignet (Goldammer u. a. 2010; Goldammer u. a. 2011 a und 2011 b; Schöler 2011). So zeigte sich in einer Prädiktionsstudie über ein zeitliches Intervall von drei Jahren, dass Leistungen beim Nachsprechen von Sätzen mit Korrelationen zwischen r = .39 und r = .45 einen substanziellen Beitrag zur Erklärung schulischer Leistungen im Rechtschreiben, Wortlesen und Satzlesen leisten (Goldammer u. a. 2010). In einem weiteren Beitrag dieser Arbeitsgruppe zeigte sich, dass sich das Nachsprechen von Sätzen zum einen durch die Größe des Wortschatzes und zum anderen durch die Kapazität des phonologischen Arbeitsgedächtnisses erklären lässt (Goldammer u. a. 2011 a). Möglicherweise ist die prognostische Qualität des Nachsprechens von Sätzen deshalb so hoch, weil es sich hier um einen Indikator handelt, der mehrere Anforderungen für den Schriftspracherwerb relevanter Faktoren gleichzeitig umfasst. So werden zum einen Behaltensleistungen benötigt, die eine Repräsentation des Gesagten auf der Ebene von Klängen und Wörtern ermöglichen (phonologisches Arbeitsgedächtnis). Zum anderen stellt das Nachsprechen Anforderungen an eine grammatikalisch korrekte Reproduktion eines Satzes und an das Hörverstehen im Sinne einer semantischen Analyse. Da das Nachsprechen von Sätzen gleichzeitig ein sehr aussagekräftiges Maß bei der Diagnose von Sprachauffälligkeiten ist (Schöler u. a. 1997), erscheint es für die vorliegende Studie sinnvoll, dieses Maß gleichfalls als Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und als Indikator für einen auffälligen Spracherwerb heranzuziehen. 1.2 befunde zur entwicklung von Vorläuferkompetenzen für den schriftspracherwerb Sowohl der Befund, dass das „integrierte Maß“ des Nachsprechens von Sätzen, bei dem phonologische und sprachliche Kompetenzen benötigt werden, ein starker Prädiktor für den Schriftspracherwerb ist, als auch die mit diesem Befund übereinstimmenden theoretischen Modelle des Schriftspracherwerbs, die diese beiden Säulen als grundlegend beschreiben (Hoover/ Gough 1990; Lundberg 2002), werfen die Frage danach auf, ob diese beiden Kompetenzen sich unabhängig voneinander entwickeln oder ob sich phonologische und sprachliche Kompetenzen in Abhängigkeit voneinander aufbauen. Auf der einen Seite liegen Befunde vor, die die Entwicklung des Wortschatzes als eine Voraussetzung für den Erwerb phonologischer Bewusstheit beschreiben. So fand Metsala (1999), dass Kinder im Vorschulalter bessere phonologische Leistungen bei Wörtern als bei Nicht-Wörtern erzielen und dass die phonologischen Leistungen bei solchen Wörtern höher ausfallen, zu denen sie über mehr ähnlich klingende Wörter in ihrem mentalen Lexikon verfügen. Auch Walley u. a. (2003) argumentieren dahingehend, dass phonologische Bewusstheit sich als eine Facette sprachlicher Kompetenzen in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit sprachlicher Erfahrungen entwickelt. VHN 4 | 2012 285 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag Diese Position steht zunächst in Kontrast zu der Annahme, dass phonologische Bewusstheit sich erst dann entwickeln kann, wenn Erfahrungen mit einer alphabetischen Orthografie gemacht worden und metakognitive Fähigkeiten verfügbar sind (Liberman u. a. 1989). Sie weist jedoch auch auf eine eindeutige Abhängigkeit in dem Sinne hin, dass zunächst sprachliche Kompetenzen (Wortschatz) vorliegen müssen, damit sich die phonologische Bewusstheit entwickeln kann. Diese Argumentation wird durch Befunde einer Interventionsstudie von Lyster (2002) gestützt, bei der eine Förderung morphologischer Kompetenzen zu Leistungsverbesserungen in den Bereichen des Silben-Segmentierens, der Reimerkennung und der Anlauterkennung führte. Auch in einer Längsschnittstudie, bei der Kinder ab einem Alter von vier Jahren bis ins vierte Schuljahr begleitet wurden, zeigte sich, dass sich frühe sprachliche Leistungen (Wortschatz) - vermittelt über die phonologische Bewusstheit - auf den Schriftspracherwerb auswirkten (Storch/ Whitehurst 2002). Der scheinbar eindeutige Entwicklungsmechanismus, dass die phonologische Bewusstheit der sprachlichen Kompetenz folgt bzw. dass sprachliche Kompetenzen eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit darstellen, wird allerdings von den Befunden einer Interventionsstudie in Frage gestellt, bei der eine Förderung phonologischer Bewusstheit in einer Verbesserung des Wortschatzes resultierte (Schöler u. a. 2005). Zusammenfassend weist die Datenlage darauf hin, dass sprachliche Kompetenzen eine Grundlage für die Entwicklung phonologischer Kompetenzen sein könnten. Während phonologische Kompetenzen eine Voraussetzung für den Erwerb der Schriftsprache und insbesondere für Rechtschreibleistungen darstellen, erweist sich der Wortschatz - auch unabhängig von der phonologischen Bewusstheit - als ein guter Prädiktor für Leistungen des Leseverständnisses (vgl. Goldammer u. a. 2011 b). Dennoch klären vorliegende Studien nicht die Frage, in welchem Maße von einer Wechselseitigkeit der Entwicklung phonologischer und sprachlicher Kompetenzen in dem Sinne auszugehen ist, dass auch Fähigkeiten zur Einsicht in die Lautstruktur der Sprache die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen fördern können. 1.3 befunde zur vorschulischen Förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen Generell können die Effekte einer vorschulischen Förderung der phonologischen Bewusstheit als gut abgesichert gelten. Es erscheint allerdings wichtig darauf hinzuweisen, dass entsprechende Programme zum einen konsequent und durch gut geschulte Erzieherinnen durchgeführt werden müssen (Schneider u. a. 1994), und zum anderen ist festzustellen, dass bei Kindern mit gestörter Sprachentwicklung keine kompensatorischen Effekte bewirkt werden konnten (Marx u. a. 2005). Diese Befundlage wirft die Frage auf, ob bei Kindern mit gestörter Sprachentwicklung entweder ergänzend oder sogar alternativ eine gezielte Sprachförderung durchgeführt werden sollte. Tatsächlich ist die Befundlage zur Wirksamkeit von Programmen zur Sprachförderung ausgesprochen eingeschränkt. In den letzten Jahren wurden im Rahmen des Modellversuchs „Sag’ mal was“ in Baden-Württemberg zwei recht umfassende Studien zur Evaluation von Maßnahmen zur Sprachförderung durchgeführt (Gasteiger-Klicpera u. a. 2010; Roos u. a. 2010). Hier wurden jeweils im letzten Kindergartenjahr verschiedene Programme zur Sprachförderung von geschulten Erzieherinnen eingesetzt. Das Ergebnis fiel im Hinblick auf die globale Wirksamkeit der Programme in beiden Studien ernüchternd aus - gegenüber der Entwicklung von Kindern in Kontrollgruppen ergaben VHN 4 | 2012 286 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag sich keine bedeutsamen Vorteile. Empfehlungen, die in diesen Studien gegeben werden, beziehen sich darauf, dass bereits vor dem letzten Kindergartenjahr spezifische Maßnahmen zur Sprachförderung durchgeführt werden sollten und dass ein besonderes Augenmerk auf die Qualität der Durchführung von Programmen gelegt werden muss. Hier zeigt sich in der Studie von Gasteiger-Klicpera u. a. (2010), dass Erzieherinnen, die zum wiederholten Male eine Sprachförderung vornehmen, höhere Effekte erzielen als solche, die noch keine Erfahrung mit entsprechenden Programmen haben. Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer intensiven Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte im Kontext der Sprachförderung wird aktuell auch von Thoma u. a. (2011) hervorgehoben. In der Studie von Roos u. a. (2010), in der auch ein Vergleich dreier Förderprogramme gemacht wurde, gaben die Erzieherinnen an, dass speziell das KonLab-Programm von Penner (2003) eher auf etwas jüngere Kinder ausgerichtet gewesen sei. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass in den beiden Abschlussberichten zu dem Modellversuch „Sag’ mal was“ übereinstimmend darauf hingewiesen wird, dass der Forschungsstand zur Wirksamkeit von Sprachfördermaßnahmen momentan noch absolut unzureichend ist. 1.4 Fragestellungen Insgesamt ergibt sich ein Bild, bei dem positiven, aber bei Kindern mit Defiziten in der sprachlichen Entwicklung nicht ausreichenden Effekten von Programmen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit Befunde aus Studien gegenüberstehen, in denen sich Maßnahmen zur sprachlichen Förderung als letztlich unwirksam erwiesen. Die Schlussfolgerungen der jeweiligen Evaluationsteams fallen dabei dahingehend aus, dass nicht von einer Unwirksamkeit der Programme ausgegangen wird, sondern dass vielmehr eine Intensivierung der Maßnahmen empfohlen wird, insbesondere was den zeitlichen Umfang der Fördermaßnahmen und die Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte betrifft. Mit Blick auf diese Empfehlungen und vor dem Hintergrund der geschilderten Annahmen zu Voraussetzungen für die Entwicklung schriftsprachlicher Kompetenzen liegt es nahe, eine Intensivierung vorschulischer Fördermaßnahmen in dem Sinne vorzunehmen, dass Programme zur Sprachförderung und zur Förderung phonologischer Kompetenzen kombiniert und über einen längeren Zeitraum angeboten werden. Mit Bezug auf den aktuellen Forschungsstand zur Frage der theoretischen Beziehung zwischen Sprachentwicklung und der Entwicklung der phonologischen Bewusstheit ist allerdings ungeklärt, wie eine solche Kombination genau gestaltet werden sollte. Im Rahmen der von uns durchgeführten Studie sollen zwei kombinierte Programme zur Förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen vergleichend evaluiert werden, die mit einer Dauer von zwei Jahren deutlich über dem üblichen Zeitrahmen liegen. Damit wird der Forderung nach einer Intensivierung vorschulischer Sprachförderung entsprochen. Auf der einen Seite wird eine sukzessive Aufeinanderfolge der Förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen durchgeführt. Ein solches Förderkonzept entspricht der Annahme, dass sprachliche Kompetenzen eine Voraussetzung für die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit darstellen (vgl. Metsala 1999; Walley u. a. 2003). Auf der anderen Seite wird ein fusioniertes Förderprogramm angeboten, bei dem sprachliche und phonologische Inhalte in einem integrierten Format gefördert werden. Eine solche Vorgehensweise folgt der Überlegung, dass diese beiden für den Schriftspracherwerb zentralen Kompetenzen sich wechselseitig bedingen, sodass eine optimale Effektivität erzielt werden kann, wenn frühzeitig mit einer Förderung in beiden Bereichen begonnen wird. VHN 4 | 2012 287 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag Ziel der Studie ist es, die Wirksamkeit der Programme in einer Stichprobe von Kindern mit sprachlichen Schwierigkeiten zu ermitteln, bei denen gleichzeitig von einem Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten auszugehen ist. Da im Rahmen der Studie keine explizite Diagnose auf Sprachstörungen vorgesehen war, wurde die „pragmatische“ Vorgehensweise gewählt, die Evaluation der Programme bei Kindern mit niedrigen Leistungen hinsichtlich des Nachsprechens von Sätzen vorzunehmen. Diese Fertigkeit stellt mehrere sprachliche Anforderungen gleichzeitig (Syntax, Grammatik, Wortschatz) und hat sich zudem als aussagekräftigster einzelner Prädiktor für Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb erwiesen (vgl. Goldammer u. a. 2011 b; Schöler 2011). Als Kriterium für die Aufnahme in die Untersuchungsstichprobe wurde ein Prozentrang kleiner als fünf in einem standardisierten Testverfahren (SETK 3 - 5; Grimm u. a. 2001) angesetzt. Bei einer derart niedrigen Leistung ist mit einer großen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass gravierende sprachliche Defizite vorliegen und ein hohes Risiko für die Entwicklung einer Lese-Rechtschreibschwierigkeit besteht. Um eine zusätzliche Vergleichsmöglichkeit für die Entwicklungen dieser Kinder zu haben, wurden zudem Kinder mit unauffälligen Leistungen bei dem Subtest Satzverständnis des SETK 3 - 5 ausgewählt. Prinzipiell lässt ein Vergleich zweier Fördermaßnahmen ohne Einbezug einer nicht spezifisch geförderten Kontrollgruppe keine Aussage über die absolute Wirksamkeit von Förderprogrammen zu. Mit der vergleichenden Evaluation einer sukzessiven Förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen mit einem fusionierten Programm, in dem diese beiden Bereiche enger miteinander verzahnt gefördert wurden, ist daher zum einen intendiert, eine konkrete Förderempfehlung aussprechen zu können (im Falle der Überlegenheit einer der Programmvarianten). Zum anderen sollen die theoretischen Überlegungen hinsichtlich des Entwicklungsprozesses (Sprache als Voraussetzung für phonologische Bewusstheit vs. wechselseitige Beeinflussung) überprüft werden. 2 methode 2.1 stichprobe Die Untersuchung ist im Kontext eines umfangreicheren Forschungsprojekts angesiedelt, in dem längerfristige Effekte von Maßnahmen zur vorschulischen Sprachförderung geprüft wurden. Für die hier behandelte Frage nach der Wirksamkeit zweier Fördervarianten bei Kindern mit niedrigen sprachlichen Leistungen und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten wurden innerhalb der Gesamtstichprobe (n = 351) zunächst diejenigen Kinder ausgewählt, die einen Prozentrang kleiner als fünf beim Nachsprechen von Sätzen (SETK 3 - 5; Grimm u. a. 2001) aufwiesen. In der Ausgangsstichprobe zu Beginn des vorletzten Kindergartenjahres traf dieses Kriterium auf 107 Kin- Untersuchungshypothese Vor dem Hintergrund der etwas größeren empirischen Evidenz für das theoretische modell einer abfolge, bei der die phonologische Bewusstheit sich in abhängigkeit von sprachlichen Kompetenzen entwickelt, gehen wir davon aus, dass sich die sukzessive förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen über zwei Jahre gegenüber einem fusionierten Programm als überlegen erweist. Diese annahme wird anhand der schulischen leistungen im lesen und Rechtschreiben jeweils am Ende der ersten drei Schuljahre überprüft. VHN 4 | 2012 288 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag der zu. Die teilnehmenden Kinder wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren entweder durch eine sukzessive oder eine fusionierte Variante der beiden Trainingsprogramme Kon- Lab (Penner 2003) und Hören, Lauschen, Lernen (HLL 1 von Küspert und Schneider [2006] und HLL 2 von Plume und Schneider [2004]) gefördert. Hierbei erfolgte die zufällige Zuordnung zu den Experimentalgruppen aus praktischen Gründen der Durchführung nicht pro Kind, sondern pro Kindergarten. Die beiden Experimentalgruppen wiesen ein vergleichbares Ausgangsniveau in den Leistungen zum Satzgedächtnis auf. Ebenso unterschieden sie sich nicht hinsichtlich des Alters. Die im vorliegenden Artikel berichteten Analysen beziehen sich nun auf 42 Kinder aus 13 Kindergärten, die nach Abschluss der im Kindergarten durchgeführten Fördermaßnahmen von der 1. bis zum Ende der 3. Klassenstufe wissenschaftlich begleitet wurden. Dabei nahmen n = 22 Kinder der Experimentalgruppe, die die sukzessive Trainingsvariante im Kindergarten erhalten hatten, und n = 20 Kinder, die die fusionierte Form der Förderung erhalten hatten, in den Klassenstufen 1 bis 3 an Testverfahren zur Erfassung der Lese- und Rechtschreibkompetenzen teil. Diese wissenschaftlich begleiteten Kinder unterscheiden sich weder hinsichtlich des Alters noch hinsichtlich ihrer Leistungen im Nachsprechen von Sätzen von den übrigen Kindern mit ebenfalls anfänglich auffälligen Leistungen im Nachsprechen von Sätzen. Zu Beginn der Studie - also vor Beginn der Fördermaßnahmen - waren die Kinder im Mittel 60 Monate (SD = 3) alt. Die Stichprobe umfasste 23 Mädchen und 19 Jungen. Die Kinder der beiden Experimentalgruppen wiesen in den Ausgangsleistungen ein vergleichbares Niveau im Nachsprechen von Sätzen auf. Ebenso unterschieden sie sich nicht in der nonverbalen Intelligenz. Der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, bei denen nach Angaben der Erzieherinnen zu Hause eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird, lag in der betrachteten Stichprobe bei 87 %, wobei der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund in beiden Experimentalgruppen vergleichbar war. Der insgesamt hohe Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund ist insofern zu relativieren, als bereits in der unselegierten Ausgangsstichprobe (n = 351) bei 64 % der Kinder ein Migrationshintergrund vorlag. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass natürlich auch andere Kriterien zur Einordnung des Anteils von Kindern mit Migrationshintergrund denkbar gewesen wären (vgl. Dubowy u. a. 2011). Da im weiteren Verlauf keine Fragen nach dem Migrationsstatus der Kinder gestellt werden, erscheint es im Sinne einer Einordnung der Stichprobe hier nur wichtig darauf hinzuweisen, dass der Anteil derjenigen Kinder, die keinen deutschsprachigen Hintergrund haben, vergleichsweise hoch ist. Ein Vergleich der Ausgangsbedingungen der beiden Untersuchungsgruppen ist in Tabelle 1 a zusammengefasst. sukzessive Förderung zuerst Sprache, dann phonol. Bewusstheit n = 22 Fusionierte Förderung Sprache und phonol. Bewusstheit integriert n = 20 alter (monate) 59 monate 60 monate geschlecht 13 w / 9 m 10 w / 10 m anteil Kinder mit migrationshintergrund 90 % 85 % Satzgedächtnis 25.41 Rohwertpunkte 29.35 Rohwertpunkte Nonverbale Intelligenz* 18.95 Rohwertpunkte 17.68 Rohwertpunkte tab. 1 a Zusammensetzung der beiden Untersuchungsgruppen zu Beginn der Studie * erhoben im 1. Schuljahr VHN 4 | 2012 289 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag Zusätzlich wurden aus der Ausgangsstichprobe Kinder mit unauffälligen Werten im Bereich der Satzgedächtnis-Leistungen (PR > 15) ausgewählt, um eine ergänzende Möglichkeit zur Einordnung der Leistungsentwicklungen in den beiden Untersuchungsgruppen zu haben. Vollständige Datensätze über den gesamten Untersuchungszeitraum von 5 Jahren lagen hier bei n = 44 Kindern (n = 20 sukzessive Förderung und n = 24 Kinder fusionierte Förderung) vor. Weitere Angaben zu den Kindern dieser Vergleichsstichprobe finden sich in Tabelle 1 b. Es wird unmittelbar deutlich, dass diese Kinder sowohl im Hinblick auf das Satzgedächtnis (mittlerer PR = 46) als auch auf die nonverbale Intelligenz deutlich bessere Ausgangsbedingungen aufweisen als die Kinder in den Untersuchungsgruppen. 2.2 Fördermaßnahmen 2.2.1 Das Kon-Lab-Förderprogramm Das von Penner entwickelte Trainingsprogramm „Kon-Lab“ zielt auf die Förderung von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache sowie von Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerungen ab (Penner 2003). Durch ein reiches Sprachangebot sollen Kinder beim selbstständigen Ableiten von Regeln unterstützt werden. Das Trainingsprogramm ist mit 40 Bausteinen für den Zeitraum von 40 Wochen konzipiert und auf drei Stufen der Sprachentwicklung angelegt: Sprachrhythmus und Wortbildung, Grammatik und Sprachverstehen. Zu jedem dieser Bereiche gibt es spielerische Übungen, die anhand von Geschichten oder Bildkarten realisiert werden. Auf der ersten Stufe des Programms lernen Kinder, Wörter abzuleiten und die sprachrhythmischen Regeln nachzuvollziehen und aktiv anzuwenden. Zusätzlich werden auch die Bildung der Pluralform sowie die verschiedenen Möglichkeiten der Wortzusammensetzungen geübt. Auf der zweiten Stufe setzt sich das Kind spielerisch mit Grammatik auseinander und lernt die Grundregeln des Satzbaus. Auf der letzten Stufe wird dieses erlernte Wissen für komplexere Zusammenhänge eingesetzt, wie es zum Beispiel bei Mengenangaben oder beim Verstehen von Fragen der Fall ist. 2.2.2 Die Würzburger trainingsprogramme „hören, Lauschen, Lernen“ Das Würzburger Trainingsprogramm basiert auf zwei Komponenten: Die erste Komponente „Hören, Lauschen, Lernen 1“ (HLL 1; Küspert/ Schneider 2006) zielt auf die spielerische Förderung der phonologischen Bewusstheit ab. Begonnen wird dabei mit Lauschspielen, sukzessive Förderung zuerst Sprache, dann phonol. Bewusstheit n = 20 Fusionierte Förderung Sprache und phonol. Bewusstheit integriert n = 24 alter (monate) 61 monate 60 monate geschlecht 9 w / 11 m 13 w / 11 m anteil Kinder mit migrationshintergrund 28 % 25 % Satzgedächtnis 87.40 Rohwertpunkte 88.96 Rohwertpunkte Nonverbale Intelligenz* 24.30 Rohwertpunkte 23.54 Rohwertpunkte tab. 1 b Zusammensetzung der beiden Vergleichsgruppen zu Beginn der Studie * erhoben im 1. Schuljahr VHN 4 | 2012 290 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag in der Absicht, das Gehör der Kinder für Geräusche ihrer Umgebung zu schulen. Im Weiteren werden den Kindern Reime nähergebracht, die Konzepte „Wort“ und „Satz“ eingeführt sowie Silben durch bspw. Klatschen oder rhythmisches Sprechen als akustische Einheit herausgestellt. Später wird auch die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne in die Förderung einbezogen, indem Anlaute identifiziert und Übungen zur Phonemsynthese und -analyse durchgeführt werden. Die zweite Förderkomponente basiert auf dem Programm „Hören, Lauschen, Lernen 2“ (HLL 2; Plume/ Schneider 2004) und zielt auf eine Förderung der Buchstaben-Laut-Zuordnung ab, die in zwei Blöcke unterteilt ist: Im ersten Block lernen die Kinder, einzelne Buchstaben mit deren visuellem Symbol zu verknüpfen, im zweiten, Anlaute als Buchstaben zu identifizieren. 2.2.3 Durchführung der Programme In der vorliegenden Studie wurden zwei Kombinationen der beschriebenen Förderprogramme hinsichtlich ihrer Wirkung untersucht. In der ersten Experimentalgruppe wurden beide Trainingsprogramme sukzessive durchgeführt: Zunächst kam im vorletzten Kindergartenjahr das Kon-Lab-Programm (Penner 2003) zur Anwendung, anschließend im letzten halben Jahr der Kindergartenzeit das kombinierte Programm aus „Hören, Lauschen, Lernen 1“ (Küspert/ Schneider 2006) und „Hören, Lauschen, Lernen 2“ (Plume/ Schneider 2004). In der zweiten Experimentalgruppe kamen Kon-Lab und HLL in fusionierter Form über einen Zeitraum von zwei Jahren zum Einsatz. Hierfür wurden beide Programme in ihre Bestandteile aufgegliedert und miteinander verknüpft, indem jeweils im Wechsel Inhalte aus den beiden Programmen vermittelt wurden. Dabei wurde darauf geachtet, dass die logische Form der beiden Programme beibehalten wurde. Insgesamt wurden die Inhalte von KonLab und HLL auch in dieser Fördervariante vollständig durchgeführt. 2.3 testverfahren 2.3.1 nachsprechen von sätzen Zur Erfassung der Leistungen im Nachsprechen von Sätzen kam der Untertest ,Satzgedächtnis‘ aus dem Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder (SETK 3 - 5; Grimm u. a. 2001) zum Einsatz. Hier werden dem Kind 15 Sätze vorgesprochen, die entweder inhaltlich sinnvoll oder lediglich syntaktisch-morphologisch korrekt gebildet waren. Diese Sätze, deren Komplexität und Länge zunehmen, sollen vom Kind reproduziert werden. 2.3.2 Leseverständnis Zur Erfassung des Leseverständnisses wurden am Ende jeder Klassenstufe alle drei Subtests des „Ein Leseverständnistest für Erstbis Sechstklässler“ (ELFE 1 - 6; Lenhard/ Schneider 2006) durchgeführt. Beim Subtest Wortverständnis werden einem Bild vier Wörter zugeordnet, die einander graphemisch und phonetisch ähneln. Innerhalb einer Bearbeitungszeit von drei Minuten sollen nun schnellstmöglich aus den jeweils vier Wörtern diejenigen ausgewählt werden, die den dargestellten Bildern entsprechen. Beim Subtest Satzverständnis sollen angefangene Sätze durch jeweils eines von fünf angebotenen Wörtern sinnvoll zu Ende geführt werden. Die Bearbeitungszeit ist ebenfalls auf drei Minuten begrenzt. Beim Subtest Textverständnis werden Textteile präsentiert, die aus mehreren Sätzen bestehen, wobei dem Kind anschließend Verständnisfragen gestellt werden. Hierbei soll jeweils aus vier Möglichkeiten die richtige Antwort ausgewählt werden. Beim Wortverständnis können maximal 72 Punkte erzielt werden, beim Satzverständnis maximal 28 und beim Textverständnis maximal 20. VHN 4 | 2012 291 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag 2.3.3 rechtschreibung Die Rechtschreibleistungen wurden am Ende der Klassenstufen 1 bis 3 mit dem der jeweiligen Klassenstufe entsprechenden Verfahren der Reihe der „Deutschen Rechtschreibtests“ (Deutscher Rechtschreibtest für das erste und zweite Schuljahr; DERET 1 - 2+, Stock/ Schneider 2008 a; Deutscher Rechtschreibtest für das dritte und vierte Schuljahr; DERET 3 - 4+, Stock/ Schneider 2008 b) erhoben. Hierbei wird den Kindern jeweils ein Fließtext diktiert, der für die erste Klassenstufe aus 29 Wörtern, für die zweite aus 52 Wörtern und für die dritte aus 80 Wörtern besteht. Der Gesamtfehlerwert wird durch Auszählen der Fehler ermittelt. 2.3.4 nonverbale intelligenz Zur Erfassung der nonverbalen Intelligenz kamen die Subtests „Klassifikationen“, „Ähnlichkeiten“ und „Matrizen“ des „Grundintelligenztests Skala 1“ (CFT 1; Cattell u. a. 1997) zur Anwendung. Bei den Klassifikationen sollen Beziehungen zwischen den dargestellten Objekten erkannt und unter den fünf dargestellten Objekten dasjenige benannt werden, das nicht zu den übrigen passt. Im Subtest Ähnlichkeiten und Matrizen soll ein Objekt unter fünf Zeichnungen, die dem ursprünglichen Objekt sehr ähnlich sind, wiedergefunden werden. Bei den Matrizen soll unter fünf figuralen Vorgaben diejenige erkannt werden, die ein unvollständiges Muster entsprechend richtig ergänzt. Bei allen drei Untertests können jeweils zwölf Punkte erreicht werden. 2.4 Untersuchungsdesign Die Ermittlung der Lernvoraussetzungen (Nachsprechen von Sätzen) fand bei allen Kindern im Rahmen von Einzeltestungen statt. Die Erhebungen erfolgten zu Beginn des vorletzten Kindergartenjahres vor der Einführung der Förderprogramme. Zu Beginn der ersten Klassenstufe kam dann der CFT 1 in Form von Gruppentestungen zur Anwendung. Am Ende des ersten bis dritten Schuljahres wurden die Leistungen der Kinder im Lesen (ELFE 1 - 6) und Rechtschreiben (DERET) im Klassenverband erhoben. Alle Testungen wurden von zuvor ausführlich geschulten studentischen Mitarbeitern durchgeführt. 3 ergebnisse Tabelle 2 a gibt einen Überblick über die deskriptiven Statistiken der beiden Untersuchungsgruppen. Wie eine erste Betrachtung der hier dargestellten Variablen zeigt, erzielte die Gruppe, in der die sukzessive Form der Förderung gewählt wurde - zuerst die Sprachförderung und anschließend das Programm zum Training der phonologischen Bewusstheit - in allen Variablen bessere Leistungen als die Gruppe mit dem fusionierten Programm. Zur statistischen Prüfung der Unterschiede zwischen den beiden Untersuchungsgruppen wurden t-Tests durchgeführt, das Signifikanzniveau wurde auf Alpha < .05 (zweiseitig) gesetzt. Die Inspektion der inferenzstatistischen Analysen für die erste Klassenstufe zeigt, dass die Experimentalgruppe, die sukzessive durch die Programme Kon-Lab und HLL gefördert wurde, im Wortverständnis, im Satzverständnis und im Rechtschreiben signifikant bessere Leistungen erzielt als die Gruppe der Kinder, die an der fusionierten Förderung teilnahm. Für das Textverständnis findet sich kein Unterschied zwischen den beiden Trainingsvarianten. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass beide Experimentalgruppen im Textverständnis sehr geringe Leistungen erzielten, sodass es in beiden Gruppen zu einem deutlichen „Bodeneffekt“ kam. Der Leistungsvergleich der beiden Experimentalgruppen in der zweiten Klassenstufe ergab ein mit der ersten Klassenstufe vergleichbares VHN 4 | 2012 292 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag Bild: Die Kinder, die an der sukzessiven Fördervariante teilgenommen hatten, erzielten auch am Ende des zweiten Schuljahres im Wortverständnis, im Satzverständnis und im Rechtschreiben statistisch bedeutsam bessere Leistungen als die Kinder der fusionierten Fördervariante. Hinsichtlich des Textverständnisses zeigte sich trotz einer allgemeinen Zunahme der Leistungen in beiden Experimentalgruppen kein Leistungsunterschied zwischen beiden Fördervarianten. Auch in der dritten Klassenstufe findet sich, dass Kinder der sukzessiven Fördervariante im Wortverständnis und im Rechtschreiben signifikant besser abschneiden als die Kinder der fusionierten Fördervariante. Hinsichtlich des Satzverständnisses ergibt sich der Leistungsvorteil der sukzessive geförderten Kinder, der sich in der ersten und zweiten Klassenstufe gezeigt hatte, jedoch nicht mehr. Bei den Leistungen zum Textverstehen zeigt sich auch in der dritten Klassenstufe kein Unterschied zwischen den beiden Experimentalgruppen. Um einen Eindruck von der numerischen Höhe der Effekte zu erhalten, wurden die jeweiligen Effektstärken für die Leistungsunterschiede bestimmt. Bei sieben der zwölf untersuchten Variablen kann von einem mittelgroßen Effekt (.50 < d < .80; vgl. Cohen 1988) gesprochen werden, bei zwei Variablen der ersten Klassenstufe sogar von einem großen Effekt (d > .80). Für die übrigen Variablen mit Ausnahme des Textverstehens am Ende des ersten Schuljahres, bei dem beide Experimentalgruppen nur sehr schwache Leistungen erzielten, gilt, dass der Vorteil für die sukzessive Förderung zumindest als kleiner Effekt sukzessive Förderung zuerst Sprache, dann phonol. Bewusstheit Fusionierte Förderung Sprache und phonol. Bewusstheit integriert m (s) m (s) t p d 1. Klasse lesen: Wortverständnis 11.91 (5.95) 6.90 (3.85) 3.20 < .01 1.00 lesen: Satzverständnis 3.27 (3.69) 0.70 (0.80) 3.05 < .01 0.97 lesen: Textverständnis 0.77 (0.97) 0.65 (0.81) 0.44 n.s. 0.13 Rechtschreiben (fehler) 18.59 (7.29) 23.15 (4.12) 2.46 < .05 0.77 2. Klasse lesen: Wortverständnis 26.73 (7.29) 22.25 (6.35) 2.39 < .05 0.66 lesen: Satzverständnis 9.14 (4.44) 6.65 (2.91) 2.12 < .05 0.66 lesen: Textverständnis 4.32 (3.06) 3.20 (2.93) 1.21 n.s. 0.37 Rechtschreiben (fehler) 22.91 (10.24) 28.90 (7.37) 2.13 < .05 0.66 3. Klasse lesen: Wortverständnis 43.86 (14.28) 34.60 (9.45) 2.45 < .05 0.77 lesen: Satzverständnis 15.27 (7.72) 12.60 (4.43) 1.36 n.s. 0.42 lesen: Textverständnis 9.45 (4.89) 7.20 (2.44) 1.86 n.s. 0.58 Rechtschreiben (fehler) 29.32 (10.96) 36.10 (8.08) 2.26 < .05 0.70 tab. 2 a Mittelwerte und Standardabweichungen der fusioniert und sukzessive geförderten Kinder der beiden Untersuchungsgruppen im Wort-, Satz- und Textverständnis und im Rechtschreiben sowie Ergebnisse der t-Tests mit Effektstärken VHN 4 | 2012 293 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag (0.2 < d < .05) bezeichnet werden kann. Die Ergebnisse dieser Analysen sind in den Tabellen 2 a und 2 b zusammengefasst. Anhand der Normwerte für die Testverfahren ELFE und DERET lässt sich zudem abschätzen, welches absolute Niveau die Kinder der beiden Gruppen erreicht haben. Hier zeigt sich, dass die Kinder der Gruppe mit sukzessiver Förderung am Ende der dritten Klasse mit Prozentrangwerten um PR = 20 beim Satz- und Textverständnis im Vergleich zu Leistungen um PR = 12 in der Gruppe mit dem fusionierten Förderprogramm etwas höhere Werte erreichen, die allerdings immer noch auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau liegen. Auf einem etwas höheren Level bewegen sich die Leistungen im Hinblick auf die „einfachere“ Anforderung des Wortverstehens mit Prozenträngen von PR = 48 (sukzessive) und PR = 21 (fusioniert). Ein vergleichbares Bild zeichnete sich bereits über die Klassenstufen 1 und 2 hinweg ab - auch hier lag eine relative Überlegenheit hinsichtlich des Wortverständnisses vor. Beim Rechtschreiben liegen die Werte der Gruppen mit Prozenträngen von PR = 18 (sukzessive) und PR = 7 (fusioniert) auf einem ähnlichen Niveau wie bei den anspruchsvolleren Leseleistungen. In der Stichprobe von Kindern ohne Risikoprognose, die zu Vergleichszwecken herangezogen wurde, fallen die Leistungen erwartungsgemäß zu allen Messzeitpunkten höher aus als in der eigentlichen Untersuchungsstichprobe. Der Vergleich zwischen den beisukzessive Förderung zuerst Sprache, dann phonol. Bewusstheit Fusionierte Förderung Sprache und phonol. Bewusstheit integriert m (s) m (s) t p d 1. Klasse lesen: Wortverständnis 18.30 (7.79) 13.42 (7.32) 2.14 < .05 0.65 lesen: Satzverständnis 5.15 (3.99) 3.29 (3.13) 1.73 n.s. 0.52 lesen: Textverständnis 3.00 (2.62) 2.46 (2.69) 0.67 n.s. 0.20 Rechtschreiben (fehler) 13.30 (7.75) 18.25 (6.73) 2.27 < .05 0.68 2. Klasse lesen: Wortverständnis 33.50 (11.06) 31.75 (10.05) 0.55 n.s. 0.17 lesen: Satzverständnis 14.10 (5.56) 11.50 (5.02) 1.63 n.s. 0.49 lesen: Textverständnis 7.35 (4.93) 7.58 (3.73) 0.18 n.s. 0.05 Rechtschreiben (fehler) 17.00 (9.21) 21.13 (5.55) 1.83 n.s. 0.54 3. Klasse lesen: Wortverständnis 45.90 (12.27) 45.88 (10.39) 0.01 n.s. 0.00 lesen: Satzverständnis 19.00 (5.30) 18.67 (5.11) 0.21 n.s. 0.06 lesen: Textverständnis 13.55 (4.80) 11.88 (4.44) 1.20 n.s. 0.36 Rechtschreiben (fehler) 21.35 (9.97) 26.17 (9.64) 1.63 n.s. 0.49 tab. 2 b Mittelwerte und Standardabweichungen der fusioniert und sukzessive geförderten Kinder der beiden Vergleichsgruppen im Wort-, Satz- und Textverständnis und im Rechtschreiben sowie Ergebnisse der t-Tests mit Effektstärken VHN 4 | 2012 294 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag den unterschiedlich geförderten Gruppen ergibt bei diesen Kindern eher marginale Unterschiede. Am Ende der ersten Klasse weisen die sukzessive geförderten Kinder noch Vorteile hinsichtlich des Wortverständnisses und der Rechtschreibleistungen auf. Im Verlaufe der beiden folgenden Schuljahre unterscheiden sich die Leistungen zwischen den beiden Förderbedingungen dann allerdings nicht mehr. Ein Blick auf die Effektstärken weist aber darauf hin, dass es bei den Rechtschreibleistungen auch über die drei Schuljahre hinweg einen erkennbaren Vorteil für die Kinder gibt, die mit dem sukzessive aufgebauten Programm gefördert wurden. Das absolute Niveau dieser beiden Gruppen liegt mit Prozenträngen um PR = 50 (sukzessive) und PR = 40 (fusioniert) wie erwartet in einem mittleren Bereich. 4 Diskussion Im Hinblick auf die Frage, welche Art der vorschulischen Förderung bei Kindern, bei denen gleichzeitig von einem deutlichen Rückstand der sprachlichen Entwicklung und einem erhöhten Risiko für schulische Lese- Rechtschreibschwierigkeiten ausgegangen werden muss, empfehlenswert ist, ergibt sich in der vorliegenden Studie ein recht eindeutiges Bild: Die Leistungen im Wort-, Satz- und Textverständnis sowie im Rechtschreiben erweisen sich - auch längerfristig - bei den Kindern als höher, die im Kindergarten in der Weise gefördert wurden, dass sie zunächst eine intensive sprachliche Förderung erfuhren, bevor anschließend ein Training der phonologischen Bewusstheit durchgeführt wurde. Der größere Teil dieser Effekte ist signifikant. Bei der Bewertung dieser Effekte ist zudem zu beachten, dass in der vorliegenden Untersuchung ein Vergleich zwischen zwei Fördermaßnahmen und nicht ein Vergleich zwischen einer Fördergruppe und einer nicht geförderten Kontrollgruppe vorgenommen wurde. Insofern fällt die Eindeutigkeit der Ergebnisse bemerkenswert klar aus. Dies spiegelt sich auch in den absolut erreichten Leistungsniveaus wider: Während die Kinder mit der sukzessiven Fördervariante im Mittel Leistungen mit einem Prozentrang um PR = 20 erreichen, der als niedrig, aber nicht unbedingt kritisch angesehen werden kann, bleiben die mit der fusionierten Programmversion geförderten Kinder im Mittel auf einem Niveau (PR um 12), bei dem noch von einem weitergehenden Förderbedarf gesprochen werden sollte. Mit der Herleitung des Vergleichs zwischen den beiden Varianten der Förderung war auch die theoretische Fragestellung verbunden worden, von welchem Modell der Entwicklung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen auszugehen ist: Stellen sprachliche Kompetenzen eine Voraussetzung für die Entwicklung phonologischer Bewusstheit dar oder ist eher von der Annahme einer wechselseitigen Beeinflussung dieser beiden Fähigkeiten auszugehen? Dass diejenigen Kinder, die an der sukzessiven Förderung teilnahmen, über die ersten drei Schuljahre hinweg überlegene Kompetenzen des Schriftspracherwerbs vorweisen, deutet darauf hin, dass sprachliche Kompetenzen eine Voraussetzung für die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit darstellen (vgl. Metsala 1999; Walley u. a. 2003). Tatsächlich muss diese Unterstützung für die theoretische Position einer eindeutigen Abhängigkeit in der Entwicklung der Vorläuferkompetenzen für den Schriftspracherwerb allerdings relativiert werden. In der vorliegende Studie zeigt sich zwar ein konsistentes Ergebnismuster in Bezug auf den Schriftspracherwerb, das die Position unterstützt, zunächst sprachliche Fähigkeiten aufzubauen und erst daran anschließend eine Förderung phonologischer Bewusstheit vorzunehmen. Es lässt sich aber nicht nachweisen, welche vorschulisch erworbenen Kompetenzen nun genau aus- VHN 4 | 2012 295 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag schlaggebend für die besseren Leistungen im Lesen und Rechtschreiben sind. Eine wichtige Einschränkung im Hinblick auf die Interpretation der vorliegenden Befunde bezieht sich auf die spezifische Stichprobe, die hier untersucht wurde. Zunächst ist es nur möglich, die getroffenen Aussagen auf Kinder mit niedrigen Leistungen beim Nachsprechen von Sätzen zu beziehen. Diese Kinder wurden ausgewählt, da das Kriterium des Nachsprechens von Sätzen sich zum einen als aussagekräftiges Maß zur Diagnose von Sprachstörungen erwiesen hat (vgl. Schöler u. a. 1997) und zudem einen hervorragenden Prädiktor für das Risiko einer Entwicklung von Lese- Rechtschreibschwierigkeiten darstellt (vgl. Goldammer u. a. 2011 b). Indem eine Extremgruppe bezüglich der Leistungen hinsichtlich dieses Maßes ausgewählt wurde (PR < 5), sollte eine Stichprobe resultieren, bei der mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Sprachstörungen vorliegen und gleichzeitig Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb zu erwarten sind. Auf der einen Seite wäre es natürlich wünschenswert gewesen, eine intensivere Diagnostik im Hinblick auf vorliegende sprachliche Defizite vorzunehmen. Auf der anderen Seite erscheint es allerdings auch lohnend zu prüfen, welche Maßnahmen für Kinder empfehlenswert sind, die sich bei Screeningverfahren als auffällig erweisen, denen Aufgaben wie das Nachsprechen von Sätzen zugrunde liegen (z. B. HASE; SSV). Dass die Effekte als spezifisch für diese Gruppe anzusehen sind, wird anhand der Vergleichsstichprobe unauffälliger Kinder deutlich: Bei diesen lassen sich nach dem ersten Schuljahr keine unterschiedlichen Effekte zwischen den Gruppen nachweisen. Die in der Vergleichsgruppe vorliegenden Vorteile am Ende des ersten Schuljahrs und für die Rechtschreibleistungen weisen allerdings darauf hin, dass die sukzessive Förderung auch bei unselegierten Kindern zu etwas besseren Ausgangsbedingungen für den schulischen Schriftspracherwerb führt. Ein weiterer relativierender Hinweis bezieht sich darauf, dass in der vorliegenden Studie die Thematik des Migrationshintergrunds der Kinder ausgeklammert wurde. Bei der Zusammensetzung der Stichprobe wird mit einem Anteil von 87 % von Kindern mit Migrationshintergrund (Kriterium: zu Hause gesprochene Sprache) deutlich, dass die sprachliche Herkunft und die häusliche Unterstützung möglicherweise eine gravierende Rolle spielen. Es muss allerdings zunächst relativierend darauf hingewiesen werden, dass bereits in der Ausgangsstichprobe vor der Auswahl der leistungsschwächsten Kinder 64 % einen Migrationshintergrund aufwiesen. In der im Hinblick auf die Satzgedächtnis- Leistungen unauffälligen Vergleichsgruppe lag der Anteil an Kindern, die zu Hause in einer anderen Sprache als Deutsch miteinander sprechen, bei nur 27 %. Diese Verschiebung weist darauf hin, dass die inhaltlich begründete Screeningprozedur (Nachsprechen von Sätzen) zur Auswahl eines überproportional hohen Anteils an Kindern mit Migrationshintergrund führte. Sicherlich wäre es wünschenswert, die Wirksamkeit der beiden Programmvarianten differenziert nach dem Migrationshintergrund der Kinder auszuwerten. Angesichts der kleinen Stichprobenumfänge erscheint eine solche separate Auswertung allerdings nicht sinnvoll. Daher ist hier festzustellen, dass die in der vorliegenden Studie gemachten Aussagen sich auf Kinder beziehen, die nach dem inhaltlichen Kriterium einer niedrigen Leistung im Nachsprechen von Sätzen ausgewählt wurden. Ob die Muttersprache hier möglicherweise einen moderierenden Einfluss auf die Wirksamkeit der Fördermaßnahmen ausübt, kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass in unserer Studie keine Kontrollgruppe als Vergleichsmaßstab zur Verfügung stand, die Aussagen zur absoluten Wirksamkeit der beiden Programmvarianten ermöglichen würde. Das VHN 4 | 2012 296 ElmaR SOuVIgNIER, DagmaR Duzy, WOlfgaNg ScHNEIDER Prävention von lese-Rechtschreibschwierigkeiten Fachbeitrag Ziel der Studie lag darin, vor dem Hintergrund von Theorien des Schriftspracherwerbs, die eine kombinierte Förderung sprachlicher und phonologischer Kompetenzen nahelegen, eine Empfehlung zur Gestaltung von Fördermaßnahmen bei Kindern mit sprachlichen Auffälligkeiten und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten herzuleiten. Es zeigte sich mit bemerkenswerter Deutlichkeit, dass eine sukzessive Förderung zuerst sprachlicher und erst anschließend phonologischer Kompetenzen zu klar besseren Leistungen im Lesen und Rechtschreiben in der Schule führt. Dabei erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Fördermaßnahmen insgesamt zwei Jahre dauerten, womit Hinweise aus dem Modellversuch „Sag’ mal was“ (Gasteiger-Klicpera u. a. 2010; Roos u. a. 2010) aufgegriffen werden, in dem sich eine einjährige Sprachförderung alleine als unzureichend erwies. anmerkung 1 Dieser Beitrag entstand im Rahmen des zunächst von der Deutschen forschungsgemeinschaft (Dfg) und später vom IDeazentrum geförderten Projekts „Effekte von Vorschul-Sprachförderprogrammen auf den späteren Schriftspracherwerb von muttersprachlern und migrantenkindern in der Schule“ (ScHN 315/ 33-1 sowie SO 469/ 2-1). Literatur Bishop, D. V. m.; adams, c. (1990): a Prospective Study of the Relationship Between Specific language Impairment, Phonological Disorders and Reading Retardation. In: Journal of child Psychology and Psychiatry and allied Disciplines 31, 1027 -1050 Bus, a. g.; van IJzendoorn, m. H. 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