eJournals Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 83/3

Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete
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0017-9655
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/vhn2014.art16d
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Das Provokative Essay: Inklusion: Barrierefreiheit außer für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen?

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Birgit Herz
Zusammenfassung: Der Beitrag kritisiert, dass trotz bildungspolitischer Inklusionsrhetorik und pädagogischer Inklusionsmentalität die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen auch weiterhin spezifische Exklusionsrisiken erfährt. Mit Blick auf kritische Analysen aus Großbritannien wird gezeigt, wie die Ressourcendeckelung öffentlicher Bildungsausgaben neue Kategorien der Segregation und Stigmatisierung im trendigen Gewand eines politisch affirmativen Inklusionsverständnisses hervorbringt.
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185 VHN, 83. Jg., S. 185 -190 (2014) DOI 10.2378/ vhn2014.art16d © Ernst Reinhardt Verlag Inklusion: Barrierefreiheit außer für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen? Birgit Herz Universität Hannover Zusammenfassung: Der Beitrag kritisiert, dass trotz bildungspolitischer Inklusionsrhetorik und pädagogischer Inklusionsmentalität die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen auch weiterhin spezifische Exklusionsrisiken erfährt. Mit Blick auf kritische Analysen aus Großbritannien wird gezeigt, wie die Ressourcendeckelung öffentlicher Bildungsausgaben neue Kategorien der Segregation und Stigmatisierung im trendigen Gewand eines politisch affirmativen Inklusionsverständnisses hervorbringt. Schlüsselbegriffe: Inklusion, Bildungspolitik, Ressourcendeckelung, Verhaltensstörungen, Exklusion Inclusion: Accessibility - Except for Children and Adolescents with Behavioural Disorders? Summary: The article criticizes that despite of the educational policy rhetoric and the educational mentality on inclusion the group of children and adolescents with behavioural disorders continues to be subject to specific risks of exclusion. With regard to critical analyzes from the UK, the paper illustrates how the blocking of expenditures for public education produces new categories of segregation and stigmatization within the trendy outfit of a politically affirmative understanding of inclusion. Keywords: Inclusive education, educational policies, behavioural disorders, exclusion DAS PROVOK ATIVE ESSAY Inklusion ist bereits seit über einem Jahrzehnt ein globales Thema: Für alle Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die unter den Bedingungen einer Behinderung leben, soll ein barrierefreier Zugang zum sozialen und kulturellen Leben in der Gesellschaft gesichert, Partizipation gewährleistet sowie Benachteiligung und Diskriminierung, bspw. in der schulischen Bildung, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder bei der Freizeitgestaltung, beseitigt werden. Inklusion ist allerdings kein pädagogischer, sondern ein gesellschaftspolitischer Begriff. Es ist bemerkenswert, dass in einer historischen Epoche, in der sich vor allem in der Soziologie ein breiter Diskurs über Exklusion etabliert, Inklusion vor allem in der Sonderpädagogik Hochkonjunktur hat. Inklusion, wie sie derzeit bildungspolitisch umzusetzen versucht wird, generiert selbst wiederum, wie noch zu zeigen ist, neue Exklusionsprozesse, die sich auf außerpädagogische Felder erstrecken. Im deutschen Schulsystem herrscht keine Bildungsgerechtigkeit. Die sozialen Ungleichheitsstrukturen bilden sich in seiner Viergliedrigkeit ab, und nichts deutet darauf hin, dass sich die Verfestigung dieser real existierenden sozialen Ungleichheitsstrukturen innerhalb des Systems auflösen lässt. Inklusion wird derzeit von Ministerien und Behörden bereitwillig genutzt, um einerseits von der chronischen Unterfinanzierung des deutschen Bildungs- VHN 3 | 2014 186 BIRGIT HERZ Keine Barrierefreiheit für Kinder mit Verhaltensstörungen? DAS PROVOK ATIVE ESSAY systems abzulenken und um andererseits Nischen für weitere Sparmaßnahmen zu schaffen. Die Verschärfung des Leistungsprinzips, die effiziente Erhöhung der Produktivität und Rentabilität sowie das Prinzip der Gewinnmaximierung stehen im Vordergrund der Interessen und dominieren alle Politikfelder mit den entsprechenden Konsequenzen für den Bildungssektor. Diese These soll deutlich machen, wie groß das Spannungsverhältnis zwischen einer Inklusionsprogrammatik und der bildungsökonomisch-sozialen Realität derzeit ist. Ein politisch affirmatives Inklusionsverständnis ignoriert, dass die Schule auslesen und nicht zusammenführen soll - mit den entsprechenden Exklusionsrisiken wie Schulversagen oder faktischem Schulausschluss. Und von diesen Segregationsmechanismen betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen, mit einer schwierigen Migrationsbiografie und in Armutslagen. Die benachteiligenden Auswirkungen einer derartigen „Reformpolitik“ im trendigen Gewand der Inklusion führen insbesondere bei Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensstörungen dazu, dass deren Förderbedarf aus Kostengründen geleugnet wird, sodass nur wenige dieser Kinder und Jugendlichen und ihre Familien die notwendigen Hilfen erhalten (vgl. Opp 2008). Unabhängig von der in der Fachsprache verwendeten Terminologie - Verhaltensstörungen, Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, Erziehungshilfe, SEBD (Social, Emotional and Behavioual Difficulties) u. a. m. - zeigt sich bei der gemeinten Zielgruppe das Spannungsverhältnis zwischen Inklusionsmentalität und -realität überdeutlich. National wie international ist belegt, dass die Zuschreibung einer Verhaltensstörung das schulische Exklusionsrisiko erhöht (vgl. Ellinger/ Stein 2012). Die Tragweite dieser Forschungsbefunde wird vor allem dann deutlich, wenn man bspw. exemplarisch die Prävalenzraten einer Befragung an Kindertageseinrichtungen in Nordrhrein-Westfalen von Isabell Agi, Thomas Hennemann und Clemens Hillenbrand betrachtet. Dort wurden 21,4 % aller Kinder im emotionalen Verhalten als auffällig beschrieben und 19,7 % zeigten keine altersangemessenen sozialen Kompetenzen (vgl. Agi u. a. 2010). Diese Zahlen verdeutlichen die hohe Vulnerabilität in dieser Altersgruppe und unterstreichen die Notwendigkeit geeigneter pädagogischer und therapeutischer Unterstützung und Entwicklungsförderung. Bezieht man die enorme bundesweite Steigerungsrate allein bei der stationären Unterbringung der unter Sechsjährigen von 54 % zwischen 2005 und 2009 ein, so wird die Dimension des professionellen Handlungsbedarfes an außer- und vorschulischer Prävention und Intervention deutlich. Dieser wird - aller Inklusionspropaganda zum Trotz - allerdings politisch ignoriert: „Die gesundheitlichen und sozioökonomischen Belastungen der Familien und ihrer verhaltensauffälligen Kinder werden im Vorschulalter zu wenig beachtet und durch Familienunterstützung und Frühförderung in zu geringem Maße zu kompensieren versucht.“ (Preuss-Lausitz/ Textor 2006, 7) Der Mangel an ausreichenden Angeboten im vorschulischen Bereich setzt sich bei der schulischen Förderung fort. Für das heterogene Spektrum von emotionalen Anpassungsproblemen, psychosozialen Auffälligkeiten, seelischen Beeinträchtigungen und Belastungsfolgen aufgrund dysfunktionaler Familiensysteme stehen zwar unterschiedliche institutionelle Förder- und Unterstützungssysteme im Kontext von Regel- und Förderschule, Kinder- und Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie mit ihren je spezifischen Professionen zur Verfügung (vgl. Stein 2011) - die allerdings insgesamt als nicht bedarfsgerecht einzuschätzen sind. VHN 3 | 2014 187 BIRGIT HERZ Keine Barrierefreiheit für Kinder mit Verhaltensstörungen? DAS PROVOK ATIVE ESSAY In Verbindung mit der ohnehin bereits bestehenden Unterversorgung an schulischen und außerschulischen Unterstützungsangeboten entwickeln sich nicht nur zunehmend neue stigmatisierende Etiketten („Unerziehbarkeit“, „austherapiert“), sondern es werden unter Kostendruck und Effizienzdenken sowohl Hilfeleistungen, bspw. durch die Kinder- und Jugendhilfe, vorenthalten (vgl. von Wolffersdorff 2009) als auch Zeit beanspruchende Pädagogik durch vermeintlich schnelle und kostengünstige „evidenzbasierte“ Trainingsprogramme ersetzt. Bezüglich der Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen besteht eine gewisse Zuspitzung im Fachdiskurs, indem der enorme Erziehungshilfebedarf aufgrund je unterschiedlicher Problemlagen offensichtlich nicht mehr wahrgenommen bzw. an den Rand gedrängt zu werden scheint. Die Verengung der Inklusionsdebatte auf schulstrukturelle Fragen vernachlässigt zudem die realen Effekte gesellschaftlicher Exklusionsprozesse auf Bildung und Erziehung, die für viele Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensstörungen faktisch Segregation in Förderschulen und suboptimale Förderung in der inklusiven Regelschule bedeuten. Darüber hinaus zeitigt die Tendenz zur Dekategorisierung nicht nur positive Effekte für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung: Mit dem Verzicht auf die kategorisierende Statusdiagnostik entfällt der Rechtsanspruch auf spezifische Unterstützungsleistungen für diesen Förderbedarf, da ihnen als „Inklusionstaugliche“ (vgl. Haas 2012, 408) weniger professionelle Hilfe und damit spezifische Ressourcen zustehen. Das ist die reale und in jeder Hinsicht benachteiligende Konsequenz für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen, deren Existenz durch neue Wortschöpfungen - crosskategoriale Sonderpädagogik - auch sprachsymbolisch geleugnet wird. Ihre „Inklusionstauglichkeit“ verwundert, da die Diskussion um Integration bzw. Inklusion verhaltensauffälliger Schülerinnen und Schüler in der Regelschule derzeit auf der Basis einer ausgesprochen dünnen empirischen Befundlage stattfindet (vgl. Ellinger/ Stein 2012, 103). Dessen ungeachtet sind die Lehrkräfte in den Regelschulen mit enormen Belastungen konfrontiert: „Es ist nämlich kaum zu erwarten, dass die kaputt gesparten öffentlichen Schulen das mit dem eigens für sie ausgebildeten Fachpersonal von heute auf morgen ersetzen könnten. Gewaltphänomene verschiedenster Art, Vandalismus, massive Disziplinprobleme im Unterricht, Burn-out- Syndrome bei Lehrerinnen und Lehrern zeigen die von der politischen Klasse durch ihre Unterstützung neoliberaler Gesellschaftsstrategien mit verursachte strukturelle Überforderung der öffentlichen Schulen ebenso an wie die Expansion der Privatschulen, die dem katastrophalen Zustand des öffentlichen Bildungswesens geschuldet ist.“ (Bernhard 2012, 348) Die bildungspolitische Inklusionsrhetorik (vgl. Herz 2012 a; Hodkinson 2012) nimmt billigend die sich hieraus ergebenden Exklusionsrisiken in Kauf. Denn was derzeit in der Bundesrepublik mit Parolen wie „Reform“ oder „Innovation“ von Bildungspolitiker/ innen auf den Weg gebracht wird, sind „Als-ob- Handlungen“, wo alte schulische Strukturen aufgelöst und neue „Inklusionsetiketten“ vergeben werden. Die Aufgabe, eine inklusive Schulentwicklung voranzutreiben, steht unter erheblichem fiskalischen Druck; Deckelung und Budgetierung von Ressourcen werden als Kostenbremse genutzt. So werden Standardabsenkungen durchgesetzt, was zu einer strukturellen Überforderung des Personals und zu einer massiven Arbeitsverdichtung bei den Lehrer/ innen der Regelschule führt (vgl. Mettlau 2013). VHN 3 | 2014 188 BIRGIT HERZ Keine Barrierefreiheit für Kinder mit Verhaltensstörungen? DAS PROVOK ATIVE ESSAY Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass vor allem ökonomisch benachteiligte Risikoschüler/ innen mit hohem Bedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung als „Schwierige“ an die stationären Angebote der Kinder- und Jugendhilfe und der Psychiatrie weitergereicht oder in sog. „geschlossener Unterbringung“ über freiheitsentziehende Maßnahmen einer Verhaltenskorrektur unterzogen werden (vgl. Herz 2012 b). Im Kontext der inter- und intrainstitutionellen Delegation dieser Gruppe mit ihrem hohen Erziehungshilfebedarf verfestigt sich zudem der Trend zur Normalisierung von Strafe. Vor allem Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen sind, wie Carmel Cefai und Paul Cooper nachweisen konnten, „…the most likely to be at the receiving end of punitive and exclusionary practices“ (Cefai/ Cooper 2010, 184). Statt mit einer angemessen ausgestatteten Qualitätsoffensive für eine inklusive Schulentwicklung Sorge zu tragen, findet - ganz im Gegenteil - eine Deprofessionalisierung des pädagogischen Fachpersonals statt. Es werden nämlich keine weiteren Stellen für qualifizierte Sonderschullehrer/ innen für einen inklusiven Unterricht eingerichtet, sondern bspw. Honorarkräfte ohne feste Anstellung oder Erzieher/ innen eingesetzt.Auch die Weiterbildungsmöglichkeiten sind entweder stark begrenzt oder folgen inhaltlich einem Sparmodell. Mit dieser Entwicklung hin zu einer Inclusive Education „light“ - vor allem in den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und Verhalten - breitet sich in den Schulkollegien Resignation und Frustration aus. Der Trend zur Entprofessionalisierung demotiviert, geht zu Lasten der Unterrichtsqualität und bewirkt das Gegenteil von Inklusion. Die bildungspolitisch verordnete „Inklusion light“ mit der strukturellen Überforderung der Lehrkräfte bei gleichzeitiger Zunahme der emotionalen und sozialen Belastungen der Schülerinnen und Schüler entspricht der von Thomas von Freyberg und Angelika Wolff in ihren beiden Bänden „Störer und Gestörte“ (2005; 2006 a) analysierten Kategorie der „strukturellen Verantwortungslosigkeit“ (vgl. von Freyberg/ Wolff 2006 b). Gleiches gilt für das ebenfalls in „Störer und Gestörte“ diagnostizierte „institutionelle Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“: Wer glaubt, „rein“ über Inklusion und über diese „ausschließlich“ in Verbindung mit Schule sprechen zu können, hat nichts Wesentliches begriffen. Ein solcher Purismus blendet die reale gesellschaftliche Wirklichkeit des Aufwachsens einer großen Gruppe von Kindern und Jugendlichen heute - Stichwort Hartz IV - mit ihren je spezifischen emotionalen und sozialen Problemlagen aus (vgl. Richter-Kornweitz 2012) und übersieht geflissentlich die berufsrollenspezifischen Verunsicherungen, Überforderungen und Überlastungen der Lehrkräfte. Weder der Zielgruppe und ihren Eltern noch den schulischen und außerschulischen Fachkräften nutzt die bildungspolitisch verkürzte und in akademischen Distinktionsritualen gepflegte normativ überhöhte „Inklusion light“. Hier werden die negativen Konsequenzen einer Fixierung der Inklusionsdebatte auf schulstrukturelle Fragen überdeutlich aufgezeigt; in der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen sind nämlich funktionierende kooperative und professionelle Netzwerkstrukturen ebenso wichtig wie eine familien- und kindgerechte Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Auch mit Blick auf die internationale Entwicklung einer „inclusive education“ wird deutlich, dass die hiermit verbundenen Versprechungen und Idealvorstellungen für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen nicht eingelöst werden (vgl. Mowat 2010). Denn es kann ja im Kern nicht um die einseitige Favorisierung einer spezifischen Beschulungsform gehen - hier Förderschule und dort inklusive Regelschule -, sondern um die verbindliche Gewährleistung pädagogisch (und therapeutisch) angemessener Bildungs- und Entwicklungs- VHN 3 | 2014 189 BIRGIT HERZ Keine Barrierefreiheit für Kinder mit Verhaltensstörungen? DAS PROVOK ATIVE ESSAY förderung für diese Zielgruppe. International (vgl. Cooper 2011) und national (vgl. Reiser u. a. 2007) liegen dazu empirisch belastbare Modelle und Konzeptionen für inklusive (Regelschule) ebenso wie für intensivpädagogische Settings (Förderschule) vor. Diese differenzierten Organisations- und Praxismodelle in unterschiedlichen Settings beziehen sich auf die Heterogenität spezifischer Problemlagen in der emotionalen und sozialen Entwicklung und den damit verbundenen Anforderungen an unterschiedliche Berufe und Institutionen in den je erforderlichen Kooperationsnetzwerken. In der aktuellen Inklusionspropaganda werden solche Modelle und Konzeptionen allerdings aus Kostengründen modifiziert und dabei zumeist simplifiziert: So sind viele Schulen zur Erziehungshilfe suboptimal ausgestattet, z. B. wegen fehlender Nachmittagsbetreuung oder mangelnder interdisziplinärer Kooperation; die inklusionspädagogische Förderung in den Regelschulen wird zu einer Unterstützungsleistung im Konjunktiv. Verschärfend wirkt sich aus, dass auch die außerschulische Kinder- und Jugendhilfe - als zentraler außerschulischer Kooperationspartner - unter verstärkten Sparzwängen steht (vgl. Hußmann 2012). In diesem Dilemma ist zu befürchten, dass durch die unzureichende Versorgung die hierdurch entstehenden Leerstellen besetzt werden durch außerpädagogische Akteure. Die Pharmaindustrie hat bereits erfolgreich an Terrain gewonnen. Serge Thomazet schreibt: „…it is no longer the education system which is ill, but the children.“ (Thomazet 2009, 559) Vergleichbares gilt, wie bereits erwähnt, für das Erstarken neuer Disziplinierungsstrategien und Bestrafungstendenzen bei Verhaltensabweichungen von der Normalität (vgl. Herz 2010). Barrierefreiheit auch für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen - nur noch eine Vision? Literatur Agi, I.; Hennemann, T.; Hillenbrand, C. (2010): Kindliche Verhaltensauffälligkeiten aus der Sicht von Erzieherinnen: Ergebnisse einer Befragung an Kindertageseinrichtungen in Nordrhein- Westfalen. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 61, 44 -50 Bernhard, A. (2012): Inklusion - Ein importiertes erziehungswissenschaftliches Zauberwort und seine Tücke. In: Behindertenpädagogik 51, 342 -351 Cefari, C.; Cooper, P. (2010): Students without voices: the unheard accounts of secondary school students with social, emotional and behavioural difficulties. In: European Journal of Special Needs Education 25, 183 -198. http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 08856251003658702 Cooper, P. (2011): Teacher strategies for effective intervention with students presenting social, emotional, and behavioral difficulties: an international review. In: European Journal of Special Needs Education 26, 71 -86. http: / / dx. doi.org/ 10.1080/ 08856257.2011.543548 Ellinger, S.; Stein, R. (2012): Effekte inklusiver Beschulung im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. In: Empirische Sonderpädagogik 3, 85 -109 von Freyberg, T.; Wolff, A. (2005): Störer und Gestörte. Bd. 1: Konfliktgeschichten nicht beschulbarer Jugendlicher. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel von Freyberg, T.; Wolff, A. (2006 a): Störer und Gestörte. Bd. 2: Konfliktgeschichten als Lernprozesse. Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel von Freyberg, T.; Wolff, A. (2006 b): Trauma, Angst und Destruktivität in Konfliktgeschichten nicht beschulbarer Jugendlicher. In: Leuzinger-Bohleber, M.; Haubl, R.; Brumlik, M. (Hrsg.): Bindung, Trauma und soziale Gewalt. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 164 -185 Haas, B. (2012): Dekonstruktion und Dekategorisierung: Perspektiven einer nonkategorialen (Sonder-)Pädagogik. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 63, 404 -413 Herz, B. (2010): Neoliberaler Zeitgeist in der Pädagogik: Zur aktuellen Disziplinarkultur. In: Dörr, M.; Herz, B. (Hrsg.): „Unkulturen“ in Bildung und Erziehung. Wiesbaden: VS, 171 -190 Herz, B. (2012 a): Inklusion: Realität und Rhetorik. In: Benkmann, R.; Chilla, S.; Stapf, E. (Hrsg.): In- VHN 3 | 2014 190 BIRGIT HERZ Keine Barrierefreiheit für Kinder mit Verhaltensstörungen? DAS PROVOK ATIVE ESSAY klusive Schule - Einblicke und Ausblicke. Immenhausen: prolog, 36 -53 Herz, B. (2012 b): Punitive trends in Germany: New solutions for deviant behaviour or old wine in new bottles? In: Visser, J.; Daniels, H.; Cole, T. (Eds.): Transforming Troubled Lifes: Strategies and Interventions for Children with Social, Emotional, and Behavioural Difficulties. Bingley: Emerald, 389 -404. http: / / dx.doi.org/ 10.1108/ S1479-3636(2012)0000002027 Hodkinson, A. (2012): Illusionary inclusion - what went wrong with New Labour’s landmark educational policy? In: British Journal of Special Education 39, 4 -11. http: / / dx.doi.org/ 10.1111/ j.1467-8578.2012.00532.x Hußmann, M. (2012): Brennpunkte außerschulischer Erziehungshilfe. Unveröff. Vortrag am 23. 11. 2012, Leibniz Universität Hannover Mettlau, C. (2013): Mittendrin und doch daneben. „Ausschluss inklusive“ für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen? In: Herz, B. (Hrsg.): Schulische und außerschulische Erziehungshilfe. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 116 - 127 Mowat, J. G. (2010): Inclusion of pupils perceived as experiencing social and emotional behavioural difficulties. In: International Journal of Inclusive Education 14, 631 -648. http: / / dx.doi. org/ 10.1080/ 13603110802626599 Opp, G. (2008): Schulen zur Erziehungshilfe - Chancen und Grenzen. In: Reiser, H.; Dlugosch, A.; Willmann, M. (Hrsg.): Professionelle Kooperation bei Gefühls- und Verhaltensstörungen. Hamburg: Dr. Kovac, 67 -88 Preuss-Lausitz, U.; Textor, A. (2006): Verhaltensauffällige Kinder sinnvoll integrieren - eine Alternative zur Schule für Erziehungshilfe. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 57, 2 -8 Reiser, H.; Willmann, M.; Urban, M. (2007): Sonderpädagogische Unterstützungssysteme bei Verhaltensproblemen in der Schule. Innovationen im Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Richter-Kornweitz, A. (2012): „…und raus bist du? “ - Armut und inklusive Frühpädagogik in Kindertagestätten. In: Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.): Diversität und Kindheit - Frühkindliche Bildung, Vielfalt und Inklusion. Online unter: www.boell.de/ demokratie/ demokratie-diversi taet-kindheit-fruehkindliche-bildung-vielfaltinklusion-15448.html, 118 -131, 18. 7. 2013 Stein, R. (2011): Pädagogik bei Verhaltensstörungen - zwischen Inklusion und Intensivangeboten. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 62, 324 -336 Thomazet, S. (2009): From integration to inclusive education: does changing the terms improve practice? In: International Journal of Inclusive Education 13, 553 -563. http: / / dx.doi.org/ 10.10 80/ 13603110801923476 von Wolffersdorff, C. (2009): Wir werden euch helfen! Die vielen Gesichter des Erziehungsgedankens in Jugendfürsorge und Justiz. In: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 20, 96 -105 Anschrift der Autorin Prof. Dr. phil. Birgit Herz Leibniz Universität Hannover Institut für Sonderpädagogik Schloßwender Straße 1 D-30159 Hannover Tel.: +49 (0) 5 11 76 21 73 23 birgit.herz@ifs.phil.uni-hannover.de