eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 82/2

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2013
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Arznei gegen Quacksalberei

41
2013
Erich Hartmann
Helfende Professionen sind anfällig für fragwürdige Therapien und pseudowissenschaftliche Modeerscheinungen. Die schlechte Nachricht ist, dass solche Praktiken nicht hilfreich sind für Klienten, zudem schaden sie dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit besagter Disziplinen. Die gute Nachricht: Der pseudowissenschaftlichen Infiltrierung kann entgegengewirkt werden. Gezielte Aufklärung von Öffentlichkeit und Fachwelt sowie eine solide wissenschaftliche Ausbildung von Professionellen bilden die Basis solcher Bemühungen. Wissen über das (Un-)Wesen von pseudowissenschaftlichen Praktiken und gesunde Skepsis sind für die Identifikation von fragwürdigen Interventionen unverzichtbar. Das inhärent präventive Konzept der Evidenzbasierten Praxis bietet die wissenschaftliche Alternative zur pseudowissenschaftlichen Praxis.
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VHN 2 | 2013 93 Arznei gegen Quacksalberei Erich Hartmann Universität Freiburg/ CH Zusammenfassung: Helfende Professionen sind anfällig für fragwürdige Therapien und pseudowissenschaftliche Modeerscheinungen. Die schlechte Nachricht ist, dass solche Praktiken nicht hilfreich sind für Klienten, zudem schaden sie dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit besagter Disziplinen. Die gute Nachricht: Der pseudowissenschaftlichen Infiltrierung kann entgegengewirkt werden. Gezielte Aufklärung von Öffentlichkeit und Fachwelt sowie eine solide wissenschaftliche Ausbildung von Professionellen bilden die Basis solcher Bemühungen. Wissen über das (Un-)Wesen von pseudowissenschaftlichen Praktiken und gesunde Skepsis sind für die Identifikation von fragwürdigen Interventionen unverzichtbar. Das inhärent präventive Konzept der Evidenzbasierten Praxis bietet die wissenschaftliche Alternative zur pseudowissenschaftlichen Praxis. Schlüsselbegriffe: Heilpädagogik, Logopädie, Evidenzbasierte Praxis, Pseudowissenschaft Remedy for Quackery Summary: Helping professions are vulnerable to questionable therapies and pseudoscientific fads. The bad news is that such therapeutic practice is not helpful for clients. Furthermore, questionable interventions damage the reputation and the credibility of the professions. The good news is: The pseudoscientific infiltration can be countered by public information and education as well as sound scientific training of professionals. Knowledge about characteristics of pseudoscience and healthy scepticism are indispensable for the identification of questionable interventions. The inherently preventive concept of Evidence-based Practice provides the scientific alternative to pseudoscientific practice. Keywords: Special education, speech-language pathology, evidence-based practice, pseudoscience Schandfleck helfender Professionen Die konstruktive Beschäftigung helfender Professionen mit dem innovativen Konzept der Evidenzbasierten Praxis (EBP) trägt erste Früchte. Dazu gehört die vornehmlich in akademischen Kreisen aufgekommene Diskussion um das Phänomen der unbzw. pseudowissenschaftlichen Therapien, das weder in der Psychologie noch in der (Sprach-)Heilpädagogik neu ist, bislang aber zu den eher tabuisierten Themen dieser Disziplinen gehört (z. B. Lilienfeld u. a. 2003; Jacobson u. a. 2005). Die Rede ist von remedialen Interventionen, die in der wissenschaftlichen Literatur mit wenig schmeichelhaften Attributen wie „unkonventionell“, „kontrovers“, „unseriös“, „fragwürdig“, „dubios“, „alternativ“, „quacksalberisch“ oder „nutzlos“ versehen werden. Bei aller Vielfalt der Benennung lässt sich das Kernproblem solcher Praktiken auf einen einfachen Nenner bringen: Obgleich zumeist mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit antretend, erfüllen fragwürdige Therapien die anerkannten Kriterien für wissenschaftlich abgesicherte (validierte) Interventionen nicht. Sie sind zum einen theoretisch bzw. rational unplausibel, zum anderen ist die Wirksamkeit der Methode empirisch nicht belegt, weil sie bisher nicht untersucht wurde, weil sie wider- < RUbRik > TH EmEnSTR ang Evidenzbasierte Logopädie/ Sprachheilpädagogik DaS PRovokaTivE ESSay 94 VHN 2 | 2013 EricH HartmaNN arznei gegen Quacksalberei DaS PRovokaTivE ESSay legt wurde oder weil sich die Effektivität wissenschaftlich gar nicht überprüfen lässt. Solche therapeutischen Methoden sind insgesamt nicht hilfreich für die Praxis, denn sie halten nicht, was sie oft vollmundig versprechen (z. B. Heilung); abzüglich etwaiger Placebo-Effekte erweisen sie sich im besten Fall als unwirksam, im schlechtesten Fall sind sie kontraproduktiv oder haben schädliche Auswirkungen auf Klienten (z. B. Lilienfeld u. a. 2003 a; Jacobson u. a. 2005 a; Smith 2005). Das Pseudowissenschaftliche infiltriert helfende Professionen oft in Form einer vorübergehenden Modeerscheinung bzw. als sogenannter Fad (engl. für Modetorheit, Fimmel, Marotte u. a.), der folgende Entwicklung durchläuft: Ein Fad „wird rasch adoptiert in der Gegenwart von geringer bestätigender Forschung, findet breite Verwendung oder Anerkennung“, um nach einer Phase der intensiven Nutzung gewöhnlich wieder „abzuklingen angesichts widerlegender Forschung, aber oft durch die Einführung eines neuen Fads“ (Vyse 2005, 5; orig. engl.). Laut Jacobson u. a. wird das Aufkommen von fragwürdigen therapeutischen Modeerscheinungen häufig begünstigt durch „Empfehlungen von anerkannten, anderweitig autoritativen oder prominenten Professionellen im Feld“, welche die hohe Wirksamkeit der neuen Methode beteuern, ohne den entsprechenden empirischen Nachweis zu erbringen. „Am häufigsten werden Fads eingeführt und verbreitet durch gut meinende Professionelle oder Paraprofessionelle“, denen aber „die Fähigkeiten, die Ausbildung, der Hintergrund oder die Neigung“ fehlt, um zu beurteilen, ob die propagierte Methode als wissenschaftlich fundiert gelten kann (Jacobson u. a. 2005 a, xiii - xiv; orig. engl.). Auch Massenmedien, permanent auf der Suche nach neuen Hypes, tragen zur pseudowissenschaftlichen Infektion von Professionen bei, indem sie dramatische, emotionalisierte Geschichten über sensationelle Heilerfolge erzählen, die leicht eingängig sind und die öffentliche Akzeptanz und die Verbreitung von therapeutischen Fragwürdigkeiten fördern (z. B. Finn u. a. 2005). Während keine zuverlässigen Angaben darüber existieren, wie verbreitet pseudowissenschaftliche Praktiken in der (Sprach-)Heilpädagogik sind und wie sie konkret umgesetzt werden, gibt es genügend mahnende Stimmen, dass das Problem nicht unterschätzt werden sollte. Klar ist: Jede fragwürdige Therapie, sei sie isoliert oder kombiniert mit seriösen Verfahren durchgeführt, stellt eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen dar, die man für Besseres - sprich für wirksame Maßnahmen - einsetzen könnte. Die negativen Konsequenzen solcher Praktiken sind vielfältig wie einleuchtend: Pseudowissenschaftliches hintergeht die Klientel, der man wirksame Hilfen und somit positive Lernprozesse vorenthält. Aber auch Familien und die Öffentlichkeit werden getäuscht, die fragwürdige Therapien für Personen mit Beeinträchtigungen finanzieren (z. B. Smith 2005; Zane 2005; von Suchodoletz 2006). Und last but not least sind unseriöse Praktiken mehr als ein Fauxpas therapeutischer Berufe. Ihre tolerierte Anwendung ist vielmehr als Schandfleck auf der professionellen Visitenkarte zu qualifizieren - was sich früher oder später als Bumerang erweist, wenn Professionalität, Glaubwürdigkeit und öffentliches Ansehen von Handlungswissenschaften erodieren (z. B. Jacobson u. a. 2005 a; Finn u. a. 2005; McCurtin/ Roddam 2012). gute motive, Unaufgeklärtheit und kognitive Fehler Warum sind helfende Professionen anfällig für Pseudowissenschaft? Weshalb gelangen fragwürdige Therapien selbst in der heutigen Zeit zur Anwendung, in der die (Sprach-)Heilpädagogik über wissenschaftlich abgesicherte Interventionen verfügt und unser Wissen aus der (Sprach-)Therapieforschung stetig zunimmt? 95 VHN 2 | 2013 EricH HartmaNN arznei gegen Quacksalberei DaS PRovokaTivE ESSay Die wissenschaftliche Erörterung dieser Fragen verweist auf zahlreiche - professionelle, subjektive, soziale, ideologische, politische, propagandistische, ökonomische - Bedingungsfaktoren der pseudowissenschaftlichen Infiltrierung von Disziplinen (z. B. Jacobson u. a. 2005 b; Vyse 2005; Koenig/ Gunter 2005). Bei aller Komplexität des förderlichen Milieus ist im Hinblick auf Aufklärung und Prävention die Feststellung relevant, dass sich Therapeuten und Angehörige grundsätzlich in guter Absicht auf problematische Behandlungsmethoden einlassen. Man trachtet eben danach, Menschen mit Beeinträchtigungen immer noch bessere oder erfolgreichere Therapien zukommen zu lassen. Dieses gut gemeinte Motiv ist insofern nachvollziehbar, als wissenschaftlich fundierte Interventionen bekanntlich nachhaltige positive Effekte zeitigen, aber nicht derartig beeindruckende Erfolge vorzuweisen haben, wie sie im Kontext von fragwürdigen Praktiken oft postuliert oder versprochen werden. „Die Verheißung und Promotion von diesen neuen und besseren Mäusefallen kontrastieren nicht nur mit den relativ geringeren Outcomes von traditionellen (wissenschaftlichen; EH) Ansätzen, sondern sie beinhalten oft auch eine lautstarke Denunziation von allem Vorausgegangenen.“ (Favell 2005, 19; orig. engl.; auch Smith 2005) Therapeuten, Klienten und Angehörige sind sich zumeist gar nicht bewusst, dass eine „neue Methode“ als pseudowissenschaftlich zu qualifizieren ist - und dass man sich damit auf den therapeutischen Holzweg begibt. Zane (2005, 177; orig. engl.) vertritt die provokante These, (manche) „Professionelle, Eltern und Konsumenten“ seien eben „ungebildet“, „leichtgläubig“ und somit leicht zu „übertölpeln“. Da jedoch selbst gebildete bzw. intelligente Personen der Verlockung erliegen, nutzlose Therapien auszuprobieren, betrifft die angemahnte Bildungslücke in erster Linie das Wissen darüber, was Pseudowissenschaftlichkeit ausmacht und welche Probleme man sich damit einhandelt (vgl. auch Greenspan 2005). Hat man sich aus Unkenntnis und Naivität aber einmal für eine dubiose Intervention entschieden, kommt es bei deren Anwendung zu einem weiteren Problem, dem genuin menschliche Denkfehler („bias“) zugrunde liegen (z. B. Dobelli 2011). Wie Garb und Boyle (2003) ausführen, ist es für Therapeuten infolge von psychologischen Phänomenen wie Bestätigungsfehler, Selbstüberschätzung oder Übervertrauen grundsätzlich schwierig, aus Praxiserfahrung allein zu lernen. Dies impliziert im Fall einer pseudowissenschaftlichen Therapie das mehr oder weniger ausgeprägte Unvermögen zu erkennen, dass die Methode, an die man glaubt, partout nicht funktioniert (wirkt). Alltägliche Praxis ist eben kein wissenschaftliches Experiment (und will es auch nicht sein), das die diversen Einflüsse auf den Fortschritt des Klienten kontrollieren soll, die mit der Therapie selbst nichts zu tun haben. Praxis ist folglich auch nicht in der Lage, die Wirksamkeit von Interventionen zuverlässig und verallgemeinernd zu belegen (z. B. Haynes/ Johnson 2008). Was bleibt, ist die Erkenntnis: „The scientific method is the only real means of sifting sound practice from snake oil.“ (Favell 2005, 28) Fragwürdiges entlarven: Früh übt sich, was meister werden will Solche Einsichten über die Kultivierung von therapeutischen Fragwürdigkeiten mögen irritieren, das präventive Potenzial sollte indes weder übersehen werden noch ungenutzt bleiben. Tatsächlich ist man sich in der Literatur einig, dass helfende Professionen mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und ethisches Handeln dem Problem der dubiosen Praktiken entgegenwirken sollen und können. Ein wesentliches Element einer prä- VHN 2 | 2013 96 EricH HartmaNN arznei gegen Quacksalberei DaS PRovokaTivE ESSay ventiven Strategie ist die Information und Aufklärung von Öffentlichkeit und Fachwelt über Wesen und Unwesen von nichtbzw. pseudowissenschaftlichen Interventionen. Lobenswerterweise sind in den letzten Jahren hilfreiche Kataloge von Rote-Flagge-Indikatoren erarbeitet worden, die es Fachleuten erleichtern wollen, Therapien zu erkennen, die als Wolf im Schafspelz daherkommen und denen man besser ausweicht (z. B. Lilienfeld u. a. 2003 a; Lilienfeld u. a. 2012; Smith 2005; Finn u. a. 2005). In Anlehnung an solche Arbeiten umfasst die folgende Checkliste mögliche Problembereiche und entlarvende Merkmale von wissenschaftlich fragwürdigen Interventionen. Sie kann als solche als Orientierungshilfe im Dschungel propagierter und praktizierter Therapiemethoden genutzt werden. Solche Tools dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Wissenschaft und Pseudowissenschaft sind „offene Konzepte“ mit „unscharfen Grenzen“. Ihre Unterscheidung ist daher nicht immer einfach und mehr eine Frage „des Grades als der Art“ (Lilienfeld u. a. 2003 a, 5; orig. engl.). In diesem Sinne ist eine Therapie umso wahrscheinlicher pseudowissenschaftlicher Natur, je mehr Problembereiche mit unübersehbaren Warnsignalen ihre kritische Analyse zutage fördert und unsere Vorsicht vorteilhaft erhöht (vgl. auch Finn u. a. 2005). Das Erkennen von pseudowissenschaftlichen Methoden erfordert ein mit skeptischem Denken gepaartes wissenschaftliches Grundverständnis und Training in der Differenzialdiagnose zwischen fragwürdigen und soliden Praktiken für Personen mit Beeinträchtigun- Problembereiche mögliche Warnsignale Therapiemethode ▫ Fokussiert auf postulierte (Kern-)Defizite als Ursache von Beeinträchtigungen (Kausaltherapie) ▫ mantra der Natürlichkeit oder Ganzheitlichkeit ▫ Nutzung, anschaffung von speziellen technologien, materialien, medien erforderlich Therapieergebnis ▫ Heilung, sensationeller Erfolg wird in aussicht gestellt ▫ Gut klingende, doch vage, unklare Beschreibung des Effekts ▫ Wissenschaftlicher Nachweis des Nutzens schwierig oder unmöglich Theoretische basis ▫ Losgelöst, abweichend von anerkannten wissenschaftlichen Paradigmen, theorien, Erkenntnissen ▫ Ungenaue, inkonsistente, nicht nachvollziehbare Erklärung der Effekte ▫ Pseudowissenschaftlicher Jargon, mythisches Lexikon Empirische basis ▫ Schwache, subjektive Evidenz: anekdoten, Fallbeispiele, Befragung, unkontrollierte Studien ▫ Unzureichender Nachweis der Wirksamkeit wird akzeptiert, toleriert ▫ Nicht bestätigende Forschung wird ignoriert, denunziert Promotion und kontext ▫ Präsentation/ Propaganda in nicht-wissenschaftlichen Organen, Veranstaltungen, massenmedien ▫ Vermeidung des kritischen wissenschaftlichen Diskurses ▫ Kritik an validierten therapien, Opposition gegen das (wissenschaftliche) Establishment Zutreffendes ankreuzen abb. 1 Checkliste gegen fragwürdige Therapien VHN 2 | 2013 97 EricH HartmaNN arznei gegen Quacksalberei DaS PRovokaTivE ESSay gen (z. B. Greenspan 2005; Zane 2005; Lof 2011). Solche Voraussetzungen kann man Therapeuten und Heilpädagogen nicht früh genug in der Ausbildung vermitteln. Ich wette darauf, dass Studierende mit ausreichender wissenschaftlicher Vorbildung in letztlich praxisrelevanten Kursen hoch motiviert sein werden, ihre detektivischen Kompetenzen in Sachen Pseudowissenschaft schrittweise unter Beweis zu stellen. Evidenzbasierte Praxis als gegenmittel Es wäre allerdings ein einseitiges, unpädagogisches und therapeutisch nihilistisches Unterfangen, (angehende) Professionelle ausschließlich darauf einzupeitschen, dubiose Praktiken zu erkennen und konsequent zu vermeiden. Praktiker und Praktikerinnen benötigen selbstverständlich eine wissenschaftliche Alternative zur Pseudowissenschaft. Hier schließt sich der Kreis zum eingangs erwähnten Konzept der Evidenzbasierten Praxis (EBP), das in den deutschsprachigen Ländern erst seit Kurzem die Aufmerksamkeit der Sprachheilpädagogik/ Logopädie auf sich zieht. Logik und Prinzipien dieses neueren Praxisparadigmas sind an anderer Stelle ausführlich erörtert worden (z. B. Dollaghan 2007; Beushausen/ Grötzbach 2011). Daher sei hier lediglich in Erinnerung gerufen, dass EBP praktizierende Therapeutinnen und Therapeuten im Wesentlichen darin unterstützen will, beeinträchtigten Menschen bestmögliche, d. h. wirksame und sichere Interventionen zukommen zu lassen, und zwar unter Berücksichtigung von professioneller Expertise und Klientenpräferenzen. EBP korrespondiert mit dem disziplinären Selbstanspruch auf Wissenschaftlichkeit, Professionalität und ethisches Handeln. Dass pseudowissenschaftliche Methoden überhaupt genutzt werden, ist für sich genommen ein ausreichendes Argument für eine EBP-Kultur, die als „Plattform gegen (…) das zunehmende Interesse an nichtwissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Praktiken“ dienen kann (McCurtin/ Roddam 2012, 20; orig. engl.). Die somit präventive Funktion von EBP besteht zum einen darin, Therapeuten vor fragwürdigen Praktiken zu bewahren, zum anderen, der Praxis seriöse, Erfolg versprechende Interventionen als Alternative zur Quacksalberei zur Verfügung zu stellen (vgl. auch Haynes/ Johnson 2008; Lof 2011). Motsch (2012, 278) warnt uns also zu Recht davor, das insbesondere im deutschsprachigen Raum noch „zarte Pflänzchen“ der EBP vorschnell der Unkrautvertilgung anheimfallen zu lassen. Die Sprachheilpädagogik/ Logopädie ist stattdessen aufgefordert, sich fürsorglich um das Gedeihen des evidenzbasierten Denkens und Handelns innerhalb der Profession zu kümmern. Forschung und Lehre spielen in diesem Prozess eine vorrangige Rolle; ihnen obliegt es, wesentliche Voraussetzungen für eine nachhaltige evidenzbasierte Praxis zu schaffen und zu sichern. Diese Herausforderungen kann man zielstrebig und zuversichtlich in Angriff nehmen, weil EBP nicht das Zeug zum fragwürdigen Fad hat. 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