eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 83/4

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Die Ausführliche Rezension: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2013): Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen.

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2014
Iris Beck
Mit dem Teilhabebericht der Bundesregierung gelangt eine Publikation zur Besprechung, die kein wissenschaftliches Werk darstellt, wenngleich die Berichterstattung wissenschaftlichen Ansprüchen folgt. Denn neben und mit der Beschreibung der Lebenslagen behinderter Menschen geht es auch um die Entwicklung der Politik und der Leistungen und damit um die politische Bewertung von eingetretenen oder erwünschten Entwicklungen. Eine Brechung, und zwar auch der „reinen“ Lebenslagenbeschreibung, im Licht der Kraftverhältnisse und politischen Ziele einer Legislaturperiode ist unausweichlich. Diese Rezension hat aber noch einen weiteren Pferdefuß: die Rezensentin war selbst an der Erstellung des Berichts als wissenschaftliche Beirätin beteiligt. Von Neutralität und Objektivität kann also keine Rede sein. Warum dann also eine Rezension?
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VHN 4 | 2014 359 REZE NSION E N Die Ausführliche Rezension Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2013): Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Referat Information, Publikation, Redaktion. D-53107 Bonn. Online unter: http: / / www.bmas.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ PDF-Meldungen/ 2013-07-31teilhabebericht.pdf? __blob=publicationFile Mit dem Teilhabebericht der Bundesregierung gelangt eine Publikation zur Besprechung, die kein wissenschaftliches Werk darstellt, wenngleich die Berichterstattung wissenschaftlichen Ansprüchen folgt. Denn neben und mit der Beschreibung der Lebenslagen behinderter Menschen geht es auch um die Entwicklung der Politik und der Leistungen und damit um die politische Bewertung von eingetretenen oder erwünschten Entwicklungen. Eine Brechung, und zwar auch der ‚reinen‘ Lebenslagenbeschreibung, im Licht der Kraftverhältnisse und politischen Ziele einer Legislaturperiode ist unausweichlich. Diese Rezension hat aber noch einen weiteren Pferdefuß: die Rezensentin war selbst an der Erstellung des Berichts als wissenschaftliche Beirätin beteiligt. Von Neutralität und Objektivität kann also keine Rede sein. Warum dann also eine Rezension? Folgende Gründe veranlassen mich dazu: Es ist der erste Bericht der Bundesregierung seit Erscheinen dieser Reihe (1984), der annähernd versucht, tatsächlich Einblicke in die Lebenslagen behinderter Menschen in Deutschland zu gewähren und explizit einer Lebenslagen- und Lebenslauforientierung zu folgen. Viele Themenfelder, die aus den Dimensionen der Lebenslage abgeleitet sind, wie z. B. Alltagsleben, Freizeit und politische Beteiligung, werden überhaupt zum ersten Mal behandelt, ebenso wie zum ersten Mal die Lage der behinderten Kinder und Jugendlichen und das Thema Bildung über die Nennung von Fallzahlen in der Leistungsstatistik hinaus einbezogen sind. Der Bericht entfaltet somit ein jenseits klassischer Rehabilitationsbereiche liegendes Bild der Lebensführung, die mit Blick auf Barrieren von Inklusion und Partizipation und zusätzlich auf Querschnittthemen wie Gender oder Migration analysiert wird. Es ist der erste Bericht, der sich vom amtlichen Behinderungsbegriff des Sozialgesetzbuches IX löst: Behinderung bezieht sich auf Situationen erschwerter Teilhabe, in Bezug auf Menschen ist von Beeinträchtigung die Rede. Es ist der erste Bericht, der der Nomenklatur der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen und ihren Zielen folgt. Es ist der erste Bericht, der nicht nur, wie bisher, durch die Ministerialverwaltung erstellt wurde, sondern unter Einbezug der wissenschaftlichen Expertise eines Beirats und über eine Auftragsvergabe. Die Kommentare des wissenschaftlichen Beirats, die den Kapiteln über die Dimensionen der Lebenslage beigestellt sind, flankieren unabhängig die Berichterstattung. Es ist der erste Bericht, der gezielt von Wissensdefiziten über die Lebenslagen ausgeht und auf die Identifikation von Forschungsdesideraten gerichtet ist. Zugleich belegt er Defizite in der praktischen Umsetzung der gleichberechtigten Partizipation und weist hier im Rahmen von Clusteranalysen deutlich auf das Risiko von Exklusionsverkettungen für bestimmte Konstellationen von Lebensumständen hin. Es ist ein Bericht, der aufgrund der Erkenntnisse - einschließlich der des Nichtwissens - sowie aufgrund seiner inhaltlichen Anlage und seiner Ableitungen in der Fachöffentlichkeit und darüber hinaus Aufmerksamkeit verdient und zugleich eine kritische Betrachtung erfordert. Der Bericht erschien 2013 in der Sommerpause der Regierung und fand m. E. sowohl in den Medien als auch in der Fachöffentlichkeit zwar wohlwollende Aufnahme, aber nur kurzes und begrenztes Interesse. Die Planung für den nächsten Bericht ist bereits im Gange; jetzt kann darauf Einfluss genommen werden, um der Weiterentwicklung dieses Instrumentes willen, das immerhin für die Zukunft nichts weniger beansprucht, als verlässliche Grundlagen zur Entwicklung von Zielen und Maßnahmen der Behindertenpolitik bereitzustellen. Exemplarisch soll im Folgenden auf einige Aspekte näher eingegangen werden, die m. E. für die konzeptionelle Weiterentwicklung, aber auch für die Fachdiskussion besonders relevant sind: die grundsätzliche Ge- VHN 4 | 2014 360 REZE NSION E N staltung als Form der Sozialberichterstattung, den Forschungsbedarf, die Lebenslagenorientierung und die Annäherung an Exklusionsrisiken sowie das Behinderungsverständnis. Als Grund für eine Neugestaltung des alten „Behindertenberichts“ wird die UN-BRK angeführt. Artikel 31 der UN-BRK verpflichtet die Vertragsstaaten „zur Sammlung geeigneter Informationen, einschließlich statistischer Angaben und Forschungsdaten, […] die [es] ermöglichen, politische Konzepte zur Durchführung des Übereinkommens auszuarbeiten und umzusetzen“. Nun ist es allerdings so, dass die Bundesregierung generell verpflichtet ist, in jeder Legislaturperiode für bestimmte Themenfelder umfassende Berichte zu erstellen, deren Vorstellung häufig große politische und öffentliche Aufmerksamkeit findet. So geriet die Bundestagsdebatte um den 4. Armuts- und Reichtumsbericht nicht nur zur Auseinandersetzung um die ungleiche Verteilung von Vermögen in Deutschland, sondern auch um die Frage, ob die entsprechenden Ergebnisse in ihrer Bedeutung geschmälert bzw. „geschönt“ worden seien. Dieser Vorwurf entspringt der demokratischen Kontrolle aller Parteien, der die Berichte im Bundestag unterliegen. Je mehr Bedeutung sie politisch erlangen, desto größer wird in der Regel auch die öffentliche Aufmerksamkeit und damit wiederum der Einfluss der öffentlichen auf die politische Willensbildung. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Alle diese Berichte sollen über die Leistungsentwicklung hinaus über die Lebenslage der Bevölkerung bezogen auf das Themenfeld Aufschluss geben. Diese Orientierung an der Lebenslage entstand bereits in den 1960er und 1970er Jahren, und zwar im Zusammenhang mit der Auffassung darüber, worin sich eigentlich die Sozialstaatlichkeit zeigt. „Lebensqualität“ und „Chancengleichheit“ rückten bereits in den frühen 1970ern zu Programmformeln der Politik auf. Ab den 1970er Jahren etablierten sich in der Bundesrepublik Forschergruppen und Institute, die solche lebenslagenorientierten Indikatorensysteme entwickelten, häufig in Anlehnung an die OECD, die in den frühen 1970er Jahren damit begann, ein Indikatorenprogramm zu entwickeln, mit dem die Lebensqualität der Bevölkerung oder von bestimmten Gruppen in den einzelnen Mitgliedsländern gemessen werden sollte. Und damit stößt man auf ein bemerkenswertes Phänomen: Der für den neuen Teilhabebericht formulierte Anspruch der Lebenslagenorientierung und der empirischen Basis anhand von Indikatoren, vordergründig aktuell durch die UN-BRK ausgelöst, ist nicht nur als politisches Programm „ein alter Hut“, er wurde für eine ganze Reihe der Berichte längst angelegt; beispielhaft steht hierfür der Kinder- und Jugendbericht. Der frühere Behindertenbericht hat diese Ansprüche nie erfüllt, er hat nie einen wirklichen Einblick in die konkreten Lebensverhältnisse von Menschen mit Behinderung ermöglicht, sondern stellte wesentlich Leistungsarten und -fälle dar. Standards, die für die anderen Berichte gelten - unabhängige Expertenkommissionen, Vergabe wissenschaftlicher Expertisen und von Forschungsleistungen, Fortschreibung von Datengrundlagen, Publikation von Materialbänden usw. -, sind nie an ihn angelegt worden. Der Fokus, der sich bislang auf das Thema Behinderung gerichtet hat, weist also viele blinde Flecken auf. Zur Sichtung der Datenlage und zur Entwicklung eines neuen Konzeptes und einer neuen Organisationsstruktur, die eine größere Unabhängigkeit der Berichterstattung vom Leistungsträger sicherstellen soll, wurde eine Vorstudie in Auftrag gegeben (Hornberg u. a. 2011). Auf der Basis der Ergebnisse der Vorstudie wurde ein Vergabeverfahren für den Auftrag zur Erstellung des Berichts ausgeschrieben, den die Prognos-AG erhielt. Prognos wiederum stellte die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen anhand einer Sekundäranalyse und nicht anhand eigener empirischer Erhebungen dar. Davon getrennt wurden Leistungen und Aktivitäten zur Verbesserung der Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen von der Prognos AG beschrieben. Der neunköpfige Beirat, der sich aus behinderten und nichtbehinderten Wissenschaftlern zusammensetzte, bewertete und kommentierte die Berichtsergebnisse im Austausch mit der Prognos AG und dem BMAS und fertigte zu jedem Kapitel eine Stellungnahme an. Dieser ehrenamtlich tätige Beirat hatte dabei nicht die Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten, wie sie den Kommissionen für andere Berichte eingeräumt werden, z. B. bzgl. der Vergabe von Expertisen oder der Mitbestimmung VHN 4 | 2014 361 REZE NSION E N über die Auftragsvergabe. Hier wären Betroffenen- und Interessensverbände sowie die Fachöffentlichkeit gefragt, eine Absicherung der Berichtsbearbeitung auf dem Niveau der anderen Berichte zu fordern und auf die künftige Gestaltung Einfluss zu nehmen. Eine wesentliche Zielsetzung des Berichtes war es, Datenlücken zu erfassen und den Forschungsbedarf zu analysieren. Die Ausgangslage hinsichtlich verlässlicher repräsentativer Daten kann als desaströs bezeichnet werden. Die vorhandene Datengrundlage wird im Teilhabebericht breit dargestellt und auch bewertet; der Teilhabebericht spricht eine deutliche Sprache, was das unzureichende Wissen und die eingeschränkte Güte der vorhandenen Daten betrifft. Zu den absolut blinden Flecken gehören z. B. die Lage der in betreuten Wohnformen lebenden Menschen oder derjenigen, die als Erwachsene noch in den Herkunftsfamilien leben. Generell fehlen differenzierte Einblicke in die Lage unterschiedlicher Gruppen beeinträchtigter Menschen, insbesondere von schwer und mehrfachbehinderten Menschen. Nun hat die Bundesregierung eine Vorstudie zur Entwicklung von Indikatoren und einem Untersuchungsdesign in Auftrag gegeben, anhand derer langfristig ein Bild davon entstehen soll, auf welche Barrieren - bezogen auf die einzelnen Handlungsfelder - Menschen treffen und wie stark sie davon beeinträchtigt werden. Wenn man dann nach dem zeitlichen Eintreten der Behinderung im Lebenslauf und nach Arten von Beeinträchtigungen differenziert und wenn man diese Fragen auch „nicht beeinträchtigten Menschen“ stellt, dann kann langsam eine Annäherung entstehen an die Handlungsspielräume von Menschen in einer Gesellschaft und wie sie diese erleben bzw. nutzen oder nicht nutzen können. So könnten Stufen und Formen von Inklusion und Partizipation sichtbar gemacht und Vergleichsdaten gewonnen werden. Man braucht dafür aber Vorstellungen über Standards oder zumindest über das, was in der Ungleichheitsforschung als Schwellenmaße bezeichnet wird, untere Grenzen, ab denen man von Risiken oder Gefährdungen sprechen kann. Diese Frage der Standards stellt sich m. E. nicht nur für die Lebenslagen behinderter Menschen, sondern auch und vor allem für die professionellen Angebotsstrukturen, die Handlungsprozesse und die professionellen Qualifikationen und Kompetenzen - und dazu macht der Bericht so gut wie keine Aussagen. Er enthält zwar eine ganze Reihe von Vorschlägen für Indikatoren und für Forschungsdesiderate, die m. E. aber einer kritischen Diskussion bedürfen. So sind über Makrodaten, die Lebenslagen nur beschreiben, Aufschlüsse über das Zustandekommen von Aussagen über Lebenslagen erforderlich: Warum sind z. B. die sozialen Netzwerke behinderter Menschen im Durchschnitt kleiner als die nicht behinderter Menschen? Was sind Bedingungsfaktoren für unterschiedliche Handlungsspielräume? Dafür müssten die persönlichen Lebensumstände und ihre Einschätzung, aber ebenso äußere Einflüsse untersucht werden, und zwar im Wechselspiel mit der individuellen Lebenslage. Zu den äußeren Einflüssen zählen aber zweifellos die Dienste und Einrichtungen. Hier müssten m. E. Wirkungsanalysen der Dienstleistungs- und Hilfestrukturen stattfinden, Analysen von Zugangs- und Inanspruchnahmeproblemen, von Schnittstellen, Vernetzungen und Übergängen zwischen den Strukturen und Prozessen des Hilfesystems auf der einen und Dimensionen der Lebenslage auf der anderen Seite; zur Professionalisierung und den wesentlichen professionellen Kompetenzen angesichts des geforderten Wandels hin zu inklusiven Angeboten sowie zur Frage von Selektions- und Exklusionseffekten, und zwar auch innerhalb des Sondersystems. Viele Anregungen, die der wissenschaftliche Beirat bezüglich notwendiger Untersuchungen oder Indikatoren gemacht hat, sind im Berichtsteil zur Weiterentwicklung der Datengrundlagen nicht aufgenommen worden. Auch ist derzeit nicht klar, ob neben einer Makrostudie weitere Forschungsprojekte oder Expertisen vorgesehen sind bzw. vergeben werden. Inklusion und Partizipation sind Bedingung der Lebenslage. Der Einzelne braucht Zutritt zu Lebensbereichen und damit insbesondere zu Institutionen und Organisationen wie Arbeitsstellen, Schulen usw., wenn die Lebensführung die Inanspruchnahme ihrer Funktionen nötig macht oder erwünscht ist. Lebenslagen haben unterschiedliche Dimensionen. Im Bericht werden solche Lebenslagedimensionen als Teilhabefelder bezeichnet. Quer zu allen Feldern wurden die Themen Barrieren, Geschlecht und Migration beachtet. Zur Beschreibung der Lebenslagen von Men- VHN 4 | 2014 362 REZE NSION E N schen mit Beeinträchtigungen wurden die Teilhabefelder zunächst separat anhand der Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) analysiert, die aber bestimmten Einschränkungen unterliegen. Dann erfolgten Annäherungen an die mehrdimensionale Erfassung der Handlungsspielräume, um Stufen und Formen von In- oder Exklusionen differenzierter beschreiben zu können. Anhand erster sogenannter Clusteranalysen konnten typische Teilhabekonstellationen - das heißt: Gruppen mit ähnlichen Konstellationen von Handlungsspielräumen in verschiedenen Teilhabefeldern - mithilfe einer Auswahl von Variablen anhand der Daten des SOEP ermittelt werden. Gleichzeitig sollen sich aber die einzelnen Gruppen auch deutlich voneinander unterscheiden. Das tun sie, wenn bestimmte Faktoren in mehreren Teilhabefeldern negativ oder positiv deutlich kumulieren und erklärungskräftig sind. Die Clusteranalysen zeigen klare Ausprägungen in die eine oder andere Richtung einer ganzen Reihe von Faktoren, die dann miteinander drei typische Konstellationen hervorbringen: n Konstellationen, die überwiegend durch geringe Ressourcen bzw. große Defizite gekennzeichnet sind und daher große Teilhabeeinschränkungen mit sich bringen; n Konstellationen, bei denen begrenzte Spielräume in einzelnen Teilhabefeldern und Ressourcen in anderen nebeneinander stehen, demnach mittlere Einschränkungen bei der Teilhabe vorliegen; n Konstellationen, die durch große Handlungsspielräume in nahezu allen betrachteten Teilhabefeldern geprägt sind, sodass nur geringe Einschränkungen vorliegen. Auch wenn diese Clusteranalysen noch auf sehr dünnen Beinen stehen, haben sie Ergebnisse zu Exklusionsrisiken der Ungleichheitsforschung bestätigt, wonach sich folgende Faktoren als besonders stark zusammenhängend und einflussreich erweisen: die Einkommenshöhe, die Art der Erwerbstätigkeit, das Vorhandensein einer Partnerschaft bzw. sozialer Bindungen, der Gesundheitszustand und das subjektive Empfinden der Kontrolle über das eigene Leben. Die Erwerbstätigkeit ist der Schlüssel zu Einkommen und Wohnen, aber für das subjektive Wohlbefinden und die Alltagsbewältigung sind die Eingebundenheit in soziale Beziehungen und das Gefühl der Kontrolle ausschlaggebend. Diese Ergebnisse belegen m. E. die Dringlichkeit der Verständigung über „Inklusion“, „Standards“ bzw. Schwellenwerte. So reicht eine rein zahlenmäßige „Inklusionsquote“ nicht aus, um den ‚Erfolg‘ zu bemessen, und es genügt auch nicht, nur einen Lebensbereich zu betrachten. Die Ergebnisse verweisen auch auf Diskussionsbedarf, was Ziele, Richtung und Inhalt sozialer und pädagogischer Angebote mit Blick auf „Inklusion“ betrifft. Dem Verständnis der UN-BRK und der ICF zufolge ist Behinderung eine Wechselwirkung zwischen Menschen und ihrer Umwelt mit Blick auf die Beeinträchtigung von Aktivitäten und Partizipation. Im neuen Teilhabebericht sollen entsprechend Barrieren ermittelt werden, die Menschen mit Beeinträchtigungen an der vollen und wirksamen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft behindern, und zwar konkret bezogen auf ihre Handlungsspielräume in einer oder mehreren Lebenslagedimensionen. In den Analysen wird systematisch zwischen Beeinträchtigung und Behinderung unterschieden; erst wenn im Zusammenhang mit einer Beeinträchtigung Aktivitäten oder Teilhabe durch ungünstige Kontextbedingungen dauerhaft eingeschränkt werden, wird von Behinderung gesprochen. Dieses Verständnis sollte mit Blick auf die damit gegebene Ausweitung des Personenkreises (dem Bericht folgend wären 25 % der Bevölkerung beeinträchtigt) ebenso wie auf die möglichen Konnotationen des Beeinträchtigungsbegriffes eine breite Diskussion erfahren. Wenn man eine Orientierung an der ICF verfolgt, wie dies im Teilhabebericht umgesetzt wird, müssen zudem auch Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Dimensionen von Aktivitäten und Partizipation man berücksichtigt und ab wann man von einer Beeinträchtigung dieser Dimensionen spricht. Diese Fragen werden, ebenso wie die der problematischen Datengrundlagen, der Forschungsdefizite oder der möglichen Standards für Inklusion und Teilhabe, im Bericht breit dargestellt und intensiv diskutiert, nicht zuletzt um eine Basis für eine entsprechende öffentliche Auseinandersetzung zu schaffen. Letztlich hat das Vorgehen erhebliche Konsequenzen für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen. VHN 4 | 2014 363 REZE NSION E N Literatur Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (Hrsg.) (2010): Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Berlin Beck, I. (2012): Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Chancen und Grenzen der Erfassung und Bewertung einer gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen. In: Europäische Akademie für Inklusion (Hrsg.): Sozialräume gemeinsam gestalten. Kiel: Europäische Akademie für Inklusion (Eigendruck), 142 -158 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (2011): Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Referentenentwurf nach Ressortabstimmung Stand: 27. 4. 2011. Berlin Hornberg, C.; Schröttle, M.; Degener, T.; Sellach, B. u. a. (2011): Endbericht „Vorstudie zur Neukonzeption des Behindertenberichtes“. Bielefeld, Bochum, Frankfurt a. M. (o. V.) OECD (1973): List of Social Concerns Common to Most OECD Countries. Paris: OECD Prof. Dr. Iris Beck D-20146 Hamburg DOI 10.2378/ vhn2014.art33d