eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 82/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Aktuelle Forschungsprojekte

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2013
Marion Honka
Tilly Truckenbrodt
Katharina Müller
Das Projekt ist Teil des umfassenden Forschungsprogramms „Integration/Inklusion hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in allgemeine Einrichtungen“ am Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der LMU München (Leitung: Prof. Dr. Annette Leonhardt).
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VHN 3 | 2013 251 Aktuelle Forschungsprojekte Was wünschen sich schülerinnen und schüler mit einer hörschädigung vom Mobilen sonderpädagogischen Dienst (MsD)? Marion honka Ludwig-Maximilians-Universität München Forschungshintergrund Das Projekt ist Teil des umfassenden Forschungsprogramms „Integration/ Inklusion hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in allgemeine Einrichtungen“ am Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der LMU München (Leitung: Prof. Dr. Annette Leonhardt). Im Rahmen dieser Forschungsreihe konnte bereits ein facettenreiches Bild der integrativen Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit einer Hörschädigung aufgezeigt werden, wobei vertiefende Teilbereiche, z. B. die Sicht der Schülerinnen und Schüler auf vorhandene Unterstützungsangebote, noch ausstehen. Besuchen Schülerinnen und Schüler mit einer Hörschädigung die allgemeine Schule, so handelt es sich in Bayern in der Regel um Einzelintegration. Diese Beschulungsform stellt für viele einen erfolgversprechenden Weg dar. Allerdings können dabei auch sehr hohe Belastungen auftreten (Leonhardt 2009). Durch die prozessbegleitende Unterstützung des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes (MSD) sollen solche Belastungen für die betroffenen Schülerinnen und Schüler möglichst gering gehalten werden bzw. gar nicht erst auftreten. Dass dies jedoch nicht immer der Fall ist, zeigen Ergebnisse anderer Forschungsarbeiten in diesem Bereich (Schmitt 2003; Steiner 2007; Lindner 2007). Da der Focus der MSD-Arbeit meist auf (Lehrer-)Beratung und Optimierung äußerer Rahmenbedingungen liegt, kann die Beratung der betroffenen Kinder und Jugendlichen hinsichtlich ihrer eigenen Situation und persönlichen Bedürfnislage in den Hintergrund treten. Mit Blick darauf, dass das MSD-Angebot einem subsidiären Prinzip folgen soll (Schor 2002), ist dies bedenklich, und es liegt nahe, die Schülerinnen und Schüler zu ihren Bedürfnissen hinsichtlich der Unterstützung durch den MSD zu befragen. Forschungsziel und Forschungsfragen Ziel des Forschungsprojekts ist es, die Bedürfnislage der betreuten Schülerinnen und Schüler mit einer Hörschädigung hinsichtlich der Unterstützung durch den MSD aus deren Sicht zu erfassen und daraus erforderliche Handlungsimpulse für eine bedürfnisorientierte (Schüler-)Beratung abzuleiten. Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen: 1. Welche Bedürfnisse haben die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich der Unterstützung durch den MSD? 2. Welche Aspekte werden durch die Arbeit des MSD aus Sicht der Schülerinnen und Schüler bereits abgedeckt? 3. Welche Angebote sollen seitens des MSD entwickelt werden, um aus Sicht der Schülerinnen und Schüler als geeignete Unterstützung empfunden zu werden? Forschungsdesign untersuchungsteilnehmer Zielgruppe sind integriert beschulte Schülerinnen und Schüler mit einer peripheren Hörschädigung, die eine der Jahrgangsstufen 3 -10 einer allgemeinen Schule in Bayern besuchen und durch den MSD-Hören betreut werden. Über den MSD-Hören wurden bayernweit insgesamt 806 Familien angeschrieben, deren Kind(er) diese Kriterien erfüllen. Aus den 162 einsetzbaren Rückmeldungen konnten 16 Diskussionsgruppen mit insgesamt 73 Teilnehmern gebildet werden. Diese verteilen sich wie folgt auf die drei festgelegten Altersgruppen (s. Tabelle nächste Seite). Wie im Folgenden erläutert, wurden die Teilnehmer im Rahmen von Gruppendiskussionen befragt. Dabei variierte die Gruppengröße von drei bis acht Personen. Die durchschnittliche Gruppengröße betrug fünf Personen. Von den 73 Teilnehmern sind 37 männlich und 36 weiblich. VHN 3 | 2013 252 Aktuelle Forschungsprojekte erhebungsmethode Zur Erhebung der individuellen Bedürfnislage der Schülerinnen und Schüler wurde ein qualitativer Forschungsansatz in Form eines Gruppendiskussionsverfahrens gewählt. Die Gruppendiskussion bietet, im Hinblick auf eine ermittelnde (Informations-)Erhebung, unter anderem den Vorteil, dass die eigene Meinung u. U. erst in der Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen hervorgebracht werden kann (Lamnek 2005; Mayring 2002). Bei Schülerinnen und Schülern mit einer Hörschädigung in der Einzelintegration gilt es dieser Tatsache besondere Beachtung zu schenken, da ihnen häufig der Vergleich mit Gleichbetroffenen fehlt. Für die leitfadengestützte Gruppendiskussion wurden vier verschiedene Bausteine konzipiert. Nach einer einleitenden Kennenlernphase mittels Partnerinterview und paarweisem Vorstellen (ohne Aufzeichnung) wurden die Teilnehmer zunächst zu ihrem aktuellen Kontakt zum MSD befragt (Baustein 1). Im Gesprächsverlauf entstand oftmals schon an dieser Stelle eine breite Sammlung von bereits erfahrenen Maßnahmen durch den MSD. Die Bewertung einzelner Aussagen zum MSD mittels Punktevergabe (Baustein 2) lieferte ein erstes Bild der individuellen Einschätzung der MSD-Unterstützung seitens der Teilnehmer. Konkrete Unterstützungsmaßnahmen in den Bereichen ‚Schule - Freizeit - Für mich persönlich‘ wurden schriftlich notiert und anschließend erörtert (Baustein 3). Ein Perspektivenwechsel, die Einnahme der MSD-Lehrer-Rolle (Baustein 4), erfolgte mit dem Ziel der Erhebung eines „Idealzustandes“ der Betreuung. Mit dem abschließend eingesetzten Kurzfragebogen wurden soziodemografische Angaben erfasst. Auswertungsverfahren Die Aufzeichnungen erfolgten digital in Form von Video- und Audiodateien mit einer durchschnittlichen Aufzeichnungsdauer von ca. 1,5 Stunden. Für die Transkriptionen wurden die Videoaufzeichnungen herangezogen und mit der jeweiligen Tonaufzeichnung von einer weiteren Person gegengeprüft. Die während der Gruppendiskussion schriftlich angefertigten Materialien wurden systematisch erfasst, ebenso die Angaben des Kurzfragebogens. Um die Analyse der umfangreichen Datensammlung übersichtlich und methodisch kontrollierbar durchführen zu können, erfolgt die Auswertung unter Zuhilfenahme des Datenanalyseprogramms MAXQDA, welches ein Auswertungsvorgehen in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse (nach Mayring 2010) unterstützt. Eine Überprüfung der Kodierung auf Reliabilität erfolgt nach dem Durchlauf der ersten beiden Gruppen durch eine weitere Person. Dies befindet sich aktuell in Arbeit. erste erkenntnisse Überrascht haben der erfreulich hohe Rücklauf und die meist hohe Gesprächsbereitschaft der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler. Dank engagierter Eltern, welche ihre Kinder zu den Gruppentreffen gefahren haben, und kooperativer Schulen (Bereitstellung von Räumlichkeiten am Nachmittag) konnten immerhin 16 Befragungsgruppen (s. Tabelle Untersuchungsteilnehmer) eingerichtet werden. Ungefähr ein Viertel der Teilnehmer steht derzeitig nicht in direktem bzw. persönlichem Kontakt mit dem zuständigen MSD-Betreuer. Dennoch spaltet sich diese Gruppe auf in Schülerinnen und Schüler, die gleichwohl erfahren, ob und was der MSD für sie tut (z. B. durch den Klassenlehrer), und jene, die das aktuell nicht erfahren. Gleiches gilt erstaunlicherweise auch für die gruppe 1 (3./ 4. jgst.) gruppe 2 (5./ 6./ 7. jgst.) gruppe 3 (8./ 9./ 10. jgst.) Gesamt: n = 5 Gesamt: n = 8 Gesamt: n = 3 gesamt: n = 16 Teiln. gesamt: n = 19 Teiln. gesamt: n = 40 Teiln. gesamt: n = 14 gesamt: n = 73 VHN 3 | 2013 253 Aktuelle Forschungsprojekte Gruppe derjenigen, die ihren MSD-Betreuer aktuell zwar kennen, aber nicht immer wissen, was in diesem Schuljahr für sie vereinbart wurde. Wunschvorstellungen bzw. Verbesserungsvorschläge, wie die MSD-Arbeit zum Nutzen der Schüler gestaltet werden könnte, variieren in beiden Gruppen stark. Unabhängig davon, ob aktuell Kontakt zum MSD-Betreuer besteht oder nicht, haben Schüler teilweise sehr konkrete Vorstellungen von einer optimalen Betreuung (z. B. bzgl. Besuchsfrequenz oder Vorgehensweise bei Besuchen) oder aber nur sehr vage. Letztere geben sich häufig mit der bisher erfahrenen Situation zufrieden und äußern wenig Bedarf nach Veränderung. Interessant erscheint auch, dass mehrere Schüler - sowohl „kritische“ als auch „zufriedene“ - durchaus Verständnis für die Arbeitssituation des MSD aufbringen, aber andere Bedingungen fordern. Wie durch die Methodenwahl beabsichtigt, ergaben sich einige Exkurse (z. B. zum Nachteilsausgleich oder zur Thematisierung der Hörschädigung in der Klasse), die es zusätzlich noch auszuwerten gilt. Weitere Informationen und literaturangaben können eingeholt werden bei: marion.honka@ edu.lmu.de entwicklung von praxismaterial für lehrer bei schulischer Integration hörgeschädigter tilly truckenbrodt Ludwig-Maximilians-Universität München Forschungshintergrund Die Studie ist eingebettet in das Gesamtforschungsprojekt „Integration/ Inklusion hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in allgemeinen Einrichtungen“ des Lehrstuhls für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München (Projektleitung: Prof. Dr. Annette Leonhardt), das seit 1999 läuft. Die vorangegangenen Module, die teilweise in der VHN vorgestellt wurden (s. 3/ 2007, 4/ 2007, 3/ 2008, 4/ 2010, 3/ 2011), haben Ergebnisse und Handlungsimpulse hervorgebracht, die die Grundlage für das aktuelle Modul darstellen. In diesem wird praxisnahes Material in Form einer Handreichung entwickelt, das Lehrkräfte an allgemeinen Schulen über die Spezifika des gemeinsamen Unterrichts von hörgeschädigten und hörenden Schülern angemessen in Kenntnis setzen soll. Eine häufig wiederkehrende Erkenntnis einiger Module war, dass der Großteil der Lehrkräfte allgemeine und praxisbezogene Informationen zum Thema Hörschädigung, deren Auswirkungen und Konsequenzen für den Unterricht benötigt und wünscht. Es wurde festgestellt, dass eine Informierung der Lehrer positive Auswirkungen auf den Unterricht und seine hörgeschädigtenspezifische Gestaltung hat, ebenso auf die Unterrichtsmitarbeit des Schülers, das Sprachverstehen und das Sozialverhalten (vgl. Kellermann 2009; Steiner 2007). Das individuelle Lehrerverhalten sowie sein Unterrichts- und Erziehungsstil beeinflussen somit den Lernerfolg des Schülers. Außerdem wurde deutlich, dass bei mehr Aufklärung die Bereitschaft der Lehrperson für entsprechende Maßnahmen steigt (vgl. Born 2009). Da die zeitlichen Ressourcen sowohl des Sonderpädagogischen Mobilen Dienstes als auch der Lehrkräfte der allgemeinen Schule gering sind, kann meist eine vollständige Information aller Lehrkräfte nicht gewährleistet werden. In der Regel herrscht allerdings Interesse am Informationsaustausch, sodass zumindest die Übergabe von Informationsmaterial möglich und sinnvoll ist (vgl. Steiner 2007; Born 2009). Hierbei dürfte eine praxisorientierte Handreichung eine hilfreiche Unterstützung für die Lehrer und somit für die Schüler darstellen. Forschungsziel und Forschungsfragen Das Forschungsziel dieser Untersuchung kann in zwei Teilschritte untergliedert werden. Ziel im ersten Schritt ist die Entwicklung von Materialien zur angemessenen Information von Lehrkräften allgemeiner Schulen über den gemeinsamen Unterricht von hörgeschädigten und hörenden Schülern auf Grundlage bisheriger Forschungs- VHN 3 | 2013 254 Aktuelle Forschungsprojekte ergebnisse. Der entstandene Entwurf der Handreichung ist Voraussetzung für den zweiten Schritt, die eigentliche Evaluation. Dieser umfasst die Überprüfung der Handreichung in Qualität, Akzeptanz und Hilfestellung für allgemeine Lehrkräfte. Dazu soll das Material an ausgewählte Lehrkräfte mit einem hörgeschädigten Schüler im Unterricht zur Durchsicht und Überprüfung der Praxistauglichkeit ausgegeben werden. Aus dem Forschungsziel, das die Entwicklung und Überprüfung des entworfenen Praxismaterials umfasst, ergeben sich folgende leitende Forschungsfragen: 1. Welchen Nutzen können die Lehrer aus der Handreichung ziehen, und stellt sie somit eine Hilfe für den Unterricht dar? 2. Welche Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge kristallisieren sich heraus? Wo bleiben offene Fragen bzw. weiterer Informationsbedarf? Entsprechend der daraus gezogenen Erkenntnisse wird die Handreichung überarbeitet. Forschungsdesign untersuchungspopulation: Der Entwurf der Handreichung soll an Lehrkräfte einer allgemeinen Einrichtung mit einem oder mehreren hörgeschädigten Schülern im Unterricht ausgegeben werden. Aus organisatorischen Gründen könnte die Überprüfung auf Bayern beschränkt bleiben, beeinflusst ist dies jedoch auch durch die generelle Bereitschaft zur Teilnahme. Idealerweise sollte das entwickelte Material zusätzlich von Sonderpädagogen oder wissenschaftlichen Fachkräften beurteilt werden. Forschungsmethodik: Der Forschungsablauf zur Erstellung und Überprüfung der Handreichung ist in folgenden Teilschritten geplant: n Literaturrecherche und Dokumentenanalyse der bisherigen Forschungen n Expertenrunde(n) und universitäre Besprechungen n Entwurf der Handreichung n Entwicklung eines halbstandardisierten Fragebogens oder Interviewleitfadens n Durchsicht des Entwurfs der Handreichung durch Lehrer von allgemeinen und Förderschulen und Überprüfung in der Schulpraxis n Evaluation durch Interviews und/ oder Fragebogen an die Lehrer n Überarbeitung und Fertigstellung der Handreichung Zunächst ist eine Dokumentenanalyse zu den bisherigen Forschungen bzw. eine allgemeine Literaturrecherche u. a. über bereits erschienene Ratgeber vonnöten (vgl. Wolff 2008, 503ff). Die Forschungsergebnisse liefern die Grundlage für den inhaltlichen Aufbau der Handreichung, und Expertenrunden bzw. inneruniversitäre Besprechungen dienen der Optimierung des Entwurfs. Die formale Gestaltung der Handreichung soll ansprechend und ohne zu umfangreiche Textabschnitte sein. Grafiken, Tabellen, Checklisten und Zusammenfassungen werden eingesetzt, wenn sie dem schnellen Erfassen und leichteren Verständnis der Informationen nützen. Schlagwörter am Rand geben einen Überblick über die Inhalte des Textes. Um eine deutschlandweite Verwendung zu ermöglichen, werden Begriffe so formuliert, dass sie für jedes Bundesland passend oder verständlich sind. Die Durchsicht des Entwurfs der Handreichung soll durch Lehrer von allgemeinen Schulen sowie ergänzend durch Hörgeschädigtenpädagogen erfolgen. Der Entwurf wird dazu für mehrere Wochen zur Verfügung gestellt. Anschließend wird erhoben, welche Änderungs- und Ergänzungsvorschläge gemacht bzw. welche Kürzungen empfohlen wurden. Die bei der Evaluierung gesammelten Informationen werden ausgewertet und dienen im nächsten Schritt der Überarbeitung der Handreichung. Die Änderungswünsche werden reflektiert umgesetzt, um das Material nach den Vorstellungen der Lehrkräfte fertigzustellen. Ausblick Die grundlegende Literaturrecherche und Dokumentenanalyse der bisherigen Forschungen ist abgeschlossen. Ausgewählte Ergebnisse der Forschungen wurden kategorisiert und zu Kernaus- VHN 3 | 2013 255 Aktuelle Forschungsprojekte sagen zusammengefasst. Sie geben die inhaltliche Grundstruktur der Handreichung vor. So begründet beispielsweise das Ergebnis über das meist geringe Vorwissen von Lehrkräften allgemeiner Schulen zu Hörschädigungen (vgl. u. a. Schmitt 2003), dass zunächst generelle Informationen über Hörschädigung und deren Auswirkungen vorgestellt werden. Es folgt eine Übersicht gängiger Hörhilfen und ihre Berücksichtigung im Unterricht. Neben dieser generellen Information werden didaktische Besonderheiten beim gemeinsamen Unterricht aufgezeigt. Unterteilt ist dies in organisatorische Aspekte, wie die Klassenstärke oder die Sitzordnung, und in hörgeschädigtenspezifische Maßnahmen, wie die Lehrersprache oder die Wichtigkeit des Unterrichtsprinzips Visualisierung. Derzeit werden die Inhalte ausformuliert und anhand von Fachliteratur ergänzt, was den ersten Entwurf der Handreichung darstellt. Das weitere Forschungsvorgehen sieht zunächst die Fertigstellung des Entwurfs der Handreichung vor. Durch Expertenrunden und universitäre Besprechungen wird dieser optimiert. Im Anschluss findet die Verteilung des Entwurfs an die Lehrer der allgemeinen Schulen und die sonderpädagogischen Fachkräfte statt. Nach der Befragung ihrer Ansichten erfolgt die Auswertung mit abschließender Überarbeitung und Veröffentlichung der Handreichung. Weitere Informationen sowie literaturangaben können eingeholt werden bei: tilly.truckenbrodt @edu.lmu.de „hören 60 +“ - subjektive hörfähigkeit und Auswirkungen von hörbeeinträchtigungen im höheren lebensalter katharina Müller M. A. Ludwig-Maximilians-Universität München Forschungshintergrund Es ist davon auszugehen, dass „die Prävalenz des klinisch signifikanten Hörverlusts bei Menschen im Alter von 61 - 70 Jahren […] 37 %“ beträgt und bei den „71bis 80-Jährigen auf 60 %“ ansteigt (Baur u. a. 2009, 1023). Dabei steigt sowohl der Anteil der „altersschwerhörigen“ Personen als auch die Ausprägung der Hörstörung (Hesse/ Laubert 2005). Dies lässt sich mit dem demografischen Wandel und den Lebensbedingungen unserer Gesellschaft erklären. Als Ursachen für Hörbeeinträchtigungen im Alter gelten neben der Lärmexposition über die Lebensspanne auch degenerative Alterungsprozesse, Schädigungen durch ototoxische Substanzen, genetische Faktoren und Stoffwechselstörungen. Die Schwerhörigkeit im Alter manifestiert sich dabei sowohl in „Veränderungen der Haarzellen des Innenohres als auch durch degenerative Abbauprozesse der zentralen Hörbahn“ (Hesse/ Laubert 2005, A 2864). Dies führt zu einer sogenannten sensorineuralen Schwerhörigkeit. Das Defizit im Hörvermögen nimmt typischerweise sehr langsam zu und beginnt schon im dritten Lebensjahrzehnt. Die Übergänge von leichten Einbußen ohne Beeinträchtigung im Alltag bis hin zu einer Behinderung sind hierbei fließend (Schramek 2002). Neben der peripheren Hörschädigung im Sinne der sensorineuralen Schwerhörigkeit scheinen bei Hörbeeinträchtigungen im Alter darüber hinaus auch häufig zentrale auditive Funktionen eingeschränkt zu sein. Für den Alltag besonders relevant sind die verminderte Störschallunterdrückung und ein verändertes Lautheitsempfinden (Tesch-Römer 2001). In der neueren Forschung wurde auch die Rolle des Arbeitsgedächtnisses auf die Lautsprachperzeption älterer Menschen untersucht. So stellten Meister u. a. (2011, 691) fest, dass „bei vergleichbaren tonaudiometrischen Befunden“ die älteren Personen „in komplexen akustischen Situationen [ein] schlechteres Sprachverstehen als jüngere Personen“ aufweisen und dieser Befund zumindest teilweise auf die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses zurückzuführen sei. Auch Freigang u. a. (2011) fanden in ihrer Untersuchung Zusammenhänge zwischen kognitiven und zentralen auditiven Funktionen. Es sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass es eine Korrelation zwischen Hörschädigung und Demenz gibt (Lin u. a. 2011, 214). VHN 3 | 2013 256 Aktuelle Forschungsprojekte Eine häufig auftretende Komorbidität ist der Tinnitus. Die „Prävalenz des Tinnitus [nimmt] mit steigendem Alter deutlich“ zu (Statistisches Bundesamt 2006, 26). In dem Telefonischen Gesundheitssurvey 2003 des Robert-Koch-Instituts gaben ca. 15 % der über 65-Jährigen an, unter beeinträchtigenden Ohrgeräuschen zu leiden (ebd.). Hörbeeinträchtigungen haben verschiedene Auswirkungen. Dabei ist die Funktionseinbuße, unter der die Schwerhörigen am meisten leiden, die Einschränkung der Kommunikationsfunktion (Hellbrück 1996). Generell stellt eine Einbuße immer auch einen Einschnitt in die Biografie dar. Dieser Bruch in der Lebenskontinuität kann eine Identitätskrise auslösen, v. a. wenn der Hörverlust massiv ist und/ oder das Hören für den Betroffenen eine wichtige Rolle spielt (Wisotzki 1996). In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass eine Hörbeeinträchtigung im Alter mit einer reduzierten Lebensqualität einhergeht (Ciorba u. a. 2012; Dalton u. a. 2003; Strawbridge u. a. 2000). Hierbei scheinen aber die Art und Weise, wie die Hörbeeinträchtigung verarbeitet bzw. bewältigt wird und die Nutzung von Kompensationsmöglichkeiten zentrale Aspekte zu sein. An erster Stelle der Kompensationsmöglichkeiten steht sicherlich eine möglichst gute Versorgung mit technischen Hilfsmitteln. Eine weitere Möglichkeit stellen die visuellen Reize dar, welche genutzt werden können, solange keine Seheinbußen vorliegen. Hier seien das Absehen und die Nutzung von Schriftsprache genannt. Daneben ist aber auch das Verhalten in Kommunikationssituationen entscheidend, wobei man zwischen invasiven und evasiven Strategien unterscheiden kann (Tesch-Römer/ Nowak 1998). Auffällig ist jedoch, dass gerade ältere Personen ihren Hörverlust häufig als „schicksalhaft und unbeeinflussbar hinnehmen“ (Statistisches Bundesamt 2006, 22). Diese bagatellisierende Einstellung führt aber oft dazu, dass Kompensationsmöglichkeiten nicht oder nur unzureichend ausgeschöpft werden. So sind nur etwa 15 % der älteren Personen mit einer Indikation für Hörgeräte auch tatsächlich versorgt (Hesse 2004; Hesse/ Laubert 2005). Fragestellung und Zielsetzung des projekts In den bislang durchgeführten Studien wurden meist nur bestimmte Teilgruppen bzw. Teilaspekte untersucht. Ziel der Studie „Hören 60 +“ ist es, ein möglichst umfangreiches deskriptives Bild vom subjektiven Hörstatus der Generation 60+ zu erhalten. Die Kernfragen des Forschungsprojektes sind dabei: n wie die Hörfähigkeit subjektiv bewertet wird n ob ein Tinnitus vorliegt und wie stark sich die Betroffenen durch den Tinnitus belastet fühlen n welche Auswirkungen eine subjektive Hörbeeinträchtigung auf soziale Kontakte und Lebensqualität bzw. Depressivität hat und n welchen moderierenden Effekt Hörgerätenutzung, Bewältigungsstrategien und bestimmte soziodemografische Faktoren haben. Neben vertieften Kenntnissen der Thematik im Sinne einer Grundlagenforschung sollen die Ergebnisse letztlich auch dazu dienen, die realen Bedürfnisse an Aufklärung, Beratung und Versorgung dieser Zielgruppe zu ermitteln und damit Impulse für die Praxis geben. Forschungsdesign Es ist eine quantitative schriftliche Befragung geplant, da sich damit Verzerrungen am ehesten vermeiden lassen. Dafür wurde - nach den üblichen wissenschaftlichen Richtlinien - ein Fragebogen entwickelt und zusammengestellt. Zu den zu erhebenden Daten gehören sozialdemografische Items, welche für die Thematik von Bedeutung sind (Alter, Geschlecht, Berufstätigkeit, Wohnform und allgemeiner gesundheitlicher Status). Kernstück des Fragebogens ist der Hörstatus, welcher anhand eines standardisierten Selbsteinschätzungsinstruments zur subjektiven Hörleistung erhoben wird. Des Weiteren ist von Interesse, seit wann eventuelle Hörprobleme bestehen, ob es HNO-Konsultationen gegeben hat, ob eine Diagnose der Schwerhörigkeit vorliegt und ob bzw. inwieweit eventuell VHN 3 | 2013 257 Aktuelle Forschungsprojekte verordnete Hörgeräte genutzt werden. Zudem wird erfragt, ob der Proband unter einem Tinnitus leidet und inwieweit er sich durch diesen beeinträchtigt fühlt. Auch die Nutzung evasiver und invasiver Strategien soll erfasst werden. Einen zweiten Schwerpunktteil bilden Instrumente zur Erfassung der möglichen Auswirkungen einer Höreinbuße auf soziale Kontakte und Lebensqualität. Ein Pretest wurde durchgeführt. Bei der Rekrutierung der Probanden muss - da es neben dem Alter ganz bewusst keinerlei Ein- oder Ausschlusskriterien gibt - besonders auf mögliche Verzerrungen geachtet werden. Gerade auch, weil die Gruppe der Personen mit einem Lebensalter von 60 und mehr Jahren eine sehr heterogene Gruppe ist. Um möglichst viele Selektionseffekte auszuschließen, ist geplant, die Zielgruppe durch Ziehung einer geschichteten, randomisierten Stichprobe aus der Grundbevölkerung (der über 59-Jährigen) der Stadt München schriftlich zu konsultieren. Ausblick Das Forschungsprojekt ist auf drei Jahre angelegt und wurde im Frühjahr 2012 begonnen. Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit vorliegenden Forschungsergebnissen im Zusammenhang mit Hörbeeinträchtigungen im Alter und der Entwicklung des Erhebungsinstruments wird gegenwärtig die Erhebungsphase vorbereitet. Weitere Informationen sowie literaturangaben können eingeholt werden bei: katharina.mueller @edu.lmu.de